Protest 2.0

Page 1

MARKETING & KOMMUNIKATION

werbewoche 12 | 5.7.2013

15

Manuel P. Nappo, Studienleiter CAS Social Media Management HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. www.fh-hwz.ch/smm

I

n letzter Zeit konnte man gut beobachten, wie sich Menschen via Social Media organisieren, um ihre Anliegen oder auch richtige Proteste öffentlich zu manifestieren. Das jüngste Beispiel kommt aus Bern. Innerhalb einer Woche haben sich über 16 000 Personen auf der Facebook Page «Ich boykottiere den Medienmarkt, dem die Berner Markthalle weichen musste» zusammengefunden. Das prominenteste Beispiel dieser Art von Protest in diesem Jahr ist allerdings nicht aus der Schweiz, sondern aus der Türkei. In Istanbul auf dem Taksim-Platz startete einige Wochen zuvor ein ähnlicher digitaler Protest. Während es auch in diesem Fall um ein ShoppingCenter ging, sind die Folgen der Proteste um einiges gewaltiger als in Bern. Sie sind sogar so tiefreichend, dass bei den Demonstrationen in Istanbul schnell Parallelen zum Arabischen Frühling gezogen wurden. Auf den ersten Blick scheint es so. Schaut man näher hin, gibt es zwischen den türkischen Protesten und den Aufständen in den nordafrikanischen Ländern von 2010 grosse Unterschiede. Gerade im Bezug auf den Einsatz von Social Media, der ja massgeblich zu beiden Bewegungen beigetragen habe, sind mindestens folgende drei zu nennen:

Erstens: Während in den nordafrikanischen Ländern die Internetpenetration zwischen 0 und 15 Prozent liegt, ist in der Türkei die Internetnutzung mehr als gängig. Die Türken gehen nämlich gut doppelt so viel über ihr Mobiltelefon ins Netz als der europäische Durchschnitt. Mittlerweile gibt es mehr als 40 Millionen 3G-Abonnenten (Stand 2012). Dass die Proteste gegen die Beseitigung des Gezi-Parks in Istanbul stark über Twitter organisiert wurden, ist demnach kein grosses Wunder. Und das bringt uns zum zweiten Unterschied. Der Arabische Frühling, so hiess es, sei dank Social Media in Bewegung gekommen. Vergleicht man aber den Ursprung der Tweets, sind frappante Unähnlichkeiten festzustellen. Die Tweets mit den Hashtags #occupygezi, #direngezipark und #geziparki kamen zu 90 Prozent aus der Türkei und davon wiederum die Hälfte aus Istanbul selbst. In der ägyptischen Revolution von 2010 waren nur knapp 30 Prozent der Tweets im arabischen Raum «geolocated», der Rest kam von der internationalen Community – zudem richteten sich die meisten der Tweets an angelsächsische Leserkreise, denn sie waren in Englisch geschrieben. Hieran knüpft dann auch der dritte Unterschied. Fast alle dieser inländischen Tweets waren in Türkisch geschrieben. Was klar darauf hindeutet, dass die türkischen Bürger Twitter benutzten, um untereinander zu kommunizieren, respektive sich zu organisieren. Der Einsatz von Social Media in den Protesten rund um Istanbul ist wirklich beachtlich. Unter anderem weil die inländischen Massenmedien wenig bis nichts darüber berichten wollten, haben die Protestierenden begonnen, einem Live-Ticker gleich,

Foto: Keystone

Protest 2.0

den Nicht-Anwesenden, auch mithilfe von Videos, mitzuteilen, was vor Ort geschieht. Sie haben sich sogar gegenseitig dazu ermutigt, den Fernseher auszuschalten und «Twitter zu lesen». Unter dem Hashtag #BgünTelevizyonlar?Kapat», was so viel heisst wie «turn off the TVs today», läuft unterdessen ein neuer Boykott an. Liebe Firmen und Regierungen, merken Sie sich das: Der Mensch will, sei es als Kunde oder als Bürger, dass seine Anliegen ernst genommen werden. Und was passiert, wenn man das nicht tut? Wo tut er diese dann kund? Über die Kanäle, die ihm vertraut sind. Es ist ganz einfach, versperrt man ihm die klassischen Kanäle, weicht er aus und organisiert sich über andere Möglichkeiten. Und dazu gehört heute selbstverständlich auch Social Media. Ein Grund mehr, diese neue Plattformen ernst zu nehmen.

