meins-magazin 3

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Heft 3 ǀ Ausgabe 03/08 ǀ www.meins-magazin.de

Feinsinn fühlt


meins

Inhalt

LebensEcht

08 10 11 11 12 13

Die Liebe Zu alt fürs Studium Den Kriminologen auf der Spur Praxis zahlt sich aus Festplatte Kaputt! Und nun? Wie wird man eigentlich Journalist?

FernSicht

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Auf der Suche nach Demokratie Mit dem Zug von Dakar nach Bamako Die Welt in Köln New Yorker Geschichten Blanche für 1,73 Euro

KörperKultur

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Le Parcour

ErkenntnisReich

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Wildtiere leben im Großstadtdschungel

StaatsKunst Feinsinn

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Inhaltliches

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Pilates

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Coco küsste ihn flüchtig auf die Wange und huschte an Karl vorbei in die Wohnung. Er hielt ihr noch die Türe auf, als sie schon längst an ihm vorbei war, ohne ihn anzuschauen. Er schauderte und stand wie angewurzelt im Wohnungsflur. Seine Hände schwitzten. Erst nach einigen Augenblicken ließ er die Tür ins Schloss fallen. Mit trägen Bewegungen ging er in sein Zimmer, wo Coco schon auf dem Bett lag, mit einem Buch in der Hand. „Wie war dein Wochenende?“, fragte er tonlos. „Gut, aber ich bin müde und fühle mich nicht so“, antwortete sie, drehte ihm den Rücken zu und fing an ihr Buch zu lesen. Karl setzte sich, seine Beine waren schlaff. Er schaute an die Decke. Nach einigen Sekunden hatte sich über ihm eine Wiese ausgebreitet.

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Glosse

„Manierenloser Rohling! Rücksichtsloser Unflat! Welch unbedachtes Verhalten!“ Dieser recht ziemenden Ausdrucksweise bediente ich mich keineswegs im Verlaufe des Erlebnisses, das zu schildern ich mich in eben diesen Zeilen anschicke, denn ich bin ein moralisch viel weniger gefestigter Mensch, als es die obig eiligst dahin improvisierten Schmähungen vermuten lassen, und befleißige mich im Alltag eines sehr viel zweifelhafteren Wortschatzes, weshalb ich weitaus derbere Verwünschungen Ausdruck meines Ungemaches werden ließ, die aber, aus Rücksicht auf das Gemüt des geneigten, aber sicherlich wesentlich solider sozialisierten Lesers, hier verschwiegen werden sollen. Ort, Uhrzeit und Anlass meiner fragwürdigen Ausbrüche sind jedoch nicht nur der zarten Leserseele durchaus zumutbar, sondern selbstverständlich auch für die Schilderung der Ereignisse unabdingbar. Es begab sich zur völligen Unzeit, so etwa um halb zwei Uhr nachts, zeitliche Exaktheit sei in diesem Falle mal der Lässigkeit des Erzählflusses geopfert, dass ein Taxifahrer sein rollendes Dienstleistungsunternehmen gerade genau unter meinem Fenster zum Stehen brachte, um, so sollte ich erst viel später erfahren, eine im gleichen Haus wie ich wohnhafte Dame zu eben diesem zu befördern. Sei es nun aus spontan für einander empfundener Sympathie oder langjähriger Bekanntheit, jedenfalls vertieften die beiden sich in ein längeres Gespräch, was eigentlich, zugegeben, gerade in unserer als emotional erkaltet und kontaktarm verschrieenen Zeit eine erfreuliche Begebenheit darstellt, doch – welch Unglück! - der junge Mann verabsäumte es, den Motor seines Fahrzeuges abzustellen und raubte mir damit den so dringend herbei gesehnten Schlummer. Nun rühme ich mich gemeinhin einer sehr gesunden, geradezu übertriebenen Aggressionsbewältigung. Seien es noch so harsche Ungerechtigkeiten, die meine Mitmenschen mir widerfahren lassen, begegnet mir das Dasein mit noch so verdrießlichen Entbehrungen- stets bewahre ich Langmut, nie kräuselt auch nur ein Fältchen des Unwillens mein Antlitz. Wird allerdings meine Nachtruhe in Leidenschaft gezogen, neige ich durchaus zu recht schroffen Erwiderungen, werde bisweilen richtiggehend ungehalten. Ach, welch Unwetter tobte da in mir, welch Fegefeuer der Entrüstung brauste in meiner Seele! Genössen die Gedanken nicht ihre segensreiche und viel besungene Freiheit,

.FEINSINN.FÜHLT. Gefühle mal philosophisch

ich müsste um die meinige glatt fürchten angesichts der Schärfe, mit der ich den mir unbekannten Namen dieses armen Mannes, seine Person und vor allem sein niederfrequent tönendes Vehikel verfluchte. Stumm überzog ich ihn mit den schändlichsten Schmähungen, stellte seinen Charakter und seine kognitive Leistungsfähigkeit in Frage, schalt ihn absoluter Ungeheuerlichkeiten.

Musterhafte Gefühle Über GEFÜHLE kann man viel und lange reden. Besonders FRAUEN machen dies gerne und ausführlich, sagt man. Männer nicht so. Bis auf einen: FREUD. Der zaubert aus Gefühlen und Träumen gleich eine komplette Theorie. Die PSYCHOLOGIE. Auch heute reden Therapeuten und Psychologen über Gefühle anderer Menschen und verdienen damit ihr Geld. GEFÜHLTES GELD quasi. Die Philosophie spricht über Gefühle seit mehr als 2500 Jahren. Kein Wunder, denn jeder MENSCH hat Gefühle. Jedes TIER ja auch, wie man mittlerweile weiß. SCHAFE können sich an bis zu 50 verschiedene Menschen erinnern und EMOTIONAL binden. Umso beeindruckender sind die Ergebnisse der Kognitionswissenschaften zum Thema Gefühle. Wir erlernen Gefühle wie Fahrradfahren und Schwimmen. Natürlich läuft das mit dem Fühlen ein wenig FEINFÜHLIGER und KOMPLEXER ab. Aber das Prinzip des Fühlens entspricht unserem VERHALTEN. Unsere Verhaltensmuster prägen entscheidend, wie und in welcher FORM wir fühlen.

Eine halbe Stunde währte dies höchst unerfreuliche Treiben, das Röhren des Taximotors dort unten und das entnervte Umherwälzen oben in meinem Gemach. Dann überstieg meine Frustration meine Zurückhaltung, und ich beschloss, hinunter auf die Straße zu gehen und ihn mit meinem Verdruss zu konfrontieren. Und siehe da, er stellte sich als überaus einsichtsvoll und kooperativ heraus und entledigte mich umgehend der alpdruckhaften Lärmbelästigung, so dass der Zorn, der kurz zuvor noch in mir gegärt hatte, wirkungslos verpuffte und ich, beseelt von dem erfreulichen Ausgang der Geschichte und wieder das geliebte Federbett in die Arme schließend, mir kaum noch zu erklären vermochte, wie ich solch finstere Emotionen hatte entwickeln können.

Philosophen und Gefühle Es ist immer schön und passend, HERAKLIT zu zitieren. Der hat nämlich gesagt, dass sich ALLES im Fluss befindet, also auch unsere Gefühle. Und wer Stimmungsschwankungen und Veränderungen seiner Gefühle abstreitet, sollte mal zum Psychologen gehen. Heraklit hatte also mal wieder Recht. Wie soll man aber mit Gefühlen umgehen? EPIKUR ging konkreter als Heraklit auf Gefühle ein. Er meinte, man solle seine Gefühle auskosten und genießen und dies am besten (bei sich) zu Hause im Garten. Ein bunter GENUSSGARTEN. Die Philosophie der STOA hingegen wollte, dass die Menschen nach gesellschaftlicher Anerkennung streben. Ihr Ideal war der Zustand der UNERSCHÜTTERLICHKEIT. Gefühle also eher im Hintergrund. ARISTOTELES steht für das Maß der MITTE. In Maßen ist demnach alles ERLAUBT. Machen wir nun einen Sprung zum bekanntesten deutschen Philosophen: KANT. Mit ihm war eher weniger zu lachen. Gefühle - wenn überhaupt ein THEMA - waren eher hinderlich für ein vernünftiges Leben. FEUERBACH und NIETZSCHE befreien sich bald von der LAST der Vernunft. Im 20.Jahrhundert beschreibt HEIDEGGER Grundstimmungen, die maßgeblich das Leben durchziehen. Die gesamte existenzialistische Bewegung sucht sich selbst in Gefühlen. Gefühle wie ANGST und FREUDE also nun die Basis unseres Lebens. Spätestens seit Antonio DAMASIO weiß man, dass DESCARTES einen FEHLER gemacht hat. Nicht die VERNUNFT oder der Verstand bestimmen unser Handeln und Denken, sondern unsere GEFÜHLE.

Nachtrag: „Unsere als emotional erkaltet und kontaktarm verschrieene Zeit“, wenn ich das schon höre. Natürlich behandeln die Menschen einander auch heute nicht herzloser als sie das ohnehin schon ewig tun. Sogar das Aufstellen der hanebüchenen Behauptung, es wäre doch so, ist bemerkenswert selten geworden. Aber irgendjemand findet sich doch immer wieder, der diesen Unfug verbreitet.

Die Welt als emotional Design Das Gefühl hat HEUTZUTAGE über die RATIO gesiegt. Selbst in den Wirtschaftswissenschaften beginnt man zu begreifen, dass die Gefühle des Konsumenten wichtiger sind als ihr rationales Entscheidungsvermögen. Humanonics heißt die neue Forschungsdisziplin, die den Menschen ins Zentrum stellt. Kaufsucht ist eben ein Gefühl und keine rationale Angelegenheit. Gefühle sind der MOTOR des Lebens, denn ohne Fühlen würden wir gar keinen ANTRIEB haben etwas zu machen. Dies zeigt sich besonders bei extremen Gefühlen wie Hass oder Liebe: da kann man schon mal jemanden umbringen. Oder aber sich selbst. Das SPIEL mit den Gefühlen ist in WERBUNG und MEDIEN schon lange TAGESGESCHÄFT. Gefühle sind demnach auch Voraussetzung für Kreatives Arbeiten. Im DESIGN spricht man seit einiger Zeit von EMOTIONAL Design. Das Gefühl muss in der Form eingearbeitet sein. Es muss SICHTBAR sein, sei es am Gebäude, technischen Objekt oder am Produkt. Eine gute Form muss Emotionen enthalten und Emotionen ansprechen, ansonsten ist es kein gutes Design. Gefühle sind das, was uns als Menschen VERBINDET. Oder mit den Worten des Kölner Autors Richard David Precht: „Gefühle sind der Klebstoff, der uns zusammenhält…“

Holger Reinermann


Impressum Herausgeber: Verein zur Förderung studentischen Journalismus Köln e.V. www.vfsjk.de ViSdP (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes): Niels Walker Chefredaktion: Niels Walker, Kristin Gabriel Art Direction: Sebastian Herscheid Bildredaktion: Hannah Gärtner Redaktion/Autoren: Johanna Regenhard, Janina Heuser, Eva Helm, Katja Koslowski, Iris Sygulla, Christine Willen, Holger Reinermann, Sarah Angasa, Jörg Bernady, Christopher Dröge, Felix Grosser, Veronika Czerniewicz, Agathe Miskiewicz, Sylvia Jobi, Hannah Gärtner, Kathrin Mohr Gestaltung/Layout: Stephanie Meyer, Sara Copray, Tina Trinks, Elisa Hapke Internet: Henrik Greger, Michael Römer, Christian Klassen, Andreas Arnold Fotografie: Hannah Gärtner (verantwortlich), Alexander Gräff, Meiko Henning Ausbildung: Kathrin Mohr Website: www.meins-magazin.de Erscheinungsweise: vierteljährlich

LebensEcht


Die Liebe Die Liebe ist langmütig, sie hat Geduld und kann warten und verzeihen, das macht sie allerdings ausnutzbar Die Liebe ist gütig, sie bemüht sich in dem Anderen erst das Gute zu sehen sie verrechnet die Tage des Glücks nicht mit Unglück sie ist großzügig bis verschwenderisch im „Sich-verschenken“ Die Liebe ist unabhängig, sie ist nicht gebunden an Voraussetzungen, Ansprüche und Zuneigungen sie kennt keinen richtigen Zeitpunkt, keinen richtigen Ort oder richtige Umstände Die Liebe ist wagemutig, sie ist erhaben über jeden Zweifel und jede Unsicherheit sie wagt jedes Risiko sie versteckt sich nicht aus Angst vorm Scheiterm, sonder kämpft unbeirrbar um ihr Fortbestehen Die Liebe ist vollkommen, sie übersieht Fehler und Hindernisse einfach, weil sie kann, was immer sie will Die Liebe ist unvollkommen, zu häufig wird sie verwechselt mit Gewohnheit, Besitzansprüchen oder dem Gefühl geliebt zu werden

Die Liebe trägt das Böse nicht nach, sie kann uneingehaltene Versprechen und unvollbrachte Taten vergessen und verzeihen sie stapelt die Frustration nicht auf, was sie vergeben hat, kommt nicht als Altlast wieder Die Liebe freut sich nicht über Unrecht, sie kennt keine Schadenfreude, sondern freut sich an der Wahrheit sie verschleiert nicht, sondern bereinigt und vergibt, Liebe und Wahrheit sind ohne einander nur die Hälfte wert Die Liebe verhält sich nicht unbeständig, sondern sie wächst stetig von Tag zu Tag, dabei zehrt sie in der Einsamkeit von Erinnerungen an kommende Tage und wächst manchmal über sich hinaus Die Liebe erträgt alles, zumindest unendlich mehr, als sie verstehen kann Die Liebe glaubt alles, sie nimmt den Anderen beim Wort sie braucht keine Spielchen um sich attraktiv zu machen sie ist nicht argwöhnisch, lässt sich auf Dauer aber nicht hinters Licht führen sie ist nicht ironisch und zynisch, sondern offenbart sich ehrlich sie meint, was sie sagt

Die Liebe bläht sich nicht auf, sie braucht sich nicht größer zu machen, als sie ist sie freut sich an dem, was sie hat, und sie steht zu ihren Grenzen

Die Liebe hofft alles, wer die Hoffnung aufgibt, hat die Liebe verloren gegen Egoismus, Charakterschwäche und andere scheinbare Unveränderlichkeiten setzt sie Risikobereitschaft, Vertrauen und noch einmal Vertrauen

Die Liebe handelt nicht ungehörig, sie sucht nicht ihren Vorteil er ist ganz für sie, sie ganz für ihn da, dabei gibt es kein Aufrechnen, keine Erpressung, keinen Anspruch auf Rückvergütung

Die Liebe hält allem stand, sie hält das Ungerechte aus sie hält das Unmögliche aus und wenn alles zusammenzubrechen droht, Freundschaft, Familie, Glaube, Kraft, dann bleibt die Liebe als große Hoffnung und schmerzliche Sehnsucht über Trümmern.

