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DUISBURG-SPEZIAL

DUISBURG-SPEZIAL

Kulturstadt Duisburg

Kunst, Oper Ballett und Mercator

Ein Merkmal des Kulturhauptstadtjahrs war, dass viel mehr Ruhrmenschen als zuvor kulturelle Angebote anderer Städte als der eigenen wahrnahmen. Das haben die 2010-Macher aus den Statistiken herausgelesen, und es ist ein schöner Erfolg. So soll es bleiben, und deshalb zeigen wir in einer Reihe noch einmal, was die Ruhrstädte kulturell zu bieten haben. Local Heroes Reloaded sozusagen. Den Anfang macht eine der großen Städte, und aus gegebenem Anlass ist es Duisburg.

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Ruhr Revue

— Norman Fosters Glashaus an der Mülheimer Straße (links) gehört längst zum Bild der modernen Kulturstadt Duisburg. Die Erweiterung des Museums Küppersmühle im Innenhafen (oben) stockt, weil der links im Bild zu sehende „Schuhschachtel“-Quader noch nicht auf das Dach der alten Mühle gehievt werden konnte.

Anlass ist, dass noch immer und in den kommenden Wochen sicher erst recht Duisburg unentrinnbar verbunden ist mit der „Loveparade“. Bald ist es ein Jahr her, dass am 24. Juli bei der Techno-Party auf dem alten Duisburger Güterbahnhof 21 Menschen zu Tode gequetscht wurden. Die Planung war hirnrissig; Veranstalter und Verwalter haben versagt, und leider hat die Stadtspitze bis heute keinen Weg gefunden, sich ihrer Verantwortung angemessen zu stellen. Die Stadt ist seltsam gelähmt. Auswärtige Medien gossen auch noch Kübel von Spott über gernegroße, unfähige Provinzler in ihrer schäbigen Kohlenpottstadt. Das ist höchst ungerecht. Die elende Loveparade haben schließlich viele um fast jeden Preis 2010 im Ruhrgebiet haben wollen. Die Opfer des Spektakels dürfen nicht vergessen werden; Verantwortung muss geklärt werden. Aber Duisburg darf und soll man nun auch wieder anders wahrnehmen: als die interessante Stadt, die sie ist. „Drei gute Gründe für Duisburg“ heißt es etwas betulich auf einer Website, aber es stimmt schon: Drei hervorragende Museen für moderne Kunst in unmittelbarer Nachbarschaft, das ist etwas Besonderes, das sind wirklich gute Gründe, Duisburg zu besuchen und die Stadt eine „Kulturstadt“ zu nennen. Am Anfang, natürlich, steht Lehmbruck. 1881 in Meiderich als Bergarbeitersohn geboren, wurde Wilhelm

jüngeren Sohn des Künstlers, und 1964 eröffnet; 1987 folgte ein Anbau. Noch heute fasziniert besonders der Trakt, den Manfred Lehmbruck 1964 für die Arbeiten seines Vaters konzipierte: wie in den Boden geduckt und doch licht, mit fließenden Übergängen zwischen Innen und Außen.

| Die Welt kennt die Kniende — Im Innern beherbergt die Küppersmühle große Kunst, auch jetzt trotz Baustelle zu sehen.

Lehmbruck zu einem der großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts, ehe er trotz früher Erfolge als 38-Jähriger, vom Krieg Verstörter, seinem Leben ein Ende setzte. Zwar gehörte Meiderich 1881 noch nicht zu Duisburg, und Wilhelm Lehmbruck zog nach dem Studium an der Düsseldorfer Akademie schon 1910 nach Paris, dann kriegsbedingt nach Zürich, schließlich Berlin. Doch das neue Duisburger Kunstmuseum behielt den Sohn der Stadt (Eingemeindung Meiderichs: 1905) im Auge und begann sehr früh, seine Arbeiten zu sammeln. Lehmbruck ist übrigens auch in Duisburg begraben. Nach dem Krieg beschloss die mitten im Stahl- und Kohleboom steckende Stadt, Lehmbruck ein neues Museum zu widmen, ein Haus der modernen Skulptur mit seinem Werk im Mittelpunkt. Es wurde von Manfred Lehmbruck entworfen, dem

Die Qualität der Sammlung, der Wechselausstellungen und der Architektur haben das Museum und Duisburg als Kunst-Ort weltweit bekannt gemacht. Neulich noch, erzählt Museumsdirektor Raimund Stecker, habe er das in New York erlebt: „Der Chef der Metropolitan Opera weiß, wo Duisburg ist – weil er weiß, wo die Kniende steht.“ Die „Kniende“ ist der Star des Hauses, sogar Teil des Museumslogos. Sie wird in diesem Jahr mit einer eigenen Ausstellung gefeiert (Seite 41), weil sie Geburtstag hat: 1911 entstand in Paris der Ur-Gipsguss (unser Titelbild). Als ein Bronzeguss der Knienden 1925 im Park vor der Tonhalle aufgestellt wurde, empörten sich die braven Bürger noch; 1927 gab es sogar ein Attentat auf die Figur. Solche Kämpfe gibt es bis heute (Seite 26), aber die „Kniende“ steht längst darüber. Das zweite Duisburger Kunstmuseum folgte 1999. Die Initiative kam vom Duisburger Immobilienunternehmer Hans Grothe, der ein Haus für seine große Sammlung mit Arbeiten von Beuys, Richter,

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Kulturstadt Duisburg

Kunst, Oper Ballett und Mercator

Ein Merkmal des Kulturhauptstadtjahrs war, dass viel mehr Ruhrmenschen als zuvor kulturelle Angebote anderer Städte als der eigenen wahrnahmen. Das haben die 2010-Macher aus den Statistiken herausgelesen, und es ist ein schöner Erfolg. So soll es bleiben, und deshalb zeigen wir in einer Reihe noch einmal, was die Ruhrstädte kulturell zu bieten haben. Local Heroes Reloaded sozusagen. Den Anfang macht eine der großen Städte, und aus gegebenem Anlass ist es Duisburg.

