Helmut Schmidt - Menschen und Mächte(Bilderberg, Bohemian Grove, Trilaterals, CFR)

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Nach seinem Amtsantritt hatte Prasident Carter den Verbiindeten Amerikas klargemacht, vieles von dem, was sie in loyaler Zusammenarbeit mit der voraufgegangenen Ford-Administration in der internationalen Politik unterstiitzt hatten, sei leider falsch gewesen; er wiirde jetzt auf vielen Feldern eine vollig neue Politik einschlagen und erwarte unsere Kooperation. Als ihm vier Jahre spater Prasident Reagan im Amt folgte, wiederholte sich dieses Drama, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. 1m Sinne herkommlicher europaischer Begriffe hatte man die internationale Politik der Ara Nixon -Ford -Kissinger eine Politik der Mitte nennen konnen; Carter leitete eine Wende urn 90 Grad nach links ein und Reagan anschlieBend eine solche urn 180 Grad nach rechts. Die Ursachen beider Kurswechsel waren vielfaltiger Natur, aber sie waren fast ausschlieBlich in der amerikanischen lnnenpolitik begriindet, in deren Strukturen und Strukturumbriichen, im Machtkampf der Parteien, in Stimmungen und Stromungen der bffentlichkeit wie auch innerhalb der politischen Klasse. Natiirlich spielten die Denkgewohnheiten und die Vorurteile der beiden neuen Prasidenten eine wichtige Rolle, die beide mit geringer internationaler Erfahrung nach Washington gekommen waren. Beide brachten sie ihre eigenen Leute mit ins WeiBe Haus (darunter einige wenige Frauen), die ihnen in ihrer Zeit als Gouverneur und dann bei ihrem jahrelangen Wahlkampf zur Seite gestanden hatten. Diese Helfer und Berater waren innen- und parteipolitisch durchaus erfahren; in auBenpolitischen Fragen hatten die meisten jedoch keinerlei Kenntnisse. Das galt zum Beispiel fiir Hamilton Jordan oder Jody Powell in Carters Mannschaft genauso wie fur Edward Meese oder »Judge« William Clark zu Zeiten Reagans. Auch friihere Pri:tsidenten hatten ihre personlichen Vertrauten in das WeiBe Haus mitgebracht und ihnen hochst einfluBreiche Posten iibertragen. Aber bis in die erste Halfte der siebziger Jahre hatten im Bereich der internationalen Politik immer zwei Gruppen welterfahrener Kopfe ein ausreichendes Gegengewicht gebildet. ZUll einen sorgte eine groBere Zahl von exzellenten Berufsdiplo-

maten und Berufsoffizieren in hohen Stellungen fUr Kontinuitat; zum anderen gab es ein groBes Reservoir von urteilsfahigen, auBenpolitisch engagierten Privatpersonen, die schon friiheren Administrationen gedient hatten. Dieses Reservoir, friiher haufig das »Establishment« genannt, hatte sein Forum und zugleich sein Zentrum im Council on Foreign Relations in New York. Seine Mitglieder waren Rechtsanwalte, Bankiers, auch einige lndustrielle und Professoren. Der Council gab (und gibt immer noch) durch Hamilton Fish Armstrong und spater durch William Bundy die ausgezeichnete Zeitschrift »Foreign Affairs« heraus, die wesentlich zum Forumcharakter des Council beitragt. Der Council on Foreign Relations zag mit Erfolg sorgsam ausgewahlte jiingere Leute in seine Diskussionen und bereitete sie zunachst auf bescheidene Aufgaben vor; im weiteren Verlauf ihrer Karriere iibernahmen sie oft Spitzenaufgaben im State Department, im Pentagon, im WeiBen Haus oder an anderen Schaltstellen der internationalen Politik - von der Handels- bis zur Abriistungspolitik. Zumeist handelte es sich urn Manner, die den lobenswerten Drang verspiirten, einige Jahre ihres Lebens dem Offentlichen Dienst zu widmen, und die sich dies finanziellleisten konnten. In der Zwischenzeit gingen sie ihren Berufen nach, hielten sich iiber alle Entwicklungen auf dem neuesten Stand und waren fast immer bereit, ihrer jeweiligen Regierung oder ihrem jeweiligen Prasidenten auch ehrenamtlich zu dienen, sei es als private Ratgeber, sei es als Mitglieder von Kommissionen, wie die amerikanischen Regierungen sie von Zeit zu Zeit bilden. John McCloy war nach dem Zweiten Weltkrieg fiir lange Zeit Chairman dieses Kreises und gewissermaBen sein Prototyp; spater spielten David Rockefeller und Cyrus Vance im Council eine bedeutende Rolle. Dieses Establishment hat eine groBe Zahl ausgezeichneter Leute hervorgebracht, die ihrem Lande - aber auch der Welt - zum Teil unschatzbare Dienste geleistet haben. Sie waren in der Mehrheit Republikaner, aber es gab auch viele Demokraten darunter; entscheidend war: es muBten »linke« Republikaner oder »rechte« Demokraten sein, auf jeden Fall aber international verantwortlich


