"The Sorcerer's Apprentice": New High Fantasy Chapter Book series!

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Bisher erschienen:

Band 1: Fluch des Hexenmeisters Band 2: Im Bann des Seeungeheuers


Anna Taube

Band 1

Illustriert von Leonie Daub


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ISBN 978-3-7432-1189-6 1. Auflage 2022 © 2022 Loewe Verlag GmbH, Bühlstraße 4, D-95463 Bindlach Umschlag- und Innenillustrationen: Leonie Daub Umschlaggestaltung: Ramona Karl Printed in the EU www.loewe-verlag.de


Inhalt

Das Zauberbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Der Große Grol . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Allein im Zauberwald . . . . . . . . . . . . 25 Einhorn in Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Gerettet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Die Baumelfen . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Der Entschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Das dicke Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73


Das Zauberbuch Flo setzt die Feder aufs Papier. „Fluch Nummer 99: Der Schlüssel-Verlier-Zauber“, murmelt er. „Enten-

dreck, Schlüssel weg!“ „Gänse! Gänsedreck, du Dummkopf!“, krächzt der Rabe Brux. „Du musst schon schreiben, was im Fluch-Buch steht!“ Flo taucht die Feder wieder ins Tintenfass. „Das tu ich“, sagt er genervt. „Ich hab das doofe Ding jetzt so oft abgeschrieben. Langsam kann ich es auswendig!“


„Doofes Ding? Bodenlose Frechheit, kraaa!“, schimpft Brux. „Das ‚Buch der Großen Flüche nebst Gegenzaubern‘ ist das wichtigste Buch überhaupt! Da stehen alle Sprüche drin, die wir Magier der Hohen Berge brauchen. Aber das kapierst du ja nicht. Du bist der schlechteste Zauberschüler, den der Meister in hundert Jahren hatte, kraa!“ „Die Gegenzauber brauchen die Großen Magier nicht“, sagt Flo nur. „Zauberwald-Magie können wir doch gar nicht anwenden.“


Brux’ Augen blitzen auf. „Zauberwald-Magie, paaah! Die Große Magie ist die einzig wahre! Mit ihr kann man Riesen und Drachen beherrschen. Man kann ALLES beherrschen“, kreischt der Rabe und reißt die Flügel weit auf. „Genau, wie es unser genialer Meister Basil Humbuck vorhat! Und du sollst ihm dabei helfen. Aber wie, das ist mir echt ein Rätsel. Armer Meister …“ 10


Flo stöhnt. Brux hat sein liebstes Thema gefunden: auf Flo herumhacken. Da legt der Rabe auch schon los: „So lange füttert er dich nun schon durch, mein lieber, lieber Meister. Und was hat er davon? Nichts als Ärger!“ Immer dasselbe: Flo ist dumm, Flo ist faul, Flo kann nicht zaubern, bla, bla, kra, kra. „Er hätte mich ja einfach nicht klauen müssen“, knurrt Flo leise. Er schließt die Augen.


Flo kann sich an seine Eltern kaum erinnern. Er weiß aber noch, wie der Hexenmeister eines Tages bei ihnen aufgetaucht ist. Es gab einen Kampf. Alles war voller Blitze und Qualm. Und seither lebt Flo auf der Hexenburg beim Meister. Als sein Schüler sucht er für ihn all die Dinge zusammen, die Humbuck zum Zaubern braucht. Melkt Mäuse. Mahlt stinkenden Schwefel. Erntet giftige Pilze und Wurzeln. Damit zaubert der 12


Meister Zahnweh, Angst und Schrecken – und Flo soll es von ihm lernen. Um ebenfalls ein Großer Hexenmeister zu werden. „Das wird nie was, kraa!“, schimpft der Rabe gerade und reißt Flo aus seinen Gedanken. „Nicht mal Schneckenschleim für die Wanne kannst du herbeizaubern. Dabei badet der Meister so gern darin! Stattdessen hast du die ganze Burg unter Wasser gesetzt. Unter ROSEN-Wasser! Igitt!“ 13


Der Rabe schüttelt sich. „Die Bude stinkt jetzt noch danach! Kein Wunder, dass der Meister weggeflogen ist. Wo er nur bleibt?“

Brux hüpft ans Fenster und schaut in die Ferne. „Von mir aus kann er bleiben, wo der Pfeffer wächst“, murmelt Flo und beugt sich über seine Strafarbeit. Die hat ihm Humbuck nach diesem dummen Badewannen-Unglück aufgebrummt. Alter Drachenmist! Flos Flüche gehen wirklich immer daneben. Und nun muss er das ganze Zauberbuch abschreiben. 27 Mal, von vorn bis hinten, alle 99 Flüche mit ihren Gegenzaubern! 14


„Na los, weiter, du Faulpelz!“, keift Brux und landet auf dem Tisch. Flo wirft dem Buch einen finsteren Blick zu. Auch der Rabe schaut hinein und stutzt. „Tatsächlich. Entendreck ... hm.“ „Sag ich doch“, murrt Flo. „Gegenzauber: Wieder-Auftauch-Spruch. Schlüssel,

hier, komm zu

mir!“ Säuberlich schreibt er ab, wie zu dem Spruch die Hände geschwungen werden müssen. Dann legt er die Feder weg und streckt sich. „Fertig!“ „Kraaaa“, krächzt Brux und plustert sich auf. „Fertig? Das hättest du wohl gern! Drei Mal musst du das Zauberbuch noch abschreiben, drei Mal!“ Er hüpft über den Tisch und blättert mit dem Schnabel zur ersten Seite. „Da! Fluch Nummer 1: Der Verirr-Zauber. Los jetzt!“ 15


