Citambulos Mexico City

Page 239

Bricolage

Die

Menschen, die in den Straßen von Mexiko den Müll auflesen, werden

pepenadores genannt. Dieser Name kommt vom Nahuatl-Wort pepena, das „aussuchen“ bedeutet. Offiziellen Zahlen zufolge gibt es im Bundesbezirk 17 000 pepenadores. Diese Zahl ist aber noch erheblich höher, wenn man bedenkt, dass viele

Citámbulos, Alejandro de la Torre. Frases chilangas. (Collection / Colección / Sammlung). Phrases in Mexico City slang frequently make use of words as though they were recycled materials. The sound elements are played on in order to allude to other meanings. En el habla popular de la Ciudad de México, es común encontrar frases en las que las palabras son utilizadas como si fueran material de reciclaje. Los elementos sonoros son aprovechados para aludir a otros significados. In der Umgangssprache von Mexiko-Stadt hört man oft Sätze, in denen die Wörter so verwendet werden, als ob sie Recyclingmaterial wären. Die Klangelemente werden genutzt, um verdeckt auf andere Bedeutungen anzuspielen.

Stadtbewohner alle möglichen Einzelteile und kaputten Gegenstände sammeln, in der Überzeugung, dass damit eines Tages etwas repariert werden kann. Die weit verbreitete Mentalität der pepenadores ist nicht etwa eine ökologische Lebensform. Vielmehr sieht man daran das Bedürfnis vieler Menschen, zu sparen oder die täglichen Mängel zu kompensieren. Das Prinzip der Bricolage, nichts zu vernichten oder wegzuwerfen, weil es am nächsten Tag das am meisten gesuchte Baumaterial sein könnte, beruht auf der Überzeugung, dass man den ursprünglichen Nutzen eines Gegenstandes verändern kann. Durch diese Form des Recyclings entstehen einfallsreiche Kreationen: Türen aus Transportkisten, Bierdeckel als Unterlegscheiben und Mauern aus Plastikflaschen. Was für die Einwohner im Allgemeinen ein kostensenkendes Mittel ist, hat einigen pepenadores zu ordentlichem Reichtum und den sogenannten „Müllkaziken“ zu politischer Macht verholfen. Das zwischen den 1970er und 1990er Jahren in der Politik herrschende System von Gönnerschaften förderte die Existenz der „Müllkönige“, die Wählerstimmen gegen die Kontrolle der Müllabfuhr in den begehrten reichen Wohnvierteln eintauschten. Das „goldene Zeitalter“ fand aber mit der Liberalisierung der Grenzbestimmungen ein Ende, durch die, wie ein führender pepenador richtig bemerkte, zügeweise „sauberer“ Abfall aus den USA ins Land kam, der mit dem heimischen Müll konkurrierte und das Geschäft „ruiniert“ hat. Heute garantieren die pepenadores auch ohne ihre „Könige“ die sieben Leben von vielen Gegenständen und Materialien: Sie trennen Glas, Lumpen, Messing, Karton und Holz und verkaufen das Material dann nach Gewicht, damit es in der Industrie wiederverwendet werden kann. Zum Teil kann dadurch, und durch die individuelle Bricolage-Technik der Bewohner, das Übermaß an Müll, das diese Stadt produziert und das 60 Prozent allen Mülls des Landes ausmacht, behoben werden. Noch nicht gelöst werden konnte dagegen bislang das Problem der Luftverschmutzung und der Verunreinigung des Grundwassers durch die auf großen Halden angehäuften nicht recycelten Restabfälle.

Mehrzweck

≥ Ramón Orozco, Francisco García, Citámbulos. Tecnología rascuache, 2008. (Installation / Instalación).

237


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.