Migros Magazin 15 2011 d LU

Page 14

14 | Migros-Magazin 15, 11. April 2011

Die Religion Die meisten Tamilen sind Hindus, dabei aber relativ entspannt. Sie mischen gerne auch andere religiöse Traditionen hinein. In vielen privaten Schreinen finden sich zum Beispiel auch Marienstatuen.

Der hinduistische Tempel im Industriegebiet von Glattbrugg ist jeweils am Freitagabend besonders gut besucht. Auch bei den Neujahrsfeierlichkeiten am

Berufsperspektiven. Zu Beginn zahlten sie gar zehn Prozent «Rückkehrhilfe», die ihnen bei der Heimkehr ausbezahlt werden sollte. Ausserdem waren sie fast schon verpflichtet, die Tamil Tigers im Krieg um die alte Heimat finanziell zu unterstützen – dies offenbar nicht immer ganz freiwillig. Derzeit laufen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die Tigers wegen Drohung, Erpressung und Geldwäscherei.

Schweiz mitschuldig an der mangelnden Integration

Im Jahr 2000 gab es schliesslich eine humanitäre Aktion, durch die langjährig in der Schweiz lebende Tamilen doch noch einen legalen Aufenthaltsstatus bekamen – und auch die einbezahlte «Rückkehrhilfe» zurückerhielten. Aber für viele kam dieser Schritt zu spät. «Die mangelnde Integration der Tamilen hat sich die Schweiz also auch ein Stück weit selbst eingebrockt», sagt Anusooya. Es brauchte Zeit, die strengen Regeln der Eltern aufzuweichen,

aber nach drei, vier Jahren ist es den Geschwistern gelungen, ihre Eltern in gewisser Weise umzuerziehen, zu liberalisieren. Heute verteidigen sie den Entscheid ihrer Tochter, dass sie noch nicht verheiratet ist, gegenüber der tamilischen Gemeinschaft. Und ihr jüngster Sohn, Pira (10), hat es jetzt wesentlich leichter als die beiden Älteren. Auch Ohrfeigen gibt es – anders als früher – keine mehr. Heikler ist die Situation mit dem älteren Sohn. Rupan Sivaganesan (30) sitzt für die Grüne Partei im Zuger Kantonsparlament und im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug. Der gelernte Drucker ist darüber hinaus sozial engagiert und betreut als Gruppenleiter bei der Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Zug Asylsuchende und Sozialhilfebezüger. Vor allem aber hat er schon lange kein Blatt mehr vor den Mund genommen, wenn es um den inzwischen beendeten Krieg zwischen den Tamil Tigers und der Regierung in Sri Lanka ging. Er kritisierte beide

Seiten, was ihm in der tamilischen Diaspora regelmässig verärgerte Reaktionen einbrachte. Rupan beschönigt auch sonst nichts. «Unter Tamilen gibt es viele soziale Probleme, aber die werden unter dem Deckel gehalten.» Es geht um Alkoholismus, häusliche Gewalt und Zwangsheiraten. «Die Vergehen finden aber praktisch ausschliesslich innerhalb der tamilischen Gemeinschaft statt.» Damit lasse sich erklären, weshalb Schweizer nicht mitbekommen, dass die Kriminalitätsrate der Tamilen laut Bundesamt für Statistik fünfmal so hoch ist wie die der Schweizer.

Gut vernetzte Gemeinschaft sorgt für soziale Kontrolle

Er beschreibt diese Gemeinschaft als extrem gut vernetzt. Jeder kenne jeden. «Wenn irgendwo in Basel etwas passiert, wissen das in Kürze auch alle in Solothurn oder in Zug.» Die Tamilen haben ihre eigenen Veranstaltungslokale, Treffpunkte, Schulen und Fussballvereine – und sehr viele bewegen sich

praktisch ausschliesslich unter ihresgleichen. Rupan war während mehrerer Jahre Teil dieser Gemeinschaft. Aber irgendwann wurde sie ihm zu eng, und er begann sich bewusst mit anderen Migranten und auch Schweizern zu vernetzen. Und er äusserte seine Ansichten deutlich: gegen Kasten, gegen arrangierte Ehen, gegen den Krieg der srilankischen Regierung, gegen tamilische Menschrechtsverletzungen, für Homosexuelle. Noch etwas anderes macht ihm Sorgen: «In Teilen der zweiten Generation hat eine Radikalisierung und Reethnisierung stattgefunden, gerade im Zusammenhang mit dem Krieg.» Ein Trend, der ganz gegen das läuft, was Rupan anstrebt. Und die soziale Kontrolle durch die Gemeinschaft bleibt hoch. Viele Jugendliche reagieren auf die strengen Regeln mit einer Art Doppelleben: Zu Hause spielen sie das brave tamilische Kind, draussen geniessen sie die Freiheit. Dennoch ist es schwierig, sich dem Druck und der Kontrolle zu


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.