Schnell tunkt Flo die Feder ins Tintenfass, bevor ihn der Rabe wieder ins Ohr pikt. Das ist schon ganz rot vom spitzen Schnabel. „Auf Flo herumhacken“ nimmt Brux nämlich auch gern wörtlich. „Alter Wichtigtuer!“, denkt Flo und schreibt:

Wirre, wirre, Weg verir

In diesem Moment rauscht es in der Luft. Ein Windstoß wirbelt Flos Blätter auf und der Meister fliegt durchs Fenster mitten ins Zimmer.


Der Große Grol Klappernd landet der Besen auf dem Boden. Der Hexenmeister streicht den zerzausten Bart glatt. „Trollfurz und Elfenrülps!“, tobt er. „Das werden sie büßen!“ „Großer Meister, was ist denn los?“, fragt Brux besorgt und flattert Humbuck um den Kopf herum. Flo duckt sich unter den Tisch. Wenn der Meister so schlechte Laune hat, geht man ihm besser aus dem Weg!


„Was los ist?“, poltert Humbuck. „Dieses Mal sind sie zu weit gegangen, diese grässlichen Zauberwäldler!“ Er stützt sich auf den Tisch und keucht zornig. Flo wird von Humbucks Schwefelatem ganz schlecht. „Seit Urzeiten tanzen sie uns mit ihrer Zauberwald-Magie auf der Nase herum“, knurrt der Meister. „Bekämpfen uns, die Hexen und Zauberer der Hohen Berge! Wir wären schon längst die Herrscher über den Zauberwald. Ach 18


was, über die ganze Welt! Würden uns nur nicht ständig diese Wesen aus dem Zauberwald dazwischenkommen.“ Humbuck blickt auf und seine Augen funkeln. „Aber damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss! Denn ich habe einen Plan.“ „Einen Plan, Meister?“, krächzt Brux zaghaft. „Den besten Plan, der je geplant wurde“, sagt Humbuck eifrig. „Ich werde ihre Magische Quelle vergiften.“ „Vergiften?“, fragt Brux verwirrt. „Aber … Gift wird doch vom Magischen Wasser einfach weg­ gespült, Meister.“ „Normales Gift ja, mein gefiederter Freund“, sagt Humbuck und tätschelt Brux den Kopf. „Aber nicht mein geniales Spezial-Gift.“ Flo zuckt zusammen. 19


Spezial-Gift? Davon hört er zum ersten Mal. Es muss eine neue Erfindung des Hexenmeisters sein. „Dein geniales Spezial-Gift!“, krächzt Brux begeistert. „Oh, das klingt toll, Großer Meister! Das macht diese olle Quelle bestimmt ruck, zuck kaputt. So können die Zauberwäldler nicht mehr zaubern. Dann sind sie wehrlos und du bist endlich der mächtigste Herrscher aller Zeiten. Zack, bumm, kraa!“ Der Rabe fuchtelt mit den Flügeln, dass die Federn fliegen. Plötzlich hält er inne. „Ääähm, Meister … weißt du denn jetzt, wo diese fiesen Feen ihre Zauberquelle versteckt haben?“ Aber der Meister läuft schon mit langen Schritten die Treppe ins Burgverlies hinunter. Hier hat er seine Hexenküche eingerichtet. Flo und Brux eilen Humbuck hinterher.


„Dieses Mal habe ich an alles gedacht, Brux“, schnarrt Humbuck. „Ha! Mein Spezial-Gift bekommt natürlich eine Spezial-Verpackung. Du!“, herrscht der Meister Flo an. „Hol mir einen Regenwurm! Sofort!“ Flo macht auf dem Absatz kehrt und rennt in den Garten. Wozu braucht Humbuck wohl einen Regenwurm? Flo will es lieber nicht wissen. Egal, was der Meister bisher gezaubert hat, es war noch nie nett oder hilfreich. Außer für ihn selbst. 21


Die Abendluft ist kühl und frisch. Vorsichtig gräbt Flo die Hände in die Erde und zieht einen Regenwurm heraus. Der kleine Wurm kringelt sich in seiner Hand. „In der Erde bist du glücklicher, ich weiß“, flüstert Flo. „Aber der Meister braucht dich.“ Eilig läuft er zurück ins Verlies. Humbuck rührt bereits in seinem Kessel. Stechende Dämpfe steigen von einer schleimigen Brühe auf. „Das Spezial-Gift, Brux!“, befiehlt der Meister. Der Rabe flattert zu einem hohen Regal. Von ganz oben holt er eine Flasche und lässt sie in Humbucks offene Hand fallen. Behutsam gibt der Hexenmeister eine schleimige Flüssigkeit in den Kessel. Es zischt. „Jetzt der Wurm!“, schreit er. Flo stürzt vor. „Hier, Meister!“ 22


Humbuck hält den Regenwurm in die Höhe. Dann taucht er ihn langsam in die blubbernde Brühe. Flo schaut weg. Der Wurm tut ihm leid.