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— Norman Fosters Glashaus an der Mülheimer Straße (links) gehört längst zum Bild der modernen Kulturstadt Duisburg. Die Erweiterung des Museums Küppersmühle im Innenhafen (oben) stockt, weil der links im Bild zu sehende „Schuhschachtel“-Quader noch nicht auf das Dach der alten Mühle gehievt werden konnte.

Anlass ist, dass noch immer und in den kommenden Wochen sicher erst recht Duisburg unentrinnbar verbunden ist mit der „Loveparade“. Bald ist es ein Jahr her, dass am 24. Juli bei der Techno-Party auf dem alten Duisburger Güterbahnhof 21 Menschen zu Tode gequetscht wurden. Die Planung war hirnrissig; Veranstalter und Verwalter haben versagt, und leider hat die Stadtspitze bis heute keinen Weg gefunden, sich ihrer Verantwortung angemessen zu stellen. Die Stadt ist seltsam gelähmt. Auswärtige Medien gossen auch noch Kübel von Spott über gernegroße, unfähige Provinzler in ihrer schäbigen Kohlenpottstadt. Das ist höchst ungerecht. Die elende Loveparade haben schließlich viele um fast jeden Preis 2010 im Ruhrgebiet haben wollen. Die Opfer des Spektakels dürfen nicht vergessen werden; Verantwortung muss geklärt werden. Aber Duisburg darf und soll man nun auch wieder anders wahrnehmen: als die interessante Stadt, die sie ist. „Drei gute Gründe für Duisburg“ heißt es etwas betulich auf einer Website, aber es stimmt schon: Drei hervorragende Museen für moderne Kunst in unmittelbarer Nachbarschaft, das ist etwas Besonderes, das sind wirklich gute Gründe, Duisburg zu besuchen und die Stadt eine „Kulturstadt“ zu nennen. Am Anfang, natürlich, steht Lehmbruck. 1881 in Meiderich als Bergarbeitersohn geboren, wurde Wilhelm

jüngeren Sohn des Künstlers, und 1964 eröffnet; 1987 folgte ein Anbau. Noch heute fasziniert besonders der Trakt, den Manfred Lehmbruck 1964 für die Arbeiten seines Vaters konzipierte: wie in den Boden geduckt und doch licht, mit fließenden Übergängen zwischen Innen und Außen.

| Die Welt kennt die Kniende — Im Innern beherbergt die Küppersmühle große Kunst, auch jetzt trotz Baustelle zu sehen.

Lehmbruck zu einem der großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts, ehe er trotz früher Erfolge als 38-Jähriger, vom Krieg Verstörter, seinem Leben ein Ende setzte. Zwar gehörte Meiderich 1881 noch nicht zu Duisburg, und Wilhelm Lehmbruck zog nach dem Studium an der Düsseldorfer Akademie schon 1910 nach Paris, dann kriegsbedingt nach Zürich, schließlich Berlin. Doch das neue Duisburger Kunstmuseum behielt den Sohn der Stadt (Eingemeindung Meiderichs: 1905) im Auge und begann sehr früh, seine Arbeiten zu sammeln. Lehmbruck ist übrigens auch in Duisburg begraben. Nach dem Krieg beschloss die mitten im Stahl- und Kohleboom steckende Stadt, Lehmbruck ein neues Museum zu widmen, ein Haus der modernen Skulptur mit seinem Werk im Mittelpunkt. Es wurde von Manfred Lehmbruck entworfen, dem

Die Qualität der Sammlung, der Wechselausstellungen und der Architektur haben das Museum und Duisburg als Kunst-Ort weltweit bekannt gemacht. Neulich noch, erzählt Museumsdirektor Raimund Stecker, habe er das in New York erlebt: „Der Chef der Metropolitan Opera weiß, wo Duisburg ist – weil er weiß, wo die Kniende steht.“ Die „Kniende“ ist der Star des Hauses, sogar Teil des Museumslogos. Sie wird in diesem Jahr mit einer eigenen Ausstellung gefeiert (Seite 41), weil sie Geburtstag hat: 1911 entstand in Paris der Ur-Gipsguss (unser Titelbild). Als ein Bronzeguss der Knienden 1925 im Park vor der Tonhalle aufgestellt wurde, empörten sich die braven Bürger noch; 1927 gab es sogar ein Attentat auf die Figur. Solche Kämpfe gibt es bis heute (Seite 26), aber die „Kniende“ steht längst darüber. Das zweite Duisburger Kunstmuseum folgte 1999. Die Initiative kam vom Duisburger Immobilienunternehmer Hans Grothe, der ein Haus für seine große Sammlung mit Arbeiten von Beuys, Richter,

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Kunst, Oper Ballett und Mercator

Ein Merkmal des Kulturhauptstadtjahrs war, dass viel mehr Ruhrmenschen als zuvor kulturelle Angebote anderer Städte als der eigenen wahrnahmen. Das haben die 2010-Macher aus den Statistiken herausgelesen, und es ist ein schöner Erfolg. So soll es bleiben, und deshalb zeigen wir in einer Reihe noch einmal, was die Ruhrstädte kulturell zu bieten haben. Local Heroes Reloaded sozusagen. Den Anfang macht eine der großen Städte, und aus gegebenem Anlass ist es Duisburg.

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— Norman Fosters Glashaus an der Mülheimer Straße (links) gehört längst zum Bild der modernen Kulturstadt Duisburg. Die Erweiterung des Museums Küppersmühle im Innenhafen (oben) stockt, weil der links im Bild zu sehende „Schuhschachtel“-Quader noch nicht auf das Dach der alten Mühle gehievt werden konnte.