denkende Manner der Mitte. Eben deshalb wahrten sie iiber dem Wechsel der Prasidenten die Kontinuitat der internationalen Politik der USA - jedenfalls bis zur inneren Entzweiung im Laufe ~es Vietnamkrieges. Wenn man als deutscher Politiker nach New York kam und in den Council eingeladen wurde, empfand man dies nicht nur als eine Ehre, sondern man konnte sich hier auch ohne groBe Miihe ziemlich rasch orientieren, wie die amerikanische Regierung iiber die Lage im Nahen Osten dachte, iiber ihre Beziehungen zur Sowjetunion oder iiber Berlin, was ihre Absichten waren oder was wahrscheinlich demnachst ihre Absichten sein wiirden. Natiirlich konnte man innerhalb dieses Establishments auch verschiedene Stromungen verspiiren, selbst Kontroversen. Aber man hatte es mit Leuten zu tun, welche die Lander oder die Probleme, iiber die sie sprachen, wirklich kannten; sie hatten ausreichend Geld, Zeit und Gelegenheit zum Reisen gehabt; sie sprachen oder verstanden mindestens eine Fremdsprache. Sie waren weltlaufig, und es war ein Gewinn, sich mit ihnen zu unterhalten. Robert Roosa, George Ball, spiiter Peter Petersen oder Felix Rohatyn waren einige der Gesprachspartner aus dem Council, die ich in guter Erinnerung habe. Die auBenpolitische Elite, die sich auf ziemlich gerauschlose, aber wirksame Weise selbst erganzte, war also weitgehend eine Sache der,Ostkiiste. Natiirlich gehorten einige Spitzenleute aus Harvard und dem M.LT. in Cambridge (Massachusetts) dazu, ebenso aus den Ivy-League- Universitaten Yale, Princeton und Columbia. Ich erinnere mich aus den sechziger Jahren gem an die Professoren Robert Bowie, William Kaufman, Klaus Knorr, Marshall Shulman, Henry Kissinger, Zbigniew Brzezinski und viele andere. Zu dies em klubartigen, durchaus losen Geflecht yon Personen mit hoher Kompetenz und unpratentiosem Auftreten gehorten auch, freilich ohne direkte gesellschaftliche Bindung, einige herausragende Gewerkschaftsfiihrer, etwa die aufeinander folgenden Vorsitzenden der Dachorganisation AFLCIO (American Federation of Labor Congress of Industrial Organizations) George Meany und Lane Kirldand ..

