Leibniz-Journal 4/2015

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4/2015

Leibniz-Journal

Vorbild Natur

Werkstatt Museum

Mysterium Gummi

Altlast Vergangenheit

Aus dem Baukasten der Evolution

Reifen heilen sich selbst

Objekte in ihrer Verg채nglichkeit

NS-Beamte im Innenministerium

Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

Leichter Stoff

G 49121

Innovationen aus der Materialforschung


Deutsche Universitätszeitung Wissenschaft weiterdenken duz MAgAZIN, ELETTER, SPEcIAl www.duz.de www.duz-wissenschaftskarriere.de

Hintergrundinfos LETTER

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DEUTSCHE UNIVERSITÄTS ZEITUNG 01 18.12.2015 | EUR

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zu Trends und Entwicklungen aus Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement

Nachrichten aus dem nationalen und internationalen Hochschulund Wissenschaftsgeschehen

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Praxisberichte Nur Mut!

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Der Bessermach er

Im Januar wird Dieter Imboden Evaluation der die Exzellenzinitia tive präsentieren. Ein Porträt 18

Ein duz-Gesprä ch über Unwägb arkeiten in der Wissenscha ft mit Wilhelm Kru ll und Helga Now otny 26

Profs gesucht

Fachhochschu len haben zune hme Schwierigkeite n, gute Professore nd finden. Eine Anal n zu yse 20

Gesund an der Uni

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L E I B N I Z | I N H A LT

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SPEKTRUM Museum neu denken

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THEMENSCHWERPUNKT: MATERIALFORSCHUNG Innovationen, die aus der Natur abgeschaut werden, selbstheilende Autoreifen, chirurgisches Nahtmaterial, das sich automatisch auflöst, und Mikroelektronik für energiesparende Speichermedien: Materialforschung sorgt in allen Bereichen unseres Lebens für Fortschritt.

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KURZ & FORSCH

30 Mikroelektronik: Vernetzte und sparsame Speicher

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NUR SO EIN VORSCHLAG…

34 Werkstoffe: Selbstheilende Autoreifen

...von Leibniz-Präsident Matthias Kleiner

10 TITEL: MATERIALFORSCHUNG

36 SPEKTRUM

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AUSSTELLUNGEN Senckenbergs verborgene Schätze

44 LEIBNIZ LIFE 44 Leibniz-Jahrestagung 47 Leibniz-Liste 48 Verlosung

49 LEIBNIZ 2016 50 LEIBNIZ LEKTÜRE

10 Natur: Materialien inspiriert von der Evolution

36 Geschichte: NS-Belastung im Innenministerium

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Museen: Spurensicherung in Forschungssammlungen

38 Interview: Johannes Vogel will das Museum neu denken

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Gesundheit: Innovationen für das Wohlbefinden

42 AUSSTELLUNGEN

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Fotos: Kai Uhlig und Emanuel Richter/IPF Dresden (Titel); IHP; Carola Radke/MfN; Senckenberg; privat

Liebe Leserin, „Harter Stoff“ heißt die aktuelle Sonderaus- an den acht Leibniz-Forschungsmuseen imlieber Leser, stellung im Deutschen Museum in Bonn. Sie mer wichtiger, denn sie führt unmittelbar zum

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zeigt, wie vielfältig sich Carbon, das „Material der Zukunft“, verwenden lässt. Unter anderem wird ein Leichtbauhocker (unser Titelmotiv!) präsentiert, entwickelt von Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Polymerforschung in Dresden. Höchste Zeit also, dem harten wie häufig eben auch „leichten Stoff“ ein LeibnizJournal zu widmen. ab Seite 10 Ob es um Schutzfolien für Handys, besonders haftstarke Pflaster oder sich selbst heilende Autoreifen geht. Wie sehr unser Alltag schon heute von materialwissenschaftlichen Errungenschaften durchdrungen ist, ­beschreibt Leibniz-Präsident Matthias Kleiner in seiner Kolumne „Nur so ein Vorschlag...“ Seite 9 Auf der Suche nach der Authentizität der Exponate wird die Materialwissenschaft auch

Objekt. Teils leiten die Häuser daraus ein völlig neues Selbstverständnis ab. So fordert der Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, Johannes Vogel, auf, „das Museum neu zu denken“. Wir wollen in diese und viele ­Welten der Erkenntnis mehr eintauchen. Seite 38 Nicht zuletzt finden sich zu unserem Leibniz-Jahr 2016 auf der neuen Internetseite www.bestewelten.de alle Aktivitäten. Auch unser Magazin wird in neuer Gestalt erscheinen. Dann unter dem schlichten Titel „leibniz“. Seite 49 Eine inspirierende Lektüre, Christine Burtscheidt Chefredakteurin

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„Mit dem Strom schwimmen“

hat Claudia Pogoreutz, Doktorandin am Leibniz-Zentrum für Marine Tropen­ ökologie in Bremen, ihr Foto eines ­jagenden ­Schwarzspitzen-Riffhais auf den Malediven betitelt. Das Bild gewann beim Foto­wettbewerb der britischen Royal Society den ersten Preis in der Kategorie „Verhalten“ und setzte sich dabei gegen mehr als 1.000 Teilnehmer durch.

Farben – 48 Millionen Jahre alt

Erstmals haben Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes in Frankfurt am Main gemeinsam mit Kollegen die Farbe eines fossilen Säugetiers bestimmt. Anhand von konservierten Melaninen – rötliche, braune oder schwarze Pigmente, die die Färbung von Haut, Haaren, Federn und Augen bewirken – wiesen die Forscher nach, dass zwei 48 Millionen Jahre alte Fledermäuse aus dem UNESCO Welterbe Grube Messel ein rötlich-braunes Fell hatten. In der Forschung ist die Bestimmung des Merkmals Farbe eine neue Errungenschaft. Mit ihr könnten viele Fragen zu mit Farben assoziiertem Verhalten wie Partnerwahl, Überlebens- und Schutzstrategien von Tieren beantworten werden. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1509831112

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West-Antarktis könnte komplett schmelzen

Der Eispanzer der westlichen Antarktis könnte komplett schmelzen. Das haben Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung für den Fall berechnet, dass die vergleichsweise kleine Region des Amundsen-Beckens instabil geworden sein sollte. Studien der vergangenen Monate deuteten darauf hin. Mit Computersimulationen zeigen die Potsdamer Forscher nun die möglichen Folgen: Schmilzt das Eis weitere 60 Jahre in der

derzeitigen Geschwindigkeit, führe dies zu einem nicht mehr zu stoppenden Eisverlust, der Jahrtausende anhalten könne. Insgesamt könnte der Meeresspiegel um drei Meter steigen. Die Eismassen der Antarktis reagierten nicht-linear auf die Erwärmung der Ozeane. Nach einer langen Zeit ohne große Veränderungen breche das Gleichgewicht schließlich rasch zusammen, da das Schmelzen der Ränder immer dickere Eisflächen in Kontakt mit dem wärmeren Meerwasser bringe. PNAS. DOI: 10.1073/ pnas.1512482112

DOI = Digital Object Identifier, ein eindeutiger und ­dauerhafter Identifikator für digitale Objekte, vor allem ­ für Online-Artikel von wissenschaftlichen Fachzeitschriften verwendet 4/2015


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Materiallager Deutschland

Deutschland sitzt auf einer unbekannten Schatztruhe: Bauwerke, Straßen, Abwasser- und Stromleitungen sowie Autos oder große Haushaltsgeräte enthalten wertvolle Rohstoffe. Insgesamt sind es 42 Milliarden Tonnen, wie Forscher des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung in Dresden gemeinsam mit Partnern ermittelt haben. Sie entwickelten außerdem ein Konzept, um ein langfristiges Monitoring dieses anthropogenen Lagers aufzubauen. Eine wichtige Vor-

aussetzung, um die Wiederverwendung von bereits genutzten Rohstoffen künftig systematisch betreiben zu können. Durch eine intelligente Kreislaufführung könnten natürliche Rohstoffe geschont und ihr oft umweltschädlicher Abbau verringert werden. Außerdem würde Deutschland unabhängiger von Rohstoffimporten.

www.umweltbundesamt.de/ publikationen/kartierung-desanthropogenen-lagers-in-deutschland

Fotos: Claudia Pogoreutz/ZMT; Senckenberg; Fotolia/TomFreeze; Gulimila Shabuer/HKI; DPA

Neuer Wirkstoff gegen Pflanzenkrankheiten

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Neuigkeiten aus der AntibiotikaForschung: Über eine überraschende Überlebensstrategie verfügt das Bakterium Clostridium puniceum, der Erregers der Kartoffelfäulnis. Das eigentlich sauerstoff-empfindliche Bakteri­um kann in einer sauerstoffreichen Umgebung überleben, indem es eine Gruppe schützender Wirkstoffe produziert, die Clostrubine. Sie schützen Clostridium sogar doppelt und wehren antibiotisch andere, konkurrierende Krankheitserreger der Pflanze ab. Diese

Doppelfunktion der Clostrubine haben Forscher des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – HansKnöll-Institut in Jena entdeckt. Ob Clostrubine die Grundlage für Antibiotika in der Medizin und als Wirkstoffe gegen Pflanzenkrankheiten in der Landwirtschaft eingesetzt werden könnten, wollen die Forscher jetzt weiter untersuchen.

Ungeahnte Selbstheilungskräfte

Auch Freundschaft hat ihre Grenzen

Nature. DOI: 10.1038/ nature15397

International Migration Review. DOI: 10.1111/ imre.12163

Das herausragende Regenerationsvermögen heutiger Salamander ist vermutlich eine ursprüngliche Fähigkeit aller vierfüßigen Landwirbeltiere, die diese erst im Laufe der Evolutionsgeschichte verloren haben. Das zeigt eine neue Studie zu fossilen Amphibien von vor 300 Millionen Jahren des Berliner Museums für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiver­sitätsforschung. Bisher wurde vermutet, dass die Fähigkeit, lebenslang die durch Amputationen oder Verletzungen verlorenen Beine, Schwänze und Teile der inneren Organe vollständig regenerieren zu ­können, spezifisch für Salamander sei. Als Grund dafür wurde dessen andersartige embryonale Beinentwicklung angenommen. Die Studie widerlegt ­diesen Zusammenhang nun und zeigt, dass in den Erdzeitaltern des Oberen Karbon und Unteren Perm verschiedene Gruppen vierfüßiger Wirbeltiere in der Lage waren, ihre Beine und Schwänze auf diese Art zu regenerieren.

Deutsche Freunde helfen Jugendlichen aus Zuwandererfamilien nicht zwangsläufig, sich besser zu integrieren. Das haben Forscher vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung herausgefunden; so wurden jetzt erstmals Daten von 2.500 15-Jährigen aus dem Nationalen Bildungspanel von 2010 untersucht. Die Studie zeigt, dass Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien, südeuropäischen Ländern und Russlanddeutsche sich umso stärker mit Deutschland identifizieren, je mehr deutsche Freunde sie haben. Bei polnischen und türkischen Jugendlichen ist dies nicht der Fall. Die Forscher vermuten, dass die Unterschiede damit zusammenhängen, wie stark die jeweilige Zuwanderergruppe Diskriminierung wahrnehme. Der positive Effekt einheimischer Freunde könnte auch dann geringer sein, wenn sich die Identitäten des Aufnahme- und des Herkunftslandes nur schwer vereinbaren ließen.

Science. DOI: 10.1126/ science.aac9990

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in

„Neue“ Väter dank Elternzeit Eine längere Elternzeit von Müttern geht mit traditionellerer Arbeitsteilung einher. Allerdings kann bereits eine kurze Elternzeit von Vätern dies ändern. Das hat eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Bamberg Graduate School of Social Sciences mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergeben. Wenn Väter auch nur eine kurze Elternzeit nehmen, scheinen sich die traditionellen Strukturen zu verändern, sodass die Familienarbeit auch noch Jahre später gleichmäßiger zwischen den Partnern aufgeteilt wird. Dies trifft zumindest dann zu, wenn die Väter nicht gleichzeitig mit ihrer Partnerin Elternzeit nehmen, sondern eine Zeit lang alleinverantwortlich sind. Wenn Mütter hingegen eine längere Elternzeit nehmen, so ist auch nach der Rückkehr beider Eltern in den Beruf die Arbeitsteilung in der Familie traditioneller als bei einer kürzeren Elternzeit der Mutter. DIW Wochenbericht 50/2015

Bewegung stärkt die Knochen

Zahlen

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Milliarden Euro

pro Jahr könnte der Zustrom an Flüchtlingen die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren kosten. Im günstigsten Fall betragen die jährlichen Kosten rund 25 Milliarden Euro. Das hat das Institut für Weltwirtschaft in Kiel berechnet. Selbst im ungünstigsten Fall blieben sie aber unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, schätzen die Forscher und meinen, dass die Kosten im Verhältnis zur Wirtschaftskraft Deutschlands beherrschbar blieben. http://bit.ly/IfW-Fluechtingskosten

15,6

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und Muskelkraft kombiniert auf die Knochengesundheit und -entwicklung bei Kindern wirken. Die Knochenfestigkeit der Kinder wurde mit einem Ultraschallgerät am Fersenknochen gemessen. Weiterhin wurden die Kinder mit einem Bewegungsmesser (Accelerometer) ausgestattet, der ihre Bewegungsaktivität aufzeichnete. So war zu erkennen, wie viel Zeit die Kinder in sitzender, leichter, moderater oder intensiver körperlicher Aktivität verbracht hatten. International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity. DOI: 10.1186/s12966-015-0273-6

Fotos: Fotolia/Focus Pocus LTD; Fotolia/Monkey Business; Carola Radke/MfN

Bewegung fördert bereits im Kindesalter die Knochenentwicklung, während Sitzen diese negativ beeinflusst. Nur zehn Minuten zusätzliche moderate bis intensive körperliche Aktivität am Tag erhöht die Knochenfestigkeit bei Vorschul- und Grundschulkindern. Dies zeigen Untersuchungen von rund 4.500 Kindern zwischen zwei und zehn Jahren im Rahmen der europäischen IDEFICS-Studie, die das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS und die Universität Bremen koordinierten. Ziel der Studie war es, zu erforschen, wie körperliche Aktivität, Sitzen

Millionen Unterrichtsstunden in rund 695.000 Veranstaltungen haben die deutschen Volkshochschulen im Jahr 2014 angeboten. Der Unterrichtsumfang wuchs damit um 1,7 Prozent. Das geht aus der aktuellen VolkshochschulStatistik des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen in Bonn hervor. 45 Prozent aller Stunden entfallen dabei auf Sprachkurse. www.die-bonn.de/id/31690

50.

Auf ihre Expedi­ tion bricht das Forschungsschiff „Maria S. Merian“ Anfang Januar 2016 auf. ­Unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde wollen die Wissenschaftler bestimmte Prozesse am Meeresboden von Nordund Ostsee erstmals auch im Winter erforschen. www.io-warnemuende.de/ fs-maria-s-merian.html 4/2015


LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

Berlin zeigt Zähne Das einzige Originalskelett eines Tyrannosaurus rex in Europa ist seit Mitte Dezember im Berliner Museum für Natur­kunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung zu sehen. „Tristan Otto“ ist etwa 66 Millionen Jahre alt und wurde 2010 in Montana, USA, gefunden. Das zwölf Meter lange und vier Meter hohe, außergewöhnlich gut erhaltene Skelett aus der Oberkreidezeit ist eine Leihgabe des dänischen Mäzens Niels Nielsen, der diese dem Museum „Tristan Otto“ für mindestens drei Jahre zur Verfügung stellt; freilich unter der Maßgabe, dass „Tristan“ erforscht und öffentlich ausgestellt wird. www.naturkundemuseum.berlin

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LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

Den meisten deutschen Pflegeheimen geht es wirtschaftlich gut, und der Pflegemarkt wächst. Trotzdem prognostizieren die Herausgeber des „Pflegeheim Rating Report 2015“, dass bis 2030 Investitionen von bis zu 80 Milliarden Euro nötig seien, um ausreichend Pflegeplätze und -personal für die alternde Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. 2013 gab es 2,6 Millionen pflegebedürftige Menschen, die zunehmend ambulant und von privaten Einrichtungen versorgt wurden, so der Report. Ihre Zahl werde jedoch bis 2030 voraussichtlich um ein Drittel auf 3,5 Millionen Menschen steigen. Um drohenden Engpässen zu begegnen, schlagen die Verfasser vor, private Geldgeber durch schlankere Heimgesetze zu Investitionen ermutigen und den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Der alle zwei Jahre erscheinende Report wird vom RheinischWestfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, der Institute for Health Care Business GmbH und Philips erarbeitet.

