ausblicke 2.12 - Landflucht: Magazin fuer laendliche Entwicklung

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ausblicke 2.12 Magazin für ländliche Entwicklung

Schwerpunkt

Landflucht Demografischer Wandel im ländlichen Raum Landflucht und Umwelt | Landflucht und Gesellschaft | Landflucht und Wirtschaft Innovationspreis für Chancengleichheit 2012 Gesellschaftliche Vielfalt in ländlichen Regionen | Die Siegerprojekte Netzwerk Land BürgerInnen-Rat | Jugend & Beschäftigung | ÖKL-Baupreis 2012 | Leader-Regionen International Vernetzung der ländlichen Entwicklung in Frankreich



Prolog ausblicke 2 |12

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Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums Landwirtschafts- und Umweltminister Niki Berlakovich

Bäuerliche Familien leisten mit ihren Tätigkeiten einen wichtigen Beitrag zur Lebensfähigkeit der ländlichen Regionen und der ländlichen Gesellschaft. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass junge Landwirtinnen und Landwirte sowie Hofübernehmende in den Betrieben und in den Regionen auch weiterhin gute Bedingungen zum Weitermachen vorfinden. Unser Ziel ist es, die ländliche Wirtschaft zu verbessern. Daher unterstützen wir die Erschließung neuer Einkommensquellen, etwa im Tourismus oder in der regionalen Energiewirtschaft. Eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft sorgt für erneuerbare Energieträger und ist auch im Sinne des Klimaschutzes ein Zukunftssektor. Wir haben heute einen lebendigen ländlichen Raum, der schneller wächst als der städtische. Zur Attraktivierung des Lebens am Land müssen aber die nötigen Infrastrukturen gewährleistet sein. Hier bietet die Umsetzung der Leader-Methode Gemeinden sowie Bürgerinnen und Bürgern die Chance, sich ihrer regionsspezifischen Probleme bewusst zu werden und gemeinsam eine Strategie und Lösungsansätze zu entwickeln. Leader ermöglicht den Regionen, individuelle Akzente zu setzen, sich zu spezialisieren und dadurch qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen sowie die Lebensqualität zu steigern. Dies ist eine her-

ausfordernde Aufgabe, für die wir im Rahmen der ländlichen Entwicklung Know-how und Ressourcen bereitstellen. Um die Entwicklung einer Region längerfristig und nachhaltig sicherzustellen, müssen alle dort lebenden Personen eingebunden sein. Daher setze ich mich für Chancengleichheit im ländlichen Raum ein. Damit meine ich Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, Generationen und Kulturen. Im Rahmen von Leader-Projekten haben wir in den letzten Jahren vieles bewirkt. Um die bereits erreichten Leistungen in den Vordergrund zu rücken, hat Netzwerk Land für das Jahr 2012 den Innovationspreis für Chancengleichheit initiiert. Die besten Projekte wurden prämiert und als Best-PracticeBeispiele mit Möglichkeit zum Nachmachen vorgestellt. Wir müssen die Menschen für das Thema Chancengleichheit sensibilisieren. Die Berücksichtigung der Chancengleichheit und Gleichstellung von Frauen und Männern im ländlichen Raum wird im Rahmen des Grünen Pakts, des Programms für die ländliche Entwicklung 2007−2013, deutlicher artikuliert als in den vorangegangenen Programmen und in Projekten umgesetzt. Ich gratuliere den Gewinnerinnen und Gewinnern des Innovationspreises sehr herzlich und wünsche allen Teilnehmenden weiterhin viel Erfolg bei der Realisierung ihrer Ideen! |||


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ausblicke 2 |12 Vorwort

Den ländlichen Raum leben

Eine rustikale Almhütte, eine schmackhafte Brettljause, Kuhglockenläuten, ein Bauer schwingt die Sense, selbst gebrautes Bier wird von einem Mädchen im Dirndl serviert … Ruhe, Weite und ein atemberaubender Ausblick vom Gipfel … Dieses traditionelle Österreich-Bild ist in vielen Köpfen fest verankert und nach wie vor integraler Bestandteil beinahe jeder österreichspezifischen Werbebroschüre. Die Sehnsucht nach Natur, nach Lebensqualität ist ungebrochen. „Urlaub am Bauernhof“ floriert, Naturparke verzeichnen steigende Gästezahlen. Und trotzdem: Zahlreiche Gebiete in Österreich kämpfen mit massiven Abwanderungstendenzen. Landflucht – Braindrain, Verlust von Infrastruktur, „Übrigbleiben“ älterer Menschen, Aufgabe von bewirtschafteten Flächen – ein Faktum, das Fragen aufwirft. Ist Wachstum in ländlichen Gebieten notwendig? Brauchen wir tatsächlich florierende, wachsende ländliche Räume? Muss allerorts menschliches Treiben stattfinden? Oder ist ein „geordneter Rückzug“, wie Univ.-Prof. DI Dr. Gerlind Weber von der Universität für Bodenkultur Wien vorschlägt, vonnöten und vielleicht sogar ehrlicher? Bedeutet Rückzug nicht auch, einer neuen Art von Wildnis eine Chance zu geben, der Natur freien Raum zu lassen? Fehlt uns der Mut dazu, der Natur freien Lauf zu lassen, vielleicht auch menschliche Eingriffe rückgängig zu machen, nicht mehr benötigte Bauten (Häuser, Schiliftanlagen etc.) abzutragen? Reicht es nicht aus, wenn Räume punktuell genutzt werden, etwa als Orte für Zweitwohnsitze, als Erholungs-, Besinnungs- und Erlebnisräume für TouristInnen? Oder als Transiträume, um von A nach B zu kommen – muss sich in solchen Gebieten etwas „ab-

spielen“? – Oder überwiegen die Nachteile der Entsiedlung ländlicher Räume? Denn mit den Nutzungsaufgaben und mit dem Rückzug der Landwirtschaft geht einerseits eine Intensivierung der verbliebenen produktiven landwirtschaftlichen Flächen einher. Landschaften werden ausgeräumt, um effizienter genutzt werden zu können. Gleichzeitig wachsen Flächen in den peripheren Regionen immer mehr zu, und überall geht über kurz oder lang die Artenvielfalt verloren. Der Charme von Transiträumen und die Eignung als Dauersiedlungsraum seien in Frage gestellt. Das eingangs beschriebene idyllische Bild des ländlichen Raums, das, was TouristInnen suchen und auch von Zweitwohnbesitzerinnen und -besitzern geschätzt wird, hängt unmittelbar mit menschlicher Tätigkeit zusammen, ist von ihr abhängig. Ohne aktives Gemeinschaftsleben in ländlichen Räumen gibt es keine lebendige, auf Zukunft und kommende Generationen ausgerichtete Landwirtschaft, ohne Landwirtschaft gibt es keine Artenvielfalt, keine bevölkerte Almhütte, kein Kuhglockenläuten. Und all das bedeutet einen Verlust von Lebensqualität für uns alle. Es braucht daher ein Umdenken, ein neues, dynamisches Regionalbewusstsein, um ländliche Räume (re)vitalisieren, ihre Potenziale erkennen und ausschöpfen zu können. Was aber ist der richtige Weg? Gibt es einen Mittelweg? Veränderungen bergen auch Chancen. Diese gilt es – nicht zuletzt mithilfe des Programms für ländliche Entwicklung – zu nutzen. ||| Michael Proschek-Hauptmann, Netzwerk Land


Inhalt Innovationspreis für Chancengleichheit 2012

1 Prolog 2 Vorwort

40 Innovationspreis Chancengleichheit in ländlichen

Demografischer Wandel im ländlichen Raum

Regionen Luis Fidlschuster und Barbara Pia Hartl

42 Jugendkulturelles Beteiligungsprojekt:

6 Landflucht als Schicksal? Elisabeth Stix und Andrés Peña

Jugendmusikszene Pinzgau

43 Chancengleichheit im ländlichen Raum: Frauen

Landflucht und Umwelt 10 Entflechtung der Landschaftsnutzung – gut oder schlecht für die Natur? Johannes Frühauf

12 Naturtourismus als Perspektive gegen Landflucht? Bernhard Stejskal

entscheiden 44 RIKK: Förderung der interkulturellen Kompetenz in den Bezirken Vöcklabruck und Gmunden 45 Kunst vom Rand: Das kreative Potenzial von Menschen mit Behinderung

14 Rückzug des Menschen aus peripheren Regionen:

Netzwerk Land

Widersprüchlichkeiten zum Begriff Wildnis Andreas Muhar

48 BürgerInnen-Rat diskutiert Zukunft der

16 Entvölkerung ländlicher Räume: Folgen und Chancen

Landwirtschaft Hemma Burger-Scheidlin

49 Jugend und Beschäftigung: Zwei wichtige

Landflucht und Gesellschaft

Themen der ländlichen Entwicklung

18 Offenheit, Vernetzung und Innovation: Grundbedingungen der Regionalentwicklung Thomas Dax 20 Zweitwohnsitz – Fluch oder Segen?

Luis Fidlschuster und Barbara Pia Hartl

50 ÖKL-Bauwettbewerb 2012 Dieter Kreuzhuber 51 Die ENRD-Fokusgruppe zum Thema Wissenstransfer und Innovation ENRD Contact Point

Erich Dallhammer und Joanne Tordy

22 Braingain statt Braindrain Luis Fidlschuster 23 re-design Landleben: Um- und Rückbau als Programm

52 Fit für die Zukunft mit Landjugend-Weiterbildung

am Beispiel Eisenerz Rainer Rosegger 24 Schicksal Landflucht?

54 ARGE Österreichische Bäuerinnen – Das Netzwerk

Claudia Jung-Leithner

für Bäuerinnen und Landfrauen Anna Höllerer und Michaela Glatzl

Landflucht und Wirtschaft

55 Die Territorialen Beschäftigungspakte

26 Bäuerinnen und Bauern braucht das Land Gerhard Poschacher

28 LE 07−13: Ein Rezept gegen Landflucht? Klaus Wagner 29 Der Agrarstrukturwandel in den Alpen ist nicht

Berenike Ecker

56 Leader-Paradies Tiroler Unterland Teresa Arrieta 58 Leader-Region Zirbenland: Abwanderung erfolgreich bekämpfen Teresa Arrieta

nur negativ Robert Huber und Christian Flury 30 Erwerbskombination als Überlebensstrategie Christine Mooslechner

International 60 Vernetzung der ländlichen Entwicklung

32 Landflucht: Die Zukunft des ländlichen Raums? 34 Green Care – Soziales Vorzeigeprojekt der Landwirtschaft Robert Fitzthum und Nicole Prop 36 Welches Ziel für den ländlichen Raum? Franz Sinabell

in Frankreich Julia Manaquin

62 63 64 65

Internationale Termine, Leserbrief Literatur- und Webtipps NWL-Veranstaltungen Impressum


Demografischer Wandel im l채ndlichen Raum


Der demografische Wandel im l채ndlichen Raum wird oftmals mit dem Problem Landflucht in Zusammenhang gebracht. Welche negativen und positiven Auswirkungen hat die Landflucht auf die Bereiche Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft?


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ausblicke 2 |12 Demografischer Wandel im ländlichen Raum

Landflucht als Schicksal? Bevölkerungsentwicklung in Österreich – ein kurzer Überblick anhand der ÖROK-Regionalprognosen Elisabeth Stix und Andrés Peña

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ie vorliegende Ausgabe des Magazins „ausblicke“ widmet sich dem Phänomen Landflucht aus den verschiedensten Perspektiven – Landflucht & Umwelt, Landflucht & Gesellschaft, Landflucht & Wirtschaft – und versucht, das Thema möglichst vielschichtig zu beleuchten. Für einen Überblick über die der Landflucht zugrunde liegenden demografischen Entwicklungen kann seitens der ÖROK-Geschäftsstelle auf die im Juni 2011 publizierten „ÖROK-Regionalprognosen 2010−2030“ zurückgegriffen werden.1 Dafür werden von der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) kleinräumige Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung beauftragt, die regionalisierte Prognosen für die NUTS-3-Regionen und politische Bezirke umfassen.2 Durchgeführt werden diese Aufträge von ExpertInnen der STATISTIK AUSTRIA, die von einer Arbeitsgruppe der ÖROK (z. B. LandesstatistikerInnen für die Beratung bei Prognoseannahmen, Interpretationen von Ergebnissen, etc.) begleitet werden. Die Ergebnisse werden in der ÖROKSchriftenreihe, auf der ÖROK-Homepage sowie in Kartenform im ÖROK-Atlas publiziert und als Planungs- und Entscheidungsgrundlage frei zugänglich zur Verfügung gestellt.

Die Bevölkerungsentwicklung Österreichs 2009−2030 Grundsätzlich wächst die Bevölkerung Österreichs stetig: Seit 1951 stieg sie von 6,9 auf 8,3 Mio. (2008) im Bundesgebiet wohnhafte Personen an. 2011 lebten in Österreich bereits 8,4 Mio. Menschen. Die Prognosen gehen von einem weiteren Wachstum auf 8,6 Mio. Personen bis zum Jahr 2015 (+2,8% gegenüber 2008) aus; im Jahr 2030 soll laut Prognosen die 9-Millionen-

Schwelle erreicht werden. Auch bis zum Jahr 2050 wird für Österreich von weiteren Zuwächsen ausgegangen, und zwar auf 9,5 Mio. Personen. Von 1951 bis 1961 waren für das Wachstum in erster Linie Geburtenüberschüsse verantwortlich, seit den 1970er-Jahren wächst Österreich überwiegend durch Zuwanderung. In Wien und Niederösterreich werden in den kommenden Jahrzehnten überdurchschnittlich starke Bevölkerungszunahmen erwartet, die Entwicklungen des Burgenlandes sowie von Vorarlberg und Tirol entsprechen in etwa dem Bundestrend. Das Bevölkerungswachstum Salzburgs, Oberösterreichs sowie der Steiermark fällt im Vergleich dazu unterdurchschnittlich aus, in Kärnten ist mittelfristig mit einer Stagnation sowie langfristig mit leichten Bevölkerungsrückgängen zu rechnen.

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eichnet sich bereits auf Ebene der Bundesländer eine unterschiedliche Entwicklung ab, so bietet sich auf kleinräumigerer Ebene nochmals ein deutlich differenzierteres Bild (siehe Karte, Seite 7). Die Berechnungen gehen davon aus, dass bisher wachsende Regionen auch weiterhin Bevölkerungszuwächse verzeichnen können. Die deutlichsten Zunahmen werden wie bisher in den großen Städten und in den Regionen rund um große Städte stattfinden, wobei die eindeutig stärkste Entwicklung im Osten Österreichs rund um Wien zu erwarten ist. Die politischen Bezirke im Großraum Wien können durchwegs mit Zuwächsen von mehr als 10 %, einige auch von mehr als 20 % gegenüber dem 1. Jänner 2009 − dem Ausgangspunkt der Prognose – rechnen (siehe Karte).


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Kleinräumige Bevölkerungsprognose für Österreich 2010–2030 mit Ausblick bis 2050 („ÖROK-Regionalprognosen“)

Quelle: ÖROK-Atlas, www.oerok-atlas.at

Man geht davon aus, dass der österreichweite Spitzenreiter Schwechat mit 28 % Zuwachs sein wird. Festzuhalten ist des Weiteren, dass die vom Großraum Wien ausstrahlenden Bevölkerungszuwächse nicht mehr nur nach Niederösterreich (südliches Niederösterreich, starkes Wachstum auch im Raum St. Pölten), sondern bis ins nördliche Burgenland reichen werden. Auf der Achse St. Pölten – Wien – Bratislava ist also eine deutliche Dynamik zu erwarten. Aber nicht nur der Großraum Wien wächst weiter. Deutliche Bevölkerungszuwächse mit über 10 % wird es auch in den Regionen rund um Graz und Linz sowie in großen Teilen des Inn- und Rheintals geben (siehe Karte).

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ls Detail der Entwicklung in den Stadtregionen zeigt sich, dass in Bezug auf die oftmals als „Stadtflucht“ bezeichnete Suburbanisierung von einer gewissen Trendabschwächung auszugehen ist: Nicht nur die Regionen rund um die Städte, sondern auch die Kernstädte selbst werden an Bevölkerung gewinnen. In der Regel fallen die Zuwächse geringer aus als im Umland (z. B. Wien +13 %, Graz +15 %). Allerdings muss beachtet werden, dass die Zuwächse in den Kernstädten bereits in viel dichter besiedeltem Gebiet stattfinden. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die

Zuzüge in das Stadtumland nicht nur aus Wande- 1 A. Hanika/J. Kytir/G. Biffl/ A. Wisbauer, ÖROK-Regionalrungsbewegungen aus der Kernstadt in das Stadtumprognosen 2010−2030, land, sondern zu einem markanten Anteil auch aus ÖROK 2011. Wanderungsbewegungen aus anderen Regionen in 2 Die aktuell vorliegenden „ÖROK-Regionalprognosen das Stadtumland bestehen (z. B. aus anderen Regio2010−2030“ basieren auf der nen Österreichs, internationaler Zuzug etc.). Bevölkerungsprognose der Im Gegensatz dazu zeichnet sich in Regionen mit STATISTIK AUSTRIA für Österreich und die Bundesländer stagnierender Bevölkerungsentwicklung keine Trendvom Herbst 2009. Die regionaliumkehr ab. Für Regionen, die in den letzten Jahren sierten Annahmen haben eine schwache Bevölkerungsdynamik aufwiesen, bis 2030 Prognosecharakter, bis 2050 den Charakter von wird dies auch für die nächsten Jahren prognostiziert. Modellrechnungen mit im Wie bereits in der Vergangenheit wird die OberWesentlichen konstanten steiermark auch künftig an Bevölkerung verlieren; Prognoseparametern. Die Ergebnisse wurden 2011 als zunehmende Geburtendefizite und BinnenwandeNr. 184 der ÖROK-Schriftenrungsverluste werden bis zum Jahr 2030 zu einem reihe publiziert. Bevölkerungsrückgang von etwa 8% führen. Auch für 3 H. Hiess, „Rahmenbedingungen und Trends der räumlichen Ober- und Unterkärnten (−5 %), den Salzburger LunEntwicklung“, in: 13. Raumordgau und Osttirol (−4%) sowie das nördliche Waldviernungsbericht 2008−2011, tel wird eine zurückgehende Bevölkerungszahl proÖROK, erscheint im Dezember 2012. gnostiziert (siehe Karte). Allerdings sollte beim Blick auf die regionale Bevölkerungsentwicklung die kleinräumige innerregionale Dynamik nicht übersehen werden: In Abnahmeregionen können Städte ebenso wie zentrale Orte wachsen, während in Seitentälern, Berglagen und kleinen Ortschaften überdurchschnittlich hohe Bevölkerungsrückgänge zu verzeichnen sind.3


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Literatur • T. Dax/E. Favry/L. Fidlschuster/ T. Oedl-Wieser/W. Pfefferkorn, Neue Handlungsmöglichkeiten für periphere ländliche Räume. Erkenntnisse aus dem ÖROKProjekt „Periphere ländliche Räume“, ÖROK-Schriftenreihe Nr. 181, Wien 2009. • A. Hanika/J. Kytir/G. Biffl/ A. Wisbauer, ÖROK-Regionalprognosen 2010−2030, Modellrechnung bis 2050. Bevölkerung, Erwerbspersonen und Haushalte in den NUTS-3Regionen und Bezirken Österreichs, ÖROK-Schriftenreihe Nr. 184, Wien 2011. • H. Hiess, „Rahmenbedingungen und Trends der räumlichen Entwicklung“, in: 13. Raumordnungsbericht 2008−2011, ÖROK-Schriftenreihe Nr. 187, erscheint im Dezember 2012. • R. Lukesch/H. Payer/ W. Winkler-Rieder, Wie gehen Regionen mit Krisen um? Eine explorative Studie über die Resilienz von Regionen, ÖAR Regionalberatung im Auftrag des Bundeskanzleramtes, Wien 2010. • Österreichische Raumordnungskonferenz, Österreichisches Raumentwicklungskonzept „ÖREK 2011“, ÖROK-Schriftenreihe Nr. 185, Wien 2011. Links • www.oerok.gv.at • www.oerok-atlas.at • www.oerok.gv.at/raum-region/ daten-und-grundlagen/ oerok-prognosen.html • www.oerok.gv.at/raum-region/ oesterreichischesraumentwicklungskonzept/ oerek-2011.html

Entwicklung der Altersstruktur Um zukünftige Entwicklungen besser einschätzen zu können, erweist sich neben der Betrachtung der Bevölkerungszahlen die Analyse der Altersstruktur als unumgänglich. Im Prognosezeitraum bis 2030 schlägt der zu erwartende demografische Alterungsprozess zu Buche. Dieser ergibt sich daraus, dass den zahlenmäßig starken Jahrgängen der Babyboom-Generation (1950er- und 1960er-Jahre) ab den 1970er-Jahren vergleichsweise schwächere Jahrgänge nachgerückt sind und die Babyboomer nun langsam „in die Jahre“ kommen. Abgesehen davon steigt die Lebenserwartung der Menschen weiterhin, und die Geburtenraten sind seit den 1970er-Jahren auf niedrigem Niveau geblieben. Die Anzahl älterer Personen erhöht sich daher absolut wie anteilsmäßig. Das weiter oben dargestellte, für die Zukunft prognostizierte Bevölkerungswachstum in Österreich wird aus diesem Grund nahezu ausschließlich durch internationale Zuwanderung getragen. Die demografischen Alterungsprozesse vollziehen sich in fast allen europäischen Staaten und darüber hinaus (z. B. in Russland) auf ähnliche Weise, wenn auch unterschiedlich stark. Von einer vermehrten Internationalisierung der Migration ist daher auszugehen.

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n Bezug auf die Altersstruktur ergibt sich aus der aktuellen ÖROK-Regionalprognose das folgende Bild: Die Zahl der unter 20-jährigen Personen wird in den nächsten Jahren weiter abnehmen, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung geht zwischen 2008 und 2030 von 21% auf 19% zurück. In der folgenden Altersstufe, der erwerbsfähigen Bevölkerung im Alter von 20 bis 65 Jahren, wird es in den nächsten Jahren vor allem durch Zuwanderung zu einem leichten Zuwachs, langfristig aber ebenfalls zu einer Abnahme kommen. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen (bis 19 Jahre) wird nur mehr in jenen Regionen steigen, für die insgesamt ein starkes Bevölkerungswachstum prognostiziert wird. Dies ist der Fall im Großraum Wien sowie in einigen Landeshauptstädten samt Umland. Ansonsten ist österreichweit sowohl mittelals auch langfristig mit einem Rückgang der unter 20jährigen Bevölkerung zu rechnen. Regionen mit Bevölkerungsverlusten weisen oftmals auch stärkere Rückgänge bei Kindern und Jugendlichen auf.

Die Bevölkerung im Alter von über 65 Jahren wird aus den bereits genannten Gründen zahlen- und anteilsmäßig deutlich zunehmen. Ihre Absolutzahl wird bis 2030 um die Hälfte zunehmen, ihr Bevölkerungsanteil von 17% auf gute 24% steigen. Am stärksten wird die Zahl der über 65-Jährigen bis 2030 in Salzburg-Umgebung (+81 %) steigen; im Bezirk Leoben rechnet man mit einem Zuwachs von nur 10 %. Somit kristallisiert sich der Alterungsprozess der österreichischen Gesellschaft als die größte demografische Herausforderung heraus.

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usammenfassend kann man sagen, dass den ÖROK-Regionalprognosen zufolge bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus von starken Bevölkerungszuwächsen in den städtischen Regionen und Verdichtungsräumen Österreichs (inklusive Inn- und Rheintal), mit einem markanten Wachstumspol im Osten rund um Wien, auszugehen ist. Die Bevölkerung wächst damit wie in den letzten Jahren in den Regionen rund um die Städte; neu ist allerdings, dass ein vermehrter Zuzug in die Kernstädte festzustellen ist und dieser zukünftig anhalten soll. In Regionen mit negativer Bevölkerungsentwicklung werden sich laut aktueller Prognose die bisherigen Entwicklungen gleichfalls weitgehend fortsetzen: Abnahmeregionen müssen weiterhin mit einer negativen Bevölkerungsentwicklung rechnen. Innerregional können in den regionalen Zentren durchaus positive Entwicklungen stattfinden; die Abwanderungsprozesse konzentrieren sich oftmals in peripheren Lagen, zum Beispiel in Seitentälern, Berglagen und kleinen Ortschaften.

Abschließende Überlegungen Ein vielfältiges Bild zum Thema „Landflucht“ wird sich mit Gewissheit erst aus der Lektüre der weiteren Beiträge erschließen. Dennoch regt der Titel „Landflucht als Schicksal?“ vor dem Hintergrund der soeben beschriebenen Entwicklungen zu einigen Überlegungen an. Der vom Umfang her deutlichste Bevölkerungszuwachs wird wie bisher in Stadtregionen erwartet. Einen großen Teil der Bevölkerung Österreichs zieht es in Regionen, die sowohl ländliche als auch städtische Merkmale aufweisen: ein größeres Arbeitsplatz-


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ie im Artikel dargestellten Entwicklungen vollziehen sich meist in Etappen über mehrere Jahre hinweg und verändern sich mit der Zeit. Unterschiedliche Beziehungen zum Ausgangsort bleiben meist bestehen. Im gesellschaftlichen Sinn können dies die Familie, Freundinnen/Freunde, Vereine etc. sein, die weiterhin gern besucht werden. Im räumlichen Sinn kann dies das Zimmer im Haus der Eltern sein, das weiterhin Zuflucht bietet, später vielleicht ein Feriendomizil, ein (temporärer) Rückzugsort, ein Ort, zu dem man in der Pension gerne zurückkehrt. Oder es können einfach Orte sein, die man vermisst und die man zur Herstellung des Seelenfriedens immer wieder aufsucht. Insofern wäre der Begriff „Landflucht“ zu hinterfragen: „Flucht“ impliziert eine ungeordnete, rasche Bewegung, das Zurückweichen vor einem Feind oder einer Gefahr oder die Beendigung eines Zustands der Unfreiheit (Stadtluft macht frei?). Auf die Bevölkerungsentwicklung bezogen muss nach der obigen Darstellung vielmehr von langfristigen Prozessen gesprochen werden, die in übergeordnete gesellschaftliche, ökonomische und politische Transformationsprozesse eingebettet sind. Eine Umkehrung dieser globalen Prozesse ist aus regionaler Perspektive wohl nicht möglich, eine aktive Begleitung und Unterstützung bei der Bewältigung sind aber das Gebot der Stunde. Positive Beziehungen zum „Fluchtort“ bieten mit Sicherheit wichtige Ansatzpunkte für mögliche Bewältigungsmaßnahmen. Abwanderung muss nicht immer nur negativ gesehen werden, sondern birgt auch die Möglichkeit einer (temporären, ständigen?) Rückkehr. Gerade in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung stellen die dargestellten Prozesse bereits lange andauernde Entwicklungen dar; durch die demografischen Alterungsprozesse muss von einer neuen Dynamik ausgegangen werden, die allerdings (in zeitlich

versetzten Phasen) alle Regionen in Österreich und im gesamten europäischen Raum betrifft; sie erfordert daher die akkordierte Suche nach Lösungswegen und Bewältigungsstrategien, wobei folgende Punkte hervorzuheben sind: f Suche nach gemeinsamen Strategien sowohl mit den Städten als auch mit dem „Land“ und vor allem mit den Regionen rund um die Städte und den „Landrändern“ – die Regionen sind intensiv miteinander vernetzt und brauchen einander; f Beschreitung neuer Wege in Bezug auf Offenheit und Perspektivenerweiterung in allen Räumen, da Bevölkerungswachstum fast ausschließlich durch Zuwanderung erfolgen wird. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen sollten gemeinsame Bewältigungsstrategien im Fokus stehen. Landflucht muss also nicht als Schicksal gesehen werden – denn auch Stadtluft macht nicht immer automatisch frei … |||

Elisabeth Stix und Andrés Peña, wissenschaftliche(r) Mitarbeiterin/Mitarbeiter der ÖROK-Geschäftsstelle

Foto: Festival der Regionen 2011, Projekt von Bernadette Huber

und Versorgungsangebot in der Nähe, aber auch ein Mehr an Grün- und Freiräumen sowie kleinstrukturiertere, offenere Wohn- und Lebensformen als in der Stadt. Landflucht kann in diesem Zusammenhang nicht (allein?) als Flucht vor dem Ländlichen interpretiert werden. Bestimmte Merkmale des ländlichen Lebens liegen offensichtlich weiterhin im Trend und werden nachgefragt.