„Wesen, Wesen, bist gewesen! Bist verloren. Neu geboren!“, singt der Meister beschwörend und hebt die Arme über den Kessel. Mit einem Mal leuchtet die Brühe grell auf. Es blitzt und donnert, es schmatzt und faucht. Und plötzlich schiebt sich ein riesiger Ringel­wurm aus dem Topf.


Flo reißt die Augen auf. Das ist die Verpackung für Humbucks Spezial-Gift? Das Vieh ist mindestens zwei Meter lang! Vorn im Maul hat es zwei Giftzähne und hinten am Schwanz einen Giftstachel. Und sein ganzer Körper ist mit schleimigen Schuppen bedeckt. „Mein Grol!“, raunt der Meister. „Mein wunderbarer Großer Grol!“


Allein im Zauberwald „SCHNELL!“, brüllt Humbuck plötzlich. „Fang ihn ein, du Trottel!“ Mit Trottel ist Flo gemeint, wer sonst? Ohne zu zögern, wirft er sich auf den Grol und umklammert ihn mit beiden Armen. Der Giftwurm windet sich hin und her. Fast wirft er Flo um. „Auf den Besen, hopp!“, befiehlt Humbuck. Er packt Flo am Mantel und zieht ihn mit dem Grol hinter sich her. Die Treppe hoch bis zum Balkon im ersten 25


Stock. Dort schwebt der Besen schon erwartungsvoll in der Luft. „Bis bald, Großer Meister!“, krächzt Brux aufgeregt. „Wenn du wiederkommst, bist du Herrscher über den Zauberwald!“ Der Hexenmeister nickt ihm zu und springt auf. „Setz dich hinter mich“, knurrt er Flo an. „Und halt meinen Grol bloß gut fest.“ „Und ich?“ Flo klettert auf den Besen. „Meister, wie soll ich mich festhalten?“


Statt ihm zu antworten, hebt Humbuck mit einem Ruck vom Balkon ab. Flo presst die Knie zusammen und drückt den glitschigen Grol an die Brust. Der Wurm keift. „Du kannst froh sein, dass ich dich auf eine so wichtige Mission mitnehme!“, schreit der Hexenmeister in den Wind. Unter ihnen sausen die schroffen Felsen der Hohen Berge dahin. Über ihnen leuchtet der volle Mond. „Jetzt kannst du wiedergutmachen, was du in letzter Zeit alles


verbockt hast. Lass meinen Grol bloß nicht los, verstanden?“ Leichter gesagt als getan! Der Giftwurm windet sich in Flos Griff hin und her. Plötzlich legt sich der Hexenmeister in eine scharfe Kurve. Uah, fast hätte Flo das Gleichgewicht verloren! Der schleimige Wurm flutscht durch seine Arme. Unsanft packt Flo den Grol an einem Fühler. „Da ist der Zauberwald!“, brüllt der Hexenmeister und deutet unter sich. „Wir folgen dem Magischen Fluss bis zu seinem Ende … äh, Anfang. So finden wir die Quelle.“


Flo stockt der Atem. Der Magische Fluss ist wunderschön! In sanften Windungen fließt er durch den Zauberwald und taucht ihn in schimmerndes Licht. Der Grol faucht und fletscht die Giftzähne. Langsam kringelt er seinen kalten Schwanz mit dem Giftstachel um Flos Bauch. Flo zuckt zusammen. Zum Geier mit dem Zauberwald! Er muss auf den blöden Grol aufpassen. Er darf nicht schon wieder versagen! „Wo ist sie nur?“, knurrt der Hexenmeister vornübergebeugt. „Diese fiesen Feen haben die Magische Quelle versteckt. Aber ich finde sie. Ich, der Größte Zauberer aller Zei… aah!“ „Aah!“, schreit auch Flo. Der Grol hat ihn in den


Arm gebissen! Erschrocken lässt Flo den Fühler los. Der Grol baumelt kopfüber in der Luft. Flo will ihn greifen. Da flutscht der schleimige Schwanz von Flos Hüften. Und reißt ihn mit sich! Flo schnappt nach dem Besenstiel. „HALT IHN FEST, TROTTEL!“, brüllt Humbuck. Doch der Grol stürzt in die Tiefe.


PLATSCH!, fällt er in den Magischen Fluss. „MEIN GROOOOOOL!“, brüllt der Hexen­ meister. „Meister!“, ruft Flo verzweifelt. Humbuck schaut Flo stechend ins Gesicht. „Oh, du … du …“, stammelt er bleich vor Wut. „Du Nichtsnutz!“ „Meister, hilf mir!“, bittet Flo. Unter ihm rauschen jetzt spitze Baumwipfel dahin. „Dir helfen?“, schnappt der Meister. „Du hast alles vermasselt!“ Langsam biegt er Flos Finger nach oben, einen nach dem anderen. „Du suchst meinen Giftwurm, verstanden? Du findest ihn und zerstörst die Magische Quelle. Vorher musst du dich nicht mehr bei mir blicken lassen.“ „Aber … die bösen Zauberwäldler …“, stammelt Flo ängstlich. 31


Der Meister beugt sich zu ihm herab. „Sieh zu, wie du klarkommst.“ Dann lacht er hohl und versetzt seinem Schüler einen Stoß. Flo fällt. Kracht zwischen Ästen, Zweigen und Blättern hindurch. Und landet in einem weichen Büschel Farn. „Upsi, huch!“, quiekt ein Eichhörnchen und springt davon. Ächzend rappelt Flo sich auf. Es ist stockdunkel. Die Wunde schmerzt. Und er ist ganz allein. Allein im finsteren Zauberwald.