Hannah Gärtner


Zu alt fürs Studium – oder zu jung für den Ruhestand? „Veränderung hat mir schon immer Spaß gemacht“, sagt Frank Wildauer. Der Drang, Neues zu erleben, ist treibende Kraft in seinem Leben. Deshalb weiß er schon lange, was er nicht will: „Man pflegt die Enkelkinder, kümmert sich um die Gartenzwerge, macht unnötige Sachen wie Golf spielen und schlägt die Zeit tot – das konnte ich mir einfach nicht vorstellen“, beschreibt der 65jährige seine Gedanken zum Rentnerleben. So weit will er es gar nicht erst kommen lassen. Deshalb wagt er mit 60 den frühzeitigen Berufsausstieg, um im direkten Anschluss an der Uni Köln zu studieren. Der Grund dafür ist nicht, dass sein Beruf ihm keinen Spaß gemacht hat. „Für mich war der Absprung aus einem sehr interessanten Berufsdasein schwierig“, gibt er zu. Allerdings wollte er etwas Neues anfangen, bevor es dafür zu spät ist. Und im Ruhestand in einer anderen interessanten Beschäftigung wieder tätig werden. So sollen Gartenzwerge und Kaffeefahrten gar nicht erst eine Chance bekommen. Dafür scheinen ihm die Fächer Ethnologie, Geographie und Geschichte, die der Frührentner auf Magister studiert, gut geeignet. Die Vielfalt aus Kultur, Sprache und Religion gefallen ihm an seinem Hauptfach Ethnologie besonders. Frank Wildauer war nach seiner Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten 31 Jahre bei der Bayer AG tätig. Seine Fächerkombination stellt demnach einen Bruch mit seinen bisherigen Interessen dar. „Gerade das war für mich das Reizvolle“, sagt der Seniorenstudent. Und er hat diese Wahl auch nach fünf Jahren an der Uni nicht bereut. Zurzeit sind an der Uni Köln um die 500 „ordentlich“ Studierende der Generation

LebensEcht

Über das Altenstudium sind gerade die jungen Studenten geteilter und nicht immer positiver Meinung. Ein Senior und eine Studentin beweisen, dass der Austausch zwischen den Generationen an der Uni gut funktionieren kann.

50 plus immatrikuliert. Sie sitzen mit den jungen KommilitonInnen in den gleichen Seminaren, Prüfungen, Lern- und Referatsgruppen. Insgesamt machen sie rund ein Drittel der Seniorenstudenten aus. Alle anderen sind im Rahmen des klassischen Seniorenstudiums als Gasthörer an der Uni Köln eingeschrieben. Sie können für einen Gasthörerbeitrag von 100 Euro pro Semester alle Lehrveranstaltungen besuchen. Prüfungen werden allerdings nicht absolviert. Für die Senioren gibt es im Rahmen des Gasthörerstudiums eigene Veranstaltungen und Arbeitskreise. Ein Austausch mit den jungen Studenten findet hier nicht statt. Die Senioren bleiben unter sich. „Es ist wirklich ein Unterschied zu machen zwischen Gasthörern und denen, die ein Vollzeitstudium machen“ meint auch Frank Wildauer. Man arbeitet bei der gemeinsamen Referats- und Prüfungsvorbereitung intensiver zusammen. Ansprechpartner sind die jungen KommilitonInnen. Doch auch ohne gemeinsames Vollzeitstudium muss der Kontakt nicht auf der Strecke bleiben. Dies beweist das Projekt von Marie Ting, Studentin an der BITS Iserlohn. Sie wollte eine Brücke zwischen Studenten und Senioren schlagen. Deshalb hat sie an ihrer Hochschule das Projekt „Horizonte“ ins Leben gerufen. Hier unterrichten Studenten in ihrem Fachgebiet interessierte Senioren. Im letzten Wintersemester wurden ein Medien- und ein Internetkurs angeboten. Ziel des Seminars ist es, die Senioren langsam mit dem Internet vertraut zu machen. Im Medienkurs gehören sowohl die deutsche Medienlandschaft als auch eigene Beiträge am Mikrofon zum Kursinhalt.

Insgesamt 60 ältere Menschen nahmen am Angebot von „Horizonte“ teil. „Die Senioren waren interessiert und dankbar“, sagt die 22-jährige Projektleiterin rückblickend zufrieden.

Praxis zahlt sich aus… vor allem während des Studiums Bei den meisten Studiengängen geht es in erster Linie nur um eines: Theorie. In den wenigsten Fachrichtungen gibt es vorgeschriebene Praxisteile. Dies ist meist nur an Fachhochschulen der Fall. Natürlich ist diese Tatsache jedem, der sich für die folgenden rund vier Jahre an einer Universität einschreibt, klar. Doch ist es wirklich das, was wir als Studenten wollen? Ist es wirklich das, was unsere möglichen Arbeitgeber irgendwann von uns erwarten? Diese Fragen können ganz klar mit einem lauten und deutlichen NEIN! beantwortet werden. Ob geisteswissenschaftliches oder betriebswissenschaftliches Studium, die beschriebene Problematik begegnet uns in den unterschiedlichsten Studiengängen. Neben einem guten Abschluss erwarten die meisten Betriebe Praxiserfahrung in Form

von Praktika oder Nebentätigkeiten während des Studiums. Die Begründung ist klar und für jeden nachvollziehbar; was bringt es einer Firma, einen Universitätsabsolventen mit einem Einserdurchschnitt aber ohne jegliches praktisches Können zu beschäftigen? Es reicht nicht, zu wissen, wie die Theorie aussieht. Man muss wissen wie sie angewandt wird. Zusätzlich lernt man den Umgang mit Menschen in dem jeweiligen beruflichen Umfeld. Dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, denn schließlich arbeitet man zusammen und nicht gegeneinander.

dermaßen: Macht, um Gottes Willen, so viele Praktika wie nur irgend möglich! Am Besten ist es, sofort nach dem Abitur damit anzufangen und sich so während des Studiums von Beginn an auf die Berufswelt vorzubereiten. Und selbst, wenn sich die Berufsvorstellung ändern sollte, lernt man aus jedem Praktikum, auch wenn es sich nur darum handelt, dass man diesen Beruf nicht ergreifen möchte. Und noch ein Vorteil dieser Vorgehensweise sei genannt: Gute Praktikumsbewertungen führen zu studentischen Aushilfsjobs und das über kurz oder lang zu einer Festanstellung!

All diese Dinge lernt man nicht beim Bücherwälzen in der Unibibliothek, also raus mit euch! Der Rat, den ich aus eigener Erfahrung geben kann, lautet folgen-

(Weitere Informationen zu Praktika und Praktikumsvermittlungen im Internet unter www.praktikum.de) Sylvia Jobi

Student mit Seniorin beim Internetkurs

Die Beteiligung der Studenten an den einwöchentlichen Kursen war freiwillig und unentgeltlich. Dennoch waren 20 Studenten begeistert dabei. Schließlich profitieren Jung und Alt vom wechselseitigen Lerneffekt. Nicht nur Projektleiterin Marie Ting wünscht sich eine Fortsetzung im nächsten Semester. „Ihr kollegiales Verhältnis zu uns und auch untereinander sowie ihr Freizeiteinsatz haben mich stark beeindruckt“, schreibt ein Kursteilnehmer im Gästebuch auf der "Horizonte" Homepage. „Ich habe das Gefühl, das ist ein richtig gutes Miteinander“, meint auch Frank Wildauer über das Treffen der Generationen an der Hochschule. Seine Studienzeit ist nicht zuletzt deshalb für ihn „eine sehr bereichernde Phase“. Und schließlich macht gemeinsam Lernen mehr Spaß als Kaffeefahrten und Gartenzwerge.

Ivanka Klein

Festplatte kaputt! Und nun? Du willst deine Festplatte mal so richtig bügeln und weißt nicht wie? Kein Problem! Meins-Magazin zeigt, wie du deine Festplatte formatieren und das Betriebssystem Windows Vista installieren kannst. 1. Sichere alle Daten, die du beibehalten möchtest auf einer CD oder DVD. 2. Fahre den Computer wie gewohnt runter. 3. Sobald du deinen PC neu startest, lege die Windows Vista CD in das CD-Rom bzw. DVD Laufwerk ein. 4. Halte die Seriennummer bereit. Sie wird später benötigt. 5. Beim "booten" ( hochfahren) wird Folgendes gefragt: Boot from CD or Boot from Hard Drive. Wähle hier: Von CD booten! 6. Nach einigen Minuten kannst du auf die eingelegte CD-Software zugreifen. 7. Irreführend ist die Bezeichnung "Windows Vista Installieren". Damit ist nur gemeint, dass die Festplatte formatiert und Windows Vista neu installiert wird.

8. Im Anschluss fragt das System nach der Seriennummer. 9. Nun wählst du deine Sprache, und klickst "weiter"! 10. Als nächstes drückst du auf "jetzt installieren". 11. Nehme die Geschäftsbedingung an. 12. Wichtig im nächsten Feld: benutzerdefinierte (erweiterte) Installation wählen, um in den Formatierungsbereich zu gelangen. 13. Daraufhin werden die angelegten Festplatten angezeigt. Du suchst dir die Festplatte/Partition aus, auf der WIN Vista installiert werden soll. 14. Klicke auf "Laufwerkoptionen", um versteckte Funktionen sichtbar zu machen. 15. Hier wählst du die Funktion „Formatieren“ und anschließend bestätigst du mit „o.k.“. 16. Jetzt wird die ausgewählte Festplatte formatiert. Das dauert ein wenig. 17. WIN VISTA wird nun installiert.

Für den Eigengebrauch handelt es sich hierbei um ein richtig nützliches Handwerk. Solltest du allerdings deine Festplatte verkaufen oder entsorgen wollen, reicht diese einfache Formatierung nicht aus. Deine Daten sind nämlich wieder herstellbar. Um deine Privatsphäre zu schützen und deine Festplatte faltenfrei zu bekommen, musst du diese überschreiben. Folgende Hilfsprogramme helfen dir bei der vollständigen Datenvernichtung: Eraser, CBL Datenshredder und DBAN. Mehr Infos zu diesen drei Programmen findest du unter: http://board.bitreactor.to/hard-und-software/software/555-sicher-wie-beim-geheimdienst-festplatten-fachgerecht-l-schen/ Veronika Czerniewicz

LebensEcht


Gut zu wissen…

Fremdgehen – aber richtig

Wie wird man eigentlich Journalist?

Ein Großteil der Studenten geisteswissenschaftlicher Fächer will sich nach dem Abschluss der Studienzeit beruflich in Richtung Medien orientieren. Doch wie genau gelangt man in die heiß begehrte Branche und in welche Richtungen kann man gehen?

Zunächst lassen sich drei große Gebiete unterscheiden: Journalismus, PR/Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Wer sich für Pressearbeit interessiert kann in den PR-Abteilungen großer Konzerne oder in freien PR-Agenturen sein berufliches Glück finden. Hier stehen die Präsentation eines Unternehmens nach Außen und die Kooperation mit anderen Firmen, den Medien, Kunden oder öffentlichen Einrichtungen im Vordergrund. Arbeitet man in der Werbung, dann gehören dieEntwicklung von Werbekonzepten und die Betreuung verschiedener Werbekampagnen zu den täglichen Aufgaben. Und nun, zu der Arbeit als Journalist. Das journalistische Arbeiten findet auf drei großen Plattformen statt; es gibt den Radio-, den TV- und den Print-Journalismus. Um einmal als Redakteur in einem dieser Bereiche zu arbeiten, empfiehlt es sich, bereits während der Studienzeit Praktika in entsprechenden Unternehmen zu machen oder als studentische Aushilfe erste Erfahrungen zu sammeln. Kann man dann nach einigen Jahren entsprechend viel Praxis und einen Studienabschluss im Lebenslauf nachweisen, folgt der nächste Schritt, die Ausbildung zum Redakteur. Dies erfolgt auf klassischem Weg durch ein zweijähriges Volontariat in einer Redaktion. Diese redaktionelle Ausbildung kann auch durch den Besuch an einer Journalistenschule ersetzt werden. Der in Köln sitzende TV-Sender RTL unterhält seit 2001 die RTL-Journa-

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LebensEcht

listen-Schule für TV und Multimedia. Hier wird alle zwei Jahre ein 25 Schüler starker Jahrgang aufgenommen. In der 24monatigen Ausbildung wird in redaktionellen und technischen Arbeiten ausgebildet. Ein Wechsel zwischen Praktika in TV-Redaktionen und Theorieblöcken bestimmen den Alltag. Ein Vorteil der RTL-Journalistenschule ist die Möglichkeit, verschiedene konzerneigene Abteilungen zu besuchen. So gliedert sich die zweijährige Ausbildung wie folgt: Sechs Monate besucht der Schüler die Journalistenschule in Köln, 13 1/2 Monate befindet sich der Auszubildende in Redaktionen bei RTL (bundesweit) und 4 1/2 Monate in Wahlstationen. Kooperationspartner während dieser Ausbildung sind die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft, das Adolf-GrimmeInstitut und die Graduate School of Journalism der Columbia University.

Möglichkeiten sind einmalig; die Dozenten bestehen aus der ersten Riege der TVBranche.

Es war aber trotzdem eine sehr schöne und angenehme Zeit.

Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um aufgenommen zu werden? Man sollte schon erste Praxiserfahrungen in Form von Praktika oder Nebenjobs gesammelt haben. Zusätzlich sollte man mindestens Englisch beherrschen, Talent für die Sache mitbringen und es wirklich wollen. Der Rest entscheidet sich dann beim Eignungstest.

Empfiehlst du diese Art der Ausbildung weiter? Auf jeden Fall! Wie schon gesagt, diese Ausbildung ist hundertprozentig auf den Job des TV-Redakteurs zugeschnitten. Meiner Meinung nach ist es das Beste was du machen kannst. Also los, Sylvia!!

Du hast Germanistik studiert und die Abschlussprüfungen mit Ausnahme der Magisterarbeit gemacht. Hast du vor, den Abschluss noch zu vervollständigen? Ja, den Magister-Abschluss möchte ich mit Sicherheit irgendwann nachholen. Wann genau, weiß ich allerdings noch nicht.

Die 26jährige RTL-Redakteurin Pia Osterhaus hat diese Ausbildung von 2005-2006 absolviert:

Du warst ja noch sehr jung, als du an der RTL-Journalistenschule angefangen hast. Wie hoch war das Durchschnittsalter deiner Mitschüler? Der Altersdurchschnitt liegt bei Mitte/Ende zwanzig. Ich war wirklich eine der jüngsten Teilnehmer.

