Leseprobe "Die ersten Jahre der Fraternitas Saturni"

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Die ersten Jahre der Fraternitas Saturni

e b o r p Lese

Von Volker Lechler


Inhaltsübersicht

Anhang

Einführung .........................................................................................................................................................................

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1. Astrologisch-esoterische Arbeitsgemeinschaft (Januar 1924 – September 1924) .............................................................

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2. Esoterische Logenschule (1924–1926) ........................................................................................................................... 18 3. Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin (16.12.1924 – 1.4.1926) .................................................... 25 4. Die „Weida-Konferenz“ ............................................................................................................................................... 41 4.1 Auflösung der Pansophischen Loge Orient Berlin ..................................................................................................... 56 5. Die Gründung der vollkommenen und gerechten, geheimen, mystisch-magischen Loge Fraternitas Saturni ................... 69 5.1 „Thelema“ – das Gesetz des neuen Zeitalters und die Fraternitas Saturni .................................................................. 86 5.2 Die Organisation der Loge Fraternitas Saturni .......................................................................................................... 91 5.3 Magische Briefe ....................................................................................................................................................... 109 5.4 Streitigkeiten im Kreise der Fraternitas Saturni........................................................................................................... 114 5.5 Esoterische-Studien Gesellschaft (Oktober 1926 – 31. Januar 1930) ........................................................................... 125 5.6 Die Jacoby-Brink-Affäre ........................................................................................................................................... 137 5.7 Saturn Gnosis .......................................................................................................................................................... 143 5.8 Forschungsinstitut für Okkultismus ........................................................................................................................... 150 5.9 Die Fraternitas Saturni und der lunare Aspekt .......................................................................................................... 153

1. Entwurf eines magischen Rituals zur Eröffnung und Erleuchtung der Fraternitas Saturni ................................................. 326 2. Frühe Mitgliederliste vom 24.3.1927 ............................................................................................................................. 338 3. Ritual zur Aufnahme der Neophyten ............................................................................................................................ 339 4. Verpflichtungsschein (I) von Eugen Grosche, gültig ab dem 8.5.1926 ............................................................................ 342 5. Verpflichtungsschein (II) – Ergänzung zu Verpflichtungsschein I ................................................................................... 343 6. Verpflichtungsschein (III) – Neufassung der Verpflichtungsscheine I und II .................................................................... 344 7. Verpflichtungsschein (IV), gültig nach dem 31. Januar 1930 ........................................................................................... 345 8. Kündigungsfrist der Fraternitas Saturni-Mitgliedschaft ................................................................................................... 346 9. Erläuterungen zu den Pflichten der Logenmitglieder ..................................................................................................... 347 10. Weisungen des Meisters vom Stuhl Nr. 1–34 ................................................................................................................ 349 11. Vorschriften über den Schriftwechsel mit auswärtigen und korrespondierenden Mitgliedern ......................................... 366 12. Liste der Pflichtbücher für alle Fraternitas Saturni-Mitglieder ......................................................................................... 368 13. Verordnung für die Erlangung des Merkurgrades im Vorhof der Fraternitas Saturni ........................................................ 369 14. Vortrag gehalten von Fra∴ Johannes am 10.3.1932 in Prag zum Thema: Ursache, Zweck und Ziele der Fraternitas Saturni ......................................................................................................... 370 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................................................ 374 Exkurs zu den verschiedenen existierenden „Frabato“-Ausgaben .................................................................................... 389 Mitgliederverzeichnis der Fraternitas Saturni (bis 1934) ....................................................................................................... 392 Personenregister (Auswahl) ................................................................................................................................................ 396

6. Martha Küntzel, die Thelema-Verlags-Gesellschaft und Eugen Grosche ........................................................................ 157 7. Walter Studinski alias Br∴ Waltharius ........................................................................................................................... 177 8. Wilhelm Quintscher alias Br∴ Rah Omir ...................................................................................................................... 179 8.1 Wilhelm Quintscher: „Der Lauf meines Lebens“ ....................................................................................................... 180 8.2 Quintscher und der F.O.G.C. .................................................................................................................................... 192 8.3 Briefwechsel zwischen Wilhelm Quintscher und Eugen Grosche ............................................................................. 198 8.4 Max Wiesel über Wilhelm Quintscher ..................................................................................................................... 259 8.5 Franz Bardon und die Fraternitas Saturni .................................................................................................................. 265 9. Friedrich Lekve alias Br∴ Martinus ............................................................................................................................... 270 10. Eugen Grosche und die Fraternitas Saturni in den 30er-Jahren ...................................................................................... 275 11. Vorwürfe gegen Eugen Grosche nach dem Zweiten Weltkrieg ...................................................................................... 319

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Einführung Der Name Fraternitas Saturni dürfte all jenen wohlvertraut sein, die sich für magische Gesellschaften des 20. Jahrhunderts interessieren. Ihr Initiator, Otto Max Eugen Grosche (1888–1964), stand unter seinem (ehemals pansophischen) Logenname Gregor A. Gregorius jahrzehntelang der Gruppe als Meister vom Stuhl vor. Dieses Buch ist als Nebenprodukt meiner Biografie über den Theosophen, Rosenkreuzer und Pansophen Heinrich Tränker (Selbstverlag, Stuttgart 2013) entstanden. Ursprünglich wollte ich die Geschichte der Fraternitas Saturni (FS) als Kapitel in diese Biografie integrieren, doch es zeigte sich schnell, dass dies den geplanten Rahmen sprengen würde. Im Laufe meiner Recherchen fand ich immer mehr historische Quellen, sodass in mir der Entschluss reifte, daraus ein eigenständiges Werk zu machen. Ein Problem dabei war jedoch die thematische Überschneidung der Tränker’schen Pansophie mit der Vorgeschichte der FS. Man kann die Entstehung der FS nicht historisch schildern, ohne gleichzeitig auf die Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin (16.12.1924–1.4.1926) und deren Vorläufer einzugehen. So entschied ich mich, einzelne Kapitel meiner Tränker-Biografie zu verwenden und darauf aufzubauen. In dem hier vorliegenden Werk betrifft dies hauptsächlich die Kapitel 1 bis 4. Die entsprechenden Texte wurden im Hinblick auf die FS-Geschichte leicht modifiziert, stellenweise ergänzt und überarbeitet. Die eigentliche Darstellung der FS-Geschichte findet sich in den Kapiteln 5 bis 11. Es gibt bereits einige Publikationen, die sich mit der FS beschäftigen. Das erste umfangreichere Werk stammt aus der Feder des Gießener Professors Adolf Hemberger (1929–1991) und trägt den barock anmutenden Titel Der mystisch-magische Orden Fraternitas Saturni. Versuch einer religionsphänomenologischen, soziologischen und tiefenpsychologischen, an der Werturteilsfreiheit der Heidelberger Schule orientierten Analyse (Frankfurt, Selbstverlag 1971). Dies sollte nicht der einzige Band von Hemberger bleiben, den er der FS widmete. Vermutlich durch seinen Kontakt mit dem FS-Mitglied Guido Wolther (alias Fra. Daniel) gelang es Hemberger an Briefe, Interna, Rundschreiben und Dokumente zu kommen, die er unter dem Titel Documenta et Ritualia Fraternitas Saturni1 der Öffentlichkeit in 16 Nummern (in 19 Bänden) zu1

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Hemberger veröffentlichte im Selbstverlag ca. 30 Schriften zum Thema Geheimgesellschaften.

gänglich machte2. Zu der Serie ist Folgendes zu sagen: Sie besteht eigentlich nur aus einer Sammlung unterschiedlichster Kopien3. Der mit Hemberger bekannte Psychotherapeut, Schriftsteller, Okkulta-Sammler und Medium, Oscar Rudolf Schlag (1907–1990), erinnerte sich, „[…] dass Hemberger den ganzen Tag an der Uni am Fotokopiergerät gestanden habe, um eigenhändig seine „Bände“ zusammenzustellen.“4 Auf diese Art und Weise produzierte Hemberger je Titel zwischen 50 und 100 Exemplare. Er machte sich mit seinen Publikationen bei den Mitgliedern der FS nicht sonderlich beliebt, denn er veröffentlichte Dinge, die nie für ein breiteres Publikum bestimmt gewesen waren. Obwohl Hemberger seine Arbeiten selbst als „wissenschaftlich“ bezeichnete, wird ihre Qualität heute von Peter R. König als „naiver Nonsens“5 beschrieben. König, der bei zahlreichen seiner Werke über den „Ordo Templi Orientis“ selbst gerne auf die Vervielfältigung von Dokumenten zurückgriff, ist ein weiterer Autor, der über die FS Material zusammentrug. Er liefert in seinem jüngsten dreibändigen Werk Der O.T.O. Phänomen RELOAD (2011) auch einen Überblick über die Geschichte der FS bis zur Gegenwart6. Bereits früher hatte sich König in seinen Werken In Nomine Demiurgi Saturni 1925–1969 (1998), In Nomine Demiurgi Nosferati 1970–1998 (1999) und In Nomine Demiurgi Homunculi (2010) der FS zugewandt. Neben den Büchern der beiden genannten Autoren gibt es noch weitere Arbeiten, die sich mit der FS und ihrer Historie beschäftigen. Dies sind in chronologischer Reihenfolge u. a.: Wilhelm Haack – Die Fraternitas Saturni (FS) als Beispiel für einen arkan-mystogenen Geheimorden des 20. Jahrhunderts (1977); Aythos [d. i. Walter Jantschik] – Die Fraternitas Saturni – eine saturn-magische Loge (1979); Friedrich W. Lehmberg (Hrsg.) – Magische Sonderdrucke und Interna der Fraternitas Saturni (1980); Hans-Jürgen Glowka – Deutsche Okkultgruppen 1875–1937 (1981); Ordo Saturni (Hrsg.) – 60 Jahre 2

Allerdings hat Wolther gegenüber der FS abgestritten, Hemberger jemals Unterlagen der FS verkauft zu haben. Vgl. dazu den Brief von Wolther an das Sekretariat der Fraternitas Saturni vom 18.2.71. In: König – In Nomine Demiurgi Nosferati (1999), S. 73– 75.

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Durch das Kopierverfahren sind manche abgebildeten Dokumente nur sehr schwer oder gar nicht zu erkennen. Die Qualität lässt insgesamt sehr zu wünschen übrig. Wegen der geringen Auflagenhöhe sind diese Originalbände nur schwer zu beschaffen, was ihnen einen nicht berechtigten Mythos verleiht.

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König – In Nomine Demiurgi Saturni (1998), S. 13.

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So in: König – In Nomine Demiurgi Saturni (1998), S. 13.

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König – Der O.T.O. Phänomen RELOAD (2011), S. 209–358. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig auf der Nachkriegsgeschichte der FS.

Saturn-Loge & 100. Geburtstag von Gregor A. Gregorius (1988); Stephen Flowers [d. i. Edred Thorsson] – Feuer & Eis. Die magischen Lehren des deutschen Geheimordens Fraternitas Saturni (1993); (Ralph Tegtmeier) – Die Fraternitas Saturni heute. Frater V∴ D∴ [d. i. Ralph Tegtmeier] spricht mit Großmeister∴ Thot∴ (1994); Alexander Popiol und Raimund Schrader – Gregor A. Gregorius. Mystiker des dunklen Lichtes (2007); SATURN GNOSIS. offizielles Publikations-Organ der FRATERNITAS SATURNI Volume III Nummer 1, ~ in 0° E Ostern 2008 e.V. Festschrift zum achtzigjährigen Bestehen der Loge (2008) und Briefe des Großmeisters der Fraternitas Saturni (2011)7. Alle hier beispielhaft genannten Publikationen haben eins gemeinsam: Sie streifen die Frühgeschichte der FS mit nur wenigen Zeilen – wenn überhaupt. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Zeit der Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg, sodass vor allem die „neuere“ Ordensgeschichte gut dokumentiert ist. Mit meinem Werk möchte ich jedoch versuchen, ein wenig Licht in das Dunkel der eigentlichen FS-Gründung und deren ersten Jahre zu bringen, wobei ich dies unter rein exoterischen Gesichtspunkten, im Sinne historischer Fakten, angehe. Esoterische Betrachtungen der FS-Lehre bleiben bewusst außen vor. Um zu verstehen, wie es überhaupt zur Bildung der FS kam, ist es im Vorfeld unumgänglich, auch auf deren „Vorläufer“, die „astrologisch-esoterische Arbeitsgemeinschaft“ (1924), die „Esoterische Logenschule“ (1924–1926) und die „Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin“ (1924–1926), einzugehen. In allen diesen Gruppen sammelte Eugen Grosche bereits organisatorische Erfahrungen, die ihm später in „seiner“ FS zugutekamen. Auf die Streitigkeiten zwischen Heinrich Tränker (1880–1956) und Aleister Crowley (1875–1947), die auf der „Weida-Konferenz“ (1925) letztlich zum Bruch mit Tränker und zur Gründung der FS führten, werde ich ebenfalls teilweise eingehen. Wer weitere Details zu den Folgen der „Weida-Konferenz“ wissen möchte, der sei auf meine Biografie über Heinrich Tränker verwiesen. Bei meinen Ausführungen stütze ich mich auf FS-Mitgliedsakten, die Eugen Grosche über jedes Mitglied anzulegen pflegte und die der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entgangen sind. Inwieweit diese Akten in sich vollständig sind, kann nicht mit 7

Es handelt sich hierbei um die Wiedergabe des Briefwechsels zwischen Eugen Grosche und dem Gründer der Psychosophischen Gesellschaft Hermann Joseph Metzger (1919 –1990). Adolf Hemberger brachte den Schriftwechsel bereits 1977 in Kopie heraus, siehe: Hemberger – Documenta et Ritualia Fraternitas Saturni (1977), Bd. VII. Die Durchschläge und Originale dieser Briefe befinden sich seit 2010 in der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden (KBAR) mit Sitz in Trogen.