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Entflechtung der Landschaftsnutzung Gut oder schlecht für die Natur?

Landflucht ist kein neues Phänomen und hat allgemein bekannte soziale Folgen. Weil in einer Zeit globaler Biodiversitätsrückgänge das Bewusstsein für mögliche Auswirkungen von Landnutzungsänderungen stark gewachsen ist, findet heute jedoch auch die damit einhergehende Entflechtung der Landschaftsnutzung Beachtung. Johannes Frühauf

Seit Jahrzehnten konzentriert sich das in Österreich nahezu gleich bleibende landwirtschaftliche Gesamteinkommen immer mehr auf immer weniger Betriebe. Fehlende Einkommensmöglichkeiten treiben Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte. Nur auf den ersten Blick scheint die allgemeine „Landflucht“ Tourismusorte zu verschonen; nach der Saison sind sie oft wie ausgestorben. Früher waren überall in der Landschaft Menschen anzutreffen, die ihrer Arbeit auf Wiesen, Feldern, Almen und im Wald nachgingen, zu Fuß oder mit Lastenfuhren ins Nachbardorf unterwegs waren und ein recht intensives soziales Leben führten. Heute zieht ein Bauer mit seinem Hightechtraktor einsam seine Schleifen auf immer größeren Flächen, die früher Dutzende Menschen ernähren konnten. Gezwungen, sich auf das Rentable zu konzentrieren, lässt er unrentable Flächen links liegen. Zeit für eine Plauderei im Dorfwirtshaus – falls es noch eines gibt – bleibt kaum. Der „historische“, weitgehend autarke Bauernhof erzeugte „von möglichst vielem etwas“. Es entstanden Landschaften, wie wir sie von alten Fotos kennen: „Harte“ Grenzlinien zwischen den stark durchmischten Nutzungen – auch zum in großem Umfang beweideten Wald hin – waren selten, Land-

schaftselemente (z. B. Einzelbäume, Buschgruppen, Feuchtstellen) sowie Weidevieh allerorts anzutreffen. Im Nachkriegsösterreich galt Lebensmittelautarkie als oberstes Ziel; was am jeweiligen Standort am besten gedieh, davon sollte nun mittels Rationalisierung, Intensivierung und Spezialisierung möglichst viel produziert werden. Dies schlug sich in einer zunehmenden räumlichen Trennung genutzter und ungenutzter Flächen, von Wald und Kulturland sowie in weitgehender Spezialisierung ganzer Regionen auf die Produktion von Getreide, Viehfutter, Wein oder Obst nieder.

Historischer Nutzungswandel und Biodiversität Ein Rückblick liefert Beispiele für Folgen des damit einhergehenden Nutzungswandels. Ein großflächiger Umbruch von Wiesen und Weiden verursachte massive Biodiversitätsverluste im artenreichen Ostösterreich: Wiesenotter und Rötelfalke starben um 1980 aus, Sumpfgladiole, Wiedehopf und Steppeniltis wurden selten. Der größte Steppenrasen Mitteleuropas, das Steinfeld bei Wiener Neustadt, war ehemals beweidet, wurde aber schon unter Maria Theresia zum Teil mit Kiefern aufgeforstet; in jüngerer Zeit wurde der Lebensraum der endemischen Österreichischen


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Heideschnecke von Gewerbe und Industrie überbaut. Streuobstbestände verloren ihre Bedeutung – der Rotkopfwürger starb aus, die Vielfalt der Obstsorten nahm ab. „Wachsen oder weichen“ heißt es bis heute; während 65% der Landwirtschaftsbetriebe seit 1951 aufgaben, werden profitable Flächen weiter intensiviert. (Theoretisch geschützte) Landschaftselemente behindern die maschinelle Bearbeitung und werden nach und nach beseitigt. Einheitlich bewirtschaftete Ackerflächen werden immer größer, blumenreiche Heuwiesen weichen intensiv grünen, nur mit Löwenzahn gesprenkelten Silageflächen. Im Alpenraum waren die Auswirkungen schwächer, die weitgehende Aufgabe des Getreidebaus führte aber zum Verschwinden des Rebhuhns, die Verwaldung von Bergweiden bereits früh zum Aussterben der Alpenkrähe und später zum Rückgang des Steinhuhns. In luftiger Höh’ sieht der ungeschulte Blick anstatt alter Kulturlandschaft vor allem „unberührte Natur“ und nimmt kaum wahr, dass zum Beispiel hochgelegene Schafalmen nicht mehr bestoßen werden und vergrasen, dass Waldwiesen, Bergmähder und Waldalmen zuwachsen oder aufgeforstet werden.

Eine Frage der Gewichtung … „Landschaftsentflechtung“ suggeriert vor allem negative Folgen abnehmender Lebensraumvielfalt. Zwar sind vielfältig strukturierte Landschaftsausschnitte artenreicher; da jedoch der Fortbestand von Tier- und Pflanzenarten primär vom Gesamtausmaß geeigneten Lebensraums abhängt, wiegen Flächenverluste weit schwerer. Das Motiv hinter Nutzungsentflechtung ist Ertragsmaximierung auf allen bewirtschafteten Flächen, daher sind an extensive Nutzungen gebundene Arten besonders gefährdet; am stärksten betroffen sind einmähdige Wiesen (etwa minus 90% seit 1960). Auch Nutzungsaufgabe wird als Bedrohungsszenario meistens überbewertet. Verbracht eine Alm, verstreichen Jahrzehnte, bis charakteristische Tiere und Pflanzen verschwinden; für diese zumeist ungefährdeten Arten bleiben sehr große Flächen erhalten, eine Wiederaufnahme der Beweidung ist noch lange sinnvoll. Der Verlust von Tiefland-Feuchtwiesenresten hat hingegen unmittelbare Folgen: Ein einziger kleinflächiger Eingriff kann unter Umständen Arten irreversibel auslöschen. Umbruch, Aufforstung oder

„nur“ Intensivierung: Für die betroffenen Arten findet ein nicht verkraftbarer Nutzungswechsel statt.

Ist mehr Wald oder Nutzungsaufgabe „mehr Natur“? Der Waldzuwachs in Österreich betrug seit 1960 etwa 8,5 %. Forststraßen erleichtern die Aufforstung ehemaliger Almen, aber Waldflächen nehmen auch in tieferen benachteiligten Lagen zu (z. B. im Südburgenland). Meist geht dabei Extensivgrünland durch die Pflanzung von Jungbeständen verloren, die sich nur theoretisch in 100 Jahren zu wertvollen Biotopen entwickeln könnten, denn eine extensive Nutzung ist unwahrscheinlich. Auch die Wald-Weide-Trennung soll forstlich besser nutzbare Flächen schaffen. Waldweiden haben jedoch einen hohen Biodiversitätswert: Der Einfluss weidender Rinder entspricht jenem, den im Urzustand zum Beispiel das ausgerottete Auerwild ausübte, und sie sind Schlüssellebensraum für das Auerhuhn. Die Bilanz für Biodiversität ist also keinesfalls positiv. Man könnte auch argumentieren, dass Nutzungsaufgabe zu „Wildnis“ führen würde. Diese Bilanz wäre dann positiv, wenn sich weitgehend natürliche Ökosysteme entwickeln könnten, die zum Beispiel auch Bär, Wolf, Luchs und Bison Lebensraum bieten. Das würde jedoch sehr lange Zeiträume und riesige Flächen beanspruchen und ist wenig wahrscheinlich, weil Konflikte vor allem mit der Jägerschaft sowie mit der Forst- und Landwirtschaft vorprogrammiert sind. Für Steinadler, Bartgeier und Schneehase werden sich Almaufgaben jedenfalls negativ auswirken.

Perspektiven? Der land- und forstwirtschaftliche Strukturwandel wird nur schwer zu bremsen sein. Es sollte jedoch ein gesellschaftliches Anliegen sein, zum Erhalt der Biodiversität sowie aus kulturellen Gründen Extensivflächen in ausreichendem Umfang und somit lebensfähige Bestände abhängiger Arten für die Zukunft zu erhalten. Das künftige Programm für die ländliche Entwicklung bietet dafür Chancen, die es gezielt zu nutzen gilt. |||

Johannes Frühauf, BirdLife Österreich

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Naturtourismus als Perspektive gegen Landflucht?

Vor einigen Jahren hat Gerhard Lercher seinen unsicheren Angestelltenjob an den Nagel gehängt, die Ausbildung zum Natur- und Landschaftsführer gemacht und mit einem Kleintaxi begonnen. Heute ist der „Naturpark-Bus“ ein angesehenes Familienunternehmen im Naturpark ZirbitzkogelGrebenzen mit Reiseund Taxibussen. www.naturpark-bus.at

Gerne wird der Tourismus als Hoffnungsanker für „strukturschwache Regionen“ beschworen. Da werden touristische Leitprojekte propagiert, vom Land verordnete externe Planungsbüros engagiert und Rentabilitätsrechnungen erstellt. Es wird mit neuen Arbeitsplätzen argumentiert, die Stimmung mit klingenden Namen und spektakulären Überschriften angeheizt. Da wird nicht an Superlativen gespart und nicht an Geld. So manche Region hat damit nicht immer den erhofften Umschwung geschafft und sitzt heute vielfach frustriert auf einem Scherbenhaufen. Hat Naturtourismus mehr Zukunftsfähigkeit? Bernhard Stejskal

Bildung

Erholung

Regionalentwicklung

Naturparke Steiermark Projektstrategie

Naturschutz = Gesundheitsschutz

Quelle: Naturparke Steiermark, Arbeitsprogramm, Graz 2008

Zumindest verspricht der „sanfte“ Tourismusbereich Mut zu kleineren Einheiten, mehr Eingehen auf naturräumliche Besonderheiten und regionale Ressourcen, breitere Akzeptanz bei den Menschen und deren Einbindung, weniger politischen Druck. Hauptdarsteller im Naturtourismus sind die herausragenden Kulturlandschaften und die in diesen Landschaften (noch) lebenden und arbeitenden Menschen. Man würde aber auch den Naturtourismus überfordern, wollte man die Probleme einer „auslaufenden“ Region allein damit lösen. Es braucht dazu Strategien, die Menschen in mehreren Lebens- und Erwerbsbereichen berühren und integrieren können. Ich möchte daher ein bereits erprobtes Modell umreißen, das meiner Meinung nach einen günstigen Ausgangspunkt (!) für Überlegungen zur Entwicklung von schrumpfenden Regionen darstellt und in Österreich auf eine bereits 50-jährige Entwicklung zurückschaut: das Modell der Naturparke.

Miteinander von Mensch und Natur Naturparke sind zum überwiegenden Teil geschützte Landschaftsräume (meist Landschaftsschutzgebiete), die im Lauf von Jahrhunderten durch das Zusammenwirken von Mensch und Natur die heutige Gestalt bekommen haben. Sie repräsentieren besonders charakteristische und erhaltenswerte Kulturlandschaften (z. B. Weinberge, Almgebiete, Moor- und Teichlandschaften, Streuobst-Hügellandschaften) und ver-

pflichten sich dem bewussten Miteinander von Mensch und Natur. Die Landesregierungen stellen diese Regionen unter besonderen Schutz und zeichnen sie mit dem Prädikat „Naturpark“ aus. In Österreich gibt es mittlerweile 46 Naturparke, die jährlich von ca. 20 Millionen Menschen besucht werden.

Wo liegt die Chance? Die Bevölkerung arbeitet gemeinsam und kontinuierlich mit einem regional verankerten NaturparkManagement (Naturpark-Verein, Tourismusverband, Gemeinden, Fachleute) auf Basis der verbindlich festgelegten vier gleichrangigen Funktionssäulen Naturschutz, Bildung, Erholung und Regionalentwicklung. Naturparke setzen also nicht „voll auf den Tourismus“ und lassen dabei andere Erwerbsbereiche links liegen, sondern auf breit angelegte Aktivitäten, die vor allem bereits Vorhandenes unterstützen und weiterentwickeln sollen. Ein aktuelles Beispiel: In den sieben steirischen Naturparken entwickeln derzeit BiologInnen und MarketingexpertInnen mit 40 Hotels und Pensionen Ideen, wie die Natur und ihre Vielfalt im direkten Umfeld in das betriebliche Gästeangebot hereingeholt werden können (über Kulinarik, Dekoration, Produkte, Naturvermittlung, Unterhaltungsaktivitäten etc.). Damit verschiebt sich der betriebliche Fokus beispielsweise vom fast unfinanzierbaren „Wellnesswahn“ zum wesentlich nachhaltigeren Naturvermittlungsangebot,


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Biologe Alois Wilfling (OIKOS) erforscht gemeinsam mit Familie Eder, Betreiber des Viersternehotels Eder im Naturpark Almenland, die Natur rund ums Haus. Ergebnis dieser halbtägigen Begehung und zahlreicher Expertengespräche ist ein umfangreicher, maßgeschneiderter Ideenkatalog mit konkreten Beispielen, wie der Naturpark vor der Haustüre besser und auch ökonomisch wirksam genützt werden kann.

das die Sehnsucht der Gäste nach Natur, Genuss und Wertschätzung durchaus ebenbürtig stillt. Die touristische Infrastruktur ist in diesem Fall nicht eine sündhaft teure Badeanlage, sondern der sich immer wieder erneuernde, gesunde Lebensraum rund um den Betrieb. Dabei wird auch das Bewusstsein für Biodiversität gestärkt.

Gesunde Lebensräume für alle Naturparke betreiben Naturtourismus vor allem in Kombination mit Bildungsarbeit: Zeitgemäße Naturvermittlungsangebote mit ExpertInnen ersetzen immer mehr klassische Animationsprogramme und schaffen neue, regional wirksame Zukunftsperspektiven. Naturpark-Schulen bauen auf neue Formen der Umweltbildung und auf das Erfassen regionaler Bedürfnisse. Gemeinden arbeiten in Naturparken gemeinsam an regionalen Konzepten und vermeiden damit lokale Alleingänge. Basis aller Naturpark-Entwicklungen ist die Sorge für gesunde Lebensräume – für Pflanzen und Tiere, aber eben auch für Menschen. Die Naturparke fördern auch Menschen, die sich nicht darauf verlassen, dass ihnen adäquate Arbeitsplätze in der Region zur Verfügung gestellt werden, sondern sich in Eigeninitiative einen Naturpark-Arbeitsplatz schaffen − etwa im Rahmen von Geschäftsgründungen (Taxiunternehmungen, Produktionsbetriebe etc.), die natürlich auch Entwicklungszeit und Flexibilität erfordern.

Schützen durch Nützen Die Naturparke sehen die Menschen – Bevölkerung wie auch Gäste − im Zentrum eines integrierten dynamischen Regionalbewusstseins. Sie tragen Sorge für ihre gesunden Lebens- und Wirtschaftsräume. Die Landwirtschaft dient sowohl der Lebensmittelproduktion als auch dem Landschaftsschutz und dem Erhalt der Artenvielfalt. Streuobstwiesen gelten nicht nur als schwer zu bewirtschaftende Agrarflächen, sondern auch als Lebensraum von seltenen Tier- und Pflanzenarten bzw. Obstsorten. Steigende Kilopreise unterstützen diese Sicht. Schafe und Kühe bewahren die Almen vor Verwaldung und liefern hochwertige Rohstoffe für die Spitzengastronomie. Ähnliches gilt für die Tourismusbetriebe, die nicht nur vom Erholungswert der intakten Lebensräume und der Kulinarik, sondern auch vom breiten Angebot des „Naturschauspiels“ profitieren: Naturpark-Juwele, Themenwege, Naturerlebnisprogramme mit BiologInnen und geprüften Natur- und Landschaftsführerinnen/-führern, die als BotschafterInnen der großen Naturparkidee „Schützen durch Nützen“ agieren. Festzuhalten ist aber auch: Das Naturpark-Modell ist kein Selbstläufer und kein Allheilmittel. Es ist mit seinen Theorien so wirksam, wie es die Menschen in den Regionen in die Praxis umsetzen können. Es ist nicht neu, aber faszinierend zeitlos. Es ist ein Ausgangspunkt, der Zukunft in sich birgt und es verdient, weiter verfolgt zu werden. |||

Literatur • Alois Wilfling, Projektkonzept „Naturvermittlung für Naturpark-Partner: Wenn Vermieter & Gäste lustvoll ins Gras beißen …“ im Auftrag der Naturparke Steiermark, Mariahof, OIKOS − Institut für angewandte Ökologie & Grundlagenforschung, Gleisdorf 2011 • Lea Kletterer/Dominik Siegrist, Touristische Potenziale der Österreichischen Naturparke, Schriftenreihe des Instituts für Landschaft und Freiraum, HSR – Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil 2009, im Auftrag des Verbandes der Naturparke Österreichs (VNÖ) Weitere Informationen: www.naturparke-steiermark.at

Bernhard Stejskal, Naturparke Steiermark, Geschäftsführer, Projektentwickler


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Widersprüchlichkeiten zum Begriff Wildnis1

Rückzug des Menschen aus peripheren Regionen Verwilderung bedeutet Verlust von kulturellem Erbe, weckt aber auch Phantasien für „wilde“ Nutzungen, die sich aber nicht immer verwirklichen lassen. Andreas Muhar

Der größte Teil der Alpenregion ist nach wie vor von Wachstumsprozessen und einer Ausweitung der menschlichen Nutzungen charakterisiert, vor allem durch Siedlungsentwicklung, technische Infrastruktur und Tourismus. In einigen peripheren Teilbereichen hingegen ist eine Abnahme der Nutzungsintensität zu beobachten, bis hin zur Aufgabe von Siedlungsräumen. Ausweitung und Rückgang menschlicher Aktivitäten folgen unterschiedlichen Entwicklungspfaden: Die Kolonisierung einer vorher ungenutzten Landschaft erzeugt eine Abfolge von Nutzungsmustern, die sich stark von den Entwicklungspfaden beim Rückzug aus der Landschaft unterscheidet.

Wahrnehmung von Verlust und Schönheit des Verfalls

1 Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, gehalten auf der CIPRA-Jahresfachtagung „Die Alpen im Wandel – Periphere Regionen zwischen Brachland und Hoffnung“, 14.–16. Oktober 2010, Semmering.

Wenn heute irgendwo in den Alpen ein neues Bergwerk geplant wird, sind massive Proteste dagegen garantiert. Alte aufgegebene Bergwerke hingegen werden als Teil der lokalen kulturellen Identität angesehen und haben ein großes touristisches Verwertungspotenzial. Ähnlich verhält es sich mit der Landwirtschaft: Rodungen in unberührten Landschaften werden als Zerstörung wertvoller Wildnisflächen wahrgenommen; wenn aber existierende Landwirtschaftsflächen aufgegeben werden, so wird das auch wieder als Verlust betrachtet, diesmal von kulturellem Erbe, und kaum jemals als Gewinn von Wildnis. Wenn ehemalige Ackerbauterrassen unter dem aufkommenden Wald verschwinden, entsteht der Eindruck, der ganze Aufwand früherer Generationen wäre umsonst gewesen. Für viele Menschen ist der Begriff Heimat mit traditionellen Kulturlandschaften verbunden, weil ihre Vorfahren noch in der Landwirtschaft tätig waren. Auch die Pflanzen- und Tierarten, die sich

auf solchen Flächen eingestellt haben, werden als schützenswert betrachtet, selbst wenn sie eigentlich Zeichen einer früheren Übernutzung sind. Verstärkt wird der Eindruck des Verlusts dadurch, dass die aktuellen Entsiedlungstrends in einigen alpinen Gebieten oft als endgültig wahrgenommen werden, obwohl wir doch aus der Geschichte wissen, dass es gerade in der Alpenregion immer wieder eine große Dynamik in der Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung in beide Richtungen gegeben hat, ausgelöst durch die Veränderung der ökonomischen Relevanz einzelner Nutzungsmöglichkeiten wie Verkehr und Bergbau oder heute eben Energiewirtschaft und Tourismus. Frühe Phasen des Rückzugs des Menschen und damit des Verfalls menschlicher Strukturen können oftmals recht attraktiv sein: Es ist interessant zu beobachten, wie die Natur diese Bereiche zurückerobert, wie sich Bäume in den Mauerritzen einer alten Mühle ansiedeln, wie sich Vögel in alten Industriebauten einnisten, wie erste Sträucher auf einer ehemaligen Mähwiese aufkommen. Diese frühen Phasen der Verwilderung lassen sich allerdings schwer und nur mit einem großen Aufwand konservieren, der gerade in wirtschaftlich schwachen Regionen nicht zu leisten ist.

Wildnis – Phantasien und Realität Wildnis hat viele verschiedene Bedeutungsfacetten: Für die meisten BewohnerInnen städtischer Räume ist Wildnis einfach der Gegensatz zu ihrem stark regulierten Alltagsleben, also die Abwesenheit von Kontrolle und Einschränkungen, die Möglichkeit des unmittelbaren Kontakts zur Natur, verbunden aber auch mit einem höheren Maß an Risiko und Unsicherheit.


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Der Begriff Wildnis stimuliert viele Phantasien, die wir in unserem Alltag nicht realisieren können. Verstärkt werden sie durch die große Medienpräsenz dieses Themas, etwa in Naturdokumentationen im Fernsehen, und ganz besonders natürlich durch die Werbestrategien der Hersteller von Freizeitausrüstung und von Reiseveranstaltern. Die dadurch geschürten Erwartungen an die Wildnis können in Wirklichkeit kaum irgendwo erfüllt werden, vor allem auch nicht im Zusammenhang mit dem Rückzug des Menschen aus alpinen Regionen: Die Aufgabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen bedeutet ja nicht, dass diese jetzt für die Allgemeinheit frei zugänglich und für alle möglichen „wilden“ Aktivitäten wie etwa freies Campieren oder Grillen am Lagerfeuer nutzbar werden. Viele dieser Aktivitäten benötigen eine entsprechend gewartete Infrastruktur an Straßen und Wegen. Aufgabe von Landwirtschaft bedeutet nicht Aufgabe des Eigentums der Flächen, sondern oft, dass dann andere Nutzungsansprüche der BesitzerInnen einen höheren Stellenwert bekommen, beispielsweise die Jagd, was zusammen mit dem Ausdünnen der Infrastruktur letztendlich sogar zu stärkeren Einschränkungen der öffentlichen Nutzbarkeit führen kann. Nicht zuletzt ist auch der Naturschutz als begrenzender Faktor für die Wildnisnutzung zu nennen: Je „natürlicher“ eine Landschaft, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie unter eine strenge Form des Naturschutzes gestellt wird. In den meisten österreichischen Nationalparks gilt Wege-

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zwang, und es ist fast eine Ironie − wenngleich von den Argumenten des Naturschutzes her nachvollziehbar −, dass die Kernzone von Österreichs größtem, von der IUCN anerkannten Wildnisgebiet am Dürrenstein in Niederösterreich für BesucherInnen praktisch unzugänglich ist: In den offiziell ausgewiesenen Wildnisgebieten ist also das Erleben von Wildnis nicht erlaubt. Viele rechtliche Regelungen, vor allem hinsichtlich der Haftungsfragen bei Unfällen, erschweren die freie Wildniserfahrung in den meisten Ländern Mitteleuropas; hier ist noch viel Kreativität gefragt, um die wirklich vorhandene Nachfrage nach Räumen mit geringen Nutzungseinschränkungen befriedigen zu können.

Rückzug als aktiver Prozess Sollen wir Geld investieren, um etwas zu verkleinern? Das erscheint zunächst absurd. Disziplinen wie Raumplanung und Architektur beschäftigen sich ja fast immer mit dem Größerwerden. Nutzungsaufgaben und Schrumpfung hingegen werden eher als passive Prozesse betrachtet, die halt so passieren. Es ist eine Herausforderung sowohl für die einzelnen Akteurinnen und Akteure in den betroffenen Regionen als auch für die Gesellschaft als Ganzes, Konzepte für den Rückzug zu entwickeln, wenn keine Alternativen wünschenswert und realisierbar sind. Sinnvoll durchdacht, könnten sich dann aus scheinbar nutzlosen Rückzugsregionen durchaus auch attraktive Wildnisregionen entwickeln. |||

Andreas Muhar, Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung, Universität für Bodenkultur Wien


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Entvölkerung ländlicher Räume: Folgen und Chancen

Jede Veränderung bewirkt Neuerungen. Und mancher aus der Veränderung entstehende Nachteil mag einen Vorteil mit sich bringen – oder? Welche Konsequenzen hat die Entvölkerung ländlicher Räume für die Umwelt? Kann die Umwelt davon profitieren? Kann die Gesellschaft davon profitieren? Im Folgenden einige Überlegungen zu den Themenbereichen Wildnis, Mobilität und Multifunktionalität landwirtschaftlicher Flächen.

Perspektiven für die Wildnis Michael Zika, WWF-Naturschutzexperte

Europas Landschaften haben sich in den letzten fünfzig Jahren massiv verändert und werden sich auch weiterhin verändern. Neben einer immer umfassenderen Erschließung vieler Gebiete werden künftig auch Abwanderung und großflächige Landnutzungsaufgabe Österreichs Landschaften prägen. Die Probleme, die sich daraus für die sozialen Strukturen und für die Biodiversität ergeben, können auch als Chance für Mensch und Natur gesehen werden. Im dicht besiedelten Europa sind Wildnisgebiete, also große zusammenhängende Flächen, auf denen Natur Natur sein darf, rar geworden.