Gewinner und Verlierer im ­Klimawandel

Der Klimawandel wirkt sich unterschiedlich auf die europäische Vogelwelt aus. Es gibt Gewinner und Verlierer. Das haben Untersuchungen von Wissenschaftlern des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums mit internationalen Kollegen ergeben. Sie basieren auf Beobachtungen von mehr als 50.000 Bürgerwissenschaftlern in einem Zeitraum von 18 Jahren. Wärmere Winter wirken sich beispielsweise positiv auf so genannte „Standvögel“ wie Gartenbaumläufer oder Türkentauben aus; von längeren Frühjahren und damit auch Brutzeiten profitieren Kurzstrecken-Zieher, wie der Stieglitz oder die Heidelerche. Bedroht sind vor allem Vögel in kälteren Regionen wie der Haussperling, die Raben- und Nebelkrähe, der Wiesenpieper und verschiedene Zeisigarten. So werde sich der Klimawandel vermutlich überwiegend negativ auswirken, so die Forscher. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.13097

Wird es unter dem Klimawandel schwer haben: der Birkenzeisig. 8

Alterns-Genom entschlüsselt Der Türkise Prachtgrundkärpfling (Nothobranchius furzeri) ist das kurzlebigste Wirbeltier, das unter Laborbedingungen gehalten werden kann. Er wächst sehr schnell und altert wie im Zeitraffer. Forschern des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut in Jena ist es nun gelungen, das Genom des Fisches zu entziffern – ein Meilenstein für die Etablierung von N. furzeri als neues Modellsystem in der Alternsforschung. Die Ergebnisse sind nun in der renommierten Fachzeitschrift Cell erschienen. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2015.10.071

Neue Fachkräfte für die Landwirtschaft

Die Beschäftigung von Migranten und Flüchtlingen könnte dem Fachkräftemangel in der ostdeutschen Landwirtschaft entgegenwirken. Davon sind Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien überzeugt. Durch Renteneintritte vor allem qualifizierter Mitarbeiter entsteht in den kommenden Jahren eine erhebliche Fachkräftelücke. Bislang setzen Agrarbetriebe ausländische Arbeitskräfte vor allem als Erntehelfer ein. Absolventen von osteuropäischen Agraruniversitäten, aber auch viele aus landwirtschaftlich geprägten Herkunftsländern stammende Flüchtlinge stellen somit ein Potenzial für die Gewinnung von Fachkräften dar,

so die Forscher. Da sich viele Agrarbetriebe seit Jahren vergeblich um deutsche Nachwuchskräfte bemühen und so zum Beispiel in Sachsen-Anhalt 2014 nur jedes zehnte Unternehmen Nachwuchskräfte in landwirtschaftlichen Berufsgängen ausbildete, stellten Migranten eine bislang weitgehend unausgeschöpfte Alternative dar. Die Eingliederung von ausländischen Beschäftigten in die Agrarunternehmen dürfte aber einen erheblichen Aufwand an Zeit und Geld kosten, vermuten die Wissenschaftler. Die Betriebe müssten in gezielte Anwerbekampagnen, Sprach- und Fachkurse sowie Integrationspaten investieren. www.iamo.de/policybrief-25

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Fotos: Nadine Grimm/FLI; Fotolia/Gerhard Seybert; David Dillon/BirdLife International

Mehr ­Investitionen in die Pflege


LEIBNIZ | KOLUMNE

Foto: Christoph Herbort-von Loeper

Liebe Leserinnen und Leser,

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„willst du gelten, mach‘ dich selten“, heißt es. Aber nein! mangeln – vielleicht gerade weil sie mit Deutschlands Wissenschaft und Forschung sind vielfach präsent – um industrieller Entwicklung und Produktionsbasis eng nicht zu sagen: omnipräsent – und gerade deswegen zusammenhängt und schlicht vorausgesetzt wird. An wichtig. Eine Selbstdarstellung durch Abwesenheit hier alltäglicher Relevanz mangelt es ihr keinesfalls. als Zeichen einer hohen Beschäftigung und UnabkömmNeue Kombinationen technologischer Verarbeilichkeit dort haben sie nicht nötig. tungs- und Nutzungsprozesse gehören ebenso zu den Meine Kolleginnen und Kollegen in Wissenschaft „versteckten Innovationen“ wie die vielzitierten soziaund Forschung sind vielbeschäftigt – keine Frage. Sie len und kreativen Innovationen, die mittels klassischer sind häufig unabkömmlich; gerade weil sie frei und Indikatoren wie Publikationen und Patenten meist selbstbestimmt arbeiten können und dabei nur unzureichend abgebildet werden. Die verdie Belange der Menschen und der Geselldeckten, aber wirkungsmächtigen Bereiche „Die schaft aufgreifen. Auch Forschungsergebdeutscher Weltmarktführer liegen obenMaterialnisse und Erkenntnisse sind buchstäblich drein zu großen Teilen im produzierenwissenschaft ist überall. Halten Sie doch einen Moment den Gewerbe, in industriellen Bereichen inne und schauen Sie sich um: Schon unselbstverständlich und im Anlagen- und Maschinenbau und ser Leibniz-Journal in Ihren Händen ist sind uns Bürgerinnen und Bürgern auch in unserem in haptischer Gestalt und Bild auch das daher nicht immer direkt einsichtig und Alltag“ Ergebnis von Analysen zu Material, Schrift, zugänglich. Nichtsdestotrotz beruhen auch Satz und Sprachverwendung. Neben, unter, sie auf tiefgehenden wissenschaftlichen Unüber und vor Ihnen: Gegenstände aus vielfältigen tersuchungen von beispielsweise polymeren Werkstoffen und Materialien, in Materialkombinatio- Funktionsmaterialien, die sich in medizinischen, komnen und Formen, eingerichtet für ihre unterschiedli- munikationstechnischen und energieeffizienten Techchen Zwecke – die Wände des Gebäudes, in dem Sie sich nologien und Lösungen niederschlagen. Oder Kristallbefinden, die Heizungen, die Ihre Räume wärmen, die züchtung in Photovoltaik und Elektronik. Oder Plasmen Straßen, auf denen Sie fahren, die Autos, die Sie steuern, in Umwelt, Gesundheit und Energie – um nur einige, die Brücken, die Sie überqueren und so vieles mehr ist viel zu wenige, Beispiele zu nennen. und wird weiter erforscht. Die Gestalt und Gestaltwerdung von Wissenschaft Die Materialisierung wissenschaftlicher Arbeit – und Forschung ist auch geprägt von ihrer VerbindlichErkenntnisse der Forschung realisiert in Anwendun- keit. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind gen – ist selbstverständlich in unserem Alltag. Das ist Ansprechpartner für Fragen und Probleme, die sie eruGrund genug für ein Leibniz-Journal, das diesmal die ieren und lösen. Sie beraten und erklären uns die Welt. Scheinwerfer auf die Materialwissenschaften richtet. Daher schauen Sie erstens genau hin, wo in der Welt Sie Dazu zählen die vielfältigen Forschungsarbeiten etwa wissenschaftliche Erkenntnisse finden. Und fragen Sie an metallischen Werkstoffen, die mindestens mittel- zweitens nach – zum Beispiel, wenn Sie uns bei einer bar – gewissermaßen anwendungsinspiriert nach unserer vielfältigen, gar nicht seltenen Veranstaltungen Leibniz’scher Façon – dazu dienen, Korrosion, Reibung zum Leibniz-Jubiläumsjahr 2016 besuchen. Nur so zwei und Verschleiß zu verringern oder zu vermeiden. Damit Vorschläge... wird allein im öffentlichen Raum und an öffentlicher Infrastruktur gegen Wertvernichtung von bis zu vier Prozent des Bruttosozialproduktes angegangen. Dieser Forschung mag es hierzulande an Aufmerksamkeit m atth i as kl ei n er , pr äsi d en t d er l ei b n i z - g em ei n s c h aft

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L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G

Inspiriert von der Evolution Nach dem Vorbild der Natur entwickeln Wissenschaftler neue Materialien

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Fotos: Isselee/Dreamstime.com; Rüdiger Nehmzow

L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G

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Einrollbare Bildschirme, Roboter mit hochsensiblen Greifarmen oder eine Therapie gegen Rückenmarkverletzungen: Häufig fehlt es an Materialien, um solche Ideen zu verwirklichen. Daher schauen sich Materialwissenschaftler zunehmend in der Natur nach Lösungen um. Sie bietet einen unendlichen Fundus, im Testlabor der Evolution geprüft, verfeinert und für gut befunden. Die Forscher versuchen, diese natürlichen Prinzipien in neue technische Lösungen zu übertragen. „Es ist wie beim Kochen: Wir kennen die Grundrezeptur, verändern aber die Zutaten, um das Gericht passend für unsere Bedürfnisse zuzubereiten“, erklärt Andreas Walther vom LeibnizInstitut für Interaktive Materialien (DWI) in Aachen. Er und sein Forscherteam haben nach diesem Prinzip eine von der Natur inspirierte Folie entwickelt,

sen. „Damit eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten an Formen, zum Beispiel ausrollbare Displays oder Tablets“, so Walther.

Bruchsicher wie Muschelschalen

Perlmuttschicht auf der Innenseite einer Meeresschnecke (Abalone).

die eine neue Generation von Fernsehern und Displays ermöglichen könnte. Sie ist besonders reißfest und bietet durch ihre Struktur eine Gasbarriere, die Luftmoleküle kaum durchdringen können. Ideal, um die empfindliche Elektronik von Handys und Tablets vor schädlichen Lufteinflüssen zu schützen und das starre Glas, das bisher für diesen Schutz verwendet wird, abzulö-

Bei der Folie haben sich die Wissenschaftler von der Muschel inspirieren lassen, genauer gesagt, dem Perlmutt, das dem Tier Schutz gegen Fressfeinde wie den Hummer bietet. „Die mechanischen Eigenschaften des Perlmutts sind herausragend, das Material ist extrem bruchresistent“, erklärt Walther. Das Geheimnis dafür liegt in der Perlmutt-Struktur. „Perlmutt ist ein Polymer-Keramik-Verbund, der aufgebaut ist wie eine Backsteinmauer“, so Walther. „Die Backsteine bestehen aus Calciumcarbonat, der Mörtel ist ein Kleber aus Proteinen.“

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Die Leibniz-Forscher haben dieses Prinzip übernommen, aber durch andere Komponenten ersetzt, um eine leichtere, stabilere und flexiblere Keramik herstellen zu können. Dazu bringen die Wissenschaftler die „Backsteine“, die aus einfachen Tonmineralien – so genannten Schichtsilikaten – bestehen, in Wasser mit einem Kunststoff auf Cellulose-Basis als ,Mörtel‘ zusammen. „So entstehen Bausteine, bei denen der Mörtel direkt auf dem Backstein ist“, erläutert Andreas Walther. „Dieser Prozess ist mit der Papierherstellung verwandt und großtechnisch gut umsetzbar, um in Zukunft künstliches Perlmuttpapier herzustellen.“

Interessant für die Automobilbranche

Die Eigenschaften dieser neuartigen Kunststoffe machen sie

als Werkstoff nicht nur für die Automobilbranche interessant, sondern spielen auch beim Feuerschutz eine wichtige Rolle. So lassen sich daraus Feuerbarriereschichten in Gebäuden herstellen. Diese sind noch dazu besonders umweltfreundlich, weil sie keine giftigen Stoffe enthalten, die im Brandfall freigesetzt werden. Auch Textilien lassen sich durch Eintauchen in eine Lösung mit diesem Material beschichten. Die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten entwickeln die Forscher häufig gemeinsam mit der Industrie. Technische Innovation kann vielfältig nützlich sein: So ist gerade erst ein anderes DWIProjekt zur Entwicklung einer neuartigen Therapie von Rückenmarksverletzungen gestartet. Dafür orientieren sich die Wissenschaftler am Wachstums­prinzip von Körpergewebe. „Man weiß, dass alle Gewebearten ein gerichtetes

Wachstum haben, also in eine bestimmte Richtung wachsen, auch Nerven“, sagt Walther. Auf dieses natürliche Prinzip greift auch Laura De ­Laporte mit ihrem Team am DWI zurück. Damit sich bei einer Rücken­ marksverletzung das Gewebe regenerieren kann, muss das Nervenwachstum angeregt werden; und zwar so, dass es nur in eine Richtung erfolgt und die Nerven nicht wild aufeinander zuwachsen. Diese Aufgabe könnten künftig neuartige Hydrogele übernehmen – in Wasser gequollene Polymernetzwerke, die in ihrer Konsistenz dem weichen Körpergewebe ähneln. Dazu müsste das Material per Spritze ins Rückenmark injiziert werden und dort dann eine geordnete Struktur ausbilden, die das Wachstum der Nervenbahnen in die richtige Richtung lenkt. Sofern das Gel vom Organismus gut vertragen wird, könnte es vielen Menschen den

Vom Perlmutt inspirierte Folie ist eine effiziente Feuer- und Hitzebarriere.

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LEIBNIZ | LICHT

Rollstuhl ersparen. Das Projekt ist zunächst auf fünf Jahre ausgelegt, die ersten klinischen Versuche wird es wahrscheinlich in etwa zehn Jahren geben.

Fotos: Rüdiger Nehmzow; Janine Hillmer

Wie ein Gecko-Fuß

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Im Vergleich dazu befindet sich am Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken sich die Gecomer-Technologie – eine Wortschöpfung aus Gecko und Polymer – in einer fortgeschritteneren Entwicklungsphase. Sie orientiert sich am Haftprinzip des Geckofußes, dank dem das 40 Zentimeter große Tier an Decken und Wänden laufen kann. Der Gecko nutzt dafür Wechselwirkungen zwischen Molekülen, so genannte Van-der-Waals-Kräfte: Jede Materie hat die Tendenz, einen Festkörper in ihrer Nähe

anzuziehen. „Gott sei Dank spüren wir das im Alltag nicht. Die Kraft und ihre Reichweite sind sehr gering, sonst würden wir überall festkleben“, sagt Eduard Arzt, wissenschaftlicher Geschäftsführer am INM. Der Gecko hingegen will genau das und erhöht diesen Effekt mit feinen Härchen, die an der Fußunterseite bündelweise angeordnet und nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbar sind. Diese nur wenige hundert Nanometer winzigen Hafthärchen schmiegen sich an allerkleinste Unebenheiten auf glatten Oberflächen an. „Dadurch, dass die Van-derWaalschen Kräfte an vielen Einzelhärchen gleichzeitig wirken, ist die Summe aller Wechselwirkungen so stark, dass der Gecko ein Vielfaches seines Eigengewichts, immerhin bis zu 300 Gramm, halten kann, wenn er

all seine Hafthärchen gleichzeitig nutzt“, erklärt Eduard Arzt. Das Aufspalten einer Kontaktfläche in viele Einzelkontakte erhöht also die Haftkraft. Um sich fortzubewegen, muss das Tier die Haftkraft innerhalb von Millisekunden jedoch wieder aufheben können. Das gelingt durch eine leichte Veränderung des Winkels zwischen Härchen und Oberfläche. So kann das Tier den Fuß lösen und sich fortbewegen.

Transparent wie Glas: Andreas ­Walther (rechts) und ­Doktorand Thomas Heuser mit Perlmuttinspirierter Folie.

Forschen im Nanometer-Maßstab

Inspiriert vom Gecko haben die Forscher ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Kunststoffen diese außergewöhnlichen Hafteigenschaften verleihen können. Dazu gießen sie zum Beispiel Silikone oder Gummi-

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Gecomer®-Technologie in Kombination mit Robotik für das Handling von Objekten. So können hochsensible Objekte in Fertigungslinien unter sehr geringem Energieaufwand bewegt werden.

materialien in eine Gussform, die es in sich hat. Sie enthält die filigranen Haarstrukturen, wie sie am Geckofuß zu finden sind. Ihre Größe entspricht etwa ­einem Hundertstel eines menschlichen Haares. Wissen­ schaftler erschaffen die Härchen über das Verfahren der Fotolithografie: Die Form besteht aus einem Kunststoff, der auf Licht anspricht. Per Belichtung wird nur an belichteten Stellen das Material weggeätzt. Je nach Anwendung und Anforderungen variieren die Forscher Formgröße, Gussmaterial und die Struktur der Härchen beziehungsweise ihrer Enden. Beschaffenheit und Ausrichtung sind dabei ausschlaggebend für die Stärke der Haftung. Pilzkopfartige Verbreiterungen der Haarenden erhöhen beispielsweise die Haftkraft. ­Anwendungsmöglichkeiten gibt es viele. So haben die Wissenschaftler einen Robotergreifarm mit einer GeckoKunststoffstruktur versehen. Er kann dadurch hochsensible Objekte, etwa Mikroelektronik zur industriellen Fertigung von Tablets oder Mobiltelefonen, bewegen sowie auf- und absetzen, ohne sie zu beschädigen. Im Gegensatz zur Saugtechnik arbeitet dieses System völlig geräuschlos, deutlich energieärmer und funktioniert auch im Vakuum. „So lässt sich die Greifarmtechnologie beispielsweise auch zur Beseitigung des Weltraumschrotts einsetzen“, sagt INM-Chef Eduard Arzt.

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Nicht zuletzt ist die Superhaftkraft auch in der Medizin gefragt. „Wir entwickeln derzeit gemeinsam mit einer Hals-Nasen-Ohren-Klinik ein Implantat, das Trommelfellverletzungen rückgängig machen soll“, erläutert der Materialforscher. „Über den Gecko-Effekt haftet das Implantat am Trommelfell und unterstützt dort die Wundhei-

Fotos: Uwe Bellhäuser; INM (2)

Superhaftkraft für die Medizin

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Vorbild und Adaption: Im Elektronenmikroskop lassen sich links die feinen Härchen an den Geckofüßen erkennen. Die mikrostrukturierte Haftoberfläche aus synthetischem Polymer rechts ahmt den Geckoeffekt nach.

lung.“ Zum einen muss es Druck, der etwa durch Niesen entsteht, standhalten. Zum anderen sollte es sich auch wieder leicht per Pinzette entfernen lassen. Und das alles bei nachgewiesener Verträglichkeit im menschlichen Körper. In Zukunft könnte die Gecomer-Technologie auch herkömmliche Heftpflaster ersetzen. „Pflaster funktionieren ja hauptsächlich mit Klebstoff, auf

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Leibniz-Journal

Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft Matthias Kleiner Chausseestraße 111, 10115 Berlin Telefon: 030 / 20 60 49-0 Telefax: 030 / 20 60 49-55 www.leibniz-gemeinschaft.de

den viele Patienten allergisch reagieren, was die Wundheilung negativ beeinflussen kann“, berichtet Eduard Arzt. „Unser Pflaster würde ohne Kleber auskommen und nur durch seine besondere Struktur haften.“ Doch warten hier noch einige Herausforderungen auf die Forscher: Denn das Pflaster muss auf einer weichen Oberfläche haften, der Haut. Und: Es muss dermatologisch verträglich sein

und Schweiß oder anderen Körperflüssigkeiten trotzen. Trotzdem meint Eduard Arzt: „An der Gecomer-Technologie sieht man, wie sich ein Prinzip aus der Natur in viele verschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche übertragen lässt.“ Und ständig erreichen ihn und seine Kollegen neue Ideen, was man noch alles damit machen kann. SABINE WYGAS

Redaktion: Christine Burtscheidt (Chefredakteurin), Christoph Herbort-von Loeper (C.v.D.), Lena Leisten, Nora Tyufekchieva (Grafik), Steffi Kopp (Assistenz). journal@leibniz-gemeinschaft.de Anzeigen: Axel Rückemann, anzeigen@leibniz-gemeinschaft.de Layout: Stephen Ruebsam, unicom-berlin.de

Druck: PRINTEC OFFSET – medienhaus, Kassel Nachdruck mit Quellenangabe gestattet, Beleg erbeten.

Auflage: 29.500 Ausgabe 4/2015: Dezember www.leibniz-gemeinschaft.de/journal Das Leibniz-Journal erscheint viermal jährlich. Es wird gratis über die Institute und Museen der Leibniz-Gemeinschaft verbreitet. Außerdem kann es über die Redaktion kostenlos unter abo@leibniz-gemeinschaft.de abonniert werden. ISSN: 2192-7847 Leibniz twittert: twitter.com/#!/LeibnizWGL Leibniz ist auf Facebook: facebook.com/LeibnizGemeinschaft

Die Leibniz-Gemeinschaft — 88 Mal Forschung zum Nutzen und Wohl der Menschen: Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 88 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungs4/2015

museen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die LeibnizInstitute beschäftigen rund 18.100 Personen, darunter 9.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,6 Milliarden Euro. 15


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Spurensicherung In den Leibniz-Forschungsmuseen arbeiten Materialforscher und Restauratoren Hand in Hand. Anders als früher besteht ihr Ziel nicht darin, makellose Exponate zu schaffen. Vielmehr sollen heute Spuren der ­Geschichte und der Vergänglichkeit freigelegt werden.

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Vor Steffen Seidel auf dem Tisch liegt Hightech aus dem Jahre 1900. Jeder Bergmann konnte froh sein, wenn die Grubenwehr seiner Zeche mit Taucheranzügen wie diesem ausgestattet war. Die Arbeit unter Tage war riskant, immer drohte die Gefahr, dass Wasser in die Stollen eindrang und sie überschwemmte. Dann zwängten sich die Männer der Grubenwehr im dicken Wollzeug durch die Halsöffnung in ihre Taucheranzüge und eilten in die „abgesoffenen“ Stollen, um ihre Kumpel zu retten, wertvolle Maschinen zu bergen oder Reparaturen durchzuführen.

Steffen Seidel ist Restaurator am Deutschen Bergbau-Museum in Bochum (DBM), und was heute vor ihm liegt, ist eigentlich „Schrott“. Der hellgelbe Anzugstoff scheint sich sanft zu wellen, aber als Seidel vorsichtig eines der Beine bewegt, ist es steif wie ein Brett. Leise knirscht der Naturkautschuk.