Sicherheit gesagt werden. Manche erwecken den Eindruck, dass alle Logenunterlagen vorhanden sind, andere wiederum sind so lückenhaft wie Eugen Grosches eigene Akte, wodurch offensichtlich wird, dass Schriftstücke fehlen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fehlen zudem bei allen erhalten gebliebenen Akten die schriftlichen Ausarbeitungen verschiedener okkulter Themen, die Grosche von den FS-Mitgliedern bei der Ernennung zu höheren Graden obligatorisch verlangte. Erstaunlicherweise erweckt eine Akte den Eindruck von Vollständigkeit, es ist die von Wilhelm Quintscher (1893–1945). Quintscher war Begründer einiger mystisch-magischer Gruppierungen und kurzfristig Mitglied in der FS. Daten und Fakten aus Quintschers Leben liegen bis heute nur bruchstückhaft vor. Diese Lücke kann nun bis zum Jahre 1927 dank eines umfassenden autobiografischen Lebenslaufs Quintschers geschlossen werden. Dieses Schriftstück hatte er im Zuge seiner Bewerbung für die Aufnahme in die FS an Grosche nach Berlin geschickt. Aus den Akten wird dabei ersichtlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Eugen Grosche und Wilhelm Quintscher mitunter anders verlaufen ist, als bis heute allgemein angenommen wird. Doch wenden wir uns erst einmal den Voraussetzungen für die Entstehung der FS zu.

1. Astrologisch-esoterische Arbeitsgemeinschaft (Januar 1924 – September 1924) Die Gründung der Fraternitas Saturni geschah nicht aus einer Laune Eugen Grosches heraus, sondern war die konsequente Folge einer Reihe von Ereignissen, die ihren Ursprung in der Pansophischen Bewegung von Heinrich Tränker (1880–1956) hatte. Die Verbindung zwischen Heinrich Tränker und Eugen Grosche entstand, als beide zur selben Zeit in Leipzig lebten8. Von Grosche sind aus seiner Leipziger Zeit zwei Adressen bekannt: Zuerst wohnte er mit seiner Mutter Ernestine Margarethe Grosche (geb. Riedel)9 in der Lange Straße 15, danach zogen die beiden dann in die Schachtstraße 16. Gro8

In einem Brief an B. von Szemerey vom 11. Mai 1926 behauptete Eugen Grosche, dass er Heinrich Tränker bereits seit 25 Jahren kenne. Zu diesem Zeitpunkt (1901) war Grosche aber erst 13 Jahre alt und Tränker lebte noch in seinem Heimatdorf Bechstedtstraß bei Weimar.

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Grosches Mutter verstarb 1930 oder 1932 in Dresden. Kurioserweise gab Grosche die beiden unterschiedlichen Daten bei zwei Vernehmungen durch die Gestapo an. Auch beim Todesjahr seines Vaters Otto Max Grosche gab Grosche unterschiedliche Sterbejahre an – einmal 1933, das andere Mal 1934. Nur beim Ort, in dem sein Vater starb, war er sich sicher – es war Leipzig.

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Studium der Theosophie sehr förderlich und notwendig“14. Auch später beim Merkurgrad in der Fraternitas Saturni wurden Kenntnisse über die theosophischen Weltanschauungslehren (Karma, Reinkarnation, 7 Prinzipien und Daseinsebenen) verlangt 15.

Theosophische Gesellschaft (I.T.V.) in Leipzig um 1915. Hermann Rudolph ist der Dritte von links in der ersten Reihe

sches Mutter, von Beruf Schneiderin, soll als Hausdame bei der Theosophischen Gesellschaft angestellt gewesen sein10. Von wann bis wann dieses Anstellungsverhältnis gedauert hat, ist unklar. Historisch belegt ist nur ihre Mitgliedschaft bei der Theosophischen Gesellschaft I.T.V. (Internationale Theosophische Verbrüderung) in Leipzig und zwar für den Zeitraum vom 17. November 1911 bis vermutlich Sommer 191411. Heinrich Tränker wiederum wohnte mit seiner Frau Helene in der Blumengasse, die nach einer im Dezember des Jahres 1928 vorgenommenen Umbenennung heute Scherlstraße heißt. Die dazugehörige Hausnummer „Nr. 12“ war in Kreisen der Theosophen wohlbekannt, denn zum einen war unter dieser Adresse seit dem 1. Oktober 1904 die Theosophische Gesellschaft I.T.V. in Leipzig beheimatet, zum anderen 10

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Laut Angaben der Autoren Popiol und Schrader soll Eugen Grosches Mutter nach dem Tode ihres Mannes eine Anstellung als Hausdame bei der Theosophischen Gesellschaft in Leipzig angenommen haben. Sie soll eine kleine Wohnung im Haus der Theosophischen Gesellschaft bezogen haben. Dies widerspricht allerdings den Adressen, die bei der I.T.V. über die Familie Grosche verzeichnet sind. Vgl. Popiol/Schrader – Gregor A. Gregorius (2007), S. 11. Die beiden Autoren stützen sich in ihrem Buch auf eine Kurzbiografie über Eugen Grosche, die allerdings voller Fehler ist, wie ich noch darlegen werde. Zu finden ist diese Kurzbiografie bei: Hemberger – Documenta et Ritualia Fraternitas Saturni (1977), Bd. 1a, S. 1–12 (handschriftlich nummeriert mit Bl. 127–138). Die Angabe wurde einem Buchhaltungs-Journal der T.G. in Leipzig entnommen. In der Auflistung ist vermerkt, dass ihre letzter Mitgliedsbeitrag am 7. Mai 1914 geleistet worden war.

betrieb Heinrich Tränker von hier aus seit dem 1. Mai 190812 sein Antiquariat mit angeschlossener Buchhandlung. Grosche zog bereits im Alter von 23 Jahren, also 1911, nach Berlin. So ist leider nicht genau festzustellen, wann er während seiner Zeit in Leipzig Heinrich Tränker, den späteren Gründer der Pansophischen Bewegung, kennenlernte. Durch den Arbeitsplatz der Mutter kam Eugen Grosche mit der Theosophie in Kontakt, wie sie in Leipzig von Hermann Rudolph (1865–1946) in der Tradition von Franz Hartmann (1838–1912) 13 gelehrt wurde. Eugen Grosche war der Theosophie gegenüber aufgeschlossen. In seinen Augen war „das 12

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In seinem Lebenslauf berichtet er zwar, dass er sich bereits 1906 als Antiquar selbstständig gemacht habe. Diese Aussage könnte natürlich stimmen, wenn Tränker den privaten Verkauf antiquarischer Bücher aus seiner Sammlung meinte. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass sich Tränker einfach in der Jahresangabe irrte. Von amtlicher Seite ist die Gründung des Akademischen Antiquariates für den 1.5.1908 belegt. Ein Grund für den möglichen Irrtum könnte in der Tatsache liegen, dass Tränker seinen mir vorliegenden Lebenslauf erst 1945 verfasste und er keine Dokumente mehr aus der Zeit davor besaß. Sämtliche geschäftliche wie private Schriftstücke waren 1934 von der Gestapo beschlagnahmt worden. Wer mehr über den geistigen Vater der Theosophischen Gesellschaft in Leipzig (I.T.V.), Franz Hartmann, wissen möchte, sei auf folgende Titel verwiesen: Die umfangreichsten Informationen bietet das Werk: Hartmann – Denkwürdige Erinnerungen [um 1905], Bd. I [mehr ist nicht erschienen]. Ansonsten gibt es nur Kurzbiografien, wie z. B.: Göring – Dr. Franz Hartmann, ein Vorkämpfer der Theosophie. In: Hübbe-Schleiden (Hrsg.) – Sphinx. Monatsschrift, 10. Jg. 1895, Bd. XX, S. 1–10; Einbeck (Hrsg.) – Zum Gedächtnis an Dr. Franz Hartmann. In: Theosophische Kultur (1925), Sonderheft 2; Priem – Franz Hartmann (1912); Rudolph – Dr. Franz Hartmann als Philosoph und Mystiker. In: Theosophische Kultur, 11. Jg. 1919, S. 339–347. Rudolph – Dr. Franz Hartmann, der Gründer der Intern. Theosophischen Verbrüderung. In: Neue Lotusblüten, 5. Jg. 1912, S. 257–279.

Um seiner Mutter finanziell unter die Arme zu greifen, soll Grosche in der Tränker’schen Buchhandlung und dem dazugehörigen Antiquariat gegen Bezahlung kleinere Tätigkeiten übernommen haben. Sicherlich von Vorteil war dabei für Grosche, dass er eine Buchhändlerlehre in der Leipziger „Müller-Mann’sche Verlags-Buchhandlung“16 absolviert hatte. Fast unausweichlich kam er über Tränker in Kontakt mit antiquarischen Büchern aus den verschiedensten Bereichen des Okkultismus. Tränkers persönliche Liebe gehörte dabei der Alchemie, Astrologie, Kabbala, Magie, Mystik, den Rosenkreuzern und der vergleichenden Religionswissenschaft. Literatur aus diesen Bereichen füllten nicht nur die Regale seiner Buchhandlung, sondern auch dessen private Räume. Tränkers Privatbibliothek war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bereits recht umfangreich und in den Kreisen der Leipziger Theosophen sehr geschätzt. Nach seinem Umzug von Leipzig nach Berlin gründete Grosche dort am 1. Oktober 1913 seine Buchhandlung, die zu der Zeit nur „Inveha“17 (Internationales Verlagshaus) hieß. Von einer Spezialisierung in Richtung Okkultismus konnte noch keine Rede sein. Es war eine ganz normale Buchhandlung mit einem Varia-Sortiment. Seinen eigenen Verlag rief Grosche am 1. Dezember 1919 ins Leben. Nach Grosches Wegzug aus Leipzig verloren sich Tränker und er im Laufe der Jahre, letztlich auch kriegsbedingt18, aus den Augen. Erst in der Zeit nach dem Krieg trafen sie wieder aufeinander. Über dieses Ereignis existiert bei Adolf Hemberger19 eine kurze Darstellung, die jedoch zum Teil auf dubiosen Angaben aufbaut. Dem unbekannten Verfasser dieses Berichts sind dabei teilweise wirklich gravierende Fehler unterlaufen. Sie verdeutlichen, dass er mit dem 14

Brief von Br∴ Heimdall (d. i. Hermann Lange) an Br∴ Simon (d. i. Erich Simon) im 3. Jahre des Erkennens am ~10° 16‘M [2.12.1928]. An anderer Stelle schrieb Eugen Grosche, dass die „Theosophie ein guter Weg zur Erkenntnis“ sei. Vgl. dazu den Brief von Eugen Grosche an Br∴ Parsival (d. i. Robert Simmler) im 1. Jahre des Erkennens am 92. Tage des Lichtes [7.8.1926].

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Vgl. Logen=Mitteilungen. In: Grosche (Hrsg.) – Saturn Gnosis, Heft 3 (Januar 1929), S. 152.

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Inhaber der am 1.3.1899 gegründeten Buchhandlung war Dr. Gustav Müller-Mann. Das Ladengeschäft war im Czermaks-Garten 12 in Leipzig.

17

Vgl. Adressbuch des Deutschen Buchhandels, 94. Jg. 1932, S. 295.

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Grosche wurde 1914 zum Kriegsdienst als Sanitäter eingezogen. Er erlebte, wie Tränker, die Schrecken des Stellungskrieges an der Westfront und das sinnlose Sterben bei Verdun. Aus den Kriegstagen brachte Grosche Drogen mit, die er u. a. später bei seinen magischen Beschwörungen einsetzte.

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Hemberger – Documenta et Ritualia Fraternitas Saturni (1977), Bd. 1a, S. 1–12 (handschriftlich nummeriert mit Bl. 127–138).

Sachverhalt nicht vertraut war und ihn nur vom Hörensagen kennen konnte20. Es wird behauptet, dass Tränker der Ideengeber für die okkulte Ausrichtung der Buchhandlung von Grosche gewesen sei. Ob dies so war, kann leider nicht verifiziert werden. Offiziell belegt ist hingegen, dass Grosche seine Buchhandlung „Inveha“ am 21. November 1920 in Okkulte Buchhandlung „Inveha“21 umbenannte. Erst seit diesem Datum trat er offen als Spezialist für Okkultismus, Theosophie, Buddhismus, Astrologie und Geheimwissenschaften auf. Neben Werken der Geheimwissenschaften offerierte Grosche im Laufe der Zeit zusätzlich diverse okkulte Utensilien wie magische Spiegel, Kristallkugeln, Räucherpulver, magische Schutzglyphen für Talismane und Schmuck, siderische Pendel, aber auch Horoskop-Formulare, farbige Planeteneinstecknadeln und normale Dinge wie eine „fetthaltige Hautnährkrem“ namens Citrolan22. Grosches weiteren Lebensweg können wir, im Hinblick auf die Gründung der FS, für einige Jahre außer Acht lassen23. Unser Interesse wird erst wieder 1923 geweckt. Im Herbst dieses Jahres begann er, in Berlin mit einem kleinen Kreis von Interessierten astrologische und okkulte Kurse abzuhalten. Vortragende waren er selbst, Dr. Chiva, der Astrologe Wilhelm Becker, Artur Schumacher und Paul Bohm24. Ermutigt durch die Resonanz begann Grosche, seinen „Anfangskurs für Astro20

Leider wird die Darstellung „Gregor A. Gregorius“ vom Ordo Saturni auf seiner Website http://alldyna.de/ordo-saturni/main/gregorius.asp (16.08.2014) unkritisch übernommen. Ich möchte hier nur auf ein paar der Fehler aufmerksam machen. Es wird behauptet, dass in die Leipziger Zeit von Eugen Grosche die Spaltung der Leipziger Theosophischen Gesellschaft gefallen sei, in deren Folge Rudolf Steiner ausgetreten sei, um seine eigene theosophische Gesellschaft zu gründen. An seine Stelle wäre Heinrich Tränker getreten. Dazu sei gesagt, dass Rudolf Steiner der „Deutschen Theosophischen Gesellschaft“ in Berlin angehörte. Diese folgte der Blavatsky Richtung. Die Leipziger Theosophische Gesellschaft stand unter der Leitung von Hermann Rudolph und folgte den Ansichten von Franz Hartmann. Rudolf Steiner stand dieser theosophischen Ausrichtung kritisch gegenüber und war nie deren Mitglied. Der Austritt von Steiner aus der Theosophischen Gesellschaft erfolgte daher in Berlin und hatte rein gar nichts mit der Leipziger Gesellschaft zu tun. Daher konnte Heinrich Tränker auch nie der Nachfolger von Rudolf Steiner in der Leipziger Theosophischen Gesellschaft werden, da es sich um zwei ganz unterschiedliche theosophische Gruppen handelte. Heinrich Tränker war auch nie der Sekretär der Leipziger Gruppe. Weiter wird behauptet, Tränker habe Grosche im Jahre 1921 vorgeschlagen, er solle seine soeben erworbene Buchhandlung in eine Okkulta Spezial-Buchhandlung umwandeln. Leider übersieht der Verfasser der Grosche Kurzbiografie, dass dieser seine Okkulte Buchhandlung „Inveha“ bereits 1913 gegründet hatte. Des Weiteren hat Grosche von Tränker nie den Auftrag erhalten, den O.T.O. neu zu errichten. Ganz im Gegenteil, Heinrich Tränker beharrte immer wieder darauf, den O.T.O. aufgelöst zu haben. Auch die Gründung der FS war nicht 1928, sondern bereits zwei Jahre früher, im Jahre 1926, wie ich später noch belegen werde.