Wer als Europaer in den fiinfziger oder sechziger Jahren iiber das aktuelle auBenpolitische Denken der USA Auskunft brauchte, dem geniigten wenige Tage und ein paar Gesprache mit Angehorigen dieses Kreises. Man brauchte dazu nicht jedes Jahr nach Amerika zu reisen, sofern man zwischendurch an einigen der privaten internationalen Konferenzen teilnahm; mit Dankbarkeit erinnere ich mich an die alljahrlichen sogenannten Bilderberg-Konferenzen, die Bernhard, Prinz der Niederlande, organisierte und leitete, oder an die alljahrlichen Tagungen des Londoner Institute for Strategic Studies unter Alistair Buchan. An solchen internationalen Konferenzen, zwei oder drei Tage dauernd, waren auch immer einige der auBenpolitisch Wigen Senatoren beteiligt, Jacob Javits oder Charles' Mathias, Henry (»Scoop«) Jackson oder Charles (»Chuck«) Percy. Unterhaltungen mit Dean Acheson, George Kennan oder Paul Nitze, die sich bei solchen Gelegenheiten ergaben, waren Fundgruben der Information und der Erkenntnis. Wenn man auBerdem noch ein Gesprach mit dem Gouverneur yon New York,Nelson Rockefeller, hatte oder mit einem der innenpolitisch fiihrenden Senatoren in Washington, so konnte man seine Eindriicke yom auBenpolitischen UmriB der USA ohne groBe Anstrengungen auch in deren innenpolitisches Spannungsfeld einordnen. Auf diese Weise war Amerika fiir die europaischen Politiker ziemlich transparent.·Man war nicht iiberrascht, wenn einige der Gesprachspartner ein paar Jahre spater als Minister oder stellvertretender Minister oder als Ministerialdirektor in Washington in Erscheinung traten; man durfte dann davon ausgehen, daB sie im wesentlichen die gleichen Auffassungen vertraten, welche man friiher von ihnen gehort hatte. Amerika war bestandig. Kein genereller Kurswechsel urn 90 oder gar urn 180 Grad war zu befurchten, wenn eine neue Administration ins Amt kam. Diese Stetigkeit und Berechenbarkeit der internationalen Politik der USA nahm wahrend des Vietnamkrieges deutlich ab. Der Krieg und die Fragen nach dem Sinn der Opfer, welche er forderte, sowie nach der Aussicht auf politischen Erfolg polarisierten die amerikanische politische Klasse. Bei vielen ging ein Teil der Gelassenheit (und auch der guten Klubmanieren) verloren; andere


gerieten in tiefe Zweifel iiber die internationale Rolle ihres Vaterlandes, wozu die Opposition der eigenen Tochter und Sohne beitrug. Die charakteristische, die AuBen- und Sicherheitspolitik der USA kennzeichnende Bedeutung des alten Ostkiistenestablishments hat im Laufe der sechziger Jahre ihren Zenit iiberschritten. Die Carter-Administration, noch mehr die Reagan-Administration, ersetzte die bis dahin dominierenden auBenpolitischen Einfliisse der Ostkiiste, die vornehmlich iiber den Atlantik nach Europa blickte, durch Einfliisse des Siidens und der Westkiiste des riesigen Landes; von dort blickt man eher nach Mexiko, auf die Karibik und nach Westen iiber den Pazifik.Zugleich verlagerte sich im Laufe der siebziger Jahre das Schwergewicht der wirtschaftlichen Dynamik, des volkswirtschaftlichen Wachstums, aber auch des Wachstums der Be~olkerung spiirbar nach Florida, Texas,Kalifornien und in andere Staaten, weg von der Ostkiiste und vom Mittleren Westen, in dem iiber lange Generationen das industrielle Wachstum der USA zu Hause gewesen war. Die neu aufbliihenden Regionen waren von groBerer Vitalitat, aber auch von groBerer . auBenpolitischer'Naivitat; ein gewissesMaBan MiBachtung sowohl Washingtons als auch des alten Establishments war nicht zu iibersehen. Neue Schlagworte und neue Leitvorstellungen tauchten auf. Wahrend Jimmy Carter von der Vorstellung eines globalen wirtschaftlichen Dreiecks USA-Europa-Japan beeinfluBt war, die von der sogenannten Trilateral Commission unter David Rockefeller ausging, trat Ende der siebziger Jahre das neue Schlagwort vom Pazifischen Becken hinzu. In den Augen vieler Kalifornier hat das wirtschaftliche Wachstum der Welt in dieser Region sein neues dynamisches Zentrum gefunden. Damit sich die Hoffnung, dte wirtschaftliche Leistungsfahigkeit Japans, Koreas, Taiwans,Hongkongs und Singapurs unter amerikanischer technologischer und moglichst auch unternehmerischer Fiihrung auszubauen und zur neuen Grundlage, mindestens aber zu einem zusatzlichen Eckstein globaler AuBenpolitik und Strategie machen zu konnen. Demgegeniiber tritt.in dieser Vorstellungswelt die Rolle Europas in den Hintergrund.

