Schäper, Jonathan (2013) – Corporate ambiguity

Page 1

Corporate Ambiguity

Was bedeutet Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung?

Produktlebenszyklus Vorgelegt im Wintersemester 2012/2013 von Jonathan Schäper (4. Semester) Haan, den 16. April 2013 Kontakt: jonathan.schaeper@me.com ecosign / Akademie für Gestaltung Dozent: Bernd Draser



3

Inhalt

Einleitung 4 1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3

Identität 5 Individuum, Subjekt und Identität 5 Individualisierung 9 Der Subjektbegriff im Übergang von der Spät- zur Postmoderne 13 Nietzsches Subjektverständnis 14 Welschs Subjektverständnis 16 Baumans Subjektverständnis 18

2 2.1 2.1 2.3 2.4 2.5

Corporate Identity 20 Kontext 20 Allgemeine Begriffsbestimmung 21 Statischer Ansatz 24 Dynamischer Ansatz 24 Vergleich der Ansätze 27

3

Fazit 31

4

Bedeutung von Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung 34 Bibliografie 36 Notizen 37 Impressum 40 Eidesstattliche Erklärung 40


4

Einleitung

Der Gegenstand meines Produktlebenszyklusses ist die Bedeutung von Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung. Wie später noch genauer dargestellt wird, basiert das Corporate-Identity-Konzept auf der Annahme, dass Unternehmen in ihrem Verhalten und in ihrer Wirkung auf die Umwelt grundsätzlich vergleichbar mit Personen beschrieben und erklärt werden können. Diese Annahme veranlasst mich in dieser Arbeit der Frage nachzugehen, welche Bedeutung Corporate Identity hat, wenn auf der Ebene von Personen vom Zeitalter der Identitätsauflösung gesprochen wird. Als Designer habe ich in der letzten Zeit meinen Schwerpunkt auf Corporate Design gelegt. Corporate Design meint in einem allgemeinen Verständnis die Gestaltung und Darstellung der Unternehmenspersönlichkeit. Dabei trage ich als Designer die Verantwortung für die Wirkung der Gestaltung und damit den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens. Frei nach Draser ist damit gutes Design im Sinne von verantwortungsvollem Design dann gegeben, wenn dieses in der Lage ist, Komplexitäten zu bewältigen, von denen es heute und zukünftig in Anspruch genommen wird (Draser 2012). Um als Designer Komplexitätskompetenz nicht nur im Design, sondern auch im Thema Identität in seiner Entwicklung und Diskussion zu erwerben, habe ich mich in dieser Arbeit intensiv mit der Konstitution des individuellen und kollektiven Subjekts und seiner Identität auseinandergesetzt. Die Arbeit gliedert sich nach der Leitfrage: Was bedeutet Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung? Diese Frage ist ohne Vorwissen nicht zu beantworten und deswegen wird sie in Teilen beantwortet. Im ersten Teil der Untersuchung soll die Frage geklärt werden, was Identität meint und wie diese zustande kommt. Dafür werden die drei relevanten Begriff Individuum, Subjekt und Identität erläutert und voneinander unterschieden. Daran anschließend soll das Zeitalter der Identitätsauflösung und sein Identitätsverständnis erläutert werden. Der Weg dahin führt über den Individualisierungsprozess und das Verständnis des Subjekts in der Spätund Postmoderne. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Begriff und den Facetten von Corporate Identity. Zuerst wird der Begriff erläutert, um dann in die Facetten eines statischen und dynamischen Ansatzes aufgeteilt zu werden. Diese werden abschließend miteinander verglichen. Im Anschluss an den ersten und zweiten soll im dritten Teil dann die Bedeutung von Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung bestimmt werden.