Pia, wie würdest du rückblickend deine Ausbildung an der RTL-Journalistenschule beschreiben? Meiner Meinung nach ist diese Journalistenschule die beste Wahl für jeden, der seine Zukunft im TV-Journalismus sieht. Das Angebot, der Lehrplan und die gebotenen

Wie war das Miteinander unter den Schülern? Wir haben uns gut verstanden, man kann aber nicht von einem Klassenverband wie noch zu Schulzeiten sprechen; das liegt wohl daran, dass wir alle schon älter waren und es um unsere Zukunft ging.

Wie sehen die Berufschancen nach dieser Ausbildung aus? Man hat nach diesem Abschluss sehr gute Chancen, teilweise wird man schon während der Schulzeit von Redaktionen angeworben. Bist du mit deinem Werdegang bisher zufrieden? Hundertprozentig zufrieden. Ich mache jetzt genau den Job, den ich schon immer machen wollte. Nach diesem Erfahrungsbericht noch einige Informationen zu Bewerbungsverfahren u. Ä. Alle zwei Jahre werden 25 Schüler aufgenommen. Das nächste Schuljahr beginnt im Frühjahr 2009, das nächste Anmeldeverfahren findet 2010 für das Jahr 2011 statt. Für alle Interessierten gibt es weitere Infos zu Lehrplan und Lehrenden im Netz unter www.rtl-journalistenschule.de. Sylvia Jobi

Der Sommer geht vorbei und für viele Menschen mit ihm auch die Begeisterung für den Partner des letzten Sommerflirts. Doch was tun, wenn mit den langen lauen Sommernächten und den heißen Stunden auf Balkon oder Dachterrasse auch die Lust auf den Flirt der letzten Monate vergeht? Besteht die mit Endorphinen aufgepumpte Sommerliebe den nahenden Herbst und Winter mitsamt dem Schlechtwetter-Blues? Vergeht die anfängliche Euphorie oder ist es doch die wahre Liebe? In den meisten Fällen ist sie es nicht. Mit dem schönen Wetter verschwindet auch die zentimeterdicke rosarote Brille und man sieht (endlich) wieder klar. So sind kleine Schwächen wie Vergesslichkeit „Ach Schatzi, sorry, ich hab schon wieder vergessen dich anzurufen – ich bin einfach ein bisschen verpeilt!“ nicht länger süß, sondern rauben einem den letzten Nerv. Die anfängliche Eifersucht, über die man sich - sind wir doch alle mal ehrlich - zu Anfang gefreut hat (da man sich so des Interesses seiner zeitweise besseren Hälfte sicher war), erinnert nach und nach viel mehr an Besessenheit und Unzurechnungsfähigkeit…. Zumindest nicht für die Ewigkeit. Was tut man jetzt? Der direkteste und fairste Weg wäre ganz klar der der Wahrheit. Zähne zusammen beißen, raus mit dem Satz: „Mach's gut, schönes Leben noch!“ und zurück auf den Single-Markt – ALLEIN. Und gerade dieses Wort ist es, das einer riesigen Menschenmenge eine Heidenangst einjagt. Diese Angst vor der Ungewissheit, die Frage: „Find ich denn jemand Neues wenn ich ihn/sie jetzt schon in die Wüste schicke?“, schafft den Markt für sogenannte Alibi-Agenturen. Diese Agenturen beschäftigen sich damit, wie man als Kunde nicht nur den jeweiligen Partner, sondern eigentlich jeden Menschen in seinem Umfeld möglichst unbemerkt hinters Licht führt. Das Konzept ist relativ einfach: Möchte man einige Stunden, einen Tag, ein Wochenende oder gar einen ganzen Urlaub ungestört und ohne

das Wissen anderer über das, was man tut, verbringen, tritt die Alibi-Agentur in Aktion. So rechtfertigen Anrufe zu vermeintlichen Job-Meetings, telefonische oder schriftliche Hotelbestätigungen oder Einladungen zu Wochenend-Kongressen fiktiver Firmen das ungestörte Schäferstündchen mit der neuen Liebe. Natürlich muss das Grundgerüst durch den Kunden selbst geschaffen werden, die Feinarbeit bzgl. Glaubwürdigkeit übernimmt dann die Agentur. Ein Beispiel zur Verbesserung des Verständnisses: Man möchte ein Wochenende mit der neuen Flamme im Wellness-Hotel verbringen, braucht aber eine Erklärung für die die Partnerin/ der Partner zuhause. Zunächst erzählt man beiläufig von einem Workshop der Firma, der in den nächsten Wochen stattfinden soll. Wie zufällig erhält man dann eine schriftliche Einladung zu diesem vermeintlichen Arbeitstermin. So weit so gut….um auf Nummer sicher zu gehen, macht die Alibi-Agentur Anrufe, taktisch klug gerade dann, wenn der eigentliche Kunde zwar nicht – der zu betrügende Partner aber schon daheim) ist, in denen noch einmal eine Buchungsbestätigung für das Job-Wochenende gegeben wird. Wer sollte da noch zweifeln? Zusätzlich gibt es auf der Internetseite noch entsprechende Seitensprung-Tipps, damit der perfekt organisierte Betrug im Nachhinein nicht durch Lippenstiftflecken am Hemdkragen oder fremden ParfumSpuren auffliegt. Natürlich möchte ich das Tun dieser Agenturen nicht gutheißen. Es lässt sich darüber streiten, ob diese Art der Dienstleistung moralisch vertretbar ist, dennoch kann nicht bestritten werden, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt und die verantwortlichen Geschäftsführer ganz klar eine Marktlücke entdeckt haben. Weitere unmoralische Informationen und Angebote im Netz unter www.alibi-profi. com. Sylvia Jobi

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Wie ein Schwein vor dem Uhrwerk Das Klinikgelände ist ziemlich weitläufig und unübersichtlich, ich brauche eine ganze Weile um das richtige Gebäude zu finden. Wenigstens kann ich direkt davor parken, da ist reichlich Platz vorhanden. Heute ist offensichtlich keine Stoßzeit was Besuche angeht. Der Aufzug ist kaputt und die Station liegt im fünften. Die Wände im Treppenhaus sind mit bunten Tieren bemalt, die man eher in einer Grundschule vermuten würde. Im fünften Stock ist die Station vom Treppenhaus mit einer Glasfront abgetrennt, neben der Tür ist eine Klingel. Vor zwei Wochen rief mich Thomas an und erzählte mir, dass sie Pablo in die Klapse gesteckt hätten. Ich weiß noch, wie erleichtert ich darüber war. Ich frage die Schwester nach ihm, sie sagt, er wäre im Fernsehzimmer und zeigt den Gang runter. Das Fernsehzimmer ist völlig verqualmt, ein paar Tischgruppen stehen herum, an der Wand ein Schrank mit Spielen. Eine Handvoll Patienten sitzt im Raum, soweit voneinander weg wie möglich; bis auf Pablo, der spielt mit einem dürren Kerlchen im Metallica-T-Shirt Karten. Er sieht auf, ich hätte ihn fast nicht erkannt. Seine Haare sind raspelkurz geschoren und seine Lippe sieht aus, als wäre sie genäht worden. „Hey, wie geht’s dir?“ sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Vor drei Monaten ging es ihm noch blendend. Da sind wir einen trinken gegangen, und er hat erzählt, er würde jetzt reinen Tisch machen, seinen Job kündigen und in Portugal eine eigene Firma aufmachen wollen. Er hätte da schon ein paar Leute an der Hand, die da bei ihm mit einsteigen würden. Soviel Abenteuerlust hätte ich ihm gar nicht zugetraut, aber er schien wirklich bester Laune zu sein. Er war sehr großzügig, gab mir mehrmals einen aus, und ließ sich auch nicht lumpen, in jedem Laden eine Lokalrunde zu geben. Nach der dritten Kneipe stieg ich aus, er zog noch weiter. Metallica steht wortlos auf, als er mich sieht und verzieht sich an einen Tisch am Fenster.

Pablo braucht eine Weile um zu antworten. „Hi… wie soll’s mir gehen, wie einem Schwein vor dem Uhrwerk.“ Er grinst schwach. Seine Stimme klingt fast wieder normal, nur drogenbedingt ein wenig langsam. Jedenfalls ist dieser hektische, abgehackte Klang daraus verschwunden, den er in letzter Zeit immer hatte. Der ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als er ein paar Tage später bei mir auf der Couch saß, und in jeder Minute zehn neue Ideen hatte, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen würde. Ich saß da und versuchte, zunehmend überfordert, seinen Gedankensprüngen zu folgen, während ich mich krampfhaft gegen die Erkenntnis wehrte, dass da etwas nicht stimmte. Als er erzählte, dass seine Kollegen sein Handy abhören würden, gab ich auf. „Gut, dass du kommst, es ist sterbenslangweilig hier. Ich mach den ganzen Tag nichts anderes als zu rauchen und auf Wer-wirdMilionär zu warten. Sind nur Ärsche hier.“ Pablo starrt auf den Aschenbecher in dem seine Zigarette verglimmt. Sein Gesicht sieht seltsam verquollen aus. „Bis auf Roman, mit dem kann man auch mal Karten spielen, das war grade der Roman.“ Er zeigt auf Metallica, aber der rührt sich nicht und starrt auf den Fernseher. „Warum haben sie dir die Haare abgeschnitten?“ „Haben sie nicht. Das war ich selber. Bevor sie mich abgeholt haben. Sind auch schon wieder gewachsen, waren schon mal kürzer.“ Er fährt sich mit der Hand über die Stoppeln und kratzt an dem Schorf am Hinterkopf. Er sieht todmüde aus. Vor zwei Monaten hat er sich noch innerhalb von zwei Tagen ein neues Auto ge- und dann wieder verkauft, und das Geld, immerhin fast sechstausend Euro, in den folgenden Wochen komplett verschleudert. „Und die Lippe, warst du das auch?“ „Nein. Das war der Türsteher vom StripLaden. Als sie mir da Hausverbot erteilt haben.“ Eine Pause entsteht, als er an der Naht herumspielt. Das war nicht das einzige Mal, dass er in letzter Zeit verprügelt worden ist. Ich weiß noch, wie ich vor zwei Mona-

ten wieder mit ihm unterwegs war, und er mit dem Telefon am Ohr und mit Scheinen wedelnd von Kneipe zu Kneipe stürmte, während ich hinter ihm her lief und hoffte, dass er nichts Dummes machte. Trotzdem legte er sich später noch in einer Spielhalle mit jemandem an, der ihm ein Messer unter die Nase hielt. „Ach übrigens…“, fange ich an und hole das Handy aus der Tasche. „Ich wollte dir das hier zurückgeben.“ Er guckt lange auf das Telefon. „Was ist damit?“ „Das…äh, das hast du mir geschenkt. Vor drei Wochen ungefähr, weißt du noch, da hast du dein ganzes Zeug verschenkt, den Laptop, die

Playstation… ich dachte nur, du wolltest es vielleicht wiederhaben.“ Er überlegt kurz, schüttelt dann aber den Kopf. „Komisch, da kann ich mich gar nicht mehr dran erinnern. Andererseits, so komisch ist das gar nicht. Aber nein, lass mal. Geschenkt ist geschenkt.“ Pablo zündet sich eine neue Zigarette an und gibt mir auch eine. Ich will eigentlich aufhören, aber das versuche ich seit zwei Jahren. Er wird langsam gesprächiger. „Der Typ auf meinem Zimmer, der ist vielleicht ein Vogel. Der redet wie ein Wasserfall, aber

nur mit sich selbst. Reagiert einfach nicht, wenn man ihn anspricht. Außerdem will er nachts immer mit seiner Schwester telefonieren, immer zur gleichen Zeit. Ich glaube, der hat gar keine Schwester. Schräg, oder?“ Dem hab ich nichts hinzuzufügen, und zucke die Achseln. „Aber den bin ich bald los, der kommt nächste Woche raus. Wenn ich Glück hab, hab ich dann erstmal ein Einzelzimmer.“ „Wie lange wollen sie dich denn hierbehalten?“ „Ist noch nicht ganz raus. Ich muss auf die Medikamente eingestellt werden, wenn die anschlagen, komme ich in eine Reha-Gruppe.“ „Und habt ihr hier auch… also, redest du auch mal mit den Ärzten? Ich meine, weißt du, was dein Problem ist?“ „Die sagen, ich hätte eine bipolare Störung, das hieß früher manisch-depressiv.“ Er spricht es sehr deutlich aus, als müsse er sich an die Betonung gewöhnen. Ich nicke langsam. Thomas hat so was schon erwähnt. Offensichtlich sieht er es inzwischen ein, was mich erleichtert. Vor zwei Wochen war das anders, da hat er überhaupt nicht zugehört, als wir mit ihm reden wollten. Im Gegenteil, er hat uns ausgelacht, dass wir die Verrückten wären. Am gleichen Abend riefen seine Nachbarn die Polizei, weil er einen Höllenlärm machte, indem er seine Küchengeräte und Computer an den Wänden zertrümmerte. Als die Polizei die Tür aufbrach, war er gerade damit beschäftigt, seinen Personalausweis, seinen Führerschein und seine Steuerunterlagen in der Badewanne zu verbrennen. „Und…wie ist das jetzt? Fühlst du dich immer noch so oder bist du inzwischen…ruhiger?“ Er starrt gedankenverloren an mir vorbei aus dem Fenster. „Weißt du, was das Problem dabei ist? Ich fange jetzt erst so langsam an zu begreifen, was ich in der letzten Zeit alles getrieben habe und frage mich, was zum Teufel ich mir dabei gedacht habe. Und trotzdem fange ich schon an, das Hoch zu vermissen. Man fühlt sich einfach…super. Ich hab mich nie lebendiger gefühlt.“ Ich wollte eigentlich nicht danach fragen, tue es jetzt aber trotzdem. „Wie…wie hat es sich denn angefühlt?“ Er sieht mich an. „Du weißt alles, kannst alles, machst alles. Du hast im-

mer neue Ideen, eine besser als die andere. Du wirst nie müde, willst immer weiter feiern. Nichts hält dich auf, alles tanzt nach deiner Pfeife. Und alles passiert, weil du willst, dass es passiert. Du fühlst dich einfach wie Gott persönlich.“ Er drückt die Kippe aus und zündet sich eine neue an. Danach finden wir irgendwie keinen neuen Gesprächsstoff, und nachdem wir eine Weile über das öde Fernsehprogramm gelästert haben, sehe ich verstohlen auf die Uhr und räuspere mich. „Also, ich muss so langsam wieder gehen…“ „Okay, ja klar, danke, dass du hier warst.“ Er hält mir bereits die Hand hin. „Ich werde dann die Tage mal wieder vorbeikommen…“ „Gern, jederzeit. Brauchst auch nicht vorher Bescheid zu sagen“, er grinst wieder, „Ich geh hier nicht weg. Aber ne, sag trotzdem mal Bescheid, dann kannst du mir Kippen mitbringen.“ Als ich aus dem Krankenhaus komme, ist es schon fast dunkel und ein kalter Wind weht um den Parkplatz. Ich bleibe einen Moment in der Tür stehen und starre in die blinkenden Positionslichter des nahen Hubschrauber-Landeplatzes. Ich komme gerade aus der Psychiatrie, in der mein Freund Pablo wegen einer bipolaren Störung einsitzt. Manisch-depressiv. Seit der zehnten Klasse sind wir befreundet, wir sind auf Konzerte gegangen, haben uns bis in die Morgenstunden betrunken oder nächtelang Counterstrike gezockt. Zehn Jahre später, und ich besuche ihn in der Klapse. Wir hatten viel Spaß in der ganzen Zeit. Aber das ist jetzt kein Spiel mehr. Das ist ernst.