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Im Nachhinein wurde behauptet, der Name „Inveha“, den Grosche ja zu einer Zeit gewählt hatte, in der er sich noch nicht dem Okkulten zugewandt hatte, hätte in Wahrheit einen geheimen numerologischen Zahlenwert, der die Kraft der 72 Götter oder Dämonen der Kabbala beinhalten würde. Siehe: Popiol/Schrader – Gregor A. Gregorius (2007), S. 22.

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Alle diese Hinweise kann man den Werbeanzeigen von Eugen Grosche in den diversen Vehlow Jahreskalendern entnehmen.

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Wer mehr über die Biografie von Eugen Grosche wissen möchte, sei auf das Werk von Popiol/Schrader – Gregor A. Gregorius (2007) verwiesen. Ich muss jedoch anmerken, dass die Angaben in dem Buch leider mitunter ungenau und fehlerhaft sind.

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Die Schreibweise des Namens variiert bei Grosche. Einmal nennt er ihn Bohm, ein anderes Mal wird er Bohn geschrieben.

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logie“ zu bewerben. Beginn des Kurses war der 14. Januar 1924 abends um 19.45 Uhr im kleinen privaten Rahmen. Als Ort der Veranstaltung fungierte die Privatwohnung der „Frau Fabrikbesitzer Neumann“ in der Oranienstraße 16, 4. Treppe in Charlottenburg. Zeitlich eingeplant waren für die Einfüh-

rung in die Astrologie insgesamt 14 Abende, wobei jede Veranstaltung mit 1,50 Mark pro Person zu Buche schlagen sollte. Die für den Astrologie-Kurs notwendigen Bücher offerierte Grosche, ganz Buchhändler, seinen Zuhörern zum Kauf dabei gleich mit. Der Kursplan sah folgendermaßen aus:

Von den Absolventen dieses Kurses erhoffte sich Grosche anschließend die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft, in der „[…] speziell esoterische Astrologie gelehrt wird. Von diesen Arbeitsgemeinschaften aus ist ein noch engerer Zusammenschluss erreichbar.“25 Nach dem Willen der Initiatoren sollte die entstehende Arbeitsgemeinschaft von Anfang an mehr sein, als nur eine locker zusammenarbeitende astrologische Gruppe. Um dies zu erreichen, führten die Verantwortlichen eine „ehrenwörtliche Verpflichtung“ ein, die jeder Einzelne der Teilnehmer vor seiner Aufnahme separat unterzeichnen musste. Darin heißt es u. a.: „Jede eigene geistige Produktion, die im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft entsteht, wird Eigentum der Loge, die ohne Namensnennung die Arbeitsgemeinschaft leitet. Über jedes gemeinschaftlich zur Kenntnis gelangte Wissen verpflichte ich mich zu strengstem Stillschweigen. Alle in gemeinsamer Arbeit entstandenen Geisteswerte sind Eigentum der Loge. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft erwerben durch ihre Teilnahme keinerlei Rechte und Forderungen an die Loge. Die Arbeitsgemeinschaft bildet eine der Vorschulen der Loge. Tadellose menschliche Führung und makelloser Ruf in ethischem Sinne sind unerlässliche Vorbedingungen zur Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft. Beherrschung der Astrologie ist erforderlich. Über die Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft entscheidet die Loge auf Antrag. Diesem Antrag ist beizufügen: a) das selbstgestellte Radixhoroskop b) eine schriftliche Arbeit auf dem Gebiete der Geheimlehren oder eine Fixierung der sich gestellten geistigen Ziele. Die Aufnahme wird in besonderen Fällen auch ohne Antrag erfolgen. Für Frauen ist eine besondere Arbeitsgemeinschaft unter Leitung und Unterstützung der Loge vorgesehen. An Beitrag für die Arbeitsgemeinschaft sind vorläufig monatlich zehn Goldmark festgesetzt, die regelmässig in den ersten Tagen des Monats ohne besondere Aufforderung an den Schatzmeister abzuführen sind. Irgendwelche Rechte entstehen aus diesen Beitragszahlungen nicht. Jede Frage nach den Mitgliedern und Zielen der Loge ist unzulässig. Den sachlichen Weisungen des Leiters der Arbeitsgemeinschaft ist unbedingt Folge zu

Einladungsschreiben der Arbeitsgemeinschaft vom Januar 1924

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leisten. […] Die Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft ist eine freiwillige und ungezwungene, ein Austritt ist jederzeit möglich. Verstoss gegen diese […] Punkte führt zur sofortigen Ausschliessung und geistigen Isolierung von der Arbeitsgemeinschaft. Jeder Austausch von gemeinsamen Arbeitsergebnissen zwischen den Mitgliedern und jedem Ausgewiesenen ist verboten. Vorliegendes Schriftstück darf nicht weitergegeben werden, der Inhalt ist geheim und nur für den Inhaber bestimmt.“26

25

Durchschlag eines Werbebriefes auf Briefpapier der Okkulten Buchhandlung „Inveha“ vom 7.I.24.

Der Text enthält Passagen, die auf den ersten Blick unverständlich sind. Es geht dabei in erster Linie um die „Loge, die ohne Namensnennung die Arbeitsgemeinschaft leitet“. Welche Gruppe hiermit explizit gemeint war, ist unbekannt. Es liegt jedoch der Verdacht nahe, dass damit bereits die Pansophische Loge von Heinrich Tränker gemeint war. Dafür spräche, dass sich nur kurze Zeit später die Arbeitsgemeinschaft der Pansophischen Bewegung von Heinrich Tränker unterstellte, wie wir noch sehen werden. Des Weiteren möchte ich den Blick auf die geforderten schriftlichen Arbeiten lenken, die jeder Aufnahmekandidat abzuliefern hatte. Dazu gehörten ein selbsterstelltes Radixhoroskop, eine Arbeit auf dem Gebiet der Geheimlehren oder eine Fixierung der sich selbst gestellten geistigen Ziele. Diese Anforderungen seitens der Arbeitsgemeinschaft sollten nicht nur hier Geltung haben. Als verantwortlicher Organisator übernahm Eugen Grosche diese Form der Aufgabenstellung später ebenfalls für neue Mitglieder der Pansophischen Loge Orient Berlin und für die FS. Auch die in der „Verpflichtung“ geforderte absolute Unterwerfung unter die Obrigkeit der „Loge“ ist beachtenswert. Bei genauer Betrachtung gewinnt man den Eindruck, dass die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft keinerlei Rechte, aber alle Pflichten hatten. Erlangtes Wissen gehörte allein der Loge, von der man jedoch überhaupt nichts wusste, da Fragen über sie „unzulässig“ waren. Personen, die dagegen verstießen, wurden mit einem Bann belegt. Keines der noch aktiven Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft durfte sich mehr mit den „Ausgestoßenen“ austauschen, was in der Realität einer kompletten sozialen Ausgrenzung des Betroffenen durch die anderen Mitglieder gleichkam. Diese Maßnahme führt die angebliche „freiwillige und ungezwungene“ Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft ad absurdum. Die „ehrenwörtliche Verpflichtung“ für die Arbeitsgemeinschaft erweckt den Eindruck, als habe die Gruppe bereits 26

Formblatt einer „Ehrenwörtliche Verpflichtung“ für Mitglieder vom Januar 1924.

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unter Heinrich Tränker verbunden207. O. W. Barth stand den Plänen einer Logenneugründung kritisch gegenüber und glaubte auch in Graus Handlung einen ähnlichen Standpunkt gefunden zu haben. Er schrieb in einem Brief an Grosche: „Ich lege Ihnen ein Horoskop bei, das auf die hier [in München] versuchte Konstituierung der L[oge] gestellt wurde und das sehr übel aussieht. Das Schreiben von Pacitius ist überdies ausserordentlich interessant. Wenn Sie zwischen den Zeilen lesen, so müssen Sie erkennen, dass P. verwarnt worden ist, wahrscheinlich in der gleichen Art, wie wir Warnungen aus der geistigen Welt erhalten haben. Wir haben einige seltsame Erlebnisse zu verzeichnen, indem bei einer Sitzung von uns – wir waren nur 6 – eine Siebente Person anwesend war. Einige Tage später erhielten wir eine Warnung aus der geistigen Welt, dass Neugründungen okkulter Logen z. Zt. verhindert würden, da erst die alten Logen vernichtet werden müssten. Die geistigen Führer liessen keine neuen Logen jetzt zu. Das sind nicht etwa spiritistische Warnungen, sondern – ich kann es nicht anders bezeichnen als „hellsichtig“.“208 Barths Warnung verhallte im Nichts. Im Gegenteil ließ Grosche ihn wissen, dass die Sterne für ihre Neugründung gut stünden209. Nur knapp einen Monat, nachdem die Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin aufgelöst worden war, sollte die neue Loge unter dem Namen „Fraternitas Saturni“ ins Leben gerufen werden. Zu der rechtlichen Stellung der FS im Hinblick auf die Pansophische Loge gab Grosche in einem Brief bekannt:

5. Die Gründung der vollkommenen und gerechten, geheimen, mystisch-magischen Loge Fraternitas Saturni211 Bevor ich näher auf die Gründung der FS eingehe, seien zuvor ein paar Anmerkungen erlaubt. Es ist erstaunlich, dass bis heute die meisten Autoren, selbst FS-Mitglieder, nicht viel über die Gründungszeit der FS wissen. Was bis jetzt darüber in Publikationen kolportiert wurde, fußt auf der vermeintlich historischen Chronik von FS-Meister Giovanni (d. i. Karl Wedler, 1911–2009)212. Ich möchte daher einen kritischen Blick auf Wedlers Ausführung werfen und ein paar Punkte in seiner Ausführung beleuchten. Meister Giovanni beginnt in seiner im Jahre 1959 veröffentlichten Chronik mit der Geschichte einer Bruderschaft des Saturns, die bereits Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts sowohl in Dänemark wie auch in Schweden existiert haben soll. Zu dieser Darstellung ist eine handschriftliche Notiz von O. W. Barth an Eugen Grosche von Interesse. Barth hatte noch vor der offiziellen Erleuchtung der FS in einem Brief folgende Bemerkung an den Rand gesetzt: „Kennen Sie den Aufsatz „Saturnbrüder“ von W. Münster, Kopenhagen in den Astrologischen Blättern[213] vom April 1926?“214 In dem darauf erfolgten Antwortschreiben ging Grosche in einer kurzen Antwort auf Barths Hinweis ein:

„Wir müssen zunächst ausdrücklich betonen, dass wir uns rein rechtlich und auch gesetzmässig als Nachfolger der an und für sich nur formell aufgelösten Loge betrachten, da ein Gesamtbeschluss der Brüder vorliegt, der sogar schriftlich fixiert wurde, dass die heutige „Fraternitas Saturni“ an Stelle der Pansophischen Loge mit allen ihren Rechten und Pflichten treten soll.“210

„Mit dem Verfasser des Artikels „Saturn-Brüder“ in den „Astrologischen Blättern“ haben wir nichts zu tun. Wir kennen ihn und seine Ziele nicht, offenbar handelt es sich hier um eine schriftstellerische Phantasterei, die natürlicherweise ihren guten Gedanken und Kernpunkte hat, aber ausschließlich über phantastische Vermutungen nicht hinausgeht.“215 211

Nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet sich die FS als eine gerechte, erleuchtete, geheime, rituelle und magische Loge. Eine Erläuterung dieser Bezeichnungen findet man bei: Gregorius – Über den organisatorischen Ausbau der Loge und den Graduierungsplan der „Fraternitas Saturni“. In: Blätter für angewandte okkulte Lebenskunst, XIV. Jg. 1963, Heft 154 (Januar), S. 4 f. Eine etwas abweichende Erklärung findet sich bei: Hemberger – Documenta et Ritualia Fraternitas Saturni (1977), Bd. 1 a, Bl. 113.

207 Vgl. dazu den Brief von Grosche an Br∴ Maaks vom ~ 7° F [28.4.1926]. Darin berichtet er, dass die Neophyten Diek, Zilian, Sigbert und das Ehepaar Fuhrmann nicht in die FS übertreten wollten.

212 Siehe: Giovanni – Chronik der Loge „Fraternitas Saturni“. In: Blätter für angewandte okkulte Lebenskunst, X. Jg. 1959, Heft 109 (April), S. 8–11. Wedlers Darstellung wurde in den Jahren danach immer wieder als Separatdruck veröffentlicht.

208 Postkarte von O. W. Barth an Grosche vom 28. April 1926.

213

209 Undatierter Brief von Grosche an O. W. Barth vermutlich geschrieben Ende April / Anfang Mai 1926.

214 Postkarte von O. W. Barth an Grosche vom 28. April 1926.

210 Brief von Grosche an Dr. Ernst Franck vom 8. Mai 1926.

215

Der Aufsatz von Münster – Die Saturnbrüder. In: Astrologische Blätter, 8. Jg. 1926, Heft 1 (April), S. 22–26. Undatierter Brief von Grosche an O. W. Barth vermutlich vom März 1926.