Noch vorhandene naturbelassene Gebiete könnten im Verbund mit gezielt stillgelegten und renaturierten Flächen die Schaffung großräumiger Wildniszonen ermöglichen, in denen natürliche Prozesse ungestört ablaufen können und sich die Natur frei entfalten kann. Wichtig ist, dass alle ursprünglichen Komponenten heimischer Ökosysteme zum Zug kommen: bei den Tieren etwa die großen Pflanzenfresser Wisent, Rothirsch, Elch, Wildpferd und Biber als unentbehrliche Landschaftsgestalter sowie die großen Beutegreifer Wolf, Bär und Luchs als deren natürliche Feinde. Im Zusammenwirken mit Windwürfen, Bränden, Hochwasserereignissen etc. könnten im Lauf der Zeit dynamische Mosaiklandschaften aus Wald und Offenland entstehen, die nicht

länger der pflegerischen Eingriffe des Menschen bedürfen. Ein Teil der heute kulturlandschaftsgebundenen Biodiversität könnte damit ebenso erhalten werden wie jene hochgradig gefährdeten Organismen, die auf völlige Eingriffsfreiheit angewiesen sind. Für die Anrainer derartiger Gebiete würden sich durch einen exklusiven Naturtourismus, der in Wildnisgebieten möglich ist, wirtschaftliche Perspektiven ergeben. Die Abgeltung bestehender Grundbesitz- und Nutzungsrechte könnte mithilfe umgelenkter Agrarsubventionen erfolgen. In ganz Europa nimmt die Sehnsucht nach unverfälschter, unbeeinflusster Natur zu. Wildnis ist eine der großen Tourismusoptionen und eine Chance für das älteste Naturerbe unseres Kontinents. |||


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Neue Formen des öffentlichen Verkehrs Anja Lang, VCÖ

Vor allem in dünn besiedelten Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang gerät der öffentliche Verkehr zunehmend in eine Existenzkrise. Ein Grundangebot an öffentlichem Verkehr ist jedoch gerade im ländlichen Raum ein unverzichtbarer Teil der Daseinsvorsorge. In den von Abwanderung betroffenen Gebieten ergeben sich zahlreiche Probleme, vor allem bei der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlicher Infrastruktur. Da mit der Bevölkerung auch das Angebot an Nahversorgung, medizinischer Versorgung und Kinderbetreuung zunehmend abwandert, wird die Erreichbarkeit dieser Einrichtungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln umso wichtiger − vor allem für Jugendliche, ältere Menschen, Pendelnde und Haushalte ohne (Zweit-)Auto. Natürlich spielt es eine Rolle, ob es nur ein minimales Angebot an öffentlichem Nahverkehr oder ein dichtes und attraktives öffentliches Netz gibt. Entspricht das Angebot an Öffis nicht den Anforderungen der Bevölkerung, werden viele Menschen eher den privaten Pkw nutzen. Doch je weniger die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt werden, desto kleiner wird das Angebot, und die Abhängigkeit vom Auto steigt. Die negativen Folgen mangelnder Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für Umwelt und Klimabilanz sind nicht zu unterschätzen: In dünn besiedelten ländlichen Gebieten werden bereits jetzt etwa zwei Drittel aller Wege mit dem Pkw zurückgelegt, und seit Jahren steigt die Zahl der Kilometer, die täglich mit dem eigenen Pkw gefahren werden (müssen), kontinuierlich an. Das klassische Angebot in Form

eines Linienverkehrs ist in dünn besiedelten Gegenden nur mit großem finanziellem Aufwand aufrechtzuerhalten. Deshalb werden seit einigen Jahren in ländlichen Regionen verschiedene alternative Formen des öffentlichen Verkehrs erprobt. AnrufSammel-Taxis oder Rufbusse sind zwar keine Öffis im eigentlichen Sinn, aber sie orientieren sich am Bedarf und an den individuellen Bedürfnissen der Bevölkerung. Multimodalität, die intelligente Kombination von verschiedenen Verkehrsmitteln, Carsharing und Mitfahrgelegenheiten werden in Zukunft im ländlichen Raum eine immer größere Rolle spielen. |||

Multifunktionalität durch Bewirtschaftung Felix Montecuccoli, Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich

In mehr als 2000 Jahren hat sich in Europa und in Österreich eine vom Menschen geprägte Kulturlandschaft entwickelt. Die Bewirtschaftung der Natur durch Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Fischerei und Imkerei ist Ergebnis und Ausdruck unserer hochstehenden Kultur. Politische, wirtschaftliche und klimatische Rahmenbedingungen haben im Lauf der Jahrhunderte zu starken Bevölkerungsschwankungen und somit auch zu Veränderungen in den vom Menschen geprägten Landschaften geführt. Obwohl heute für das menschliche Schaffen im ländlichen Raum moderne technische Mittel zur Verfügung stehen, muss der Mensch weiterhin die Natur beobachten und sie in die Planung, Beurteilung sowie Ausführung von Projekten mit einbeziehen. Die Ökosysteme einer Kulturlandschaft waren und sind auf den Menschen ausgerichtet und dürfen auch

in Zukunft den Menschen nicht ausschließen. Wildnis ist ein Konzept, das in einer kleinflächigen mitteleuropäischen Kulturlandschaft nicht funktionieren kann. Multifunktionalität auf ein und derselben Fläche ist hingegen der bereits seit Jahrhunderten erfolgreich umgesetzte Lösungsansatz für Mensch und Umwelt. Dieser Multifunktionalität kann durch eine nachhaltige Intensivierung der Bewirtschaftung auch unter den heutigen Herausforderungen Rechnung getragen werden. Dafür sind sichere Eigentumsverhältnisse, der Erhalt des Wertes der Familie und ein stabiler Staat Voraussetzung. Diese drei Dimensionen sichern nicht nur den generationenübergreifenden und damit nachhaltigen Umgang mit der Umwelt, sondern auch den Erhalt der ländlichen Regionen für Mensch und Natur. Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass in Staaten mit einem intakten ländlichen Raum auch eine gesunde Umwelt funktionieren kann. Die österreichische Land- und Forstwirtschaft ist durch das Zusammenwirken großer und kleiner Betriebe und durch seine Familienwirtschaft erfolgreich und anerkannt. Die Vielfalt der Natur, des Geländes und des Bodens spiegelt sich in der Vielfalt der Betriebstypen wider. Denn eine Kulturlandschaft kann nur durch die ansässige Bevölkerung nachhaltig und im Sinne des Menschen und der Natur bewirtschaftet werden. |||

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Grundbedingungen der Regionalentwicklung

Offenheit, Vernetzung und Innovation Die Perspektiven der Regionsentwicklung werden nicht allein durch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und das Angebot an Arbeitsplätzen bestimmt, sondern auch in einem hohen Maß von den sozialen Gegebenheiten beeinflusst. Wie im urbanen Raum haben sich in den letzten Jahrzehnten auch in ländlichen Regionen die Lebensmuster und -zusammenhänge ausdifferenziert und vervielfältigt. Thomas Dax

Bisher wurden in der Diskussion der Entwicklungschancen ländlicher Gebiete die Mängel in der Wirtschaftsstruktur, die ungünstigen Erreichbarkeitsverhältnisse und die fehlende „kritische Masse“ der lokalen Bevölkerung in den Vordergrund gestellt. Obwohl seit vielen Jahren eine grundlegende Veränderung der Politiken für die ländliche Entwicklung (vgl. New Rural Paradigm, OECD 2006) gefordert und beobachtet wird, werden ländliche Gebiete noch immer häufig als „rückständig“ und wirtschaftlich schwach (peripher), von „Landflucht“ und Überalterung bedroht charakterisiert. Um diese weit verbreiteten, teilweise jedoch überholten Bilder zu ersetzen, bedarf es aktueller Informationen und eines vertieften Verständnisses sozio-ökonomischer Veränderungen, die wesentlichen Einfluss auf die Entwicklungsperspektiven unterschiedlicher Regionen haben (Copus et al. 2011).

Lokale und globale Vernetzung Die Beobachtung der Verknüpfungen mit nahe gelegenen und entfernten Gebieten ergänzt eine allzu enge Fokussierung auf die jeweiligen Bedingungen in der Region. Ein zentraler Punkt in der jüngsten wissenschaftlichen Diskussion ist, räumliche Entwicklungen stärker in einem systemischen Zusammenspiel einer Reihe von Einflussgrößen zu verstehen. Die Bedeutung der Ausstattung einer Region und deren Erfolgschancen werden demnach nicht bloß von einer guten Kapitalausstattung und räumlichen Vernetzung

bestimmt, sondern auch ganz wesentlich von immateriellen, oft nicht durch quantitative Indikatoren fassbaren Kennzeichen (Suriñach/Moreno 2010). Zu diesen zählen die Entwicklung eines vielfältigen institutionellen Netzwerks, das Nutzen von Fähigkeiten, Vernetzungen auf unterschiedlichen Ebenen herzustellen, sowie das Etablieren wirksamer Bezüge zu Akteurinnen/Akteuren auf lokaler und regionsüberschreitender Ebene. Im Zentrum dieser Überlegungen steht also kurz gesagt das Vermögen, wesentliche Elemente von Regional Governance aktiv zu gestalten (Dax et al. 2011). Im Rahmen der Vorbereitung des Österreichischen Raumentwicklungskonzeptes 2011 wurde nach neuen thematischen Zugängen zur Initiierung ländlicher Initiativen gesucht. In der Diskussion neuer Handlungsmöglichkeiten für periphere ländliche Räume wurden vor allem die Themen Stärkung der sozialen Vielfalt, Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit und Gestaltung der Landschaftsvielfalt hervorgehoben (Dax et al. 2009). Häufig ist das Verständnis der sozialen Entwicklung einer Region entscheidend dafür, wie Vielfalt, Diversität der sozialen Gruppen und die Aufnahme neuer Anregungen von außen genutzt werden, um innovative Regionalentwicklungsprozesse in Gang zu setzen. Aus diesem Grund werden die Bedeutung der Entwicklung der sozialen Faktoren und die Gestaltung des „sozialen Kapitals“ als erforderliche Initialzündung für die Regionalentwicklung besonders betont.


Foto: Festival der Regionen 2011, Club Real: Karl Doppelkopf

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Soziale Spielräume entfalten Viele Studien weisen darauf hin, dass durch die Nutzung des kreativen Potenzials und durch den Input von Außenstehenden und Zugewanderten neue Impulse in der Regionalentwicklung gesetzt werden können. Die Überlegung, soziale Spielräume gezielt zu erweitern und in Zukunft besser zu nutzen, knüpft hier an. Die sozialen Spielräume bestimmen sich über das Ausmaß, in dem die unterschiedlichen Akteurinnen/Akteure und sozialen Gruppen ihre Kreativität, ihre Interessen und ihre Talente entfalten und in die Entwicklung ihrer Lebensumwelt einbringen können. Im Rahmen der zunehmenden Komplexität räumlicher Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse ist auf die Erhaltung eines offenen, netzwerkartigen Charakters des institutionellen Gefüges der lokalen Akteurinnen/Akteure Bedacht zu legen. Regionale Handlungsfähigkeit und -perspektiven lassen sich nur erweitern, wenn die lokale Gesellschaft und Wirtschaft offen genug sind, ein weites Spektrum persönlicher Handlungsmuster und Aktivitäten zuzulassen. Für eine erfolgreiche Politik auf lokaler und regionaler Ebene ist die intensive Befassung mit den Lebensbedingungen der Bevölkerung vor Ort in all ihrer Vielschichtigkeit eine wichtige Voraussetzung. Die konkrete Auseinandersetzung mit den Restriktionen für eine stärkere Beteiligung, die Umsetzung von Initiativen zur Erhöhung der Chancengleichheit und

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Literatur • A. Copus/M. Shucksmith/ T. Dax und D. Meredith, „Cohesion Policy for rural areas after 2013. A rationale derived from the EDORA project (European Development Opportunities in Rural Areas). ESPON 2013, Project 2013/1/2“, in: Studies in Agricultural Economics 113, S. 121−132, 2011. www.aki.gov.hu/publaki/menu/ k:Foly%C3%B3irat,+szaklap/ m:current/b:Studies+in+ Agricultural+Economics • T. Dax/E. Favry/L. Fidlschuster/ T. Oedl-Wieser/W. Pfefferkorn, Neue Handlungsmöglichkeiten für periphere ländliche Räume. Stärkung der sozialen Vielfalt, Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit, Gestaltung der Landschaftsvielfalt, ÖROK-Schriftenreihe Nr. 181, S. 112, Wien 2009. • T. Dax/P. Kahila/H. Talbot/ M. Shucksmith, Implications for Cohesion Policy in Rural Europe. Applied Research Project 2013/1/2 „European Development Opportunities for Rural Areas“ (EDORA), ESPON 2013 Programme, Working Paper 28, S. 32 ff., Wien 2010. www.nordregio.se/inc/ openitem.asp?id=115416&nid= 2112 • OECD, The New Rural Paradigm, Policies and Governance, OECD Rural Policy Reviews, Paris 2006. • J. Suriñach/S. Moreno (Hg.), Scientific Executive Summary, IAREG (Intangible Assets and Regional Economic Growth), SSH – 2007, Nr. 216813, Barcelona 2010. www.iareg.org/index.php? id=129

Aktivitäten zur Integration aller sozialen Gruppen stellen die Weichen für eine gesteigerte Lebensqualität. Oft stehen den Absichtserklärungen bezüglich der sozialen, gleichstellungs- und integrationspolitischen Zielsetzungen aber nur stark eingeschränkte Aktivitäten gegenüber. Beispielgebend für wichtige Zielsetzungen, die zwar allgemein anerkannt, aber in vielen ländlichen Gebieten noch nicht ausreichend angestrebt werden, sind die verstärkte Integration von Frauen ins Arbeitsleben, eine ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen, die Nutzung der Potenziale von Jugendlichen, „QuerdenkerInnen“ und MigrantInnen sowie eine kontinuierliche Forcierung experimenteller Pilotprojekte. Angesichts der bestehenden Umsetzungsmängel sind deutliche Akzente (personelle und finanzielle Ressourcen sowie eine strategische Ausrichtung) für eine Ausweitung sozialer Spielräume in ländlichen Regionen erforderlich. Erfolgen diese nicht, wird sich der Entleerungsprozess aus manchen ländlichen Gebieten, vor allem von gut qualifizierten jungen Frauen und Jugendlichen, fortsetzen. Die bloße Formulierung von Zielsetzungen bringt wenig. Nur über konkrete Modelle und Maßnahmen kann den Ansprüchen verschiedener Bevölkerungsgruppen und den sozialen Thomas Dax, Bundesanstalt für Bergbauernfragen Veränderungen wirksam entsprochen werden. |||


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Zweitwohnsitz − Fluch oder Segen? Zweitwohnsitz − da denkt man gleich an eine ländliche Wochenendidylle. An stressgeplagte Menschen, die Freitagabend die Stadt verlassen, um auf dem Land Erholung von der urbanen Hektik zu finden. Aber was macht der Zweitwohnsitz mit dem Land? Erich Dallhammer und Joanne Tordy

Mengenmäßig sind Zweitwohnsitze nicht unbedeutend: Die letzte Häuser- und Wohnungszählung 2001 ermittelte 542.900 Zweitwohnsitze. Das sind ca. 12 % des Wohnungsbestandes von Österreich.1 Das Wochenendhaus im Stadtumland ist nur eine Form des Zweitwohnsitzes. Die Standortwahl hängt maßgeblich von der Entfernung zur Stadt ab; Wochenendhäuser sind meist in einer Fahrstunde erreichbar und werden regelmäßig an Wochenenden aufgesucht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass 22% aller Nebenwohnsitze eine Autostunde von Wien entfernt liegen.2 Typischerweise handelt es sich um Ein- oder Zweifamilienhäuser, entweder neu errichtet oder oft mit viel Liebe zum Detail renoviert. Ein eigener Garten und Einzellage sind ebenfalls wichtige Standortfaktoren. Der Typus „Sommer- oder Wintersitz“ in attraktiven Tourismusgebieten dient längeren Urlaubsauf-

enthalten. Er kann ein Ein- oder Zweifamilienhaus sein, vielfach ist er ein Appartement in einer Anlage. Die jährliche Auslastung liegt bei maximal sieben Wochen 3 mit Schwerpunkt auf der Hauptsaison. Die Lageanforderungen an die Standortgemeinde sind die einer Tourismusdestination: attraktive Landschaft, Seenähe, Skigebiet etc. In einzelnen Gemeinden in Intensivtourismusregionen machen Zweitwohnsitze in Privatbesitz schon mehr als die Hälfte des Wohnungsbestandes aus (z.B. in den Gemeinden des Salzkammerguts Nussdorf und St. Gilgen).

Problematische Entwicklungen Durch Zweitwohnsitze kommt es zu folgenden problematischen Entwicklungen: f Gerade in Tourismusgebieten, aber auch in stadtnahen Gebieten sind Einheimische durch erhöhte Grundstückskosten betroffen.4 Die hohe Nach-


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f

frage nach Zweitwohnungen treibt die Bodenpreise hoch, was dazu führen kann, dass einheimische BauwerberInnen keinen leistbaren Baugrund finden und in schlechtere Lagen ausweichen müssen. Im Verhältnis zur geringen Zahl der Übernachtungen und der − im Vergleich zu gewerblichen Betten − geringen Auslastung verbrauchen Zweitwohnsitze in Tourismusgebieten entsprechend große Flächen. An Spitzentagen kommt es zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen, das gerade in inneralpinen Tourismusdestinationen oft zu Staubildung führt. Der große Flächenverbrauch der Freizeitwohnsitze sowie die bevorzugte Einzellage bergen die Gefahr der Zersiedelung, oftmals in landschaftlich attraktiven Lagen. Negative Belastungen des Landschaftsbildes sind die Folge. Da sich die Auslastung in den Tourismusgebieten auf die Hauptsaison konzentriert, muss die Gemeinde eine Ver- und Entsorgungsinfrastruktur (Wasser, Kanal) zur Verfügung stellen, die in der Nebensaison deutlich überdimensioniert ist. Die Folgekosten belasten das Gemeindebudget. Zudem kann eine Unterauslastung auch zu technischen Problemen führen (Verkeimung, Korrosion, Geruchsprobleme etc.).5

f

(gemeinsam mit Wochenpendlerinnen und -pendlern) zur Belebung der Orte beitragen – zumindest an den Wochenenden. Zudem tragen die „Zugereisten“ in manchen Gemeinden zur Erhaltung der bestehenden Gebäudesubstanz bei, da sie auch alte Objekte im Ortskern kaufen, während junge Einheimische vielfach den Neubau in Ortsrandlage vorziehen.

Dem Wildwuchs bewusst gegensteuern

Auf die Frage „Was macht der Zweitwohnsitz mit dem Land?“ kann man also „Hängt davon ab!“ antworten, f und zwar von der Menge an Zweitwohnsitzen, von der Gebäudeart und von der jeweiligen Gemeindepolitik. f Von der Menge an Zweitwohnsitzen: Expertinnen/Experten gehen davon aus, dass das Verhältnis 80 % gewerbliche Betten zu 20% private Zweitwohnsitze in Tourismusgebieten nicht überf schritten werden sollte.6 f Von dem baulichen Objekt: Werden als Zweitwohnsitz bestehende Gebäude genutzt, trägt dies zur Erhaltung und Belebung der vorhandenen Bausubstanz bei. Neubauten sollten zur Vermeidung von Zersiedelung – wie alle anderen Wohngebäude auch − möglichst in fußläufiger Entfernung zum Ortszentrum errichtet werden. f Von der Gemeindepolitik: Um ein Verdrängen Positive Auswirkungen der ortsansässigen Bauwilligen vom Bodenmarkt Der ländliche Raum kann aber von Zweitwohnsitzen durch die Nachfrage nach Zweitwohnsitzen auch profitieren: zu verringern, ist eine aktive Bodenpolitik der Gemeinde zur Bereitstellung von leistbaren f Da ist zuallererst die zusätzliche Wertschöpfung Baugrundstücken (z.B. durch Baulandsicherungsdurch den Verkauf von Immobilien zu nennen. verträge) zielführend. Manche Regionen und Gemeinden leben von diesen Verkäufen (z.B. der Oberengadin in der Die Schlussfolgerung ist damit ambivalent: ZweitSchweiz). Wie viel der Wertschöpfung in der wohnsitze bergen vor allem in Tourismusgebieten die Region bleibt, hängt stark von den EigentumsGefahr, die Ressourcen übermäßig zu beanspruchen verhältnissen und der Beauftragung regionaler sowie die Gemeindebudgets und die Natur zu belasFirmen mit der Errichtung von Neubauten ab. f Oftmals werden Apartmentsiedlungen in Kombiten. In peripheren ländlichen Gemeinden jedoch könnation mit einem Hotelbetrieb gebaut, um zum nen Zweitwohnsitze eine Chance sein, bestehende Beispiel die Modernisierung des Hotels zu Bausubstanz zu erhalten und das Ortsleben (zuminfinanzieren. Damit ist der Apartmentbau und dest an den Wochenenden) zu bereichern. ||| -verkauf ein Finanzierungsmodell für Tourismusbetriebe. f In den peripherer gelegenen Regionen im StadtErich Dallhammer und Joanne Tordy, Österreichisches Institut für Raumplanung (ÖIR) umland können Zweitwohnsitz-BewohnerInnen

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1 Statistik Austria, Gebäudeund Wohnungszählung 2001, Wien 2004. 2 Ebd. 3 Pietro Beritelli/Thomas Bieger/ Robert Weinert, Projekt HotBeds – Wissenschaftlicher Schlussbericht, St. Gallen 2005. 4 ÖROK, Österreichisches Raumordnungskonzept 1991, Wien 1992, S. 22. 5 Matthias Naumann, „Schrumpfende Regionen auf dem Trockenen? Auswirkungen des demographischen Wandels in Ostdeutschland auf die Wasserver- und Abwasserentsorgung“, in: Soziale Technik 2008/4, S. 3–6. 6 Peter Haimayer, „Wie viele Freizeitwohnsitze in Tourismusdestinationen?“, www.tp-blog.at/destinationen, Abfrage am 13.9.2012.


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Braingain statt Braindrain

ein Ausdruck dafür, für welche Personengruppen eine Region oder Gemeinde attraktiv sein möchte. Und: Sie tragen auch dazu bei, ob Menschen in der Region gehalten oder Beziehungen zu abgewanderten Personen aufrechterhalten werden können.

Das regionale Netzwerk erweitern Das Know-how von abgewanderten Personen in die Regionen holen oder Wie man das regionale Netzwerk erweitern und den Braindrain umkehren kann. Luis Fidlschuster

Das Angebot hochwertiger Arbeitsplätze in peripheren inneralpinen Gebieten und Grenzregionen ist ebenso beschränkt wie das Potenzial für Betriebsansiedlungen. Die Abwanderung höher qualifizierter Personen wird daher nur schwer zu stoppen sein. Der damit verbundene Braindrain stellt für ländliche Regionen einen viel beklagten Verlust dar. Man kann sich damit abfinden und sich als Opfer selektiver Abwanderung in sein Schicksal fügen. Regionen und Gemeinden könnten aber auch darüber nachdenken, wie sie das Wissen und die Erfahrungen abgewanderter Menschen für ihre Entwicklung nutzen könnten.

Soziale und kulturelle Bindungen

Luis Fidlschuster, Netzwerk Land, ÖAR-Regionalberatung

Personen, die – aus welchen Gründen auch immer – ihre Heimatgemeinde und -region verlassen, bleiben ihrer Herkunftsregion oft mental verbunden. Die Intensität der Identifikation mit einer Region hängt u.a. von den sozialen und kulturellen „Bindungsangeboten“ ab, die Gemeinden und Regionen für ihre Bewohnerinnen/Bewohner bereitstellen. Gemeint sind damit zum Beispiel Beteiligungsmöglichkeiten für unterschiedliche Personengruppen, attraktive Angebote für unterschiedliche Lebensphasen, kulturelle Vielfalt und Offenheit, die neben einem traditionellen Kulturangebot und Vereinsleben auch zeitgenössischen kulturellen Ausdrucksformen einen hohen Stellenwert einräumen. Wie immer die sozialen und kulturellen Bindungsangebote aussehen – sie sind immer auch

Hinter Braingain (Gain = Zuwachs) steht die Idee, das regionale Netzwerk um qualifizierte abgewanderte Personen zu erweitern. Das Ziel von Braingain ist nicht eine dauerhafte physische Rückkehr, sondern ein Rückfluss von Wissen und Erfahrungen bzw. eine anlassbezogene temporäre Rückkehr. Auf diese Weise können Regionen Zugriff zu hochwertigem Know-how in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen wie Wirtschaft, Architektur, Soziologie, Raumplanung, Innovation, Kultur und Mobilität bekommen. Diese Umkehr des Braindrain ist kein einfaches Unterfangen. Dazu braucht man eine langfristige Strategie, ein hohes Commitment der regionalen VerantwortungsträgerInnen, Kreativität und Ausdauer in Beziehungsaufbau und -pflege, intelligente Formate für die produktive Nutzung der Expertise abgewanderter Personen, professionelles Projektmanagement sowie ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen.

Benefits für Regionen Die gezielte Erweiterung des regionalen Netzwerks durch qualifizierte abgewanderte Personen kann für Regionen viele Benefits bringen: Ehemalige BewohnerInnen, die in verantwortungsvollen Positionen arbeiten, können relevante Trends in Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft leichter erkennen und besser einschätzen. Dies kann die Handlungs- und Entwicklungsperspektiven von Regionen erweitern. Das Know-how von qualifizierten Abgewanderten kann zur Entwicklung neuer Ideen oder zur innovativen Weiterentwicklung vorhandener Projektideen beitragen. Innovative Personen mit einem „urbaneren“ Lebensstil können mit ihren Vorstellungen von Lebensqualität und Entwicklung mentale Blockaden lösen und für mehr Offenheit in der regionalen Entwicklungsarbeit sorgen. Und: Abgewanderte qualifizierte Personen verfügen in der Regel auch über interessante Netzwerkbeziehungen, die für die Region erschlossen werden könnten. |||


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Um- und Rückbau als Programm am Beispiel Eisenerz

re-design Landleben Eisenerz ist massiv von Abwanderung und Überalterung betroffen. 2006 wurde daher im Auftrag der steirischen Landesregierung die Studie „re-design Eisenerz“ durchgeführt und daraus eine Strategie für einen zukunftsfähigen Veränderungsprozess entwickelt. Rainer Rosegger

Die Bergbaustadt Eisenerz, aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung lange als „Brotlaib der Steiermark“ bezeichnet, stellt für den Wandel des industrialisierten ländlichen Raumes ein außerordentliches Beispiel dar. In der Zeit des starken Wirtschaftswachstums der 1950er-Jahre waren am Erzberg rund 4000 Arbeiterinnen/Arbeiter beschäftigt, und in der Stadt lebten 13.000 Menschen. Mittlerweile wohnen in Eisenerz nur mehr 5000 Menschen und am Erzberg sind trotz hoher Produktionsleistung nur 200 Arbeiterinnen/ Arbeiter tätig. Zahlreiche Gebäude und Wohnungen stehen im Ort leer, und der Altersdurchschnitt der BewohnerInnen ist der höchste aller Gemeinden Österreichs. 2006 wurde eine Strategie für einen zukunftsfähigen Veränderungsprozess entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Abwanderung bereits zu einer Negativspirale geführt: Zunehmend mehr junge, mobile BewohnerInnen verlassen die Kleinstadt, was einen überproportionalen Rückgang der Geburtenraten und für junge Familien eine Verminderung der Lebensqualität mit sich bringt. Der Altersdurchschnitt der bleibenden BewohnerInnen steigt. Diese Entwicklung setzt sich in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Infrastruktur fort.

Strategie „Innenentwicklung“ Als wesentliche Strategie, diese negativ wirksame Spirale zu durchbrechen, wurden Maßnahmen zur „Innenentwicklung“ der Gemeinde initiiert. Die Ortsmitte sollte wieder als Lebenszentrum fungieren, um Nachhaltigkeit in allen drei relevanten Bereichen zu erzielen:

ökonomische Nachhaltigkeit durch höhere Belegungszahlen in konzentrierten Siedlungen; f ökologische Nachhaltigkeit durch eine Reduktion des Verkehrsaufkommens und durch thermische Gebäudesanierungen; f soziale Nachhaltigkeit durch neue Nachbarschaften und ein aktiveres gesellschaftliches Leben. Von 2007 bis 2012 wurden in den zentralen Gebieten 800 Wohnungen saniert. 120 Haushalte wurden bei ihrem Umzug von peripheren Lagen in die neuen Wohnungen im Zentrum begleitet. Durch diese Maßnahmen konnte zwar der Abwanderungstrend in Eisenerz nicht umgekehrt werden, aber es wurden wichtige Impulse für eine zukunftsfähige Entwicklung der Bergbaustadt gesetzt. Eisenerz ist sicher ein extremes Beispiel. Doch weite Teile des ländlichen Raums sind ebenfalls von Abwanderung betroffen. Insofern könnte die Strategie der „Innenentwicklung“ auch in diesen Regionen fruchtbar sein. Entgegen der weiteren Ausweitung von Flächen zur Einfamilienhausbebauung sollten die Ortszentren gestärkt werden und als „Motor“ für eine wirtschaftliche und soziale Transformation des ländlichen Raums fungieren. Gerade in Zeiten der Krise sind solche neuen Ansätze des Zusammenlebens im ländlichen Raum gefragt, um regionale Wirtschaftskreisläufe wieder zu beleben, Gemeinschaft neu zu gestalten und soziales Kapital als Ressource für unsere gesellschaftliche Entwicklung zu stärken. Der ländliche Raum wird jedenfalls für die Zukunft unserer Gesellschaft von besonderer Bedeutung sein. ||| f

Rainer Rosegger, Soziologe und gemeinsam mit Architekt Werner Nussmüller und Gunther Hasewend Initiator und Begleiter des Prozesses „re-design Eisenerz“. Die Umzüge wurden von Elisa Rosegger-Purkrabek begleitet und moderiert.