Alternativen zum SuchmaschinenMarketing für Online Shops Für Online-Shop-Betreiber kann Suchmaschinen-Marketing, insbesondere AdWords-Kampagnen, ganz schön teuer werden. Welches sind die Alternativen, und wie effizient sind sie?

V

or fünf Jahren konnte sich ein Shop-Betreiber alleine auf das Absatzförderungsinstrument Suchmaschinen-Marketing verlassen. Heute nicht mehr. Konsumenten werden eher über Preisvergleichsdienste auf einen Online Shop aufmerksam als über Suchmaschinen; investiert wird umgekehrt. Interessant ist auch, dass 40 Prozent der Konsumenten angeben, via TV- und Print-Werbung auf einen Online Shop aufmerksam zu werden, während nur 1 Prozent der Shop-Betreiber in die Kanäle investieren. Es besteht eine offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Verhalten der Online Shopper und den Shop-Betreibern, wie eine deutsche Studie* belegt. Insbesondere scheinen die Online-Shop-Betreiber den Impact der klassischen Werbung zu unterschätzen. Im Gegensatz zu den Suchmaschinen erzeugt sie Aufmerksamkeit und Vertrauen. Dieses Vertrauen hat wiederum Einfluss auf das Klickverhalten: Der Konsument wird eher auf ein Suchresultat eines vertrauten Namens klicken. Allerdings platziert der Konsument kaum eine

Bestellung nach dem ersten Klick auf einen Banner oder ein Suchresultat. Der Evaluations- und Kaufprozess in der Online-Welt ist komplexer. Während der «Customer Journey», die sich bis zum Kauf über mehrere Stationen hinzieht, nutzt der Konsument die unterschiedlichsten Berührungspunkte mit dem Anbieter: Ein Banner gewinnt beispielsweise seine Aufmerksamkeit, später sucht der Konsument über eine Suchmaschine nach dem Angebot, um danach über eine PreisvergleichsWebsite die Anbieter zu vergleichen; bevor er schlussendlich im Webshop seiner Wahl bestellt, schaut er sich Bewertungs-Websites an. Die «Customer Journey» hat für jede Branche und jeden Shop unterschiedliche Ausprägungen. Die aktuelle Google-Studie «The Customer Journey to Online Purchase» zeigt typische Industrie-Muster, leider ohne Schweizer Muster. Dass die individuelle «Customer Journey» über Google Web Analytics abzurufen ist, wissen leider nur Website-Betreiber. Jedoch müssen die Suchmaschinen und Preisvergleichsdienste nicht die erste Anlaufstelle bei

der Produktsuche sein. Eine weitere Studie* belegt, dass für 40 Prozent der Konsumenten der Online Shop, bei dem das letzte Mal bestellt wurde, der Ausgangspunkt für die Angebotssuche ist. Diese Erkenntnis können Shop-Betreiber für ihre Absatzförderung nutzen, um dem (teuren) Kampf um die ersten Plätze in den Suchresultaten auszuweichen: Warum nicht mit klassischer (Angebots-) Werbung Kunden gewinnen, mit dem Angebot und Service des Online Shops überzeugen und mit Newsletter Marketing auf Angebote aufmerksam machen. Um in Nischen die unentschlossenen Konsumenten abzuholen, werden Online-Marketing-Instrumente wie Banner, Suchmaschinen oder Preisvergleichsdienste gezielt entlang der «Customer Journey» eingesetzt. Solche Denkmodelle erfordern eine konsequente Strategie, das professionelle Web Analytics Setup sowie die kontinuierliche Analyse und Interpretation der Effizienz der Massnahmen. * Link zu den Studien: bit.ly/11Q34kx Imre Sinka


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.