Sicherlich sind bei diesen Vorstellungen auch Illusionen iiber die Volker Asiens und deren Interessen im Spiel.1m Durchschnitt sind die Kenntnisse der Amerikaner iiber die Japaner, iiber japanische Geschichte, Kultur und Mentalitat deutlich noch geringer als ihre Kenntnisse iiber Europa. Dies gilt in noch hOherem MaBe fiir China und seine fiinftausendjahrige Geschichte und Kultur; aber es gilt zum Beispiel auch fiir den islamischen GroBstaat Indonesien mit seinen iiber 160 Millionen Menschen und seinen mehr als 13000 Inseln. Amerika weiBnur wenig von den innerasiatischen Konflikten, zum Beispiel von den Ressentiments der Chinesen, Koreaner und Filipinos gegen die Japaner als Folge des japanischen Imperialismus von 1930 bis 1945 oder zum Beispiel von den unterschwelligen Angsten vor einer moglichen neuen EinfluBnahme des chinesischen Kommunismus. Es hat geringe Vorstellungen von dem Neid der siidostasiatischen Massen auf den wirtschaftlichen Erfolg und den Wohlstand der sechzehn Millionen Auslandschinesen, die in Malaysia, Thailand, Indonesien und auf den Philippinen wohnen. Wahrend das alte Ostkiistenestablishment nicht nur mit England eine gemeinsame Sprache hatte, sondern dariiber hinaus auch erhebliche franzosische, selbst deutsche und italienische Sprachkenntnisse besaB,spricht kaum ein einziger amerikanischer Politiker Chinesisch oder Japanisch oder Indonesisch. Das Verstandnis fiir die asiatischen Volker ist unterentwickelt. Amerika wird erfahren mussen, daB angesichts der groBen Verschiedenheiten der kulturellen Traditionen und der sozialen Strukturen die Lenkbarkeit der Staaten Siidost- und Ostasiens im Sinne amerikanischer Interessen und Zielsetzungen sehr begrenzt bleiben wird. Aber solche Erfahrungen liegen noch in der Zukunft. Einstweilen sind der enorme wirtschaftliche Aufschwung Japans wie auch der neu industrialisierten Staaten Ost- und Siidostasiens und die wirtschaftspolitische Offnung Chinas durch Deng Xiaoping verfiihrerische Entwicklungen. Die Blickwendung vieler Amerikaner in Richtung auf die Gegenkiisten jenseits des Pazifik ist eine Tatsache. Die Europaer tun gut daran, sich darauf einzurichten, weil sie ihren EinfluB auf das weltpolitische Denken und Verhalten der


Viermal Amerika: Talkshows, oft von exzellent informierten, urteilsfahigen fournalisten moderiert, bestimmen langst schon die politische offentliche Meinung des Landes.

Tradition an der Ostkiiste ÂťCommencement SpeechÂŤ in Harvard (Aufnahme aus dem fahr 1979, als Helmut Schmidt, rechts vom Rednerpult, die Ehrendoktorwiirde erhielt).

Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten auf dem Nationalfriedhof in Arlington.

Helmut Schmidt als Gast im Bohemian Grove, fuli 1982; rechts neben Schmidt Alexander Haig, Gerald Ford (rechts iiber Haig), George Shultz und Henry Kissinger; in derselben Reihe sitzend, ganz links, Lee Kuan Yew.


USA behalten miissen. Deshalb habe ich seit 1976 die Minister des Bundeskabinetts und meine Mitarbeiter immer wieder aufgefordert, bei Amerikabesuchen nicht nur nach Washington und New York zu gehen, sondern ebenso in den Westen und in den Siiden des Landes. Ich selbst habe mich - auch als Bundeskanzler und trotz aller Terminnot - ebenfalls danach gerichtet. Bei einem dieser Besuche in Kalifornien im Juli 1979 Iud mich George Shultz ein, wahrend des tradition ellen alljahrlichen Sommerlagers sein Gast im Bohemian Grove zu sein. Dieses Wochenende brachte mir eine der erstaunlichsten Erfahrungen, die ich je in den USA gemacht habe. Spater bin ich noch ein zweites Mal im Bohemian Grove gewesen, und meine Eindriicke haben sich noch vertieft. Die Landschaft, in der sich das »encampment« vollzieht, ist von ungewohnlicher Schonheit. Es handelt sich urn ein wenige hundert Meter breites und mehrere Kilometer langes Tal, das an beiden Hangen und auf der Talsohle von ehrwiirdigen, teils tausendjahrigen Sequoien bewachsen ist. Zwischen den locker gruppierten Wipfeln kann man zwar den Himmel ausmachen, nicht aber den Horizont. Es herrscht groBe Ruhe, von keinem Auto gestort; nur von Zeit zu Zeit dringt von irgendwoher Musik. Einige pfade durchziehen das Tal, ebenso ein Bach, der das Wasser aus einem klein en See in den Russian River am FuB des Tales leitet (der Name des Flusses erinnert an die Zeit, als Alaska zu Rumand gehorte und russische Jager und Siedler nach Siiden fast bis in die Mitte Kaliforniens vorgestoBen sind). Von friiheren Besuchen in Kalifornien kannte ich die Sequoia-Bestande der Muir Woods nordlich der Golden Gate Bridge; sie hatten mich immer fasziniert. Das Bohemian Grove ist demgegeniiber ein kleiner Bezirk; aber allein die SchOnheit der Natur lohnt die lange Autofahrt. Interessanter noch ist die Zusammenkunft der Manner (Frauen sind nicht zugelassen) in diesem Bohmischen Waldchen; es hat seinen Namen iibrigens von dem exklusiven Bohemian Club in San Francisco, dessen Mitgliedschaft man nur nach langer Wartezeit erwerben kann. Man lebt im Grove nicht in einem groBen gemeinsamen Lager; die etwa zweitausend Manner, die gemeinsam jenes