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Umso erstaunlicher ist es, dass die skandinavischen Saturnbrüder dennoch ihren Einzug in die Geschichtsschreibung der FS gefunden haben. Meister Giovanni notierte dazu: „Aus alten Annalen ist bekannt, daß ausgangs des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts sowohl in Dänemark als auch in Schweden eine Bruderschaft des Saturn [sic!] bestand. Diese Bruderschaften waren zahlenmäßig nur klein, führten ein verborgenes Dasein und beschäftigten sich hauptsächlich mit Mystik, Alchimie und Esoterik.“216 Die wenigen Dinge, die Giovanni über die Bruderschaft zu berichten hat, überschneiden sich mit Angaben in dem von Grosche als „Phantasterei“ abgeurteilten Artikel in den Astrologischen Blättern. Warum von Giovanni trotz Grosches früherem, abschlägigem Urteil die „Saturnbrüder“ ins Spiel gebracht wurden, liegt im Verborgenen. Der nächste Punkt, dem ich mich in Wedlers „Chronik der Loge Fraternitas Saturni“ kritisch zuwenden möchte, betrifft den Satz: „Im Jahre 1921 gründete der Buchhändler und Redakteur Eugen Grosche im Auftrage des Großmeisters Recnartus vom deutschen Rosenkreuzertum mit sämtlichen ihr angeschlossenen Orden die Pansophische Loge – Orient Berlin.“217 In dieser Darstellung sind zwei entscheidende Fehler enthalten. Zum einen wurde die Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin nicht 1921, sondern erst am 16. Dezember 1924 gegründet. Zum anderen war Tränker niemals der Großmeister der deutschen Rosenkreuzer, da eine solche Gruppierung überhaupt nicht existierte. Die unterschiedlichen deutschen Rosenkreuzergruppen waren viel zu zerstritten, als dass sie sich auf einen verbindlichen Großmeister hätten einigen können. Meister Giovanni ist die Quelle für die irritierenden Mitgliederzahlen, die Tränkers Pansophische Bewegung verlassend, Grosche in die Fraternitas Saturni gefolgt sein sollen. Laut Wedler sind „1/3 der früheren Mitglieder nicht gewillt gewesen“, Grosche zu folgen. Die überwiegende Mehrheit von „ca. 40 Mitgliedern“218 wäre ihm jedoch treu geblieben. Diese Zahlen geistern seitdem durch verschiedene Publikationen. Adolf Hemberger, dessen ungenannte Quelle Meister Giovanni war, 216 Giovanni – Chronik der Loge „Fraternitas Saturni“. In: Blätter für angewandte okkulte Lebenskunst, X. Jg. 1959, Heft 109 (April), S. 8. 217

a. a. O., S. 8–9.

218 a. a. O., S. 10.

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sprach daher ebenfalls von „etwa vierzig Mitglieder[n]“219, die sich für die FS entschieden hätten und von zwanzig Mitgliedern, die nicht in die FS eingetreten wären220. Friedrich Wilhelm Haack spricht wiederum von „fünf Fratres“221, die die FS gegründet hätten. Beide Zahlenangaben klaffen, für jeden ersichtlich, weit auseinander. Dies liegt an dem Gründer der FS, Eugen Grosche, selbst. Genaue Zahlen wollte er nicht publizieren und streute zudem in der Öffentlichkeit Gerüchte, die seiner neuen FS eine größere Anhängerschaft zubilligten222. Interne Dokumente, die in den Archiven erhalten geblieben sind, geben jedoch Antwort auf die Frage nach der wahren Zahl der überwechselnden Logenmitglieder. Ein in den Akten befindlicher „Entwurf einer Neugliederung des COLLEGIUM PANSOPHICUM“, der an Grosche adressiert war, ist hierbei von großer Bedeutung. Darin wird berichtet, dass das Collegium kurz vor seiner Auflösung „noch aus 7 geweihten Brüdern“ bestand, deren „Namen unbekannt bleiben müssen.“ Für uns sind die Namen jedoch nicht mehr unbekannt. Es waren: 1. Albin Grau 2. Ernst Otto Franck 3. Eugen Grosche 4. Max Staack 5. Hans Müller 6. Artur Schumacher 7. Joachim Winckelmann Wie wir aus dem vorherigen Kapitel wissen, waren Albin Grau und Ernst Otto Franck bei der Gründung der FS nicht mehr mit von der Partie. Folgerichtig schrumpfte die Zahl der Fratres auf fünf Personen zusammen. Eugen Grosche [Fra∴ Gregorius] Max Staack [Fra∴ Maacks] Hans Müller [Fra∴ Johannes] Artur Schumacher [Fra∴ Erasmus] Joachim Winckelmann [Fra∴ Angulus]

Nur diese fünf ehemaligen Pansophen bildeten den wahren Kern bei der Erleuchtung der FS. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Logennamen, die die fünf Gründerväter in der FS verwendeten, Überbleibsel der Pansophischen Loge waren. Ein weiteres Überbleibsel der aufgelösten Pansophischen Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin waren die Neophyten im Vorhof der Loge, die noch nicht in den inneren Kreis aufgenommen worden waren223. Auf sie hatte Grosche von Anfang an ein Auge geworfen. Sie sollten die neu gegründete FS zahlenmäßig auf einen Schlag nach oben schnellen lassen. Wer dies im Einzelnen war, kann nicht abschließend gesagt werden, denn die Aktenlage ist in diesem Punkt möglicherweise lückenhaft. Es gibt zwar ein frühes Mitgliederverzeichnis und Personalakten der FS, genauso wie von der Pansophischen Loge, aber inwieweit diese vollständig sind, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden224. Es könnte gut sein, dass ein Teil der Akten kriegsbedingt zerstört worden ist. Auch ist denkbar, dass durch die Beschlagnahmung der Akten durch die Gestapo, die spätere Verschleppung der Unterlagen durch die russische Armee nach Moskau wie auch bei deren Rückführung in die ehemalige DDR Bestände auseinandergerissen wurden225. Trotz der Unsicherheiten mit den Personalakten kann man für die Gründung der FS relativ sicher eine Aussage hinsichtlich der übernommenen Neophyten machen. Es existiert ein Brief von Eugen Grosche, der uns Auskunft über die Zahl der betreffenden Neophyten gibt. Das diesbezügliche Schreiben vom Meister vom Stuhl war an Max Staack (d. i. Fra∴ Maacks) adressiert. Darin schrieb Grosche: „Da wir am Sonnabend [d. i. 8. Mai 1926] sämtliche Neophyten in die Loge aufnehmen wollen, so bekommen wir doch wieder einen Kreis von ca. 15 Personen.“226 Aus berufenem Munde haben wir nun die Bestätigung, dass die in der Literatur herumgeisternden Zahlen der angeblichen Gründungsmitglieder falsch sind. Um uns der Frage zu

219

Hembergers Quelle ist eindeutig „Meister Giovanni“. Dieser hatte in den Blättern für angewandte okkulte Lebenskunst, X. Jg. 1959, Heft 109 (April), S. 10 diese falsche Zahl ins Spiel gebracht.

220 Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 1. (1974), S. 20. 221 Haack – Die Fraternitas Saturni (1977), S. 18. Möglicherweise bezieht sich Haack auf die Gründungsurkunde, welche von Fra. Gregorius, Fra. Maacks, Fra. Johannes, Fra. Angelus und Fra. Erasmus unterzeichnet wurde. 222 Grosche sprach nebulös von 2/3 der Mitglieder, die in die FS übertraten. Siehe: Grosche – Bericht über die „Geheim-Konferenz im Jahre 1926 in Thüringen.“. In: Sonderdruck Nr. 2. Privatdruck der Fraterschaft der Loge „Fraternitas Saturni“, nicht nummeriertes Blatt 3–8.

223 Tränker gab eine Karenzzeit von drei Jahren für Neophyten an, bevor sie in eine Loge aufgenommen werden sollten. 224 Für die erhalten gebliebenen Personalakten der FS-Mitglieder ergibt sich folgendes Bild: Zahlreiche Akten dürften vollständig sein, bei anderen existiert zwar die handschriftlich beschriftete Mappe mit dem Logennamen, der Inhalt ist jedoch sehr dürftig. So z. B. bei Eugen Grosche, bei dem eindeutig ein Teil seiner Akte fehlt. 225 Dafür spricht, dass Teile der Personalakten der Pansophischen Loge im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wie auch im Bundesarchiv in Berlin lagern.

nähern, wer sich nun mit bürgerlichem Namen hinter den Neophyten verbarg, kommt uns eine Liste zu Hilfe. In den Archivbeständen existiert nämlich ein Namensverzeichnis der Neophyten, die mit der Pansophischen Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin in Verbindung standen. Ich gebe die Liste so wieder, wie man sie im Archiv einsehen kann:

Neophyten Georg Dick Paul Fuhrmann Friedrich Kluge Otto Bethke Paul Schneider

17.2.70

Berlin S Jacobikirchstr. 6 Berlin NW Thomasiusstr. 26 IV 16.3.88 Berlin W 35 Flottwallstr. 9 II 28.7.01 Neukölln Steinmetzstr. 39 10.1.69 Wilsnack Kolonie 5. Am Park 2 (Berlin Schöneberg Torgauerstr. 8) Alfred Piskorski 29.6.70 (Berlin Schöneberg Martin Lutherstr. 44) Berlin W Courbière Str. 14 Normann Sigbert Berlin W Ludwigskirchstr. 70a IV Elisabeth Fuhrmann Berlin NW: Thomasiusstr. 26 IV Clara Dreier 6.8.86 Berlin W Lützowstr. 78 Elisabeth Nadorff Berlin W Eisenacherstr. 11b IV Else Wissmann 16.7.97 Berlin Weißensee Sedanstr. 61 Berlin [Strabauerstr]. 44/45 Deutscher Beamten Waaren Versorgung Artur Schumacher 27.10.98 Berlin Wilmersdorf Kaiser Allee 181 Gustav Stabenow 27.11.65 Berlin Wannsee Dreilindenstr. 1 Otto Beier 7.8.70 Neukölln [Boddinstraße] 27 Johanna Wildt 21.5.00 Berlin N Stettinerstr. 53 Kindergarten [Willy] Schlaich [Henrik] Hunwald 24.7.08 A. Laubsch Berlin Potsdamerstr. 121 Maja Schuffelhauer Berlin W Motzstr. 70 Richard Lübeck Berlin Steglitz Mommsenstr. 45 A[ugust] Müller Berlin N 58 Schönhauser Allee 73 Hedwig Ziemann Berlin W 30 Bayreutherstr. 18 Magda Boldt Berlin Dahlem Werderstr. 12 II Paul Bohn Berlin Rud. Pfeiffer Berlin O Liebigstr. 6 Joh[ann] Wolf Berlin SW Hallesches Ufer 9

Die Personen, deren Namen durchgestrichen sind, hatten Grosche bereits im Vorfeld mitgeteilt, dass sie nicht in die FS überwechseln wollten. Ob die restlichen Neophyten alle in die FS wechselten oder ob sie erst nach Erstellung der Liste ihren Austritt erklärten, ist nicht bekannt. Im ersten Mitgliederverzeichnis der FS tauchen nur 17 Namen aus dieser Neophyten-Liste wieder auf. Sicher identifiziert als ehemalige Neophyten und danach als neue FS-Logenmitglieder sind:

226 Brief von Grosche an Staack vom 4. Mai 1926.

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„Einer der wenigen Astrologen, der dem reinigenden Ansturm der Wissenschaft als Autodidakt und starker Charakter standhalten wird, ist der Astrologe Johannes Vehlow, den man auf Grund seiner umfassenden astrologischen Praxis, seiner Zuverlässigkeit im astrologischtechnischen Arbeiten, seiner Prognose-Sicherheit zu den wenigen ersten führenden Astrologen Deutschlands rechnen kann. Fußend auf der Johann Schlaf’schen Erkenntnistheorie, verbindet er das astrologische Weistum der Antike mit den neuesten Forschungserkenntnissen und einer kosmisch-esoterischen Weltanschauung zu einer Methode, welche wohl als die beste ihrer Art bezeichnet werden kann.“360 Warum es im Jahre 1932 zum Verlagswechsel vom InvehaVerlag zu Bernhard Sporn kam, ist aus heutiger Sicht noch nicht mit Sicherheit zu beantworten. Einiges spricht dafür, dass die Vehlow-Kalender ein Opfer von Grosches permanenter Geldknappheit wurden. Auf diesen Aspekt werde ich in einem späteren Kapitel noch ausführlicher zu sprechen kommen.

5.3 Magische Briefe Eine Schriftenreihe, die in den damaligen okkulten Kreisen für Furore sorgte, wird oftmals mit der FS in Verbindung gebracht. Ich spreche von den Magischen Briefen. Okkulte Praxis. Unter diesem Reihentitel erschienen insgesamt 10 Hefte361. Die einzelnen Titel der Hefte lauten: 1. Brief: Spiegel- und Kristall-Magie. (Autor: Ernst Otto Franck. Erscheinungsdatum 15.5.1925.) 2. Brief: Spaltungsmagie. (Autor: Ernst Otto Franck. Erscheinungsdatum 16.10.1925.) 3. Brief: Formen- und Symbol-Magie. (Autor: Eugen Grosche. Erscheinungsdatum 11.12.1925.) 4. Brief: Astrologie und Magie. (Autor: Eugen Grosche. Erscheinungsdatum 10.2.1926.) 5. Brief: Pendel-Magie. (Autor unbekannt. Erscheinungsdatum 8.7.1926.)

