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ERNÄHREN

VITAMINE

Schutz fürs Hirn Vitaminmängel sind heute glücklicherweise selten geworden. Ein Mikronährstoff, der häufiger als andere fehlt, ist das lebensnotwendige Vitamin B12. Wer sich vegan ernährt, ist besonders gefährdet. Text: Marianne Botta Diener Foto: Roth + Schmid

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itamin B12 wurde als letztes aller Vitamine entdeckt. Es war ein Meilenstein, schliesslich suchte man zu der Zeit fieberhaft nach Ursachen und Heilmitteln für die bis zu diesem Zeitpunkt stets tödlich verlaufende Blutarmut. Mediziner verkündeten im Jahr 1926 stolz, dass diese sich bei Patienten verbessern lasse, wenn sie täglich 500 Gramm Rindsleber essen. Für ihre Anfangsstudien, die zur Entdeckung des bisher unbekannten Vitamins führten, erhielten sie später den Nobelpreis. Das wasserlösliche Vitamin spielt eine Schlüsselrolle für die Blutbildung, eine normale Hirnleistung und ein intaktes Nervensystem. Immer wieder konnte nachgewiesen werden, dass eine mangelhafte Versorgung mit Vitamin B12 im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen steht. Der menschliche Organismus kann das lebensnotwendige Vitamin nicht selber bilden. Es wird ausschliesslich von Mikroorganismen hergestellt, etwa im Verdauungstrakt von Tieren. Von dort aus gelangt es in die inneren Organe, in die Milch und das Muskelfleisch – und so auf unsere Teller. Eine weitere Vitamin-B12-Quelle sind industriell angereicherte Lebensmittel, etwa Frühstücksflocken. Pflanzliche Nahrung enthält kein Vitamin B12. Lediglich in fermentierten 34

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Lebensmitteln wie Tempeh, Sauerkraut und Bier finden sich Spuren davon. Zwar ähneln sie biochemisch dem Vitamin B12, haben aber als sogenannte VitaminAnaloga keine Funktion im Körper. Auch Algen wie Spirulina sind unzuverlässige Quellen. Um die täglich benötigte Menge von rund 3 Mikrogramm Vitamin B12 zu decken, reichen ein Ei, 60 Gramm Forelle oder 100 Gramm Hartkäse. Weil Vitamin B12 aber relativ lange in der Leber gespeichert werden kann, treten Mangelerscheinungen bei Erwachsenen auch bei ungenügender Zufuhr oft erst nach Jahren auf. Säuglinge und Kinder jedoch können noch keine Reserven anlegen und müssen von Anfang an regelmässig mit genügend Vitamin B12 versorgt werden. Der Vitamin-B12-Mangel gehört zu den häufigsten Nährstoffmängeln der westlichen Länder. «Studien zeigen, dass in allen Altersgruppen fast jeder zehnte Mann und rund jede vierte Frau die empfohlene tägliche Zufuhr nicht erreicht», sagt die Ernährungswissenschaftlerin Elisabeth Bührer-Astfalk. Gefährdet sind insbesondere Veganer. Die Vegane Gesellschaft Schweiz (VGS) geht davon aus, dass sich derzeit 80 000 Menschen in der Schweiz vegan ernähren, viermal mehr als vor zehn Jahren. «Die VGS empfiehlt ihnen, bewusst auf die B12-Zufuhr zu ach-

ten und beim nächsten Arztbesuch die Blutwerte überprüfen zu lassen», sagt Mediensprecherin Cristina Roduner. Die einfachste und sicherste Variante zur Gewährleistung einer optimalen B12-Versorgung ist für Roduner die Einnahme von konzentriertem Vitamin B12 in Form eines Nahrungsergänzungsmittels. Auch Fleischesser sind gegen Vitamin-B12-Mangel nicht gefeit. Er kann dann auftreten, wenn sie an Magenschleimhautproblemen, bakteriellen Infekten oder chronischen Darmentzündungen leiden. Menschen über fünfzig sind öfter von einem Mangel betroffen, da der Aufnahmemechanismus mit zunehmendem Alter störungsanfälliger wird. Erste Zeichen eines Mangels können Kribbeln und Kältegefühl an Händen und Füssen, Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen sein. Ein vom Arzt diagnostizierter Mangel lässt sich – je nach Ursache – durch Tabletten oder Spritzen beheben. Wichtig ist, dass rasch gehandelt wird. Ein fortgeschrittener Mangel kann bleibende Schäden an Nervenbahnen und Psyche zur Folge haben. Doch keine Angst: Wer sich ausgewogen ernährt, braucht ohne konkreten Verdacht kein Präparat einzunehmen. Besser ist laut Elisabeth Bührer-Astfalk, regelmässig die Vitamin-B12-Werte im Blut überprüfen zu lassen. l


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