Wochenende dort verbrachten, wohnten vielmehr in fiinf oder sechs Dutzend kleiner, weitgehend von Baumen und Biischen verdeckter Camps, die verstreut an den Hangen liegen. Einige Camps bestehen aus Blockhausern, andere aus Holzhiitten, wieder andere waren Zeltlager; es gibt elektrisches Licht und flieBendes Wasser. Die Mahlzeiten sind einfach und deftig, aber gut zubereitet. Fast alle tragen bunte, zum Teil himmelschreiend karierte Hemden und Hosen - so wie sich Amerikaner anziehen, wenn sie in die griine Natur gehen. Die Bewohner der Camps besuchen sich gegenseitig, sei es der musikalischen Darbietungen wegen (einige spielen sehr guten Dixieland, andere klassisches Quartett), sei es aus Griinden der Geselligkeit oder fiir einen kleinen Schwatz. Dberall herrscht eine ungezwungene und froWiche Atmosphare. 1m Juli 1979 gab es auch zwei oder drei gemeinsame Veranstaltungen am Ufer des Sees und in kleinen Preilichttheatern, die in den bewaldeten Hang hineingebettet sind. Am Ufer des Sees findet der »Lakeside speech« statt, eine Rede meist politis chen oder wirtschaftlichen Inhalts, gehalten von einem der prominenten Mitglieder oder einem der Gaste (auch mir wurde einmal diese Ehre zuteil), der von einem anderen Lagerteilnehmer eingefiihrt wird. Die Zuhorer sitzen auf dem Gras, mit dem Blick auf das Wasser; viele von ihnen sind auf dem jeweiligen Pelde durchaus sachkundig und keineswegs unkritisch. Aber die ganze Veranstaltung vollzieht sich zwanglos, mit einem Anflug von Knabenromantik und mit dem 'Plair eines Westerns im Pernsehen. Einige Camps veranstalten Kurzvortrage mit anschlieBender Diskussion. Ich erinnere einen Nachmittag in einem Nachbarcamp, bei dem gleich drei der damaligen »presidential hopefuls« anwesend waren, namlich George Bush, Alexander Haig und Ronald Reagan. Ich weiB nicht mehr, ob sie ihre Absicht, als Prasidentschaftskandidat aufgestellt zu werden, damals schon bekanntgegeben hatten; in der auBenpolitischen Diskussion, die durch den Singapurer Premierminister Lee Kuan Yew, durch Henry Kissinger und mich eingeleitet wurde, verhielten sie sich j~denfalls vorsichtig zuriickhaltend. Dieses Wochenende ermoglichte einen illustrativen Einblick in