Einhorn in Not Der Zauberwald ist voller Geräusche. Hier knackt es. Da knarzt es. Und überall rauscht es. Die Wipfel der uralten Bäume rauschen. Der Magische Fluss rauscht. Er muss ganz in der Nähe sein.

„Licht, Licht, sonst seh ich nicht“, flüstert Flo und schnipst. Die Spitze seines rechten Zeigefingers leuchtet auf. Er lächelt. Komisch, dieser Zauber funktioniert bei ihm immer. Obwohl es der Gegenzauber zum Dunkelheit-Fluch


Nummer 69 ist. Zauberwald-Magie! Zum Glück weiß der Hexenmeister nichts davon. Das gäbe sonst echt Ärger. Zaudernd blickt sich Flo um. Bäume, Bäume und noch mal Bäume! Doch sie wirken gar nicht böse. Ihre Blätter schimmern sanft im Mondlicht. Auf dem Waldboden blühen kleine Blumen, die zart duften. Dazwischen schweben funkelnde Mücken und summen eine Melodie. Flo lauscht. Die Melodie kommt ihm seltsam vertraut vor. Er hat sie schon einmal gehört. Aber wann? Und wo? In der Hexenburg war nie Musik. Außer Brux hat schief rumgekrächzt … „Wa…was machst’n du daaa?“, quiekt jemand. Erschrocken dreht Flo sich um. Das Eichhörnchen! Es blinzelt aus einem Busch hervor. „Du? Na, komm raus“, flüstert Flo. „Ich tu dir nichts.“ Moment mal, was sagt er denn da? Er muss froh 34



sein, wenn dieses fiese Zauberwald-Eichhörnchen

ihm nichts tut! Mit zwei, drei kleinen Hüpfern steht das Eichhörnchen vor ihm und legt den Kopf schief. Uaah! Es fletscht die Zähne! Nein. Es grinst freundlich. Flo runzelt die Stirn. So hat er sich den Zauberwald nicht vorgestellt. Nicht so … friedvoll. Der Meister hat immer nur die schlimmsten Sachen erzählt!


„Der Auftrag!“, fällt Flo ein. Der Meister hat ihm ja einen Auftrag gegeben. Er muss den Großen Grol finden und die Magische Quelle vergiften, sonst darf er nicht mehr in die Hexenburg zurück. Flo seufzt. Er lebt nicht gern bei Humbuck. Aber ein anderes Zuhause hat er nicht. Also muss er tun, was der Meister befiehlt. Flo ballt die rechte Hand zur Faust. Das Licht verschwindet und er atmet tief durch. „Der Grol ist in den Fluss gefallen“, überlegt er. „Wenn ich den Fluss finde, finde ich den Giftwurm.“ „Zum Fluss? Dann musst du daaaa lang“, quiekt das Eichhörnchen eifrig und deutet mit der Pfote. „Ich zeig’s dir.“ Mutig stapft Flo los. Durch die Dunkelheit und


den hohen Farn, über Wurzeln und herabgefallene Äste. Immer dem Eichhörnchen nach. Immer dem Rauschen entgegen. Und plötzlich stehen sie am Ufer. Der Hang fällt einige Meter tief ab. Unter ihnen fließt der mächtige, breite Fluss. Er umspült spitze Felsen und kleine Inseln, die im Wasser stehen. „Aber“, flüstert Flo entsetzt, „der Fluss glitzert ja gar nicht mehr! Er ist … ganz schmutzig.“ 38


Das Wasser hat sich in eine schmierige, zäh fließende Masse verwandelt, aus der stinkende Dämpfe steigen. Und was immer mit ihr in Berührung kommt, wird trocken und welk. „Ich glaub, die Bäume sind futsch“, sagt das Eichhörnchen leise und hustet. „Der Fluss macht den Wald krank. Sonst hat der immer alles sooo schön gemacht hier.“ Flo schluckt. „Humbucks Spezial-Gift“, murmelt 39


er. „Damit zerstört der Grol den Fluss und den Zauberwald.“ Und es tut verflixt weh. Langsam schiebt Flo den linken Ärmel hoch. Und zieht durch die Zähne Luft ein. Im Mondlicht ist der Biss klar zu sehen. Rund um die Wunde ist die Haut ganz dick und blau. „Ui, was hast’n du daaa?“, fragt das Eichhörnchen. „Nichts“, murmelt Flo und lässt den Arm sinken. So ist das also. Der Meister will den Zauberwäldlern die Magie rauben, um den Zauberwald zu beherrschen. Dass der Wald dabei kaputtgeht, ist ihm offenbar egal. Und was aus Flo wird, ist ihm wohl auch egal. Sonst hätte er ihn ja nicht verletzt hier allein gelassen. Flo schaudert. Das 40


sieht Humbuck ähnlich. Er will nur eins: Macht! Über den ganzen Zauberwald und alle Reiche. Da hört Flo etwas. Ein verzweifeltes Schnauben. Er blickt sich um. Ein Einhorn steht bis zu den Knöcheln im schmutzigen Wasser! Es rollt ängstlich die Augen. Ein Bein steckt im Schlamm fest. Sein silbernes Fell verliert schon den Glanz!