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Innovative Konzepte für Strukturwandel. Der demografische Wandel wird sich in den nächsten Jahren auch in unserer Region zunehmend bemerkbar machen. Das stellt die Gemeinden, die auf die sich ändernden Rahmenbedingungen reagieren müssen, vor wichtige Herausforderungen. Es braucht neue Konzepte, um beispielsweise Leerbeständen, abnehmenden Bevölkerungszahlen und den damit verbundenen Konsequenzen entgegenzuwirken. Der Arbeitsmarkt muss sich auf die steigende Zahl älterer Beschäftigter vorbereiten. Seitens der Regionalentwicklung wird man sich zunehmend die grundsätzliche Frage stellen müssen: Wie sollen Dörfer, Arbeitsplätze bzw. ländliche Strukturen der Zukunft aussehen? Hier muss man sich gemeinsam an die möglichen Ansätze herantasten – ich denke zum Beispiel an Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, neue Beschäftigungsmodelle für ältere Erwerbstätige und innovative Planungskonzepte, um Dörfer als Lebensmittelpunkte attraktiver und kosteneffizienter zu gestalten. Nicole Stern, Geschäftsführerin des Regionalmanagements Imst

Leistungsfähigkeit durch Partnerschaften. Viele kleine Gemeinden in peripheren ländlichen Regionen sind damit konfrontiert, dass junge Menschen mehr und mehr abwandern – die Bevölkerung wird immer älter. Der Erhalt und die Auslastung der infrastrukturellen Angebote werden zusehends schwieriger. Diese Entwicklung lässt sich nicht verhindern. Es gibt jedoch Möglichkeiten, Strategien so zu gestalten, dass die Zukunftsfähigkeit der

Gemeindeübergreifende Grundsicherung. Wir versuchen in unserer täglichen Arbeit, eine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stärkung des ländlichen Raumes zu erreichen und reagieren in unserer Projektentwicklung seit Jahren auf den demografischen Wandel. „Abwanderung, Schrumpfung, Singularisierung und Heterogenisierung“ (Gerlind Weber) sind die großen Herausforderungen, aber auch die Chancen der nächsten Zeit. Wichtig wird es sein, künftig gemeindeübergreifende infrastrukturelle Grundsicherungen, welche die Gesellschaft fordert, für alle Altersgruppen einzurichten. Damit schafft man einen Mehrwert für die jeweilige Region, die so wieder an Attraktivität für die BürgerInnen und die Unternehmen gewinnt, die in der Region verbleiben. Jede Region wird für sich gefordert sein, ihre Stärken noch besser zu nutzen, um vermehrt daraus „Kapital“ für alle zu schlagen. Christine Sitter, Regionalmanagerin, LAG Nockregion-Oberkärnten

Schicksal Landflucht? Sind ländliche Regionen Opfer des demografischen Wandels? Oder kann Abwanderung und Überalterung mit neuen Partnerschaften und innovativen Strategien entgegengewirkt werden?

Regionen gesichert und teilweise qualitativ sogar gestärkt wird. Ziel muss es immer sein, die Kernfunktionen zu gewährleisten und die Auswirkungen quantitativer Einschränkungen auszugleichen oder jedenfalls abzumildern. Diese Aufgabe überfordert zunehmend die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit kleinerer Gemeinden und macht Partnerschaften, die ein zentraler Punkt des LeaderKonzeptes sind, unverzichtbar. Maria Hell, Leader-Managerin, Region Mariazellerland − Mürztal

Negativspirale stoppen. Randlage, Grenznähe zu Ungarn und Slowenien, Konzentrationsprozesse in der Landwirtschaft, geringe Wirtschaftskraft sowie das Fehlen von Städten und Arbeitsplätzen haben die Entwicklung im Südburgenland über Jahrzehnte gebremst. Ein geringes Bildungsniveau und schlechte Verkehrsanbindungen taten das Übrige, viele Menschen gingen nach Graz und Wien. Unsere LAG setzt hier einen Kontrapunkt, um die Negativspirale zu stoppen: Sie unterstützt Initiativen zur Stärkung der regionalen Identität und des Glaubens an die Region und schafft aus dieser positiven Grundstimmung heraus neue Angebote, die Arbeit bringen. Aktive Ansiedlung und laufender Einsatz bei der Landespolitik für Verteilungsgerechtigkeit sind spezielle Ansatzpunkte, um der Abwanderung gegenzusteuern. Ursula Maringer, Geschäftsführerin, Region Südburgenland


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Entwicklungsdruck als Motor. Dass der demografische Wandel sowohl Herausforderung als auch Chance ist, darf als Allgemeinplatz betrachtet werden. Diese Perspektive gilt vor allem für die ländlichen Räume, die am stärksten davon betroffen sind und wo auch die Herausforderungen am größten sind. Wir werden damit leben müssen, dass bestimmte Regionen irgendwann entvölkert sein werden – Beispiele hierfür gibt es bereits. Aufgrund des Entwicklungsdrucks werden aber auch positive Entwicklungen zu erwarten sein: verstärkte Kooperationen im Infrastruktur- und Servicebereich, eine bessere Nutzung von regionalen oder lokalen Potenzialen sowie Innovationen im Kommunikations- und Mobilitätssektor. Man wird in Zukunft allerdings mehr Augenmerk darauf legen müssen, wo welche Entwicklung sinnvoll ist und welchen Wirkungsgrad sie erreicht. Marion Ebster, Leader-Managerin, Regionalentwicklung Vorarlberg

Mobilitätsangebote gegen Abwanderung. Im Jahr 2010 wurde mit der „Qualifizierungsbilanz Pongau“ ein umfassendes Werkzeug für die strategische Planung erstellt. Diese Bilanz zeigt unter anderem, dass das Abwanderungspotenzial junger Menschen, vor allem von Frauen, als sehr hoch einzuschätzen ist. Es wird an der Region und ihren Akteurinnen/Akteuren liegen, eine ausgewogene Balance zwischen regionaler Identität, Bildungsangeboten, Wirtschaftspolitik und Mobilitätsmöglichkeiten zu finden. Vor allem das Thema „Mobilität“ wird in Zukunft ein wesentlicher Standort- und Wirtschaftsfaktor sein. Konzepte müssen jedenfalls konkrete Maßnahmen zur Optimierung der Erreichbarkeit der Arbeits- und Ausbildungsstätten sowie der Wohnorte beinhalten. Der Erfolg von Strategien wird vor allem davon abhängen, in welchem Ausmaß die Bevölkerung einen einfachen Zugang zu Mobilitätsangeboten haben wird. Stephan Maurer, Regionalmanager, Region Pongau

Demografie-Check für Leader-Regionen. Aufgrund der prognostizierten demografischen Entwicklungen (altersmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung, Wanderungstendenzen, Arbeitskräfteangebot, Auslastung von Infrastrukturen etc.) werden in den nächsten Jahrzehnten neue Herausforderungen für die ländlichen Regionen und ihr Wirtschafts-, Versorgungs- und Freizeitangebot entstehen. Zum Teil sind es seit Jahren bekannte und daher eng mit bestehenden Leader-Strategien verknüpfte Fragestellungen aus

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der Regionalentwicklung. Die Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich ecoplus bietet daher die Förderschiene „Demografie-Check für Leader-Regionen“ an. Gemeinsam mit externen Fachleuten können interessierte LAGs aus Niederösterreich einen mehrmonatigen Prozess starten und fünf Arbeitspakete umsetzen: Basisaufbereitung und Datenanalyse, Branchen-Check Wirtschaft/Tourismus, abrundende Analyse sonstiger Themen, Schlussfolgerungen und Maßnahmenplanung, Kommunikation/Vernetzung/ Best Practice. Harald Schwaiger, ecoplus

Einbindung der Generation 65+. Die Leader-Region Bucklige Welt – Wechselland liegt an der Grenze zwischen schrumpfendem und wachsendem Österreich. Die Gemeinden im Norden der Region haben mit der stetigen Zunahme der Bevölkerung eine andere Entwicklung als die im Süden. Beiden gemeinsam ist aber, dass der Anteil der Menschen über 65 Jahre steigt und der Anteil der Jugendlichen sinkt. Die Region hat diese Herausforderung schon vor einiger Zeit erkannt und mit dem Bevölkerungsexperten Univ.-Prof. Dr. Rainer Münz einen Prozess zur Bewusstseinsbildung innerhalb der Region gestartet. Im Rahmen dieses Projekts wurden in allen 32 Gemeinden Workshops durchgeführt. Wichtig ist es, den demografischen Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen. Die Generation 65+, die noch viele aktive Jahre vor sich hat, in das Gemeinschaftsleben einzubinden kann für die Entwicklung der Region viele positive Effekte bringen. Friedrich Trimmel, Obmann der Leader-Region Bucklige Welt − Wechselland


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Bäuerinnen und Bauern braucht das Land Die Integration der Land- und Forstwirtschaft in die arbeitsteilige Volks- und Weltwirtschaft ist bis heute mit einem umfassenden, alle Lebensbereiche der bäuerlichen Familien beeinflussenden Strukturwandel verbunden. Die Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft und die Aufgabe der Betriebe wurden in den Sechzigerjahren, als die Industrialisierung der Wirtschaft immer stärker einsetzte, von den Ökonomen als Land- und Höhenflucht definiert. Strukturelle Anpassungen und Konzentrationstendenzen im Produktions- und Vermarktungsbereich an die sich verschärfenden Wettbewerbsbedingungen und wegen des zunehmenden Welthandels mit Gütern und Rohstoffen sind heute Realität. Als der Bauernbund 1970 erstmals mit seinem Programm „Fortschritt durch Einigkeit“ an die Öffentlichkeit trat und die Situation im ländlichen Raum analysierte, gab es noch 368.000 bäuerliche Betriebe. Ein Sechstel der Erwerbstätigen war in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Dreizehn Jahre später publizierte Josef Riegler, damals Direktor des Österreichischen Bauernbundes und später als Landwirtschaftsminister Wegbereiter der ökosozialen Marktwirtschaft, das Programm „Lebenschancen im ländlichen Raum“. Die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft hatte sich bis dahin halbiert, und die bäuerlichen Betriebe wurden immer weniger. Seit dem EU-Beitritt 1995 stellten jährlich fast 4000 Betriebe ihre Bewirtschaftung ein. Die neuen Er-

gebnisse der Agrarstrukturerhebung 2010 weisen nur mehr 173.317 Betriebe aus − eine Reduktion von mehr als 20% seit 1999. Der Trend zu größeren Höfen setzt sich fort. Im Durchschnitt betrug die land- und forstwirtschaftlich genutzte Fläche 2010 rund 18,8 Hektar und hat sich seit 1951 verdoppelt. Die österreichische Land- und Forstwirtschaft ist trotzdem noch überwiegend und im internationalen Vergleich von kleineren Betriebseinheiten geprägt. Mehr als 56 % bewirtschaften eine Kulturfläche von weniger als 20 Hektar, lediglich etwa 6500 Betriebe (4,2 %) sind größer als 100 Hektar.

Umbruch im ländlichen Raum Die bäuerlichen Familien mit ihren Betrieben sind heute eine Minderheit im ländlichen Raum, der von einer permanenten Flucht in die Stadt bedroht ist. Bevölkerungsprognosen der Statistik Austria ist zu entnehmen, dass in zwei Jahrzehnten nur noch ein Drittel der Menschen in ländlichen Gebieten wohnen könnten, zwei Drittel in den Städten. Schon jetzt sind 45% der Menschen in einer der 74 Städte mit 10.000 oder mehr Einwohnerinnen/Einwohnern zu Hause. Alois Brandstetter, Juwel der heimischen Literatur, beklagt in seinem amüsant geschriebenen neuen Roman „Zur Entlastung der Briefträger“ die Schwindsucht auf dem Lande. Das Bauern-, Greißler- und Wirtshaussterben, das Verschwinden des Kleingewerbes, die Schließung von Postämtern, Schulen und


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Agrarpolitik ist Lebensgrundlagenpolitik. Ernährung, Kulturlandschaft, nachwachsende Rohstoffe, Schutz des Bodens, Reinhaltung des Wassers – Bäuerinnen und Bauern schaffen die Basis für Gesellschaft und Wirtschaft. Von der Landwirtschaft zur Lebens- und Umweltwirtschaft heißt die Vision 2020. Gerhard Poschacher

Pfarren sowie die Einstellung von Nebenbahnen sind für die Bevölkerung vieler Gemeinden ein großes Problem. In der Tat: Fehlende Arbeitsplätze und zu geringe Bildungschancen leiteten die Flucht in die Stadt und vor allem die Abwanderung junger Menschen aus den ländlichen Regionen und kleineren Gemeinden ein. Trotzdem ist einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts in Wien aus dem Jahre 2006 zu entnehmen, dass der ländliche Raum in Österreich im internationalen Vergleich mit 35 % der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) immer noch ein hohes Gewicht hat. Das Programm für die ländliche Entwicklung ist zusammen mit der EU-Regionalförderung nicht nur für die Land- und Forstwirtschaft von Bedeutung. 2011 wurden für die Maßnahmengruppen Umwelt und Landwirtschaft, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Verbesserung der Lebensqualität 1147 Millionen Euro bereitgestellt. Für die neue Förderperiode von 2014 bis 2020 ist auch in Österreich das „Regionalmodell“ umzusetzen, das zu einer anderen Verteilung der Fördermittel zwischen Produktionsgebieten und Betrieben führen wird. Das neue System soll ausgewogen und zweistufig sein: Acker- und Grünlandflächen werden gleichgestellt, für extensive Produktionsstandorte und Almen sind unterschiedliche Förderzahlungen vorgesehen. Schwierige Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien und Brüssel sind zu erwarten, weil der EU-Haushalt noch nicht beschlossen ist und

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deshalb auch die Finanzmittel für die Agrarpolitik 2014−2020 noch nicht bekannt sind.

Vier Visionen Wenn das 1997 vereinbarte „Europäische Agrarmodell“ (ökologisch, wettbewerbsfähig, sozial) als Leitbild für die nächsten Jahre Bestand haben soll, gilt es, mit einem neuen Fördermodell und Rahmenbedingungen für die bäuerlichen Betriebe vier Visionen zu verfolgen. f Land- und Energiewirt/-in: Zur Verminderung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern soll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Produktion von Nahrungsgütern und Rohstoffen angestrebt werden. f Lebenswirt/-in: Bäuerinnen und Bauern werden eine immer größere Verantwortung für die Umwelt (Artenvielfalt, Boden, Wasser, Wald) zu tragen haben und müssen sich daher auf Transferzahlungen für knappe öffentliche Güter verlassen können. f Schöpfungswirt/-in: Bäuerinnen und Bauern werden die zukünftige Drehscheibe für die ökologische Erneuerung der Wirtschaft und die Festigung sozialer Strukturen im ländlichen Raum sein. Sie tragen wesentlich zum Sozialkapital (Freiwillige, Vereine, Kultur, Sport) der Gesellschaft bei. f Umwelt- und Wertewirt/-in: Bäuerinnen und Bauern bieten auch Dienstleistungen an und entsorgen Abfälle der Wohlstandsgesellschaft (z.B. Klärschlamm, Kompost); darüber hinaus sind sie unverzichtbare Landschaftserhalter. Die Bauernschaft und die VerbraucherInnen sind aufeinander angewiesen. Ökologie muss sich aber rechnen. Das geltende System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) ist zu einer Ökologischen Gesamtrechnung weiterzuentwickeln, wobei Subventionen für die Land- und Forstwirtschaft als Leistungsentgelte zu verbuchen sind. Die neue Einkommensformel für 2014 bis 2020 sollte deshalb Produktionsfunktion + Umweltfunktion = Leistungsentgelt lauten. Die Produktionsfunktion entspricht den Markterlösen (Menge mal Preis), die Umwelterlöse sind die öffentlichen Transferzahlungen für die von der Gesellschaft erwarteten Umweltleistungen. Fazit: Gerhard Poschacher, Publizist und Politikberater Bäuerinnen und Bauern braucht das Land. |||


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LE 07−13 Ein Rezept gegen Landflucht? Projekte und Aktivitä- Im Österreichischen Programm für die Entwicklung ten des ländlichen des ländlichen Raums 2007−2013 (LE 07−13) werden Entwicklungsprofolgende übergeordnete Ziele angeführt: f die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gramms haben der Land- und Forstwirtschaft, ihren Schwerpunkt in ländlichen f die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourund oft von Abwancen und der Erhalt der Kulturlandschaft, derung betroffenen f der Erhalt und die Entwicklung attraktiver Regionen. und vitaler ländlicher Regionen. Klaus Wagner

Von 2007 bis 2011 wurden insgesamt 5,45 Mrd. Euro für Maßnahmen des ländlichen Entwicklungsprogramms ausbezahlt, davon profitierten rund 140.000 land- und forstwirtschaftliche Betriebe und 12.000 andere Förderwerber (Lebensministerium, „Grüner Bericht 2012“, S. 113). Das Programm umfasst ein vielfältiges Bündel von Maßnahmen, die aus Stärken und Schwächen der ländlichen Regionen abgeleitet wurden. Im Rahmen der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit werden beispielsweise Bildungsmaßnahmen, die Niederlassung von Junglandwirten und die Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe und Produktionsweisen gefördert. Die Verbesserung der Umwelt erfolgt durch 29 verschiedene Maßnahmen des ÖPUL (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft) und durch zusätzliche Forstmaßnahmen; die Bewirtschaftung benachteiligter Gebiete soll durch die Ausgleichszulage erhalten bleiben. Eine Verbesserung der Lebensqualität sowie eine breitere

Prozentanteile der Fördermittel für die ländliche Entwicklung 2007−2011 Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft (14,9%) Umwelt, Land (76,9%) Lebensqualität, Diversifizierung (4,2%) Leader (4,0%)

wirtschaftliche Basis im ländlichen Raum sollen mit Maßnahmen der Diversifizierung hin zu nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten, mit Förderungen für den Fremdenverkehr, Kleinstunternehmen, Verkehrserschließung und Dorferneuerung sowie Bemühungen um die Erhaltung des ländlichen Erbes erreicht werden, auch mit spezifischen Leader-Ansätzen.

Auch positive Entwicklungen Die Evaluierung des ländlichen Entwicklungsprogramms (Lebensministerium, „Grüner Bericht 2011“, S. 131 ff.) zeigt eine deutliche Steigerung der Bruttowertschöpfung in der Landwirtschaft und eine rund doppelt so hohe Steigerung in den übrigen Wirtschaftsbereichen (insgesamt 1,26 Mrd. Euro). Rund 26.000 Beschäftigungsverhältnisse wurden geschaffen, davon 5900 in der Landwirtschaft; auch eine höhere Entlohnung in der Landwirtschaft wurde erreicht. Die Umweltleistungen verringern zwar den Zuwachs der Bruttowertschöpfung, ihr Beitrag zur Verbesserung der Biodiversität, der Wasserqualität, des Bodens und des Klimaschutzes sind jedoch für eine nachhaltige Entwicklung sowie für die Erhaltung der Lebensqualität und Attraktivität der ländlichen Räume essenziell. Die jüngsten Darstellungen der Bevölkerungsveränderungen der Statistik Austria (Wanderungsstatistik 2011) zeigen generell einen weiteren Urbanisierungs- bzw. Suburbanisierungstrend in den Zentralräumen mit Wanderungsgewinnen in Landeshauptstadtregionen und Bezirkszentren mit den umliegenden Gemeinden. Gegenüber 2002 hat sich die Wanderungsbilanz in rund der Hälfte der Gemeinden Österreichs verbessert; davon ist in ca. 500 großteils ländlichen Gemeinden eine Trendumkehr zum Positiven zu verzeichnen. Durch die initiierten Aktivitäten und Belebungen in Abwanderungsräumen im Rahmen der ländlichen Entwicklung wurde sicherlich ein Beitrag geleistet, die Landflucht zu bremsen. ||| Klaus Wagner, Bundesanstalt für Agrarwirtschaft


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Der Agrarstrukturwandel in den Alpen ist nicht nur negativ Knapp ein Drittel der Flächen in den europäischen Alpen wird durch die Landwirtschaft genutzt. Trotz stetig fortschreitendem Strukturwandel leistet die Berglandwirtschaft neben der Produktion von Nahrungsmitteln durch die Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden einen maßgeblichen Beitrag zur Erhaltung einer vielfältigen Kulturlandschaft. Robert Huber und Christian Flury

Trotz einer weitreichenden Modernisierung ist die Berglandwirtschaft dem wirtschaftlichen Konkurrenzdruck der Gunstlagen aufgrund ihrer klimatischen, topografischen und strukturellen Nachteile nicht gewachsen. Die im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren ungenügende Einkommenssituation führt dazu, dass viele Betriebe auf nichtlandwirtschaftliche Einkommensquellen angewiesen sind oder aufgegeben werden. Historisch betrachtet ist die Landwirtschaft in den Alpen seit Langem einem Wandel unterworfen. Nach 1850 beschleunigten die enormen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen die Strukturanpassung. Bis Ende der 1970er-Jahre sank der Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Bevölkerung in den meisten Gebieten des Alpenraums von 70% zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf weniger als 10 %. Seitdem verlief der Strukturwandel nicht in allen Regionen des Alpenraums gleich schnell. In weiten Teilen des italienischen, französischen und slowenischen Alpenraums konnten seit den 1980er-Jahren hohe Aufgaberaten beobachtet werden. Im deutschsprachigen Raum dagegen sank die Zahl der Berglandwirtschaftsbetriebe langsamer. Neben den agrarpolitischen Fördermaßnahmen hängt die Geschwindigkeit des Strukturwandels und der Abwanderung wesentlich von der gesamtwirtschaftli-

chen Entwicklung ab. In Gebieten, in denen potenzielle HofnachfolgerInnen außerhalb der Landwirtschaft ein (Teil-)Auskommen finden, ist der Druck zur Abwanderung weniger hoch. Ohne alternative Beschäftigungsmöglichkeiten wandern die gut ausgebildeten Jungen jedoch nicht nur aus der Landwirtschaft, sondern auch aus den (peripheren) ländlichen Regionen ab. Der Einfluss der unterschiedlichen Strukturentwicklung zeigt sich auch bei den landwirtschaftlich genutzten Flächen in den Alpen. Während in Regionen mit ungünstigen Standortvoraussetzungen bis zu zwei Drittel der ursprünglich genutzten Flächen aufgegeben wurden, hat man in produktiven Gebieten nur sehr wenige Flächen aus der Bewirtschaftung genommen. In diesen Gebieten konnten die verbleibenden Betriebe mit der gleichen Arbeitskraft mehr Flächen bewirtschaften. Dies führte zu einer arbeitsextensiveren Nutzung, die sich zunehmend auf die maschinell befahrbaren, gut erreichbaren Flächen konzentriert. Die Auswirkungen des Agrarstrukturwandels sind nicht zwangsläufig negativ. In Gebieten mit einer positiven regionalwirtschaftlichen Perspektive und angemessener öffentlicher Unterstützung können die verbleibenden Landwirtinnen und -wirte ausreichende Einkommen erzielen und auch in Zukunft die Pflege der Kulturlandschaft zu einem wesentlichen Teil sicherstellen. |||

Literatur • T. P. Streifeneder, Die Agrarstrukturen in den Alpen und ihre Entwicklung unter Berücksichtigung ihrer Bestimmungsgründe. Eine alpenweite Untersuchung anhand von Gemeindedaten, Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München, 2009. • C. Flury/G. Giuliani/S. Buchli, „Regionalwirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft“, in: AGRARForschung 14 (11–12), S. 560–565, 2007. • S. Mann, „Bestimmungsgründe des landwirtschaftlichen Strukturwandels“, in: AGRARForschung 10 (1), S. 32–36, 2003. • E. Tasser/M. Schermer/G. Siegl/U. Tappeiner, Wir Landschaftmacher. Vom Sein und Werden der Kulturlandschaft in Nord-, Ost- und Südtirol, Verlagsanstalt Athesia, Bozen 2012. • C. Flury/R. Huber/E. Tasser, „Future of mountain agriculture in the Alps“, in: S. Mann (Hg.), The Future of Mountain Agriculture, in Vorbereitung.

Robert Huber, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf Schweiz Christian Flury, Forschungsanstalt Agroscope ReckenholzTänikon ART, Ettenhausen Schweiz


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Erwerbskombination als Überlebensstrategie „Wer das Ziel kennt, kann entscheiden“, sagte schon Konfuzius. Um mit dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb auch in Zukunft etwas dazuverdienen zu können, sind bei der Familie Berger in Mittersill eine Reihe von Veränderungen im Gange. Christine Mooslechner

Schon des Längeren planen Thomas (38) und Cornelia Berger (37), ihren landwirtschaftlichen Betrieb neu zu strukturieren. Vor allem die tägliche Arbeitsbelastung sowie der Zeitaufwand sollen minimiert werden. Durch die Berufstätigkeit von Cornelia als Ordinationsassistentin und von Thomas Berger als Montagetischler ist die Weiterführung der Milchwirtschaft am Hof unrealistisch und laut Kosten-Nutzen-Rechnung auch nicht sinnvoll. Die vier Kinder im Alter von 8, 15, 16 und 18 Jahren befinden sich bereits in schulischer bzw. beruflicher Ausbildung.

Die Familie Berger will zwar keinen Ausstieg aus der Nebenerwerbslandwirtschaft, es sind jedoch betriebliche Veränderungen notwendig, um die Anstrengungen nach „Feierabend“ in einem erträglichen Rahmen zu halten. „Meine Arbeit am Hof beginnt, wenn meine Berufskollegen ihren Hobbys nachgehen. Wir Nebenerwerbslandwirte sind Künstler in der Nutzung unserer Ressourcen“, so Thomas Berger. Die Geschichte zeigt, dass die Einkommenskombination in der Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten schon immer den Weg zur Existenzsicherung


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gepflastert hat − von der Vermietung von Fremdenzimmern bis hin zu Fiakerdiensten und Forstarbeiten. Diese Tätigkeiten ermöglichten es, ein Familieneinkommen zu erwirtschaften.

Mit viel Idealismus und Kreativität „Teilzeitbäuerinnen und -bauern“ darf es nicht an Idealismus, Kreativität und Innovation fehlen. So hat sich der schön gelegene Betrieb der Bergers am Sonnberg auf die Haltung von Rindern für die Produktion von Biorindfleisch spezialisiert. Die Stammkundschaft schwärmt von der „Qualität, die man schmeckt“. Nicht zuletzt ist die langjährige biologische Wirtschaftsweise (seit 1986) ein Qualitätsmerkmal geworden. „Nachhaltiges, ganzheitliches Denken im Einklang mit der Natur und der Umwelt ist uns ein großes Anliegen. 2008 erhielten wir von BIO AUSTRIA die Auszeichnung ,Bio-Pionier‘“, erzählt Thomas Berger stolz. In ein Schlachthaus, das den EU-Richtlinien entspricht, wurde bereits vor zehn Jahren investiert. Thomas Berger ist auch ein begabter Fleischverarbeiter. Es bietet sich daher an, den Fleischvermarktungsweg weiterzugehen. Zugekauft werden vorrangig weibliche Rinder mit neun Monaten. Weibliche deshalb, weil die Alpung unkomplizierter ist und das zarte Fleisch geschätzt wird. Thomas Berger schlachtet die Kalbinnen mit ca. 2,5 Jahren (Stiere mit 18 Monaten). Das Biorindfleisch wird in 5- und 10-kgPaketen verkauft. Zurzeit wird pro Monat ein Rind ab Hof vermarktet; Ziel ist es, künftig zwei Tiere pro Monat abzusetzen. „Wir möchten unseren Kindern eine positive Haltung zur Landwirtschaft vorleben. Die landwirtschaftliche Ausbildung ist der Motor“, meint Thomas Berger. „Die Jugend muss in der Landwirtschaft auch Lebensqualität und Einkommen sehen, sonst wird der ländliche Raum bald überaltert sein.“ |||

„Wir befinden uns gerade in einer betrieblichen Umstellungsphase, die letzte Milchkuh wird demnächst den Hof verlassen. Wir sehen für unseren Betrieb in der Rindfleischproduktion eine Chance: Wir können den Aufwand in der Produktion niedrig halten, und gegenüber der Milchviehhaltung senken wir die laufenden Kosten, die das Milchgeld so und so fressen würde. Ebenso wollen wir die Arbeit vereinfachen, Zeit einsparen und unseren KundInnen hochwertige Fleischprodukte bieten.“ Thomas Berger

Cornelia und Thomas Berger Oberfilzbach, Weißenstein 5, 5730 Mittersill Tel.: 0664/116 13 43 c.berger@sbg.at Landwirtschaftlicher Betrieb 8 ha mehrmähdige Wiesen, 2 ha Hutweiden, 2 ha Wald, 25 a Dinkel-, Weizen- und Kartoffelanbau; 10 Stiere, 5 Kalbinnen, 1 Milchkuh, Zukauf von 12 Jungrindern im Herbst 2012; BIO-AUSTRIABetrieb, Heuwirtschaft, EU-Schlachtraum,

Christine Mooslechner, Der Salzburger Bauer

Lohnschlachtung

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Landflucht

Die Zukunft des ländlichen Raums? Landflucht hat vielfältige Gründe. Ihre Folgen sind in vielen Bereichen des Lebens zu spüren. Wie in ländlichen Regionen mit dem Thema Abwanderung umgegangen wird und welche Gegenmaßnahmen nötig wären, zeigen die folgenden Statements.