Anlass ist, dass noch immer und in den kommenden Wochen sicher erst recht Duisburg unentrinnbar verbunden ist mit der „Loveparade“. Bald ist es ein Jahr her, dass am 24. Juli bei der Techno-Party auf dem alten Duisburger Güterbahnhof 21 Menschen zu Tode gequetscht wurden. Die Planung war hirnrissig; Veranstalter und Verwalter haben versagt, und leider hat die Stadtspitze bis heute keinen Weg gefunden, sich ihrer Verantwortung angemessen zu stellen. Die Stadt ist seltsam gelähmt. Auswärtige Medien gossen auch noch Kübel von Spott über gernegroße, unfähige Provinzler in ihrer schäbigen Kohlenpottstadt. Das ist höchst ungerecht. Die elende Loveparade haben schließlich viele um fast jeden Preis 2010 im Ruhrgebiet haben wollen. Die Opfer des Spektakels dürfen nicht vergessen werden; Verantwortung muss geklärt werden. Aber Duisburg darf und soll man nun auch wieder anders wahrnehmen: als die interessante Stadt, die sie ist. „Drei gute Gründe für Duisburg“ heißt es etwas betulich auf einer Website, aber es stimmt schon: Drei hervorragende Museen für moderne Kunst in unmittelbarer Nachbarschaft, das ist etwas Besonderes, das sind wirklich gute Gründe, Duisburg zu besuchen und die Stadt eine „Kulturstadt“ zu nennen. Am Anfang, natürlich, steht Lehmbruck. 1881 in Meiderich als Bergarbeitersohn geboren, wurde Wilhelm

jüngeren Sohn des Künstlers, und 1964 eröffnet; 1987 folgte ein Anbau. Noch heute fasziniert besonders der Trakt, den Manfred Lehmbruck 1964 für die Arbeiten seines Vaters konzipierte: wie in den Boden geduckt und doch licht, mit fließenden Übergängen zwischen Innen und Außen.

| Die Welt kennt die Kniende — Im Innern beherbergt die Küppersmühle große Kunst, auch jetzt trotz Baustelle zu sehen.

Lehmbruck zu einem der großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts, ehe er trotz früher Erfolge als 38-Jähriger, vom Krieg Verstörter, seinem Leben ein Ende setzte. Zwar gehörte Meiderich 1881 noch nicht zu Duisburg, und Wilhelm Lehmbruck zog nach dem Studium an der Düsseldorfer Akademie schon 1910 nach Paris, dann kriegsbedingt nach Zürich, schließlich Berlin. Doch das neue Duisburger Kunstmuseum behielt den Sohn der Stadt (Eingemeindung Meiderichs: 1905) im Auge und begann sehr früh, seine Arbeiten zu sammeln. Lehmbruck ist übrigens auch in Duisburg begraben. Nach dem Krieg beschloss die mitten im Stahl- und Kohleboom steckende Stadt, Lehmbruck ein neues Museum zu widmen, ein Haus der modernen Skulptur mit seinem Werk im Mittelpunkt. Es wurde von Manfred Lehmbruck entworfen, dem

Die Qualität der Sammlung, der Wechselausstellungen und der Architektur haben das Museum und Duisburg als Kunst-Ort weltweit bekannt gemacht. Neulich noch, erzählt Museumsdirektor Raimund Stecker, habe er das in New York erlebt: „Der Chef der Metropolitan Opera weiß, wo Duisburg ist – weil er weiß, wo die Kniende steht.“ Die „Kniende“ ist der Star des Hauses, sogar Teil des Museumslogos. Sie wird in diesem Jahr mit einer eigenen Ausstellung gefeiert (Seite 41), weil sie Geburtstag hat: 1911 entstand in Paris der Ur-Gipsguss (unser Titelbild). Als ein Bronzeguss der Knienden 1925 im Park vor der Tonhalle aufgestellt wurde, empörten sich die braven Bürger noch; 1927 gab es sogar ein Attentat auf die Figur. Solche Kämpfe gibt es bis heute (Seite 26), aber die „Kniende“ steht längst darüber. Das zweite Duisburger Kunstmuseum folgte 1999. Die Initiative kam vom Duisburger Immobilienunternehmer Hans Grothe, der ein Haus für seine große Sammlung mit Arbeiten von Beuys, Richter,

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— Diesen wunderbaren Raum entwarf Manfred Lehmbruck eigens fßr die Arbeiten seines Vaters Wilhelm.

Graubner, LĂźpertz, Kiefer, Immendorf, Penck und anderen deutschen Stars suchte. Im alten Innenhafen fand sich das Getreidesilo der ehemaligen KĂźppersmĂźhle; es wurde von den Baseler Architekten Herzog & de Meuron umgebaut zur Hauptattraktion des heranwachsenden neuen Innenstadtquartiers. Als Sammler Grothe sich wenig später Ăźberraschend entschloss, einen erheblichen Teil des Bestandes auf dem Kunstmarkt zu Geld zu machen, sprangen die Darmstädter Sammlerkollegen Sylvia und Ulrich StrĂśher ein. Sie kauften die Sammlung Grothe und fusionierten sie mit ihrer eigenen, die einen Schwerpunkt beim Informel hat. FĂźr den gewachsenen Bestand des nun „Museum KĂźppersmĂźhle fĂźr Moderne Kunst“ genannten Hauses wurde 2009 ein Erweiterungsbau geplant, ebenfalls durch Herzog & de Meuron. Ein Stahlkasten wird so auf das denkmalgeschĂźtzte Gebäude gesetzt, dass ein groĂ&#x;er Teil Ăźber die Basis wie frei schwebend herausragt. Das Museum nennt diese LĂśsung „ebenso radikal wie einfach“, wobei hartnäckig von einem „Kubus“ gesprochen wird. In Wahrheit handelt es sich um einen Quader, und viele skeptische Duisburger nennen ihn „Schuhschachtel“. Eigentlich sollte sie

— GroĂ&#x;e Kunst, schlichte Architektur: Im Fenster des Museums DKM spiegeln sich die Nachbarhäuser.