Wie fühl ich mich eigentlich dabei? Hm. Wie ein Schwein vor dem Uhrwerk. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich bin froh, dass ich da raus bin.

Text: Christopher Dröge | Artwork: Sara Copray


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Auf der Suche nach Demokratie – eine Studienreise durch Venezuela

Die Entwicklung der venezolanischen Demokratie ist ein äußerst komplexes sowie höchst widersprüchliches Phänomen. Auf unserer Studienreise, die 10 Studierende der Universität zu Köln gemeinsam mit Herrn Professor Zeuske für 30 Tage im September 2007 nach Venezuela führte, versuchten wir diesem Widerspruch mit besonderem Fokus auf die aktuellen politischen Entwicklungen unter dem Präsidenten Hugo Chávez Frías etwas näher zu kommen. Schon im Flieger wurde ich mit den politisch extremen Positionen Venezuelas konfrontiert. Neben mir saß ein älterer Herr, ein deutscher Großindustrieller, der seit über 40 Jahren einen Chemiekonzern in Venezuela leitet. Er war gegen Chávez und seine Politik, sowie die meisten VenezolanerInnen, die der Oberschicht angehören. Entweder man ist dafür, dann aber mit Herzblut, oder man ist dagegen, dann aber hasserfüllt. Wenn man sucht, findet man außerdem noch die „ni...ni“, die weder das eine noch das andere vertreten und deshalb ständig von allen Seiten angegriffen werden.

Der nette Herr aus dem Flugzeug gab Chávez die Schuld an allem. Das Land sei erst durch ihn gespalten worden und insbesondere die militärische Aufrüstung und die Milizen würden ihm Sorgen bereiten. Dass diese Polarisierung im politischen Kontext des Landes betrachtet werden muss, bei dem sowohl das Parteiensystem ab den 50er Jahren als auch die wachsende soziale Ungleichheit ab den 80ern entscheidende Faktoren darstellen, welche die extreme aktuelle Polarisierung eingeleitet haben, beachtete er bei seinen Ausführungen nicht. Ebenso ignorierte er, dass sich die soziale Lage im Land in Folge der Wirtschaftskrise verschlechtert hat. Diese wurde ebenfalls in den 80er Jahren durch die Holländische Krankheit sowie durch die Umsetzung der Strukturanpassungsprogramme ausgelöst. Auch als ich ihn gezielt auf diese Problematik ansprach, reagierte er abwehrend. Das wäre zwar alles so gewesen, aber trotzdem trüge Chávez allein die Schuld an der angeblichen aktuellen Wirtschaftskrise und der extremen Polarisierung, die das Land dieser Tage plagten! Ich verstand diesen Hass besser, als er außerdem berichtete, dass beispielsweise Bekannte in seinem Umfeld politische Repression erfahren würden. Zum einen beruflich, da einige seiner engsten Vertrauten in staatlichen, sowie in oficialista (Pro Chávez-) Konzernen abgelehnt worden

seien, weil sie bei dem Aberrufungsreferendum 2004 mit „Nein“ gestimmt hatten. Zum anderen die Meinungsfreiheit betreffend, denn die Tochter seiner Sekretärin sei bei einer der großen Studierendendemonstrationen im Zuge der Schließung des großen privaten Fernsehsenders RCTV Opfer von Polizeigewalt geworden. Insofern man seinen Ausführungen glauben schenken kann, waren außerdem vor den Wahllokalen bei den Präsidentschaftswahlen 2006 Militärs mit Kalaschnikows stationiert. Von diesen anti-chavistischen Reden beeindruckt, verließ ich den Flieger und bahnte mir meinen Weg in das Zentrum von Caracas. Caracas ist eine sehr lebendige, hektische Stadt. Im Zentrum befindet sich – typisch für lateinamerikanische Städte – ein Busbahnhof sowie ein großer Markt. Ebenso findet man hier den Plaza Bolívar, der in keiner venezolanischen Stadt und sei sie noch so klein, fehlen darf. Bereits am ersten Tag nach meiner Ankunft geriet ich in ein Meer von Menschen mit roten T-Shirts, die alle zum Plaza Bolívar pilgerten. Die roten TShirts symbolisieren in Venezuela die Sympathie für Chávez. Dieser stellte die neue Verfassungsreform vor, die im Dezember 2007 gültig werden sollte. Ein wenig verstört aufgrund der Menschenmasse, die aus allen Teilen des Landes zu diesem Event in die Hauptstadt geladen worden waren, sah ich mich plötzlich mit einem riesigen Plakat

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konfrontiert, auf dem in großen Lettern „Patria, socialismo o muerte“ stand. Für das Vaterland und den Sozialismus sollte man nun also sterben? Klar! Für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Sollte das die im Wahlprogramm 1998 proklamierte „tercer vía“, also der Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus sein? Während ich über den Plaza Bolívar schlenderte, wurde ich in eine Ausstellung gebeten, die sich mit Polizeigewalt gegen venezolanische Studierende im historischen aber auch im aktuellen Kontext beschäftigte. Ein Thema, über das ich mit besagtem Fluggast gesprochen hatte. Aus dieser Darstellung ging hervor, dass das Problem der Polizeigewalt gegen Studierende sicherlich noch nicht gelöst, die Übergriffe auf DemonstrantInnen sowie die Zahl der Toten im Gegensatz zur Zeit der paktierten Demokratie jedoch deutlich zurückgegangen sei. Die Studienreise begann einige Tage später. Untergebracht in einem sehr eleganten Hotel, versammelte sich die Kölner Studierendengruppe, mit der ich in den nächsten Tagen Tisch, Bett und außergewöhnlich beeindruckende Erfahrungen teilen sollte! Wir hatten uns ein Programm überlegt, in dem wir sowohl oppositionelle Gruppen als auch oficialistas besuchen wollten, um an ihren Erfahrungen teilzuhaben, mit ihnen zu diskutieren und uns, sofern vorhanden, ihre Einrichtungen anzusehen. Als erstes besuchten wir die deutsche Außenhandelskammer (AHK) in Caracas. Der stellvertretende Vorsitzende der AHK referierte darüber, dass deutsche Unternehmen von den Verstaatlichungsmaßnahmen nicht betroffen wären. Die bloße Tatsache allerdings, dass Verstaatlichungen hauptsächlich im Agrar- und Energiesektor durchgeführt würden, fördere Kapitalflucht sowie die Furcht vor Neuinvestitionen. Des Weiteren führe die Ungewissheit über die Einhaltung von Lieferfristen, Rohstoffen, häufige Gesetzesänderungen sowie Enteignungen dazu, dass immer weniger Messen stattfänden, da die Aussteller durch diese politische Situation eingeschüchtert wären. Sehr pathetisch legte uns der AHK Mitarbeiter die prekäre politische Lage dar, deren Ursache er auf persönliche schicksalhafte Ereignisse in Hugo Chávez’ Leben zurückführte. Am nächsten Abend trafen wir uns mit einer österreichischen Studierendengruppe, die uns fortan 10 Tage, gemeinsam mit Herrn

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Dr. Christian Cwick, einem Gastdozent der Universidad Bolivariana de Venezuela, begleiten sollte. Jetzt waren wir also 22 europäische Studierende in Venezuela. Eine Truppe, die auf der Straße so einige Aufmerksamkeit erregte. Der folgende Tag führte uns mit der U-Bahn an den Stadtrand, zur Endhaltestelle Pro Patria. Pro Patria ist ein Teil des barrios Catia. 1,5 Millionen Menschen leben hier. Zunächst besuchten wir eine Misión Barrio Adentro, die Teil eines Gesundheitsprogramms der Regierung Chávez ist und im Jahre 2003 initiiert worden war. Die kubanische Ärztin erzählte uns, dass das Modul täglich über 60 PatientInnen an einem Vormittag betreue. Unterstützt wird sie bei Ihrer Arbeit von einer Krankenschwester. Damit ist einerseits die Überlastung der Einrichtung, die von nur einer kubanischen Ärztin sowie einer Krankenschwester betreut wird offensichtlich, aber andererseits auch die Notwendigkeit diese zu installieren. Hauptsächlich würden hier Infektionskrankheiten sowie Dengue behandelt. Des Weiteren realisiere das Modul Präventivmaßnahmen durch Aufklärungsprogramme, vor allem in den Bereichen Drogen und Dengue. Danach nahmen wir an einem Consejo Comunal (CC) teil. Dies ist eine Art Nachbarschaftsvereinigung, deren Kern sich in Zusammenarbeit mit einem zuständigen Teil der Bevölkerung des barrios um anfallende Probleme kümmert. Die CC’s bilden somit eine Parallelstruktur zu den alcadías (dt. Bürgermeisterei), nur dass diese, nach eigenen Aussagen, tatsächlich die Bedürfnisse der AnwohnerInnen befriedigten. Bedürfniszentriert fänden Vollversammlungen (VV) statt, in denen die Probleme des barrios diskutiert und dann über den jeweiligen Ausbau eines Projekts abgestimmt würde. Die Menschen, mit denen wir sprachen, wirkten sehr enthusiastisch und freuten sich, am politischen Prozess partizipieren zu können. Nur was passiert, wenn die Regierung den Geldhahn zudreht? Welche Einflussmöglichkeiten in der nationalen Politik erhalten sie tatsächlich durch ihre Partizipation, indem sie gezielt ihre Interessen artikulieren? Auf diese Fragen konnten auch unsere Gesprächspartner nur mit den Schultern zucken. Während des Besuchs eines weiteren barrios, das 23 de Enero, lernten wir einen Mann kennen, der uns unmittelbar Zugang zu einem Batallon verschaffen konnte.

Batallone sind militärische Basen, in denen Zivilisten zu Milizen ausgebildet werden. Der Major erläuterte uns, dass Chávez vor ca. einem Jahr eine Kampagne initiiert hatte, bei der die Bewohner der einzelnen Stadtteile für den Fall einer US-amerikanischen Invasion im bewaffneten Kampf ausgebildet würden. So wären im letzten Jahr ca. 900.000 Menschen im Kampf ausgebildet und mit neuen Waffen, hauptsächlich Kalaschnikows, ausgestattet worden. Die Gewehre würden, nach Aussage des Majors, in dem Batallon gesichert aufbewahrt, so dass sie nur zu Übungszwecken oder im Ernstfall der dann ausgebildeten Reserve zur Verfügung stünden. Unsere Reise erreichte einen kleinen Höhepunkt, als wir im Teatro Municipal die Möglichkeit erhielten, den Präsidenten zu sehen. Bei diesem Event wurden junge DoktorantInnen, die erfolgreich an einem kubanischvenezolanischen Kooperationsprogramm teilgenommen hatten, ausgezeichnet. Nach langem Warten kam der Comandante, und obwohl wir ihn nur von unserer Theaterloge aus sahen, bekamen wir eine Eindruck von seinem Charisma. Leider mussten wir noch vor seiner Rede gehen, um unseren Bus nach Ciudad Bolívar zu bekommen. Nach acht Stunden Busfahrt kletterten wir bei einer unsäglich feuchten Hitze aus dem Nachtbus. Ciudad Bolívar ist eine historische Stadt, in der wir auf den Spuren des Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívars, den Congreso de Angostura besichtigten. Der Ort an dem Bolívar die Unabhängigkeit Venezuelas verkündete. Weiter ging es nach El Callao, wo wir auf den Spuren der mineros (dt. Minenarbeiter) wandelten, die sich in dieser südöstlichen Region Venezuelas mit dem Schürfen und Graben nach Gold ihren Lebensunterhalt verdienen. Eine dieser Minen konnten wir besichtigten und ich lernte, dass sich auch die mineros an das 21. Jahrhundert angepasst haben und sich meine verklärte romantische Vorstellung von einem Goldgräber in Realität als bierbäuchige motorradfahrende Männer entpuppte. Von El Callao aus fuhren wir noch weiter gen Osten, bis an die Grenze zu Guayana nach San Martín de Turumbang. In diesem kleinen Indigenendorf leben neun verschiedene Ethnien miteinander. Es ist relativ abgeschieden von jeglicher Infrastruktur und der Fluss ist die einzige örtliche Wasserquelle. Das Flusswasser ist allerdings durch Quecksilber und Fäkalien verseucht, da hier

zur Ablösung des Goldes vom restlichen Gestein, das in sogenannten Goldschiffen aus dem Fluss geschürft wird, Quecksilber benötigt wird, das dann wiederum in den Fluss zurückfließt und diesen verschmutzt. Trinkwasser muss daher extra per Jeep aus der nächsten Stadt geholt werden, die ca. 2,5 h entfernt ist. Strom kann hier nur aus Generatoren bezogen werden. Da San Martín allerdings Umschlagort für BenzinschmugglerInnen ist, steht wenigstens dieses ausreichend zur Verfügung. Eine Gesundheitsstation ist nur rudimentär vorhanden, so dass die Einwohner bei schweren Verletzungen die unwegsame zweieinhalbstündige Fahrt auf sich nehmen müssen, um ausreichend medizinisch versorgt zu werden. In der Regenzeit ist der Weg teilweise nicht passierbar. Auch in San Martín de Turumbang formieren sich die BewohnerInnen in einem Consejo Comunal, um ihre Bedürfnisse geltend zu machen. So weit abgeschieden von der Hauptstadt haben sie jedoch mit der Realisierung ihrer Projekte wenig Erfolg. Sozialmaßnahmen wie die Misión Barrio Adentro können hier nicht umgesetzt werden, da venezolanische Ärzte die Strapazen eines Lebens ohne fließend Wasser und Strom nicht auf sich nehmen wollen und kubanische Ärzte diese aufgrund der Grenznähe nicht auf sich nehmen dürfen. Das englischsprachige Guayana liegt gleich auf der anderen Seite des Flusses. Hier fuhren wir in eine erst vor kurzem entstandene Kolonie von Siedlern, die von den Gold und Diamantenvorkommen hergelockt wurden und besuchten eine guayanerischen Bar, in der Reggaemusik lief und Goldschürfer Bier tranken. Am Rande der Bar saßen leichte Damen. Nach diesem Stück Karibik am Rande Guayanas kehrten wir in einer fünfminütigen Bootsfahrt zurück an das venezolanische Ufer. Dieser Abend war der letzte gemeinsame mit den österreichischen Studierenden. Um noch Musik hören zu können, sammelten wir Geld für Benzin für den Stromgenerator und legten uns dann in unseren Hängematten schlafen.