Politisch gestalten statt flüchten

Maria Burgstaller, AK Wien, Abteilung Wirtschaftspolitik „Eine Flucht ist das ungeordnete, teilweise panische Zurückweichen vor einem Feind.“ So wird der Begriff „Flucht“ in der Wikipedia definiert. Der „Feind“ bei der Landflucht ist meist das Fehlen von sozialen Dienstleistungen und Infrastruktur. Spätestens nach der Ausbildung stellt sich für einen jungen Menschen die Frage, ob er bleiben kann, wenn er bleiben will. Wo ist der nächste adäquate Arbeitsplatz? Was tun, wenn Nachwuchs kommt und kein Kindergartenplatz da ist? Wie zum Arbeitsplatz kommen, wenn es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt? Wie den Alltag bewältigen, wenn alles zusperrt und nichts Neues entsteht? Wie altern und gepflegt werden, wenn die entsprechenden Dienstleistungen zu weit weg sind? Ländliche Idylle allein bietet keine ausreichende Lebensqualität. Soziale Dienstleistungen und Infrastrukturprojekte können über

den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gefördert werden. Im Rahmen des österreichischen Programms für die Entwicklung des ländlichen Raums gäbe es Möglichkeiten, das Landleben attraktiver zu gestalten. Das Land wird − so scheint es − vorwiegend als Agrarproduktionsfläche gesehen. Die Aktivitäten des ELER etwa sind mehrheitlich dem Agrarsektor zugänglich. Die Chancen für den gesamten ländlichen Raum werden nur sehr stiefväterlich behandelt. In der Programmperiode 2014 −2020 wäre es höchst an der Zeit, mit Förderprogrammen soziale Dienstleistungen und Mobilitätskonzepte zu unterstützen. Landflucht ist kein individuelles Problem, sondern eine Gestaltungsaufgabe für die Politik.

Dorf ohne Leben?

Magnus Gratl, Geschäftsführer von Forum Land Tirol Forum Land Tirol hat im Frühjahr 2012 in 25 Tiroler Regionen zu Diskus-

sionen geladen. Die Menschen in den ländlichen Räumen sollten erzählen, was sie bewegt, wo sie der Schuh drückt, wo sie ihre Region in der Zukunft sehen. Das Ergebnis der Diskussionen ist ebenso bunt wie das Land selbst. Zwischen einzelnen Talschaften, die bereits jetzt unter einem Bevölkerungsrückgang leiden und der prosperierenden InntalFurche, wo Gemeinden in wenigen Jahren um mehr als 200 Prozent gewachsen sind, liegen oft wenige Kilometer. Die Gründe für den Zuwachs und die Abwanderung sind vielfältig; manchmal sind sie nicht zu beeinflussen, oft aber die große politische Herausforderung für die Zukunft dieser Gebiete. Denn Probleme haben beide: Wo die Dörfer enorm wachsen, ist es der Flächenverbrauch oder etwa auch die fehlende Integration der Zugezogenen, von der ausufernden Infrastruktur auf Kosten der Allgemeinheit ganz zu schweigen. Dem gegenüber stehen die ohnehin schon mit Nachteilen kämpfenden Kleingemeinden am Ende der Täler, wo jede Einwohnerin/jeder Einwohner für die maroden Gemeindekassen bares Geld bedeutet, wo es wenige Arbeitsplätze gibt, Bauen teuer ist und der Zwang zum Zweitauto besteht.


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Ich behaupte, dass die Landflucht eine staatspolitische Aufgabe ist. Drei große Herausforderungen kristallisieren sich heraus: Sind die großen Gemeinden so solidarisch mit den kleinen, dass es auch möglich sein wird, Geld in die ländlichen Räume zu lenken? Sind die Länder und der Bund bereit, politisch umzudenken und Systeme gezielt so zu gestalten, dass die Nachteile annähernd ausgeglichen werden können? Und schließlich: Sind die Menschen in der Region tatsächlich bereit, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen? Aufgesetzte Systeme funktionieren nur zum Teil. Änderungen müssen in der Region passieren. Das Thema an sich ist allumfassend und spielt in viele Bereiche des Lebens hinein: Daseinsvorsorge, Infrastruktur, Wohnen und Arbeiten … Noch haben wir die Chance, aktiv zu werden. Noch gibt es keine Dörfer ohne Leben.

Mehr Bergbäuerinnen und -bauern gebraucht!

Josef Lanzinger, Obmann des Tiroler Almwirtschaftsvereins Im Jahr 2011 überschritt das landwirtschaftliche Monatseinkommen von Bergbäuerinnen und -bauern mit Höfen in Extremlage erstmals die 1000-Euro-Grenze. Bis 2010 hatten sie inklusive aller Förderungen noch weniger als 1000 Euro brutto pro Monat erwirtschaftet. Zum Vergleich: In der Arbeitswelt wäre das der monatliche Bruttolohn für 40 Wochenstunden ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld. Zum niedrigen Entgelt kommt die Gefahr bei der Arbeit. Beinahe wöchentlich berichten die Medien von schweren Unfällen

bei der Heu- oder Düngearbeit auf steilen Hängen sowie im steilen Bergwald. Welcher Menschenschlag ist das, der für so wenig Geld eine derart riskante Arbeit verrichtet? Charakterisierungen von Menschengruppen sind immer schwierig und meistens nicht zutreffend. Aber ein Wissen eint diese Bergbäuerinnen und -bauern. Sie wissen, wenn sie die Arbeit auf ihrem Hof aufgeben, wird sich kaum jemand finden, der die steilen Wiesen mähen wird. Auch wenn die Pacht kostenlos wäre, würde man dafür nur in Ausnahmefällen jemanden gewinnen können. Die Bauernfamilien wollen aber weiter auf ihrem Hof leben und geben ihn vermutlich aus diesem Grund − solange die Arbeit machbar ist − nicht auf. Wenn das Einkommen allerdings zu weit unter dem durchschnittlichen Einkommen einer Arbeiterfamilie liegt, könnte die Zahl derer, die ihren Hof aufgeben, zunehmen. Ein Bauer mit einem günstig gelegenen Hof im Tal meinte: „Versucht alles, um die Bergbauern oben zu halten! Sonst gibt es in einem Bergland wie Tirol einen Verlust an Lebensqualität.“ Die Ausdehnung der Produktion wird bei Bergbauernhöfen in Extremlage eher unmöglich sein, daher bleibt nur der Weg höherer Leistungsabgeltungen über zukünftige Programme. In den westlichen BergbauernBundesländern ist es für die Bevölkerung und für den Wirtschaftszweig Tourismus eine wichtige Zukunftsfrage, wie es mit den Bergbauernhöfen und Almen weitergeht.

Lebens(t)raum Land!? Christina Spangl, Generalsekretärin der Österreichischen Jungbauernschaft – Bauernbund-Jugend Die Jugend am Land hat eine besondere Stellung. Entgegen allen Trends zeichnet sie der Mut aus, ihre Zukunft im ländlichen Raum gestalten zu wollen. Fragt man nach der größten Bedrohung des ländlichen Raums, stellt sie sich folgendermaßen dar: Die Jungen gehen, die Alten bleiben, der ländliche Raum leert sich. Der demografische Wandel ist eine Herausforderung, die man mit klugen Maßnahmen annehmen muss. Die Jugend braucht Perspektiven, um sich ein Leben am Land vorstellen zu können. Und die Jugend braucht Anreize, damit ihre Innovationslust ein treibender Motor bleibt. Zu lebenswerten Regionen gehören überlebensfähige Bauernhöfe und Betriebe. Ohne die Bauernschaft hätte der ländliche Raum ein völlig anderes Gesicht. Die Generationenfrage rückt immer öfter in den Mittelpunkt der Diskussionen. Für eine gute Hofübernahme braucht es neben Mut und Vertrauen auch berufliche Qualifikation, die Übergabebereitschaft der Elterngeneration sowie ein Maßnahmenbündel für die Jungbäuerinnen und Jungbauern. Die junge landwirtschaftliche Generation soll mit Begeisterung Höfe übernehmen und diese rentabel sowie zukunftssicher bewirtschaften können. Damit verleiht sie dem Werk der älteren Generation Würde und Wert. Die Jungbäuerinnen und Jungbauern sind Zukunftsbauer und Brückenbauer zwischen den Generationen. Gemeinsam bauen sie an der bäuerlichen Zukunft und an einem funktionierenden ländlichen Raum.

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Soziales Vorzeigeprojekt der Landwirtschaft

Green Care

Kaum ein anderes agrarisches Projekt steht derzeit so im Fokus des brancheninternen und öffentlichen Interesses wie „Green Care“, das vor über einem Jahr von der Landwirtschaftskammer Wien (LK Wien) ins Leben gerufen wurde. Grund für diese Aufmerksamkeit ist, dass in der Betreuung von Menschen auf Bauernhöfen eine große Zukunftschance liegt, die bereits von vielen erkannt wird. Es profitieren einerseits jene, die soziale Leistungen in Anspruch nehmen, und andererseits die Agrarbetriebe, denen sich neben Produktion, Direktvermarktung und Tourismus eine weitere wertvolle Einkommensschiene erschließt. Aber auch Sozialträger erweitern mit Green Care ihr Angebotsportfolio und ermöglichen ihren Klienten Aktivitäten in und mit der Natur. Robert Fitzthum und Nicole Prop

Ein wesentlicher Beweggrund für dieses Projekt war, dass 5,5 der 8,4 Mio. ÖsterreicherInnen in 34 Stadtregionen leben. Für diese 66 % der Bevölkerung gilt es angesichts explodierender Gesundheitskosten, in puncto Pädagogik, Therapie, Pflege und Betreuung sowie soziale Arbeit innovative Lösungen zu entwickeln. Gleichzeitig ist in der Landwirtschaft, die einem großen Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist, der spürbare Wille da, neue Wirtschaftsfelder zu erobern und Nischen zu besetzen.

Stadtmenschen zum Aufblühen bringen Green Care ist ökonomisch, vor allem aber auch menschlich und gesellschaftlich ein Gewinn. Wer einmal Menschen mit Behinderung und Kinder in Gärtnereien glücklich Paradeiser einsetzen oder alte Menschen auf einem Bauernhof wieder aufblühen gesehen hat, kann sich kaum vorstellen, dass derart gesundheits- und wissensfördernde Maßnahmen erst jetzt im Entstehen sind. Wunderbare Beispiele sind auch die ersten zwei Green-Care-Betriebe in Wien, die heuer von der LK Wien vorgestellt wurden: die Gärtnerei Schippani in Wien-Simmering, die bereits Hunderte Schulkinder mit ihren Gemüsebeeten, Rätselrallyes und kulinarischen Köstlichkeiten (Stichwort „gesunde Ernährung“) zum Selbermachen begeistert hat, und Ursula Grill, „Die Stadtbäuerin“ in Wien-Strebersdorf, seit Kurzem Green-Care-Pionierin. Für einen Zeitraum von sechs Monaten bietet sie einer arbeitssuchenden Person die Möglichkeit, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und profitiert dabei selbst

von der tatkräftigen Unterstützung in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb. Auch die Caritas Wien ist in die Abwicklung einbezogen; sie arbeitet seit einiger Zeit mit der LK Wien im Rahmen von Green Care zusammen. Der ORF wurde auf die grüne Kooperation aufmerksam und drehte einen Beitrag für das Format „Sommerzeit“.

Professionelles Berufsbild entsteht Der Öffentlichkeit wurde das im März 2011 gestartete Projekt in einem Pressegespräch im Oktober vorgestellt, in dem auch Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich das große Potenzial dieser Idee hervorhob. Im Dezember wurde die „Interessenplattform Green Care“ gegründet, zu der sich die LK Wien, die Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, das ÖKL, das LFZ Schönbrunn, die Bundesanstalt für Bergbauernfragen sowie weitere Partnerorganisationen zusammengeschlossen haben. Ziele sind strategische Positionierung, optimale Vernetzung und Informationsaustausch sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Die LK Wien und die Interessenplattform haben auch schon viele konstruktive Gespräche mit Sozialversicherungsanstalten, Sozialträgerinnen und -trägern sowie Fördergeberinnen und -gebern geführt, um Chancen, aber auch etwaige Barrieren auszuloten.

Erste Green-Care-Tagung Ein wichtiger Eckpfeiler war die erste Green-CareTagung im Juni 2012 in Schönbrunn, auf der seitens der LK Wien der offizielle Startschuss für eine bundesweite Ausdehnung des Projekts gegeben wurde:


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Das sozial- und gesundheitsorientierte Pilotprojekt Weitere Informationen: soll von der Bundeshauptstadt ausgehend auf eine www.greencare-oe.at österreichweite und breite Basis gestellt werden. Auffällig war das über 200 TeilnehmerInnen umfassende bunte Publikum − die Tagung hatte sowohl VerantwortungsträgerInnen aus dem Bildungs- und Gesundheitsbereich als auch aus dem Agrar-, Wirtschafts- und Sozialbereich angelockt.

Großes Interesse in Österreich und auf EU-Ebene Das große Potenzial ist auch im täglichen Betrieb der LK Wien spürbar; es gab schon über 88 Anfragen von möglichen Green-Care-Landwirtinnen und -wirten aus ganz Österreich. Währenddessen begeistern die ersten Green-Care-Betriebe in Wien die Stadtmenschen, bereits gestellte Anträge werden bearbeitet. Eine große Unterstützung des Projekts war auch, dass die EU-Parlamentarierin Elisabeth Köstinger Green Care auf europäischer Ebene zum Thema gemacht und das Projekt gemeinsam mit der LK Wien verschiedensten EU-MandatarInnen in Brüssel präsentiert hat. Auch dort waren die Rückmeldungen höchst positiv.

Weitere Ziele und Visionen Auf der Tagung wurde deutlich, dass noch einige Hemmschuhe zu überwinden sind, bevor Green Care auf Krankenschein erhältlich sein wird. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist mit Sicherheit, dass für Green Care nur speziell ausgebildete Landwirtinnen und -wirte tätig sind. Die Entwicklung entsprechender Leitlinien und standardisierter Behandlungskonzepte sowie eines professionellen Berufsbildes mit Zertifizierung sind entscheidende Zukunftsschritte.

Engagement aller Sektoren gefordert Das Interesse von Agrarbetrieben, Organisationen, Medien und Öffentlichkeit beweist aber schon jetzt, dass Green Care am Puls der Zeit ist und man nicht locker lassen darf. Engagement und Unterstützung aller Sektoren (Bildung, Gesundheit, Soziales und Landwirtschaft) sind gefordert, um ein Projekt, das derartig viele Bereiche umfasst, schnellst- und bestmöglich voranzutreiben. Gelingt das, werden die Gesundheitskosten schrumpfen und die Begeisterung der Betreuten wird wachsen. Ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. |||

Robert Fitzthum, Landwirtschaftskammer Wien, Kammerdirektor Nicole Prop, Landwirtschaftskammer Wien, Leitung des Projekts „Green Care“


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Welches Ziel für den ländlichen Raum? Im Rahmen des Österreichischen Programms für die Entwicklung des ländlichen Raums werden voraussichtlich bis 2020 und möglicherweise darüber hinaus öffentliche Mittel bereitgestellt. Diese sollten möglichst zielgerichtet und effizient eingesetzt werden. Franz Sinabell

Der ländliche Raum ist − einer gängigen Definition von OECD und Eurostat zufolge − durch dünne Besiedlung und Abgelegenheit von urbanen Zentren charakterisiert. Da „ländlich“ auch im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird, kann man darunter aber auch etwas gänzlich anderes verstehen. Während man in einem Methodenhandbuch nachschauen kann, was unter Bruttoinlandsprodukt zu verstehen ist, gibt es große Unstimmigkeit darüber, was nun ländlich ist

Eurostat-Gliederung der NUTS-3-Regionen PU (Predominantly urban regions): überwiegend städtische Regionen, ländliche Bevölkerung unter 20% der Gesamtbevölkerung IN (Integrated regions): intermediäre Regionen, ländliche Bevölkerung zwischen 20 und 50% der Gesamtbevölkerung PR (Predominantly rural regions): überwiegend ländliche Regionen, ländliche Bevölkerung über 50% der Gesamtbevölkerung

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und was nicht. Selbst die OECD-Einteilung weicht von jener von Eurostat ab, wenn man einzelne Regionen betrachtet. Folgt man der Sicht von OECD und Eurostat, die im Grunde sehr ähnlich ist, kann man sich ländliche Räume auch ohne Landwirtschaft gut vorstellen: zum Beispiel Berg- und Trockengebiete, die sich allenfalls zur Jagd und Erholung eignen, oder ausgedehnte Waldgebiete, wie sie häufig in Skandinavien anzutreffen sind. Fährt man in Wien durch den 23. Bezirk − also durch einen gemäß OECD und Eurostat urbanen Raum −, findet man ausgedehnte Felder und Fluren, die so ländlich wirken wie in einem abgeschiedenen Winkel des Burgenlandes. Welcher Landstrich nun als ländlich gelten kann, wird also nicht bloß durch rigide Definitionen bestimmt, sondern auch durch die Bilder und Vorstellungen des Betrachtenden. Denn „ländlich“ beschreibt auch einen Sehnsuchtsraum, der tief in unserer Kultur verankert ist.

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Quelle: Eurostat, Regional Yearbook 2010, sowie eigene Berechnungen; die Klassifizierung beruht auf der Bestimmung städtischer und ländlicher Zellen in einem 1-km 2 -Raster. Städtische Raster erfüllen zwei Voraussetzungen: Die Bevölkerungsdichte liegt bei mindestens 300 Einwohnerinnen/Einwohnern pro km2, und die benachbarten Zellen mit der Mindestbevölkerungsdichte haben insgesamt mindestens 5000 Einwohnerinnen/Einwohner. Die sonstigen Zellen sind ländlich. Die Grenzwerte für die Klassifizierung liegen bei 50% bzw. 20% der regionalen Bevölkerung in ländlichen Rasterzellen.

Landwirtschaft ohne ländlichen Raum? Landwirtschaft kann auch in Gegenden betrieben werden, die nicht als ländlich gelten. Und intensiv ackerbaulich bewirtschaftete Gebiete werden von so manchem als „nicht ländlich“ wahrgenommen, sondern vielmehr als industriell und somit als krasser Gegensatz dazu. Eine solche Wahrnehmung steht möglicherweise im Widerspruch zu den Definitionen von OECD und Eurostat, hat aber auch ihre Berechtigung. Landwirtschaft kann man sich daher auch gut ohne die Einbettung in ländliche Räume vorstellen.


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Landwirtschaft ohne Erwerbscharakter? Nicht wenige Menschen betreiben Landwirtschaft als Freizeitbeschäftigung oder zum körperlichen und seelischen Ausgleich für eine Erwerbsarbeit mit vielen Zwängen. Aus finanziellen Erwägungen werden nur wenige eine Zuerwerbslandwirtschaft haben. Vielmehr geht es um die Wahrung von Tradition, die selbstbestimmte Tätigkeit, das Wissen über die Qualität der selbst erzeugten Lebensmittel. Die Arbeit in der Landwirtschaft verbessert oft das Wohlbefinden und die Lebensqualität, jedoch selten das Einkommen. Oftmals ist sie sogar mit schweren organisatorischen und körperlichen Belastungen verbunden. Bäuerin/Bauer zu sein ist möglich, ohne Landwirtschaft im Sinn einer Tätigkeit mit Erwerbscharakter zu betreiben. Nicht jede Landbewirtschaftung erfüllt den Zweck der Güterproduktion für den Markt und somit der Landwirtschaft im engeren Sinn. Die bisher angeführten Überlegungen muten möglicherweise wie Spitzfindigkeiten an. Es lohnt sich dennoch, sich damit näher auseinanderzusetzen, vor allem weil es das Programm für die ländliche Entwicklung gibt. Damit werden voraussichtlich bis 2020 und möglicherweise darüber hinaus öffentliche Mittel bereitgestellt. Ihr effizienter Einsatz muss die Messlatte sein, an der dieses Programm gemessen wird.

Ein Ziel für ländliche Räume: ländliche Entwicklung!

Regionale Wertschöpfung Bruttoregionalprodukt je EinwohnerIn in EUR 2007 Vorwiegend städtische Regionen 38.976 36.148 Integrierte Regionen 25.733 Vorwiegend ländliche Regionen Österreich 33.011

2008 39.969 37.132 26.467 33.916

2009 38.680 35.765 25.783 32.861

Quelle: Statistik Austria, Regionale Gesamtrechnung, Regionsgliederung gemäß Eurostat-Definition

lichen Raum zu verstehen? Wenig − abgesehen davon, dass dies ebenfalls ein Bruch mit der bisherigen Praxis wäre. Man kann ins Treffen führen, dass die Förderung von traditionellen Schindeldächern und die Subvention von identitätsstiftenden Dorffesten ebenso Platz im Programm haben sollten. Dem muss man erwidern, dass Menschen, die attraktive Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung haben, sich diese Annehmlichkeiten leisten werden, wenn ihnen danach ist. Oder auch nicht. In diesem Fall entspricht der ländliche Raum dann eben nicht einer Bilderbuchidylle. Für die Gesellschaft ist es gut, wenn Landwirtschaft ohne Erwerbscharakter betrieben wird, sofern Menschen daraus einen Nutzen ziehen. Daraus abzuleiten, dass die Freizeitlandwirtschaft aus öffentlichen Mitteln gefördert werden soll, wäre jedoch ein Fehlschluss. Ist ein Programm, das auf die skizzierte Entwicklung von Wertschöpfung und Beschäftigung im ländlichen Raum abzielt, eindimensional und somit kontraproduktiv? Das Gegenteil ist der Fall, es ist höchst anspruchsvoll. Denn es geht ja darum, dass die Wertschöpfung und die zusätzlichen Arbeitskräfte im ländlichen Raum bleiben und nicht von anderen Räumen abgesogen werden. Zwar schließt der ländliche Raum gemessen an der Wertschöpfung zum urbanen Raum auf, aber es ist ein gewaltiger Rückstand aufzuholen: konkret 12.897 Euro pro Jahr und EinwohnerIn (Stand 2009). Also Raum genug für ein anspruchsvolles Programm für die ländliche Entwicklung. |||

Wie gezeigt wurde, ist unter „ländlich“ alles Mögliche zu verstehen. Was spricht dagegen, jene Gebiete als ländlich im Sinn des Programms zu definieren, die der Eurostat-Definition entsprechen? Wenig − abgesehen davon, dass dies ein Bruch mit der bisherigen Praxis wäre. Man mag viele Nachteile einer veränderten Gebietsabgrenzung ins Treffen führen, sie hätte aber viele Vorteile. Die Maßnahmen könnten einfacher gestaltet werden, es könnten weniger Ziele angestrebt werden, die Effektivität könnte höher sein. Entwicklung bedeutet Veränderung, und zwar zum Besseren. Die Bewahrung des Bestands, die Aufrechterhaltung einer Praxis und die Fortführung des Althergebrachten mögen als Fortsetzung gelten, jedoch nicht als Entwicklung. Was spricht dagegen, unter Entwicklung im Sinn des Programms die Stei- Franz Sinabell, WIFO – Österreichisches Institut gerung der Wertschöpfung je Erwerbstätigen im länd- für Wirtschaftsforschung

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Innovationspreis f端r Chancengleichheit 2012


Gesellschaftliche Vielfalt ist eines der zentralen Themen der ländlichen Entwicklung. Verschiedene Gruppen − beispielsweise Jugendliche, Frauen, MigrantInnen und Menschen mit Behinderung − benötigen besondere Aufmerksamkeit. Daher widmete sich der heurige Jahreswettbewerb von Netzwerk Land der Chancengleichheit in ländlichen Regionen.


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Innovationspreis Chancengleichheit in ländlichen Regionen Frauen und Männer, junge und alte Menschen, Menschen mit und ohne Behinderung, Einheimische und MigrantInnen: Sie alle können einen produktiven Beitrag zur Entwicklung ländlicher Regionen, der Landwirtschaft und anderer Sektoren sowie zur Lebensqualität im ländlichen Raum insgesamt leisten. Voraussetzung dafür sind ein offener und integrativer Umgang mit der gesellschaftlichen Vielfalt und die gezielte Förderung von Chancengleichheit. Im LE-Wettbewerb 2012 wurden Projekte vor den Vorhang geholt, die einen essenziellen Beitrag zu mehr Chancengleichheit in ländlichen Regionen leisten. Luis Fidlschuster und Barbara Pia Hartl

Netzwerk Land hat im Auftrag des BMLFUW seit Beginn seiner Vernetzungsaktivitäten Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit in ländlichen Regionen gesetzt. Heuer stellt Chancengleichheit als zentrales Thema der Jahreskonferenz von Netzwerk Land und des LE-Wettbewerbs, des „Innovationspreises für Chancengleichheit“, einen besonderen Schwerpunkt dar.

Teilnehmende, Kategorien, Bewertungskriterien Am Innovationspreis Chancengleichheit in ländlichen Regionen konnten alle Personen und Organisationen teilnehmen, die an der ländlichen Entwicklung in Österreich mitwirken: Betriebe, Leader-Gruppen, Vereine, Gemeinden, Jugendorganisationen, NGOs und sonstige ProjektträgerInnen. Eingereicht werden konnten alle Projekte, die einen positiven Beitrag zur Steigerung der Chancengleichheit und gesellschaftlichen Vielfalt geleistet haben. Preise wurden in folgenden Kategorien vergeben: Frauen, Jugend, weitere Chancengleichheitsprojekte, zum Beispiel aus den Bereichen Migration/Integration und Menschen mit Behinderung.

Wesentlich war auch, dass die eingereichten Projekte in der aktuellen Förderperiode abgeschlossen oder bereits weit fortgeschritten waren und zu einem relevanten Teil aus Mitteln des ELER finanziert wurden. Die eingereichten Projekte wurden nach folgenden Kriterien bewertet: f Nutzen und Wirkungen für die jeweilige Personengruppe im ländlichen Raum und in der Region: Was sollte durch das Projekt für die jeweilige Personengruppe konkret verändert werden? Welchen Beitrag leistet das Projekt zur Stärkung der regionalen Identität und zum Regionsbewusstsein der Personengruppe? f Nutzen und Wirkungen für den ländlichen Raum, die Region und den Betrieb/die einreichende Organisation: Welchen Nutzen hat das Projekt für die gesamte Region? Hat das Projekt dazu beigetragen, das Interesse der Personengruppe an der Region zu erhöhen und die Beziehungen zu dieser Gruppe zu verbessern? f Durchführung und Nachhaltigkeit: Wie wurde die jeweilige Personengruppe in das Projekt eingebunden? Hat das Projekt bei den Beteiligten zum Kompetenzaufbau beigetragen? Wie werden


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die Effekte des Projekts langfristig gesichert, und wie werden weitere Aktivitäten angeregt? Innovation/Originalität: Was ist das Beispielhafte und Innovative am Projekt? Kooperation/Vernetzung: Welche lokalen, regionalen, überregionalen oder transnationalen PartnerInnen sind am Projekt beteiligt? In welcher Form erfolgt die Kooperation? Welchen Beitrag leistet das Projekt zur regionalen Kooperation und Vernetzung? Offenes Kriterium: In der Kategorie „Weitere Chancengleichheitsprojekte“ konnten die Einreichenden selbst weitere Besonderheiten hervorheben, die von der Jury bei der Bewertung berücksichtigt wurden.

Innovationen in allen Bundesländern Insgesamt wurden für den Innovationspreis Chancengleichheit in ländlichen Regionen 50 Projekte aus allen Bundesländern eingereicht. Die meisten Einreichungen kamen aus der Steiermark (10) und aus Oberösterreich (9). Die Bewertung der Projekte erfolgte durch eine Fachjury, die aus einem Kernteam bestand, das in jeder Kategorie von einer/einem Expertin/Experten des jeweiligen Themas unterstützt wurde. Das Kernteam bestand aus Vertreterinnen/ Vertretern des BMLFUW und von Netzwerk Land, einer Expertin für Diversity Management und einer Journalistin von Ö1, die sich in ihrer Arbeit sowohl mit ländlicher Entwicklung als auch mit dem Thema Chancengleichheit beschäftigt. Die Expertinnen und Experten für die einzelnen Kategorien kamen aus den Bereichen Jugend, Frauen, Menschen mit Behinderung und Migration.