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Ruhr Revue

schon im Kulturhauptstadtjahr auf der KĂźppersmĂźhle thronen, doch hat man sich mit dem Quader im Wortsinn verhoben. Immer neue Probleme mit dem stetig teurer werdenden Bau fĂźhrten dazu, dass die ErĂśffnung nun fĂźr Ende 2012 angekĂźndigt ist.

Das ist natĂźrlich peinlich, aber keine Duisburger Spezialität – man denke nur an das Dortmunder U oder die Hamburger Elbphilharmonie. Es bleibt aber dabei, dass das „MKM“ eine hervorragende Sammlung beherbergt und auch mit seinen Wechselausstellungen Ăźberzeugt;

fĂźr beides wird der Dachcontainer mehr Platz schaffen. Der soeben zu Ende gegangenen Tony Cragg-Retrospektive folgt vom 1. Juli an eine Ausstellung mit Fotografien von Hans-Christian Schink.

| Linien stiller SchĂśnheit Ebenfalls 1999 und ebenfalls im Innenhafen etablierten die Sammler Dirk Krämer und Klaus Maas ihre „Galerie DKM“ und betrieben sie dort bis Anfang 2011. Aus der Galerie entwickelte sich der Plan fĂźr ein privates Museum. Krämer und Maas fanden in einer NebenstraĂ&#x;e am Bahnhof ein Industriegebäude, das sie zum Museum umbauen und erweitern lieĂ&#x;en. Die zurĂźckhaltende Architektur korrespondiert mit dem Programm: „Linien stiller SchĂśnheit“ heiĂ&#x;t die ständige Präsentation. Sie zeigt in individueller Auswahl ZeitgenĂśssisches und alte Kunst, vorwiegend aus Asien. Auch Wechselausstellungen spiegeln diese Verbindung: Bis zum 30. September ist eine Schau des Malers Ulrich Erben zu sehen: „Wanheimer Ort“ – in dem Duisburger Stadtteil hatte er ein Atelier. Gleichzeitig zeigen Fragmente rĂśmischer Skulpturen, griechische Schalen, dazu Zeichnungen und Fotografien: „Die SchĂśnheit der Antike kennt kein Alter, keine Zeit“. Nicht weit von den drei Kunstmuseen entfernt findet sich im Innenhafen das Kultur- und Stadthistorische Museum. Dort kann man sehen, dass Duisburg nicht erst

seit ein paar Jahren Kulturstadt ist. Im kommenden Jahr wird sich das Museum ausgiebig dem wohl berĂźhmtesten Duisburger widmen, dem 1512 geborenen Gerhard Krämer. Nun gut, eigentlich hieĂ&#x; der Mann Gerard de Kremer, denn er stammte aus Rupelmonde in Flandern. Als Kartograph weltweit berĂźhmt geworden ist er unter einem dritten Alias: Der Wissenschaftler und Theologe Ăźbersetzte seinen bĂźrgerlichen Namen nach Art der Humanisten ins Lateinische: Gerardus Mercator. Im 16. Jahrhundert war Duisburg ein vergleichsweise unbedeutendes Städtchen. Seine mittelalterliche Rolle als Hafen- und Handelsstadt hatte es weitgehend verloren, als erst der Rhein sein Bett von der Stadt weg verlagerte und dann der alte Flussarm verlandete. Um 1520 traf Landesherr Herzog Wilhelm von JĂźlich-Kleve-Berg eine Standort-Entscheidung, wie man heute sagt: Er wollte in Duisburg eine Landesuniversität als geistigen Mittelpunkt seiner Territorien grĂźnden. Es scheint, genau weiĂ&#x; man es nicht, dass Mercator Hoffnung auf eine Professorenstelle in Duisburg gemacht wurde. Jedenfalls zog er 1552 aus der städtisch-akademischen Welt von Antwerpen und LĂśwen in die Provinz an den Rhein. Die Universitäts-Pläne allerdings zerschlugen sich und wurden erst 1655 unter brandenburgischer Herrschaft verwirklicht. Zu Mercators Zeit wurde nur ein akademisches Gymnasium gegrĂźndet,

Kompetenz Erfahrung AugenmaĂ&#x; seit Ăźber 30 Jahren

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— Diesen wunderbaren Raum entwarf Manfred Lehmbruck eigens fßr die Arbeiten seines Vaters Wilhelm.

Graubner, LĂźpertz, Kiefer, Immendorf, Penck und anderen deutschen Stars suchte. Im alten Innenhafen fand sich das Getreidesilo der ehemaligen KĂźppersmĂźhle; es wurde von den Baseler Architekten Herzog & de Meuron umgebaut zur Hauptattraktion des heranwachsenden neuen Innenstadtquartiers. Als Sammler Grothe sich wenig später Ăźberraschend entschloss, einen erheblichen Teil des Bestandes auf dem Kunstmarkt zu Geld zu machen, sprangen die Darmstädter Sammlerkollegen Sylvia und Ulrich StrĂśher ein. Sie kauften die Sammlung Grothe und fusionierten sie mit ihrer eigenen, die einen Schwerpunkt beim Informel hat. FĂźr den gewachsenen Bestand des nun „Museum KĂźppersmĂźhle fĂźr Moderne Kunst“ genannten Hauses wurde 2009 ein Erweiterungsbau geplant, ebenfalls durch Herzog & de Meuron. Ein Stahlkasten wird so auf das denkmalgeschĂźtzte Gebäude gesetzt, dass ein groĂ&#x;er Teil Ăźber die Basis wie frei schwebend herausragt. Das Museum nennt diese LĂśsung „ebenso radikal wie einfach“, wobei hartnäckig von einem „Kubus“ gesprochen wird. In Wahrheit handelt es sich um einen Quader, und viele skeptische Duisburger nennen ihn „Schuhschachtel“. Eigentlich sollte sie

— GroĂ&#x;e Kunst, schlichte Architektur: Im Fenster des Museums DKM spiegeln sich die Nachbarhäuser.