liche Uniformen, alle heißen anders und alle haben andere Kompetenzen. Als besonders problematisch stellte uns der Generalkoordinator, Pablo Fernández Blanco, die Militarisierung der Polizei dar. Dieser Prozess habe schon vor 30 Jahren begonnen. Als Inbegriff der militarisierten Polizei gelte die guardía nacional, die nun Krieg auf der Straße führe und somit für viele Opfer verantwortlich sei. Zu den Hauptproblemen der Polizei zählten Korruption und Bestechlichkeit, die durch Niedriglöhne gefördert würden. Polizisten verliehen manchmal sogar ihre Waffen gegen Geld, für gezielte Verbrechen in den barrios. Leider würden derzeit Verbrechen zu 95% von Frauen angezeigt obwohl ca. 99% der Opfer Männer seien. Als problematisch stellte er auch den Rassismus dar, denn häufig wären junge, dunkelhäutige, arbeitlose Jugendliche die Opfer von Polizeigewalt. Beeindruckt von der Professionalität und der Sachlichkeit, mit der uns der NGOVertreter den Sachverhalt und auch die Justizreform darlegte, verließen wir Caracas und machten uns auf in den Westen Venezuelas. Die Anden. Unser Ziel war ein kleines privates Centro Campesino, ein Landwirtschaftszentrum im Staat Mérida, in dem kleinen Ort Mucuchies. Das Landwirtschaftszentrum „El Convite“ wurde vor 23 Jahren gegründet und betreut rund 500 Bewohner in 5-6 Kooperativen. Neben sozialer Arbeit im Bildungsbereich legt es seinen Schwerpunkt hauptsächlich auf die Unterstützung und Schulung im Bereich

des ökologischen Anbaus. In Mérida sind große, hauptsächlich ausländische Fabriken ansässig, in denen Pestizide für den landwirtschaftlichen Anbau hergestellt werden. Die Höhenluft stieg einigen von uns zu Kopf, das Atmen fiel schwer und jede Bewegung entpuppte sich als Marathonlauf. Schon am nächsten Tag fuhren wir runter in die Stadt Mérida. Hier löste sich unsere Reisegruppe nun endgültig auf. Eine spannende und abwechslungsreiche Zeit ging zu Ende. Die Demokratie Venezuelas ist ein äußerst komplexes sowie höchst widersprüchliches Phänomen! Unsere Reise hat uns Einblicke in diese Komplexität ermöglicht und doch bleibt ein Gefühl der Ratlosigkeit zurück. So sehr mich die partizipativen Strukturen, das politische Engagement der VenezolanerInnen und die Gesundheitsprogramme beeindruckt haben, so sehr haben mich die Militarisierung und die Autorität der Regierung abgeschreckt. Hier stehe ich nun wieder in Deutschland und denke, der Sozialismus des 21. Jahrhunderts hat eine neue ganz eigene Kategorie eines sozialautoritären und partizipativen Systems geschaffen! Wie man diesen beurteilt, hängt von der persönlichen Einstellung ab, wie man grundlegende Veränderungen und soziale Reformen möglichst schnell und effektiv verwirklichen kann und vor allen Dingen, in welche Richtung er sich weiterentwickeln wird. Janina Heuser

Zurück in Caracas trafen wir uns mit dem Generalkoordinator einer venezolanischen Menschenrechtsorganisation, dem „Red de Apoyo“. Durch dieses Gespräch lichtete sich der Polizeidschungel. Die Polizei- und Militärpräsenz in Venezuela, insbesondere in Caracas, ist enorm. Alle tragen unterschied-

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der Weg ist das Ziel – Mit dem Zug von Dakar Wie schon des Öfteren in meinem Leben ereilte mich an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Stunde, ja gar Minute ganz plötzlich das dringende Gefühl, etwas ganz Neues erleben zu wollen. Ich weiß noch, ich saß gerade in Saint Louis am Senegalfluss und las über die Abenteuer des Mungo Park, als ich bei mir dachte, dass auch ich bald das Innere Afrikas entdecken würde. Allerdings nicht auf Pferden oder Kamelen, sondern mit dem Zug. Die Reise beginnt an einem Dienstag. La ilah illa Allah! Der Muezzin hat kaum zum ersten Gebet gerufen, als ich die weißen Türläden meines kleinen Häuschens von außen zuschließe. „Heute ist der Tag, an dem ich ausziehe, Afrika zu entdecken“, sage ich mir, um mir Mut zu machen. Die Vorfreude auf ein bevorstehendes Abenteuer mischt sich mit dem wohlvertrauten flauen Gefühl im Magen, das bei mir sonst eigentlich immer die Gangway eines Flugzeugs oder Klausuren ankündigt. Zur Reise entschlossen versuche ich einfach, es zu ignorieren und atme einmal tief ein. Die Luft ist kühl und frisch und noch hängt ein letzter feuchter Nebelschleier auf den roten Zähnen der Bissapblüten. Bald wird er jedoch verschwunden sein, denn schon kündigt sich der Morgen mit Vogelgezwitscher und dem kräftigen Duft von frischgebackenem Brot an. Ich spähe hinüber zur Hütte meines Freundes Lamine. Soeben hat er sein Gebet beendet und kommt lachend herüber zu mir: „Ist es soweit? Pass gut auf Dich auf!“ Von Saint Louis nach Dakar Der Gare Routière empfängt seine Reisenden schon in der Frühe mit heftigem Tumult. Auf einem staubigen Platz, der etwa so

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nach Bamako

groß ist wie ein halbes Fußballfeld, stehen unzählige Autos, eines schrottiger, zerdellter und rostiger als das andere. Ich bin entsetzt und der Anblick dieser, für mein europäisches Auge in wahrlich zweifelhaftem technischen Zustand befindlichen Transportmittel, entlockt meinem schockierten Gemüt einen missmutigen Seufzer. Für einen kurzen Moment denke ich an Umkehr, Flucht, die Sicherheit einer bereits bekannten Umgebung. doch dann übergebe ich mich dem afrikanischen Schicksal. Die Fahrt dauert lang. In Dakar angekommen, muss ich zuerst zur Botschaft. Es ist Dienstag 14 Uhr und der Zug nach Bamako fährt immer mittwochs, das heißt, ich habe keine Zeit zu verlieren. „Die Bearbeitung von Visumsanträgen dauert bei uns mindestens 48 Stunden“, sagt die Dame am Schreibtisch im Visumsbüro und lugt mit hochgezogenen Augenbrauen über die Ränder ihrer dicken Brille. „Und wissen Sie nicht, dass sie dafür morgens kommen müssen?“ Sie macht ein Gesicht, als sei sie die Botschafterin höchstpersönlich. Ihr strenger kühler Blick lässt ahnen, dass man hier nur mit Unterwerfung weiterkommt. Uiuiui. Jetzt heißt es Ruhe bewahren und schmeicheln, wenn ich morgen den Zug kriegen will. Nach eindringlichem Bitten und Erklären, bekomme ich aber schließlich doch noch den Stempel in den Pass. Uff! Das wäre geschafft. Wo geht’s zum Bahnhof? Am nächsten Tag fahre ich zum Bahnhof. Der Taxifahrer nimmt einen Umweg. Über Sandwege und kleine Seitenstraßen lenkt er seine alte Karre durch Wohnviertel, um dem Verkehr auf der Straße auszuweichen. Schließlich geht es über eine alte Brücke, die mehrere Schienenpaare überspannt, dann halten wir am Straßenrand neben einem Obststand. „Gare de Hann“, sagt der Taxifahrer. Ich schaue mich verwundert um. Es ist weit und breit kein Bahnhofsgebäude zu sehen. Etwas gereizt frage ich, wo denn hier der Bahnhof sein soll. Ohne Worte deutet der Mann auf die Schienen in Richtung Süden. Da! Jetzt verstehe ich wirklich nur noch Bahnhof, denn alles was ich in knapp 300m Entfernung erspähen kann ist ein Baum, der neben einer alten, von Rost rot gefärbten Eisenbahnbrücke steht. Ich steige aus und folge den anderen Leuten, die, schwer bepackt, dicke Koffer, Plastiktüten und Kinder schleppen. Je näher wir kommen, desto verwunderter werde ich. Unter dem großen

Laubbaum, direkt neben den Schienen, sitzen Leute und warten. Ich fasse es nicht. Der Baum ist der Bahnhof. Das ist Afrika, verdammt noch mal! Auf einem kleinen Schattenfleckchen lasse ich mich mit samt dem Rucksack in den Sand plumpsen. Geschafft! Jetzt heißt es nur noch warten und irgendwann einsteigen. Der Zug ist allerdings noch nirgends zu sehen. Egal, hier lässt es sich erstmal aushalten. Und spannend ist es allemal, denn um mich herum sitzen viele knatsch bunte Afrikaner, ganze Familien: Dicke Frauen mit rotznäsigen Kindern, kleine schlitzohrige Jungs und erwachsene Männer, alte dünne Omas in blumigen Gewändern und schweren Ohrringen in den knopfgroßen Ohrlöchern. Teilweise strecken sie sich auf mitgebrachten Strohmatten aus oder sitzen auf den ausladenden Wurzeln des Baumes und kochen Tee. Einige Händler haben ihre Verkaufsstände aufgebaut und bieten Kokosnüsse, Bananen und kleine Kuchen feil. Da kommt ein Mann mit ca. zwanzig aufeinander gestapelten Schaumgummimatratzen in neonfarbenen Bezügen, die er auf seiner Schulter balanciert. Eigentlich ist alles da, was man für einen Bahnhof braucht, denke ich bei mir - Schienen, Verpflegung, ein kleines Toilettenhäuschen und Passagiere. Wozu benötigt man schon ein Gleis oder einen Fahrplan, wenn es sowieso nur einen einzigen Zug gibt der noch dazu nur einmal pro Woche fährt? Richtig! Überhaupt nicht! Im Bamako Express Mit drei Stunden Verspätung rollt quietschend und ächzend ein grüner, ziemlich verrosteter Zug an. Die Lok ist in den senegalesischen Nationalfarben rot, grün und gelb angestrichen und sieht sehr alt und mitgenommen aus. Unter dem Baum wird es unruhig, Frauen schnappen ihre Kinder, Männer wuchten sich Koffer und Säcke voller Lebensmittel auf die Schultern und eilen über die Schienen zu den Waggons. Alles muss mit. Wie alle anderen Reisenden suche ich erstmal den Wagen, in dem ich meinen Platz habe. Das ist nicht ganz leicht, denn es fehlt jegliche Nummerierung. Schließlich zwänge ich mich durch irgendeine Waggontüre und staune über die vielen Dinge, die ein Afrikaner hierzulande so mitschleppt, wenn er mit dem Zug verreist. Säcke mit Reis, ganze Mofas, Hühner und Schafe, deren Beine so zusammengebunden sind, dass das arme Tier wie ein verschnürtes blökendes Päckchen aussieht.

Endlich habe ich meinen Platz gefunden. Ein oller brauner Sitz, dessen spärliche Polster so zerrissen und kaputt sind, dass man mehr spröden Schaumstoff sieht als Lederbezug. In der Mitte des Sitzes klafft ein großes Loch, durch das die Polsterfedern zu sehen sind. Das kann ja eine heitere Fahrt werden, denke ich bei mir. Merkwürdigerweise ist der Sitz dann aber doch ganz bequem. Nach ca. einer Stunde sind alle Gepäckstücke verstaut. Die Frauen in meinem Abteil holen bereits ihre Kohleöfchen heraus, feuern an und beginnen auf dem Gang zu kochen. Die meisten haben Proviant für drei Tage und eine Großfamilie dabei. Wo kein Fuß sich unter den vorderen Sitz ausstreckt, liegt ein Sack Reis, einige Kanister Trinkwasser oder andere Koffer und Taschen. Dann geht es los. Langsam schiebt sich der eiserne Koloss durch die Viertel der dunstigen Großstadt in Richtung Osten. Ich lehne mich zurück und versuche durch die trüben Fensterscheiben Bilder von der Straße draußen zu erhaschen. Ich sehe kleine Jungs, die Fußball spielen und vor Staub ganz gelb im Gesicht sind. Frauen pulen im Schatten ihrer Hauswände Erdnüsse aus den Schalen, Wäsche flattert an schlaff gespannten Leinen, ein Pferd wiehert. Fasziniert von der Andersartigkeit dieser afrikanischen Welt, fahren wir in die Dämmerung. Ich habe den Reiserucksack auf den Knien, meine Hände und Füße schwitzen und sind ganz schmutzig von Dreck und Staub. In den nächsten drei Tagen, denn so lange dauert die Reise, werde ich wohl nicht mehr dazu kommen, sie zu waschen. Kaum zwei Stunden nach Abfahrt, hält der Zug im ersten Bahnhof auf dem Land. Sofort springen Passagiere aus den Abteilen und versammeln sich draußen auf dem Bahnhofsvorplatz zum Gebet. Die Leute aus dem Dorf wissen, dass der Zug heute hier durch kommt und haben daher kleine Marktstände aufgebaut, an denen sie Melonen, afrikanische Reisgerichte, Hühnchen, Maisbrot und Wasser feilbieten. Begeistert und erfreut über diese unverhoffte kleine Pause, steige auch ich aus und umwandere den Zug. Ganz vorne entdecke ich das „Bord“-Restaurant und darin zwei andere Rucksackreisende. Geoff aus Australien und Arthur aus Tirol. In den nächsten Stunden werden wir uns noch oft über den Weg laufen. Schließlich wird es noch eine Weile dauern, bis wir in Bamako ankommen. Plötzlich stößt die Lok einen schrillen Pfeifton aus und der Zug setzt sich langsam wieder in Bewegung. Wer noch nicht „an Bord“ ist, springt schnell auf, dann rollen wir wieder in

die weite Steppe hinaus. Zurück an meinem Platz streckt mir mein Sitznachbar Moustafa ein gegrilltes Hähnchen unter die Nase: „Hier, für Dich“, sagt er, „das hab ich Dir von draußen mitgebracht“. Die Großzügigkeit des Teilens, wie ich sie in Afrika erfahre, ist einfach wunderbar. Die Nacht wird vorerst ruhig aber unbequem. Draußen herrscht eine unheimliche Dunkelheit, die alles verschluckt. Auf den alten Gleisen der Kolonialzeit fahren wir durch die Sahelsteppe, die Passagiere schlafen friedlich. Da plötzlich ertönt ein Gezeter und Geschrei. Ein Mann wehrt sich gegen den Zugpolizisten, der ihn mit Hilfe zweier anderer Männer durch den Gang des Waggons schleift. Er wehrt sich heftig und wiederholt immer wieder einen Satz: „Ich habe nichts getan, Monsieur, lassen Sie mich los! Ich habe nichts getan, Monsieur!“ Neben mir wacht ein kleines Kind auf und fängt an zu weinen. Die meisten Zuggäste sind aber schon aus dem Schlaf gerissen und beginnen lauthals zu diskutieren, ein Gewusel und Geschnatter beginnt. Im nächsten kleinen Ort, den der Zug passiert, setzt man den Schurken an die Luft. Mitten in der Nacht. Ohne Fragen. Langsam wird es wieder ruhiger und bald falle ich in tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen gehe ich ins Restaurant. Hier gibt es Kaffee und Omelett. Viele Afrikaner haben sich zum Frühstück versammelt, unter Ihnen auch der Zugtechniker