Auch „Schrott“ wird restauriert

Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass der Anzug ein Lehrstück war und wahrscheinlich

nie benutzt wurde. „Viele Schäden sind durch unsachgemäße Lagerung und Präsentation entstanden“, sagt Seidel. Der Anzug habe lange zusammengefaltet auf einem Stahlregal gelegen, „man sieht Rostflecken“. Einmal wurde er ausgestellt. „Dafür hat man ein Holzgestell reingeschoben, es später aber nicht mehr rausgekriegt“, sagt Seidel. „Da hieß es dann wohl: ‚Komm, schneid das mal auf‘. Man ist zu dieser Zeit eben anders mit Objekten umgegangen.“ Die Probleme, vor denen Seidel jetzt steht: Wie bringt man dieses brettharte Gummiobjekt

Fotos: DBM; Susanne Greiff

Restaurator Steffen ­Seidel und ­Material­wissen­schaftlerin Elena Gomez Sánchez entnehmen Proben aus dem Gummikragen eines Tauchanzugs.

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Eine Fibel in der Anlage zur Röntgen­ fluoreszenzanalyse.

wieder in eine Form, die Museumsbesuchern begreiflich macht, wie der Taucheranzug funktionierte? Und wie verlangsamt man den Verfall des Materials?

Warum zerbröckelt die Sohle?

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Mit solchen Fragen ­können sich die Restauratoren der LeibnizForschungsmuseen an die Materialforscher im eigenen Haus wenden. Bislang war das DBM vor allem bei der Untersuchung anorganischer Materialien stark aufgestellt, zum Beispiel von Metallen, Gestein, Keramik oder Glas. Seit Februar nimmt die Chemikerin Elena Gómez Sánchez verstärkt organische Materialien wie Kunststoffe in den Blick. Zurzeit untersuchen Gómez und ihre Kollegen Dutzende von Bergmannschuhen, deren Sohlen aus Polyurethan sich in den unterschiedlichsten Stadien des Verfalls befinden. „Wir verstehen noch nicht, warum die eine Sohle zerbröckelt, die andere weich und klebrig wird und wieder andere völlig in Ordnung sind“, sagt Gómez. Mithilfe der Infrarotspektroskopie bestimmt sie die chemische Zusammensetzung der

Sohlen und welche Weichmacher, Pigmente oder Kleber verwendet wurden. Sie kann auch feststellen, unter welchen Bedingungen sich die Stoffe chemisch verändern, zum Beispiel durch Licht, Wärme oder Sauerstoff. Im besten Fall führen die Erkenntnisse der Materialforschung Restaurator Steffen Seidel zu einer Methode, wie er Kunststoffobjekte vor dem weiteren Verfall schützen kann. Im Fall des Taucheranzugs plant das DBM, das spröde Gummi vorsichtig ein letztes Mal zu erweichen und so auf eine Stützkonstruktion aufzubringen, dass der Anzug in seiner ursprünglichen Form erhärten kann. Er könnte dann ausgestellt, aber auch ohne weitere Schäden transportiert und gelagert werden. „Damit greifen wir zwar ein, aber wir verändern das Objekt materialtechnisch nur geringfügig“, sagt Stefan Brüggerhoff, Direktor des DBM. Er ist Sprecher des Netzwerks Restaurierung und Konservierung im LeibnizForschungsverbund „Historische Authentizität“. Dort werde zurzeit intensiv über Standards für solche Eingriffe diskutiert. „In der bildenden Kunst ist das Interpretieren des Objekts durch

die Restaurierung schon fast ein Sakrileg. Bei archäologischen Funden hingegen ist das Freilegen bestimmter Oberflächen ein entscheidender Punkt, um ein Objekt überhaupt interpretierbar zu machen.“ Erst die Materialforscher können den Historikern oft entscheidende Hinweise geben.

Accessoire der Merowinger-Mode

Das ist auch bei Susanne Greiff so. Sie ist Spezialistin für Granate am Römisch-Germanischen Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie (RGZM) in Mainz. Die roten Edelsteine waren im frühen Mittelalter extrem populär. „In der Merowingerzeit waren Schmuckstücke regelrecht zugepflastert mit hauchdünnen Granatplättchen“, sagt die Leiterin des Kompetenzbereichs „Naturwissenschaftliche Archäologie“ und des Archäometrielabors am RGZM. Bis heute sei nicht völlig geklärt, wie die Handwerker aus größeren Granatstücken diese nur 0,3 Millimeter dünnen Scheibchen fabrizieren konnten, ohne den Stein zu zerstören. „Nur wenn der Granat eine sehr gute Qualität hat, kann man ihn mit ei-

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nem härteren Material, zum Beispiel Korund, auf diese Dicke herunterschleifen und auch noch auf brillanten Hochglanz polieren.“ Mithilfe der Mikro-Röntgenfluoreszenz-Analyse untersucht Greiff die chemische Zusammensetzung der verwendeten Granate. Dank der großen Referenzdatenbank am RGZM kann sie Steine, deren Herkunft bis jetzt noch unbekannt war, durch Materialvergleiche genauer zuordnen. Greiffs Analysen haben ergeben, dass Granate der benötigten Qualität aus Sri Lanka und Indien importiert wurden, womöglich als bereits hauchdünn geschliffene und polierte Vorstufen für die Goldschmiede in Mitteleuropa. Anfang des 7. Jahrhunderts wandelte sich der Stil der Schmuckstücke abrupt. Nun wurden vor allem Granate aus Böhmen verwendet. Sie waren von minderer Qualität und ließen sich nicht so filigran verarbeiten. „Wir nennen es ‚das verflixte 7. Jahrhundert‘“, sagt Greiff, „und versuchen zu verstehen, warum es zu einer Veränderung des Edelsteinhandels kam.“ Bisher nahm man an, dass das Aufkommen des Islams die Handelswege im Nahen Osten unterbrach. Greiff und ihr Team untersuchten jedoch Schmuck aus den Nachbarländern der Merowinger. „In Großbritannien, Skandinavien und Ungarn blüht der Stil mit den filigranen Plättchen in dieser Zeit sogar auf, und die Granate stammen weiterhin aus den alten Lagerstätten in Indien und Sri Lanka.“ Es muss also andere Gründe gegeben haben, warum ausgerechnet die Merowinger plötzlich auf dem Trockenen saßen.

Richtige Fragen stellen

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Fragestellungen wie die nach den Gründen für den Stilwandel des Merowinger-Schmucks entwickeln Kuratoren, Restauratoren und Materialforscher in den Forschungsmuseen gemeinsam. Dabei ist die Formulierung der richtigen Frage oft schon die erste Hürde. Ein Restaurator muss verstehen, was Material-

wissenschaftler ihm zu seinem Objekt sagen können. Und er muss das technische Ergebnis wieder zurück auf seine eigene Fragestellung übersetzen. Elena Gómez Sánchez vom DBM nennt ein Beispiel: „Die Frage ‚Ist das Objekt echt?‘ kann ein Chemiker nicht beantworten. Aber wenn es ein Material gibt, das zur Entstehungszeit des Objekts noch nicht bekannt war, dann können wir daraufhin testen.“ Diese Übersetzungsleistung, sagt DBM-Direktor Stefan Brüggerhoff, stelle an alle Seiten höhere Anforderungen als früher. Für Techniker sei es manchmal unverständlich, dass Restauratoren neue Verfahren nicht sofort anwenden. Doch Museen hätten immer wieder die Erfahrung gemacht, dass vermeintliche Verbesserungen nach fünfzig Jahren schlimme Effekte haben. „Jede Generation versucht, ein Optimum für die Erhaltung der Objekte zu finden“, sagt Brüggerhoff. „Was unsere Nachfolger über unsere Arbeit sagen werden, wissen wir nicht.“ Während vergleichsweise neue Materialien wie Kunststoffe für die Forschung auch neue Probleme aufwerfen, weil Erfahrungswerte fehlen, wie und warum sie altern, stellen manche Stoffe Restauratoren seit Jahrhunderten vor dieselben Probleme.

Haarlack als Konservierungsmittel

Eisen zum Beispiel rostet. Von dieser Banalität bleibt auch ein ehemaliger Himmelskörper nicht verschont. „Bei der Konservierung von Eisenmeteoriten ist über die Jahrhunderte viel rumexperimentiert worden. Viele hat man einfach mit Haarlack eingesprüht. Der wird irgendwann spröde, und dann sieht es noch hässlicher aus, als wenn der Meteorit normal verrostet wäre“, fasst Ansgar Greshake vom Berliner Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutionsund Biodiversitätsforschung (MfN) die Versuche seiner Vorgänger zusammen, Korrosion zu verhindern.

Aktuell hat Greshake, der am MfN die mineralogische Präparation leitet und Kustos der Meteoritensammlung ist, einen Kompromiss gefunden. Ein Präparator hat für das MfN alle Eisenmeteoriten im Vakuum mit organischen Lösungsmitteln ent­rostet. Anschließend tränkte er die Gesteine in Wachs. „Wir lagern die Meteoriten mit Silikagel trocken. Bislang hält es“, sagt Greshake. Allerdings müsse dem Präparator bewusst sein, dass er zusammen mit dem Rost womöglich auch das Besondere von alten Meteoriten entfernt. „Die Wittmannstätten-Struktur, ein typisches Streifenmuster, das bei der Ätzung mit Salpetersäure entsteht und wichtig ist für die Klassifizierung des Eisens als außerirdisch, verschwindet dabei meistens auch.“ Bei Meteoriten, die bereits sehr lange korrodiert seien, habe die Entrostung allerdings genau das Gegenteil bewirkt und das Muster geradezu dreidimensional herauspräpariert. Hier fällt die Konservierung der Objekte glücklich zusammen mit dem Wunsch der Ausstellungsmacher, die Spuren früherer Wissenschaftler sichtbar zu machen, die vor rund 200 Jahren mit der Salpetersäure-Ätzung erstmals das Material von Meteoriten analysierten. Materialwissenschaftler und Restauratoren im Museum forschen auch immer an der Geschichte der eigenen Fachdiszi­ plin. Ihre Arbeit legt die Versuche ihrer Vorgänger frei, das Material zu formen, zu verschönern oder haltbar zu machen. Die Entscheidung, wie die Objektgeschichte später dem Museumsbesucher erzählt werden soll, ist eine wesentliche, sagt Stefan Brüggerhoff vom Deutschen Bergbau-Museum: „Wir betreiben teilweise hochkomplexe Materialforschung, um Dinge zu erklären, die vor 5.000 Jahren mit einem Objekt geschehen sind.“ Ob ein Exponat dem Besucher schön erscheint oder fleckig: All das habe Ursachen, Gründe und eine Vielzahl von Argumentationsketten. „Am Ende ist es das, was die Freude an den Objekten ausmacht.“ S T E FA N I E H A R D I C K

Foto: Senckenberg

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Außerirdische in der Schublade

... beherbergt die ­Meteoritensammlung des Senckenberg Forschungsinstituts in Frankfurt am Main. Hier entnimmt ­Jutta Zipfel, Leiterin der Sektion Meteoritenforschung, einen Eisenmeteorit. Die etwa 1.900 Meteorite umfassende Sammlung hilft, eine Vielzahl von Forschungsfragen zu beantworten: Wie und wann entstand feste Materie in unserem Sonnensystem? Wie und aus welchem Material haben sich die Asteroiden gebildet? Wie entstanden daraus die Erde und die anderen terrestrischen Planeten? Dabei bedienen sich die Forscher unterschiedlicher Methoden der Mikroskopie, mi­ neralchemischen Untersuchungen mit der Elektronmikrosonde oder Analysenmethoden zur chemischen und isotopenchemischen Zusammensetzung. Ihren persönlichen Asteroiden hat Jutta Zipfel, obwohl der nicht Bestandteil der Sammlung ist: 2006 benannte die Internationale Astronomische Union den Asteroiden (7565) Zipfel aus dem Hauptgürtel zwischen den Planetenbahnen von Mars und Jupiter in Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen nach ihr.

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Säure frisst Felle

... und ist damit ein großer „Schädling“ an Sammlungsobjekten in Museen. Im Museum für Naturkunde Berlin - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung sind vor allem Felle und Häute der Säugetiersammlung betroffen. Die eigentlich reißfesten Häute werden durch die Säuren im Laufe der Zeit brüchig und zerreißen leicht wie Papier. Etwa 80 Prozent der Felle, also etwa 24.000 Sammlungsobjekte, sind vom Zerfall betroffen. Um eine weitere säurebedingte Zerstörung zu verhindern, forschen Wissenschaftler und Sammlungsmitarbeiter des Museums an den genauen Zerfallsprozessen. Die ersten Schritte sind vor allem die Bestandsaufnahme und die Zustandsüberprüfung der Felle. Zusätzlich findet ein Wissensaustausch zwischen Sammlungen anderer naturhistorischer Museen, Präparatoren, Gerbereien oder dem Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig statt. Neben modernen Entsäuerungsverfahren forscht das Museum auch an verbesserten Lagerungsbedingungen in den Sammlungen. Die Zerfallsproblematik ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, England oder der Schweiz ein Forschungsthema, das aber bisher noch in den Kinderschuhen steckt.

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Foto: Hwa Ja Goetz/MfN

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Erhellendes im Dunkeln

... fördern Forscher am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg mit der UVFluoreszenzanalyse zu Tage. Mit ihrer Hilfe werden unterschiedliche Materialien auf der Malschicht und den Überzügen von Gemälden sichtbar und entlarven Retuschen und nachträgliche Übermalungen. In einem Forschungsprojekt zur Tafelmalerei, das über den Leibniz-Wettbewerb gefördert wird, untersuchen Kunsthistoriker und Kunsttechnologen die bedeutende Sammlung des Leibniz-Forschungsmuseums deutscher Tafelmalerei des 13. bis 15. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich überwiegend um Gemälde auf Holz, die in religiösem Kontext entstanden sind, wie etwa Altartafeln. Neben der UV-Fluoreszenzanalyse nutzen die Forscher weitere Methoden zur Materialanalyse. Die Dendrochronologie gibt Aufschluss über Holzarten und -alter der Tafeln und erleichtert so die Datierung und Zuschreibung der Kunstwerke. Mit der digitalen Infrarotreflektografie lassen sich Vor- und Unterzeichnungen sichtbar machen. So erkennen die Wissenschaftler, ob ein Künstler lange an einem Entwurf feilte, oder ob alles schnell und aus einem Guss entstand. Dieses Verfahren ist auch bei der Identifizierung potenzieller Fälschungen wichtig. Denn wenn jemand ein bereits existierendes Motiv kopiert, braucht er nicht an einem Entwurf zu feilen.

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Foto: GNM

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Experimentierfeld Gesundheit Materialforschung spielt auch in der ­Medizin eine wichtige Rolle. Dabei geht es nicht nur darum, neue Werkstoffe für medizinische Anwendungen zu entwickeln, wie etwa chirur­gisches Nahtmaterial, das sich nach einer Weile von selbst im Körper auflöst; oder Minisen­soren, die Erkrankungen im Gehirn schonender, genauer und günstiger diagnostizieren. Gesundheitsbezogene Material­ forschung hilft auch, negative Einflüsse aufzuspüren und abzubauen, die etwa durch Ausdünstungen von Baumaterialien oder durch ­Medikamentenrückstände im Wasser ent­stehen. Vier B ­ eispiele aus vier Leibniz-Instituten.

Ingenieur Klaus-Dieter Menzel begutachtet eine Probe der Bakterienkultur, die Biokunststoff bildet.

Der selbstzerstörerische Faden

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Die Magenoperation hat Stunden gedauert, am Ende musste der Chirurg die Wunde nähen. Die Heilung wird sich noch über Wochen hinziehen, doch über das Ziehen der Fäden muss sich der Patient keine Sorgen ma-

chen: Sie werden sich nach und nach vollständig auflösen. „Die Bruchstücke, die beim Abbau unseres chirurgischen Nahtmaterials entstehen, kommen auch im menschlichen Körper vor, so dass Abwehrreaktionen oder Entzün-

dungen im Bereich der Wundheilung ausbleiben“, erklärt Martin Roth vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans Knöll-Institut (HKI) in Jena. In Kooperation mit einem US-amerikanischen Unter-

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nehmen hat Roths Team ein biotechnologisches Verfahren entwickelt, mit dem der Biokunststoff Polyhydroxybutyrat gewonnen wird. Dafür haben die Forscher das Darmbakterium Escherichia coli so umprogrammiert, dass es die Substanz synthetisiert und in den Zellen speichert. Die Wissenschaftler zapfen diesen Speicher gewissermaßen an und stellen anschließend aus dem Rohstoff über viele verschiedene Schritte den Biokunststoff her. Neben dem vollständigen Abbau sind es vor allem die hervorragenden physikalischen Eigenschaften des Biopolymers, die immer mehr Chirurgen überzeugen: Es ist reißfest, lässt sich gut verarbeiten und ist dabei elastisch. „Wenn beispielsweise ein Patient, der am Bauch ope-

riert worden ist, hustet, besteht bei einem weniger elastischen Nahtmaterial die Gefahr, dass die Wundränder einreißen und Komplikationen auftreten“, erläutert Martin Roth. Längst wird der Biokunststoff auch für andere medizinische Zwecke eingesetzt. So lassen sich einzelne Fäden in unterschiedlicher Stärke oder ganze chirurgische Netze für Bruchoperationen herstellen. Auch Folien für Wundab­deckungen oder die plastische Chirurgie sind inzwischen im Einsatz. Für jede neue Anwendung ist das Know-how der HKI-Wissenschaftler gefragt, denn sie müssen das Bioverfahren mit den Darmbakterien jeweils anpassen: „Mal muss das Molekulargewicht des Rohstoffes niedriger ausfallen, mal höher“,

erklärt Roth. Auch die Ausbeute wird weiter optimiert. Künftig wollen der amerikanische Kooperationspartner und Roths Team den Fokus auf andere Polyhydroxyalkanoate ausweiten: „Es ist eine große Familie interessanter Biopolymere mit unterschiedlichen Eigenschaften, die vielfältige Anwendungen ermöglichen. Denkbar sind resorbierbare Stents oder implantierbare Freisetzungssysteme von Arzneistoffen“, sagt Roth. Das Verfahren der Jenaer Forscher spiegelt eindrucksvoll die oberste Maxime der Leibniz-Gemeinschaft wider: „Theoria cum praxi“ – Wissenschaft zum Wohl und Nutzen des Menschen.

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Der besondere Dreh

Fotos: HKI/Kasper; IFW Dresden

Auch als Wundverband für Nervenfasern lassen sich die Mikroröhrchen aus Dresden einsetzen.