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schon im Kulturhauptstadtjahr auf der KĂźppersmĂźhle thronen, doch hat man sich mit dem Quader im Wortsinn verhoben. Immer neue Probleme mit dem stetig teurer werdenden Bau fĂźhrten dazu, dass die ErĂśffnung nun fĂźr Ende 2012 angekĂźndigt ist.

Das ist natĂźrlich peinlich, aber keine Duisburger Spezialität – man denke nur an das Dortmunder U oder die Hamburger Elbphilharmonie. Es bleibt aber dabei, dass das „MKM“ eine hervorragende Sammlung beherbergt und auch mit seinen Wechselausstellungen Ăźberzeugt;

fĂźr beides wird der Dachcontainer mehr Platz schaffen. Der soeben zu Ende gegangenen Tony Cragg-Retrospektive folgt vom 1. Juli an eine Ausstellung mit Fotografien von Hans-Christian Schink.

| Linien stiller SchĂśnheit Ebenfalls 1999 und ebenfalls im Innenhafen etablierten die Sammler Dirk Krämer und Klaus Maas ihre „Galerie DKM“ und betrieben sie dort bis Anfang 2011. Aus der Galerie entwickelte sich der Plan fĂźr ein privates Museum. Krämer und Maas fanden in einer NebenstraĂ&#x;e am Bahnhof ein Industriegebäude, das sie zum Museum umbauen und erweitern lieĂ&#x;en. Die zurĂźckhaltende Architektur korrespondiert mit dem Programm: „Linien stiller SchĂśnheit“ heiĂ&#x;t die ständige Präsentation. Sie zeigt in individueller Auswahl ZeitgenĂśssisches und alte Kunst, vorwiegend aus Asien. Auch Wechselausstellungen spiegeln diese Verbindung: Bis zum 30. September ist eine Schau des Malers Ulrich Erben zu sehen: „Wanheimer Ort“ – in dem Duisburger Stadtteil hatte er ein Atelier. Gleichzeitig zeigen Fragmente rĂśmischer Skulpturen, griechische Schalen, dazu Zeichnungen und Fotografien: „Die SchĂśnheit der Antike kennt kein Alter, keine Zeit“. Nicht weit von den drei Kunstmuseen entfernt findet sich im Innenhafen das Kultur- und Stadthistorische Museum. Dort kann man sehen, dass Duisburg nicht erst

seit ein paar Jahren Kulturstadt ist. Im kommenden Jahr wird sich das Museum ausgiebig dem wohl berĂźhmtesten Duisburger widmen, dem 1512 geborenen Gerhard Krämer. Nun gut, eigentlich hieĂ&#x; der Mann Gerard de Kremer, denn er stammte aus Rupelmonde in Flandern. Als Kartograph weltweit berĂźhmt geworden ist er unter einem dritten Alias: Der Wissenschaftler und Theologe Ăźbersetzte seinen bĂźrgerlichen Namen nach Art der Humanisten ins Lateinische: Gerardus Mercator. Im 16. Jahrhundert war Duisburg ein vergleichsweise unbedeutendes Städtchen. Seine mittelalterliche Rolle als Hafen- und Handelsstadt hatte es weitgehend verloren, als erst der Rhein sein Bett von der Stadt weg verlagerte und dann der alte Flussarm verlandete. Um 1520 traf Landesherr Herzog Wilhelm von JĂźlich-Kleve-Berg eine Standort-Entscheidung, wie man heute sagt: Er wollte in Duisburg eine Landesuniversität als geistigen Mittelpunkt seiner Territorien grĂźnden. Es scheint, genau weiĂ&#x; man es nicht, dass Mercator Hoffnung auf eine Professorenstelle in Duisburg gemacht wurde. Jedenfalls zog er 1552 aus der städtisch-akademischen Welt von Antwerpen und LĂśwen in die Provinz an den Rhein. Die Universitäts-Pläne allerdings zerschlugen sich und wurden erst 1655 unter brandenburgischer Herrschaft verwirklicht. Zu Mercators Zeit wurde nur ein akademisches Gymnasium gegrĂźndet,

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DUISBURG-SPEZIAL

wo er ganze drei Jahre lang lehrte. Mercator blieb trotzdem. Er war in seiner Heimat wegen protestantischer Ketzerei inhaftiert worden, obwohl er gute Kontakte zum katholischen Kaiser pflegte. Womöglich behagte ihm die religiös entspannte Situation in Duisburg, wo sich beide Konfessionen mit Gottesdiensten in der Salvatorkirche friedlich abgewechselt haben sollen. 42 Jahre lebte er in der Stadt, produzierte seine Land- und Himmelskarten, darunter 1569 die berühmte Weltkarte mit der bis heute geläufigen „Mercator-Projektion“. Zum Geburtstag im „Mercatorjahr“ 2012 wird Duisburg den Herrn Krämer ausgiebig feiern. Die Universität blühte hundert Jahre lang und begründete, zusammen mit Mercators Ruhm, Duisburgs Ruf als gelehrte Stadt. Dann machte ihr die niederländische Konkurrenz zu schaffen; sie verlor rasch an Bedeutung. 1818 machten die Preußen als neue Landesherren dem ein Ende und schlossen die Universität zugunsten der neuen Bonner Hochschule. Ein Großteil der Bibliothek ging nach Bonn, ebenso Zepter und Siegel als Zeichen universitärer Würde. In Bonn sind sie zum Kummer der Duisburger bis heute. Die Stadt bekam erst 1972 wieder eine Gesamthochschule,