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Mady. Er erzählt mir, dass der Zug früher einmal besser in Schuss gewesen sei, bis das Bahnunternehmen privatisiert wurde. Heute gibt es nicht nur weniger Bahnhöfe, die auf der Strecke angefahren werden, sondern auch weniger Fahrten. Wartungsarbeiten werden auch nur selten durchgeführt, daher passiert es manchmal, dass ein Waggon entgleist und dann dauert es lange, bis die Fahrt weitergehen kann. Ich frage Mady, wann wir denn ungefähr in Bamako ankommen werden. „Das kann ich Dir nicht sagen, meine Kleine“, erwidert er, „wenn Allah will, vielleicht morgen Abend.“ Am Nachmittag sitze ich bei Geoff und Arthur. Wir unterhalten uns über das Reisen in Westafrika, schauen aus dem Fenster, sehen weite Steppe, und spitze hohe Termitenhügel aus roter Erde an uns vorüberziehen und freuen uns auf neue Eindrücke in einem fremden Land. Es ist ein Uhr morgens, als wir die Grenze zu Mali passieren. Der Zug fährt über eine Brücke, der Grenzfluss reißend unter uns. Ein trockener brennender Baum erhellt spär-

lich den Platz, an dem der Stahlkoloss ächzend und quietschend zum Stehen kommt. Grenzbeamte steigen ein und machen einen furchtbaren Lärm. Sie sind nicht sehr freundlich und nehmen allen Passagieren, die nicht aus Senegal oder Mali kommen, ihre Pässe ab. „Kommen Sie in einer halben Stunde ins vorderste Abteil des Zuges, dann geben wir Ihnen den Pass zurück“, meint ein stämmiger großer Mann, dessen Augen gleichgültig an mir vorbeischauen. Entrüstet muss ich mich fügen. Müde und fluchend bahne ich mir nach einer Weile den Weg durch die Waggons in die vordere Hälfte des Zuges. Geoff und Arthur mit mir. Es ist gar nicht so leicht bei Dunkelheit über die ganzen Koffer, Wasserkanister, Stövchen und schlafenden Afrikaner zu klettern, ohne Lärm zu machen oder ab und zu hinzufallen. Schließlich erreichen wir jedoch das Abteil, wo man uns gegen ein Entgelt von umgerechnet 2 Euro einen Stempel in den Pass und daraufhin das Dokument zurückgibt. Erleichtert kehre ich an meinen Platz zurück und falle in seligen Schlummer.

Thema: Die Welt in Köln Grenzgang – mit dem Kopf unterwegs Wem ist es nicht schon oft so gegangen? Der Regen prasselt gegen die Fensterscheiben, der Tag ist grau und kühl und man sehnt sich nach Reisen in ferne Länder, zu fremden Kulturen, nach Abenteuern und wunderbaren Erlebnissen, die man nie wieder vergisst. Dem Globetrotter kommt da zuweilen die Idee, sich auch in seinem Heimatort an andere Plätze der Welt zu begeben, zwar nicht mit dem Körper, aber zumindest mit dem Kopf und den Sinnen. „Mit dem Kopf unterwegs“ lautet auch der Slogan von Grenzgang, dem Forum für Reisen, Kultur und Medien. Seit nun bereits 5 Jahren sind dynamische Weltenbummler am Werk und organisieren jeweils von Oktober bis Mai in Köln, Düsseldorf und Aachen Themenabende zu den unterschiedlichsten Ländern dieser Welt. Journalisten und Fotografen berichten live, spannend und unterhaltsam auf großer Leinwand von ihren Abenteuern und Begegnungen in anderen Ländern, von Menschen, Riten, Traditionen. Zu jedem Themenabend wird eine kulinarische Köstlichkeit aus der Region des jeweiligen Reiselandes angeboten. Befreundete Musiker tragen mit Live-Musik, Tanz und Kunst zu der besonderen Stimmung bei, einer warmen, herzlichen Stimmung, die manchmal auch fast geheimnisvoll ist. Wilde Tänzer Westafrikas, fern klingende Panflöten, Geigenspieler aus der Mongolei und Gitarren aus Mexiko.

Die Ankunft Der nächste Tag bricht an und die Sonne gießt ein gleißend helles Licht über die staubigen Felder und dornigen Büsche der weiten malischen Steppe aus, die so flach ist, wie das Meer. Hier und da tauchen Lehmhütten mit spitzen Strohdächern auf, die bunt gekleideten Menschen winken uns im Vorbeifahren herzlich lachend zu, Kinder laufen hinter den Zugwaggons her, rufen etwas in einer mir unverständlichen Sprache, wahrscheinlich auf Bambara. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis wir ankommen, denke ich bei mir und freue mich auf eine Dusche. Seit über 40 Stunden habe ich kein Wasser mehr auf meiner Haut gespürt. Bis wir die ersten Ausläufer der Hauptstadt Bamako durchqueren, ist die Sonne allerdings schon wieder hinter dem Horizont verschwunden. Die letzten Stunden sind eintönig und wie im Fluge vergangen. Nach fast drei Tagen Fahrt hole ich meinen Rucksack von der Gepäckablage herunter. Noch steht der Zug nicht, da reißen schon die ersten Leute Reis- und Zwiebelsäcke aus den offenen Waggongtüren, die Passagiere ziehen an ihren Gepäckstücken, Kinder fangen an zu schreien, Leute springen von draußen auf und rennen durch die Gänge. Es ist dunkel, als die Wagen keuchend im Bahnhof zum Stehen kommen. Sofort bricht Chaos aus. Alles zerrt, drückt, reißt, zetert. Jeder will der Erste sein. Geschubst und geschoben wird man. Ich zwänge mich neben gefühlten zwanzig Afrikanern durch die Türöffnung ins Freie, es ist dunkel, es ist laut und unübersichtlich. Wo muss ich hin? Wo geht’s hier von den Gleisen runter? Zwischen zwei Güterzügen eingepfercht, steht der Bamako-Express und dampft noch von der Anstrengung der langen Reise. In zwei Tagen wird er zurück nach Dakar fahren. Dann werde ich aber nicht dabei sein. In diesem Moment greift eine Hand nach mir. „Bist Du Eva?“ Ich schaue auf und sehe in das lachende Gesicht eines jungen Afrikaners. „Ich bin Mohammet Sissoko. Mein Vater hat mir gesagt, dass Du kommst. Herzlich Willkommen in Mali!“ Es ist der Sohn meines Freundes aus dem Senegal. Ich grinse ihn an und begrüße ihn herzlich. Erleichtert und voller Vorfreude auf die kommenden Wochen in einer geheimnisvollen Welt, gehe ich mit ihm gemeinsam über die Schienen zur einzigen Laterne, die den Bahnhofsplatz fahl beleuchtet. Dort wartet unser Taxi.

Mitreisen lohnt sich! Eintrittskarten und weitere Infos unter www.grenzgang.de Eva Helm Eva Helm

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FernSicht

Eine kleine Auswahl New Yorker Geschichten Einreisekontrolle am Flughafen in New York. Ich habe tatsächlich Angst, dass sie mich jetzt nicht rein lassen. Mir stehen das obligatorische Foto und der Fingerabdruck bevor. Ok, an dieser Stelle sind wohl keine dummen Witze à la „Mein Geburtsland? Afghanistan!“ angesagt. Der Beamte, der mich fotografiert und ausfragt, ist ungefähr so alt wie ich. Er versucht mit mir zu flirten, das macht die ganze Situation noch absurder. Ich bin froh, als ich endlich durch bin und dieser Spuk vorbei ist. Es gibt guten Kaffee in New York, der wegen des Jetlags in den ersten Tagen mein Lebenselixier ist. Man kann ihn in Unmengen von Filialen einer großen Kette bekommen, die auch in Europa überall Meerjungfrauen lächeln lässt, in New York aber wirklich inflationär an jeder Straßenecke auftaucht. Als Alternative gibt es auch viele süße Cafés (in NYC-Sprache: Delis), in denen man leckeren Kaffee in allen Varianten und kleine Snacks bekommt. An meinem dritten Tag in der Stadt sitze ich gerade total lässig in eben so einem Deli und versuche so zu tun, als sei ich hier aufgewachsen. Ein Mann fragt mich nach der nächsten U-Bahnstation. Tatsächlich weiß ich den Weg und kriege es zusätzlich zu diesem Erfolgserlebnis noch hin, mein Gegenüber daran teilhaben zu lassen. Möglichst knapp, weil, hey, New Yorker haben nie viel Zeit! Cool, ich beschließe, für heute New Yorkerin zu sein. Die ganze Zeit über werde ich das Gefühl nicht los, in einer Filmkulisse rumzulaufen. In einer ziemlich teuren und aufwendigen,

aber in einer Kulisse. Diese Stadt taucht wie keine andere immer wieder in Filmen aller Genres auf und hat in den Köpfen aller Kinogänger wahrscheinlich längst eine zweite Existenzform angenommen. Die Realitätsversion, die ich jetzt zu sehen bekomme, ist gar nicht mal so schlecht gemacht! Sie ist sogar manchmal wunderschön. Ich MUSS unbedingt in der Dämmerung auf die Aussichtsterrasse des Empire State Buildings. Das Kulissengefühl nimmt überhand, als der Himmel sich langsam dunkelblau färbt und unten nach und nach die Lichter der Stadt angehen. Ich bin hin und weg, weil es so verdammt kitschig ist.

Am Ende des Jahrhunderts trinkt man Blanche für 1.73 Euro Im Herzen von Brüssel, gleich neben dem alten Tramdepot und den etwas zu lauten und zumeist überbevölkerten Kneipen am „Roi de Belge“, befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße ein lauschig stilvolles Plätzchen, an dem es sich lohnt zu verweilen das „Fin de Siècle“.

Entgegen meinen Erwartungen gibt es in Manhattan auch wohnliche Gegenden. Ich würde manche Straßenzüge sogar als richtig gemütlich bezeichnen, obwohl es dieses Wort bekanntlich ja nur im Deutschen gibt. Rund um die N.Y. University in Greenwich Village ist zum Beispiel so eine Ecke. Vor den Bars und Cafés sitzen hier abends viele Leute entspannt zusammen. In einem Café gibt es statt Tischen Schachspielbretter, die von allen eifrig benutzt werden. Aber auch die Wolkenkratzer, deren Dimensionen man nicht richtig erfassen kann, strahlen für mich eine gewisse Ruhe aus. Neben ihnen wirkt alles andere so klein, dass es nicht wert scheint, sich sonderlich darüber aufzuregen. Mit der Nase in der Luft gehe ich gelassen durch die Straßen in New York.

Hier herrscht wahrlich eine besondere Atmosphäre: alte Holztische vor der dezenten Jugendstilfassade des Hauses Nr. 9 in der Rue Chartreux laden Vorbeischlendernde zu einem Päuschen, einem Plausch oder einer Blanche, der belgischen Entsprechung für Kölsch, ein. Man setzt sich hin und schaut. Das Publikum ist bunt gemischt und wer zu den Menschen zählt, die in Straßencafés immer auf der dem Treiben zugewandten Seite Platz nehmen, der ist hier genau richtig. Ein alter Herr mit Fliege und löchriger schwarzer Melone auf dem Kopf liest einen zerfledderten Asterix-Comic, zwei dünne Damen sitzen am Nebentisch, schlürfen Kriek, das berühmte belgische Kirschbier, und führen sich gegenseitig ihre Einkäufe vor. Ich bin mit meiner spanischen Freundin Sara da und genieße die letzten Septembersonnenstrahlen. Es ist angenehm entspannend, dieses ruhige Beisammensein. Aus der alten Musikanlage tönt knisternd die Stimme des Jacques Brel, sie singt „Ne me quittes pas“. Mit Blick auf zeitgenössische Malerei an den gelb getünchten Wänden tauchen wir bei einem Aperitif ins schummrig warme Licht ein, fühlen uns bald wie Künstler und Literaten im 19. Jahrhundert. Auch den Kellnern scheint es an ihrem Arbeitsplatz zu gefallen und das lassen sie ihre Gäste freundlich spüren. Sie tragen fein angerichtete Speisen durch die hölzerne Schwingtüre zu den Tischen. Ein paar Kleinigkeiten sollte der geneigte Besucher des „Fin de Siècle“ jedoch beachten. Wer auf runde Preise (der belgische Franc wurde 2001 genau in Euro umgerechnet), Coca Cola Produkte oder „visuelle Bezahlung“ mit Bankkarte Wert legt, muss sich wohl den Vorstellungen der Betreiber anpassen. Warum? Ausprobieren!

Johanna Regenhard

Eva Helm

Essen gehen in New York: Sobald der letzte Happen vom Teller ist, kommt der Kellner und fragt, ob er die Nachtischkarte bringen darf. Zunächst fühlt man sich angenehm umsorgt, doch als er nach fünf Minuten mit der Rechnung erscheint und lächelnd behauptet: „Take your time!“, ist klar, dass man hier entweder isst oder aufsteht und geht. Diese Stadt ist wirklich schnelllebig.