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Hirnströme zu messen und grafisch aufzuzeichnen, ist notwendig, um neurologische Erkrankungen wie Epilepsie zu diagnostizieren. Hierfür werden heute zum Beispiel Magnetoenzephalographie (MEG) oder

Elektroenzephalografie (EEG) genutzt. Der Nachteil dieser Verfahren: Sie sind entweder teuer, aufwändig oder nicht besonders genau. Eine Entwicklung von Forschern des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoff-

forschung (IFW) könnte die Hirnstrommessung nun revolutionieren: ultradünne, biegsame Schichten, die sich selbst zu Röhrchen aufrollen. „Wir beschäftigen uns schon lange mit diesen neuartigen

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Röhrchen“, sagt Oliver G. Schmidt, Direktor des Instituts für Integrative Nanowissenschaften am IFW Dresden. „Als wir merkten, dass sich mit ihnen kleine Magnetfelder messen lassen, lag eine mögliche Anwendung in der neurologischen Diagnose nahe.“ Für die neuartigen MiniMagnetsensoren werden flexible Polymer- mit verschiedenen metallischen beziehungsweise magnetischen Dünnschichten intelligent miteinander verbunden. Es entstehen Röhrchen von etwa einem Millimeter Länge entstehen. In ihnen bildet sich eine radiale Magnetisierung aus, die eine besondere Eigenschaft aufweist, den so genannten GMI-Effekt („Giant Magneto Impedance“). Er bewirkt, dass sich der Wechselstromwiderstand eines ferromagnetischen

Leiters oder Schichtsystems wie dem Sensor unter dem Einfluss eines externen Magnetfelds vergleichsweise stark ändert. Gehirnströme erzeugen winzige Magnetfeldänderungen, die mithilfe dieses Effekts gemessen werden können. „Unsere Entwicklung hat ­gegenüber heutigen Messmethoden mehrere Vorteile: Aus den Mini-Röhren lassen sich kostengünstigere Messgeräte entwickeln, denn sie müssen nicht mit Helium gekühlt werden, wie herkömmliche MEGGeräte, und sie sind voll integrierbar: Alle Röhrchen sind fertige Sensoren, die parallel und in hoher Stückzahl in neuartige Messgeräte eingebaut werden können, zum Beispiel in ein mobil einsetzbares Gerät oder in einen Großflächensensor, der über den gesamten Kopf

gestülpt werden kann“, sagt ­Oliver G. Schmidt. Der größte Vorteil der neuen Sensoren liege jedoch darin, dass sie die Möglichkeit einer deutlich verbesserten Diagnose bieten, indem sie Ergebnisse mit besonders hoher Ortsauflösung liefern: Sie sind klein, lassen sich viel näher am Kopf platzieren und empfangen deswegen deutlich stärkere und genauer zu lokalisierende Signale. Und die am IFW entwickelten flexiblen Mikroröhren können noch mehr, wie zwei weitere aktuelle Arbeiten Schmidts und seines Teams zeigen. Als Wundverbände unterstützen die Röhrchen den Heilungsprozess defekter Nervenzellen, als Mini-Antennen geben sie Auskunft über den Fortschritt der Wundheilung, zum Beispiel in einem Zahn. W I E B K E P E T E R S

Ausdünstungen vieler Materialien sind potentiell gesundheitsschädlich.

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Einladend sieht das PassivHolzhaus aus: In allen Räumen liegt Holzfußboden, urige Balken sorgen für rustikale Gemütlichkeit, und auch die Inneneinrichtung ist aus Massivholz. Was nach gesundem Wohnen klingt, nehmen Dortmunder

Wissenschaftler vom LeibnizInstitut für Arbeitsforschung nun in einem Verbundprojekt genauer unter die Lupe, oder besser gesagt: unter die Nase. Denn energetisch optimierte Gebäude können Probleme verursachen, die bislang noch nicht

wissenschaftlich berücksichtigt wurden. Holz, so beliebt es auch als nachwachsender Roh- und Baustoff ist, dünstet über einen langen Zeitraum Terpene und Aldehyde aus. „Das sind flüchtige Chemikalien, die toxische Effekte auslösen können, zum

Fotos: Fotolia/Piotr Marcinski; Fotolia/arsdigital

Der latente Gestank

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Natur mit Nebenwirkungen. Auch Holz kann gesundheitsschädliche Ausdünstungen abgeben.

Beispiel häufiges Niesen oder Augenjucken“, erklärt Christoph van Thriel, der die Forschungsgruppe „Neurotoxikologie und Chemosensorik“ leitet. Wer regelmäßig lüftet, muss sich kaum Sorgen machen, denn die flüchtigen Substanzen dünsten sofort aus. Doch in Niedrigener-

gie-Holzhäusern mit geringer Lüftung kann es zu einer Anhäufung von Emissionen kommen. „In unserem Projekt, das voraussichtlich 2016 startet, interessieren uns vor allem diese erhöhten Holzemissionen“, so van Thriel. Schließlich verbringen die Bewohner viel Zeit in

den Räumen, kochen, essen und schlafen dort. Studien zu einer Gesamtbelastung existieren aktuell noch nicht. Anders sieht es bei ­Gerüchen am Arbeitsplatz aus. Sie sind Gegenstand vieler Studien, an denen auch van Thriels Forschungsgruppe beteiligt ist. Gerüche werden von flüchtigen Chemikalien verursacht, die wir mit der Luft einatmen. Ammoniak in der Landwirtschaft kann reizend wirken, oder Lösungsmittel wie Ethylacetat, das sehr häufig in Klebstoffen enthalten ist. Der Gesetzgeber bemüht sich daher, Grenzwerte für chemische Arbeitsstoffe zu finden, die Belästigungen durch intensive oder ekelerregende Gerüche berücksichtigen. Doch wo genau lässt sich die Grenze ziehen? In den Riechkammern des Instituts wird die sensorische und toxische Wirkung von Arbeitsstoffen realitätsnah an Versuchspersonen getestet. Gruppenleiter Christoph van Thriel: „Unsere Studien dokumentieren, dass bei bestimmten festgelegten Konzentrationen, die wir im Labor experimentell erzeugen, solche Effekte nicht auftreten. Dass die Menschen den Stoff zwar riechen, aber sich nicht unangemessen belästigt fühlen.“

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Lebenswissenschaftliche Literatur einfach finden? 4/2015

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Die tägliche Dosis

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Am Neujahrsmorgen nehmen wir ein Mittel gegen den Silvester-Kopfschmerz, der Hausarzt verschreibt auf Verdacht ein Antibiotikum, die abgelaufenen Tabletten aus der Hausapotheke landen in der Toilettenschüssel, und um die Familienplanung zu kontrollieren, schlucken Frauen Hormone. Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 8.100 Tonnen Arzneimittel verwendet, die potenzielle Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dabei handelt es sich um circa 1.500 unterschiedliche Wirkstoffe. Hinzu kommen Präparate, die in der Tierhaltung eingesetzt werden. Allein an antibiotischen Wirkstoffen sind das pro Jahr mehr als 1.700 Tonnen. Medikamente helfen uns gegen Krankheiten, aber sie werden zunehmend selbst zum Problem, weil sie unkontrolliert in die Umwelt gelangen. So finden Wissenschaftler eine wachsende Menge von Arzneimittelrück-

ständen in unserem Wasser. Alles, was wir Menschen zu uns nehmen und Tieren verabreichen, wandert durch den Körper, landet früher oder später im Urin und damit im Wasserkreislauf. Denn der Körper kann viele Medikamente nicht vollständig verwerten. Bei Antibiotika werden 70 Prozent der Wirkstoffe wieder ausgeschieden.

Die Pille wirkt — leider auch bei Fröschen

Bei einigen Medikamenten sind es sogar noch mehr und das aus einem sehr plausiblen Grund: „Tabletten müssen auf der Reise durch den Magen-Darm-Trakt Säure und Enzyme überstehen, bis sie an dem Ort ankommen, an dem sie ihre Wirkung entfalten können“, erklärt Agnes Schulze vom Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung in Leipzig (IOM). „Darum werden

sie so stabil hergestellt, dass sie leider auch nahezu unverändert wieder ausgeschieden und durch übliche Abbaumechanismen in Kläranlagen nicht zerstört werden.“ Die gängigen Kläranlagen sind bei diesen Spurenstoffen machtlos. Diese sind zu robust und zu klein. Wissenschaftliche Belege für dieses Problem gibt es bereits zahlreich. Frauke Hoffmann vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei hat zum Beispiel zeigen können, dass der Hauptwirkstoff der Anti-Babypille das Sexualverhalten von Fröschen beeinflusst. Die Männchen verändern ihre Balzlaute so stark, dass die Weibchen die Paarung verweigern. Das liefert eine Erklärung für das weltweite Schrumpfen von Amphibienpopulationen. Und beim Menschen? Das weiß keiner so genau. Bisher geht die Forschung davon aus,

Fotos: Fotolia/Heiko Küverling und Fotolia/Andrzej Tokarski, M: Unicom; Wikimedia Commons/Ben Rschr (CC BY-SA 3.0)

Unsichtbarer Medikamenten-Cocktail: Ausgeschiedene Wirkstoffe landen zunehmend in der Natur, da Kläranlagen sie bislang kaum aus dem Abwasser filtern können. bub

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dass die Konzentration an Wirkstoffen im Wasser zu gering ist. Um unserem Körper zu schaden, müssten wir in kurzer Zeit mehrere Tausend Liter Wasser trinken. Dennoch kann niemand vorhersagen, welche Wechselwirkungen einzelner Stoffe im Wasser entstehen können oder was die Langzeitwirkung der Belastung ist. Es gibt Ansätze, das Problem von unterschiedlichen Seiten zu bekämpfen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft will verhindern, dass unnötig viele Arzneimittel über das Abwassersystem in den Wasserkreislauf gelangen. Mit dem Motto „No Klo“ machen sie darauf aufmerksam, dass Medikamente auf keinen Fall in der Toilette oder dem Ausguss entsorgt werden sollen. Sie gehören in den Restmüll, in die Schadstoffsammelstelle oder zurück in die Apotheke. Der Bundesverband setzt sich daher für die Wiedereinführung eines verpflichtenden Rücknahmesystems in Apotheken ein – wie es bis 2009 in Deutschland existiert hat. Doch die meisten Spurenstoffe im Wasser haben den Weg durch den Körper genommen. Was passiert also, wenn die Arzneistoffe erst im Abwasser sind? Die Arbeitsgruppe um Agnes

Schulze hat zwei Materialien kombiniert, um das Problem in den Kläranlagen zu lösen: nanostrukturiertes Titandioxid (TiO2) auf einer Membran. Während das Wasser durch die Membran fließt, filtern deren feine Poren Verschmutzungen, aber auch Viren und Bakterien heraus. Das eigentliche Problem sind die Spurenelemente der Arzneimittel, weil sie zu klein sind, um physikalisch mit Mikro- oder Ultrafiltrationsmembranen gefiltert zu werden. Hier kommt das Titandioxid ins Spiel. Bestrahlt man kristallines Titandioxid mit UV-Licht, wird es photokatalytisch aktiv. Das heißt, es bildet Radikale und baut alles ab, was organisch ist. „Das bedeutet auch, man muss gar nicht wissen, welche Stoffe das Wasser belasten“, erklärt Schulze. So werden sowohl Hormonpräparate als auch Krebsmedikamente oder Schmerzmittel zersetzt, ohne dass man zunächst analysieren müsste, mit welchen Stoffen oder mit welchen Konzentrationen man es zu tun hat.“ Und das ohne weiteres Gift: TiO2-Nanopartikel sollten zwar nicht einfach in die Umwelt gelangen, da sie dort negative Effekte haben können. Aber das am IOM hergestellte System ist so konzipiert, dass die Nanostrukturen fest an der

Membran gebunden sind und somit ihrerseits in die Umwelt freigesetzt werden. Als Weißpigment wird Titandioxid auch in Kosmetika wie Sonnenmilch oder in Kaugummi eingesetzt. Die Leipziger Wissenschaftler arbeiten bereits mit Unternehmen zusammen, die Interesse an der Technologie haben. Denn sauberes Trinkwasser ist nicht nur ein Menschenrecht. Mit dem Wachsen von Ballungsräumen und veränderten EUVorschriften wird die Investi­ tion in sauberes Trinkwasser nun auch wirtschaftlich in­ teressant.

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Sparsamer speichern Maschinen sollen künftig miteinander kommunizieren und ­ ­Daten aus der Umwelt erfassen. Dazu wird kleine und vor allem ­energiesparende Mikroelektronik benötigt. Solche Komponenten entwickeln ­ ­ Forscher am Leibniz-Institut für innovative Mikro­ elektronik in Frankfurt (Oder).

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Foto: IHP

Mit einer Molekularstrahl-EpitaxieAnlage dampft Gang Niu Werkstoffe sehr präzise in feinen Schichten auf eine Oberfläche auf.

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Unsere Welt vernetzt sich immer mehr. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ sollen Maschinen schon in naher Zukunft miteinander, mit dem Internet oder mit einer Leitzentrale aktuelle Produktionsdaten austauschen. Wälder können dann selbstständig einen Notruf aussenden, sobald ein Waldbrand ausbricht. Und Ackerböden würden dem Landwirt über Funk mitteilen, wenn es an Dünger oder Wasser mangelt. Voraussetzung für eine solche umfassende Vernetzung sind kleine autonom arbeitende Sensoren, sogenannte drahtlose Sensorknoten, die ihre Umwelt vermessen und Daten über eine Funkverbindung an eine Zentra­

le schicken. Viele Einsatzgebiete sind denkbar, doch wird diese Zukunftsvision erst dann Realität, wenn es gelingt, die heutigen Sensorknoten kleiner und vor allem energiesparender zu betreiben. Wissenschaftler vom IHP – Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik in Frankfurt (Oder) entwickeln zu diesem Zweck besonders effiziente mikro- und nanoelektronische Bauteile. „Nur auf Basis solcher Technologien können wir künftig ausreichend effiziente Sensorknoten herstellen“, sagt Thomas Schröder, Leiter der Abteilung Materialforschung. „Welcher Landwirt hätte schon die Zeit, bei Dutzenden von Sensoren, die im Acker ver-

streut sind, die Batterien auszuwechseln.“

Stromfresser Datenspeicherung

Zum hohen Energieverbrauch mikroelektronischer Komponenten trägt vor allem die Datenspeicherung bei. So wird relativ viel Strom benötigt, um Informationen in das Speichermedium zu schreiben, abzurufen oder wieder zu löschen. Jeder, der heute eine Digitalkamera benutzt, kennt solche Speicher; SD-Karten etwa, in denen ein sogenannter Flash-Speicher zum Einsatz kommt. Darauf lassen sich nahezu unbegrenzt große

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Mindesthaltbarkeit zehn Jahre

Forscher im Reinraum des IHP.

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„Wie gut ein solcher RRAM arbeitet, hängt ganz besonders von den chemischen und physikalischen Eigenschaften des Speichermaterials ab“, sagt der IHP-Material-

wissenschaftler Gang Niu. Wie viele andere Forscher weltweit setzt er seit fünf Jahren als RRAMSpeichermaterial vor allem Hafniumoxid ein, eine Verbindung aus dem Metall Hafnium und Sauerstoff. Diese ändert leicht ihren elektrischen Widerstand. „Doch hängt es sehr von der Zusammensetzung des Materials ab, wie gut der Speicher funktioniert.“ Niu verfolgt zusammen mit seinen Kollegen mehrere Ziele. Erstens soll der Speicher energiesparend arbeiten. Zweitens soll das Material viele Schaltzyklen ertragen können, also möglichst oft zwischen leitend und nichtleitend wechseln können, ohne dass das Hafniumoxid ermüdet und der Speicher versagt. „Zehn Jahre muss ein solcher Speicher mindestens halten“, sagt Niu. Und drittens soll die Information in dem nur wenige Mikrometer kleinen Bauteil sehr dicht gespeichert werden können, damit darauf viele Daten Platz finden. Niu greift bei seiner Forschung auf imposante Technik zurück. Um etwa die optimale Hafniumoxid-Mischung zu finden, hat er in Kooperation mit Forschern der Technischen Universität Darmstadt eine sogenannte Molekularstrahl-Epitaxie-Anlage (kurz MBE-Anlage) genutzt. Ein Werkstoff wird in einer Vakuumkammer der MBEAnlage sehr präzise in feinen Schichten auf eine Oberfläche aufgedampft. „Für gewöhnlich dampft man gleich ganze Hafniumoxid-Moleküle auf“, sagt Niu. „Wir hingegen haben Hafnium und Sauerstoff separat in die Kammer gegeben. Damit konnten wir das Wachstum der Hafniumoxid-Schicht sehr viel besser steuern.“ So weiß Gang

Niu, dass Hafniumoxid-Schichten dann besonders leistungsfähig sind, wenn in ihnen ein gewisser Mangel an Sauerstoffatomen herrscht. Mit der Darmstädter Anlage ließen sich die Hafniumund Sauerstoffatome entsprechend dosieren.

Atomgenau durchleuchtet

Lange hatten Wissenschaftler die chemisch-physikalischen Vorgänge in Hafniumoxid-Schichten nicht wirklich verstanden. „Uns war klar, dass wir nur dann eine perfekte Schicht erschaffen können, wenn wir ins Material hineinschauen“, sagt Niu. „Wir wollten herausfinden, wie die Struktur aussieht, wenn das Material leitet und wenn es nicht leitet.“ Um das Rätsel zu lösen, hat Gang Niu seine Materialproben in den modernsten Synchrotronstrahlungsanlagen Europas, bei PETRA III am Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) in Hamburg sowie in der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble untersucht. In Synchrotronanlagen werden Teilchen so stark beschleunigt, dass sie stark fokussierte Röntgenstrahlung, die Synchrotronstrahlung, abgeben. Diese eignet sich, um Materialien atomgenau zu durchleuchten – zum Beispiel Hafniumoxid. Die Informationen, die Niu in der ESRF gewinnen konnte, waren Gold wert: „Denn erst dadurch konnten wir den Zustand der Hafniumatome genau untersuchen und die Produktion der Schichten anpassen.“ Damit in der RRAM-Speicherschicht nebeneinander viele Einsen und Nullen gespeichert

Fotos: IHP (3)

Mengen von Bild- oder Tondateien aufbewahren. Für Smartphones oder Digitalkameras, die man regelmäßig aufladen kann, sind sie ideal. Doch für die künftigen autonomen Mikrosensoren wäre der Energieverbrauch der Flash-Speicher zu hoch. Am IHP wird eine neue Technologie entwickelt, die seit etwa fünf Jahren weltweit als vielversprechende Speicheralternative diskutiert wird – die RRAM-Technologie (Resistive Random Access Memory), an der heute auch viele Elektronikkonzerne arbeiten. Der Begriff RAM ist bereits seit vielen Jahren aus der Computersprache bekannt. So wird der Speicher eines PCs als RAM bezeichnet, in dem Informationen in Form von Nullen und Einsen gespeichert sind. Die RRAMTechnologie speichert die Nullen und Einsen jedoch auf eine besondere Weise: Durch einen kurzen elektrischen Spannungspuls wird das Speichermaterial auf kleinem Raum so verändert, dass sich an dieser Stelle der elektrische Widerstand des Materials verändert. Eine Eins liegt vor, wenn das Material an diesem Punkt nicht mehr leitet, eine Null, wenn das Material leitet.

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werden können, dürfen die benachbarten leitenden und nicht leitenden Bereiche nur wenige Nanometer (Milliardstel Meter) groß sein. Das Material muss entsprechend präzise mit Spannungspulsen versorgt werden, damit sich der Widerstand punktgenau ändert. Auch das ist Gang Niu und seinen Kollegen gelungen. So haben die Forscher eine nur drei Nanometer breite Siliziumspitze mit Metallkappe gefertigt, die die Spannungspulse exakt aufträgt.

Alles unter einem Dach

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Die Materialwissenschaftler um Thomas Schröder und Gang Niu arbeiten im IHP Tür an Tür mit den Kollegen der Abteilung „Technologie“. „Uns steht ein 1.000 Quadratmeter großer

Reinraum zur Verfügung, in dem wir die neu entwickelten Materialien unter professionellen Reinraumbedingungen testen und validieren können“, sagt Thomas Schröder. „Damit haben wir ganz andere Möglichkeiten einer statistischen Bewertung von Speichermodulen als zum Beispiel viele Materialwissenschaftler an den Universitäten.“ Schließlich entwickeln die Kollegen in der Abteilung „Technologie“ neben der Fertigung im Reinraum auch die Module, und die Abteilung „System Design“ arbeitet an spezifischen Fehleralgorithmen, um RRAM-Speichermodule resistent gegen Fehler in der Hardware beziehungsweise gegen externe Störung zu machen. Schröder: „Damit vereinen wir unter einem Dach die ganze Innovationskette von der grundlegenden Materialwissenschaft über Technologie und Schaltkreise bis hin zu

Modulen, um das Gesamtsystem besser zu verstehen und den Bau von Prototypen zu ermöglichen.“ Inwieweit die RRAM-Technologie den Flash-Speicher ablösen wird, kann derzeit niemand sagen. „Wo immer aber langlebige und sparsame Mikrospeicher gefragt sind, könnten sich RRAMs künftig als Alternative durchsetzen“, sagt Schröder. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie sogar als robuster Speicher für Weltraum­ anwendungen in Frage kommen.“

TransmissionsElektronenAufnahme einer RRAM-Speicherzelle.