Ohne nachzudenken, rutscht Flo den Hang hinab und läuft auf das Einhorn zu. „Ruhig“, sagt er. „Ganz ruhig. Ich helfe dir.“ Er beugt sich vor, greift in die Mähne und zieht. Erschrocken zuckt das Einhorn zurück. So wird das nichts. Die Dämpfe kratzen im Hals. Flo hustet. Er hält die Luft an und setzt einen Fuß ins Dreckwasser. Überrascht keucht er auf. Das Wasser ist eiskalt. Es umspült ihn und will ihn mit sich reißen. Aber Flo stemmt sich gegen die Strömung. 42


„Ich tu dir nichts“, raunt er dem Einhorn zu. „Bitte lass mich dir helfen.“ Er bückt sich und umfasst mit seiner gesunden Hand den schlanken Knöchel des Einhorns. Behutsam zieht er … und der Huf löst sich. „Du bist frei“, sagt Flo. Aber das Einhorn ist völlig starr vor Angst. „Nun komm“, drängt Flo. Er schlottert vor Kälte. „Wir müssen raus aus der Dreckbrühe.“ Er will das Einhorn aus dem Fluss führen. Doch alles ist glitschig vom Giftwasser. Seine Hand, die Mähne, das Fell. „Du wirst krank, wenn du hierbleibst!“, brüllt Flo verzweifelt und packt das Tier mit beiden Händen am Horn. Ein greller Schmerz fährt durch seinen verletzten Arm.


Und das Einhorn wiehert schrill. Heftig stößt es ihn von sich und bäumt sich auf. Flo landet unsanft im Schlamm. Plötzlich senkt das Einhorn den Kopf. Es geht auf ihn los, das Horn auf ihn gerichtet! Flo rappelt sich hoch und stolpert blindlinks davon. Zurück in den Wald. Das Einhorn ist ihm dicht auf den Fersen. Es schnaubt vor Wut. Was hat er ihm nur getan? Drachenmist, ihm ist so kalt, dass er kaum noch die Beine spürt … Flo fällt über eine Wurzel, fängt sich und hat eine Idee.


„Fluch Nummer 22: Stolper-Zauber“, keucht er. Der sollte helfen. Er springt auf, streckt die Hand Richtung Einhorn aus und schreit: „Holter,

polter,

stürz und stolper!“ In einer rosa Wolke wachsen saftige Gänseblümchen aus dem Boden. Verdutzt bleibt das Einhorn vor ihnen stehen. Es senkt die Nase, schnuppert … und frisst verträumt. 45


„Dreimal verflixter Drachenmist“, schimpft Flo. Nicht mal den Stolper-Fluch kriegt er hin. Immerhin ist das Einhorn abgelenkt. Flo drückt sich an einen Baumstamm. Die Wunde pocht. Sein Herz klopft. Sein ganzer Körper bebt. Hat das Einhorn aufgegeben? Flo lugt hinterm Baum hervor. Da sieht er es. Das Einhorn steht ihm gegenüber. Es senkt den Kopf. Und rennt auf ihn zu.


Gerettet? Plötzlich zupft etwas an seinem Mantel. Eine Hand! Flo ergreift sie und lässt sich hochziehen. Im selben Moment wackelt der Baum, dass die Blätter nur so rascheln. Flo blickt hinab. Das Einhorn hat den Stamm gerammt. „Steckt es fest?“, flüstert da jemand. Flo sieht auf. Neben ihm sitzt ein Mädchen. Es hat helles Haar, große braune Augen und ein goldenes Amulett um den Hals.


„Du hast mich gerettet“, sagt Flo. „Danke.“ Aber das Mädchen legt einen Finger an die Lippen. „Psst“, macht es und beugt sich vor. Auch Flo schaut wieder hinunter und keucht. Drachenmist, warum dreht sich alles? Er blinzelt. Das Einhorn sitzt verdutzt auf dem Hinterteil. Also steckt es nicht mit dem Horn im Stamm fest. Offenbar wundert es sich, was gerade passiert ist. Es schnaubt verwirrt, dann rappelt es sich auf und zockelt davon. Einfach so. 48


Flo atmet auf. Das Mädchen lächelt. „Einhörner sind echt lieb, aber nicht sehr schlau“, erklärt es. „Seltsam, wie es sich benommen hat. So drehen sie eigentlich nur durch, wenn sie Kalte Magie wittern.“ „Ka…Kalte Magie?“, stammelt Flo. „Du bist wohl nicht von hier, was?“, sagt das Mädchen. „So nennen wir im Zauberwald die Magie von Zauberern mit einem kalten Herzen, die nur Böses wollen.“