FernSicht

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Die Wiese Coco küsste ihn flüchtig auf die Wange und huschte an Karl vorbei in die Wohnung. Er hielt ihr noch die Türe auf, als sie schon längst an ihm vorbei war, ohne ihn anzuschauen. Er schauderte und stand wie angewurzelt im Wohnungsflur. Seine Hände schwitzten. Erst nach einigen Augenblicken ließ er die Tür ins Schloss fallen. Mit trägen Bewegungen ging er in sein Zimmer, wo Coco schon auf dem Bett lag, mit einem Buch in der Hand. „Wie war dein Wochenende?“, fragte er tonlos. „Gut, aber ich bin müde und fühle mich nicht so“, antwortete sie, drehte ihm den Rücken zu und fing an ihr Buch zu lesen. Karl setzte sich, seine Beine waren schlaff. Er schaute an die Decke. Nach einigen Sekunden hatte sich über ihm eine Wiese ausgebreitet. Gänseblümchen und Klatschmohn wuchsen in Sekundenschnelle. Schmetterlinge und Käfer flatterten herum. Plötzlich hörte er Vogelgezwitscher, zwei Amseln pickten nach Regenwürmern. Karl krümmte sich, ihm wurde kalt. Die Amseln waren größer als er und versuchten, nach ihm zu picken. Er verschwand im weichen, feuchten

Erdboden. Wo war Coco? Die Dunkelheit beruhigte ihn. Je tiefer er in die Erde hineinkroch, desto wohler wurde ihm, alles um ihn herum bewegte sich. Er spürte das Leben um sich herum, hörte Knirschen, Kauen, Kraxeln und ab und zu aus weiter Ferne ein dumpfes Beben. Vielleicht waren es Schritte. Karl rollte sich zwischen zwei Kieseln zusammen und wollte schlafen. Doch die Geräusche um ihn herum störten ihn. Sie wurden immer lauter und lauter. Er kroch wieder zwischen den Kieseln hervor und machte sich auf die Suche nach Coco. Coco versuchte zu lesen, aber sie starrte, seit sie auf Karls Bett lag, nur auf die Seiten, ohne deren Inhalt wahrzunehmen. Sie schämte sich, denn sie hatte die letzte Nacht bei dem Franzosen verbracht, den sie von früher kannte. Sie hatte Karl nicht in die Augen gucken können, als sie ihm an der Tür gegenüber stand. Gestern war noch alles in Ordnung, als sie sich verabschiedet hatten. Karl war auf einen Geburtstag gegangen und sie wollte zu ihren Eltern nach Hause

fahren. Doch als sie ihre Tasche gepackt hatte und im Begriff war zu gehen, hatte sie plötzlich ein Ziehen in der Brust gespürt. Sie saß an ihrem Schreibtisch, den Computer hatte sie schon heruntergefahren, und fühlte sich einsam. Coco nahm ihr Handy und ging die gespeicherten Telefonnummern ihrer Freunde durch. Wen könnte sie anrufen? Sie blieb bei der Nummer des Franzosen hängen, mit dem sie eine kurze Affäre gehabt hatte, bevor sie sich in Karl verliebt hatte. Ihr Herz pochte. Karl würde erst morgen wiederkommen. Sie schrieb eine Kurzmitteilung an den Franzosen, ob er nicht Lust hätte, sie heute mal wieder zu treffen? Einige Minuten später die Antwort: „Ja, gerne. Um neun Uhr in der Bar um die Ecke?“ Er wohnte im selben Viertel wie Coco. Erleichtert und aufgedreht rief sie bei ihren Eltern an und sagte ihnen, dass sie doch zu Hause bliebe, weil sie etwas für den Job fertig machen müsse. Sie dachte nicht an Karl, sie fühlte sich lebendig. Schnell ging sie duschen und machte sich dann auf den Weg zu ihrem Treffen. Am nächsten Tag, nachdem sie erst

mittags wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt war, fiel ihr Blick auf Karls Foto, das an ihrer Pinnwand heftete. Tiefe Traurigkeit überkam sie und sie fing an zu weinen. Auf einmal wuchs aus ihrem Teppich Gras, es wuchs so schnell, dass innerhalb von Minuten eine Wiese den Boden ihres Zimmers bedeckte. Coco zog ihre Schuhe aus und fühlte an ihren Fußsohlen das Kitzeln der einzelnen Grashalme. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und ging über die Wiese. Sie spürte die Kälte der Erde und die Käfer, Spinnen und Würmer. Coco wurde schlecht, sie suchte ihren Schreibtischstuhl, konnte ihn aber nicht finden. Sie ging in die Knie, beugte sich nach vorne über und erbrach sich in das Gras. Überall an ihrem Körper krabbelten jetzt die Insekten und sie schüttelte sich, um sie loszuwerden. Kurz musste sie an eine Kuh auf der Weide denken, die versucht, die Fliegen zu vertreiben, die sich von ihrem Mist ernähren. Der beißende Geruch ihres Erbrochenen vermischte sich mit dem von Sperma. Coco wurde schwarz vor Augen, sie sank in sich zusammen und wurde ohnmächtig.

Karl merkte, wie die Erde um ihn herum noch feuchter wurde und alle versuchten Richtung Oberfläche zu kriechen. Er schaffte es, an den anderen vorbei, sich nach oben zu drängen. Doch er hatte Angst, dass die Amseln ihn fressen würden. Außerdem stank es erbärmlich. Der angenehm erdige Geruch war getrübt durch eine scharfe Säure, die Karl nicht zuordnen konnte. Durch diese Sinneswahrnehmungen verwirrt, vergaß er seine Furcht vor den spitzen Schnäbeln der Vögel. Erst als er einen Schatten über sich wahrnahm und das Schlagen der Vogelflügel hörte, verkroch er sich wieder. Auf seiner Flucht erinnerte er sich an Coco. Seine Erinnerung an sie ängstigte ihn mehr als das Geschrei der Amseln über ihm. Karl hatte ihren fremden Blick vor Augen, als er ihr die Tür geöffnet hatte. Er schlängelte sich wieder tiefer in die Erde, um das Bild an der Tür loszuwerden. Langsam wich seine Angst von ihm und er sah sie aufs Neue, sie schien kleiner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Ihre Haare waren jetzt nicht mehr dunkelbraun, sondern blond und ihre braunen Augen hatten sich blau

gefärbt. Er hatte das Verlangen sie zu streicheln, doch er hatte keine Arme und er konnte nicht auf sie zugehen, um sie küssen, weil die Kälte ihn unbeweglich gemacht hatte. Auf einmal hörte er von Weitem eine Klingel schellen. Blut schoss in Karls Adern, sein ganzer Körper pulsierte. Ihm wurde wieder warm. Mit hektischen Bewegungen rollte er sich auseinander, seine Gliedmaßen begannen zu zucken und er fühlte, dass er seine Muskelkraft wieder erlangte. Karl drückte sich entschlossen an die Oberfläche, er roch das Gras, jetzt hatten sich auch die Vögel verzogen. Wahrscheinlich hatte sie das laute Geschrei der Klingel vertrieben. Er setzte sich kurz auf die Wiese, um sich wieder an die Helligkeit zu gewöhnen. Dann schüttelte er die Erde von sich und ging zur Tür. Kathrin Mohr


Le Parkour oder wie komme ich am schnellsten von der Südstadt in die Uni?

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Der 30-jährige Alex Pach empfängt mich mit den Worten: „Ach, ich dachte, du kommst gar nicht mehr!“ Dabei bin ich zur abgemachten Zeit am „Move Artistic Dome“, gegenüber des „Energy Dome“ des Kölner Basketball-Teams 99ers. Trotzdem, ein ruhiger und fester Händedruck folgt der Begrüßung. Alex, der wirkt, als sei er gerade auf dem Sprung, ist im Gespräch konzentriert und wach bei der Sache. Man merkt seinen Worten an, dass er nicht nur Sportler und Trainer, sondern auch ganz Geschäftsprofi ist. Er und sein Kompagnon Marc Patrick Dressen, beide ehemalige Studenten der Sporthochschule Köln, haben vor einiger Zeit eine GbR gegründet - zum einen bieten sie ihr eigenes Talent zu Show- und Werbezwecken größeren Firmen an, zum anderen betreiben sie eine „Move Artistic“ Schule, in der sie allen an Parkour, Freerunning und Artistik Interessierten das nötige Know-how beibringen.

Parkour als Lebensphilosophie Die Sportart Parkour wurde von dem Franzosen David Belle in den Pariser Banlieues gegründet; sie dient dazu, laufend in einer urbanen Umgebung von A nach B zu kommen, dabei sämtliche Hindernisse zu überwinden und diese in den „Run“ einzubauen. Belle nutzte Parkour vorerst, um die kürzesten Wege effizient zu meistern, um beispielsweise vor Banden zu fliehen oder

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aber auch, um Rettung für eine verletzte Person zu holen. Er orientierte sich dabei an der „Méthode Naturelle“, die die Kunst der Bewegung durch die Landschaft mit ihren natürlichen Hindernissen vermittelt. Diese erlernte Belle von seinem Vater, einem ehemaligen Vietnam-Soldaten. Der Franzose adaptierte sie auf seine eigene Umgebung und kreierte damit eine neue Sportart, mit der eine ganze Lebensphilosophie einhergeht. Wie auch Pach bestätigt, stehen beim Parkour das Ausloten der eigenen physischen und der durch die Umwelt gesetzten Grenzen im Vordergrund. Außerdem wird durch den Sport eine besondere Achtung vor der eigenen Umwelt vermittelt; der „Traceur“, der Läufer, ist auf sie angewiesen und soll, auch wenn er ungewöhnliche Wege beschreitet, darauf achten, sie zu schützen. Die gleiche Achtung und Toleranz ist den Mitmenschen entgegen zu bringen. Und es gilt immer das Motto: „Safety first“. Das Einschätzen des eigenen Könnens ist enorm wichtig, weil sonst ein „gap jump“ von einem Hausdach zum nächsten zum Lebensrisiko werden kann.

Die Grenzen sind fließend Alex Pach, der ursprünglich Leistungsturner war, erklärt: „Die Grenzen des Parkours sind fließend.“ Er lehrt, zusammen mit seinem Partner Dressen und einigen von ihnen ausgebildeten Trainern, an ihren

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Pilates

Fitness für Körper, Seele und Geist

Die Sport- und Showbranche hat es schon vor Jahrzehnten erobert, nun rückt die Allgemeinheit im Zuge der steigenden Popularität von „Body-and-Soul-Übungen“ nach. Die Rede ist von Pilates, einem ganzheitlichen Trainingsprogramm für Körper, Seele und Geist.

Kölner Schulen auch „Freerunning“. Das funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip wie Parkour, beinhaltet aber mehr Akrobatikund Showelemente. Somit ist Freerunning oft auch kreativer, spielerischer und weniger dogmatisch als der klassische Parkour. Bekannt geworden sind die beiden sehr ähnlichen Laufsportarten bei der breiten Masse durch die Eingangsszene des BondStreifens „Casino Royale“, in dem sich einer der Mitbegründer des Sports, Sébastien Foucan, mit Bond eine spektakuläre Verfolgungsjagd liefert. Auch in der MTV-Welt machte Parkour durch die beiden Madonna Videos „Hung up“ und „Jump“ Furore.

gefahr für Anfänger ist einfach zu groß“, mahnt der Trainer. Auch die Jungs, die während des Interviews im "Move Artistic Dome", fleißig weiter trainieren, tun dies auf dicken Matten. Gegenseitig geben sie sich bei Flickflacks und Salti Hilfestellung - bis sie Dächer, Bänke und Zäune mühelos überwinden können, ist es noch ein weiter Weg. Ein paar von ihnen verabschieden sich, schlagen mit ihrem Trainer ein: „Ciao, Alex, bis zum nächsten Mal!“ Sie sehen erschöpft, aber zufrieden aus. Trotzdem sieht man ihnen an, dass Parkour mehr hartes Training als spektakuläre Show bedeutet.

Bisher nur ein Nischenprodukt?

Kathrin Mohr

Doch trotz des weltweit gewonnenen Ruhmes betont Pach, dass Parkour und Freerunning bisher Nischenprodukte seien, die man aber versuche mittelfristig zu etablieren. Dressen und Pach wenden sich vor allem an die Jugend mit ihrem Konzept der "Move Artistic", gehen an Schulen, bieten Workshops und Arbeitsgemeinschaften an. Auch im Hochschulsport sind die beiden als Trainer aktiv, wenn man eine gewisse Grundfitness mitbringt, kann jeder Student die ersten Schritte lernen, um vielleicht in Zukunft pünktlich im Hörsaal zu sitzen. Doch draußen wird erstmal nicht trainiert, die ersten „Moves“ werden auf dem weichen Hallenboden geübt, „denn die Verletzungs-

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Entwickelt wurde die Methode vor rund 100 Jahren von Joseph Hubert Pilates, einem gebürtigen Mönchengladbacher, dessen Obsession es war, ein Trainingsprogramm zu erstellen, bei dem es darum geht, die Muskeln mit Hilfe des Geistes zu kontrollieren. Sein Credo: Alle Energie geht vom Kraftzentrum aus, dem so genannten Powerhouse, womit die rund um die Wirbelsäule liegende Muskulatur gemeint ist.

Deutsche Parkour Association: www.blog.myparkour.com

Der Gymnast, Athlet und Kampfsportler studierte während des ersten Weltkriegs im englischen Internierungslager östliche Trainingsmethoden wie Yoga, Zen-Meditation und Tierbewegungen, um eine bessere Konstitution und Haltung zu bekommen. Nach seiner Emigration in die USA 1923 eröffnete Pilates in New York neben einer Tanzschule sein erstes Studio. Im ständigen Verbessern seiner Trainingsübungen ließ er in sein Programm viele Tanzkomponenten einfließen. Der asiatische Kampfsport im Einklang mit westlicher Gymnastik und anmutigen Tanzelementen stieß bei vielen Tänzern und Schauspielern auf Sympathie und etablierte sich somit rasant in New York und schon bald landesweit. Mit 15 Millionen Anhängern ist die PilatesMethode heute auf ihrem Höhepunkt. Kontrollierte Ausführung, bewusste Atmung, Konzentration, Zentrierung auf die Körpermitte (Powerhouse), beabsichtigte Entspannung und fließende Bewegungen: das sind die sechs Grundregeln, die dem Menschen zu einem besseren Wohlbefinden verhelfen sollen. Speziell angefertigte Geräte wie der Reformer oder der Cadillac unterstützen den Schüler bei der Ausführung der Übungen.

David Belle: www.sportmediaconcept.com

Und so bringst du Körper, Seele und Geist in Harmonie zueinander:

Web Dressen & Pach GbR: www.move-artistic.de

Basisübungen Zu Gleitbewegung der Beine: Lege dich mit angezogenen Knien und hochgezogener Ferse auf den Rücken. Die Arme liegen neben dem Körper, die Handflächen zeigen nach unten.

Schiebe die Finger näher zu den Zehen, sodass die Schulterblätter nach unten gleiten. Mach den Nacken lang, während das Kinn näher zur Brust rückt. Halte diese Stellung zwei Atemzüge lang und rolle langsam wieder ab. Wiederhole die Übung drei bis fünf Mal.

Gleite beim Einatmen mit der Ferse vom Körper weg, bis das Bein gestreckt ist. Beim Ausatmen ziehst du das Bein wieder zum Gesäß zurück. Wiederhole die Übung drei bis fünf Mal pro Bein.

Knie anwinkeln: Lege dich mit angezogenen Knien auf den Rücken, Arme liegen neben den Körper, Handflächen zeigen nach unten. Atme ein.