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Selbstheilung auf der Felge Dresdner Forscher haben einen besonderen Gummi entwickelt. In einigen Jahren könnten sich Autoreifen damit selbst reparieren.

Der Anblick ist faszinierend: Amit Das schnappt sich eine Schere und schneidet – schnippschnapp – einen Gummistreifen durch. Wie ein Zauberer auf der Bühne zeigt der aus Indien stammende Chemiker in seinem

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Labor demonstrativ die zerteilten Enden und legt sie dann wieder zueinander. Wie Magie wirkt dann auch sein zweites Experiment Stunden später: Der Streifen ist wieder zusammengewachsen, ohne Leim oder an-

dere Hilfsmittel, ganz von selbst. Und so sehr er auch die Schraubstöcke von beiden Seiten ziehen lässt: Das verheilte Stückchen Gummi dehnt und dehnt sich – als ob es niemals zerschnitten worden sei.

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Diese Selbstheilungseffekte hat der 44-jährige Forscher zusammen mit Chemikern aus dem Institut für Makromolekulare Chemie am Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden (IPF) ausgetüftelt und dem Gummi durch besondere Zusätze eingeimpft. Sie bilden an den Polymerketten im Gummi besondere Vernetzungsstellen, die man sich wie Minikugeln vorstellen kann. Amit Das und sein Chef, Gert Heinrich, Leiter des Instituts für Polymerwerkstoffe am IPF, nennen diese Verbindungsstellen „Ionische Assoziate“. Ihre Bindungskraft beruht auf elektromagnetischer Wechselwirkung, also auf physikalischen und nicht auf klassischen chemischen Bindungen. Wird der Gummi an irgendeiner Stelle beschädigt, zum Beispiel durch einen Nagel oder durch eine Klinge, sorgt die natürliche Eigenbewegung der losen Molekülenden dafür, dass sie zueinander finden und sich erneut durch solche „ionischen Assoziate“ verknüpfen. Je wärmer es dabei ist, umso schneller funktioniert die Selbstheilung. Und das Beste daran: „Wir haben das mit industrienahem Equipment ausprobiert, und wir denken, dass die Methode auf eine industrielle Massenproduktion übertragbar sein wird“, sagt Gert Heinrich.

Fotos: Fotolia/toa555; Heiko Weckbrodt

Nach 24 Stunden so gut wie neu

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Auch die Laborerprobungen stimmen die Dresdner Wissenschaftler zuversichtlich: „In unseren Tests haben wir nachweisen können, dass die beschädigten Stellen nach 24 Stunden wieder verheilt sind und das Material wieder so stabil wie vorher ist“, berichtet Gert Heinrich, der an der Technischen Universität Dresden eine Professur für Polymerwerkstoffe und Elastomertechnik inne hat. Zwar gebe es bereits heute Polymerwerkstoffe, die sich selbst heilen, räumt er ein. Doch die basieren meistens auf nichtautonomen Heilmethoden. Die

Forschen, damit es rund läuft: Amit Das (li.) und Gert Heinrich.

Hersteller mischen beispielsweise kleine Kanülen oder Kügelchen aus klebendem Harz bei, die sich bei einem Schaden öffnen und den Werkstoff kitten. Das Dresdner Verfahren dagegen ist autonom, was heißt: Das Material selbst repariert sich automatisch.

Überzeugungsarbeit bei der Industrie

Getestet haben die Forscher ihren Selbstheileffekt zwar vorerst nur für die speziellen Gummisorten, aus denen die sogenannte „Innenseele“ eines Fahrzeugsreifens besteht. Diese innere Schicht sorgt in der Praxis dafür, dass aus den schlauchlosen Reifen keine Luft entweichen kann. Amit Das und Gert Heinrich sind aber zuversichtlich, dass die autonome Reparatur auch an den anderen Reifenschichten funktionieren wird – diesem Ansatz werden sich ihre nächsten Experimente widmen. Und: „Wir werden jetzt natürlich auch die Industrie von unserem Verfahren überzeugen müssen“, sagt Heinrich. Bereits jetzt habe einer der international führenden Reifenhersteller Interesse an der Selbstheilmethode aus Sachsen signalisiert. Fände sich rasch ein potenter Industriepartner, könnte man in fünf bis zehn Jahren mit den ersten selbstheilenden Reifen aus einer Serienproduktion rechnen, schätzen Das und Heinrich. Vor allem in der LkwSparte erwarten sie sich große Resonanz. Denn Spediteure und andere Transport-Unternehmer

rechnen mit spitzer Feder, erwarten von jedem Reifen, den sie auf einen ihrer Laster aufziehen lassen, dass er möglichst auf eine Million Kilometer Laufleistung kommt. Wenn sich solche Reifen von den vielen Mikrorissen des Alltagsbetriebes automatisch über Nacht selbst heilen können und nicht mehr so oft runderneuert werden müssen, dann amortisiert sich für den Spediteur der Aufpreis eines Selbstheil-Reifens recht rasch.

Weniger Altreifen-Halden

„Das alles hat auch eine ökologische Dimension“, betont Gert Heinrich. „Wenn ein Reifen länger hält und fährt, dann wachsen auch die Altreifenhalden nicht mehr so schnell.“ Auch an ganz andere Einsatzfelder neben der Reifenindustrie denken die Dresdner Polymerforscher bereits: An selbstheilende Förderbänder in Industrie und Tagebau zum Beispiel, an Gummidichtungen, die sich über Jahrzehnte hinweg immer wieder selbstständig reparieren – bis hin zum Erdbebenschutz auf Gummi gelagerter Wolkenkratzer in Asien. Das einzige, was den Wissenschaftler bei all diesen sprühenden Ideen fehlt, ist noch mehr Platz, um sie auszuprobieren: „Mit unseren Projekten ist hier schon fast jeder Quadratmeter ausgelastet“, sinniert Professor Heinrich. „Wir brauchen definitiv mehr Technikumsflächen.“

HEIKO WECKBRODT

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

Braune Demokraten? Historiker erforschen die NS-Vergangenheit der Mitarbeiter in den Innenministerien in Ost und West nach dem Krieg — und die Folgen für die Politik.

Sachbearbeiter­ zimmer im ­Ministerium des ­Innern der DDR (1950).

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Im Oktober 2010 entfachte die Studie „Das Amt“ hitzige Debatten. Das Buch einer unabhängigen Historikerkommission über die Geschichte des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit und der Bundesrepublik wurde kontrovers diskutiert hinsichtlich der Qualität der Forschung und ihrer Deutung. Manche sahen es nun als erwiesen an, dass das Außenministerium seine selbstgestrickte Legende vom Hort des Widerstands aufgeben müsse. Kritiker sprachen von einem skandalösen und tendenziösen Buch, das das Ministerium pauschal diffamiere. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Kontroverse ließen nun auch andere Bundesminis-

terien und -behörden ihre Geschichte vor und nach 1945 untersuchen – und öffneten dafür auch bislang nicht zugängliche Archivquellen. Die beiden zeitgeschichtlichen Leibniz-Institute, das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam und das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München-Berlin, widmeten sich dabei dem besonders wichtigen Innenministerium.

Historisches Neuland

Mit dem Projekt betraten die Forscher Neuland. Denn zum ersten Mal betrachteten sie um-

fassend die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte, indem sie nicht nur die Kontinuitäten im Bonner Bundesinnenministerium (BMI), sondern auch im Ministerium des Inneren der DDR (MdI) untersuchten. Zudem möchten die Historiker mehr als nur die Zahl der Ministeriumsmitarbeiter ermitteln, die Mitglieder von NS-Organisationen waren. „Viel interessanter und letztlich zentral ist die Frage danach, welche Konsequenzen solche formalen NS-Belastungen auf die Sachpolitik der Ministerien hatten“, erläutert ZZF-Direktor Frank Bösch, neben Andreas Wirsching vom IfZ einer der beiden Projektleiter.

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Da sich solche weitergehenden Fragestellungen nicht ohne harte Fakten beantworten lassen, starteten ZZF und IfZ ihre Untersuchung mit einer entsprechenden Analyse. Dazu schauten sie sich die Biografien von mehr als 1.100 leitenden Mitarbeitern der beiden Innenministerien vom Referatsleiter aufwärts an. Hierbei zeigte sich, dass der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder erstaunlich hoch war: 1950 lag er im Bundesinnenministerium bei 50 Prozent, stieg dann sogar Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre auf 66 Prozent an, bevor er bis 1970 wieder auf das Ausgangsniveau sank. Auch bei den ehemaligen SA-Mitgliedern zeigt sich ein ähnliches Bild: 17 Prozent im Jahr 1950, dann 45 Prozent 1961 und immer noch 25 Prozent im Jahr 1970. Das BMI nimmt damit einen Spitzenplatz unter den bisher untersuchten Bundesministerien ein. Aber auch im Ost-Berliner Innenministerium waren die personellen Kontinuitäten größer als bisher vermutet: 14 Prozent der leitenden MdI-Mitarbeiter hatten eine NSDAP-Vergangenheit. „Dennoch war der Bruch mit der NS-Vergangenheit in Ost-Berlin deutlich größer als im BMI“, resümiert die Projektmitarbeiterin Franziska Kuschel. „Das MdI rekrutierte zwar Mitläufer und Belastete, in der Regel jedoch nicht aus der Elite des ,Dritten Reiches‘, sondern aus der Arbeiter- und unteren Mittelschicht oder jüngere Menschen. Eine Sachkontinuität von Staatsapparat zu Staatsapparat konnte es deshalb kaum geben.“

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S95772

Viele NS-Mitglieder in Ost und West

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Neben dieser statistischen Auswertung untersucht das Projekt vertieft ausgewählte Lebensläufe. Sie zeigen mitunter ein frühes Engagement für den Nationalsozialismus. So trat Erwin Gehrhardt bereits 1924 im Alter von 16 Jahren in die NSDAP und die SA ein. Er gründete die NSDAP-Ortsgruppe Münden mit und brachte es in ihrer paramilitärischen Kampforganisation bis zum Scharführer (Unteroffizier). Sein Engagement im Bund Nati-

onalsozialistischer Deutscher Juristen, die Mitarbeit beim Göttinger „Kampfblatt“ der NSDAP und Auftritte als Redner bei Parteiveranstaltungen, lassen auf einen überzeugten Nationalsozialisten schließen. 1955 trat dieser Erwin Gerhardt in das Bundesinnenministerium ein, wo er 1959 zum Leiter der Pressestelle befördert wurde und damit das Ministerium repräsentierte, das für die innere Sicherheit der Bundesrepublik zuständig war.

Bruch oder Kontinuität?

Ob es aber Kontinuitäten auf der Ebene der Mentalität bis hin zur Verwaltungspraxis im weiteren Sinne gab, ist eine der Fragen, die das Projekt jetzt nach dem Abschluss der Vorstudie in der Hauptuntersuchung ergründen will. Es scheint tatsächlich langfristige Denktraditionen gegeben zu haben, die sogar den Nationalsozialsozialismus gewissermaßen überbrückten und teilweise bis ins Deutsche Kaiserreich zurückreichten. „Erste Ergebnisse legen dies nahe, aber aufgrund der Fokussierung auf den Nationalsozialismus sind solche Kontinuitäten bislang kaum in den Blick geraten“, sagt Frank Bösch. So deutet sich etwa an, dass viele Beamte des BMI ein in der Kaiserzeit wurzelndes traditionelles Selbstverständnis des unpolitischen und obrigkeitsstaatlich orientierten Verwaltungsexperten tradierten. Dieses Selbstverständnis führte aber Bösch zufolge schon in der Weimarer Republik zu einer zunehmenden Distanz zur parlamentarischen Demokratie und in der Folge zu einer Affinität vieler Beamter zum NS-Regime. Warum aber, fragt man sich, konnte sich die Bundesrepublik trotz der hohen personellen Kontinuität zu einer stabilen Demokratie entwickeln? Auch hierauf erhoffen sich die Historiker eine Antwort. Frank Bösch vermutet, dass sich viele der ursprünglich NS-treuen Beamten mit der Zeit mit der freiheitlichen Verfassungsordnung arrangierten, weil der Wirtschaftsaufschwung die Akzeptanz förderte und sich die neue Ordnung unter der Aufsicht

der Westmächte rasch als stabil erwies. Die ehemaligen NS-Beamten akzeptieren wohl aber auch deshalb Demokratie und Rechtsstaat, weil sie die Republik in der Ministerialbürokratie in ihrem Sinne mitgestalten konnten – und ihr dabei einen konservativen Anstrich gaben. Oder anders ausgedrückt: Die Demokratie wurde stabil, weil diese Beamten integriert wurden. Aber die Stabilität, die dadurch gewährleistet wurde, basierte zunächst auf einer Grundhaltung, die in der Demokratie nur eine formale Staatsform und nicht eine „Lebensform“ sah.

Bock zum Gärtner gemacht

Die vergleichsweise hohe Zahl von ehemaligen NS-Beamten in beiden Innenministerien ist vor allem deshalb bemerkenswert, da es die Ministerien waren, die den Staatsaufbau organisieren, ihn gegen innere Feinde schützen und nach außen vertreten sollten. Besonders im Fall der Bundesrepublik, wo noch heikle Fragen wie die der Wiedergutmachung oder des Umgangs mit Migranten hinzukamen, wirkt es bisweilen schon so, als sei hier der Bock zum Gärtner gemacht worden, räumt Frank Bösch ein. Einzelne besonders sensible Referate wurden daher gezielt mit verfolgten Beamten besetzt. Die Auswirkungen der personellen NS-Kontinuitäten auf die Sachpolitik werden die Historiker aus München, Berlin und Potsdam in den nächsten zweieinhalb Jahren untersuchen. „Eine einfache Frage, die methodisch alles andere als leicht zu beantworten ist“, sagt Frank Bösch nicht ohne Vorfreunde. Denn in einigen hundert Metern an Sachakten von BMI und MdI steckt sicher noch so manche Überraschung. Und auch dann gibt es noch Forschungsbedarf: „Selbst, wenn es nicht unbedingt darum geht, alle Behörden für sich einzeln aufzuarbeiten, sind doch wichtige Einrichtungen noch nicht untersucht worden: der Bundesgerichtshof, der Bundestag oder das Bundeskanzleramt.“ CHRISTOPH HERBORT-VON LOEPER

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LEIBNIZ | SPEKTRUM

Museum neu denken Warum Ausstellungen Orte des Experimentes sind und ­Exponate Besucher emotional berühren sollten. Ein Interview mit Johannes Vogel, dem Generaldirektor des Berliner Museums für sitätsforschung.

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Fotos: Carola Radke/MfN (2)

Naturkunde, dem Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiver­

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Leibniz: Wann waren Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben in einem Forschungsmuseum? Johannes Vogel: Mit zwölf Jahren. Das war im Naturwissenschaftlichen Ver­ein Bielefeld.

Mir ging es von Beginn an darum, dass sie das, was sie bisher getan haben, auch mal anders denken. Oder wie Gershwin sagt: „It ain‘t necessarily so“. Veränderung ist die Norm und nicht die Ausnahme. Man darf nicht zu große Herausforderungen setzen, aber man darf auch nicht nachlassen, Herausforderungen zu setzen. Darauf müssen sich gerade Forschungsmuseen einstellen. Das ist schwierig, da der Begriff Museum vom Gegenteil ausgeht. Museen gelten als Häuser der Vergangenheit, für mich sind sie jedoch Häuser der Zukunft.

Was hat Sie fasziniert? Die Menschen, die dort gearbeitet haben. Ich habe mich gefragt, was treibt die an? Warum beschäftigen die sich mit all diesen komischen Dingen, also getrockneten Pflanzen und toten Tieren. Ich bin aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen.

Welche Museen besuchen Sie heute noch regelmäßig? Hauptsächlich Naturkundemuseen, wobei die mit Abstand allerbesten Ausstellungen in Berlin stehen. Das liegt an Uwe Moldrzyk, unserem Ausstellungsmacher. Ich halte ihn für ein Genie. Mir gefallen auch richtig klassische Ausstellungen wie in Wien oder sehr moderne Entwicklungen wie etwa in San Francisco. Dort wurde das Gebäude abgerissen und wieder neu errichtet. Dabei hat man sich genau überlegt: Wie baue ich so, dass ich nicht mit jeder neuen Ausstellung das Gebäude komplett umstrukturieren muss. Ausstellungen muss man vom Kopf her denken können. Deshalb brauchen wir Räume, in denen wir jederzeit Inhalte verändern können. Die Leibniz-Gemeinschaft zählt acht Forschungsmuseen. Überall finden zurzeit Umbauten statt. Auch bei Ihnen. Ja, wir haben ganz großes Glück, dass die Stadt Berlin wie auch der Bund und die EU bereits 80 Millionen Euro in die Sanierung investiert haben. Damit sind 25 Prozent der Gesamtkosten gedeckt.

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Wann sollen die Umbauten abgeschlossen sein? Zunächst wird bis 2018 gebaut; bis dahin haben wir Planungssicherheit. Als international sichtbare und global bedeutende kulturelle und wissenschaftliche Einrichtung sind wir hoffentlich 2025-2030 fertig – 40 Jahre nach

Transparentes Archiv des Lebens: die Fischsammlung im Museum für Naturkunde.

der deutschen Wiedervereinigung wären dann die Kriegsschäden beseitigt. An allen acht Forschungsmuseen geht es nicht nur um räumliche Umbauten. Die Frage ist, wie plane ich Ausstellungen so, dass sie für Besucher attraktiv bleiben? Wo vollziehen sich hier die Veränderungen? In den Köpfen! Vielleicht sollte ich vorausschicken, dass es bei den Baumaßnahmen nicht nur um den Ausstellungsbereich geht. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft sind ja Zwitter: Ausstellungshäuser, aber vor allem national und international bedeutende Forschungs- und Sammlungseinrichtungen. Was mich nach Berlin zog, war ganz klar das unheimliche Potential der Mitarbeiter für Veränderung.