dann Universität. 1994 wurde sie in Gerhard-Mercator-Universität umbenannt; doch ist der Name schon wenig später der Fusion mit Essens Uni zum Opfer gefallen. Gleichwohl ist der Duisburger „Campus“ natürlich weiterhin Teil des städtischen Kulturlebens. Das gilt leider nicht für einen zeitgenössischen Liebling der kulturinteressierten Duisburger: Generalmusikdirektor Jonathan Darlington hat im Mai zum letzten Mal die Duisburger Philharmoniker dirigiert und die Stadt nach zehn Jahren verlassen. „Bye, bye, Darling(ton)“, seufzten viele Fans; der Brite hat das Orchester, zusammen mit Intendant Alfred Wendel, zu einem weithin anerkannten Klangkörper perfektioniert; Kritiker lobten die Qualität des Orchesters wie der Programmgestaltung. Das ist umso bemerkenswerter, als die Philharmoniker nach Abriss der alten Mercatorhalle jahrelang mit einer provisorischen, unzureichenden Spielstätte leben mussten. Die neue Mercatorhalle steckt zwar in einem architektonisch langweiligen „City Palais“, ist aber akustisch über jeden Zweifel erhaben. Die Beliebtheit des Orchesters hat ohne Zweifel auch mit dem Charme Darlingtons zu tun, der obendrein dem Filmbeau

| Oper und Ballett am Rhein Wenige Meter vom neuen „CityPalais“ entfernt steht ein klassizistischer Kulturtempel wie aus dem bürgerlichen Bilderbuch: Das 1912 erbaute Theater Duisburg. Von Anbeginn pflegte dieses Theater Kooperationen mit Düsseldorf und Bochum. Heute gibt es kein eigenes Schauspiel mehr; das Programm wird mit Gastspielen benachbarter Häuser bestritten. Die Sparten Musiktheater und Ballett profitieren dagegen von der Theaterehe mit Düsseldorf, die in ihrer seit 1956 bestehenden Form unter dem Namen „Deutsche Oper am Rhein“ ein erstaunliches Erfolgsmodell wurde. Im Orchestergraben des Duisburger Hauses geben die Duisburger Philharmoniker den Ton an. Enthusiastisch gefeiert von Publikum wie Kritikern wird das „Ballett am Rhein“ unter der Leitung seines neuen (seit 2009/2010) Direktors und Chefchoreografen Martin Schläpfer, der in der nächsten Saison übrigens erstmals eine Oper inszeniert und wieder selbst als Tänzer auftritt. Vor der Sommerpause gibt es noch zwei Gelegenheiten, Schläpfers Ballettabend „b.08“ in Duisburg zu erleben: am 14. und am 23. Juli. Die Oper bietet noch

— Ein Kulturtempel wie aus dem bürgerlichen Bilderbuch: das Theater Duisburg. Davor moderne Kunst: Bernar Venets „5 Bögen“

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ungewöhnlich viele Premieren, weil im Düsseldorfer Haus gebaut wird. Das klassizistische Theater war und ist auch Mittelpunkt der seit 1977 jährlich stattfindenden „Duisburger Akzente“. Rund um das ursprüngliche Theatertreffen entwickelte sich ein mehrwöchiges Kulturfestival mit Musik, Tanz, bildender Kunst, Lesungen, Symposien und Performances. In diesem Jahr gab es erstmals ein Theatertreffen ohne die „Akzente“: Duisburg hat beschlossen, das Festival zu straffen und nur mehr alle zwei Jahre stattfinden zu lassen – erstmals 2012. Wie immer wird das Programm sich um ein Generalthema herum entwickeln, und das lautet im kommenden Jahr: Gerhard Mercator. Aus den „Akzenten“ entwickelte sich ein weiteres Festival, das seit 1997 eigenständig auf dem Gelände des Landschaftsparks Duisburg-Nord stattfindet: „Traumzeit“. Was ein wenig circensisch klingt, ist ein genreübergreifendes Musikfest mit Jazz, Pop, Weltmusik, Rock, Elektronik, Neuer Musik und auch Klassik. „Traumzeit“ findet auch in diesem Jahr statt: Vom 1. bis zum 3. Juli; über 30 Musikformationen sind gebucht. Thematischer Schwerpunkt ist die Musikszene Myanmars, auch als Birma bekannt. Außerdem gibt es am 2. Juli erstmals „Traumtanz“, eine Nacht mit Elektro, Funk, Techno, Latin, Balkan Beats, Jazz, Indie, veranstaltet mit Clubs der Duisburger Innenstadt.

Richard Gere verblüffend ähnlich sieht. Sein Nachfolger war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht bekannt. Das üppige Programm der nächsten Saison hingegen steht fest und trägt natürlich die Handschrift des bewährten Teams Brendel/ Darlington. Wie wechselnde Dirigenten am Pult das Programm gestalten und wie der (oder die?) neue GMD beginnt, Akzente zu setzen, das sollte die kommende Saison spannend machen. Das erste Philharmonische Konzert am 7. und 8. September läutet ein „Festival der Taktstockmeister“ ein, mit Gastdirigenten aus aller Welt. Eröffnet werden die beiden Abende mit Débussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ – eines von vielen Stücken im Saisonprogramm, die den Geburtstag von Lehmbrucks „Kniender“ mit zeitgenössischer Musik begleiten.

— Oben das Museum der Binnenschifffahrt, in einem alten Schwimmbad. Im „Citypalais“ (unten) sind die Philharmoniker zuhause.