6. Brief: Sympathie-Magie. (Autor: Eugen Grosche. Erscheinungsdatum 30.8.1926.) 7. Brief: Satanistische Magie. (Autor: Eugen Grosche. Erscheinungsdatum 25.2.1926.) 8. Brief: Sexual-Magie. (Autor: Eugen Grosche. Erscheinungsdatum 9.5.1927.) 362 9. Brief: Magia Cosmosophica. Von Fra. Gregorius. (Erscheinungsdatum 1928.) 10. Brief: Magia Metachemica. Von Günter Helmont (d. i. vermutlich Henrik Hunwald). Mit einem Vorwort von Hans Ermendorff. (Erscheinungsdatum 1930.) Die uns heute bekannten 10 Hefte waren eigentlich nur ein kleiner Teil einer geplanten Serie. Ursprünglich sollten, so war es der Wunsch der Autoren, ungefähr 40 Bände realisiert werden. Sie sollten alle Sparten der Magie umfassen und damit einzigartig in der Welt sein. Paul Zieger, einer der Inhaber des Verlages der Freude, hatte jedoch große Bedenken wegen der Hefte 7 und 8. Satanische und Sexual-Magie passten nicht zu seiner Vorstellung von einer wissenschaftlichen Reihe. „Meine Bedenken gegen die „Satanische“ und „SexualMagie“ zerstreuten die Herausgeber mit dem Hinweis auf den enzyklopädischen Charakter der Sammlung: wie die Sexualität bei den wissenschaftlichen kriminalistischen Werken niemals wegzudenken sei, so wäre die „SexualMagie“ bei einem derartigen Spezialwerk über die Magie nicht auszuschließen, sollte dieses doch für alle Sexualforscher, Psychiater und Kriminalisten ein praktisches Handbuch über das Letzterforschte auf diesem Gebiet darstellen.“363 Nicht nur Paul Zieger hatte Bedenken. Auch die Berliner und Braunschweiger Staatsanwaltschaften forderten nach Erscheinen den Band „Sexual-Magie“ zur Prüfung an. „In beiden Fällen wurden uns die Exemplare mit der Bestätigung zurückgegeben, dass es sich um ein absolut wissenschaftliches Werk handele, gegen das vom strafrechtlichen Standpunkt aus nicht einzuschreiten sei.“364

360 Vgl. dazu die Verlagswerbung in: Grosche (Hrsg.) – Saturn Gnosis, Heft 1 (Juli 1928), S. 56. 361 Es gibt noch einen „11. Magischen Brief“, allerdings ist dieser nur in unselbstständiger Form im Rahmen der „Blätter für angewandte okkulte Lebenskunst“, Nr. 40 (Juli 1953) erschienen. Der vollständige Titel lautet: „Magie der Edelsteine, Amulette, Talismane. Erstdruck des nur im Manuskript vorliegenden Magischen Briefes No. 11: „Talismanische Magie“ von Gregorius, Meister der Loge: Fraternitas Saturni.“ (Einseitiger Typoskriptdruck mit 20 Blättern.)

362 Die genauen Angaben der Erscheinungsdaten von Brief 1–8 stammen vom Inhaber des Verlages Paul Zieger, der diese am 11.2.1936 anlässlich einer Vernehmung durch die Gestapo zu Protokoll gab. 363 Brief von Paul Zieger an die Reichsschrifttumskammer vom 2. Februar 1937. 364 a. a. O.

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geringes Kapital gesteckt, aber meine Selbstkosten noch nicht einmal herausgeholt habe, so wäre jeder Gedanke an irgendeine Spekulation bezw. Geschäftemacherei abwegig.“367 Ich möchte an dieser Stelle auf eine Besonderheit aufmerksam machen, die wohl den meisten Lesern nicht bewusst ist. Der Großteil der Magischen Briefe, d. h. die Nummern 1–7 sind vor Gründung der FS erschienen! Sie sind ein Produkt der Pansophischen Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin und nicht der FS. Über die Autorenschaft der Magischen Briefe wusste man bis jetzt nichts Genaues. Es wurde zumeist gemutmaßt, dass Eugen Grosche der alleinige Verfasser der Briefe gewesen sei. Das dem nicht so ist, belegt ein Hinweis in einem von Dr. Max Staack (alias Fra∴ Maaks) verfassten und an A. Frank Glahn adressierten Brief aus dem Jahre 1927.

Ursprüngliche Einbandillustration des 1. Magischen Briefes im Verlag der Freude (1925)

Veränderte Einbandillustration des 9. Magischen Briefes, nun im Verlag „Inveha“ (1928)

Diese Sichtweise sollten Jahre später die nationalsozialistischen Behörden nicht mehr teilen, doch dazu später mehr. Die Hefte erschienen im Laufe der Jahre in zwei Verlagen. Die sogenannte 1. Serie, sie beinhaltet die Briefe 1–8, erschien im Verlag der Freude (Georg Koch und Paul Zieger), Wolfenbüttel. Die Briefe 9–10 bekamen die Bezeichnung 2. Serie. Sie erschienen im Inveha-Verlag von Eugen Grosche in Berlin. Den Grund für den Verlagswechsel erklärte Grosche in einem Brief an Br∴ Athanor.

natürlich für mich schwer, alles auf meine Schultern zu nehmen.“ 365

„Der Verlag der Freude lehnt leider den Weiterdruck der „magischen Briefe“ aus Geldschwierigkeiten ab und [so] muß ich wohl oder übel die nächsten Bände weiterdrucken. Ich bin dazu vertraglich berechtigt, denn ich ahnte das vor einigen Jahren hellsehend voraus. Aber immerhin ist eine Verzögerung von 1/2 Jahr entstanden, die recht unliebsam ist. Ich stehe z. Z. mit dem Drucker in Verhandlung wegen neuer Kreditgewährung. Es ist 110

Grosches Darstellung findet ihre Bestätigung indirekt in einer Darstellung von Paul Zieger an die Reichsschrifttumskammer366. Bezüglich seines Engagements hinsichtlich der Magischen Briefe legte er der Kammer gegenüber dar: „Ich war bei der Herausgabe von dem guten Gedanken beseelt, der wissenschaftlichen Forschung einen Dienst zu erweisen, und es war mir bei der Schwere der Materie wohl bewusst, dass damit niemals ein wirkliches Geschäft zu machen sei. Da ich in dieses Unternehmen kein 365 Brief von Grosche an Br∴ Athanor (d. i. Henrik Hunwald) vom 14.4.(19)28. 366 Kurz nach Schaffung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda wurde per Gesetz am 22. September 1933 die Reichsschrifttumskammer eingerichtet. Die Kammer war dem Ministerium unterstellt und war für alle Bereiche der Publizistik zuständig. Die Mitgliedschaft war für sämtliche Kulturschaffenden Voraussetzung für deren Berufsausübung. Die Verweigerung einer Mitgliedschaft bedeutete das Berufsverbot.

„Sie haben nicht Unrecht, wenn Sie annehmen, daß Grosche persönlich der Verfasser der letzten mag. Briefe über Sexual Magie sein soll, nein er ist der eigentliche Redakteur der Mag. Briefe überhaupt und die ersten Briefe sind als Arbeiten aus der Loge[368] hervorgegangen, die ihm soviel als kein Honorar kosten z. B. hat den ersten und zweiten Brief ein Herr Br. Dr. Frank[369] geschrieben u.s.w. Grosche hat es verstanden, andere vorzuschieben und sich immer mit einem Nimbus der Unschuld zu bekleiden, während er als Skorpiongeborener seine niederen Instinkte zur Geltung zu bringen suchte. Aus sich selber hat er nichts Gutes herausgebracht.“370

Das stimmt so vermutlich nicht ganz. Nur für vier von den zehn Heften waren andere Logenmitglieder als Autoren verantwortlich. Die restlichen sechs Bände entsprangen Grosches Feder372. Als Redakteur der Serie hatte Eugen Grosche ursprünglich Br∴ Athanor (d. i. Henrik Hunwald) den Auftrag erteilt, ein Register für die Magischen Briefe 1–8 zu erstellen. Aus zeitlichen Gründen konnte dieser die Arbeit allerdings nicht erledigen. Grosche beabsichtigte daraufhin, das betreffende Register selbst, innerhalb von nur 14 Tagen, zu erstellen373. Sein Vorhaben konnte er offensichtlich auch in die Tat umsetzen, denn das Handbuch der okkulten Praxis374 erschien 1927 mit einem Register. Nach der Übernahme der Magischen Briefe in den eigenen Inveha-Verlag verfolgte Grosche den Plan, weitere Briefe herauszugeben. Doch so einfach war das nicht. Es fehlten hierfür geeignete Texte. Da Grosche durch den Aufbau der FS zeitlich sehr eingebunden war, hegte er wiederum die Hoffnung, dass Br∴ Athanor den Text für den nächsten Band liefern könnte. In dem ihm zugedachten nächsten Brief sollte er über Magia Chemica. Theorie und Praxis der Spagyrik schreiben. Parallel dazu fing Grosche selbst mit der Arbeit an einem weiteren Magischen Brief an, der nach Magia Chemica herausgegeben werden sollte. Da sich die Fertigstellung von Br∴ Athanors Text immer mehr hinauszögerte, war auf einmal, wider Erwarten, Grosche mit seinem Werk schneller fertig. Er hatte dabei jedoch Hilfe gehabt, wie er selbst berichtet: „Ich habe verschiedene Vorverhandlungen mit Fra∴ Pacitius [d. i. Albin Grau], zum Zwecke des weiteren Ausbaues der Fraterschaft aufgenommen, mit dem ich jetzt viel zusammen arbeite. Durch seine geistige Mithilfe war es mir möglich, innerhalb 3 Wochen den VIV. [recte IX.] Magischen Brief „Magia cosmosophica“ fertig zu stellen und zum Druck zu geben. Er ist wohl das beste [sic!], was bisher in dieser Beziehung geschaffen wurde. Sie können sich ja selbst überzeugen, dass hier ein Logenwissen preisgegeben wurde.“375

Es existiert noch ein weiterer Beleg, dass Eugen Grosche in Wirklichkeit nicht der alleinige Verfasser der Magischen Briefe war. Er stammt vom Archivar der Loge, Br∴ Heimdall (d. i. Hermann Lange). In einem Schreiben an Nov∴ Br∴ Simon (d. i. Erich Simon) bemerkte er: „Sämtliche Magischen Briefe sind im Auftrage der Loge, grösstenteils von Logenmitgliedern, verfasst.“371 367 Brief von Paul Zieger an die Reichsschrifttumskammer vom 2. Februar 1937. 368 Gemeint ist die Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin, die vom 16.12.1924 bis 1.4.1926 bestand. 369 Gemeint ist das Mitglied der Berliner Pansophischen Loge Dr. Ernst Otto Franck (alias Br∴ Godivius). 370 Brief von Max Staack an A. Frank Glahn vom 19. Dezember 1927. Das klein geschriebene Wort „persönlich“ hat Staack in den Brief nachträglich eingefügt. 371 Brief von Br∴ Heimdall (d. i. Hermann Lange) an Br∴ Simon (d. i. Erich Simon) im 3. Jahre des Erkennens am ~16° 43‘ N [7.1.1929]. Br∴ Heimdall ist in seiner Darstellung ungenau. Er schreibt nur, dass die Briefe im Auftrag der Loge verfasst worden seien. Er verschweigt dabei allerdings, dass es sich dabei um die Pansophische Loge der lichtsuchenden Brüder Orient Berlin gehandelt hat.

372 So gab es Grosche am 7.10.1935 während einer Befragung durch den Kriminal-Assistenten Bandow der Gestapa zu Protokoll. 373 Brief von Grosche an Br∴ Athanor (d. i. Henrik Hunwald) im 1. Jahre des Erkennens am ~ 23° 32‘ E [14.4.1927]. 374

Die 1. Serie der Magischen Briefe (Nr. 1–8) wurde unverändert auch als Sammelwerk von Grosche unter seinem Logennamen Gregor A. Gregorius mit dem Titel „Handbuch der okkulten Praxis“ 1927 im Verlag der Freude (Georg Koch und Paul Zieger) in Wolfenbüttel herausgegeben. Es wurde für diese Ausgabe ein neuer Haupttitel, ein Inhaltsverzeichnis, ein Stichwort- sowie ein Illustrations- und Tabellen-Register zu den Magischen Briefen 1–8 erstellt und gedruckt. Zusammen waren das VIII Seiten, welche als Vorstück vor die Briefe eingebunden wurden.

375 Undatierter Brief von Grosche an Br∴ Athanor (d. i. Henrik Hunwald) im 2. Jahre des Erkennens. Vermutlich wurde das Schreiben im November 1927 verfasst.

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zu uns. Das beweisen die zahlreichen Zuschriften. Erfreulich ist es, daß die okkulten und geheimwissenschaftlich orientierten Kreise im Lager des Gesamtokkultismus einmütig die Anpöbeleien ablehnen mit einem gewissen Achselzucken, das man für solche Dinge übrig haben muß. Unser kleiner Kreis, welcher sich dem neuen kosmischen Impuls des Wassermann=Zeitalters unterworfen hat, der lautet: „Tue was Du willst, ist das ganze Gesetz“, wird von all diesen häßlichen Dingen nicht im geringsten berührt, weder im Denken noch im Handeln, denn hinter uns steht im kristallklaren uranischen Lichte: Saturnus, der Hüter der Schwelle.“489 Die ungewollte Medienresonanz blieb auch innerhalb der FS nicht ohne Folgen. Einzelne Mitglieder waren verunsichert und wollten von Grosche Auskunft über die Ereignisse. Einer davon war Br∴ Osniakar (d. i. Johann Wolf). Der Meister vom Stuhl berichtete ihm: „Die Affaire selbst hat uns durchaus nicht geschadet, denn für jeden einsichtigen Menschen war es klar, dass die Aufbauschung nur ein Werk der Presse war, um bei dieser willkommenen Gelegenheit sich im Kampfe gegen den Gesamt-Okkultismus auszutoben. Die Presse ärgerte sich auch darüber, dass ein geistiges – organisatorisches Werk besteht, von dessen Existenz sie nichts wusste, und zu dem man sie niemals herangezogen hat. Fra∴ Johannes ist ganz schuldlos. Ich selbst habe leider aus Gutmütigkeit rein privat Herrn Jacoby ausserhalb der Gesellschaft ein Mittel gegeben, um sich bei dem bevorstehenden Filmball aufzufrischen. Dass er leider meine Weisung, nur eine Messerspitze zu nehmen, nicht befolgte, sondern einen halben Teelöffel voll genoss und sich dadurch die Schleimhäute verbrannte, war seine eigne Schuld.“490 Unerwartete und unerfreuliche Auswirkungen sollte die Jacoby-Brink-Affäre von anderer Seite mit sich bringen. Martha Küntzel (1862–1941), die Vertreterin der Thelema-VerlagsGesellschaft, kündigte nach den Presseberichten die Zu489 Grosche – Zum Fall Jacoby-Brink. In: Die Zukunft, 5. Jg. 1929, Heft 1 (Januar), S. 53–54. 490 Undatiertes Brieffragment von Eugen Grosche an Br∴ Osniakar (d. i. Johann Wolf) und Schw∴ Lucie (d. i. Margarete Wolf) vermutlich vom Januar 1929.

sammenarbeit mit der FS und Eugen Grosche. Ich werde auf dieses Thema ausführlicher im Kapitel 6 Martha Küntzel, die Thelema-Verlags-Gesellschaft und Eugen Grosche zu sprechen kommen.