Sind Museen als Orte der ­Vergangenheit nicht erfolgreich? Wir haben steigende Besucherzahlen, im Jahr 2015 waren es ganze zehn Prozent, weil wir ein Haus der Zukunft sind; also genau gesagt, seitdem die Ausstellungen von Uwe Moldrzyk, seinem Team und unseren Wissenschaftlern gebaut werden. Die Ausstellungen basieren auf unserer exzellenten Forschung und fordern die Besucher heraus, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Was war bisher üblich? In Naturkundemuseen der alten Prägung wurden Ausstellungen gemacht, die vor allem wissenschaftlich wertvoll sein sollten, gleichgültig wie viele Besucher kamen. Ich denke, beides ist wichtig. In unserem Haus beflügeln wir die Wissenschaft, gleichzeitig kommunizieren wir die Ideen so, dass sie für die Besucher interessant sind. Lässt sich das Museum der Zukunft in drei Sätzen ­zusammenfassen? Es ist das integrierte Forschungsmuseum; also der Ort, an dem Forschung, Sammlung und Kommunikation untrennbar verwoben sind. Die Forschung ist sammlungsbasiert, die Sammlungsentwicklung wissenschaftsgestützt und die Kommunikation wissenschaftsbasiert. Das ist in wenigen Sätzen leicht gesagt, in der Umsetzung aber schwer. Denn dazu muss man sich an

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Gehen Menschen im Zeitalter der Digitalisierung überhaupt noch ins Museum? Auf jeden Fall, die digitalen Angebote bringen sogar mehr Museumsbesucher. Ich kann Ihnen jetzt schon versprechen, dass die Leute nicht nach Berlin kommen werden, um auf einem Bildschirm ein 3D-Modell von T. rex zu sehen. Die wollen die echte Killermaschine sehen und anfassen. Das erste ist erwünscht, das zweite leider nicht erlaubt (lacht).

Pfründe wagen und Schubladendenken aufgeben. Das tun wir hier.

Kommen auch junge Menschen in Ihr Haus? Ja, sehr viele. Gestern habe ich zufällig beim Durchqueren unserer Ausstellungen eine Gruppe von 25-jährigen jungen Männern gesehen, die gekommen war, um sich unsere Dinosaurier anzusehen. Mindestens 50 davon im Sauriersaal. Das ist typisch. Sie kommen, weil wir sie nicht bevormunden, sondern ihnen die Möglichkeit geben, ihr eigenes Urteil zu bilden. Aktuelle Umfragen hierzu zeigen: Zwei Drittel der Bevölkerung wissen nicht genug über das Thema Natur, aber genauso viele sagen auch: Wir möchten gerne mehr wissen. Nur, wo können wir uns bilden? Die Rolle von Museen für das lebenslange Lernen ist sehr wichtig; und ich glaube, dass hier bisher das Potential noch nicht ausreichend genutzt wird.

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Wie kann ein Forschungsmuseum für Besucher attraktiv sein? Alles eine Frage der Wissenschaftskommunikation: weniger Objekte, ikonische Objekte, the-

atralisch inszeniert mit relativ wenig Beschriftung. Die Beschriftung tritt in den Hintergrund, wodurch der Blick unmittelbar auf das Objekt fällt. Und, ganz wichtig, hier wird nicht aus zweiter Hand berichtet, sondern sind die Ausstellungen unmittelbar mit der eigenen Forschung verbunden; authentischer geht es nicht – eben FORSCHUNGSmuseum. Mit welchen Objekten locken Sie in Ihre Ausstellungen? (lacht) Naja, seit Weihnachten 2015 mit einem Riesendinosaurier, einem Tyrannosaurus rex, der Zähne lang wie ein Unterarm hat. Die Aufgabe von Wissenschaftskommunikation ist, für Wissenschaft zu begeistern. Und das geht nur über die emotionale Ebene. Dazu müssen Museen Orte des Experiments werden. Keiner weiß doch gegenwärtig ganz genau, was der richtige Weg für einen wissenschaftsgeleiteten Dialog mit der Öffentlichkeit ist. Das ist die Herausforderung, gerade für die Leibniz-Gemeinschaft mit ihren acht Forschungsmuseen, die den Auftrag haben, hier Konzepte zu entwickeln und zu erproben – als Vorreiter für den ganzen Bereich.

Welches Citizen Science Projekt würden Sie gerne in Berlin realisieren? Wir machen gerade mehr zum Thema Stadt-Natur mit Hilfe des Bundesumweltministeriums. Wir haben in Berlin 360.000 Schulkinder. Zurzeit erreichen wir mit dem Thema 60.000; das sind die, die zu uns ins Museum kommen. Es sollten noch mehr sein, die wissen, dass Natur auch in den Städten vorkommt und was sie für uns alle bedeutet. Gerade auch die neu nach Deutschland Zugewanderten sollten ein Verständnis dafür bekommen. Vielleicht gelingt auch so Integration. Wo sind die Grenzen der Bürgerbeteiligung? Dort, wo die Freiheit der Forschung anfängt. Sie ist ein hohes Gut. Forschung darf nicht ver-

Fotos: MfN; NABU/Frank Hecker; Carola Radke/MfN

Vielfalt inszeniert: Die Biodiversi­ tätswand im Museum für Naturkunde.

Auf unmittelbare Erfahrung mit der Forschung zielt auch der Kommunikationsansatz „Citizen Science“. Ist das die Zukunft? Die Citizen-Science-Norm in Deutschland heißt, Bürger in wissenschaftliche Projekte einbinden, die die Forscher vorgeben. Letztlich aber geht es um mehr, nämlich wie man mit der Bevölkerung auf deren Interessen stärker eingehen und Projekte gemeinsam entwickeln kann. Was hier gut läuft, ist zum Beispiel das Messen von Luftqualität in Städten über Smartphones. Ein anderes Citizen-Science-Projekt, das bislang nur in Großbritannien oder den USA verwirklicht wird, sind internetbasierte StadtNaturführer. Welche Arten gibt es? Wo stehen sie?

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boten werden – wird sie aber in Deutschland schon. Denken wir nur an die Debatten über Tierversuche oder Gentechnologie. Dass man Angst vor derlei Entwicklungen haben kann, verstehe ich. Trotzdem darf Wissenschaft nicht verboten werden. Andererseits: Die KommunikationsBringschuld für Ideen und Entwicklungen – schon am Anfang, upstream public engagement als Schlagwort – liegt bei der Wissenschaft!

Neu ist die Idee auch, Forschungsmuseum stärker für andere Partner zu öffnen. So schwebt Ihnen in Berlin eine Natur- und Gesellschaftsmeile vor. Was verstehen Sie darunter? In Deutschland gibt es meiner Meinung nach eine gute Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik. Ähnlich gute Beziehungen könnten aber auch zur Gesellschaft aufgebaut werden. Letztlich stehen doch alle Bildungsund Forschungseinrichtungen vor ähnlichen Herausforderungen in der Kommunikation, ob das nun das Uni-Klinikum Charité oder die Humboldt-Universität ist. Immer sind es dieselben Fragen: Warum brauchen wir Wissenschaft? Warum Technologie? Auch teilen wir Leibniz-Themen wie Mobilität, Altern, Natur, Digital, Kunst, Physik, Lebenswissenschaften, Biologie mit zahlreichen Partnern hier entlang der Invalidenstraße als zukünftiger Wissenschaftsmeile. Ganz zu schweigen von der Internationalität, die auf dieser Wissenschaftsmeile möglich wird, wenn wir die Bundesministerien an oder nahe der

Invalidenstraße als Partner einschließen würden.

Wie wollen Sie solche Partnerschaften realisieren? Der erste Schritt ist ein Konzept. Das entwerfen wir soeben mit Partnern. Sie wollen auch Kunstschaffende mit einbinden. Wissenschaft braucht andere Perspektiven. Gerade die Kunst greift viel früher als andere Bereiche neue gesellschaftliche Strömungen auf. Sie macht oftmals in einer sehr klugen Art Interventionen und hilft uns auf die Sprünge.

Einerseits fordern Sie das projektbezogene, inter- und transdisziplinäre Arbeiten über das Museum hinaus, auf der anderen Seite gibt es die traditionelle Rolle des Kurators, der die Objekte pflegt. Wie passt das zusammen? Das geht über die Sammlung zusammen, die unsere wissenschaftliche Infrastruktur ist. Wir Museumsleute sollten nicht die Einzigen sein, die das Privileg haben, an dieser globalen unheimlich spannenden Sammlung arbeiten zu dürfen. Es muss eine Öffnung geben für Künstler, Natur-, Kultur- und Geschichtswissenschaftler, Designer, Ingenieure, Bürgerwissenschaftler. Wer weiß, welche technischen Innovationen man auf diese Weise noch aus unseren Sammlungen herausholen kann? Welche Rolle spielt das Forschungsmuseum in Zukunft, gerade auch in Abgrenzung zu anderen Museen?

Es muss grundsätzlich wieder mehr von der Forschung, der Objektforschung her gedacht werden. Wenn wir Veränderungen möglich machen wollen, wenn wir einen Raum schaffen können, in dem wissenschaftliche und gesellschaftliche Lösungen für die großen globalen Herausforderungen gemeinsam entwickelt werden können, bleiben wir relevant. Dieses gemeinsame Potential der Forschungsmuseen zu heben, muss Aufgabe der LeibnizGemeinschaft sein.

Vogelbeobachtung ist ein klassisches Einsatzgebiet für Bürgerwissen­ schaftler.

DAS INTERVIEW FÜHRTEN CHRISTINE BURTSCHEIDT UND LENA LEISTEN.

Johannes Vogel ist seit 2012 Generaldirektor des Museums für Naturkunde ­Berlin und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach dem Studium in Bielefeld und Cambridge promovierte er in Genetik und arbeitete ab 1995 am Natural History Museum in London. Dort war er als ­Spezialist für Moose, Pilze und Farne zuletzt Chefkurator der bota­nischen Abteilung.

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LEIBNIZ | AUSSTELLUNGEN

Aktuelle Ausstellungen

der Leibniz-Gemeinschaft

Ans Tageslicht geholt

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Die farblose Seegurke im Glas stammt nicht aus dem Spreewald, sondern aus dem Meer und ist eine Verwandte des Seeigels. In Alkohol eingelegt, überdauert das Tier die Zeit. Vor mehr als einhundert Jahren formte sie die weltberühmte Glasbläserfamilie Blaschka in höchster Kunstfertigkeit lebensecht nach. Präparat und Kunstobjekt sind für Besucher selten zu erleben. Ebenso wie verschiedene Hundeschädel aus Frankfurt, die die Domestikation des Wolfes veranschaulichen. Kurios dabei: Der Hundezüchter Karl Hopf entpuppte sich als Serienmörder. Schädel und Seegurke sind einige von „Senckenbergs verborgenen Schätzen“, die aus den verschiedenen Forschungseinrichtungen der Senckenberg Gesellschaft für die gleichnamige Ausstellung aus den Magazinen

ins Licht gerückt und zum Teil erstmalig öffentlich ausgestellt werden. Alle Objekte erzählen eine eigene kleine Geschichte. So auch das Haselhuhn, das früher in den Mittelgebirgen in der Nähe des sächsischen Görlitz vorkam.

Dieser im Jahr 1899 präparierte Vogel war einer der letzten seiner Art in der Region. Mittlerweile sind die Bestände in Sachsen wohl gänzlich erloschen. Noch dramatischer ist das Schicksal des bunten Papageis ein paar Vitrinen weiter: Der Dreifarben-Ara,

Licht ist mehr

In Mode. Kleider & Bilder aus Renaissance und Frühbarock

Trügerische Idylle. Pullach und der Obersalzberg

seit 28.7.2015 Deutsches Museum, München

Ein Leuchtmittel stellt alle anderen in den Schatten: Leuchtdioden, kurz LEDs, sparen ebenso viel Energie wie eine Energiesparlampe, kommen dabei aber mit viel weniger Platz aus, produzieren kaum Wärme und können in jeder Farbe erstrahlen. In Zusammenarbeit mit dem Lichthersteller OSRAM widmet das Deutsche Museum dem Multitalent nun eine eigene Ausstellung. Hier können sich die Besucher nicht nur über LEDs informieren, sondern auch erleben, wie sich mit 16 Millionen Farben eine Wohnung beleuchten lässt, wie sich Licht auf den Biorhythmus auswirkt, oder wie ein Beamer im Hosentaschenformat aussieht.

bis 06.03.2016 Germanisches National­ museum, Nürnberg An die prächtige und kostbare Kleidung der Renaissance und des Frühbarocks wurden hohe Ansprüche gestellt: In Gemälden diente sie oftmals zur Inszenierung von Status und Persönlichkeit der Auftraggeber, in illustrierten Flugblättern wurde sie zur Verbreitung modekritischer Inhalte genutzt, und in Trachtenbüchern vermittelte sie neue Weltsichten und beschwor soziale Hierarchien. Das Germanische Nationalmuseum macht diese Ansprüche für die heutigen Betrachter wieder lesbar. In einer Sonderausstellung zeigt das kulturgeschichtliche Museum rund 50 Originalkostüme aus der Zeit von 1560 bis 1650.

bis 3.4.2016 Dokumentation Obersalzberg, Berchtesgaden

Pullach und Obersalzberg – zwei historische Orte in Oberbayern, die vor allem ihre Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus miteinander verbindet. Auf dem Berg das Führersperrgebiet, in Pullach die Wohnanlage für den Stab von Rudolf Heß. ­Hinter der behaglichen Architektur der Nationalsozialisten wurden Verbrechen vorbereitet und entschieden. Die Winteraus­ stellung der Dokumentation Obersalzberg ­ visualisiert die Spuren dieser Zeit an beiden Orten, die sich nach dem Krieg ganz unterschiedlich entwickelten – zum Touristenziel und zur Geheimdienstzentrale. 4/2015


LEIBNIZ | AUSSTELLUNGEN

einst auf der Insel Kuba häufig gesehen, ist seit 1885 ausgestorben. Das Präparat ist eines von neunzehn Exemplaren, die weltweit noch existieren. Anhand solcher Beispiele verdeutlicht die Ausstellung Aspekte des Sammelns in Museen, deren Forscher durch Neugierde getrieben, ein Abbild der Natur für die Nachwelt bewahren. Wurde zu Beginn der Sammelleidenschaft vor allem nach Seltenem, Schönem und Kuriosem Ausschau gehalten, wandten sich die Sammler im 19. Jahrhundert verstärkt wissenschaftlichen Fragestellungen zu und begannen - regional oder taxonomisch - systematische Kollektionen von Pflanzen, Tieren, Fossilien oder Gesteinen anzulegen. Diese Sammlungen stellen das unverzichtbare Handwerkszeug der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Senckenbergs dar. Mithilfe der Objekte gehen die Biologen, Paläontologen und Geologen ihren Fragestellungen nach und dokumentieren,

Volker Iserhardt/RGZM; Flickr.com/Michel Osmont (CC-BY-NC-ND 2.0)

Fotos: Senckenberg; Köpcke Weinhold, Berlin; DM; GNM; privat; Carola Radke/MfN;

Tristan. Berlin zeigt Zähne

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seit 17.12.2015 Museum für Naturkunde, Berlin

Kennen Sie Tristan Otto? So heißt eines der besten noch erhaltenen Exemplare des ­Tyrannosaurus Rex, der seit Neuestem im Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung wohnt. Besucher können Tristan hier in seiner natürlichen Größe von zwölf Metern im Original bewundern, Skelett und Schädel sind nahezu vollständig. Die Ausstellung zeigt darüber hinaus noch weitere Originalobjekte, Medieninstallationen und Geschichten, die auch einen Einblick in die Forschung rund um Tristan geben. Tristan ist das einzige originale T.Rex-Skelett, das in einem europäischen Museum ausgestellt ist.

wie die Welt einmal ausgesehen hat und wie sie sich verändert besonders wichtig in Zeiten eines rasanten Wandels unserer Umwelt. Senckenberg kann nur einen Bruchteil der rund 39 Millionen Objekte aus den Sammlungen in seinen Museen in Frankfurt, Görlitz und Dresden präsentieren. Weitere Senckenberg-Sammlungen bestehen in Weimar, Müncheberg und Wilhelmshaven. Für die Schau haben die Kuratoren aus allen sechs Standorten Objekte ausgewählt, die sonst nicht zu sehen sind und über die es Ei-

Codes der Macht. Mit 16 auf den Thron

seit 06.11.2015 Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz

Unzählige Informationen in Form von Texten, Bildern und Zeichen erreichen uns täglich. Dabei verfolgen ihre Absender oft gezielte Interessen – ­In­halte werden inszeniert, um unser Handeln zu beeinflussen. Das Römisch-Germanische Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie in Mainz zeigt in seiner aktuellen Sonderausstellung, dass dieses Prinzip eine lange Tradition hat: Bereits im Jahr 482 wusste der 16-jährige Sohn des König Childerich die Begräbnisfeierlichkeiten des Va­ters für die Sicherung ­seiner Nachfolge auf den Thron zu inszenieren.

gentümliches zu berichten gibt. Ihren besonderen Reiz erhalten „Senckenbergs verborgene Schätze“ durch die großformatigen Arbeiten von Sebastian Köpcke und Volker Weinhold, die mit Fotografen- und Künstlerblick in den Magazinen unterwegs waren und Sammlungsstücke miteinander arrangierten und in humorvolle, kuriose und nachdenklich stimmende Beziehungen zueinander setzten. Der aufmerksame Besucher wird einige der „Fotomodelle“ im Original in der Ausstellung wiederentdecken und manche Anekdote zum Schmunzeln erfahren. SGN Senckenbergs verborgene Schätze

23. Januar bis 15. Mai 2016 Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz Am Museum 1, 02826 Görlitz Öffnungszeiten: Di bis Fr 10 – 17 Uhr, Sa/So 10 – 18 Uhr senckenbergsverborgeneschaetze.com/

Tibet.100 Jahre Naturforschung auf dem Dach der Welt bis 28.03.2016 Senckenberg Naturhistorische Sammlungen, Dresden Die Gebirgswälder des Himalayas, die Tierwelt des Tibetischen Hochlandes. Wie sieht Naturforschung in einer weit entfernten, fremden Kultur aus? Der Völkerkundler Walther Stötzner legte mit seiner Tibet-Expedition von 1913 bis 1915 den Grundstein für hundert Jahre Biodiver­ sitätsforschung der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden in Asien. Die Jubiläumsschau legt einen Schwerpunkt auf die Artenvielfalt der Vögel im Himalaya und auf dem tibetischen Hochplateau. Kostbarkeiten tibetischer Kulturgegenstände steuert das ­Museum für Völkerkunde ­Dresden zur Ausstellung bei.

Wir verlosen fünf Familienkarten (2 Erwachsene und bis zu fünf Kinder) für das Senckenberg Museum für Naturkunde in ­Görlitz. (siehe S. 48).

Das Buch zur Ausstellung Sabine Mahr, Thorolf Müller, Birgit Walker (Hrsg.): Senckenbergs verborgene Schätze – Über das Sammeln und Forschen; 136 Seiten, Schweizerbart, Stuttgart 2015; 14,90 Euro. ISBN 9783-510-61405-9

Mehr Sonderausstellungen unserer Forschungsmuseen finden Sie online: www.leibnizgemeinschaft.de/ institute-museen/ forschungsmuseen/ leibniz-museenaktuell/

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L E I B N I Z | SI M PP EK RT E SR SUUMM

Im Zeichen des „Wir“

In Leibniz-Blau erstrahlte das Museum für Kommunikation anlässlich der Festveranstaltung der Jahrestagung.