Mozarts „Così fan tutte“, Massenets „Manon“, Puccinis „Tosca“, Brittens „Der kleine Schornsteinfeger“ und Händels „Giulio Cesare in Egitto“. Auftakt der neuen Spielzeit ist am 25. September mit einem nachmittäglichen Sonderprogramm. Es folgen Francis Poulencs Spätwerk „Dialogue des Carmélites“ (30.9.), Bizets „Carmen“ (15.10.) und das Ballettprogramm „b.10“ (29.10.). Finanziell knirscht es derzeit in der Opern-Ehe – auch, weil die Auslastung des Duisburger Hauses zu wünschen übrig lässt. Das sollten sich eigentlich Opern- und Ballettfreunde von der Ruhr nicht zweimal sagen lassen! Immerhin gibt es in Duisburg demnächst

| Konsequent künstlerisch Seit geraumer Zeit schenkt Duisburg der Kunst im öffentlichen Raum große Aufmerksamkeit (S. 26), was natürlich mit der Expertise des Lehmbruck-Museums zusammenhängt. Beispielhaft seien genannt die Brunnenmeile auf der zentralen Königstraße und die konsequent künstlerisch gestalteten Bahnhöfe der – überschaubar langen – U-Bahn-Linien. Über die klassische öffentliche Skulptur hinaus pflegt Duisburg seit einiger Zeit wegweisend Performances, temporäre Installationen und Interventionen als „Kunst im öffentlichen Raum“, oft an ungewöhnlichen Zwischen-Orten. Aus der letzten Zeit sind besonders das Lichtkunstfestival „Twilights“ in Erinnerung und das Projekt „Paradoxien des Öffentlichen“ – unter anderem mit den Liegestühlen am Autobahnkreuz Kaiserberg. Duisburgs Politiker


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wo er ganze drei Jahre lang lehrte. Mercator blieb trotzdem. Er war in seiner Heimat wegen protestantischer Ketzerei inhaftiert worden, obwohl er gute Kontakte zum katholischen Kaiser pflegte. Womöglich behagte ihm die religiös entspannte Situation in Duisburg, wo sich beide Konfessionen mit Gottesdiensten in der Salvatorkirche friedlich abgewechselt haben sollen. 42 Jahre lebte er in der Stadt, produzierte seine Land- und Himmelskarten, darunter 1569 die berühmte Weltkarte mit der bis heute geläufigen „Mercator-Projektion“. Zum Geburtstag im „Mercatorjahr“ 2012 wird Duisburg den Herrn Krämer ausgiebig feiern. Die Universität blühte hundert Jahre lang und begründete, zusammen mit Mercators Ruhm, Duisburgs Ruf als gelehrte Stadt. Dann machte ihr die niederländische Konkurrenz zu schaffen; sie verlor rasch an Bedeutung. 1818 machten die Preußen als neue Landesherren dem ein Ende und schlossen die Universität zugunsten der neuen Bonner Hochschule. Ein Großteil der Bibliothek ging nach Bonn, ebenso Zepter und Siegel als Zeichen universitärer Würde. In Bonn sind sie zum Kummer der Duisburger bis heute. Die Stadt bekam erst 1972 wieder eine Gesamthochschule,

dann Universität. 1994 wurde sie in Gerhard-Mercator-Universität umbenannt; doch ist der Name schon wenig später der Fusion mit Essens Uni zum Opfer gefallen. Gleichwohl ist der Duisburger „Campus“ natürlich weiterhin Teil des städtischen Kulturlebens. Das gilt leider nicht für einen zeitgenössischen Liebling der kulturinteressierten Duisburger: Generalmusikdirektor Jonathan Darlington hat im Mai zum letzten Mal die Duisburger Philharmoniker dirigiert und die Stadt nach zehn Jahren verlassen. „Bye, bye, Darling(ton)“, seufzten viele Fans; der Brite hat das Orchester, zusammen mit Intendant Alfred Wendel, zu einem weithin anerkannten Klangkörper perfektioniert; Kritiker lobten die Qualität des Orchesters wie der Programmgestaltung. Das ist umso bemerkenswerter, als die Philharmoniker nach Abriss der alten Mercatorhalle jahrelang mit einer provisorischen, unzureichenden Spielstätte leben mussten. Die neue Mercatorhalle steckt zwar in einem architektonisch langweiligen „City Palais“, ist aber akustisch über jeden Zweifel erhaben. Die Beliebtheit des Orchesters hat ohne Zweifel auch mit dem Charme Darlingtons zu tun, der obendrein dem Filmbeau

| Oper und Ballett am Rhein Wenige Meter vom neuen „CityPalais“ entfernt steht ein klassizistischer Kulturtempel wie aus dem bürgerlichen Bilderbuch: Das 1912 erbaute Theater Duisburg. Von Anbeginn pflegte dieses Theater Kooperationen mit Düsseldorf und Bochum. Heute gibt es kein eigenes Schauspiel mehr; das Programm wird mit Gastspielen benachbarter Häuser bestritten. Die Sparten Musiktheater und Ballett profitieren dagegen von der Theaterehe mit Düsseldorf, die in ihrer seit 1956 bestehenden Form unter dem Namen „Deutsche Oper am Rhein“ ein erstaunliches Erfolgsmodell wurde. Im Orchestergraben des Duisburger Hauses geben die Duisburger Philharmoniker den Ton an. Enthusiastisch gefeiert von Publikum wie Kritikern wird das „Ballett am Rhein“ unter der Leitung seines neuen (seit 2009/2010) Direktors und Chefchoreografen Martin Schläpfer, der in der nächsten Saison übrigens erstmals eine Oper inszeniert und wieder selbst als Tänzer auftritt. Vor der Sommerpause gibt es noch zwei Gelegenheiten, Schläpfers Ballettabend „b.08“ in Duisburg zu erleben: am 14. und am 23. Juli. Die Oper bietet noch