5.7 Saturn Gnosis Parallel zu den bisher geschilderten Ereignissen arbeitete man im Kreise der FS an der Herausgabe einer logeneigenen Zeitschrift. Die in den vorangegangenen Kapiteln schon mehrfach erwähnte Saturn Gnosis sollte zwischen Juli 1928 und Januar/ März 1930 für Furore sorgen. Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar ergänzende Details zu ihrer Entstehung und ihrem Inhalt geben. Wenden wir uns zuerst dem Namen – Saturn Gnosis – zu. Die astrologische Bedeutung des Saturns491 innerhalb der FS-Weltanschauung habe ich bereits erläutert. Doch wieso wählten die Verantwortlichen den Begriff „Gnosis“? „Gnosis“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Erkenntnis“. Doch die oberflächliche Wortbedeutung alleine war nicht der ausschlaggebende Grund für die Wahl. Hinter dem Begriff „Gnosis“ verbirgt sich noch viel mehr, nämlich eine dualistische Weltanschauung – die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse. Bereits im allerersten Artikel der Saturn Gnosis, der mit „Zum Geleit“ überschrieben ist, findet sich die gnostische Weltsicht der FS wieder. „Herausgerissen aus dem dunklen Schooße [sic!] paradiesischer Finsternisse und überantwortet dem gleißenden Licht dieser sichtbaren Welt, taumelt der göttliche Funke des absoluten EINEN in die infernalischen Schlünde eines materiellen Mahlwerkes. Verdunkelt schlummert er so Jahrmillionen in tiefster Lethargie, um endlich nach langer Wanderung wieder aufwärts zu streben. Getrieben von der Sehnsucht nach Wiedervereinigung mit seiner Urgottheit, kämpft er sich unermüdlich durch die unendliche Formfülle der Erscheinungswelt. Luciferus – der hinabgeschleuderte Funke – rang sich durch die Dunkelheit der Materie – im Kristall, in Flora und Fauna. Endlich gelang ihm im Menschen Durchbruch und Befreiung. Aber er kennt seine Heimat des wahren Lichtes nicht mehr – das ist der Fluch seiner Stoffgebun491 Zu der Rolle des Saturns in der magischen Welt der FS siehe den Aufsatz von Fra∴ Gregorius (d. i. Eugen Grosche) – Magie des kommenden Zeitalters. In: Grosche (Hrsg.) – Saturn Gnosis, Heft 1 (Juli 1928), S. 46–47.

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denheit! Er trägt zwar die Erfahrungen seiner höheren Ebenen als „Erinnerungen“ in sich; aber gleichzeitig haften ihm ebenso alle Hemmungsfaktoren der im Stoff durchlaufenen Zustände an. Das Animalische im Menschen schaudert zurück vor dem großen Sprung – den der Geist über den Abgrund tun will – und der letzte Kampf – jetzt bewußt ausgetragen, artet aus in offene Feindschaft zwischen Körper und Geist. Das Gemeinschaftsleben der Menschheit ist von einem tiefen Antagonismus zersplittert und zerfurcht. Diesen Antagonismus zu beseitigen und den Geist endlich frei zu machen von überlieferten Hemmungen dumpfer Tierheit, steigen schon auf am Horizont die Heerscharen des neuen Aeon. Wenn das Kernsystem unserer Weltinsel vom ersten zodiakalen Strahl des Zeichens der Amphora voll getroffen wird, werden die Traditionen einer morschen, verlogenen und sentimentalen Vergangenheit der rücksichtslosen Klarheit eines neuen Weltgesetzes Platz gemacht haben. Wenn wir nun mit diesen Blättern alle diejenigen um uns scharen wollen, die den allgewaltigen Flügelschlag der kommenden Zeit hoffnungsfreudig mitempfinden, so soll das geschehen, weil wir mutig, den Standpunkt der neuen Zeit Rechnung tragend, als erste Zeitschrift des Wassermannzeitalters mit allem pietätvoll überlieferten Kulturmoder aufzuräumen gewillt sind. Wir tun damit nichts weiter als unsere Pflicht, wozu uns die Vorsehung einer heiligen Macht berufen hat. Wir kennen kein irdisches Ziel, welches uns in diesem Leben auf diesem Planeten erstrebenswert erschiene; aber wir haben einen Weg zu gehen, der uns nicht schrecken soll. Es ist der Weg in die verheißungsvolle Zukunft höherer Menschwerdung, und wenn nichts in der Zukunft geschieht, wozu in der Gegenwart nicht der Grund gelegt ist, so soll uns das einzig und allein Ansporn sein, dieser Zukunft durch Grundlegung ihrer Fundamente in der Gegenwart zu leuchtendem Gedeihen zu verhelfen. Der kommende Aeon hat das erste Tor dorthin aufgetan und wir wollen versuchen – aufrechten Menschen im Geiste brüderlich den Weg zu weisen. DAZU VERHELFE UNS DAS GROSSE GESETZ!“

492

sturzes“493, der sich in verschiedenen Variationen und Anspielungen im Alten und Neuen Testament sowie in apokryphen Schriften wiederfindet. Grob zusammengefasst beschreibt die Vorstellung die Vertreibung abtrünniger Engel, der höchste von ihnen war Luzifer – der Lichtträger –, aus dem Himmel. Nach der Lehre des Kirchenvaters Origenes hatte die von Gott eingeräumte Willensfreiheit einige Engel dazu verleitet, sich gegen Gott aufzulehnen, weshalb sie aus dem Himmel verstoßen wurden. Ob die nun so Gefallenen den Weg zu Gott wieder zurückfinden oder ob sie als Dämonen ihr Unwesen treiben, darüber gehen die Vorstellungen weit auseinander. Uns interessiert hier nur die von der FS vertretene Meinung, ohne näher auf deren Quellen einzugehen. Danach sah es wie folgt aus: „Der Mensch hat also während seines Daseins auf der Erde verschiedene Formen zu durchlaufen zwischen Tier und Gottmenschentum. Hat er sich im Sinne der planetarischen Aufbau- und Bildegesetze vollkommen ausbalanciert, so hat er zunächst die Erde überwunden, später natürlich auch Venus und Merkur, und kehrt zum Sonnengeist zurück.“494 Das Ziel der FS war es daher, die Materie zu überwinden und den Geist zu befreien. Das war nach ihrer Meinung die Aufgabe des Wassermannzeitalters. Was lag da näher, als die neue Zeitschrift Saturn Gnosis zu nennen? Die FS startete im kleinen Rahmen eine Werbekampagne, um ihr erstes Periodikum in Nichtmitglieds-Kreisen anzupreisen, denn es war „an erster Stelle nur als Werbemittel gedacht“495. Die verwendeten Formulierungen waren dabei nicht unbedingt zurückhaltend. So wurde die Saturn Gnosis als „erste LogenZeitschrift des neuen Zeitalters“ beschrieben, die „die führende okkult-wissenschaftliche Zeitschrift der gesamten okkulten Bewegung“496 sei. Der angestrebte Zeitplan sah vor, das erste Heft im Oktober 1927 unter dem etwas anderen Titel Saturnische Gnosis497 auf den Markt zu bringen. Doch der anvisierte Zeitpunkt konnte nicht eingehalten werden. Der danach ins Auge gefasste zweite Veröffentlichungstermin war ein halbes 493 Vgl. zum Thema „Engelsturz“: Auffarth/Stuckenbruck (Hrsg.) – The Fall of the Angels. Themes in Biblical Narrative Bd. 6 (2004). 494 Brief von Eugen Grosche an Friedrich Lekve vom 15. November 1935.

Im Prinzip behandelt der Text den Mythos des „Engel-

492 Zum Geleit. In: Grosche (Hrsg.) – Saturn Gnosis, Heft 1 (Juli 1928), S. 4.

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Jahr später für den April 1928498 angedacht. Doch auch dieser Zeitpunkt konnte, aus finanziellen Gründen499, nicht realisiert werden. So erschien die erste Nummer verspätet im Juli 1928 unter dem uns bekannten Titel Saturn Gnosis. Gedruckt wurde die erste Nummer von Bernhard Sporn in Zeulenroda. Sporn konnte sich einerseits preislich gegen andere Mitkonkurrenten durchsetzen, andererseits war er Mitinhaber der Thelema-Verlags-Gesellschaft, mit der die FS kooperierte. Vor allem Martha Küntzel hatte sich bei Eugen Grosche für Sporn eingesetzt. Die von Sporn abgelieferte Arbeit entsprach jedoch ganz und gar nicht den Vorstellungen von Eugen Grosche. Dieser monierte in einem Brief an Martha Küntzel: „Leider hat Sporn in der Zeitschrift derartig viel Druckfehler durchgehen lassen. Natürlich ist das auch mit unsere Schuld, sodass es sehr zu überlegen ist, ob wir sie ihn weiter drucken lassen können. Er scheint für dieses Druckobjekt nicht eingerichtet zu sein.“500 Auf eine andere Spur, warum Grosche den Drucker wechseln wollte, weist uns der Autor und Verleger A. Frank Glahn, der sich in einem Brief an Max Staack wie folgt äußerte: „Es wird Herrn Grosche immer schwerer werden, Drucker für seine pompöse Zeitschrift zu finden. Zumal er das Bezahlen für schwarze Magie hält, der man entsagen muss. Das erste Heft ist noch nicht bezahlt.“501 Es mag sein, dass bei dieser Äußerung von Glahn etwas Neid mitschwingt, denn schließlich war er selbst Herausgeber der recht einfach gehaltenen Astrologiezeitschrift Astrale Warte. Womit er jedoch auf jeden Fall recht hatte, waren die finanziellen Schwierigkeiten von Grosche: „Grosche hat die erste Nummer seiner splendiden Zeitschrift noch nicht bezahlt, und weil der Drucker das Schuldkonto nicht erhöhen wollte, wurde ausgewechselt.“502

498 Brief von Eugen Grosche an Andreas Trofinowitsch vom 28. Februar 1928. Ursprünglich plante Grosche die Arbeit von Trofinowitsch in zwei Teilen zu veröffentlichen. Der erste Teil sollte den Titel haben „Esoterische Betrachtungen über den Ka“ und der zweite Teil „Ägyptische Magie und Totenkultus“.

Ob dies letztendlich wirklich der ausschlaggebende Grund war, dass Sporn nicht mehr als Drucker für die FS in Erscheinung trat, konnte nicht abschließend geklärt werden. Belegt ist auf jeden Fall, dass das zweite Heft der Saturn Gnosis nicht mehr bei Sporn, sondern in der Buchdruckerei Franz Weber in Berlin produziert wurde. Trotz der Mängel im ersten Heft setzte die Publikation tatsächlich neue Maßstäbe. Waren die anderen okkulten Monatsschriften jener Zeit einfach in der Ausstattung und mit wenigen schwarz-weißen Illustrationen im Text, so hob sich die Saturn Gnosis auffällig davon ab. Allein ihr Großformat (ca. 335 x 235 mm) fiel ins Auge. Ihr Inhalt war nicht weniger auffällig. In jedem Heft gab es fast blattgroße farbige und schwarz-weiße Illustrationen, die separat eingeklebt waren, dazu kamen weitere Abbildungen im Text. Die Qualität der Zeitschrift wurde allgemein anerkannt. „Die „Saturn Gnosis“ ist die bestaufgemachte und am reichsten illustrierte Zeitschrift des Okkultismus.“503 Von der angestrebten Stellung als „führende okkult-wissenschaftliche Zeitschrift der gesamten okkulten Bewegung“ war sie jedoch weit entfernt. Zu unterschiedlich waren die Interessen der verschiedenen okkulten Gruppen, zumal sich auch die FS selbst nur mit Teilaspekten des Okkultismus beschäftigte. Die Anzahl der publizierten Aufsätze in den einzelnen Heften hielt sich wiederum in Grenzen. Meist um die sechs schriftliche Abhandlungen wurden pro Heft veröffentlicht, dazu kamen Gedichte, Logenmitteilungen und Buchbesprechungen. Hinsichtlich der Buchbesprechungen äußerte sich Eugen Grosche wie folgt: „Wir wollen […] keine Bücher abfällig besprechen, sondern wir besprechen nur Bücher, die wir empfehlen können, alle anderen senden wir, als zur Besprechung nicht geeignet, zurück.“504 Der Hauptteil der Aufsätze stammte von Eugen Grosche alias Fra∴ Gregorius und Hans Müller alias Fra∴ Johannes. Die Tätigkeit wurde vor allem für Grosche zur psychischen wie physischen Belastung. Er beklagte sich gegenüber anderen, dass die ganze Arbeit für die Zeitschrift nur auf seinen Schultern lasten würde505. Das Problem war nur, dass Grosche von

495 So Grosche in einem Brief vom 16. April 1928 an Hansheinrich Tietz.

499 Grosche beklagte sich jahrelang immer wieder, dass er in einer finanziell prekären Situation sei.

496 Klöckler (Schriftleiter) – Sterne und Mensch. Zeitschrift für Astrologie als Wissenschaft u. Weltanschauung, 4. Jg. 1928, Heft 8 (Oktober). Die Werbung findet sich auf der hinteren Umschlagsinnenseite. Den gleichen Wortlaut finden wir in: Vehlow – Ein Blick in das Jahr 1929 (1928), S. 126.

500 Brief von Eugen Grosche an Martha Küntzel vom 6.8.1928. Siehe dazu auch den Hinweis in der Rubrik „Logen=Mitteilungen“. In: Grosche (Hrsg.) – Saturn Gnosis, Heft 2 (Oktober 1928), S. 108.

503 Besser – Die Presse des neueren Okkultismus in Deutschland von 1875 bis 1933 (1945), S. 5. Die von der Autorin vertretene Meinung ist umso beachtlicher, weil sie eine erklärte Gegnerin der okkulten Bewegung war.