21. Jahrestagung der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin

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Von alten Papyri bis zu neuen Papieren spannte sich der ­ in­ halt­liche Bogen der 21. LeibnizJahrestagung Ende November in Berlin. Kurz vor dem Jubiläumsjahr 2016 mit dem 370. Geburtstag und dem 300. Todestag ihres lange Jahre in Hannover wirkenden Namenspatrons war es folgerichtig, dass die LeibnizGemeinschaft ihre Jahrestagung in der Landesvertretung Niedersachsen eröffnete. Insgesamt trafen sich die Vertreter der 89 Leibniz-Einrichtungen und ihrer Gremien neben einer großen Festveranstaltung

und der Mitgliederversammlung zu mehr als 30 Sitzungen. Die Gemeinschaft zeichnete dabei unter anderem ihre besten Doktoranden und Auszubildenden aus (▶ S. 52), verabschiedete eine neue Satzung und Leitlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis (▶ S. 46) und brachte im LeibnizWettbewerb 26 neue Projekte auf den Weg (▶ S. 48). In der Festveranstaltung erhielten die Zuhörer spannende Einblicke in Forschungsarbeiten aus den eigenen Reihen und von außerhalb in den Beiträgen aus dem Leibniz-Institut für umweltmedizinische For-

schung sowie dem Ägyptischen Museum und Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Leibniz-Präsident Matthias Kleiner stellte seine Rede an die Festversammlung angesichts der noch frischen Eindrücken der Pariser Terroranschläge unter ­ HVL das Motto des „Wir“. Der vollständige Text der Rede von Leibniz-Präsident Matthias Kleiner: www.leibniz-gemeinschaft.de/ ueber-uns/organisation/praesident/ matthias-kleiner/reden-undbeitraege/beitraege 4/2015


L E I B N I ZL E|I BSNPIEZK T | RLUI M FE

Fotos: Oliver Lang

HIN und WEG von Beethoven: Im Museum für Kommunikation umrahmte das STEGREIF.chamber die Festversammlung.

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Rundgang mit Ministerpräsident: Mitarbeiter der Technischen Informa­ tionsbibliothek – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwis­ senschaften in Hannover erläuterten Stefan Weil (re.) und Leibniz-Präsi­ dent Matthias Kleiner (2. v.re.) ihre Online-Angebote.

In ihrem „Geistesblitz“ berichtete Jojo Haendeler vom ­Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in ­Düsseldorf über umweltbedingte Alterungsprozesse.

Voll des Lobes für Leibniz: Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Neue Erkenntnisse zu alten Schriften präsentierte Verena Lepper vom Ägyptischen Museum und Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin in ihrer Festrede.

Unterstrich die Bedeutung der Leibniz-Institute für Forschung und ­Forschungspolitik in den Ländern: Brandenburgs Wissenschafts­ ministerin Sabine Kunst.

Aufmerksames Auditorium mit Leibniz Vizepräs­ identin Hildegard Westpahl, Staatsministerin Maria ­Böhmer, ­Leopoldina-Präsident Jörg Hacker und Leibniz-­ Generalsekretärin Christiane Neumann (v. links). 45


LEIBNIZ | LIFE

Wissenschaftsinitiative Integration

Die „Wissenschaftsinitiative Integration“ ist eine gemeinsame Aktion der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft. Ziel ist es, geflüchteten Menschen durch Beschäftigung und Qualifizierung eine Perspektive in Deutschland zu geben. Konkret unterstützen die drei Forschungsorganisationen anerkannte Flüchtlinge und asylberechtigte Menschen mit Angeboten an ihren Einrichtungen, um die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Denn die Teilhabe an der Arbeitswelt ist ein wichtiger Baustein, um in einer neuen Heimat dauerhaft Fuß fassen zu können. Dazu haben die drei Organisationen seit diesem September in enger Kooperation Konzepte entwickelt; insbesondere geht es darum, Praktikumsplätze für die Orientierung und den Einstieg in unterschiedlichen Stadien der Ausbildung, des Studiums und des Berufs bereitzustellen.

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Die erarbeiteten Maßnahmen sollen vom Frühjahr 2016 an gemeinsam mit den Ländern umgesetzt werden. Dabei werden die Forschungsorganisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch profitieren – zum Beispiel als Paten oder mit einem Leitfaden zur Beschäftigung, wenn

es um administrative Fragen geht. Ein weiteres Augenmerk gilt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen Flucht, Migration und Integration, um Politik und Gesellschaft mit kundigem Rat zur Seite zu stehen. Hierzu hat die Leibniz-Gemeinschaft bereits im Herbst einen Expertenservice eingerichtet (www.leibniz-­

gemeinschaft.de/medien/­p resse/ leibniz-expertenservice).

Die „Wissenschaftsinitiative Integration“ macht in einem Mosaik vielfältigen zivilgesellschaftlichen Engagements die Verantwortung von Wissenschaft und Forschung für ein weltoffenes Klima in Deutschland deutlich. Schließlich sind Forschungseinrichtungen ­ genuin Orte der Internationalität und kulturellen Vielfalt. Die vier außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden künftig auch mit der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten, die in einer gemeinsamen Informationsveranstaltung im Haus der LeibnizGemeinschaft über Maßnahmen und Programme informieren CAL wird.

Kontakt: Caroline A. Lodemann, Leiterin des Präsidialstabs der Leibniz-Gemeinschaft E-Mail:

lodemann@leibniz-gemeinschaft.de

Vier Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft sollen weiterhin gefördert werden. Das hat der Senat der Leibniz-Gemeinschaft im November nach Abschluss der regelmäßigen wissenschaftlichen Evaluierung Bund und Ländern empfohlen: Die Akademie für Raumforschung und Landesplanung – Leibniz-Forum für Raumwissenschaften in Hannover, das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig sollen wie üblich nach sieben Jahren erneut evaluiert werden. Beim Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf ist vorgesehen, die Leistungen bereits nach vier Jahren erneut zu überprüfen. www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/ evaluierung/

Gute wissenschaftliche Praxis

Eine Leitlinie zur guten wissenschaftlichen Praxis hat die Mitgliederversammlung der LeibnizGemeinschaft Ende November 2015 beschlossen. Sie ersetzt die Regeln aus den Jahren 1998 und 1999. In der neuen verbindlichen Leitlinie werden vor allem die Rolle und Befugnisse der zentralen Ombudsperson der Gemeinschaft sowie die Verfahrensregeln und Sanktionsmöglichkeiten für das zentrale Prüfverfahren festgelegt. Den Entwurf hierfür hatte eine Arbeitsgruppe unter Federführung

des Ombudsmanns der Leibniz-Gemeinschaft, Hans-Georg Joost, vorgelegt. Das Verfahren soll subsidiär in gravierenden oder auf andere Weise nicht zu lösenden Fällen die dezentralen Verfahren der Institute ergänzen. Generell sind die Leibniz-Einrichtungen weiterhin aufgefordert, eigene Leitlinien zu erstellen, die ihre eigenen dezentralen Verfahren regeln. JB www.leibniz-gemeinschaft.de/forschung/ gute-wissenschaftlichepraxis

Informationsbibliothek wird Stiftung

Die Technische Informationsbibliothek Hannover (TIB) ist ab dem 1. Januar 2016 Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes Niedersachsen, in der die Technische Informationsbibliothek (TIB) und die Universitätsbibliothek (UB) der Leibniz Universität zusammengeführt werden. Sie trägt die Zusatzbezeichnung „Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek“. Die Forderung nach einer selbstständigen Stiftung mit Autonomie und Gestaltungsfreiheit gab es für die TIB bereits seit 2011 als Ergebnis der Evaluierung durch die Leibniz-Gemeinschaft. Mit der Berufung von Prof. Dr. Ralph Ewerth hat die TIB zudem die erste Professur im Bereich Forschung und Entwicklung besetzt. Als Leiter der Forschungsgruppe „Visual Analytics“ wird er zu Multimedia Retrieval und Usability forschen. 4/2015

Foto: Picture Alliance

Gütesiegel für vier Institute


LEIBNIZ | LIFE

Wo sind sie geblieben?

Mathematiker-Geburtstag mit Ministerin: ­Johanna Wanka (2.v.re) gratulierte Karl Weierstraß

Karl Weierstraß und die ­Goldene Zeit der Mathematik

Ein Studienabbrecher, der es doch zu einem der ganz Großen in der Mathematik gebracht hat, war Karl Weierstraß. I­ n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte nicht zuletzt er die Goldene Zeit der Mathematik in Berlin. Am 31. Okto­ber feierte das nach ihm benannte WeierstraßInstitut für Angewandte Analysis und Stochastik den 200. Geburtstag des berühmten Mathematikers mit einer Festveranstaltung in der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Zu Gast war auch die Mathematikerin und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka.

2013

Kristina Tschulik ging nach ihrer Promotion am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden als Post-Doc an die Universität Oxford. Seit September 2015 ist sie Juniorprofessorin für Mikro-/ Nanoelektro­chemie an der Ruhr-Universität Bochum.

2012

Anja Hanisch erforschte am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin das Spannungs- und Wechselverhältnis zwischen der DDR-Innen- und Außenpolitik im Zusammenhang mit dem KSZEProzess in den 1970er und 1980er Jahren. Zurzeit ist sie für die KfW Entwicklungsbank in Afghanistan/Kabul tätig.

2011 Martin Binder erhielt den Preis für seine Arbeit zur Selektivität humanitärer Interventionen nach dem Ende des Kalten Krieges am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Seit Oktober 2015 ist er Associate Professor an der “School of Politics, Economics & International Relations” der Universität Reading (Großbritannien).

2011 Henriette Kirchner untersuchte in ihrer Doktorarbeit am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in PotsdamRehbrücke die Rolle des Hormons Ghrelin bei der Entstehung krankhaften Übergewichts. Ende 2015 erhielt sie an der Universität zu Lübeck den Zuschlag für eine Emmy-NoetherNachwuchsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für ihre Forschung zur Entstehung von Adipositas und Diabetes.

Fotos: Understanding Animal Research; Kay Herschelmann; privat; David Ausserhofer; Damaris Opitz; privat (3); TUM

www.wias-berlin.de/workshops/weierstrass200

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Liste

Seit 1997 zeichnet die Leibniz-­ Gemeinschaft ihre besten Dokto­randen mit dem LeibnizNachwuchs­preis aus. Und was wird „man“ mit so einem Preis? Häufig Professorin oder Professor, wie unsere Beispiele einiger bisheriger Preisträger zeigen.

2008 Christian Merkl analysierte in seiner prämierten Doktorarbeit am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) Lösungsansätze zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Heute ist er Professor für Makroökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg und dem IfW wissenschaftlich weiter eng verbunden.

Über Tierversuche sprechen

Transparent und umfassend über Tierversuche zu informieren, ist das Anliegen eines neuen Internetportals der Leibniz-Gemeinschaft. Mehrere Leibniz-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dazu ihre Labore geöffnet und vor der Kamera darüber gesprochen, warum sie für ihre Forschung auf Tierversuche angewiesen sind und wie sie mit der Verantwortung für das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Tiere umgehen. www.leibniz-gemeinschaft.de/ tierversuche

2007 Markus Huff erhielt die Auszeichnung für seine Dissertation zu Verbalisierungsprozessen bei dynamischen Szenen am LeibnizInstitut für Wissensmedien in Tübingen. Seit 2010 lehrt er als Junior-Professor für Allgemeine Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Tübingen, wo er 2014 im Fach Psychologie habilitierte.

2000 Holger Boche wurde für seine Dissertation „Untersuchungen zur Approximation im Komplexen“ am damaligen Heinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik in Berlin (heute: Fraunhofer Heinrich-HertzInstitut) ausgezeichnet. 2008 erhielt er den Gottfried-WilhelmLeibniz-Preis der DFG. Seit 2010 ist Boche Professor für Theoretische Informationstechnik an der TU München www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/auszeichnungen/nachwuchspreis

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LEIBNIZ | LIFE

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Beim „Leibniz-Wettbewerb“ haben 26 neue Forschungsvorhaben den Zuschlag erhalten. Der Senat der LeibnizGemeinschaft bewilligte auf seiner Herbstsitzung Projekte in Höhe von 23,2 Millionen Euro. Die Themen der erfolgreichen Projekte reichen von der „Abiturprüfungspraxis 1882 bis 1972“, dem digitalen Wörterbuch „Lexik des gesprochenen Deutsch“ über den Einfluss des Klimawandels auf das ökonomische Wachstum bis zu neuen Verfahren zur Gewinnung von Silizium. Sie decken damit die disziplinäre Vielfalt der Leibniz-Gemeinschaft ab. Ebenso werden Antworten auf strukturelle Herausforderungen des Wissenschaftssystems gegeben, etwa mit der Etablierung eines neuen Tenure TrackVerfahrens: „Berlin Economics Research Associates“. Die Vorhaben haben in der Regel eine Laufzeit von drei Jahren und finden häufig unter Beteiligung in- wie ausländischer Partnereinrichtungen statt. Beim diesjäh-

rigen Wettbewerbsverfahren hatten sich 82 von insgesamt 89 Leibniz-Einrichtungen mit einem Gesamtantragsvolumen von 84 Millionen Euro beworben. www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/ leibniz-wettbewerb/

Verlosung Wir verlosen: Drei Exemplare des Buches „Ausgelacht – DDR-Witze aus den Geheimakten des BND“ von Hans-Hermann Hertle. (3 Buchvorstellung auf S. 50).

Fünf Familienkarten (gilt für 2 Erwachsene und fünf Kinder) für das Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz. (3 Ausstellungsbericht auf S. 42/43).

Vizes wiedergewählt

Prof. Dr. Hildegard Westphal, Direktorin des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenökologie, und Heinrich Baßler, Administrativer Geschäftsführer des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, sind von der Mitgliederversammlung der Leibniz-Gemeinschaft erneut für zwei Jahre zu Vizepräsidenten der Wissenschaftsorganisation gewählt worden. Die Amtszeit der beiden anderen Vizepräsidenten läuft noch ein weiteres Jahr.

Teilnahme unter Nennung von Stichwort, Name und Postanschrift per E-Mail an: verlosung@leibniz-gemeinschaft.de Einsendeschluss:. 13. März 2016 Die Gewinner erklären sich im Falle des Gewinns mit der Nennung ihres Namens und Herkunftsortes im nächsten Leibniz-Journal einverstanden.

Die Gewinner der Verlosungen aus dem Heft 3/2015: Jeweils ein Exemplar des Buches „Franz Josef Strauß: Herrscher und Rebell“ von Horst Möller geht an: Elisabeth Holand aus Neu-Ulm, Maria Petschelt aus Berlin und Hansjoerg Ebert aus Berlin. Ein Exemplar des Buches „Die Herrscher der Welt: Wie Mikroben unser Leben bestimmen“ von Bernhard Kegel erhalten: Dr. Sabine Glienke aus Worms, Kai Althoetmar aus Bad Münstereifel und Werner Götz aus Bonn.

Fotos: Tristan Vankann/ZMT; David Ausserhofer/WZB; C.H. Links-Verlag; Senckenberg

Leibniz-­ Wettbewerb: Grünes Licht für 26 Projekte

Arbeiten bei Leibniz 88 Institute der Leibniz-Gemeinschaft beschäftigen Die 89 18.100 Mitarbeiter, darunter 3.000 Doktorandinnen und Doktoranden und zahlreiche Auszubildende.

Suchen Sie Ihre Zukunft unter

www.leibniz-gemeinschaft.de/stellenportal

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4/2015


LEIBNIZ | 2016

Mit zahlreichen Veranstaltungen, einer neuen Internetseite und dem neuen Magazin „leibniz“ begeht die Leibniz-Gemeinschaft das LeibnizJahr 2016 „die beste der möglichen Welten“ Leibniz-Jahr 2016 Vor 370 Jahren kam der Universalgelehrte Gottfried ­Wilhelm Leibniz in Leipzig zur Welt, vor 300 Jahren starb er in Hannover. Die Leibniz-Gemeinschaft nimmt das zum Anlass für ein großes Themenjahr. Unter dem Titel „die beste der möglichen Welten“ – einem LeibnizZitat – rückt sie die Vielfalt und die Aktualität der Themen in den Blick, denen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der bundesweit 88 Leibniz-Einrichtungen widmen. Und stellt die Menschen hinter der Forschung vor. Was treibt sie bei ihrer Suche nach neuer Erkenntnis an? Und welchen Beitrag leisten sie zur Lösung gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch drängender Fragen?

Gottfried Wilhelm Leibniz

Ende des 17. Jahrhunderts vertieft sich der Philosoph, Mathematiker, Jurist, Diplomat, Historiker und Politikberater Leibniz in elementare Fragen des Lebens. Er entwickelt ein binäres Zahlensystem, das später die Grundlage der Computersprache bilden wird und tüftelt über Jahrzehnte an einer neuartigen Rechenmaschine. Er studiert Sprachen, baut eine Bibliothek auf und wird auch in der Windkraft zum Pionier — auch wenn seine Versuche mit Windrädern scheitern. Zugleich zählt Leibniz zu den großen Philosophen der Aufklärung. Er macht sich Gedanken über Religion und prägt den viel diskutierten Satz von »der besten der möglichen Welten«. 4/2015

Unsere Wirklichkeit stellt sich nach Leibniz in ihrer Gesamtheit als „die beste der möglichen Welten“ dar. Das ist – wie aktuelle, auch dramatische Ereignisse zeigen – keine perfekte Welt, sondern eine in der Fortschritte wie Rückschläge möglich sind. Die Menschen besitzen die Freiheit, die Welt zu beobachten, zu verstehen – und Verbesserungen anzustoßen. Diese Freiheit ist auch Bedingung von Wissenschaft.

Das Projekt

Wie Leibniz-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Freiheit 300 Jahre nach dem Tod des Universalgelehrten nutzen, möchten wir Ihnen auf ganz verschiedene Weise zeigen: • In einem umfangreiche Veranstaltungsprogramm mit der neuen Gesprächsreihe „Leibniz debattiert“, einem großen Berliner Salon und einer gemeinsamen Ausstellung der acht Leibniz-Forschungsmuseen. • Auf der neuen Internetseite www.bestewelten.de, die das ganze Jahr über Artikel aus Gesellschaft und Wissenschaft präsentiert. Außerdem gibt es hier alle Termine auf einen Blick.

• Das Leibniz-Journal wird 2016 in einem neuen Gewand erscheinen. Unter dem Namen „leibniz“ liefert es weiterhin vier Mal im Jahr spannende Geschichten aus Wissenschaft und Gesellschaft – und über die Menschen hinter der Leibniz-Forschung. 49


LEIBNIZ | LEKTÜRE

Anita Hermannstädter, Ina Heumann & Kerstin Pannhorst (Hg.): Wissensdinge – Geschichten aus dem Naturkundemuseum; 288 Seiten, Nicolai Verlag, Berlin 2015; 24,90 Euro ISBN 978-3-89479-950-2

Hans-Hermann Hertle & Hans-Wilhelm Saure: Ausgelacht- DDR-Witze aus den Geheimakten des BND; 144 Seiten, Ch. Links Verlag, Berlin 2015; 10,00 Euro. ISBN: 978-3-86153-844-8

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Ein Wissensding? Das ist das, was in einem Museum aus den Sammlungsobjekten wird. Durch das Präparieren, Ausstellen, Interpretieren, Erforschen und durch die Geschichten, die sich mit den Objekten verbinden. Wissensdinge stehen so zwischen natürlichen und künstlichen Dingen. So wie der Großaugenbarsch auf dem Buchumschlag von „Wissensdinge – Geschichten aus dem Naturkundemuseum“. Ein deutsch-russischer Naturforscher sammelte ihn 1805 in Japan, als Typus-Exemplar begründete er wissenschaftlich eine eigene Fischart, zwischendurch musste er seinen Namen und seine Gattung wechseln. Nun erlangt er nach fast 200 Jahren im Museum, aber vermutlich ohne je in der Aus-

stellung gezeigt worden zu sein, eine prominente Stellung. Das Buch zeigt aus den mehr als 30 Millionen Sammlungsobjekten des Museums 94 Beispiele ganz unterschiedlicher Wissensdinge vom MeteoritenBruchstück über das längst ausgestorbene Quagga bis hin zu gefälschten BernsteinFossilien. Ausgewählt und ganz persönlich beschrieben haben die Wissensdinge 94 Menschen – Grundschüler, Studenten und Wissenschaftler, aber auch eine ehemalige Bundesministerin. Damit machen sie sie noch ein bisschen mehr zu ganz besonderen Dingen, zu Wissensdingen.

