Vincent und das Farbenwunder

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Dieter Konsek





Vincent und das Farbenwunder

Dieter Konsek Illustration: Katrin Hummel



Vor langer Zeit sah die Welt noch ­­­anders aus. Die Farben waren noch nicht entdeckt und auch die Musik noch nicht erfunden, selbst die Vögel saßen stumm auf den Bäumen und langweilten sich ein wenig. Damals trafen sich alle drei Jahre die großen und kleinen Zauberer im Traubenwald, um ihre neuesten Erfindungen vorzuführen.



Dem Zauberlehrling Vincent machte das Zaubern schon lange keinen Spaß mehr, denn ihm wollte nichts gelingen. Die anderen, ja, die konnten zaubern. Wenn die ihren Zauberstab erhoben, wurde eine Maus plötzlich groß wie ein Elefant oder das Wasser hart wie Stein. Vincent saß lieber unten am See und schaute den Fischen beim Wettschwimmen zu, denn er mochte das Wasser so wie es war, weich und kühl, und vor großen Mäusen fürchtete er sich ein wenig.



Eines Tages geschah etwas Sonderbares. Als Vincent durch ein Schilfrohr blies, kam ein seltsamer Klang heraus und das eine Ende des Rohres begann zu leuchten. „Was ist das?“ fragte sich Vincent leicht erschrocken. Vorsichtig blies Vincent noch einmal in das Rohr und wieder glühte die Spitze. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen!“, rief Vincent erstaunt, packte seine Sachen und lief eilig zum Traubenwald.


„Das ist ein schöner Trick“, sagte der Oberzauberer ruhig, „aber den kennen wir schon. Der ist doch zu nichts zu gebrauchen, wir wollen hier nützliche Dinge sehen. Außerdem kann niemand dauernd pfeifen und die Farben am Leuchten halten, auch du nicht.“ Vincent verließ betrübt den Platz und warf das Schilfrohr verärgert fort.



„Das war schön, spiel weiter“, rief ein kleiner Vogel begeistert. „Ich kann nicht mehr!“, stöhnte Vincent und schnappte nach Luft. „Bitte zeig mir wie das geht“, bat der Vogel. „Na gut, nimm die Flöte in die Hand und blas hinein“, erklärte Vincent. „Ich kann nicht“, sagte der Vogel enttäuscht, „ich habe keine Hände.“ Also hielt Vincent dem Vogel die Flöte vors Gesicht und sagte: „Nun mach deinen Schnabel spitz.“ „Ich kann nicht,mein Schnabel ist zu hart“, erwiderte der Vogel. „Dann versuch es erst einmal ohne Flöte“, schlug Vincent vor. Der kleine Vogel strengte sich mächtig an. Plötzlich kam ein schriller Pfiff aus seinem Schnabel und eine Blume leuchtete rot auf. „Ich kann pfeifen, ich kann pfeifen!“, rief der Vogel und hüpfte und tanzte vor lauter Freude.



Die Nachricht vom kleinen pfeifenden Vogel und von Vincents Flöte, die Farben zaubern konnte, verbreitete sich in Windeseile im ganzen Land. Alle Vögel kamen, um singen zu lernen, und es dauerte nicht lang, da war die Luft erfüllt von ihrem Gezwitscher und überall leuchteten bunte Farben.






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