501 Brief von A. Frank Glahn an Max Staack vom 18. Januar 1929.

504 Brief von Eugen Grosche an Martha Küntzel vom 23.2.(19)28.

502 Brief von A. Frank Glahn an Max Staack vom 4. Februar 1929.

505 So beschreibt es Grosche in einem Brief vom 16. April 1928 an Hansheinrich Tietz.

497 So schreibt es Grosche an Br∴ Maacks im 1. Jahre des Erkennens, am 261. Tage des Lichtes [23. Januar 1927].

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Die zweite Aussage, die ich anführen möchte, stammt aus einem Brief von Nov∴ Br∴ Franziskus (d. i. Franz Roppert), der sich schriftlich an den Meister vom Stuhl gewandt hatte. Franziskus unterrichtete Eugen Grosche, dass er trotz Ehefrau und Freundin sexuell abstinent leben würde, weil er glaubte, dass die Loge dies verlange. Eugen Grosche antwortete Br∴ Franziskus. „Hier müssen Sie sich, lieber Br∴, zunächst von dem fundamentalen Irrtum befreien. Wir selbst als ∴ negieren die Sexualität und auch den Eros durchaus nicht, da wir seine schöpferisch gestaltende Kraft erkannt haben und wohl zu verwenden wissen. Wir haben einen ganz klaren Trennungsstrich gezogen zwischen erreichbaren Zielen westlicher Esoterik und Mystik und zwischen der magischen Gipfelerreichung östlicher Magie. Diese fehlende Unterscheidung ist der Grund zu so vielen Disharmonien und Unstimmigkeiten in der Ausbildung und in der Zielstrebigkeit europäischer Geheimwissenschaftler. Wir dürfen niemals uns Exerzitien eines indischen Fakirtums als Vorbild nehmen, das für uns Europäer nur in den seltensten Ausnahmefällen erreichbar ist und demzufolge auch nicht als Vorbild dienen kann. […] Wir alle dürfen uns nicht als kommende Mahatmas, ja nicht einmal als Fakir betrachten. Ebensowenig dürfen wir die Vorbilder nehmen aus den ekstatischen Leben einzelner Mystiker des Mittelalters, die immer nur eine Ausnahme bilden und eine einseitige Einpolung bestimmter Kräfte, die einer kosmischen Zweckmäßigkeit entsprachen, um ein bestimmtes Schaffensprodukt im Leben des betreffenden Menschen zu erzielen. Meistens waren jedoch diese Menschen durch gewaltsame Unterdrückung der Sinne nur krank und hysterisch. Daraus folgert also, daß eine Unterdrückung Ihres Sexus durchaus nicht einmal erwünscht ist, sondern es muß nur eine bestimmte Auslegung gegeben werden, die den Harmoniegesetzen entspricht, also als Begleiterscheinung immer aufbauende und magische Tendenzen trägt. Die Exerzitien dazu sind jedoch nur den gnostischen Hochgraden der ∴ vorbehalten; für Sie durchaus erreichbar im Laufe der Zeiten.“548

Diese Zeilen verdeutlichen bereits, dass die Sexualität von Grosche durchaus gewünscht war und, soviel lässt sich aus dem letzten Satz erahnen, auch innerhalb der FS in den geplanten Hochgraden gelehrt werden sollte. Inwieweit es dazu gekommen ist, darüber schweigen sich die Quellen aus.

6. Martha Küntzel, die Thelema-Verlags-Gesellschaft und Eugen Grosche Die pensionierte Lehrerin, ehemalige Theosophin, Pansophin und Autorin Martha Küntzel (1862–1941)549 war das eigentliche Verbindungsglied zwischen Aleister Crowley und Eugen Grosche. Ein Großteil der Briefe zwischen Crowley und Grosche liefen jeweils über sie, da sie als Übersetzerin für die beiden fungierte. Kennengelernt hatten sich Küntzel und Grosche während ihrer gemeinsamen Zeit in der Pansophischen Bewegung. Auf ihre Rolle bei der „Weida-Konferenz“, als Aleister Crowley in Thüringen weilte, bin ich bereits in dem betreffenden Kapitel eingegangen. Martha Küntzel wurde nach dem Studium seiner Texte und nach dem persönlichen Kennenlernen eine begeisterte Anhängerin von Meister Therion, wie Crowley sich auch nannte, und übersetzte einen Teil seiner Texte ins Deutsche. Viele davon wurden jedoch nie gedruckt und liegen nur als mit Schreibmaschine getippte Arbeiten vor550. Von ihrer Übersetzungsarbeit berichtete Martha Küntzel in einem Brief an Eugen Grosche: „Ich bin hier mit Gebhardi tüchtig an der Arbeit. Von Buch 4 ist der 1. + 2. Teil übersetzt & wartet nun auf den Verleger. Gerade dieses Buch, das von Soror Virakam [d. i. Mary d’Este Sturges] teils – nach Diktat von Frater Perdurabo [d. i. Aleister Crowley], teils als Resultat von Gesprächen geschrieben ist, gibt uns das, was wir für den praktischen Weg unbedingt brauchen, wenn er gefahrlos sein soll. Ich weiß nicht, ob Sie es kennen. Dann 549 Nathalie Maria Ottilia Martha Küntzel wurde am 22. Dezember 1862 im Landkreis Brieg geboren. Brieg ist ein ehemaliger Landkreis in Schlesien, bestand als preussischdeutscher Landkreis in der Zeit zwischen 1816 und 1945. Ihre Eltern waren Adolf Küntzel, von Beruf Gymnasiallehrer, und Anna Küntzel (geborene Wecker), beide wohnhaft in Brieg.

548 Brief von Eugen Grosche an Nov∴ Br∴ Franziskus (d. i. Franz Roppert) im 6. Jahre des Erkennens ~ 24° 36‘ J [18.9.1931].

550 Diese Übersetzungen befanden sich im Besitz der Psychosophischen Gesellschaft in Stein in der Schweiz, die ihre Bibliotheks- und Archivbestände als Schenkung an die Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden (KBAR) mit Sitz in Trogen übertragen hat. Der Bestand trägt innerhalb der Kantonsbibliothek den Namen „Collectio Magica et Occulta“ oder kurz CMO.

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ist 777[551] in Diagrammen da und der Kommentar zur „Stimme der Stille“. In einigen Tagen wird auch „Liber Aleph, das Buch der Weisheit oder Torheit“ fertig sein, kurz, der Schatz der deutschen Übersetzungen beginnt, sich zu machen. Auch „A Note on Genesis“ braucht nur noch wenige Tage zur Vollendung. Das ist ein Stoff, der mich besonders anzieht.“552 Der von Küntzel herbeiersehnte Verleger, der voller Begeisterung alle diese Übersetzungen auf den Markt bringen würde, existierte nur leider nicht. Es fand sich auch keiner, der bereit war, wenigstens einen Teil der Crowley-Texte zu verlegen. So kam die kleine Schar der deutschen Crowley-Anhänger auf die Idee, selbst einen Verlag zu gründen. Zusammen mit Aleister Crowley, Otto Gebhardi, Karl Germer, Oskar Hopfer und dem Verleger Bernhard Sporn gründete Martha Küntzel am 15. März 1927 offiziell die „Thelema-Verlags-Gesellschaft, Leipzig“553. Als Ziel der Gesellschaft war postuliert: „Die Thelema-Verlags-Gesellschaft hat den Zweck, das von dem Meister Therion (Sir Aleister Crowley) verkündete Gesetz von „Thelema“ in Deutschland zu verbreiten. Er wird daher sämtliche Werke des Meisters Therion und, anschliessend, solche anderer Verfasser, die demselben Zwecke dienen, in möglichst rascher Aufeinanderfolge veröffentlichen.“554 Für die Übersetzung waren laut Vertrag Gebhardi, Küntzel und Germer verantwortlich. Wobei genau genommen 551 Das „Liber 777“ erschien erst im Jahre 1982 in einer gedruckten deutschen Übersetzung von Dietmar Eschner. Von Oskar Hopfer existiert ein handschriftliches und illustriertes Exemplar in Deutsch vom Februar 1966: Hopfer – Meister Therion – 777. Das magische Alphabet (1966). Die Illustrationen will Hopfer im Auftrag von Crowley angefertigt haben. Er berichtete: „Ich stellte dann (außerhalb meines Berufes) über 85 Zeichnungen auf Einzelblättern in englischer Sprache her. Um Zeit zu sparen, ließ ich Grundrißzeichnungen, die sich wiederholten, in Steindruck herstellen (Lebensbaum, Pentagramm, Hexagramm und Paläste). Alle Zeichnungen sind nach den persönlichen Angaben und unter Kontrolle des Meisters Therion angefertigt. Ich machte dann genaue Pausen von allen Zeichnungen, was sich später als sehr wichtig erwies. Zugleich erlaubte mir Meister Therion, daß ich alle Zeichnungen noch einmal für mich herstellen durfte. Da [Heinrich] Tränker sich weigerte, „Liber 777“ drucken zu lassen, wiewohl er die Mittel hierzu hätte aufbringen können, nahm Therion die Zeichnungen mit nach Egypten, um von dort aus zu versuchen, in Amerika einen Verleger zu finden. Aber auch das zerschlug sich. Im Juli 1929 kam Meister Therion wieder nach Deutschland. Er bat mich, ihm meine Zeichnungen zur Verfügung zu stellen, da die anderen aus Amerika noch nicht zurück waren. Es hatte sich in London ein Verlag „Mandrakepreß“ [recte Mandrake Press] gebildet, der „Liber 777“ drucken wollte. Aber auch hier kam leider kein Druck zustande. Durch die politischen Wirren und den Zweiten Weltkrieg habe ich dann jede Verbindung mit Meister Therion verloren und ich weiß nicht, wo die Zeichnungen alle geblieben sind. Damit dieses Werk der Nachwelt nicht verloren geht, habe ich im Laufe der Zeit nun zum dritten Male alle Zeichnungen angefertigt, und zwar in englischer und deutscher Sprache sowie mit den dazugehörigen Erklärungen und dem Kommentar.“ (Zitiert aus dem handschriftlichen „Vorwort über die Entstehung des Buches 777“ von Oskar Hopfer.) Hopfers Aussage, dass er bereits in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Zeichnungen angefertigt hatte, werden in einem Brief von Bernhard Sporn an Eugen Grosche vom 13.2.1928 bestätigt.

Gebhardi nicht selbst Hand an die englischen Texte legte, sondern in erster Linie Martha Küntzel mit Rat und Tat zur Seite stand. Ein Bekannter von Gebhardi aus Danzig berichtete dies in einem Brief an Dr. Paul Köthner (7. Juni 1870 – 23. Juli 1932), der Gebhardi ebenfalls persönlich kannte: „Aus der Theosoph[ischen] Gesellschaft ist er vor Jahren ausgeschieden, jetzt schreibt er für Meister Therion, d. h. dessen Werke werden von einer Frau übersetzt und von Gebhardi in Bezug auf okkulte Fachausdrücke und den geistigen Sinn verbessert und druckreif gemacht.“ 555 Oskar Hopfer, der schon für den Pansophie Verlag von Heinrich Tränker gearbeitet hatte, sollte die notwendigen Illustrationen liefern. Sporn war die Rolle als Geschäftsführer zugedacht. Mit der Gründung der „Thelema-Verlags-Gesellschaft“ war eigentlich nur die Grundlage für die Herstellung der Bücher geschaffen worden. Doch was konnten die besten Bücher schon erreichen, wenn keiner von ihnen Notiz nahm? Aus diesem Grund war Martha Küntzel sehr erfreut, als ihr Eugen Grosche das Angebot unterbreitete, dass sie und Otto Gebhardi in der Berliner Esoterischen-Studien Gesellschaft Vorträge halten sollten. „Ihr Anerbieten, einen Vortrag in Loge halten zu dürfen, hat mich sehr erfreut, denn es ist Zeit, daß wir an die Öffentlichkeit gehen. […] Gebhardi ist zur Zeit in Leipzig und tippt alle Übersetzungen, keine geringe Aufgabe für einen Mann von 75 Jahren, zumal die qabalistischen Aufsätze aus dem Equinox! Er ist dann auch zu müde, um noch Vorträge zu halten, was er sonst nur zu gerne getan hätte, denn je tiefer wir in die ganze Sache hineingehen, desto klarer wird es uns, daß wir auf dem richtigen Wege sind.“556

„[…] sie hat unglaublich seichtes, theosophisches Zeug geredet, das uns absolut nichts gegeben hat.“557 War der Vortrag mit Martha Küntzel auch nicht das, was Grosche sich erhofft hatte, so war die Verbindung mit ihr dennoch von Vorteil für den FS-Meister vom Stuhl. Denn durch Martha Küntzel kam Grosche in Kontakt mit weiteren Anhängern von Aleister Crowley. Belegt ist ein Treffen zwischen Grosche und Mrs. (Dorothea) Walker, die Martha Küntzel als ihre „liebe Freundin“ und am Großen Werk mitarbeitend558 bezeichnete. Grosche unterrichtete Küntzel in einem Brief über die erfolgte Zusammenkunft: „Mrs. Walker überbrachte mir die Grüsse von Meister Therion aus Paris, und es war im allgemeinen [sic!] ganz nutzbringend, dass dieser Besuch erfolgte, denn auf diese Weise wird der Kontakt zwischen den einzelnen Menschen in Europa, welche das Gesetz des Meisters anerkennen, immer enger. Ich hoffe, dass die durch den Besuch angeknüpften Verbindungen nach und nach immer fester werden, und würde mich freuen, wenn Sie diese Bestrebungen der letzten Zeit in unserem Sinne fortsetzen würden. Wir sind doch immerhin als erste Loge, die sich offiziell zu dem Gesetz bekannt hat, in Deutschland sehr repräsentationsfähig, und ich glaube, dass der Eindruck auf die beiden Damen auch ein günstiger gewesen ist.“559

557 Brief von Grosche an Br∴ Athanor (d. i. Henrik Hunwald) im 1. Jahre des Erkennens am ~ 23° 32‘ E [14.4.1927].

552 Brief von Martha Küntzel an Eugen Grosche vom 11.XII.(19)26. 553 Der Text des Gesellschaftervertrages ist u. a. abgedruckt in: Aythos – Die Fraternitas Saturni (1979). Da das Werk keine durchgehende Paginierung hat, siehe dort gegen Ende des Dokumentenanhanges.