Hochrollen des Kopfes: Lege dich mit angezogenen Knien auf den Rücken, stelle dabei die Füße hüftbreit und parallel zueinander. Die Arme liegen ausgestreckt neben dem Körper.

Beim Ausatmen hebst du das Knie in einem 90 grad Winkel. Stelle das Bein ohne Einsatz des Beckens zurück auf den Boden und wechsle das bein.

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Zu Brustkorb und Arme: Hebe beide Arme in die Höhe, die Schultern bleiben dabei auf dem Boden.

über dem Körper. Atme weiter aus und kreise mit dem Bein zur Ferse, dann weiter mit kreisenden Bewegungen zur Nase. Atme ein und wiederhole diese Übung mit jedem Bein fünf Mal in jeder Richtung.

Falls ihr Fragen habt oder euer Interesse geweckt wurde meldet euch doch beim Pilatesprofi Luca Troia: lukabase@hotmail.de Ein Mal im Monat bietet er nämlich einen Pilateskurs für Anfänger an. Viel Spaß! Veronika Czerniewicz

Nun strecke die Arme nur so weit über dem Kopf aus, dass die Rippen sich nicht nach oben ziehen. Roll like a ball: Setze dich mit angezogenen Beinen auf den Boden und umfasse deine Schienbeine, während du deine Zehen vom Boden anhebst. Senke dabei deinen Kopf.

ErkenntnisReich

Zu Beinkreise 1 und 2: Lege dich mit angewinkelten Beinen auf den Rücken, die Füße stehen hüftbreit auseinander. Die Arme liegen flach neben dem Körper. Strecke ein Bein bis in die Fußspitze nach oben und drehe die Füße leicht nach außen.

Atme ein und rolle nach hinten bis zum oberen Rücken. Der Kopf berührt dabei nie die Matte. Atme aus, rolle wieder hoch und halte auf dem Steißbein, die Zehen noch vom Boden abgehoben. Wiederhole diese Übung zehn Mal.

Drehe die Zehen nun zur Nase und beginne beim Einatmen das Bein in diese Richtung zu kreisen. Atme aus und strecke das Bein

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Wildtiere leben im ßS

a t r to D G dscHungEL Beim Grillen, beim Spazieren im Park, überall begegnen wir Wildtieren. Wildkaninchen, Wildschweine, Marder, Falken und sogar Fischreiher kreuzen den Weg. Wer zieht als nächstes von den Feldern nach Köln? Der Fasan? Das Reh? Denn das Umland scheint nicht mehr so reizvoll zu sein. Die Gegend ist von landwirtschaftlicher Monokultur geprägt. Es gibt kaum noch Rückzugsmöglichkeiten für Tiere, wie z. B. Hecken, Sträucher, Bäume oder Gräben Einfach alles, um sich zurückzuziehen oder um Nahrung zu finden. Köln bietet dagegen einen Lebensraum mit großem Nahrungsangebot und vielen kleinen ökologischen Nischen. Deshalb sind die Grünanlagen der Stadt Herberge für zahlreiche Wildtiere geworden, die sich an den Menschen gewöhnt haben. Umgekehrt auch?

Ein Papagei in Köln „Tschia, tschia!“, kreischt es aus den Parkanlagen der Stadt. Im Stadtgarten, im Volksgarten oder auf dem Melatenfriedhof, überall hört man den lautstarken Ruf des grünen Halsbandsittichs. Ein Papagei hier in

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Köln? Richtig! Die grünen Vögel mit dem roten Schnabel haben mittlerweile eine stabile Population von über 1000 Individuen gebildet. Ursprünglich ist der Halsbandsittich in Afrika und Asien zu Hause. Als Ziervogel ist er nach Europa gekommen. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die Halsbandsittiche zwar schön anzusehen, aber keine angenehmen Haustiere sind: Zu laut und zu aktiv lautete das Urteil der enttäuschten Besitzer. Irgendwo hat jemand dann diese Tiere ausgesetzt. Aus dem Kölner Zoo sind die Halsbandsittiche jedenfalls nicht entflogen. Und so wurde der Weg bereitet für einen Neozoen: Der grüne Halsbandsittich lebt seit Anfang der achtziger Jahre in den Städten des Rheinlandes.

Grünanlagen in Köln bieten reichlich Futter Der grüne Exot lebt in Köln, in Düsseldorf und in Bonn. Sie nisten in Baumhöhlen, vor allem auf Platanen. Das ist wahrscheinlich ein Relikt aus ihrer Heimat, denn die Vögel brüten bevorzugt auf Bäumen mit einer

glatten Rinde, um den Nestraub durch Schlangen zu vermeiden. Schlangen gibt es in Köln nicht, dafür aber Eichhörnchen, die mit dieser Strategie nicht ferngehalten werden. In der Nisthöhle brüten die Eltern bis zu 5 Eier etwa 23 Tage lang aus. Ab Mai werden die Jungtiere in Begleitung ihrer Eltern flügge. Dann fliegen sie zusammen auf Nahrungssuche in die Parkanlagen der Umgebung. Die Grünanlagen der Stadt sind reizvoll, weil die Nahrung nie knapp wird. Dort wächst unter Umständen sogar eine größere Baumvielfalt, als in unseren Wäldern, die häufig in Monokulturen (Laubwald oder Nadelwald) angelegt wurden. Der Vorteil ist: die verschiedensten Baumarten blühen und reifen zeitversetzt, so dass das ganze Jahr über genug Knospen oder Samen zu finden sind. Die kalte Jahreszeit ist keine Zeit der Not, weder von den Temperaturen noch vom Nahrungsangebot her. Eine Zufütterung ist gar nicht notwendig. Natürlich hängen die grünen Halsbandsittiche im Winter trotzdem gerne an den Vogelfutterkolben, die großzügig auf dem Melatenfriedhof verteilt sind.

Vogelfutter für das Nagetier Was als Futter für Vögel gedacht ist, wird auch vom Eichhörnchen gefressen. Geradezu akrobatisch angeln die Eichhörnchen nach den Futterkolben. Das Eichhörnchen ist mittlerweile ein altbekannter Bewohner der Stadt. Scheu und hektisch sucht es Nahrung, wobei Zäune und Mauern manchmal quasi als „Autobahnen“ zur Flucht vor Gefahren genutzt werden. Schnell und sicher hüpft das Eichhörnchen von Baum zu Baum, denn es besitzt kräftige Krallen (an den Pfoten) mit denen es sich am Ast fest klammert. Beim Springen braucht das Eichhorn den langen Schwanz als Steuerruder oder als Fallschirm im Einsatz bei gewagteren Distanzen. Der buschige Schwanz ist in vielen anderen Lebenslagen genauso nützlich. Er bietet Schatten bei starker Sonnenstrahlung, er schirmt bei starkem Regen und schützt gegen Kälte im Winter.

Planlos nagt es an der Haselnuss Das Eichhörnchen profitiert auch von dem Artenreichtum der Stadt: Haselsträucher, Walnussbäume, Eichen und Nadelbäume stehen auf engsten Raum als Nahrungsquelle zur Verfügung. Drei bis vier Eicheln braucht es, dann ist das Eichhörnchen erst einmal gesättigt. Die Fähigkeit Nüsse zu knacken ist den Tieren nicht angeboren. So kann es passieren, dass ein junges Eichhörnchen erst einmal planlos an der Haselnuss nagt, bis es endlich an das nahrhafte Innenleben gelangt. Wenn es nicht genug Nüsse findet, dann fressen Eichhörnchen auch Insekten, Obst oder Pilze. In sehr kargen Zeiten werden dann auch schon mal Vogeleier oder Jungvögel verspeist. Dann sind die Brut der grünen Halsbandsittiche und die der anderen einheimischen Vogelarten in akuter Gefahr. Im Winter drosselt das Eichhorn den Energiebedarf, indem es ausgedehnte Schlafphasen einlegt. Das Eichhörnchen erwacht immer mal wieder aus der Winterruhe, um nach Nahrung zu suchen. In den Parkan-

lagen sind die ausgehängten Vogelfutterkolben eine willkommene Alternative zum mühevollen Zusammensuchen der einzelnen Samen.

Spezialtechnik: Sich tot stellen Das Eichhorn lebt gefährlich: Denn neben Greifvögeln und Mardern trachten ihm auch Füchse nach dem Leben, die seit einiger Zeit ebenfalls in Köln leben. Das überreiche Nahrungsangebot treibt sie in die Städte. Nachts geht der Fuchs ungestört auf Mäusejagd, bedient sich an Mülltonnen und an Komposthaufen oder frisst Beeren. Er ist ein Allesfresser mit einer Spezialtechnik: Sich tot stellen. Damit lockt der Fuchs aasfressende Tiere an, die dann im Handumdrehen selber auf der Speisekarte stehen. Auf diese Art und Weise schnappt sich der Fuchs zum Beispiel Krähen.

Der Fuchs: Hund wie Katze Füchse tragen Eigenschaften von Hunden und Katzen gleichermaßen in sich. So ähnelt die Körpersprache der Füchse der der Hunde. Dazu gehören das Ohren anlegen oder aufstellen, den Schwanz einkneifen oder aufstellen und das Markieren des Reviers. Dagegen erinnern das Jagdverhalten und das Beuteschema an die Lebensweise von Katzen. Der Fuchs schleicht sich an und vollführt den typischen Mäusesprung. Die Pupillen stehen senkrecht und die Krallen sind wie bei einer Katze teilweise einziehbar. Fuchs und Katze sind auf kleine Nagetiere spezialisiert und haben im Laufe der Evolution eine ähnliche Jagdstrategie entwickelt. Rein verwandtschaftlich betrachtet stammen die Füchse aber aus der Familie der Hunde (Canidae). Der Fuchs, das Eichhörnchen und der grüne Halsbandsittich sind nur eine kleine Auswahl an Tieren, die die Nähe des Menschen suchen. Diese so genannten Kulturfolger können jeden Spaziergang zu einem spannenden Erlebnis machen. Christine Willen

Infos http://www.fuechse.info/

http://www.tierlobby.de/rubriken/Tiergarten/ nagetiere/eichhoernchen.htm http://www.duesseldorf.de/umweltamt/service/tiere_in_der_stadt/index.shtml You Tube: Exoten in Köln: http://www. youtube.com/watch?v=24dxmTErmkY


Das Herz in der Schatulle Es war einmal eine junge Frau, die das Leben sehr liebte. Sie war gescheit und schön, aber mit einer Sache bekam sie immer wieder Schwierigkeiten. Sie verschenkte ihr Herz nämlich zu schnell und erfuhr nur Schmerzen dabei. Sie wollte schon aufgeben, als sie eines Tages einen Elf traf. Dem Elfen aber war es vergönnt, einmal in seinem Leben einem Menschen einen Wunsch zu erfüllen. Als er die junge Frau so unglücklich sah, beschloss er sofort, dass sie es sein sollte, der er seinen einzigen Wunsch gewähren wollte. Die Frau überlegte lange. Erst dachte sie, dass sie sich einen schönen, jungen Mann wünschte, den sie treffen würde und in den sie sich verlieben würde. Ihr kamen aber gleich darauf Zweifel. Sie hatte es ja schon so oft versucht, warum sollte es diesmal gut gehen? Eigentlich wünschte sie ihrem Herzen nur Ruhe, aber ihr Herz wünschte etwas anderes. Also beschloss sie, eine List gegen ihr Herz anzuwenden. „Nimm mein Herz an dich“, sagte sie zu dem Elfen. „Ich habe es hier in die kostbarste meiner Schatullen getan, sie ist mit Seidentüchern ausgelegt und mit Edelsteinen besetzt. Bitte verwahre diese Schatulle bei dir. Gib sehr gut auf sie Acht, sie ist das Wertvollste, was ich habe. Wie sehr ich dich in Zukunft auch anbetteln mag, händige sie mir nicht wieder aus, unter keinen Umständen. Bitte erfülle mir diesen Wunsch.“ Der Elf war verwundert; da er der Frau aber einen Wunsch gewährt hatte, nahm er die Schatulle. Es verging einige Zeit, und die junge Frau war sehr erleichtert. Jetzt musste sie sich nicht mehr davor fürchten, sich ständig selber Kummer zu bereiten. Darüber war sie so froh, dass sie wieder ein wenig zu strahlen begann.

Als einige Zeit vergangen war, begegnete sie einem klugen Mann. Die beiden führten bald eine innige Freundschaft und konnten sich viele Dinge erzählen.

Eines Abends, als sie, wie so oft, beieinander saßen und plauderten, fühlte sich die junge Frau so rundum wohl in der Gegenwart ihres guten Freundes,

dass sie ihm die Geschichte ihres Herzens erzählte. Der junge Mann wurde sehr traurig, als er dies erfuhr, denn er hatte sich in seine Freundin ver-

liebt. Wie konnte sie sich jemals in ihn verlieben, wenn ihr Herz doch in einer Schatulle eingeschlossen war und der Elf es ihr niemals zurückgeben würde?

Er war ratlos. Nachdem der Mann einige Tage nachgedacht und keine Lösung gefunden hatte, ging er zu dem Elfen, der immer noch die Schatulle mit dem Herz bei sich trug. Er wollte vernünftig mit ihm reden. „Elf“, sprach er zu ihm, „ich habe ein großes Problem. Ich liebe eine Frau. Sie kann sich aber nicht in mich verlieben, da du ihr Herz hast. Wir sind einander sehr liebe Freunde, ich kenne sie gut und sie vertraut mir. Ich bin mir sicher, dass sie sich auch in mich verlieben würde, wenn sie nur ihr Herz wieder hätte. Ich will ihr für immer treu sein und sie gut behandeln. Sie wird mit mir keinen Kummer haben.“ Der Elf hörte dem jungen Mann aufmerksam zu. „Nun, mein Freund, ich glaube an die Aufrichtigkeit deiner Gefühle“, antwortete er ihm bedächtig. „Ich kann dir aber nicht weiterhelfen, da ich nur dem Menschen verpflichtet bin, dem ich einen Wunsch gewährt habe. Es tut mir leid.“ Der Mann wurde zornig. Was verstand dieser Elf von der Liebe! Er entriss ihm die Schatulle mit Gewalt und lief davon. Voller Vorfreude ging er mit der Schatulle zu seiner Freundin. Bald werden wir ein Paar sein, dachte er bei sich. Und als er bei ihr ankam, sprach er zu ihr: „Bald werden wir ein Paar sein! Ich war bei dem Elfen und habe dir dein Herz wiedergebracht. Ich liebe dich und will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Jetzt, da du dein Herz wieder hast, kannst du auch mich lieben. Ist das nicht schön?“ Die junge Frau aber sagte nur: „Du willst mich lieben? Du gönnst mir ja noch nicht einmal eine Wahl!“ Dann nahm sie ihr Herz wieder an sich und ging zu dem Elfen, der ihr einfach einen Wunsch gewährt hatte, und blieb bei ihm.

Johanna Regenhard


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