ExtraBLA(tt) Nr. 3, Mai 2013

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Nr. dr3i

Gratis · 10‘000 Exemplare

Mai 2013

extra BLAtt Initiativzeitung für Luzern · Herausgegeben von der Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse»

BITTE VORMERKEN: TAG DER OFFENEN TÜR IN DER INDUSTRIESTRASSE, am 25. Mai, 11 bis 17 Uhr. Informationen: www.industriestrasse.ch

Ist die Luzerner Politik etwa aufgewacht?

Marcel Budmiger · Es brauchte mehrere Anläufe, bis die Wohnraumpolitik endlich ganz oben auf der politischen Agenda der Stadt stand. Lieber wird in Luzern über Strassenmusikanten und Strassenstrich, Bierdosen auf dem Europaplatz oder neuerdings das korrekte Bereitstellen von Altpapier und Karton gestritten. Schnell wird ein Reglement verabschiedet, nur ändern tut sich dann oft doch nur wenig. Das Misstrauen in die Politik kommt ja nicht von ungefähr. Konsequenterweise versenkten die Luzernerinnen und Luzerner im letzten Juni ein mutloses Reglement («über die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus») und gaben der Wohn-Initiative von Mieterverband, SP und Grünen den Vorzug. Dass die Initiative gemäss Stadtrat und bürgerlichen Parteien unmöglich umzusetzen sei, interessierte die Stimmberechtigen wenig; manchmal braucht es Weckrufe aus der Bevölkerung. Würde sich nach Jahren des Stillstandes plötzlich etwas ändern in der Wohnpolitik? Die FDP fragte schon im Juni besorgt, ob die Ziele der Gesamtplanung gefährdet seien. Schliesslich wolle man weiterhin internationale Firmenhauptsitze und reiche Steuerzahler anlocken. Doch schon am 23. September folgte die nächste bittere Niederlage für die bürgerliche Mehrheit in Stadtrat und Parlament. 12‘960 Stimmberechtigte sagten «Ja!» zur Initiative «Für eine lebendige Industriestrasse» und verhinderten so den Verkauf des Industriestrassen-Areals an die Zürcher Allreal. Statt dessen soll das Land im Baurecht an eine gemeinnützige Baugenossenschaft abgegeben werden.

Städtische Gesamtplanung wird partizipativ Spätestens seit dem Abstimmungserfolg der IG Industriestrasse ist nun klar, dass die bisherige Wohnraum- und Bodenpolitik, welche einseitig Büroräume fördern und die letzten städtischen Landreserven verkaufen wollte, künftig keine Mehrheit in der Stadtbevölkerung mehr finden wird. Dies mussten auch die bürgerlichen Parteien eingestehen. Die Gesamtplanung 2013–2017 wurde dahingehend geändert, dass Schlüsselareale jetzt partizipativ weiterentwickelt werden sollen. Während der ehemalige Baudirektor seine Projekte möglichst rasch und möglichst ohne Einflussnahme des Parlaments durchgewunken wissen wollte, zählt die Stadt nun auf die Mitsprachemöglichkeiten der Direktbetroffenen und der Nachbarschaft. Dies macht Sinn, fehlte nach den zwei Abstimmungsschlappen doch offensichtlich der direkte Draht zur Bevölkerung. Der im Januar durchgeführte Zukunftsworkshop zur Erarbeitung der vollständig zu überarbeiteten Gesamtplanung 2014–2018 unter Einbezug der Zivilgesellschaft ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ob dies auch ohne die Industriestrassen-Initiative so stattgefunden hätte?

im Blätterwald! Noch ein Extrablatt? Ein EXTRABLATT jagt das andere – auch die SVP verteilte im Winter landesweit zwei Zeitungen dieses Namens, fett und vierfarbig, doch zum Glück mit unverwechselbar weniger Inhalt; man konnte die «Sicherheit für alle» getrost gleich in die Wiederverwertung geben.

Und sie bewegt sich doch! Die Langsamkeit, mit der sich unsere Politik bewegt, ist sprichwörtlich und Luzern macht da keine Ausnahme. Der doppelte Abstimmungserfolg der Wohninitiative und der Industriestrasse bewirkten aber schon einiges in der Stadt. Bleibt zu hoffen, dass die Initiativgegner während des partizipativen Prozesses zur Industriestrasse nicht in alte Denkmuster zurückfallen.

Chaos

Umdenken bei der Bodenpolitik Die Abstimmung am 23. September war auch ein Plebiszit über die Bodenpolitik der Stadt. Soll weiterhin wertvoller Boden verhökert werden, damit die Stadt kurzfristig bessere Budgetzahlen aufweist? Oder braucht ein Gemeinwesen nicht auch die Möglichkeit zur Einflussnahme auf eigenem Grund und Boden? Oft wurde darauf hingewiesen, dass die Stadt nur wenig Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen kann. Und je geringer die Landreserven werden, desto geringer auch die Einflussmöglichkeiten. So forderte selbst alt Baudirektor Kurt Bieder nach den Abstimmungen eine neue Immobilienpolitik. Auch Stadtpräsident und Finanzdirektor Stefan Roth sieht nach anfänglicher Skepsis die Vorteile einer Landabgabe im Baurecht. Die Weichen sind gestellt, auch wenn hier der Tatbeweis noch fehlt. Dass das Parlament aber sein Veto gegen die vom Stadtrat geplante Verknüpfung der Altlastensanierung im Friedental mit dem Verkauf des Urnerhofs einlegte, lässt jedoch hoffen.