Identität

1

1.1

5

Identität

Individuum, Subjekt und Identität Im Folgenden möchte ich die drei wesentlichen Begriffe Individuum, Subjekt und Identität erläutern und eingrenzen. Dabei geht es nicht um eine eindeutige Definition der Begriffe, die angesichts der vielschichtigen und diffusen Begriffsdefinitionen der unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen unmöglich erscheint, sondern um eine Eingrenzung der Begriffe im Schnittpunkt von Philosophie, Semiotik, Psychologie und Soziologie wie Zima sie vorschlägt (vgl. Zima 2000, S. X). Diese Begriffsbestimmung ist nicht durch Vollständigkeit gekennzeichnet, sondern durch den Versuch, die relevanten Punkte für das Thema und die Leitfrage dieser Arbeit herauszufiltern. Voraussetzung für die Bestimmung des Identitätsbegriffs ist der Subjektbegriff und wie er sich vom Begriff des Individuums unterscheidet. Den Subjektbegriff nach unserem heutigen Verständnis hat es allerdings nicht immer gegeben. Deswegen soll zunächst die Entwicklung des Subjektbegriffs in kurzer Form beschrieben werden. Wenn Zima behauptet, dass es das Individuum als individuelles Subjekt nicht immer gegeben hat, dann ist damit das individuelle Subjekt gemeint, dass eine eigene Meinung äußert, Verantwortung trägt, Dissens anmeldet und autonom handelt (vgl. Zima 2000, S. 4). In archaischen Gesellschaften geht Zima zufolge der Einzelne im kollektiv praktizierten Mythos auf und auch in feudalen Gesellschaften denkt, spricht und handelt das Individuum im kollektiven Kontext der religiösen Gemeinschaft, der Gilde oder der Sippe. Erst in modernen Gesellschaften kann der Einzelne sich aus dem Kollektiv lösen und damit entsteht auch das moderne Verständnis des Individuums (vgl. Zima 2000, S. 4-5). Indem die Gruppen-Identität des Einzelnen in modernen Gesellschaften durch die Ich-Identität ersetzt wird, entsteht das moderne Verständnis des Individuums. Dieses ist Zima zufolge gekennzeichnet durch die Einzigartigkeit und Besonderheit des Menschen in seiner Existenz im Vergleich zu allen anderen Menschen. Mit diesem Verständnis des Individuums geht auch seine hohe Wertschätzung einher (vgl. Zima 2000, S. 5). Die Entwicklung des Individuums in modernen Gesellschaften ist gemäß Zima aber nicht nur durch die Auflösung feudaler Bevormundung und der infolgedessen freigesetzten Einzigartigkeit und Freiheit des Individuums gekennzeichnet; die Marktgesellschaft führte auch dazu, dass die gewonnene individuelle Freiheit durch die Reduzierung des Individuums auf seine Eigenschaft als Produzent und Konsument wieder abnahm. Die Folge davon ist die teilweise oder vollständig negierte Eigenschaft des Individuums als psychisches und sozio-kulturelles Wesen (vgl. Zima 2000, S. 5-6).


6

Identität In diesem Kontext geht Welsch auf die von Berlin geprägten Begriffe „negative und positive Freiheit“ ein. Die negative Freiheit meint die Zwänge und Bevormundungen, denen ein Subjekt sich ausgesetzt sehen kann. Die positive Freiheit kann als Selbstverwirklichung des Einzelnen gesehen werden, die ihn dazu bemächtigt, bestimmte Wünsche, Sehnsüchte und Lebensentwürfe zu verwirklichen. Die Subjektivität als Subjekt-Sein bedeutet dann, dass das selbstbestimmte Subjekt als Herr seiner Lage sich selbst verwirklichen kann und nicht Objekt äußerer Mächte ist (vgl. Zima 2000, S. 6). Aus dieser knappen Darstellung geht die Ambivalenz des Subjektbegriffs hervor. Subjekt in seiner etymologischen Bedeutung meint im Lateinisches etwas Zugrundeliegendes (hypokeímenon, subiectum) oder auch Unterworfenes (subiectus = untergeben) (vgl. Zima 2000, S. 3). Der Unterschied zwischen Individuum und Subjekt gleicht dem Unterschied zwischen Kultur und Natur. So kann das Individuum als ein biologisches Wesen und das Subjekt als kulturelle und sprachliche Erscheinung aufgefasst werden (vgl. Zima 2000, S. 8). Das Individuum kann also als vergängliche, kontingente Basis der kulturell und sprachlich formierten Subjektivität bezeichnet werden. Individuelle und kollektive Subjekte unterscheiden sich darin, dass kollektive Subjekte nicht den biologischen, jedoch den politischen Tod kennen (vgl. Zima 2000, S. 9). Das individuelle Subjekt als sprechende und handelnde Instanz kann Zima zufolge auch als Subjekt-Aktant verstanden werden, der mit anderen Aktanten kommuniziert und interagiert. Das Verständnis des individuellen Subjekts als Subjekt-Aktant ist laut Zima eine Möglichkeit, mit der sich am ehesten das Verhältnis zwischen individuellen, kollektiven und anderen Subjektinstanzen beschreiben lässt (ebd.). Das Aktantenmodell der strukturalen Semiotik Greimas’, auf das sich Zima bezieht, kennt im Wesentlichen folgenden Handlungsinstanzen, die die Konstitution des individuellen Subjekts bestimmen: Auftraggeber, Gegenauftraggeber, Subjekt, Antisubjekt und Objekt, Helfer und Widersacher. In diesem Kontext wird das Subjekt vom Auftraggeber mit der Verwirklichung eines narrativen Programms beauftragt und dabei von Helfern unterstützt (vgl. Zima 2000, S. 10). Das individuelle Subjekt konstituiert sich also in einem Kommunikations- und Interaktionszusammenhang mit anderen Aktanten, indem es sich einen Auftraggeber aussucht oder von diesem vereinnahmt wird. Dieser Auftraggeber beeinflusst das Schicksal des Einzelnen beispielsweise als politischer Führer, Partei, Gewerkschaft, Wissenschaft oder Kunst. Das Schicksal kann auch als narratives Programm bezeichnet werden und bestimmt das Verhältnis zwischen individuellen und kollektiven Subjekten in der Frage, wer wessen narratives Programm bestimmt. Damit ist auch die Frage nach der Autonomie des individuellen Subjekts gestellt. Individuellen und kollektiven Subjekten ist gemein, dass sie sich in einem Kommunikations- und Interaktionszusammenhang durch ein narratives Programm, ihrer Identität, konstituieren (vgl. Zima 2000, S. 14).