Flo zuckt zusammen. Der Meister redet immer von Großer Magie, als wäre sie etwas Tolles. Aber das Mädchen hat recht. Humbucks Magie ist böse. Böse und kalt. Genau wie der Meister selbst. Und wie sein Spezial-Gift. Mit steifen Fingern schiebt Flo den linken Ärmel hoch. Im ersten Sonnenlicht sieht er, dass der Arm von oben bis unten dunkelblau und dick ist. Das Mädchen schnappt nach Luft. „Tut’s sehr weh?“, fragt es – und funkelt Flo im nächsten Moment finster an. „Kalte Magie! Kein Wunder, dass das Einhorn übergeschnappt ist. Wer bist du? Etwa einer von diesen Kalten Magiern aus den Hohen Bergen?“ „Ein Zauberschüler. Ein ziemlich schlechter …“, 50


sagt Flo und stöhnt leise. Ihm ist schwindelig. Und kalt bis ins Herz. Ein kaltes Herz. Ist er ein Kalter Magier wie Humbuck? Geschmeidig springt das Mädchen auf. Kerzengerade steht es vor Flo und sagt: „Ich bin Ava vom Volk der Baumelfen. Die Hexen und Zauberer aus den Hohen Bergen sind unsere Feinde. Was willst du hier, Zauberschüler?“ Flo erschrickt. Eine Elfe! So eine, vor der ihn Humbuck immer gewarnt hat. Elfen sind fies und gemein! Und jetzt steht eine vor ihm und starrt ihn wütend an. Dabei hat sie ihn gerade noch vor dem Einhorn gerettet. Und 51


war bis eben eigentlich auch ganz nett … Flo dreht sich der Kopf. Was denkt er denn da? Elfen sind gefährlich. Das sieht er doch! Unbeholfen rückt Flo von Ava ab. Rutscht auf dem Ast nach hinten, um Abstand zwischen sie zu bringen. So zitternd vor Kälte ist das schwierig. Und plötzlich wird ihm schwarz vor Augen. Er spürt noch, wie er den Halt verliert. „Pass auf!“, hört er Ava schreien. Dann sieht und hört er gar nichts mehr.


Die Baumelfen Als Flo die Augen öffnet, ist es hell. Er liegt in einem weichen Bett. Durch ein Fenster schimmert warmes Licht. Wo ist er? „Du bist ja wach“, sagt jemand und beugt sich über ihn. Ava, das Elfenmädchen! „Wir hatten ganz schön Angst um dich.“ Flo runzelt die Stirn. „Angst? Um mich?“ Seine Stimme klingt kratzig. Ava verschwindet und taucht gleich wieder mit einem Becher auf. 53


„Hier, trink etwas“, sagt sie. Flo hat Durst, aber … kann er dem Elfenmädchen trauen? „Es ist Quellwasser, kein Gift“, versichert Ava da schon. Sie lächelt. Verwirrt nimmt Flo den Becher. Das Wasser tut gut. Über den Rand mustert er die Elfe, aber sie lächelt einfach weiter. „Ich dachte, wir sind Feinde“, sagt Flo, als er den Becher absetzt. „Warum hast du mir dann geholfen?“


„Das tun wir Elfen nun mal, wenn jemand vor unseren Augen umkippt“, sagt Ava. „Außerdem hast du das Einhorn aus dem Giftwasser gerettet.“ „Hat es dir das erzählt?“, fragt Flo erstaunt. Ava nickt. „Als ich es mit Magischem Quellwasser geputzt habe. Jetzt ist es wieder ganz lieb. Das Kalte Gift war zum Glück nur auf seinem Fell und nicht in seinem Körper. Sonst wäre es bestimmt so krank geworden wie du.“ Sie stellt den Becher beiseite. „Ich bin froh, dass es dir besser geht, Zauberschüler.“ 55



Plötzlich hört Flo schnelle Schritte. Zwei Elfenfrauen laufen in den Raum! Flo erschrickt. Nehmen ihn die Elfen jetzt gefangen? „Keine Angst, Junge, wir tun dir nichts“, sagt die eine da schon. „Ich bin Elin. Und das“, sie zeigt auf die andere, „ist Bana.“ „Unglaublich!“, sagt Bana glücklich. „Du lebst! Und du bist endlich wach.“ Sie setzt sich auf die Bettkante und fühlt Flos Stirn. Flo hält die Luft an. Der Hexenmeister hat nie seine Stirn gefühlt, egal, wie krank Flo war. „Das Kalte Fieber ist weg“, stellt Bana erleichtert fest und lässt endlich die Hand sinken. „Ich heiße Flo“, sagt er schnell und weiß nicht recht, wo er hinschauen soll. „Willkommen bei den Baumelfen, Flo.“ Bana lächelt ihn an. „Du bist in unserem Baumhaus in der Uralten Eiche.“ „Seit drei Tagen schon!“, platzt Ava heraus. 57


„Elin hat dich hierher getragen und Bana hat dich verarztet. Aber wir hatten echt Angst, du schaffst es nicht!“ „Was? Drei Tage?“, stammelt Flo. Jetzt bemerkt er den Verband an seinem linken Arm. Und plötzlich fällt ihm alles wieder ein: der Flug, der Biss, der Auftrag. „Das ist …“ Furchtbar ist das! Der Grol hat einen Riesenvorsprung! Wie soll er ihn da noch einfangen? Und den Auftrag des Hexenmeisters erfüllen, damit er wieder nach Hause kann? „Ich muss los“, sagt er und will aufstehen. Aber Bana drückt ihn sacht in die Kissen zurück. „Na, na“, mahnt sie. „Langsam, mein Junge. Das war ein schlimmer Biss. Wer hat dir das angetan?“ Flo schüttelt stumm den Kopf. Er darf nichts verraten. Wenn die Elfen herausfinden, was er für 58


den Meister tun soll, sperren sie ihn bestimmt doch noch ein. „Flo, wir müssen wissen, was los ist“, sagt Elin ernst. „Irgendetwas vergiftet unseren Magischen Fluss. Das Gift ist zu stark. Und es breitet sich schnell aus. Auch an den Ufern. Bäume und Büsche gehen ein.“ Sie seufzt. „Fische, Seesterne und Flussfeen flüchten sich in den Magischen Waldsee. Und immer mehr Tiere und Zauberwesen kommen hierher zur Uralten Eiche, weil sie ihr Zuhause verloren haben. Eichhörnchen, Spechte, kleine Baumgeister …“ Sie blickt Flo ins Gesicht. „Es ist dasselbe Gift, das in dir war. Kaltes Gift. Nicht wahr, Flo?“ Flo presst die Lippen zusammen.