Die Siegerprojekte In den drei Wettbewerbskategorien wurden folgende drei Projekte mit dem Innovationspreis ausgezeichnet: Kategorie Jugend Jugendkulturelles Beteiligungsprojekt – Jugendmusikszene Pinzgau LAG Nationalparkregion Hohe Tauern und Stadtgemeinde Zell am See http://musik.ibinpinzgau.at Kategorie Frauen Chancengleichheit im ländlichen Raum – Frauen entscheiden Verein KoKon – beratung und bildung für frauen www.kokon-frauen.com Kategorie weitere Chancengleichheitsprojekte RIKK – regional, interkulturell, kompetent (Migration/Integration) ARGE RIKK – LAG Vöckla-Ager, LAG Traunsteinregion, Verein für Regionalentwicklung in den Bezirken Vöcklabruck und Gmunden, RegionalCaritas Vöcklabruck und Gmunden www.rikk.or.at Platz 2 belegte das beste Projekt im Bereich Menschen mit Behinderung Kunst vom Rand LAG Mostlandl – Hausruck www.kunstvomrand.at

Danke für die Unterstützung! Netzwerk Land und das BMLFUW bedanken sich bei allen, die die Verleihung des Innovationspreises Chancengleichheit in ländlichen Regionen unterstützt haben: Unser Lagerhaus, Land Steiermark – A10 Land- und Forstwirtschaft, Nationalagentur Jugend in Aktion, Interkulturelles Zentrum, LAG Naturpark Südsteirisches Weinland, Schloss Seggau und Kammerschauspielerin Erni Mangold. ||| Luis Fidlschuster und Barbara Pia Hartl, Netzwerk Land, ÖAR-Regionalberatung

Kammerschauspielerin Erni Mangold

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Siegerprojekt in der Kategorie „Jugend“ Jugendkulturelles Beteiligungsprojekt:

Jugendmusikszene Pinzgau

Der Salzburger Pinzgau ist reich an jungen Musiktalenten. Teils als SolistInnen, teils in Bands versuchen sie, in unterschiedlichen Stilrichtungen ihre Vorstellungen von „Musikerfolg“ zu verwirklichen. Anders als vielleicht bei Blasmusik, Feuerwehr oder Fußball fehlt es im Bereich der Pop- und Rockmusik jedoch an (unterstützenden) Strukturen (z. B. Vereinen). Das erschwert es, sich miteinander zu vernetzen, aber auch von außen als Gruppe wahrgenommen zu werden. Im Rahmen des „Jugendkulturellen Beteiligungsprojekts“ reagierten engagierte Personen der Region unter der Federführung der Vereine Akzente Pinzgau und Mitbestimmung.cc unterstützt durch das Regionalmanagement Pinzgau und die BürgermeisterInnenkonferenz Pinzgau auf diese Defizite.

Um die bisher unbekannten Bedürfnisse der Gruppe „jugendliche MusikerInnen“ auszuloten, wurde ein Filmprojekt initiiert, an dem sich 150 Personen aus 25 Bands und Soloprojekten beteiligten. In diesem Film erzählen die jungen Künstlerinnen und Künstler in Interviews über ihre Schwierigkeiten, beschreiben beispielsweise prekäre Proberaumsituationen oder verweisen auf die fehlenden Gelegenheiten für Auftritte; und sie zeigen Möglichkeiten auf, wie diese Mängel überwunden werden könnten. In eigenen Zwischensequenzen sieht man sie musizieren, und man erlebt die Vielfalt der regionalen Musikrichtungen. nikation, die durch dieses Projekt geschaffen wurden. So fanden etwa begleitend zum Filmprojekt in regelmäßigen Abständen runde Tische statt, welche die Viele Kontakte geknüpft Der Film allein ist es aber nicht, der dieses Projekt zu MusikerInnen zum Netzwerken nutzten. Auch mit der einem herausragenden Jugendprojekt macht. Es sind Stubaitaler MusikerInnenplattform „Soundvalley Studie unterschiedlichen Arten und Arenen der Kommu- bai“ im benachbarten Tirol wurden Kontakte aufgebaut. Um das gegenseitige Verständnis zwischen Politik/ Verwaltung und den Jugendlichen herzustellen, ermöglichte das Projekt auch den Dialog mit BürgermeisterInnen und GemeinderätInnen. All diese vorerst netzwerkartigen Strukturen entwickelten sich im Laufe des Projekts rasch weiter und führten zur Gründung des Unterstützungsvereins „Musik Fabrik Pinzgau“, der es Jugendlichen ermöglicht, effizient Lobbying zu betreiben. Dieses Projekt steht also für einen beispielhaften Prozess Richtung Chancengleichheit, der die Motivation Jugendlicher zur Mitgestaltung ihrer Umwelt dadurch aktiviert, dass sie um ihre Meinung und ihre Bedürfnisse gefragt werden. Dem wird durch mediale Unterstützung eine Bühne geboten, und durch die Einbeziehung der kommunalen EntscheidungsträgerInnen wurde auch die Basis für weitere Umsetzungsschritte gelegt. Wesentlich ist auch, dass im Rahmen dieses Projekts die Selbstorganisation von Jugendlichen nachhaltig gefördert wurde. |||

Einreichende Organisation: LAG Nationalparkregion Hohe Tauern und Stadtgemeinde Zell am See Kontakt: Akzente Johanna Harms Bräuschmiedgasse 5 5700 Zell am See j.harms@akzente.net http://musik. ibinpinzgau.at


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Siegerprojekt in der Kategorie „Frauen“ Chancengleichheit im ländlichen Raum:

Frauen entscheiden Geschlechterbedingte Barrieren behindern Frauen in ländlichen Regionen oft, am wirtschaftlichen, politischen und sozialen Leben teilzuhaben. In Entscheidungsgremien von Gemeinden und regionalen Entwicklungsverbänden sind Frauen am Land daher nach wie vor unterrepräsentiert. Dadurch können Engagement, Wissen und Erfahrungen von Frauen in der regionalen Entwicklungsarbeit nicht bzw. viel zu wenig genutzt werden. Mit dem Projekt „Chancengleichheit im ländlichen Raum“ wurde von „KoKon – beratung und bildung für frauen“ im Salzburger Pongau und Lungau im Jahr 2011 eine beispielhafte Initiative gestartet, welche die Mitwirkung von Frauen in der Regionalentwicklung langfristig stärken soll. Herzstück der strategisch angelegten Frauenförderung im Pongau sind die vier Arbeitspakete „Mentoring“, „Aktive Frauen im ländlichen Raum“, „Social Web“ und „Tschänder-Kabarett“. Im Rahmen des Arbeitspakets „Mentoring“ stellen erfahrene Politikerinnen Frauen, die neu in der Politik sind oder vorhaben, sich politisch stärker einzubringen, ihre Erfahrungen zur Verfügung. Der Erfahrungsaustausch erfolgt individuell – von Mentorin zu Mentee −, in gemeinsamen Veranstaltungen (zum Beispiel zur Weiterbildung oder Vernetzung aller beteiligten Mentorinnen und Mentees) sowie in Form von Stammtischen und Peer-Groups der Mentees. Seit einem Vorbereitungstreffen im Juli und einer offiziellen Startveranstaltung am 19. September sind die ersten sieben Mentorinnen-Paare aktiv. Bis Ende Oktober 2012 können noch weitere „Tandems“ dazukommen. Das Arbeitspaket „Aktive Frauen“ startete mit Interviews mit erfahrenen Gemeindevertreterinnen und einer Veranstaltung, in welcher der Austausch zwischen erfahrenen und jungen Lokalpolitikerinnen begonnen wurde. Im Laufe dieses Jahres gab es bereits drei fachspezifische Workshops zum Thema Frauen in der Politik und ein Treffen mit der österreichischen Frauenministerin.

Zum Thema „Social Web“ fanden bis dato unter dem Titel „bridging the gender & generation gap“ mehrere Workshops in Schulen statt, in denen jugendliche „digital natives“ Frauen über 40 die Welt der digitalen Medien und des Web 2.0 näherbrachten. Die Vorbereitungen für das „Tschänder-Kabarett“ haben ebenfalls bereits begonnen. Derzeit werden interessierte „Laiendarstellerinnen“ gesucht – eine geeignete und erfahrene Theaterpädagogin wurde per Ausschreibung bereits gefunden. Ab November soll an zehn Abenden das Programm für das „Tschänder-Kabarett“ entwickelt werden. Ziel ist es, ein ernstes Thema auch auf humorvolle Art und Weise zu bearbeiten und damit neue Zielgruppen für den Themenbereich Chancengleichheit zu gewinnen. Von der kabarettistischen Genderarbeit erwarten sich die Expertinnen von KoKon aber auch, dass relevante Zusammenhänge pointiert dargestellt werden. Dadurch sollen neue Perspektiven erkennbar und Gleichstellung als demokratiepolitische Notwendigkeit klar sichtbar werden. Insgesamt zeichnet sich das Projekt „Chancengleichheit im ländlichen Raum“ durch seinen ganzheitlichen strategischen Ansatz, seine klare Problemsicht und ein methodisch innovatives Projektdesign aus. |||

Einreichende Organisation: Verein KoKon – beratung und bildung für frauen Kontakt: Barbara Niehues Michael-WalchhoferStraße 15 5541 Altenmarkt info@kokon-frauen.com www.kokon-frauen.com


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Siegerprojekt in der Kategorie „Weitere Chancengleichheitsprojekte“

Förderung der interkulturellen Kompetenz in den Bezirken Vöcklabruck und Gmunden RIKK steht für regional – interkulturell – kompetent und ist eine Kooperation des Vereins für Regionalentwicklung in den Bezirken Vöcklabruck und Gmunden, der regionalen Caritas, der LAG Vöckla-Ager und der LAG Traunsteinregion. Diese bilden gemeinsam die ARGE RIKK und unterstützen seit 2011 Vernetzung, Weiterbildung und konkrete Projekte zum Thema interkulturelles Lernen auf breiter Basis, etwa in Kindergärten, Schulen und in der regionalen Wirtschaft.

Ziel von RIKK ist es, in einem mehrjährigen Prozess (2011–2013) interkulturelles Lernen nachhaltig in der Region zu verankern. Durch die Weiterentwicklung interkultureller Kompetenzen sollen Zusammenleben und -arbeiten im Interesse aller EinwohnerInnen positiv gestaltet werden. Am Beginn dieses Prozesses stand eine Erhebung der sozialen und interkulturellen Ressourcen in den Bezirken Vöcklabruck und Gmunden, in regionalen Gewerbe- und Industriebetrieben, Pfarren, Sozialorganisationen, Schulen, Kindergärten und landwirtschaftlichen Betrieben. Diese breit angelegte Generierung von Wissen wurde in Kooperation mit der FH Oberösterreich, dem Bezirksschulrat, der Wirtschaftskammer und Fokusgruppen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Recherchen wurden der Bevölkerung auf www.rikk.or.at und einer eigenen Facebookseite zur Verfügung gestellt und bildeten das Fundament für alle weiteren Vernetzungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Die RIKK-Webpage bietet zudem umfassende Informationen über Best-Practice-Beispiele sowie regionale und überregionale Weiterbildungsmöglichkeiten in Sachen interkulturelle Kompetenz.

Kompetenzteams, Netzwerkpartner, Projekte Ein zentrales Element von RIKK sind die sogenannten Kompetenzteams, in denen VertreterInnen eines bestimmten Bereichs durch Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen profitieren und Weiterbildungsangebote für ihren Bereich entwickeln. Derzeit sind Kompetenzteams von Lehrerinnen/Lehrern, Personalverantwortlichen von Unternehmen, Schule-am-Bau-

ernhof-Anbieterinnen/-Anbietern und zum Thema Kommunikation zwischen MigrantInnen und Österreicherinnen/Österreichern aktiv. Noch im Aufbau befinden sich Teams für JugendarbeiterInnen und KindergärtnerInnen. Neben den Kompetenzteams sind in puncto Weiterbildung regionale und überregionale Bildungsanbieter wichtige Netzwerkpartner. Eine zentrale Rolle spielt das Bildungshaus Maximilian in Attnang-Puchheim, das unter dem Titel „MIKK“ (Maximilianhaus – interkulturell, kompetent) den regionalen interkulturellen Lernprozess unterstützt und u.a. in Kooperation mit dem Landesjugendreferat im Herbst 2012 Lehrgänge zu den Themen „Dolmetschen im Kommunalbereich“ und „Peereducation für Jugendliche“ starten wird. Weitere wichtige Kooperationspartner sind der „Runde Tisch“ der Sozialpartner, der die regionale Umsetzung des oberösterreichischen „Pakts für Vielfalt“ unterstützt, die ARGE Interkulturelle Kompetenz der Pädagogischen Hochschule, die mit dem Kompetenzteam der LehrerInnen die interkulturelle LehrerInnenfortbildung organisiert, die Volkshilfe und die Bezirkshauptmannschaften. In Umsetzung, Planung und Diskussion sind derzeit u. a. eine zweiteilige interkulturelle Fortbildung für Schule am Bauernhof, überbetriebliche Weiterbildungsangebote für Unternehmen und die Einrichtung interkultureller Gärten. Fazit: Die breite Beteiligung, der Aufbau regionaler Netzwerkstrukturen sowie eine Vielzahl konkreter Projekte und Ideen machen RIKK zu einem erfolgreichen Beispiel für nachhaltiges interkulturelles Lernen in einer Region. |||

Einreichende Organisation: ARGE RIKK – LAG Vöckla-Ager, LAG Traunsteinregion, Verein für Regionalentwicklung in den Bezirken Vöcklabruck und Gmunden, RegionalCaritas Vöcklabruck und Gmunden Kontakt: Silke Fahrner Linzer Straße 46 a 4810 Gmunden office@rikk.or.at www.rikk.or.at


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Platz 2 in der Kategorie „Weitere Chancengleichheitsprojekte“ belegte das beste Projekt im Bereich Menschen mit Behinderung:

Kunst vom Rand Das kreative Potenzial von Menschen mit Behinderung In der oberösterreichischen Leader-Region Mostlandl-Hausruck findet seit drei Jahren eine zunehmende Vernetzung regionaler KünstlerInnen statt. Die auf diese Weise intensivierten Kontakte nutzten die Beteiligten bereits dafür, gemeinsam Workshops für kunstinteressierte Kinder und Jugendliche zu entwickeln und durchzuführen, die bei der Bevölkerung großen Anklang fanden. Daraufhin erhielten die KünstlerInnen von verschiedenen Seiten Anfragen, ob Projekte ähnlicher Art nicht auch für BewohnerInnen regionaler Sozialeinrichtungen angeboten werden könnten. Bildhauer und Designer Josef Michael Pfeiffer aus Meggenhofen hatte die Idee, speziell für „Menschen vom Rand der Gesellschaft“, beispielsweise Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, ein ansprechendes Programm zu entwerfen. Er entwickelte mit seiner Künstlerkollegin Andrea Hinterberger und seinem Künstlerkollegen Meinrad Mayrhofer ein Konzept, welches das kreative Potenzial dieser Personengruppe wecken soll. Als Partner beteiligten sich Assista − Das Dorf Altenhof, Pro Mente in Schlüsslberg/Kehrbach und FAB GOA (Gemeinschaft ohne Alkohol) in Gallspach. In drei dreitägigen Workshops in den Jahren 2011, 2012 und 2013 wurde/wird mit den Erwachsenen aus den genannten Sozialeinrichtungen ein Gestaltungsthema (z. B. Sitzobjekte, Türen, Tore) entwickelt und umgesetzt.

Gestalten mit vorgefundenen Materialien Um die Kreativität der Beteiligten zu beflügeln, erwies sich das Prinzip „Gestalten mit vorgefundenen Materialen“ als besonders geeignet. Vorhandenes kann auf diese Weise differenzierter wahrgenommen und die Phantasie fokussierter eingesetzt werden. Es entstehen Kunstwerke wie auch Dinge des täglichen Gebrauchs als Ergebnis neuer Formfindung und eines phantasievollen Umgangs mit den Materialen und der

eigenen Kreativität. Man achtete vor allem darauf, dass die Fähigkeiten und Stärken von Menschen mit besonderen Bedürfnissen durch die öffentliche Präsentation der Kunstwerke Wertschätzung und Anerkennung erfahren. Viele der entstandenen Kunstwerke wurden bereits verkauft und zieren den öffentlichen Raum sowie Privathaushalte.

Auf gleicher Augenhöhe Durch dieses Projekt − vor allem durch die Kunstwerke − wurde die Bevölkerung sowohl auf BewohnerInnen von Sozialeinrichtungen als auch auf die Sozialeinrichtungen selbst aufmerksam. Seit Kurzem ist „Kunst vom Rand“ auch Mitglied des Netzwerks Design des Clusterlandes Oberösterreich, was einen ersten Schritt in Richtung auftragsorientierte Produktentwicklung bedeutet. Dadurch befindet sich das Kunst-vom-Rand-Team auf gleicher Augenhöhe mit anderen innovativen Unternehmen. Ziel ist es, künftig als kreative Ideenlieferanten genauso geschätzt zu werden wie im Bereich Kunst am Bau oder bei der Ausgestaltung von öffentlichen Räumlichkeiten. Dies würde auch dazu führen, dass die Fähigkeiten der Beteiligten als Teil der Wertschöpfung in Betrieben anerkannt und schließlich die Chancen von Menschen mit Beeinträchtigungen auch am Arbeitsmarkt verbessert werden. |||

Einreichende Organisation: LAG Mostlandl – Hausruck Kontakt: Magdalena Hellwagner Roßmarkt 25 4710 Grieskirchen m.hellwagner@ mostlandl-hausruck.at www.kunstvomrand.at


Netzwerk Land


Netzwerk Land hat im Jahr 2012 mit Veranstaltungen und Kooperationen in unterschiedlichen Bereichen aufhorchen lassen.


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BürgerInnen-Rat diskutiert Zukunft der Landwirtschaft Im September 2012 fand zum ersten Mal ein vom Lebensministerium und von Netzwerk Land organisierter österreichweiter BürgerInnen-Rat zum Thema „Zukunft der Landwirtschaft“ statt, der eine ganze Reihe interessanter Ideen, Anregungen und auch Forderungen brachte. Hemma Burger-Scheidlin

Die Vorstellungen der StakeholderInnen, die politische Entwicklungen (mit) entscheiden, decken sich nicht immer mit jenen der Öffentlichkeit. Nicht selten bewegen sich EntscheidungsträgerInnen in gleich bleibenden Strukturen, sind in gleich bleibenden Denkmustern gefangen, es mangelt an kreativen Ideen. Neue Sichtweisen und authentische Rückmeldungen aus der Bevölkerung können hier Denkanstöße bieten und helfen, Schritte in eine auch von Bürgerinnen und Bürgern akzeptierte Richtung zu setzen. Nach einigen erfolgreichen Umsetzungen in Vorarlberg fand vom 21.–22. September 2012 als Bundesinnovationsprojekt erstmals ein österreichweiter „BürgerInnen-Rat“ (= Wisdom Council, ein von dem Amerikaner Jim Rough entwickeltes Beteiligungsverfahren) statt. Gefragt war ein Stimmungsbild hinsichtlich des Stellenwerts der Landwirtschaft in Österreich. Zwölf per Zufallsverfahren im Namen von Bundesminister Nikolaus Berlakovich ausgewählte BürgerInnen aus ganz Österreich wurden eingeladen, eineinhalb Tage zu diskutieren und sich mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen: Was erwarten wir von den österreichischen Bäuerinnen und Bauern? Schätzen wir ihre für die Gesellschaft erbrachten Leistungen? Wie stellen wir uns die Zukunft der Landwirtschaft vor? Welche Probleme und Herausforderungen sehen wir?

nia vorgestellt und mit betroffenen Stakeholderinnen und Stakeholdern sowie Interessierten diskutiert. Die am BürgerInnen-Rat teilnehmenden Personen zeigten sich vor allem an den landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen, an den Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Handel sowie an der Rolle der KonsumentInnen interessiert. Gewünscht wurde eine gerechte Preispolitik, Transparenz bei Förderungen, die Eindämmung von Spekulationen mit landwirtschaftlichen Gütern sowie eine faire Beziehung zwischen Landwirtschaft und Handel. Dass hier auch das Konsumverhalten der Bevölkerung eine wesentliche Rolle spielt, wurde klar hervorgehoben. Als KonsumentInnen forderten die beteiligten Bürgerinnen und Bürger mehr Übersicht und Informationen über Gütesiegel sowie neue Vertriebszweige, die (auch in den Städten) Obst und Gemüse verstärkt auf den Markt bringen, das derzeit aussortiert wird, weil es nicht den Anforderungen an die Handelsklassen entspricht (Stichwort „Schräges Obst“, „Krummes Gemüse“). Zudem wurde der Ruf nach verstärkter Bewusstseinsbildung der KonsumentInnen laut. Insgesamt brachten die an der Diskussion beteiligten BürgerInnen der Landwirtschaft eine große Wertschätzung entgegen. Die zahlreichen erarbeiteten Lösungsvorschläge werden dokumentiert und auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft. Eine Dokumentation des ersten österreichweiten Für mehr Fairness, Information BürgerInnen-Rates wird es in Kürze auf www.netzund Bewusstsein werk-land.at/umwelt/veranstaltungen/buergerinnenDie Ergebnisse der Diskussionen wurden im Rahmen cafe geben. ||| einer öffentlichen Präsentation, eines sogenannten BürgerInnen-Cafés, im Kammersaal der Wiener Ura- Hemma Burger-Scheidlin, Netzwerk Land, Umweltdachverband

Dynamic Facilitation Im BürgerInnen-Rat wird mit einem speziell moderierten Verfahren namens Dynamic Facilitation gearbeitet: Herausforderungen und Probleme werden in Bezug zum diskutierten Sachverhalt festgehalten, aber auch Lösungen für bestehende Probleme werden entwickelt. Die diskutierenden BürgerInnen vertreten keine Interessengruppen, sondern ihre persönliche Meinung; eigene Erfahrungen und Visionen stehen vor Fachwissen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Aufgrund ihrer Flexibilität ist diese Methode für konfliktbehaftete und selbst scheinbar unlösbare Themen geeignet. Webtipp: www.partizipation.at


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Zwei wichtige Themen der ländlichen Entwicklung

Jugend und Beschäftigung Wie können die Interessen von Jugendlichen in der ländlichen Entwicklung besser berücksichtigt werden? Mit welchen Maßnahmen kann die Bedeutung von Arbeit und Beschäftigung im „außerlandwirtschaftlichen“ Bereich im Rahmen des ländlichen Entwicklungsprogramms erhöht werden? Antworten auf diese Fragen lieferten Arbeitsgruppen zu den Themen Jugend und Beschäftigung, die nach entsprechenden Beschlüssen im LE-07−13Begleitausschuss eingerichtet worden waren. Luis Fidlschuster und Barbara Pia Hartl

Die Einrichtung von thematischen Arbeitsgruppen (AGs) durch den Begleitausschuss hat sich bewährt. Zwei für die ländliche Entwicklung wichtige Themen konnten ohne Zeitdruck und in einer sehr konstruktiven Weise mit Vertreterinnen und Vertretern von Organisationen, die sowohl für das Thema Jugend als auch für den Bereich Beschäftigung von Relevanz sind, substanziell bearbeitet werden.

Eine weitere Empfehlung: Die Bereitstellung öffentlicher Güter im Bereich soziokultureller Infrastruktur (z. B. multimodale Mobilität, Kinderbetreuung) sollte im ELER berücksichtigt werden. Die AG Beschäftigung spricht sich auch dafür aus, Bewusstseinsbildung und Informationsarbeit über die Möglichkeiten des ELER in Sachen Arbeit und Beschäftigung zu intensivieren.

Arbeitsgruppe Beschäftigung

Arbeitsgruppe Jugend

Die AG Beschäftigung hat sich 2011/2012 zu fünf halbtägigen Workshops getroffen. Mitgewirkt haben u. a. VertreterInnen der Sozialpartner, des BMLFUW, des BMASK, des BMVIT und des BMWFJ sowie ein Ländervertreter, eine regionale Arbeitsmarktexpertin, eine LAG-Managerin sowie Netzwerk Land. Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe gingen in erster Linie in Richtung stärkere strategische Verankerung des Themas Arbeit und Beschäftigung im künftigen ländlichen Entwicklungsprogramm. Einige Beispiele dazu: Die Bereiche KMU und Beschäftigung sollen vor allem in den Leader-Strategien besser berücksichtigt werden. Und: Kooperationen zwischen den EU-Fonds auf dem Gebiet beschäftigungsrelevanter Themen, die für alle drei Fonds von Bedeutung sind (z. B. Green Jobs, demografischer Wandel, lebenslanges Lernen), sollen in den Partnerschaftsvertrag (STRAT.AT 2020) aufgenommen werden. Vor allem zwischen dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) soll transparent abgestimmt werden, in welchen Bereichen sich die beiden Fonds sinnvoll ergänzen bzw. Angebotslücken für Zielgruppen geschlossen werden können.

In der AG Jugend wirkten mit: VertreterInnen des BMLFUW und BMWFJ, der Sozialpartner, der Bundesjugendvertretung, der Landjugend Österreich, der Länder sowie von Leader-Regionen und Netzwerk Land. In drei ganztägigen Workshops im Frühjahr 2012 wurden Maßnahmenvorschläge für das laufende Programm sowie für die künftige ELER-Förderperiode (2014 –2020) entwickelt. Ein Ergebnis der AG Jugend sind fünf regionale Impuls-Foren im Herbst 2012 zum Thema „Regionalentwicklung aus der Sicht von Jugendlichen“, an denen Jugendliche aus elf LeaderRegionen teilnehmen werden, um konkrete Maßnahmen und Projekte für Jugendliche zu entwickeln. Die AG Jugend regt auch an, Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema Jugend für programmverantwortliche Landesstellen durchzuführen und einen Überblick über laufende Jugendprojekte in LeaderRegionen zu erstellen. Die Vorschläge für die künftige Förderperiode zielen vor allem auf eine organisatorische und strategische Verankerung in allen Planungsprozessen (STRAT.AT 2020, LE 2020, Leader-Strategien) ab. Und: Ein Kleinprojektefonds auf regionaler Ebene soll sicherstellen, dass Jugendprojekte rasch und unbürokratisch gefördert werden können. |||

Download der ArbeitsgruppenBerichte: www.netzwerk-land.at/ leader/downloads/ergebnisseder-le-arbeitsgruppen

Luis Fidlschuster und Barbara Pia Hartl, Netzwerk Land, ÖAR-Regionalberatung


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ÖKL-Bauwettbewerb 2012 Der ÖKL-Baupreis Landwirtschaft zeichnet Stallbauten aus, die der österreichischen Landwirtschaft durch besonderen Ideenreichtum neue Perspektiven und wirtschaftliche Chancen eröffnen. Im März 2012 wurde er vom Lebensministerium unter dem Dach von Netzwerk Land zum zweiten Mal ausgeschrieben. Thema für 2012 waren zeitgemäße und wirtschaftliche Mastställe für Rinder, Schweine und Lämmer. Die PreisträgerInnen werden am 30. November 2012 verkündet. Dieter Kreuzhuber

Im Mittelpunkt der Ausschreibung standen – wie auch beim ersten Bauwettbewerb 2010 zum Thema Milchviehställe – die vorbildliche Kombination der Kriterien Wirtschaftlichkeit des Betriebs, Tiergerechtheit des Stalls, Bauqualität (Architektur, umweltschonender Einsatz der Baustoffe) sowie Arbeitswirtschaft und Arbeitsplatzqualität. Die achtköpfige Fachjury, die sich aus Bauberatern der Landwirtschaftskammern, einem Fachmann für Betriebswirtschaft, Tierhaltungsfachleuten der Veterinärmedizinischen Universität Wien und des LFZ Raumberg-Gumpenstein sowie einer Expertin für Arbeitswirtschaft der Universität für Bodenkultur zusammensetzt, hat die 37 eingereichten Projekte anhand der vorgegebenen Kriterien bewertet und 16 Projekte nominiert. Schlussendlich werden daraus vier Betriebe ausgewählt und am 30. November 2012 im Lebensministerium von Bundesminister Niki Berlakovich prämiert werden. Eines ist jetzt schon klar: Die preisgekrönten Stallbauten ermöglichen neue Wege in der Masttierhaltung. Denn viele der eingereichten Bauten und vor allem die nominierten Betriebe zeigen eine Reihe von Varianten und Möglichkeiten in der Tierhaltung auf. Die Beweggründe dafür sind sicherlich eine gewisse Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Angebot an Stallsystemen, welche die Ansprüche der Betriebsführerinnen/-führer sowie verstärkt auch der KonsumentInnen nur begrenzt erfüllen können. Ein breites und vielfältiges Angebot hingegen, das sowohl für konventionelle als auch für biologisch wirtschaftende Betriebe geeignet ist, hilft den einzelnen Betrieben, ihre jeweiligen Vorstellungen besser zu verwirklichen. Bis

vor Kurzem war zum Beispiel in Rinder- und Schweinestallungen noch der Vollspaltenboden verbreitet. Dass in Österreich auch tiergerechtere Alternativen – und diese mit ebenfalls niedrigen Bau- und Betriebskosten – gebaut werden können, beweisen die Ergebnisse dieses Wettbewerbs. Außerdem werden die Vorteile für die Tiergesundheit (und somit auch für die Leistung und Fleischqualität) sichtbar, vor allem wenn die Planung gut durchdacht ist und der Stallbau auf hohem Niveau ausgeführt wurde. Die Ergebnisse des Bauwettbewerbs, Fotos sowie interaktive Panoramafotos, Zeichnungen und Beschreibungen der ausgezeichneten Stallbauten und der nominierten Betriebe werden ab Dezember 2012 auf www.oekl-bauen.at abrufbar sein. Zudem wird auch eine Bildungsbroschüre veröffentlicht werden. ||| Dieter Kreuzhuber, ÖKL – Österreichisches Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung


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Die ENRD-Fokusgruppe zum Thema Wissenstransfer und Innovation Diese im Juni 2012 gegründete Fokusgruppe hat die Aufgabe, den EU-Mitgliedstaaten Empfehlungen auszusprechen, wie sie im nächsten Programmplanungszeitraum Wissenstransfer und Innovation fördern können.