Wohnen wird wichtiger Neben der Gesamtplanung ist die Bauund Zonenordnung (BZO) das wichtigste Planungsinstrument auf städtischer Ebene. Nach jahrelangen Vorbereitungsarbeiten behandelte im Januar das Parlament die BZO-Totalrevision. Atmete der Entwurf noch den Geist des alten Stadtrats, korrigierte das Parlament in entscheidenden Punkten. Die verbindlich festgelegten Mindestanteile an gemeinnützigem Wohnbau an der Industriestrasse, aber auch an anderen Gebieten, wäre vor den wohnpolitischen Abstimmungen noch undenkbar gewesen. Im ursprünglich geplanten Business-Distrikt an der Rösslimatt soll nun nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt werden. Und bei der Nachfolgeregelung zum Wohnanteilplan suchte und fand die Stadt einen Kompromiss mit dem Mieterverband. Das Endergebnis der Beratungen, über welches am 9. Juni abgestimmt wird, ist sicher kein grosser Wurf. Ohne die beiden Abstimmungserfolge zur Wohn- und Industriestrassen-Initiative wäre der Fokus aber weiterhin auf Grossbetrieben und reichen Steuerzahlern gelegen. Wohnanliegen konnten sich nun besser durchsetzen.

Gestärkt in den gemeinsamen Prozess Das Zusammenstehen von Kleingewerbe, der Kulturszene und Mieterinnen und Mietern hat sich gelohnt. Ein guter Draht zur Bevölkerung und kreative Aktion führten zu Abstimmungsergebnissen, die Luzern nachhaltig verändern werden. Nun gilt es gemeinsam den Druck aufrecht zu erhalten, dass es nicht bei den oben erwähnten zaghaften Schritten bleibt. Die Initiativgegner müssen einsehen, dass 61 Prozent der Bevölkerung ein lebendiges Quartier mit eigener Identität und günstigem Raum fürs Wohnen, für Kultur und Kleingewerbe höher gewichtet als kurzfristige Einnahmen oder einen maximalen Baurechtszins. Nur mit Zugeständnissen beider Seiten kann der partizipative Prozess an der Industriestrasse zu einem Erfolg führen. Die zwei deutlichen Abstimmungserfolge stärken der IG Industriestrasse in diesem Prozess aber klar den Rücken. Marcel Budmiger ist SP-Grossstadtrat und Vorstandsmitglied des Mieterinnenund Mieterverbands Luzern

Die beiden ersten Extrablätter der Industriestrassen-Initiative kursieren hingegen noch heute und bieten Durchblick,

Am 25. Mai live und in Farbe: Offene Türen an der Industriestrasse! Foto: G. Ammon

Fakten und lesenswerte Information zum wichtigen Stadtgeschehen. So soll es auch dieser dritten Ausgabe und den eventuellen weiteren Extrablättern ergehen, die wir angesichts der «grossen» Konkurrenz allerdings umbenennen möchten. Denn für den Schmuck gilt, im Gegensatz zum Inhalt, «Weniger ist mehr!» Und genau deshalb heisst unser Extrablatt, das erste, das echte und das wichtigste Luzerner Extrablatt, ab heute EXTRABLA!

So bleibt die Industriestrasse lebendig Nach der Abstimmung werden die Ziele der Arbeit konkreter definiert Durch die Annahme der Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse» im letzten September ist die einmalige Chance gegeben, an der Industriestrasse ein innovatives Projekt, ein Leuchturmprojekt umzusetzen. Oder anders gesagt: Die Industriestrasse ist ein lebendiger, blühender Mikrokosmos, seit Jahrzehnten – und die Mehrheit der Stadtbevölkerung spricht sich dafür aus, den Charakter dieses für Luzern bedeutungsvollen Quartieres zu erhalten. Die IG Industriestrasse war die treibende Kraft hinter der Initiative und dem Abstimmungskampf. In ihr haben sich Leute zusammengefunden, die teilweise seit Jahren an der Industriestrasse arbeiten, ein eigenes Geschäft aufgebaut haben oder dort wohnen, mit ihren Partnern oder Familien, zum Beispiel an der Industriestrasse 9 in einer Gross-WG. Sie erproben dort neue Wohnformen, büffeln für die Uni oder die Fachhochschule, schreiben Bücher, proben Musik für einen Auftritt, führen Puppentheater auf, malen Bilder, betreiben ein Kleinhandwerk … Zur IG Industriestrasse gehören aber auch Leute, die nicht selbst in der Industriestrasse wohnen. Die an einer nachhaltigen Stadtentwicklung interessiert sind, an anderen Formen des Zusammenlebens, an ökologischen Zusammenhängen, an biologischer Landwirtschaft, an innovativen Wohnformen oder ganz einfach – teilweise auch aus einer Not heraus – an bezahlbarem Raum in der Stadt Luzern. Zum Wohnen, für ein Büro, ein Atelier oder als KleinhandwerkerIn für eine eigene Werkstatt.