Er denkt an das freundliche Eichhörnchen, das ihm den Weg zum Fluss gezeigt hat, und an das Einhorn, das ganz verrückt war vom Grol-Gift. Er weiß, wie es sich anfühlt, kein Zuhause zu haben. Wie es ist, vom Gift krank zu sein. Und er will nicht, dass das den Tieren und Zauberwesen passiert. Er will nicht, dass der Grol zur Magischen Quelle schwimmt und den ganzen Fluss vergiftet. Er will nicht, dass Humbuck den Zauberwald kaputt macht.


Plötzlich weiß Flo eines ganz sicher: Er wird den Auftrag des Meisters nicht erfüllen. Auch wenn er dann nicht mehr zu ihm zurückkann. Auch wenn Humbuck ihn bestrafen wird. Flo fasst sich ein Herz. Die Elfen müssen verhindern, dass der fiese Wurm die Quelle erreicht. „Der Hexenmeister Basil Humbuck hat einen Giftwurm geschaffen. Der Grol soll die Magische Quelle zerstören“, stößt er hervor. „Ich … ich musste Humbuck helfen. Aber der Grol hat mich gebissen und ich habe ihn fallen lassen. Und nun schwimmt er durch den Magischen Fluss und …“ 61


„… und vergiftet unterwegs alles“, sagt Bana leise. „Basil Humbuck!“, faucht Elin wütend. „Er greift uns immer wieder an. Aber noch nie so schlimm wie dieses Mal!“ Sie ballt die Hände zu Fäusten. „Uns bleibt nicht viel Zeit. Wenn der Giftwurm die Magische Quelle erreicht, stirbt der Zauberwald. Und mit ihm alle, die hier leben.“


Der Entschluss „Ahuuuuuuuu!“, schallt da ein lang gezogenes Heulen durchs Fenster. Ava springt auf. „Das ist Rul!“ „Ava, Ava, komm schnell!“, ruft jetzt eine helle Stimme. „Und Minu! Das klingt, als wäre es dringend“, sagt Ava und eilt mit Elin aus dem Baumhaus. „Ruh dich etwas aus, Flo“, sagt Bana rasch und läuft ihnen nach. „Ausruhen?“ Flo stellt die Füße auf den Boden. 63


Das kann Bana nicht ernst meinen! Der Zauberwald stirbt und er soll schlafen? Er zieht sich am Bettpfosten hoch. „Drachenmist“, keucht er. Wie schwach er noch ist! Aber dann steht er, läuft drei Schritte. Geht doch. Die Tür ist nicht weit. Flo reißt die Augen auf, als er ins Freie auf eine Veranda tritt. Mehrere Hängebrücken verbinden sie mit anderen Baumhäusern in den riesigen Ästen der Eiche. Eine kurze Brücke führt zu einer Plattform in der Mitte des Baumes. Vom Geheul alarmiert, versammeln sich dort von überall Baumelfen. Zwei Elfenmänner ziehen einen Aufzug herauf, von dem ein grauer Wolf springt. Das muss Rul sein. Hinter ihm hüpft ein kleiner Troll auf die Plattform – Minu. Ava stürzt auf die beiden zu. „Was ist los?“ Minu umarmt sie. Rul verbeugt sich vor Elin. Ist Elin die Anführerin der Baumelfen? 64



„Wir bringen eine Botschaft von Königin Rea vom Magischen Waldsee“, sagt Rul. „Ein unheimliches Monster vergiftet den Magischen Fluss.“ Flo zuckt zusammen. Ein unheimliches Monster? Der Grol! „Davon haben wir gehört“, bestätigt Elin. „Es ist ein Kaltes Monster. Ein Fluch von Humbuck.“ „Ein Fluch? Von Basil Humbuck?“, tuscheln die Elfen aufgeregt durcheinander. „Das Kalte Monster will jetzt in den Waldsee schwimmen!“, ruft Minu laut. Die Elfen schreien entsetzt auf.