Innovation steht im Mittelpunkt der Strategie Europa 2020 1, die auf ein kluges, nachhaltiges und umfassendes Wachstum abzielt. Im Licht der neu gesetzten strategischen Prioritäten hat der Koordinationsausschuss des Europäischen Netzwerks für ländliche Entwicklung (ENDR) im Juni 2012 eine Fokusgruppe zum Thema Wissenstransfer und Innovation ins Leben gerufen. Die Fokusgruppe setzt sich aus Vertreterinnen/ Vertretern der Regierungen von EU-Mitgliedstaaten, nationaler Netzwerke für ländliche Räume und EU-Organisationen sowie universitären Fachleuten zusammen. Die Fokusgruppe hat die Aufgabe, den Mitgliedstaaten Empfehlungen auszusprechen, wie sie im nächsten Programmplanungszeitraum Wissenstransfer und Innovation fördern können. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des Vorschlags der Europäischen Kommission zur ländlichen Entwicklungspolitik nach 2013 wichtig, die Innovation als zentrales und übergreifendes Ziel definiert. Die Fokusgruppe wird zudem darüber zu informieren versuchen, wie die Europäische Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit 2 über die Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums Wissenstransfer und Innovation effektiv fördern kann, und herauszuarbeiten trachten, welche Rolle die nationalen Netzwerke für ländliche Räume und die Beratungsdienste etwa bei der Gründung von Aktionsgruppen spielen können.

2012 geht es um die Sammlung und Analyse aktueller 1 http://ec.europa.eu/ europe2020/index_de.htm Erfahrungen bei der Umsetzung der Programme zur 2 http://ec.europa.eu/ Entwicklung des ländlichen Raums in der Periode agriculture/eip/index_en.htm 2007–2013, wobei vor allem durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) unterstützte Innovationen und innovationsfördernde Maßnahmen im Vordergrund stehen. In der ersten Phase sollen Folgerungen daraus gezogen werden, was besser und was weniger gut funktioniert hat, und das in erster Linie, aber nicht ausschließlich im Bereich agrarischer Nahrungsmittel. Am Ende der Phase soll ein Zwischenbericht vorgelegt werden, der die Ergebnisse der Arbeit der Fokusgruppe und deren Schlüsse zusammenfasst. Diese ersten Resultate werden im Rahmen des Hauptseminars des Europäischen Netzwerks für ländliche Entwicklung vorgestellt werden, das am 6. und 7. Dezember 2012 in Brüssel stattfinden wird. In der zweiten, im Januar 2013 beginnenden Phase soll die Fokusgruppe detailliertere Vorschläge für eine vermehrte Förderung von Wissenstransfer und Innovation in der nächsten Programmperiode erarbeiten. Die Fokusgruppe wird sich zudem der Analyse weiterer Dimensionen des Themas widmen, die sich aus Anregungen und Bedürfnissen ergeben, die in der ersten Phase von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern der Gruppe eingebracht worden sind. Die Arbeit der Fokusgruppe soll im Juni 2013 abgeschlossen sein. Auf Grundlage der Erkenntnisse der Fokusgruppe getroffene Empfehlungen werden die MitSammlung, Analyse und Vorschläge gliedstaaten bei der Erarbeitung ihrer künftigen ProDie Arbeit der Fokusgruppe wird in zwei Phasen er- gramme für die Entwicklung des ländlichen Raums ENRD Contact Point folgen. In der ersten Phase von Juni bis Dezember unterstützen. |||


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Fit für die Zukunft mit Landjugend-Weiterbildung Bilder von Scheiben einschlagenden, revoltierenden Jugendlichen in anderen Ländern der Welt erscheinen uns fremd, denn Österreichs Nachwuchs – zumindest im ländlichen Raum – strotzt vor positiver Energie. Für die Zukunft enorm wichtig ist jedoch die Erhaltung gezielter Weiterbildungsmöglichkeiten vor Ort, um dem Potenzial der Jugendlichen einen geeigneten Nährboden zu bieten. Es gilt, ihnen die gleichen Chancen zu geben wie ihren Altersgenossen in den Ballungszentren. Diesem Ziel hat sich die Landjugend Österreich verschrieben, wobei der Spaßfaktor für wesentliche Motivation sorgt. Claudia Jung-Leithner Dass junge Menschen im ländlichen Raum ihre Zukunft weitgehend positiv sehen und aktiv mitgestalten wollen, zeigt etwa eine Studie, die im vergangenen Jahr im Rahmen der Tour „Jugend mit Zukunft“ von Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich entstanden ist. Der Politologe Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier bestätigte, dass es keineswegs nur zukunftsverdrossene, uninteressierte Sprösslinge gibt, sondern auch höchst motivierte Gruppen, die aktiv in Politik und Gesellschaft mitmischen wollen und das

auch tun. Diese Jugendlichen sind vielfach in Landjugend-Kreisen zu finden. Dass das so ist, kommt keinesfalls von ungefähr, denn diese Organisation setzt an der Wurzel an: der frühestmöglichen Motivation jeder/s Einzelnen im Sinne des Gemeinwohls und einer umfassenden positiven Persönlichkeitsentwicklung. Die Landjugend Österreich mit ihren 90.000 Mitgliedern versteht sich somit nicht nur als Jugendnetzwerk, sondern vor allem auch als anerkannter Bildungsträger.


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Der Landflucht regional entgegenwirken

ISO-Zertifizierung als Qualitätsnachweis

Die unschätzbare Bedeutung eines solchen Netzwerks und Bildungsträgers für die bäuerliche Jugend wird klar, wenn man bedenkt, dass zwischen Schulausbildung und tatsächlicher Hofübernahme mittlerweile rund 15 Jahre vergehen, in denen viel wertvolles Wissen verloren geht. Die Motivation, dann tatsächlich eine Hofübernahme zu wagen, sinkt. Oftmals erscheint es leichter, stattdessen einen Job in der Stadt anzutreten. Dieser Landflucht wirkt die Landjugend entgegen; sie setzt alles daran, die Hemmschwelle vor einer Hofübernahme durch effektive, regionale Weiterbildungsmaßnahmen zu senken. Der Fokus richtet sich sowohl auf die agrarische als auch auf die persönliche und unternehmerische Weiterentwicklung, da mittlerweile jedes zweite Landjugend-Mitglied keine landwirtschaftlichen Wurzeln mehr hat. Nicht nur in der Stadt haben Könner von Rhetorik, Betriebswirtschaft und Konfliktmanagement die Nase vorn. Summa summarum wird durch die regionalen Maßnahmen das Potenzial des ländlichen Raumes gestärkt, was allen Bereichen zugutekommt. So können etwa Landjugendliche, die an einer European Rally oder am internationalen Austauschprogramm teilgenommen haben, um Rat fragenden TouristInnen besser Auskunft geben − eine Win-winSituation für alle Beteiligten, die auch in Zukunft im Mittelpunkt des Interesses stehen soll.

Außerdem hat die Landjugend Österreich erkannt, dass die Weiterentwicklung des internen Managements und Wissenstransfers zunehmend von Bedeutung ist. Als erste Jugendorganisation Österreichs hat sie sich 2011 einer ISO-Zertifizierung unterzogen und heuer eine Verlängerung erzielt. Diese Schritte waren und sind wichtig, um auch gegenüber öffentlichen Einrichtungen die hohe Professionalität der Arbeit nachzuweisen. Speziell in Zeiten, in denen zunehmend der Sparstift angesetzt wird, ist es von enormer Bedeutung, den großen Nutzen und die Effektivität der durchgeführten Maßnahmen belegen zu können.

Wettbewerbsfieber für Spitzenleistungen

Nicht die Jugend kranksparen! Die Landjugend sieht mit Optimismus in die Zukunft und ist sich sicher, über das richtige Rüstzeug zu verfügen, um ihre Mitglieder fit für die Zukunft zu machen. „Gemeinsam österreichweit etwas bewegen!“ lautet die Devise, so auch bei dem im ganzen Land von rund 290 Ortsgruppen durchgeführten Projektwochenende Anfang September „TatOrt Jugend – gute Taten im Ort“. Wichtig dafür sind jedoch geeignete politische Rahmenbedingungen. Die von mancher Seite kritisierten Agrarbeihilfen sind auch für die ländliche Jugend von großer Bedeutung. Bei ihnen den Rotstift anzusetzen könnte wichtige Bildungsmaßnahmen und somit die kommende Generation und den ländlichen Raum empfindlich treffen. ||| Claudia Jung-Leithner, Geschäftsführerin

Einen großen Schwerpunkt soll auch weiterhin die der Landjugend Österreich professionelle Ausbildung der Landjugend-Funktionärinnen und -Funktionäre darstellen, die mit ihrem Wissen wertvolle MultiplikatorInnen im ländlichen Raum sind. Für zusätzliche Motivation der Mitglieder sorgen zudem Bezirks-, Landes- und Bundesentscheide, die das Wettkampffieber der Jugendlichen anheizen und für Spitzenleistungen sorgen. Dabei werden wichtige Themen wie Lebensmittelqualität, Umweltschutz und Multifunktionalität der Landwirtschaft, aber auch heiße Eisen wie der Bereich Integration behandelt. Die Jugendlichen werden dazu angeregt, Visionen und Ziele zu entwickeln und konsequent zu verfolgen. Wer die Welt verändern, aber auch bewahren will, hat mehr Motivation für die Zukunft.

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ARGE Österreichische Bäuerinnen Das Netzwerk für Bäuerinnen und Landfrauen

Die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit ländlicher Räume ist eine zentrale politische Aufgabe. Obwohl Frauen dabei eine wesentliche Rolle spielen, wurde dem Thema Frauen im ländlichen Raum in Österreich bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. Anna Höllerer und Michaela Glatzl 1972 wurde die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Österreichische Bäuerinnen in der Landwirtschaftskammer Österreich eingerichtet. Mit rund 130.000 Mitgliedern ist sie Österreichs größte überparteiliche Frauenorganisation im ländlichen Raum. Sie verfügt über eine durchgängige Organisationsstruktur von der Orts- bis zur nationalen Ebene. Die bundesweite Koordinierung erfolgt über die Geschäftsführung der ARGE Österreichische Bäuerinnen in der Landwirtschaftskammer Österreich. Die moderne Bäuerin versteht sich als berufstätige Frau und Unternehmerin. Neben ihren vielfältigen Aufgaben am Hof, im Betrieb und im Haus erschließen die Bäuerinnen zunehmend neue Einkommensquellen. Gerade dieses unternehmerische Potenzial der Frauen in der Land- und Forstwirtschaft sichert Arbeitsplätze und stärkt die Wirtschaft im ländlichen Raum.

Zu wenige Frauen in den Gremien Obwohl in Österreich fast 40 % der landwirtschaftlichen Betriebe von Frauen geführt werden, sind nur wenige Bäuerinnen in den Spitzenpositionen der entscheidenden Gremien vertreten. Da eine moderne, effiziente Agrarpolitik und die Arbeit im Unternehmen Bauernhof die Sicht der Frauen unbedingt brauchen, muss sich der Frauenanteil in den Entscheidungsgremien dringend erhöhen. Auf Initiative der ARGE Österreichische Bäuerinnen konnte im Rahmen des Programms „Ländliche Entwicklung 2007–2013“ ein Bildungsprojekt entwickelt werden, das seit dem Jahr 2009 erfolgreich umgesetzt wird. Mit dem Projekt ZAM (Zukunftsorientierte agrarwirtschaftliche Motivation) wurde speziell für Bäuerinnen ein wichtiger Schritt in Richtung unternehmerische, agrarwirtschaftliche und agrarpolitische Qualifizierung gesetzt. Ziele des Bildungsprojekts sind die Förderung unternehmerischer Kompetenz sowie die Qualifikation und Motivation von Bäuerinnen zur verstärkten Mitarbeit in agrarischen und kommunalen Gremien, Verbänden und Vereinen. Ein wichtiges Anliegen der Interessenvertretung der Bäuerinnen ist die öffentlichkeitswirksame Positionierung der Leistungen der österreichischen Landwirtschaft im Bereich der Lebensmittelproduktion, der Umwelt- und Landschaftspflege sowie des kulturellen und sozialen Gemeinschaftslebens in den österreichischen Gemeinden. Mit zahlreichen Veranstaltungen und flächendeckenden Aktionen werden alljährlich Verbraucherinnen und Verbraucher über die Wertigkeit der Lebensmittel und über die für die Gesellschaft unverzichtbaren Leistungen der österreichischen Bäuerinnen und Bauern informiert. Die Bäuerinnen werden die Zukunft der österreichischen Landwirtschaft und der ländlichen Räume entscheidend gestalten. Nicht nur, weil ihre Innovationskraft für ihre Berufsgruppe unverzichtbar ist, sondern weil sie wissen, dass die Lebensqualität für die landwirtschaftlichen Betriebe und für den ländlichen Raum ein überaus wichtiger Erfolgsfaktor ist. |||

Anna Höllerer, Vorsitzende der ARGE Österreichische Bäuerinnen in der Landwirtschaftskammer Österreich und Abgeordnete zum Nationalrat, ist Landwirtin und Winzerin in Engabrunn in Niederösterreich. Für die Anliegen der Bäuerinnen engagiert sie sich bereits seit 1989, zuerst als Bezirksbäuerin, von 2001 bis 2008 als Landesbäuerin von Niederösterreich und seit 2007 als Bundesbäuerin.

Michaela Glatzl studierte Landwirtschaft in Wien und Bonn und ist seit Anfang 2011 Geschäftsführerin der ARGE Österreichische Bäuerinnen. Davor war sie zehn Jahre Beraterin für Pflanzenbau und Betriebswirtschaft in der Bezirksbauernkammer Neunkirchen. www.baeuerinnen.at


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Die Territorialen Beschäftigungspakte Durch die Vernetzung relevanter Akteurinnen und Akteure werden innovative Ideen für eine verbesserte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gefördert. Berenike Ecker

Rahmen neue, innovative Ideen erprobt und getestet werden: zum Beispiel neue Beratungskonzepte für Jugendliche am Übergang von der Schule ins Berufsleben oder die stufenweise Heranführung von arbeitsmarktfernen Personen an Beschäftigung, die mit vielfältigen sozialen und/oder gesundheitlichen Problemen konfrontiert sind. Die Konzeption solcher auf lokaler Ebene umgesetzter Modellprojekte geht ganz klar auf die in der jeweiligen Region bestehenden Problemlagen ein. So werden im Projekt A_LAIFE (www.pakte.at/teps/sp1/7/current) im Bezirk Landeck ArbeitnehmerInnen, die älter als vierzig sind bzw. über zehn Jahre im Berufsleben stehen, und Betriebe dahingehend beraten, Herausforderungen des Arbeitsalltags langfristig zu meistern. Ziel ist die Sichtbarmachung und Wertschätzung der Qualitäten und Kompetenzen älterer ArbeitnehmerInnen. Die in den Beratungen erarbeiteten und in „Regionsergebnissen“ zusammengeführten Outputs werden regionalen Stakeholderinnen und Stakeholdern zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Die Arbeit der TEPs wird von einer bundesweiten Koordinationsstelle (Kooo) unterstützt. Sie begleitet die TEPs bei unterschiedlichen thematischen und strukturellen Vorhaben sowie bei der qualitativen (Weiter-)Entwicklung der Partnerschaftsstrukturen und Maßnahmen, die von den Pakten gesetzt werden. Die Aufgaben und Themenfelder der TEPs richten sich nach regionalen Bedarfen. Die Strukturen (TEP-Koordinationsstellen) sowie die bundesweite Koordinationsstelle werden vom ESF und vom BMASK finanziert. Diese Form der Abstimmung und Kooperation in den Bundesländern sowie zwischen BundesModellprojekte für Innovationen und Landesebene hat sich über die Jahre sehr gut Zudem setzen die TEPs Modellprojekte um, in deren entwickelt und erfolgreich etabliert. ||| Die österreichische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sieht sich mit Herausforderungen konfrontiert, die nicht von einzelnen Institutionen im Alleingang gelöst werden können. Um Probleme wie die Konzentration von Arbeitslosigkeit auf bestimmte Personengruppen (Junge, Frauen, Ältere, Bildungsferne etc.) oder die zunehmende Diskrepanz zwischen nachgefragten und verfügbaren Arbeitskräften auf Dauer zu lösen, muss Beschäftigungspolitik in allen Politikfeldern mitgedacht werden. Dieser Aufgabe widmen sich die Territorialen Beschäftigungspakte (TEPs), indem sie relevante Akteurinnen und Akteure miteinander vernetzen. Aufgrund der erfolgreichen pilothaften Erprobung von TEPs in vier Bundesländern wurden die Pakte auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) in allen neun Bundesländern eingerichtet. Bei den TEPs handelt es sich um vertragliche Vereinbarungen, die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern (Ländern, Arbeitsmarktservice, Sozialpartnern, Landesgeschäftsstellen des Bundessozialamtes, NGOs, Bildungseinrichtungen etc.) etablieren. Diese neue Form der Zusammenarbeit soll zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage in Ländern und Regionen beitragen, indem gemeinsam Strategien erarbeitet werden, welche die tatsächlichen Probleme, Anliegen und Bedürfnisse aller Paktpartnerinnen und -partner berücksichtigen und Lösungen anbieten. Diese Strategien werden in Arbeitsprogrammen verbindlich festgeschrieben.

Weitere Informationen: www.pakte.at

Berenike Ecker, Zentrum für Soziale Innovation


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Leader-Paradies Tiroler Unterland Die Bevölkerung der Leader-Regionen „Hohe Salve“ und „Mittleres Unterinntal“ engagiert sich für innovative Projekte und bildet kreative Netzwerke. Teresa Arrieta

kochen und spielen gemeinsam Theater. „Sie erleben die Welt aus der Perspektive von Menschen mit einem Handicap, das öffnet ihnen die Augen“, erklärt Maren Krings, Künstlerin und Initiatorin des Sensibilisierungsprojekts. „Behinderte Menschen zeigen ihre Gefühle oft viel ungehemmter. Das ist für viele Jugendliche neu und befreiend.“ Das Projekt hat der Region zu internationaler Bekanntheit verholfen; aufgrund seiner Innovationskraft zieht es Interessierte Hohe Salve: Wo Tradition zählt Die Leader-Region Hohe Salve besteht aus zehn Ge- über die Landesgrenze hinaus an. meinden in den Bezirken Kitzbühel und Kufstein: ein bäuerlich dominiertes Gebiet, rund 31.000 Einwohne- Regionale Esskultur rInnen, eine der größten Heumilchregionen Öster- Innovativ ist auch die von Leader geförderte „Brixenreichs. Am Wochenende kann man die bäuerlichen taler KochArt“: eine Vereinigung von Wirtinnen und Familien bei der Heuernte beobachten. Die alpine Wirten, die Produkte von heimischen Bäuerinnen und Landschaft rund um den Wilden Kaiser und die Kitz- Bauern veredelt und auf der Speisekarte hervorhebt. büheler Alpen machen das Gebiet ganzjährig zu einer Etwa knusprige Stelze vom Almenschwein mit Steingefragten Ferienregion. pilzknödeln. Die Schweinehaltung auf den Tiroler Leader ist hier beliebt. „Die Zusammenarbeit Almen hat Tradition. Die Schweine erhalten als Futter funktioniert hervorragend“, freut sich Leader-Mana- hochwertige Molke von Tiroler Almkühen, das macht gerin Barbara Loferer-Lainer. Besonders erfolgreich das Fleisch besonders zart und aromatisch. ist das seit 2008 jährlich stattfindende „We art − be Vereinsobmann Kurt Tropper, Tourismusfachpart“. Behinderte und nichtbehinderte Jugendliche mann und begeisterter Hobbykoch, hat „KochArt“ vor nehmen eine Woche lang an Kunst- und Sportaktivi- vier Jahren initiiert. „Wir haben nicht geahnt, was wir täten teil. Die nicht bewegungseingeschränkten da lostreten“, sagt er. In der Region hat eine RückbeSchülerInnen setzen sich in einen Rollstuhl und spie- sinnung auf traditionelles Kochen stattgefunden, auch len Fußball mit „echten“ Rollstuhlfahrern, sie malen, in speziellen Workshops. „Wir übersetzen die Rezepte unserer Großeltern in die heutige Zeit“, so Tropper. Sein Lieblingsrezept sind „Rinderbackerln“ – Rinderwangen, geschmort in feiner Sauce. „Besonders exquisit mit Pastinakencreme und Gemüse.“ Eine wilde bergige Alpenlandschaft ist dieser Teil Tirols, geprägt von den Nördlichen Kalkalpen im Norden, dem Inntal von Münster bis Kirchbichl und von den Kitzbüheler Alpen im Süden. Die beiden LeaderRegionen „Mittleres Unterinntal“ und „Hohe Salve“ haben die Berge gemeinsam, ansonsten sind sie gegensätzlich.

Mittleres Unterinntal: ein Schmelztiegel Während die Leader-Region Hohe Salve ländlich und traditionsgeprägt ist, präsentiert sich das benachbarte Mittlere Unterinntal weltoffen und industriefreundlich. Gezählt werden 53 Nationen, 16 Gemeinden und rund 50.000 EinwohnerInnen. Das Gebiet erstreckt sich von Münster im Westen bis Kirchbichl im Osten und liegt im Bezirk Kufstein. Wachstumsdynamik wird großgeschrieben, das Wirtschaftszentrum


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ist Wörgl. Die Pharmafirma Sandoz, Standort Kundl, produziert nicht nur Medikamente, sondern arbeitet auch führend in Forschung und Entwicklung. In Kramsach befindet sich die einzige Glasfachschule Österreichs. Im Kontrast dazu steht das ländliche Umland.

Ein Hauch von Costa Rica Die Herausforderung, Menschen unterschiedlicher Kulturen in die Gesellschaft zu integrieren, spiegelt das Leader-Buchprojekt „Tirol − Heimat und Fremde. 44 Menschen, 44 Nationen, 44 Lebensgeschichten“ wider. Fernsehjournalistin Adriane Gamper hat drei Jahre lang BewohnerInnen des Mittleren Unterinntals mit ausländischen Wurzeln interviewt, Fotograf Hannes Dabernig aussagekräftige Porträts gemacht. Die Personen stammen aus so entfernten Ländern wie Costa Rica, Papua-Neuguinea und Japan. Heute sind sie alle TirolerInnen, die sich hier mehr oder auch weniger willkommen fühlen. „Sie haben während der Interviews gelacht und geweint“, erzählt Adriane Gamper. Manche warten noch immer auf ihre Aufenthaltserlaubnis. Gemeinsames Sehnsuchtsthema sind die Speisen aus der Heimat, weswegen das im Herbst 2012 erschienene Buch auch zahlreiche Kochrezepte enthält. Adriane Gamper: „Die Schwedin kann ohne gesalzene Butter nicht leben, und meine japanische Interviewpartnerin organisiert mit riesigem Aufwand ein der Tradition ihrer Heimat entsprechendes Frühstück mit Originalzutaten.“ Gamper freut sich, dass das Buch, das in den Gemeinden aufliegt und im freien Handel erhältlich ist, die erstaunliche Vielfalt des „Schmelztiegels Mittleres Unterinntal“ sichtbar macht.

Wissenstransfer und Sport kombinieren Solche „Soft-Projekte“ aus dem Sozial- und Kulturbereich sind in Tirol besonders erfolgreich, auch wenn man den Output nicht in Zahlen messen kann. „Dafür verbessert sich die Kommunikation in der Bevölkerung und somit auch die Lebensqualität“, weiß Regionalmanagerin Barbara Loferer-Lainer. Netzwerken ist essenziell, viele Projekte gelingen regionenübergreifend. Im „Netzwerk Naturraum“ kooperieren die Jägerschaft, FörsterInnen, Bergrettung, Gemeinden und Tourismusverbände beim Aufstellen von Hinweistafeln für ein rücksichtsvolles Verhalten in der Natur sowie Checkpoints für Lawinenpiepsgeräte.

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Die Projekte gehören der Region Im Gespräch mit Barbara Loferer-Lainer, LeaderManagerin in der Region Mittleres Unterinntal Frau Loferer-Lainer, wie stellt sich der demografische Wandel in Tirol dar? Die Landflucht betrifft vor allem abgelegene Talschaften. Die Busse fahren gewisse Routen nicht mehr, das verstärkt den Trend. Es kommt aber zu neuen Formen der Nachbarschaftshilfe. Eine alte Dame zum Beispiel, die auf 1700 m lebt, wird jetzt zweimal pro Woche von ihren Nachbarn ins Tal gebracht. Was macht für Sie eine gute LeaderManagerin aus? Die Projekte gehören der Region. Wir ManagerInnen sollten zurückhaltend sein. Je mehr wir uns aus den Prozessen heraushalten, desto eher ist die Nachhaltigkeit der Projekte gesichert, weil sie von den Bürgerinnen und Bürgern getragen werden. Der Blick über den Tellerrand ist Ihnen auch wichtig. Wir besuchen jedes Jahr andere Regionen und bekommen so neue Impulse. Ich denke da etwa an das Projekt LINC. Eine nie nachlassende Befreiung aus Denk- und Verhaltensmustern ist essenziell, um den ländlichen Raum in die Zukunft zu führen. Welche Verbesserungen für das Leader-Programm wünschen Sie sich? Ich wünsche mir eine Entpolitisierung und das Zulassen wirklicher Bottom-up-Prozesse sowie die Stärkung von Soft-Projekten im Sozial- und Kulturbereich. www.rm-tirol.at

Mit dem transnationalen Vorzeigeprojekt LINC wurde Leader-Erfolgsgeschichte geschrieben. Zusammen mit Deutschland, Estland und Finnland wird jedes Jahr ein Erfahrungsaustausch in Kombination mit Sport für Leader-Regionen aus ganz Europa organisiert. Wissenstransfer passiert hier nicht nur in Seminarräumen, sondern auch im Rahmen gemeinsamer Freizeit- Teresa Arrieta, freie Journaaktivitäten. Fazit von Barbara Loferer-Lainer: „Tirol ist listin, Ö1-Sendungsgestalterin und Filmemacherin ein wahres Leader-Paradies.“ |||


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Leader-Region Zirbenland

Abwanderung erfolgreich bekämpfen Die Obersteiermark galt als Krisenregion, heute herrscht hier Aufbruchsstimmung. Teresa Arrieta

Beschaulichkeit, Ruhe und eine malerisch grüne Landschaft, die fernab des Massentourismus zum Wandern einlädt – das gehört ebenso zum Zirbenland wie die Ballungszentren Judenburg und Zeltweg. Gleich angrenzend liegt der Red Bull Ring in Spielberg, ein Eldorado für Motorsportbegeisterte samt Hotels und diversen Action-Sport-Events. Das Zirbenland ist Teil der westlichen Obersteiermark und erstreckt sich über die politischen Bezirke Murtal (ehemals Judenburg und Knittelfeld) und Murau. Es umfasst 12 Gemeinden mit rund 30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Schwerpunkte der Regionalentwicklung sind Holzinnovation sowie Forschung und Entwicklung. Touristische Zielgruppe ist die Generation 50 +. Im Zirbenland zirbt es außerdem gehörig: Tischler kreieren modernes Möbeldesign aus Zirbenholz, man nascht Schokokugeln mit Zirbentrüffelcreme, man schläft in Zirbenholzbetten, weil diese einen geruhsameren Schlaf garantieren, man bezahlt mit der Regionalwährung „Zirbentaler“ und hält sich mit der Regionalzeitung „Zirb Zirb“ auf dem Laufenden. „Ich darf dort arbeiten, wo andere Urlaub machen“, zeigt sich Leader-Manager Josef Bärnthaler von seiner Region begeistert. Er hebt die Aufbruchsstimmung in dieser vormaligen Krisenregion hervor. Judenburg und Zeltweg waren vor dreißig Jahren die Zentren der verstaatlichten Stahlindustrie. In der Zwischenzeit wurde ein Strukturwandel hin zu innovativen Hightechbetrieben mit mehreren Weltmarktführern (voestalpine, IBS, Stahl Judenburg etc.) vollzogen. „Wir genießen die Schönheit der Natur und freuen uns über die neuen vielfältigen Jobchancen“, so Josef Bärnthaler.