Die Initiative und ihre Umsetzung Die IG Industriestrasse will als zentrales Ziel, dass der Volkswille umgesetzt und das Areal Industriestrasse nachhaltig weiter entwickelt wird. Damit das geschieht und damit noch mehr Leute an der Industriestrasse leben können, setzt die IG Industriestrasse auf:

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Partizipative Planung – über die Industriestrasse hinaus Etappierte Weiterentwicklung Soziale Durchmischung Platz für Luzerner KMU Kultur für ein lebendiges Quartier Eine gelebte ökonomisch-ökologische Gesellschaft Ein gestärktes Zusammenleben im Quartier

Das alles sind Wünsche, für die es umgesetzte oder besser gesagt bereits gebaute gute Beispiele gibt. Wünsche und Bedürfnisse, welche die IG Industriestrasse nicht erfunden, aber für die sie, nach intensiven Diskussionen mit «rauchenden Köpfen» eigene Worte gefunden hat, um für Sie, geschätzte Leserin und Leser des Extrablattes, folgenden Katalog zusammenzustellen:

Eine partizipative (Stadt-)Planung Der Begriff partizipativ bedeutet «mitwirkend», «durch Beteiligung bestimmt». Eine partizipative und sorgfältige Planung einzelner Weiterentwicklungsschritte des Areals garantiert die Verankerung im Quartier und bei der Bevölkerung. Dabei wird das gesamte Schlüsselareal inklusive des ewl-Areals, des alten Hallenbads, des Feuerwehrdepots und des ehemaligen Zentralbahntrassees in die Entwicklung miteinbezogen. Jetzige oder künftige Nutzende des Geländes werden an der Planung beteiligt sein. Erstere sollen weiterhin Platz in der neuen Nutzung finden. Sollte dies nicht möglich sein, wird aktiv nach einer Lösung für alle etablierten und ortsverbundenen Nutzer gesucht. Hohe Gebäudestandards auf den zu bebauenden Flächen, ein autoarmes Wohnen und gemeinschaftlich genutzte und halböffentliche Grünräume garantieren eine ökologische Siedlung. Flexible Gewerberäume für lokales Kleingewerbe, Kreativwirtschaft und KMU bringen zusätzliche Arbeitsplätze ins Quartier. Ebenso werden günstiger Wohnraum, innovative Wohnformen und generationsübergreifendes Wohnen für eine Nachhaltigkeit in Bildung, Kultur und Lebensqualität sorgen.

Weiterentwicklung in Etappen Nach den Grundsätzen der «Slow Architecture», der wohlüberlegten und nicht übers Knie gebrochenen architektonischen Planung, wird die Industriestrasse sorgfältig und etappenweise weiter entwickelt. Der Fokus liegt zuerst auf den mittleren Parzellen mit niedriger Ausnutzung. Erhaltenswerte und weiterhin nutzbare Gebäude an der Industriestrasse werden in die Überbauung integriert, um die Identität des Quartiers zu wahren. Der abgeschöpfte Baurechtszins wird auf diese kontinuierliche Weiterentwicklung Rücksicht nehmen. Das Ziel der Stadt ist dabei nicht der möglichst höchste Ertrag, sondern die Erstellung von preisgünstigem Wohn-, Gewerbe- und Kulturraum.

Soziale Durchmischung Die Industriestrasse ist sozial durchmischt und bietet im Stadtzentrum Wohnraum für alle. Für Familien und Alleinerziehende (Spielplätze und Kita) genauso wie für Senioren, Studenten. Durch Clusterwohnungen werden neue Wohnformen möglich, und die Spitex in der unmittelbaren Nachbarschaft ermöglicht es Betagten, in ihrem Quartier wohnen zu bleiben. Für eine möglichst flexible Raumgestaltung wird ein Teil der Räume in Form von dazu mietbaren Jokerräumen freigehalten. Die dabei entstehende lebendige kultur- und generationenübergreifende Durchmischung im Quartier (Inklusion) setzt soziale Synergien frei. Ein günstiger Baurechtszins, tiefe Ausbaustandards der Wohnungen und ein Sozialfonds sorgen für bezahlbare Mieten. Grosszügige gemeinschaftlich genutzte Räume sowie Belegungsvorschriften für die Wohnungen gewährleisten eine sehr zentral gelegene hohe Wohndichte.

Platz für Luzerner KMU Durch die partizipative Ansiedlung des Gewerbes sind die Betriebe im Quartier verankert und bieten InteraktionsmögFortsetzung auf Seite 2


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