555 Brief von Arno Bielefeldt an Paul Köthner vom 27. Juni 1929.

554 Gesellschaftsvertrag der Thelema-Verlags-Gesellschaft vom 15.3.1927, S. 1.

556 Brief von Martha Küntzel an Eugen Grosche vom 10.II.(19)27.

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Küntzel bot Grosche an, eine ganze Reihe thematisch zusammenhängender Ausführungen in der Esoterischen-Studien Gesellschaft zum Besten zu geben. Doch auf diesen Vorschlag ging Grosche nicht ein und bat sie, erst einmal einen Abend mit ihrem Vortrag zu füllen. Das Thema des Vortrages sollte, nach Absprache der beiden, „die grösste Macht im Weltall“ lauten. Am Samstag, den 9. April 1927, war es dann soweit. Martha Küntzel erfreute um 8 Uhr abends ihre Zuhörer mit ihren Darstellungen. Doch von dem Inhalt war Grosche enttäuscht. Gegenüber Bruder Athanor erwähnte er:

Die deutschen Thelemiten versuchten ständig, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen. Dazu waren in erster Linie die Publikationen aus dem Thelema-Verlag gedacht. Grosche trug seinen Teil dazu bei, indem er diese teilweise seinen FS-Mitgliedern als Pflichtlektüre auferlegte. Bei genauer Betrachtung ist es erstaunlich, dass Eugen Grosche mit seinem Inveha-Verlag nicht zur Produktion der Küntzel‘schen Übersetzungen herangezogen wurde. Was hätte nähergelegen, als einen Anhänger des Gesetzes von Thelema als Drucker zu gewinnen, um damit das Große Werk voranzubringen? Vermutlich lag der Grund in Grosches ständig sehr knappen finanziellen Mitteln. Er war schon kaum in der Lage, die Esoterische-Studien Gesellschaft und die FS über Wasser zu halten, wie sollte er dann den Druck einer nicht unbedingt verkaufsträchtigen Lektüre bewerkstelligen? Daher war Grosche eine andere Aufgabe zugedacht: „Therion schreibt auch gestern wieder von der ungemeinen Wichtigkeit, mit Mitgliedern der Regierung und der Industrie in Fühlung zu kommen. Das würde speziell Ihre Aufgabe sein, als Mann, der im öffentlichen Leben in so geachteter Stellung ist und der in Berlin lebt. Hoffentlich gelingt es Ihnen, mit Hilfe Ihres ausgedehnten Interessentenkreises, etwas derartiges [sic!] anzubahnen. 666 selber ist in Paris auch darauf bedacht; wir wollen hoffen, dass er dort ein offenes Ohr findet, aber ich fürchte, es wird auch nur ein Ohr sein!“560 Grosche rühmte sich zwar, in seiner Esoterischen-Studien Gesellschaft Zuhörer aus der gehobenen Gesellschaftsschicht zu beherbergen, dies bedeutete aber nicht, dass er wirklich mit ihnen in näherem Kontakt stand. Grosches Einflussbereich beschränkte sich im Wesentlichen auf die Mitglieder der FS. Er antwortete daher Martha Küntzel in einem Brief: „Es tut mir leid, dass auch der Inhalt dieses Antwortschreibens kein positiver sein kann, aber die Verhältnisse sind noch immer derart, dass an eine Aufbaumöglichkeit der Art, wie sie sich Mst∴ Therion denkt, nicht herangegangen werden kann. Sie müssen immer bedenken, dass es nur einzelne Menschen sind, die sich vorläufig restlos für die Idee begeistern, aber gerade diese Menschen, so wie ich sie kennen gelernt habe, sind im wirtschaftlichen und sozialen Leben ziemlich einflusslos.“561

558 Brief von Martha Küntzel an Eugen Grosche vom 18.7.(19)27.

560 Brief von Martha Küntzel an Eugen Grosche vom 16.8.(19)27.

559 Brief von Grosche an Martha Küntzel im 2. Jahre des Erkennens am ~ 6° 19‘ I [30.7.1927].

561 Brief von Grosche an Martha Küntzel im 2. Jahre des Erkennens am ~ 28° 28‘ J [22.9.1927].

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Vom 1. Jahrgang (1922/23) wurden nur die Nr. 1 und 2 veröffentlicht. (Nur der Form halber wurden die Schriften Quintschers Die Not-Selbsthilfe und das Bundes-Gesetz des ArbeiterFreimaurer-Essäer-Bundes als Nr. 5–12, resp. 13–15 der Arbeit bezeichnet.) 5. Arbeiter Freimaurer-Bund. Name der Zeitschrift: Der Arbeiter-Freimaurer. Bundeszeitschrift des Arbeiter FreimaurerBundes. Vom 1. Jahrgang (1924) erschien nur die Nr. 1.

8. Mentale Bruderschaft (um 1923)645. 9. Ateschga-OLY-Adonisten-Bund. Oder auch: AteschgaTaganosyn-O.L.Y. (entstand aus Umwandlung der Mentalischen Bauherren)646. 10. Erdbruderschaft. „Magia naturalis“. Nachrichtenblatt zur Pflege natürlich-mystischer Weltanschauung. Rein okkultwissenschaftliche Zeitschrift. Dresden 1932. Es wurden nur Nr. 1–3 veröffentlicht.

6. Arbeiter-Freimaurer-Essäer-Bund (gegründet 1922). 7. Orden Mentalischer Bauherren (O.·.M.·.B.·.) gegründet 1922644.

8.2 Quintscher und der F.O.G.C. Auf einen Aspekt in der autobiografischen Darstellung von Quintscher möchte ich besonders hinweisen. Es ist die Schilderung seiner angeblichen Erfahrungen mit der geheimnisvollen „Drachenloge“ F.O.G.C. oder auch „99er“ genannt. F.O.G.C. steht dabei für „Freimaurerorden des Goldenen Centuriums“. Quintscher bezeichnete diesen an anderer Stelle zudem als „englische Loge“, die zugleich die „reichste Loge der Welt“ sei und deren freimaurerisches Kennzeichen von zwei geflügelten Drachen flankiert wäre647. Mit der klassischen Freimaurerei hatte der F.O.G.C. trotz seines Namens nichts zu tun. Der Begriff „99er“ bezieht sich laut Hemberger, der wohl die längste schriftliche Darstellung über den Orden ablieferte648, auf die Mitgliederzahl. Danach konnten insgesamt nur 99 Männer Mitglieder im F.O.G.C. sein. Den 100. Platz hatte der sogenannte Logen-Egregor oder Dämon inne, mit dem jedes Mitglied einen Blutpakt schließen musste. Alle fünf Jahre wurde ein neuer Bruder in den Orden aufgenommen. Das Problem war nur, dass es niemals mehr als 99 Mitglieder sein durften. War also innerhalb der Fünfjahresfrist kein Bruder verstorben, dessen Platz der Neuling einnehmen konnte, so musste das Los entscheiden. Der, der das Todeslos gezogen hatte, musste noch während der Logensitzung Gift nehmen, um so seinen angestammten Platz zu räumen. Sein Vermögen verfiel angeblich an den Orden. Dem Bericht nach beherrschte der F.O.G.C. die verschiedensten Spielarten der Schwarzen Magie. Jedes Mitglied war durch Eid, Blutritual und mentalen Pakt an den Logendämon gebunden649.

Einband von Quintschers Zeitschrift Erdbruderschaft

645 Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 1 (1974), S. 145 und S. 149. 646 a. a. O., S. 150, S. 157 und S. 169. 647 Brief von Quintscher an den Verlag der Freude Wolfenbüttel vom 20. Juli 1926. 648 Siehe dazu: Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 3 (1974), S. 115–161.

644 Vgl. Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 1 (1974), S. 143 und S. 145.

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649 a. a. O., S. 120.


Nimmt man die soeben nach Hemberger geschilderten Angaben zum F.O.G.C. für bare Münze, muss man davon ausgehen, dass ein blutrünstiger, schwarzmagischer Orden seit 1840 sein Unwesen treibt. Doch ist dem wirklich so? Betrachtet man einmal die Quellen von Hembergers fantasievoller Darstellung, tun sich Zweifel auf, denn die Lieferanten für sein F.O.G.C.-Wissen waren: „Gregor A. Gregorius (mündlich) an (Ptahhotep [d. i. Walter Englert]), Wolther, Guido (Daniel), 33° Frat. Sat. Großmeister, Mitglied des Droit-Humain-Ordens.“650 Grosche, der nie von sich selbst behauptet hatte, ein F.O.G.C.-Mitglied gewesen zu sein, als Quelle anzugeben, ist doch sehr problematisch. Sein vermeintliches Wissen über den Orden hatte er nur vom Hörensagen. Grosches diesbezüglicher Informant war Wilhelm Quintscher, wie wir bereits gesehen haben und noch sehen werden. Grosche gab sein Wissen nach dem Zweiten Weltkrieg an das FSMitglied Ptahhotep (d. i. Walter Englert, 1924–2011) weiter. Englert selbst stand mit dem angeblichen F.O.G.C. nicht in Kontakt. Hembergers zweiter Zuträger war der am 25. März 1967 zum Großmeister der FS gekrönte Guido Wolther (1922– 2001) 651. Er lieferte an Hemberger nicht nur FS-Interna, sondern auch selbst erdachte Rituale. Der sprachliche Duktus der vermeintlichen F.O.G.C.-Rituale, die er dem Gießener Professor übergeben hatte, spricht eher dafür, dass sie aus Wolthers Feder stammen, als dass sie tatsächlich einem geheimen schwarzmagischen Orden entspringen 652. Hemberger als Empfänger dieser dubiosen Informationen widerspricht sich in seiner Ausführung zudem selbst. Zum einen erklärt er, der Orden hätte nur bis 1933 existiert653, zum anderen berichtet er nur wenige Zeilen später, dass der F.O.G.C. im Jahre 1934 von einem Großmeister übernommen worden wäre, der sich dann im Jahre 1940 im KZ Buchenwald dematerialisiert habe, um so der Gaskammer zu entkommen 654. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe der

650 Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 3 (1974), S. 120. 651 Zu Wolther siehe auch: König – Der O.T.O. Phänomen RELOAD, Bd. 1 (2011), S. 285– 292; S. 299–301. 652 König geht ebenfalls davon aus, dass die angeblichen F.O.G.C.-Rituale, die Wolthers an Hemberger übergeben habe, „Artefakte ohne (…) Authentizität“ seien. König – In Nomine Demiurgi Saturni (1998), S. 13. 653 Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 3 (1974), S. 120. 654 a. a. O., S. 123.

F.O.G.C. dann nur noch über acht Mitglieder 655 verfügt. Fra. Daniel (d. i. Guido Wolther) behauptet gegenüber Hemberger, er sei im Jahre 1943 persönlich in den Besitz der Zeichen und Rituale des Ordens gekommen. Er erklärte Hemberger: „Das Wissen und das rituelle Gut aber war an mich vererbt worden. Es ist mir aber bis heute nicht gelungen, Männer von Format zu finden – vor allem Männer mit magischem Können und Wissen, die imstande gewesen wären, einen ähnlichen Orden zu gründen und dessen Tradition fortzuführen. Die Fraternitas Saturni, deren Großmeister ich war, besaß nicht im Entferntesten das Menschenmaterial, das fähig war, magisch zu denken und zu arbeiten […].“656 All die bei Hemberger veröffentlichen Details zum F.O.G.C. sind sehr fantasievoll, vor allem im Hinblick auf das angebliche Menschenopfer bei der Aufnahme eines neuen Mitglieds. Die Frage, die sich zwangsläufig stellt, ist, woher stammen diese in der Literatur herumgeisternden Behauptungen? Manche Autoren vermuten, dass der tschechische Okkultist und Magier Franz Bardon (1909–1958)657 die Quelle hierfür ist. Was allerdings Wenige wissen – nicht Franz Bardon, sondern Wilhelm Quintscher ist die Hauptquelle der F.O.G.C. im deutschsprachigen Raum. Betrachten wir doch einmal einen Brief von Wilhelm Quintscher an Eugen Grosche vom Dezember 1926. Seine Ausführungen bieten einerseits einen Einblick in Quintschers Vorstellung von Magie, andererseits in das angebliche Treiben des F.O.G.C.: „Weshalb haben nun die 99er (F.O.G.C.) diese furchtbare Strafe über mich verhängt? Weil ich es wagte, einen ihrer Mitglieder, der zum Verräter geworden war, vor der Strafe (magischer Tod) zu schützen. Dieser Mann kam zu mir und schilderte mir die Geheimnisse des F.O.G.C. (Loge Stendal). Er war jung, zu jung, um diese Sachen für sich zu bewahren. Zudem hatte er vorher schon die Schweigepflicht gebrochen. Was ihm bevorstand, das wußte er, und ich, zu

655 An anderer Stelle wird berichtet, nur vier oder fünf Männer, fast alle Meistergrade, hätten den Krieg überlebt. Die Loge wäre damit vernichtet gewesen. Hemberger – Pansophie und Rosenkreuz, Bd. 3 (1974), S. 144. 656 a. a. O., S. 144. 657 So geht z. B. Emil Stejnar davon aus, dass Bardon den „Orden erstmals öffentlich erwähnt“ hat. Vgl. Stejnar – Franz Bardon (2010), S. 124. Ein Blick in die unzähligen Internet-Foren, die sich mit Bardon und dem F.O.G.C. beschäftigen, zeigt, dass sich die Vorstellung von Bardon als Hauptquelle des F.O.G.C. fälschlicherweise festgesetzt hat.

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Bis heute lagen die Ursachen, die zur Gründung der Fraternitas Saturni am 8. Mai 1926 führten, weitgehend im Dunkeln. Das Buch beleuchtet mithilfe historischer Quellen die Hintergründe und die Entwicklung der Geheimloge bis zu ihrem vorläufigen Ende im Jahre 1934. Darüber hinaus kommen die Protagonisten jener Tage zu Wort, wie der Meister vom Stuhl Gregorius und Mitglieder der Loge. Zudem wird erstmals auch der vom Autor in einem Archiv entdeckte Briefwechsel zwischen Gregorius und dem Okkultisten Wilhelm Quintscher präsentiert. Vieles von dem, was man bisher über die Fraternitas Saturni zu wissen glaubte, erscheint nun – aufgrund der neuen Quellen – in einem anderen Licht.

Verlag Volker Lechler · Stuttgart 2014 · Alle Rechte vorbehalten!


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