Stimmung für die Wirtschaft machen Das ist auch dem von Leader geförderten Entwicklungsprojekt „Kraft. Das Murtal“ zu verdanken, in dem über sechzig führende Betriebe die Potenziale ihrer Region aufzeigen. Dazu zählt der Aufbau eines zukunftsfähigen Image, die Steigerung der Attraktivität der Arbeitgeber, neue Aus- und Weiterbildungsangebote für Lehrlinge sowie unternehmerische CSRMaßnahmen (Corporate Social Responsibility). „Wir beginnen bereits im Kindergarten und in den Schulen damit, den Kindern unsere Betriebe näherzubringen“, erklärt Projektsprecher Heinz Bartelmuss. Die obersteirischen Betriebe leiden unter dem für Österreich typischen Facharbeitermangel. Doch die auf der Homepage geschaffene Jobbörse wird gut angenommen, es gibt nun mehr Lehrlingsbewerbungen, die Initiative stellt eine effiziente Maßnahme gegen die Abwanderung dar. Bartelmuss ist selbst Unternehmer. „Früher kannte ich nur wenige Firmenleiter persönlich“, erzählt er. „Heute herrscht ein reger Gedankenaustausch. Wir kämpfen für eine bessere Infrastruktur und setzen uns gemeinsam für die Zukunft unserer Region ein.“

Holzinnovationen und Arbeitsplätze Während „Kraft. Das Murtal“ Jobs in Aussicht stellt


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und Stimmung für die Region macht, setzt ein weiteres Leader-Projekt diese Versprechen um: Das 2001 erbaute „Holzinnovationszentrum“ (HIZ) in Zeltweg hat 250 Arbeitsplätze in zwölf neu angesiedelten Betrieben geschaffen und gibt wichtige Impulse im Bereich Forschung und Entwicklung; es ist auch Träger mehrerer Leader-Projekte. Auf 40ha vermietet das HIZ Büros und Produktionsstätten für holzverarbeitende Firmen. Im Engineering Center Wood (ECW) kommt ein ultramoderner Fertigungsroboter zum Einsatz, das angeschlossene Seminarzentrum fungiert als Denkwerkstatt. Das HIZ kooperiert mit Universitäten und Designern und trägt dazu bei, dass auch im Hightechbereich die Wertschöpfung in der Region bleibt. Die 2007 vom HIZ über Leader organisierte Zirbenausstellung hat die Zirbe als Leitprodukt der Regionalentwicklung etabliert. Ein aromatischer Holzduft durchzieht den harmonisch in die Landschaft eingebetteten Gebäudekomplex. Geschäftsführerin Barbara Reichhold liebt ihren Arbeitsplatz: „Holz ist Teil der obersteirischen Kultur. Im HIZ kombinieren wir Tradition, Innovation und Vision und gestalten ein regionales Holznetzwerk am Puls der Zeit.“

Die eigene Region kennenlernen Einen weiteren Baustein im Kampf gegen die Abwanderung stellt die Zirbenlandakademie dar, die im Rahmen der Leader-Entwicklungsstrategie „Lernende Regionen“ ins Leben gerufen wurde. Diese an verschiedenen Orten stattfindende Weiterbildungsinitiative erschließt vergessenes Wissen über die eigene Region. Seminare zu Siedlungsgeschichte und Kochtradition, Ortsführungen und Themenwanderungen verwurzeln die Bevölkerung stärker mit ihrer Heimat − das ist auch für Tourismusprofis wichtig. „Bei uns werden die Menschen zu Botschaftern der Region ausgebildet“, erklärt Akademieleiterin Christine Bärnthaler. Ein innovatives Angebot richtet sich an AkademikerInnen: Es wurde eine Diplomarbeitenbörse für Studierende geschaffen, die regionale Fragen zu den Themen Abwanderung, Zirbe usw. aufgreift. „So fördern wir die Verbundenheit obersteirischer UniabsolventInnen mit ihrer Region und gewinnen neue Im- Teresa Arrieta, freie Journapulse für die Entfaltung des Zirbenlandes“, erklärt Re- listin, Ö1-Sendungsgestalterin und Filmemacherin gionalmanager Josef Bärnthaler. |||

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Konkrete Perspektiven schaffen Im Gespräch mit Josef Bärnthaler, Leader-Manager in der Region Zirbenland Herr Bärnthaler, wie definieren Sie Ihre Aufgabe als Leader-Manager? Man muss ein guter Übersetzer sein. Auf der einen Seite stehen die Ideen und Bedürfnisse der Bevölkerung, auf der anderen Seite die bürokratischen Anforderungen der Förderprogramme. Ich bin der Vermittler zwischen beiden Polen. Ihre Region galt bis vor Kurzem als Krisenregion und leidet unter der Abwanderung. Um diesem Trend entgegenzuwirken, haben Sie ein erfolgreiches Bündel von Maßnahmen auch für Unternehmen entwickelt. Man muss den Menschen konkrete Perspektiven bieten, um sie in der Region zu halten! Mit bloßen Marketingkonzepten werden keine Betriebsansiedlungen herbeigeführt. Wir haben zuerst überlegt, was die Region wirklich braucht, und sind dann auf Betriebe und Technologieanbieter zugegangen, um Entwicklungsprojekte zu definieren. Es muss für sie ein Nutzen erkennbar sein. Wie holen Sie die Jugend und die AkademikerInnen in die Region zurück? Es heißt immer, man soll die Frauen und die Jugend in die Regionalentwicklung mit einbeziehen. Doch die Entscheidungsgremien werden auch heute noch von älteren Männern dominiert. Das muss sich ändern. Außerdem kooperieren wir mit einem Diplomanden der Universität Graz. Er führt Befragungen mit Abgewanderten durch: Unter welchen Voraussetzungen würdest du in die Region zurückkehren? Die Antworten sind sehr aufschlussreich. Daraus lassen sich zielführendere Maßnahmen gegen die Abwanderung ableiten, weil direkt auf die Bedürfnisse und Sichtweisen der Jungen eingegangen werden kann.

www.zirbenland.at


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ausblicke 2 |12 International

Vernetzung der ländlichen Entwicklung in Frankreich In Frankreich sorgt eine ausdifferenzierte Struktur für Vernetzung und Erfahrungsaustausch im Bereich der ländlichen Entwicklung. Das nationale Netzwerk wird von 26 regionalen Netzwerken in seiner Arbeit unterstützt. Die Förderung transnationaler Kooperationen hat in Frankreich einen höheren Stellenwert als in den meisten anderen Mitgliedstaaten. Julia Manaquin

Das französische Netzwerk für ländliche Entwicklung liegt in der Verantwortung zweier Behörden: des Ministeriums für Landwirtschaft, Agrarindustrie und Forstwirtschaft und des interministeriellen Amts für Regionalentwicklung und Raumplanung (DATAR). Unterstützt wird das Management von einer Generalversammlung und einem von dieser gewählten permanenten Ausschuss. In der Generalversammlung und im permanenten Ausschuss, der für alle grundlegenden strategischen Entscheidungen zuständig ist, wirken Akteurinnen/ Akteure aus folgenden Bereichen der ländlichen Entwicklung mit: Land- und Forstwirtschaft, Agrarindustrie, Umwelt, lokale Behörden, Bildung und Forschung, regionale ländliche Netzwerke. Grundsätzlich

sollen alle Akteurinnen/Akteure der ländlichen Entwicklung im nationalen Netzwerk repräsentiert sein.

Vernetzung national, regional, europäisch Ein Spezifikum des französischen Netzwerks ist die Verbindung der nationalen mit der regionalen Vernetzung. Auf nationaler Ebene wurden thematische Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit Wissensgenerierung und -transfer in Bereichen wie Attraktivität von Regionen, Management ländlicher Regionen, Dienstleistungen in ländlichen Regionen, Biomasse und Energie, Entrepreneurship, Lebensmittel und Landwirtschaft sowie Zuwanderung und Ansiedlungspolitik beschäftigen. In diesen Arbeitsgruppen


International ausblicke 2 |12

wirken immer ExpertInnen unterschiedlicher Organisationen mit. Ein wesentliches Instrument der Wissensgenerierung über die angesprochenen Themen ist die Ausschreibung von Studien, deren Ergebnisse in die praktische Arbeit auf lokaler und regionaler Ebene einfließen sollen. Auf regionaler Ebene wurden 26 regionale Netzwerke aufgebaut, die von einem Vertreter der nationalen Verwaltung und des Regionalrates geleitet werden. Diese regionalen Netzwerke sind das Verbindungsglied zwischen Aktivitäten auf regionaler und lokaler und auf nationaler Ebene (z.B. der nationalen Arbeitsgruppen). Das nationale Netzwerk Frankreichs kooperiert bei der Verbreitung von Informationen und Publikationen eng mit allen 26 regionalen Netzwerken. Jedes dieser Netzwerke verfügt über eine eigene Seite auf der nationalen Webpage, um über seine Aktivitäten und Projekte zu informieren. Eine spezielle Form der Kooperation zwischen regionaler und nationaler Ebene ist der Projekterfahrungsaustausch nach konkreten nationalen Ausschreibungen zu bestimmten Themen. 2012 haben sich zum Beispiel vier regionale Netzwerke an einem Austausch zu folgenden Themen beteiligt: Management ländlicher Räume und Landwirtschaft, kooperative Lebensmittel-Nahversorgung und lokale Versorgungsketten, Unterstützung für die Niederlassung neuer Landwirtinnen und -wirte. Jeder thematische Erfahrungsaustausch umfasste drei Stufen: Exkursion, Telefonkonferenzen und ein Abschlussseminar, in dem Ergebnisse und Best-Practice-Beispiele diskutiert wurden. Das französische Netzwerk wirkt auch am europäischen Erfahrungsaustausch mit, vor allem in der Arbeitsgruppe des European Network for Rural Development (ENRD) zum Thema „Lokale LebensmittelVersorgungsketten und lokale Märkte“. In diesem Zusammenhang koordiniert das französische Netzwerk eine Studie über Sichtweisen und Erfahrungen zu diesem Thema in Europa.

Nationale Netzwerkservicestelle Die Umsetzung der Aktivitäten auf nationaler Ebene und die Kooperation mit den regionalen Netzwerken werden von einer nationalen Netzwerkservicestelle unterstützt, die nach einer Ausschreibung eingerichtet wurde. Die Servicestelle wird von einem Konsor-

tium unter der Leitung des Beratungsunternehmens Weitere Informationen: RCT betrieben, das bereits den Vernetzungsprozess www.reseaurural.fr im Rahmen von LEADER + betreut hat. Hauptaufgaben der Servicestelle sind die Moderation der nationalen thematischen Arbeitsgruppen, die Organisation von Konferenzen, Seminaren und Workshops auf nationaler und regionaler Ebene, Informations- und Erfahrungsaustausch sowie vor allem die Unterstützung von Leader-Gruppen bei nationalen und transnationalen Kooperationsprojekten.

Transnationale Kooperation Die transnationale Zusammenarbeit der 222 LeaderRegionen bildet einen wichtigen Schwerpunkt in der Umsetzung von Leader in Frankreich. Den LAGs und regionalen Netzwerken stehen daher drei auf transnationale Kooperation spezialisierte ExpertInnen der nationalen Netzwerkservicestelle zur Verfügung. Zudem wird die Vorbereitung eines transnationalen Kooperationsprojekts mit bis zu 6000 Euro unterstützt. Damit können zum Beispiel Reise- und Übersetzungskosten sowie die Durchführung von Meetings mit potenziellen Partnern finanziert werden. Promotet wurde das Thema transnationale Kooperation auch mit einer internationalen Kooperationsbörse und mit internationalen Fachtagungen, etwa zum Thema „Leader in Stadtumlandgebieten“. Bis dato wurden in Frankreich 98 transnationale Kooperationsprojekte genehmigt.

Zukunftsthemen Das französische Netzwerk und die regionalen Netzwerke für ländliche Entwicklung setzen sich auch mit der Europa-2020-Strategie und der Zukunft der ländlichen Entwicklung auseinander. Die regionalen Netzwerke organisieren zum Beispiel regionale Workshops, um konkrete Vorschläge für LE 14−20 zu erarbeiten. Die Zukunft von Leader stand im Mittelpunkt einer internationalen Konferenz, die das französische Netzwerk im September 2012 in Kooperation mit der European Leader Association for Rural Development (ELARD) durchgeführt hat. Zudem ist eine Selbstevaluierung des nationalen Netzwerks und der regionalen Netzwerke vorgesehen, um Anregungen für die künftige Ausgestaltung Julia Manaquin, des LE-Netzwerks für die Periode 2014 –2020 zu be- Französisches Netzwerk für ländliche Entwicklung kommen. |||

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ausblicke 2 |12 Internationale Termine | Leserbrief

Internationale Termine Deutschland Symposium: Lebendige Vielfalt in der Landwirtschaft − Chance für den ländlichen Raum 22. November 2012 > Evangelische Akademie Bad Boll, Baden-Württemberg Wie kann es gelingen, die landwirtschaftliche Vielfalt auf den Höfen, in den Dörfern und Gärten sowie im kulinarischen Bereich zu erhalten? Welche Möglichkeiten bietet Vielfalt für die Regionalvermarktung, für den Tourismus, für die Ernährung, für die Landwirtschaft? Wo gibt es schon erfolgreiche Ansätze? Wo Handlungsbedarf? Welche Unterstützung ist vonnöten? Dieses Symposium möchte anhand praxisnaher Beispiele zeigen, wie die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Agrobiodiversität mit dem Anliegen der Stärkung des ländlichen Raumes eine für alle Seiten vorteilhafte Situation ergeben können. Veranstalter sind das Informations- und Koordinationszentrum für Biologische Vielfalt (IBV) der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und der LandFrauenverband Württemberg-Baden. www.genres.de/service/ibv-symposien/ symposium-2012

Leserbrief zu „Bildung und Beratung in der Landwirtschaft“, „ausblicke 1.12“

Leider ist bei der Darstellung der doch beachtlichen Breite des Lernens im ländlichen Raum vernachlässigt worden, den Wert und die Bedeutung der land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildung auch nur ansatzweise darzustellen. Das geht einher mit der Tendenz, dass die landwirtschaftliche Facharbeiterausbildung in den letzten Jahren immer mehr „verschult“ wurde und immer weniger unter betrieblichen Praxisbedingungen stattfindet. Dabei fordert der Europäische Qualifikationsrahmen unternehmens- und ausführungsorientierte Kompetenzen in der Berufsausbildung. „Macher und Meister braucht das Land“, das heißt, es braucht HofübernehmerInnen mit einer guten landwirtschaftlichen Berufsausbildung und unternehmerischer Kompetenz, die eigene Konzepte für ihren Betrieb entwickeln und Impulse für die Region setzen. Aber zumindest die Betroffenen erkennen Deutschland den Wert einer Berufsausbildung mit unternehmeriNah und gut versorgt schen und handlungsorientierten Schlüsselqua4.−5. Dezember 2012 lifikationen, das Interesse an Facharbeiter- und Die Deutsche Vernetzungsstelle möchte die Rolle Meisterausbildungen steigt seit Jahren, und das der Vermarkter ins Zentrum rücken, wobei es vor trotz sinkender Betriebszahlen. In diesem Sinne allem um die Versorgung in Dörfern und einwohner- brauchen wir also eine gute Fach(arbeiter) schwachen Regionen geht. Zielgruppe sind nicht ausbildung und eine noch bessere Meisternur Einzelhändler, sondern auch Kommunen, die ausbildung, in der nicht nur Fachwissen, sondern sich Gedanken über die Nahversorgung machen. auch die Fähigkeit vermittelt wird, dieses Wissen Thema sind verschiedene Nahversorgungskonzepte auf die eigene Situation anzuwenden und Lösungswie privatwirtschaftlich, genossenschaftlich oder strategien und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. bürgerschaftlich geführte Läden, stationäre und Daran arbeiten wir in den Lehrlings- und Fachmobile Versorgung sowie Konzepte, die einen ausbildungsstellen, und wir würden uns wünHandels- und Dienstleistungsmix vorsehen. Auch schen, dass in Berichten und Diskussionen zur die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern agrarischen Bildung auch die Berufsausbildung sowie die Qualifizierung der HändlerInnen werden ihrer Bedeutung entsprechend dargestellt wird. Gegenstand des Workshops sein. www.netzwerk-laendlicher-raum.de/service/ DI Josef Resch, Land- und forstwirtschaftliche Lehrlings- und Fachausbildungsstelle NÖ veranstaltungen/nahversorgung/


Literatur- und Webtipps ausblicke 2 |12

Literaturtipps

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Chance! Demographischer Wandel vor Ort: Ideen, Konzepte, Beispiele In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Landgesellschaften, dem Deutschen Städteund Gemeindebund und dem Deutschen Landkreistag hat die Deutsche Vernetzungsstelle (DVS) Ländliche Räume diese Sonderpublikation herausgegeben. Die Broschüre ist als Einstieg ins Thema und als praktische Hilfe gedacht. Veranschaulicht werden die Herausforderungen verschiedener Regionen Deutschlands durch Überalterung oder Abwanderung. Außerdem werden Instrumente für den Umgang mit dem Wandel vorgestellt, die aktuell erprobt oder angewendet werden. Die kostenlose Publikation ist unter folgendem Link erhältlich: www.netzwerk-laendlicher-raum.de/service/bestellung/sonstige-publikationen. Andrew Copus und Lisa Hörnström (Hg.) The New Rural Europe: Towards Rural Cohesion Policy Nordregio Report 2011:1, 2011, ISBN 978-91-89332-77-5 Das ländliche Europa hat zusehends weniger mit den Vorstellungen des 20. Jahrhunderts zu tun. Die Regionalpolitik reagiert auf diesen Wandel jedoch nur langsam. Es bedarf dringend eines neuen Ansatzes, der den aktuellen Gegebenheiten und Belangen besser entspricht und der im Nordregio-Bericht als „regionale Kohäsionspolitik“ bezeichnet wird. Der Nordregio-Bericht 2011:1, The New Rural Europe: Towards Rural Cohesion Policy, beruht auf den Erkenntnissen des EDORA-Projekts (European Development Opportunities in Rural Areas). Das übergreifende Ziel des Projekts war die Untersuchung des Differenzierungsprozesses in ländlichen Regionen. Damit sollte ein besseres Verständnis dafür geschaffen werden, wie in der EU nationale Politik und regionale Maßnahmen es ländlichen Regionen ermöglichen können, so auf ihr spezifisches Potenzial aufzubauen, dass ein „kluges, nachhaltiges und umfassendes Wachstum“ erzielt werden kann. Nähere Informationen und Download unter: www.nordregio.se/en/Publications/ Publications-2011/ The-New-Rural-Europe-Towards-Rural-Cohesion-Policy Dominik Dittrich, Peter Jordan, Robert Musil, Peter A. Rumpolt (Hg.) Alpen – Lebensraum im Wandel. Die österreichischen Alpen im Blickpunkt der Geographie Selbstverlag der Österreichischen Geographischen Gesellschaft, 2011, ISBN 978-3-901313-23-3 Dieser Sammelband nimmt die Vielgestaltigkeit des dynamischen Lebensraums Alpen unter die Lupe. 36 österreichische Geographinnen und Geographen setzen sich mit den vier Themen wirtschaftliche Entwicklung, Wandel vom Agrar- zum Tourismusraum, Veränderung des Siedlungssystems und räumliche Disparitäten auseinander. Jedes der vier Kapitel besteht aus einem längeren Einführungstext und acht Kurzbeiträgen, welche die angeschnittenen Themen und Fragestellungen anhand von Fallbeispielen näher erläutern. Bestellung per E-Mail: oegg.geographie@univie.ac.at

Webtipp

Das erste Webportal für nachhaltigen Konsum in Österreich Beim Griff ins Einkaufsregal sollten wir uns für nachhaltige Produkte entscheiden. Das Portal www.bewusstkaufen.at informiert über nachhaltige Projekte, Innovationen und Veranstaltungen und bietet Kaufentscheidungshilfen. Bewusstkaufen.at ist eine Initiative des Lebensministeriums in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium. Nähere Informationen: www.bewusstkaufen.at


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ausblicke 2 |12 NWL-Veranstaltungen

NWL-Veranstaltungen Mobilität im ländlichen Raum: Nachhaltig und den Mobilitätsbedürfnissen angepasst 26.−27. November 2012 > Baden bei Wien, Volksbank Regionalmanagement Österreich und Netzwerk Land laden alle Interessierten ein, im Rahmen dieser Tagung ihr Wissen über eine zukunftsfähigere Mobilität im ländlichen Raum auszutauschen und sich von neuen Informationen, Beispielen aus der Praxis und Fachvorträgen inspirieren zu lassen. Folgende Fragen werden zur Diskussion stehen: Wie ist es um das Mobilitätsangebot in den (ländlichen) Regionen bestellt? Gibt es Wahlfreiheit oder bleibt als Option nur das Auto? Welche Anforderungen stellt die Bevölkerung bzw. stellen spezielle Gruppen (z.B. Gäste) an Mobilität und öffentlichen Verkehr? Welche Bedeutung haben Kooperationen zur Lösung von Mobilitätsproblemen, und wie müssen sie gebildet werden, damit sie zum Erfolg führen? Wo liegen die Fallstricke und Stolpersteine? www.netzwerk-land.at/leader/veranstaltungen/ tagung-mobilitaet-im-laendlichen-raum

Die Ökonomie hinter der Ökologie − Wie sich Umweltschutz rechnet? Bei diesem Seminar Anfang Dezember 2012 werden ExpertInnen aus dem Umwelt- und Landwirtschaftsbereich der Frage nachgehen, wie sehr Ökomaßnahmen öffentlich bezahlt werden müssen oder sich – zumindest teilweise – über den Markt rechnen können. Im Rahmen der Veranstaltung wird auch eine neue Broschüre mit konkreten Beispielen vorgestellt werden. Weitere Informationen demnächst: www.netzwerk-land.at/lum

Netzwerk-Land-Kulturlandschaftspreis 2013 Für den zweiten Kulturlandschaftspreis nach 2010 werden nicht nur gelungene Projekte aus dem Bereich Kulturlandschaft und Biodiversität gesucht, sondern auch Personen, die sich um Kulturlandschaftsschutz und den Erhalt der Artenvielfalt verdient gemacht haben. In einer dritten Kategorie werden Zeichnungen und Fotos von Kindern und Jugendlichen zum Thema ausgezeichnet. Weitere Informationen demnächst: www.netzwerkland.at/umwelt/kulturlandschaftspreis-2013

LE 2020 – Was ist Innovation, und wie fördert man sie? 28.−29. November 2012 > Wesenufer/Donau, Seminarhaus Pro Mente Infirmis Das Thema Innovation spielt bereits im derzeitigen Veranstaltungsrückblick von Netzwerk Land www.netzwerk-land.at/netzwerk/ LE-Programm (M 124 „Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und Techno- veranstaltungsrueckblick logien“) eine wichtige Rolle. Im zukünftigen LE-Programm wird es jedoch eines von drei Querschnittsthemen sein und damit einen deutlich höheren Stellenwert haben. In dieser Veranstaltung für ausgewählte VertreterInnen aus dem Bereich Innovation sowie F & E werden praktische Fragen erörtert, Beispiele gezeigt und Querverbindungen zur Wissenschaft thematisiert. www.netzwerk-land.at/lum


Impressum ausblicke – Magazin für ländliche Entwicklung ist die zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift von Netzwerk Land. Inhalt: Informationen zu Themen der ländlichen Entwicklung und Neuigkeiten von Netzwerk Land und Partnernetzwerken. Netzwerk Land ist die vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft eingerichtete Servicestelle zur Begleitung und Vernetzung des Österreichischen Programms für die Entwicklung des ländlichen Raums 2007–2013. Mit der Durchführung des Vernetzungsauftrages wurde eine Bietergemeinschaft aus den Partnerorganisationen Agrar.Projekt.Verein, Umweltdachverband und ÖAR-Regionalberatung betraut. © Netzwerk Land, November 2012 Namentlich gekennzeichnete Texte geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Medieninhaber und Herausgeber Agrar.Projekt.Verein im Auftrag des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Dresdner Straße 68a, A-1200 Wien, Tel. 01/332 13 38-14, office@netzwerk-land.at, www.netzwerk-land.at Redaktion Hemma Burger-Scheidlin (Umweltdachverband) Luis Fidlschuster (ÖAR-Regionalberatung) Christian Jochum (Agrar.Projekt.Verein) Michael Proschek-Hauptmann (Umweltdachverband) Michaela Rüel (Agrar.Projekt.Verein) Lektorat Wolfgang Astelbauer, Karin Astelbauer-Unger Grafische Konzeption neuwirth+steinborn Gestaltung und Layout Andrea Neuwirth, Büro für visuelle Gestaltung www.andreaneuwirth.at Mitarbeit: Gabriel Fischer Druck Remaprint, Wien Papier Dieses Magazin ist auf Claro bulk 135 g/m2 und Munken Pure Rough 300 g/m2, PEFC-zertifizierten Papieren, gedruckt.

Abbildungsnachweis Seite 1: BMLFUW/Robert Polster; Seite 2: Norbert Weiß – Pixelio.de; Seite 3: © Andrey Armyagov – Fotolia.com; Seite 4+5: w.r.wagner – Pixelio.de; Seite 6: © Konrad Hitthaler (Foto Stix), © Elisabeth Stix (Foto Peña); Seite 9, 19: Festival der Regionen 2011/Otto Saxinger; Seite 10: Robert Schatteiner; Seite 12: G. Lercher; Seite 13: OIKOS; Seite 15: Albrecht E. Arnold – Pixelio.de; Seite 16: Hemma Burger-Scheidlin; Seite 17: BMLFUW/ Rita Newman; Seite 20: Marco2811 – Fotolia.com; Seite 22: Marc John – Fotolia.com; Seite 23: Lupi Spuma; Seite 26+27: © agrarfoto.com; Seite 29, 32 (großes Bild oben): Rainer Sturm – Pixelio.de; Seite 30+31: Thomas und Cornelia Berger; Seite 33: steve.haider.com (Foto Spangl), EmmaN – Pixelio.de (kleines Bild unten); Seite 35: © Nadine Poncioni (beide Bilder); Seite 38+39, 41 (4. Foto), 45: Dietmar Wimmer/LAG MostlandlHausruck; Seite 41 (1. Foto), 42: Jugendmusikszene Pinzgau; Seite 41 (2. Foto), 43: Verein KoKon; Seite 41 (3. Foto), 44: ARGE RIKK; Seite 46+47: Netzwerk Land; Seite 50: ÖKL-Baupreis (Fotos links), Jury ÖKL-Baupreis (Foto rechts); Seite 51: © Janina Dierks – Fotolia.com; Seite 52+53: Landjugend Österreich (alle Bilder); Seite 54: E. Weingartner (Foto links unten); Seite 56: Barbara Loferer-Lainer (kleines Foto links), Hannes Dabernig (Foto unten); Seite 57: Maren Krings, Fa. 360°Photography/ Center for Art & Humanity; Seite 58: © Harry Schiffer; Seite 59: © Holzinnovationszentrum GmbH; Seite 62+63: © Ewa Brozek – Fotolia.com; Seite 64: iStockphoto.com – Alexander Bryljaev. Umschlagvorderseite: © lunaundmo – Fotolia.com Umschlaginnenseite: Netzwerk Land Umschlagrückseite: Gerhard Frassa – Pixelio.de

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