Geheimdienste und Witze als gemeinsamer Gegenstand wissenschaftlich fundierter Literatur – in einem Buch wohlgemerkt – liegen nicht unbedingt auf der Hand. Aber wie so oft schreibt die Realität die besten Geschichten, denn der Bundesnachrichtendienst (BND) sammelte tatsächlich politische Witze in der DDR. Zuletzt zwei Mal jährlich legte er sie zum Rosenmontag und zum 11.11. als Stimmungsbarometer aus dem Osten dem Bundeskanzleramt vor. Nach Freigabe der Akten haben der Histo­riker Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und der Bild-Journalist Hans-Wilhelm Saure die Witze aus dem Geheimdienstunterlagen des BND zusammengetragen und in ihrem Buch „Ausgelacht“ auf knapp

100 Seiten veröffentlicht. Vorangestellt haben sie einen 30-seitigen Essay über den zeitgeschichtlich bislang weitgehend unerforschten politischen Witz in der DDR und die Sammelaktion des BND. An dieser Stelle ist aber vorübergehend Schluss mit lustig: Denn die Autoren berichten auch über aktenkundige Fälle aus der Frühphase der DDR, in denen das Erzählen eines politischen Witzes als „staatsfeindliche Hetze“ mit Zuchthaus bestraft wurde. Trotzdem können die Leser anschließend wieder ohne schlechtes Gewissen über die thematisch sortierten Witze lachen. Denn die waren ein kleiner, humoriger Akt der Distanzierung und Rebellion gegen das totalitäre System.

www.mfn-wissensdinge.de

c h r i stoph h er bort - v on l oeper

Wir verlosen drei Exemplare von „Ausgelacht – DDR-Witze aus den Geheimakten des BND“ 3 S. 48

c h r i stoph h er bort - v on l oeper

4/2015


LEIBNIZ | LEKTÜRE

Frank Bösch (Hg.): Geteilte Geschichte Ost- und Westdeutschland 1970-2000; 491 Seiten, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015; 34,99 Euro; ISBN 978-3-525-30083-1

Hans-Werner Sinn: Der Euro — Von der Friedensidee zum Zankapfel; 560 Seiten, Hanser Verlag, München 2015; 24,90 Euro. ISBN 978-3-446-44468-3

Abb: Carola Radke/MfN; V&R; C. Bertelsmann; Ch. Links Verlag; Nicolai Verlag; Hanser Verlag; rororo

Ingeborg Seltmann:

4/2015

Horst allein zu Haus; 384 Seiten, rororo, Reinbek 2015; 9,99 Euro ISBN: 978-3-499-26953-0

Hans Joachim Schellnhuber: Selbstverbrennung; 784 Seiten, C. Bertelsmann Verlag, München 2015; 29,99 Euro ISBN: 978-3-570-10262-6

Die geteilte Geschichte Deutschlands erschließt sich erst im Spannungsfeld von Abgrenzung und Verflechtung der beiden deutschen Staaten vollständig. Damit eröffnet Frank Bösch den Band „Geteilte Geschichte. Ost- und Westdeutschland 1970-2000“. Unter dieser Prämisse reflektieren zwölf Aufsätze historische Knotenpunkte beider deutscher Staaten, die auch für die Entwicklung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft zentrale Herausforderungen und Themen darstellen. Die Beiträge spannen den Bogen vom politischen und ökonomischen Wandel über Umwelt- und Bildungspolitik bis zur kulturellen Bedeutung von Digitalisierung, Sport und

Massenmedien. Sowohl die transnationale als auch zeitliche Perspektive, die das „Umbruchsjahr“ 1990 in das Narrativ integriert und damit Kontinuitäten und Brüche stärker in den Fokus bringt, eröffnen neue Einblicke in die historische Entwicklung beider Staaten und nicht zuletzt auf deutsche Befindlichkeiten nach der Wiedervereinigung. Damit gelingt dem Herausgeber und Autor Frank Bösch vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, eine komplexe Darstellung der Geschichte des geteilten Deutschlands für Zeithistoriker und für alle interessierten Leserinnen und Leser. sabi n e m ü l l er

Von der Friedensidee zum Zankapfel – so beschreibt Hans-Werner Sinn die Geschichte des Euros. Er spricht grundlegende Konstruktionsfehler des Euro-Systems an, dessen Spannungen sich vor allem in der jüngsten Krise in Griechenland entladen. Zu groß sei das Gefälle zwischen wirtschaftsschwachem Süden und den reicheren Ländern im Norden, die die Lasten des Südens mitverantworten müssen, so der Präsident des ifo-Instituts – LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung. Bereits im 19. Jahrhundert sei in den USA erkennbar geworden, dass eine Vergemeinschaftung von Schulden nicht funktioniere: Ausführlich be-

schreibt Sinn die damaligen Schuldenexzesse und Pleiten einzelner Mitgliedsstaaten. Heute könnte die Verschuldung Griechenlands ein ähnliches Finanzchaos wie damals erzeugen. Der Ökonom kritisiert aber nicht nur, er präsentiert auch Lösungsvorschläge: Er fordert einen Schuldenschnitt für Griechenland und verlangt nach dem Vorbild der heutigen USA ein striktes Verbot der Haftung des Bundes und der Notenbank für verschuldete Gliedstaaten. In einer „atmenden Eurozone“ könnten schwächelnde Mitgliedsstaaten zeitweilig austreten, ohne dass eine anschließende Rückkehr ausgeschlossen sei. l en a l ei sten

Dass Ingeborg Seltmann nicht nur als Museumspädagogin abwechslungsreich durch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg führen kann, sondern auch unterhaltsame Romane schreibt, beweist sie mit ihrem neuen Buch „Horst allein zu Haus“. Die Protagonistin Gabi ist gerade erst 60 geworden und fühlt sich noch zu jung, um in Rente zu gehen. Sie liebt ihren Job in der Buchhandlung, doch das Problem ist ihr Mann Horst. Seit kurzem in Rente, möchte der mehr Zeit mit Gabi verbringen, endlich leben, am besten auf einer langen Kreuzfahrt. Nun ja, für den Anfang muss erst einmal ein Tangokurs reichen. Die älteste Tochter hingegen benötigt dringend Unter-

stützung mit dem ersten Kind. Da Horst an der Volkshochschule über „etruskischen Bergbau“ referiert, bricht Gabi allein zur Tochter nach Berlin auf. Nur um von dort dann direkt zur Frankfurter Buchmesse zu reisen. Und in der ganzen Zeit ist Horst allein zu Haus… Ingeborg Seltmann schreibt mit Humor und Augenzwickern über die alltäglichen Herausforderungen einer Frau, die sich noch lange nicht alt genug fühlt, um mit Senioren über den Atlantik zu schippern. In kurzen Kapiteln begleitet der Leser Gabi durch ihren turbulenten Alltag, der dieses Buch dank des ganz alltäglichen Wahnsinns zu einer kurzweiligen Lektüre macht. an n a r äm i sc h

Das Jahr 2015 war das vorerst wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Damit hatte wohl der Klimawandel selbst ein Möglichkeitsfenster geöffnet, um im Dezember in Paris zu einem neuen Weltklimavertrag zu kommen, der die klimapolitische Zielmarke von zwei Grad maximaler Erderwärmung deutlich unterbietet. Pünktlich vor Beginn dieser 21. UN-Klimakonferenz hat der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, sein eigenes „Vermächtnis“ vorgelegt. Auf rund 700 Seiten ist das unmissverständlich mit „Selbstverbrennung“ betitelte Buch ein Plädoyer für den

Schutz des Klimas. Schellnhuber vermittelt dabei für Laien verständliche wissenschaftliche Grundlagen der Klimaforschung und zeichnet die Entstehungsgeschichte seiner eigenen Fachdisziplin nach. Zugleich ist es die Autobiographie einer beeindruckenden Forscher- und Beraterpersönlichkeit, die auch eindrucksvolle und mitunter erschreckende Innenansichten der internationaler Klimadiplomatie erlaubt. Denn Schellnhuber war lange der klimapolitische Chefberater der Bundesregierung und in dieser Funktion auch an etlichen internationalen Klimaverhandlungen indirekt beteiligt. c h r i sti an kobsd a

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N L EA ICBHNRI Z I C |H TLEENU T E

Die besten Absolventen unter den Doktoranden und Auszubildenden hat die LeibnizGemeinschaft während ihrer Jahrestagung Ende November in Berlin ausgezeichnet. Für ihre herausragenden Dissertationen erhielten Dr. Tobias Stöhr vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel und Dr. Judith Mylius vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg den Nachwuchspreis der Leibniz-Gemeinschaft. Als beste Auszubildende wurde die Biologielaborantin Lisa-Marie Johannssen vom Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften geehrt.

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Tobias Stöhr analysierte in seiner Dissertation verschiedene soziale und ökonomische Effekte internationaler Arbeitsmigration aus Sicht von Migranten und ihrer Familien. Dabei zeigte er, dass es unter Geschwistern häufig einen starken Spezialisierungseffekt gibt; wenn ein Geschwisterteil ins Ausland geht, kompensieren die zurückbleibenden Familienmitglieder deren Ausfall bei der Pflege der Eltern. Tobias Stöhr fand auch heraus, dass ein Weggang von Familienmitgliedern nicht wie oft befürchtet negative Konsequenzen haben muss. Ein erhöhtes Einkommen

durch Geldüberweisungen der im Ausland arbeitenden Kinder kann das Leben der Eltern im Herkunftsland verbessern. Weniger Aufwand für die Selbstversorgungslandwirtschaft verschafft ihnen außerdem mehr Zeit für Erholung und soziale Kontakte. Judith Mylius hat in ihrer Doktorarbeit den Zusammenhang verschiedener kognitiver Prozesse wie Hörverständnis, Motivation und Aufmerksamkeit im Gehirn untersucht. Durch Verhaltensexperimente mit Langschwanz-Makaken zeigte sie, dass der Botenstoff Dopamin das Hörzentrum in der Großhirnrinde beeinflusst und ein motiviertes Individuum besser hört, da die Nervenzellen durch das Dopamin Signale besser verarbeiten können. Mit der Beantwortung dieser alten neurobiologischen Frage eröffnen sich neue Behandlungswege für Menschen mit Lernstörungen aufgrund einer Degeneration des Dopamin-Systems mit Tiefer Hirnstimulation. Durch die Verwendung nicht-menschlicher Primaten statt Nagern als Tiermodell ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass Mylius‘ Erkenntnisse besser und schneller auf den Menschen übertragen werden können.

Für ihre sehr guten Leistungen in der Berufsschule und ihre Arbeit an den Instituten, ihr Engagement bei der Unterstützung von Mitschülern und ihren Einsatz in der Berufsinformation von potenziellen Auszubildenden wurde Lisa-Marie Johannssen mit dem Leibniz-Auszubildendenpreis prämiert. Der zweite Preis ging an Carolin Stolpe, die eine Ausbildung zur Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in der forschungsbasierten Infrastruktureinrichtung Sozio-ökonomisches Panel (SOEP) absolvierte. Sie überzeugte unter anderem durch die weitgehend selbstständige Umsetzung der jährlichen Nutzerbefragung 2014 des SOEP bei rund 2000 Forscherinnen und Forschern. Platz drei belegte der Physiklaborant Marc Möbis vom Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie in Berlin. Er war nicht nur Jugendauszubildenden-Vertreter im Betriebsrat, sondern hielt bereits während der Ausbildung Fachvorträge für Technikerschulungen des MBI und war in der Außendarstellung des Instituts engagiert.

www.leibniz-gemeinschaft.de/ ueber-uns/auszeichnungen/

Fotos: Peter Himsel; Phatcharin Tha-in; Manuela Köhler; MWFK Brandenburg; IPK

Ausgezeichnet

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LEIBNIZ | LEUTE

Dr. Andreas Walther vom DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen erhält einen „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC). Der Chemiker forscht an intelligenten Nanostrukturen. In seinem ERC-Projekt will er die zeitliche Kontrolle über Materialstrukturen betrachten und künstliche Materialien entwickeln. Bei diesen sollen nach dem Vorbild des menschlichen Körpers einzelne Komponenten im Laufe der Zeit neu entstehen, sich verändern oder auflösen. Derartige Materialien könnten vielseitigen Einsatz finden – zum Beispiel als temporäre Datenspeicher, als Trägermaterialien für medizinische Wirkstoffe oder Biosensoren. Nach seiner Promotion an der Universität Bayreuth und Postdoc-Stationen in Finnland leitet Andreas Walther seit 2011 eine Nachwuchsgruppe am DWI.

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Seit dem 1. November 2015 ist Prof. Dr. Stefan Eisebitt Direktor am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) in Berlin. Der Physiker ist seit 2008 Inhaber einer Strukturprofessur an der Technischen Universität Berlin für das Fachgebiet „Nanometer-Optik und Röntgenstreuung“. Besonders bekannt ist Stefan Eisebitt für seine Entwicklungen zur resonanten Röntgenholografie, die zum Beispiel zeitaufgelöste Aufnahmen ultraschneller Magnetisierungsvorgänge ermöglicht. Neben seiner fortdauernden Tätigkeit an der TU Berlin vertritt er am MBI das Fachgebiet „Experimentelle Physik mit Schwerpunkt Laserphysik“.

Mit dem Postdoc-Preis des Landes Brandenburg in der Kategorie Sozial- und Geisteswissenschaften ist Dr. Franziska Rehlinghaus vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam ausgezeichnet worden. In ihrer prämierten Arbeit beschäftigt sich die Historikerin mit der Frage, wie es den protestantischen Kirchen gelingen

konnte, im Deutschland des 19. Jahrhunderts die Deutungshoheit über Bestattung und Tod wiederzuerlangen und ihre rituelle Gestaltung weitestgehend konkurrenzlos an sich zu ziehen. Der Brandenburger PostdocPreis wird jährlich in zwei Kategorien verliehen, die mit jeweils 20.000 Euro Preisgeld dotiert sind.

Einen „Consolidator Grant“ hat erforschte Prozess soll neue der Europäische Forschungs- Ansätze zur Ertragssteigerung rats (ERC) PD Dr. Thorsten eröffnen. Ährchen bezeichnen Schnurbusch vom Leibniz-­den Blütenstand entlang einer Institut für Pflanzengenetik Getreideähre, in denen sich und Kulturpflanzenforschung später die einzelnen Körner (IPK) in Gatersleben zugespro- entwickeln. Bekannt ist, dass chen. Mit seinem Forschungs- dieser Wachstumsprozess der projekt möchte der Leiter der Pflanze und damit die Anzahl Arbeitsgruppe Pflanzliche Bau- der späteren Körner genetisch pläne am IPK die Entwicklung begrenzt wird. Unklar ist jevon Getreideährchen bei G ­ erste doch, wie genau diese Prozesse auf molekularer Ebene unter- auf mole­kularer Ebene gesteusuchen. Dieser bisher kaum ert werden.

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LEIBNIZ | LEUTE

Der langjährige Direktor des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) in Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Sandner, ist am 5. Dezember völlig unerwartet im Alter von 66 Jahren gestorben. Der Laserphysiker war von 1993 bis 2013 MBI-Direktor. Anschließend engagierte er sich als Generaldirektor beim Aufbau der Extreme Light Infrastructure (ELI), einer gemeinsamen europäischen Anstrengung, in der die weltweit intensivsten Laser eingesetzt werden sollen. Noch im November konnte er die Einweihung der Gebäude des Forschungszentrum ELI-Beamlines in Dolní Břežany (Tschechien) feiern. Von 2003 bis 2013 war Sandner Koordinator des Netzwerks „Laserlab Europe“ der 30 größten Laserforschungseinrichtungen Europas, von 2010 bis 2012 fungierte er als Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

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Prof. Dr.-Ing. ­Matthias Wessling hat die Position des stellvertretenden wissenschaftlichen Direktors am DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen übernommen. Seit 2010 forscht er als Alexander-vonHumboldt-Professor in Aachen, wo er den Lehrstuhl für Chemische Verfahrenstechnik an der RWTH inne hat.

Dr. Kristin ­Mühlen­bruch ist für ihre Dissertation am Deutschen Institut für Ernährungsforschung PotsdamRehbrücke (DIfE) mit dem Nachwuchswissenschaftlerinnen-Preis des Forschungsverbunds Berlin ausgezeichnet worden. Ihre Arbeit hat wesentlich dazu beigetragen, den von DIfEWissenschaftlern erstellten Risiko-Test für Typ-2-Diabetes weiterzuentwickeln. Dieser leistet einen wichtigen Beitrag zur Diabetesprävention.

Am 1. Oktober 2015 hat Prof. Dr. Markus Meier die Leitung der Sektion Physikalische Ozeanographie

und Messtechnik des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) übernommen. Zuvor arbeitete der Experte für theoretische Ozeanographie und Klimamodellierung am Schwedischen Meteorologischen und Hydrologischen

Institut. Mit dem Wechsel ans IOW übernimmt Meier auch eine Professur für Ozeanographie an der Universität Rostock.

Prof. Dr. med. ­Mircea Ariel Schoenfeld von der Universitätsklinik für Neurologie Magdeburg und stellvertretender Direktor der Abteilung für Verhaltensneurologie am Leibniz-Institut für Neurobiologie hat für seine wissenschaftlichen Arbeiten zur bislang unheilbaren degenerativen Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) den „Christa Lorenz-ALSForschungspreis 2015“ erhalten. Der mit 15.000 Euro dotierte Forschungspreis wird von der Stiftung für medizinische Wissenschaft vergeben.

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Fotos: Buck Institute for Research on Aging; privat; Ralf Günther; DWI; PRO MAGDEBURG; Ralf Günther; IOW

Der Stammzellforscher Prof. Dr. Heinrich Jasper vom Buck Institute for Research on Aging (USA) erhält eine Alexander von Humboldt-Professur, für die ihn das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut und die Friedrich-Schiller-Universität Jena vorgeschlagen haben. Jasper gilt als einer der führenden Experten in der Stammzell- und Alternsforschung. Seine Kenntnisse über die Signalwege, die im Alter und bei Entzündungen zur Hemmung der Stammzellfunktion und des Organerhalts führen, sollen den Hauptschwerpunkt der Alternsforschung in Jena stärken. Die Alexander von Humboldt-Professur ist der höchstdotierte Forschungspreis Deutschlands und soll internationale Spitzenforscher an deutsche Universitäten holen.

Dr. Tine Hanrieder, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Global Governance am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), hat den mit 10.000 Euro dotierten Berliner Nachwuchspreis erhalten. Die Politikwissenschaftlerin wird für ihre Arbeiten zu globaler Gesundheitspolitik ausgezeichnet, in denen sie unter anderem die Geschichte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nachzeichnet und Gründe für das Scheitern von Reformen aufzeigt. Der Berliner Nachwuchspreis wird zusammen mit dem Berliner Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters vergeben und zeichnet innovative Forschungsansätze in einem Zukunftsfeld mit besonderem Nutzen für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin aus.


Ausstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt

Eine Expedition durch die Biodiversit채t 19. Februar bis 26. Juni 2016

NaturMuseuM FraNkFurt aM MaiN seNckeNbergaNlage 25 60325 FraNkFurt aM MaiN

4/2015

www.vielfalt-zaehlt.de

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Aus dem Hause

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