Melchior Nr. 1

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» Der Eremit Pater Gabriel (siehe S. 26), der seit Jahrzehnten wie versteckt in den Schweizer Bergen lebt, kann bei der Frage, ob sein Leben eine Flucht sei, nur schmunzeln. Für ihn ist das eine typisch westlich moderne Fragestellung. Der Mensch muss sich nicht rechtfertigen, allein seine Existenz genügt. Außerdem: nicht alle Aussteiger wollen aus der Gesellschaft ausbrechen. „Ich will Teil des Systems sein. Ich will jedoch, dass sich das System in manchen Dingen ändert“, meint Michael Hartl, ein weiterer Selbstversorger, der gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin der Welt sein Lebenskonzept per Blog erklärt und damit schon über 65 000 Follower auf Facebook gesammelt hat. Auch Daniela und Vincent, die den Ausstieg ins Landleben als Gäste bei Hannah und Florian eine Woche lang ausprobiert haben, geht es nicht darum, einfach ihr eigenes Ding zu drehen. Im Gegenteil, sie sehnen sich nach Gemeinschaft, nach einem dichteren sozialen Netzwerk. Die Anonymität in der Stadt stört sie, deshalb schauen sie sich nach Gemeinschaftswohnprojekten um. Daniela und Vincent haben einen Sohn – womöglich ändert das die Perspektive.

Der Aussteiger, wie er im Buche steht

„Die Nachfolge Christi, wenn man sie ganz ernst nimmt, bedeutet immer, dass man aussteigen muss.“

Zwischendurch, wenn ich mich recht erinnere, war es im griechischen Café, werfe ich einen Blick in die deutsche Literaturgeschichte, denn auch hier sind Aussteiger zu finden. Der berühmteste unter ihnen, Siddharta, den Herman Hesse Siddharta Gautama, also Buddha, nachempfunden hat, möchte dem ewigen, leidvollen Kreislauf des Seins entkommen und macht sich auf die Suche nach der Erlösung. Als ihn im Alter sein Kindheitsfreund Govinda nach seiner Lehre fragt, antwortet Siddharta: „Die Liebe, o Govinda scheint mir von allem die Hauptsache zu sein.“ Ähnlich erzählt Stefan Zweig in ‚Die Augen des ewigen

p. gabriel bunge

leben

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