Migros Magazin 36 2011 d OS

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34 | Migros-Magazin 36, 5. September 2011

Literatur gehört zum Alltag der Familie: Ruth, Charles und Tamar Lewinsky (von links).

«Täglich drei Seiten, sonst

Familie Lewinsky bringt diesen Herbst drei Bücher heraus: Mutter, Vater und Tochter je eines. Dass die sich beim Schreiben unterstützen und wann sie besser auf Distanz zueinander gehen, erklären Ruth, Charles Lewinsky, Sie loben im Vorwort von «Gerron» Ihre Tochter als «beste Leserin, die ein Autor sich wünschen kann». Ist es üblich, dass Sie sich familienintern kritisieren?

Charles Lewinsky: Bei «Gerron» war die Hilfe meiner Tochter tatsächlich enorm. Sie sagte mir, falls ich so weiterschreibe, würde ich gegen eine Wand laufen. Sie hatte völlig recht. Ich fing nochmals an. Was war denn falsch?

Charles Lewinsky: Der Aufbau. Sie merkte es, ich nicht. Tamar Lewinsky: Als Aussenstehende habe ich eine bessere Übersicht. Umgekehrt ist das genauso: Wenn ich meinem Vater wissenschaftliche Texte zu lesen gebe, sieht er Schwachstellen sofort.

Kritisieren Sie die Arbeit Ihres Mannes auch, Ruth Lewinsky?

Ruth Lewinsky: Mein Mann liest mir beim Entstehen eines Werkes immer stückweise vor. Aber ich kann das zu wenig beurteilen. Charles Lewinsky: Meine Frau ist viel zu nett. Sie nickt immer freundlich. Aber ich erkenne inzwischen am Neigungsgrad ihres Nickens, ob es ihr gefällt oder nicht. Sie würde jedoch nie sagen, es sei schlecht. Ruth Lewinsky: Das stimmt. Ich hätte mich nie getraut, das zu bemängeln, was Tamar an «Gerron» kritisiert hat. Aber beim Fluss der Geschichte in der ersten Version fühlte ich mich nicht wohl. Sie alle bringen in diesen Tagen ein Buch heraus. Timing?

Charles Lewinsky: Reiner Zufall.

Ihre ganze Familie schreibt, auch Sohn Micha, der Drehbücher verfasst. Haben Sie als Eltern das bewusst gefördert?

Charles Lewinsky: Wer nicht täglich drei Seiten ablieferte, bekam eine Tracht Prügel (lacht)! Ruth Lewinsky: Nein, das ergab sich so. Welche Rolle spielte die Literatur im Alltag?

Tamar Lewinsky: Sie war immer präsent. Wenn ich nichts zu lesen hatte, fragte ich meinen Vater, was er mir empfehlen könne. Er gab mir einen Stapel Bücher, und ich verschwand in meinem Zimmer. Was waren das für Bücher?

Tamar Lewinsky: Deutsche Literatur aus dem 20. Jahrhundert. Ich erinnere mich, wie ich als 15-

Jährige «Die Buddenbrooks» von Thomas Mann verschlang und dachte, ich würde den Roman verstehen. Als ich ihn zehn Jahre später nochmals las, habe ich nichts mehr verstanden (lacht). Ruth Lewinsky, Ihre «Poetischen Seufzer», die Sie mit Ursula Hohler, der Frau von Franz Hohler, verfasst haben, sind Ihr Erstling. Weshalb so spät erst ein eigenes Buch?

Ruth Lewinsky: Als einstige Grafikerin bin ich nicht in der Literatur daheim. Aber ich wollte aus meinen Sprachfetzen etwas machen. Meine Ideen wuchsen wie Unkraut – mit klassischem Schreiben lässt sich das nicht vergleichen. Der feine Humor Ihrer Gedichte erinnert an eine Mischung aus


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