Elin hebt die Hand und alle schweigen sofort. „Die Waldsee-Bewohner können auf unsere Hilfe zählen“, erklärt sie. Die Elfen murmeln zustimmend. Dann tritt ein Mann hervor und fragt besorgt: „Wie wollen wir gegen das Kalte Monster kämpfen?“ „Gar nicht, Bente“, sagt Elin. „Wir helfen den Waldsee-Bewohnern, einen Damm gegen das 67


Giftwasser zu bauen. Doch gegen Humbucks Monster ist unsere Elfenmagie machtlos.“ „Aber ihr müsst doch den Grol aufhalten!“, ruft Flo. Und wird rot. Denn plötzlich starren ihn alle an. Unsicher läuft er über die schwankende Brücke zur Plattform. „Elin, du hast selbst gesagt, dass der Giftwurm die Magische Quelle nicht finden darf.“ Elin legt Flo die Hände auf die Schultern. „Das ist auch so. Aber wir können nichts machen. Nur du kannst das. Mit deiner Zauberkraft.“ „Ich?“ Flo lässt den Kopf hängen. „Ich kann gar nichts. Zaubern erst recht nicht.“ „Sagt wer?“, fragt Ava und ihre dunklen Augen 68


blitzen. „Flo, als du so krank warst, hast du die ganze Zeit etwas gemurmelt. Was mit Gut und Böse oder so.“

„Gutes gern, Böses fern?“, fragt Flo verwirrt. „Genau das!“, ruft Ava. „Und dabei hat alles geleuchtet. War das vielleicht kein Zauber?“ „Das ist ZauberwaldMagie. Ein sehr mächtiger Schutz-Zauber“, sagt Flo und zuckt die Schultern. „Den kriegen nur richtig gute Zauberer hin.“ Minu strahlt ihn an. „Du bist richtig gut, Flo!“, sagt er. „Hier“, sagt Ava. Sie tippt an Flos Herz und dann an seine Stirn. „Und hier. Der Zauberwald merkt das.“ 69


„Gewiss hat er dir mit seiner Magie geholfen“, meint Bana. „Mit dem Schutz-Zauber hast du gegen das Kalte Gift in dir gekämpft. Und hast es besiegt.“ „Und deswegen kannst du auch den Grol besiegen“, sagt Elin ernst. Flo schüttelt ungläubig den Kopf. Es stimmt, ihm ist nicht mehr kalt, nicht mehr schwindelig, die Wunde tut kaum noch weh. Und das soll er gemacht haben? Mit einem Gegenzauber? „Bitte hilf uns, Flo. Hilf dem Zauberwald“, sagt Bente eindringlich und alle Elfen nicken. Flo schluckt. Die Elfen trauen ihm zu, gegen den Grol zu kämpfen. Aber traut er sich das denn? Er will ihn ja aufhalten. Unbedingt. Irgendwie … Doch kämpfen? Ganz allein gegen den riesigen Giftwurm? Im unbekannten Zauberwald? „Du bist nicht allein“, sagt Ava da und zwinkert Flo zu. „Ich zeige dir den Weg.“ 70



„Und ich komme mit!“, ruft Minu. „Ich ebenfalls“, sagt Rul. Flo lächelt Ava, Rul und Minu an. „Also gut“, sagt er. „Wir finden den Grol. Und wir helfen Königin Rea und dem Magischen Waldsee. Zusammen retten wir den Zauberwald!“


Das dicke Ende Zur selben Zeit in den Hohen Bergen … „Was siehst du, Großer Herrscher?“, krächzt Brux ungeduldig und pickt mit dem Schnabel gegen die Glaskugel. „Lass das“, schnauzt ihn Humbuck an. „Und nenn mich nicht

Großer Herrscher!“ „Aber fast wärst du es doch geworden, Meister“, sagt Brux kleinlaut. „Ja. Fast“, faucht der Hexenmeister, ohne den 73


Blick von der Glaskugel zu wenden. „Hätte dieser kleine Trottel nicht meinen Großen Grol fallen lass– ah! Da ist er! Mein wunderbarer Wurm … Er schwimmt den Magischen Fluss hinauf. Haha! Wo er entlangkommt, wächst kein Gras mehr!“ „Toll!“, haucht Brux bewundernd. „Er schwimmt geradewegs zum Waldsee!“, jauchzt Humbuck. „Dann wird der See giftig und diese Königin Rea


wird ganz schön doof gucken!“, kräht Brux. „Der Zauberwald wird bald –“ „Aaaargh!“, schreit Humbuck da zornesrot auf. „Diese Elfen! Diese elenden Elfen!“ „Wa…wawa…was machen die denn?“, stottert Brux und hebt schützend einen Flügel vors Gesicht. „Diese blöde Elin bereitet mit einigen Elfen den Aufbruch vor. Pah, mit ihrer mageren Elfenmagie


werden sie gegen meinen Großen Grol nichts ausrichten können!“ „Da…das ist do…do…doch gut, Großer Meister“, bibbert der Rabe. „Aber sie werden mir wieder in die Quere kommen wollen, diese Elfen! Ich muss Dampf in die Sache bringen, Brux“, keift der Hexenmeister. „Und ich weiß auch schon, wie!“ Er kichert sich ins Fäustchen. „Du wirst eine tragende Rolle spielen, mein lieber Brux.“ „I…ich? Ach, Meister …“, stammelt der Rabe. Aber Humbuck wirft den Kopf zurück und lacht dröhnend. „Oh, ich werde es ihnen zeigen, diesen Zauberwäldlern! Sie werden ein Wunder erleben. Ihr dunkelblaues Wunder!“


Anna Taube, 1976 geboren, arbeitet als freie Autorin und Übersetzerin. Sie wohnt mit ihrer Familie im idyllischen Bad Rodach, wo es so friedlich ist, dass sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Vermutlich mag sie deswegen Geschichten mit magischen Tieren und Zauberwesen so gern.

Leonie Daub studierte Kommunikationsdesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Heute lebt sie in Freiburg im Breisgau und übt dort ihren Traumberuf als freie Illustratorin aus.





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