— Ein Kulturtempel wie aus dem bürgerlichen Bilderbuch: das Theater Duisburg. Davor moderne Kunst: Bernar Venets „5 Bögen“

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ungewöhnlich viele Premieren, weil im Düsseldorfer Haus gebaut wird. Das klassizistische Theater war und ist auch Mittelpunkt der seit 1977 jährlich stattfindenden „Duisburger Akzente“. Rund um das ursprüngliche Theatertreffen entwickelte sich ein mehrwöchiges Kulturfestival mit Musik, Tanz, bildender Kunst, Lesungen, Symposien und Performances. In diesem Jahr gab es erstmals ein Theatertreffen ohne die „Akzente“: Duisburg hat beschlossen, das Festival zu straffen und nur mehr alle zwei Jahre stattfinden zu lassen – erstmals 2012. Wie immer wird das Programm sich um ein Generalthema herum entwickeln, und das lautet im kommenden Jahr: Gerhard Mercator. Aus den „Akzenten“ entwickelte sich ein weiteres Festival, das seit 1997 eigenständig auf dem Gelände des Landschaftsparks Duisburg-Nord stattfindet: „Traumzeit“. Was ein wenig circensisch klingt, ist ein genreübergreifendes Musikfest mit Jazz, Pop, Weltmusik, Rock, Elektronik, Neuer Musik und auch Klassik. „Traumzeit“ findet auch in diesem Jahr statt: Vom 1. bis zum 3. Juli; über 30 Musikformationen sind gebucht. Thematischer Schwerpunkt ist die Musikszene Myanmars, auch als Birma bekannt. Außerdem gibt es am 2. Juli erstmals „Traumtanz“, eine Nacht mit Elektro, Funk, Techno, Latin, Balkan Beats, Jazz, Indie, veranstaltet mit Clubs der Duisburger Innenstadt.

Richard Gere verblüffend ähnlich sieht. Sein Nachfolger war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht bekannt. Das üppige Programm der nächsten Saison hingegen steht fest und trägt natürlich die Handschrift des bewährten Teams Brendel/ Darlington. Wie wechselnde Dirigenten am Pult das Programm gestalten und wie der (oder die?) neue GMD beginnt, Akzente zu setzen, das sollte die kommende Saison spannend machen. Das erste Philharmonische Konzert am 7. und 8. September läutet ein „Festival der Taktstockmeister“ ein, mit Gastdirigenten aus aller Welt. Eröffnet werden die beiden Abende mit Débussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ – eines von vielen Stücken im Saisonprogramm, die den Geburtstag von Lehmbrucks „Kniender“ mit zeitgenössischer Musik begleiten.

— Oben das Museum der Binnenschifffahrt, in einem alten Schwimmbad. Im „Citypalais“ (unten) sind die Philharmoniker zuhause.

Mozarts „Così fan tutte“, Massenets „Manon“, Puccinis „Tosca“, Brittens „Der kleine Schornsteinfeger“ und Händels „Giulio Cesare in Egitto“. Auftakt der neuen Spielzeit ist am 25. September mit einem nachmittäglichen Sonderprogramm. Es folgen Francis Poulencs Spätwerk „Dialogue des Carmélites“ (30.9.), Bizets „Carmen“ (15.10.) und das Ballettprogramm „b.10“ (29.10.). Finanziell knirscht es derzeit in der Opern-Ehe – auch, weil die Auslastung des Duisburger Hauses zu wünschen übrig lässt. Das sollten sich eigentlich Opern- und Ballettfreunde von der Ruhr nicht zweimal sagen lassen! Immerhin gibt es in Duisburg demnächst

| Konsequent künstlerisch Seit geraumer Zeit schenkt Duisburg der Kunst im öffentlichen Raum große Aufmerksamkeit (S. 26), was natürlich mit der Expertise des Lehmbruck-Museums zusammenhängt. Beispielhaft seien genannt die Brunnenmeile auf der zentralen Königstraße und die konsequent künstlerisch gestalteten Bahnhöfe der – überschaubar langen – U-Bahn-Linien. Über die klassische öffentliche Skulptur hinaus pflegt Duisburg seit einiger Zeit wegweisend Performances, temporäre Installationen und Interventionen als „Kunst im öffentlichen Raum“, oft an ungewöhnlichen Zwischen-Orten. Aus der letzten Zeit sind besonders das Lichtkunstfestival „Twilights“ in Erinnerung und das Projekt „Paradoxien des Öffentlichen“ – unter anderem mit den Liegestühlen am Autobahnkreuz Kaiserberg. Duisburgs Politiker


DUISBURG-SPEZIAL

— Die lebensrettende Nana (links) von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely zählt nach Eingewöhnungsproblemen zu Duisburgs Wahrzeichen.

sind entschlossen, für „Kunst im öffentlichen Raum“ in der Verwaltung vorbildlich eine eigene Zuständigkeit zu schaffen. Ein spezielles Kunstwerk wird demnächst Schlagzeilen machen: das Mahnmal für die Opfer der Loveparade-Katastrophe. Wie zum Hohn war die private Initiative für dieses Mahnmal zunächst spektakulär gescheitert. Die ausgewählte Skulptur eines auswärtigen Künstlers hatte sich als Metallversion einer im Internet gefundenen Grafik entpuppt. Als ob bei der Bewältigung des Unglücks einfach nichts richtig und mit Würde ablaufen könne. Im zweiten Anlauf wurde ein Entwurf des Duisburger Künstlers Gerhard Losemann ausgewählt. Die Herstellung des Stahlmonuments übernahm und spendete ThyssenKrupp; am 26. Juni soll es in der Nähe des Unglücksortes aufgestellt werden. Wenige Tage später beginnt das „Traumzeit“-Festival. Und das ist gut so. ● -na

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