die Westkiistenelite. Die anwesenden Politiker waren meist Gaste eines der Klubmitglieder; diese aber waren Kiinstler (ich lernte dort Isaak Stern kennen), Schriftsteller (zum Beispiel Herman Wouk), Arzte, Rechtsanwalte, Bankiers wie Peter Peterson und Industrielle wie David Packard, den ich zehn Jahre zuvor als stellvertretenden Verteidigungsminister unter Melvin Laird kennengelernt hatte und der jetzt Mitinhaber der Weltfirma Hewlett- Packard war, oder die beiden Steve Bechtel, Senior und Junior, die mit meinem Gastgeber George Shultz eine andere Weltfirma in San Francisco leiteten. GewiB kamen manche der Teilnehmer auch aus dem Osten, dem Mittelwesten und dem Siiden; aber insgesamt konnte ich mir keinen groBeren Kontrast zu der ein wenig kiihlen und stilvollen Neuenglandatmosphare im Council an Foreign Relations oder im River Club zu New York vorstellen. Hier im Grove war man eher hemdsarmelig, direkt, aufgeraumt, unbeschwert - aber bei alledem nicht oberflachlich. Dies war zweifellos auch Establishment, aber von einem sehr andersartigen Temperament. Der Unterschied war weitaus groBer als derjenige zwischen Oberbayern und den norddeutschen Hafenstadten. Auf eine andere Weise sucht Gerald Ford alljahrlich durch ein gemeinsames Wochenende in einem Hotel in Vail (Colorado) inmitten der Rocky Mountains fuhrende Personen aus den verschiedenen Teilen der amerikanischen Gesellschaft einander naherzubringen. Unter der Agide des konservativen American Enterprise Institute versammeln sich etwa zwei Dutzend Vorstandsvorsitzen de (chief executive officers) und selbstandige Inhaber groBerer Firmen und Banken; dazu kommen etwa ebenso viele auslandische Kollegen, aber auch ausHindische Staatsmanner, amerikanische Kabinettsmitglieder, herausragende Okonomen, Senatoren und'KongreBabgeordnete sowie Fachleute aus verschiedenen amerikanischen »think tanks«. In Arbeitsgruppen und im Plenum wird zu sorgfaltig vorbereiteten Sachthemen hart gearbeitet, nachher die Geselligkeit aber nicht vergessen. Hier werden nicht nur der Westen, der Siiden und der Osten der USA zusammengefiihrt, sondern auBerdem die verschiedenen politisch interessierten Gruppen der amerikanischen Gesellschaft. Derartige Veranstaltungen sind

nicht nur niitzlich, sondern angesichts der zunehmenden Zersplitterung der politis chen Klasse auch notwendig, wenn ein breiter politischer und auBenpolitischer Konsens in den USA wiederhergestellt werden solI. Neben dem Niedergang des alten Ostkiistenestablishments und seiner weitgehenden Verdrangung durch den Siiden und den Westen hat auch eine andere Entwicklung zur Auflosung der einheitlichen politis chen Klasse beigetragen, namlich die Herausbildung einer Klasse von intellektuellen Berufspolitikern, die sich selbst keiner Wahl stellen, sondern den gewahlten Politikern (und den Kandidaten) als sachverstandige Berater und ausfiihrende Organe ihre Dienste anbieten und manchmal sogar aufdrangen. Sie haben ihren Riickhalt in verschiedenen Instituten, in denen sie arbeiten, solange sie keine Regierungsamter ausiiben. Solche »think tanks« gibt es in den USA seit langem; uns Europaern ist zum Beispiel der Name der Rand Corporation auf dem Felde militarischer Analysen langst ein Begriff; ihr entstammten bereits friih sehr luzide Kopfe wie zum Beispiel Albert Wohlstatter, der in den sechziger Jahren durch einen Aufsatz in »Foreign Affairs« (»The Delicate Balance of Terror«) als einer der ersten das BewuBtsein weckte fur die Empfindlichkeit des Gleichgewichtes nuklearstrategischer Abschreckung. 1m Laufe der letzten zwei Jahrzehnte sind viele mehr oder minder vergleichbare Institutionen hinzugekommen. 1m Gegensatz zu den alten haben viele der neuen Institute eine ausgepragte parteipolitische Neigung. Das American Enterprise Institute ist weitgehend republikanisch, die Brookings Institution dagegen iiberwiegend liberal und demokratisch orientiert, ebenso das Carnegie Endowment for International Peace. Dagegen stehen, spatestens seit der Carter- Periode, das konservative Georgetown Center for Strategy and Internationai Studies und die sowohl an finanziellen Dotationen wie an Bedeutung rasch gewinnenden Einrichtungen, die sich dem rechten Fliigel der Republikaner zugeordnet haben: zum Beispiel das Hoover -Institut in Stanford (Kalifornien) oder die Heritage Foundation in Washington. Wahrend der vier Carter-Jahre war das ziemlich weit rechts stehende Committee on the Present Danger ein iiberaus produkti-


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