Identität

7

Zima fasst dies folgendermaßen zusammen: „Kollektive und individuelle Subjekte entstehen in sozio-linguistischen Situationen, die als Zusammenwirken von Gruppensprachen oder Soziolekten und deren Diskursen darstellbar sind“ (Zima 2000, S. 15). Das individuelle Subjekt kann Zima zufolge im Diskurs auf andere Diskurse imitativ oder dialogisch-polemisch reagieren und sich dabei für oder gegen die Kriterien, Klassifikationen und Definitionen des Diskurses entscheiden. Dabei kommt seine Identität als sprechendes und handelndes Subjekt im Diskurs als narratives Programm zustande (ebd.). Individuelle und kollektive Subjekte sind also durch Gesellschaft und Sprache bedingt. Das Subjekt gerät in eine gesellschaftliche und sprachliche Situation, die es nicht global ändern kann. Beispielhaft dafür sind die Soziolekte, also Gruppensprachen von Jugendgruppen, politischen Parteien, ideologischen Bewegungen oder die Fachsprache in Wissenschaft und Werbung. Das Subjekt wird vor allem dadurch bedingt, das sein Verhalten bis zu einem gewissen Grad imitativ und adaptiv ist. Da es zumeist keine eigenen Relevanzkriterien zur Bewältigung der gesellschaftlichen Wirklichkeit kennt, orientiert es sich an einem oder mehreren Soziolekten. Die Orientierung an seinem gesellschaftlichen und sprachlichen Kontext ermöglicht es dem Subjekt, die Wirklichkeit sinnvoll zu strukturieren und damit zu bewältigen. Diese Strategie kann Zima zufolge auch als narratives Schema oder ideologisches Modell bezeichnet werden. Es entsteht in der existenziellen Entscheidung für ein Soziolekt und einen Diskurs, die es ihm ermöglichen, sich dem Leben zu stellen und ihm einen Sinn zu verleihen (vgl. Zima 2000, S. 15-17). Kennzeichnend für die Bedingtheit des Subjekts – Zima nennt es Überdeterminierung – ist die Dialektik von Unterworfen sein und Selbstbestimmung. Berlin würde von der Dialektik der negativen und positiven Freiheit sprechen. Das individuelle Subjekt kann gemäß Zima nur vereinzelt sein eigenes narratives Programm verwirklichen und wird häufiger von übermächtigen Kollektivsubjekten und ihren Soziolekten vereinnahmt (vgl. Zima 2000, S. 17). Allerdings kann Zima zufolge das Subjekt nicht restlos einem Soziolekt verfallen, denn auch totalitäre Systeme sind von Differenz und Abweichung gekennzeichnet, die nach ihrem Zusammenbruch als Ambivalenz zutage treten. Dieser Zusammenbruch führt einerseits zu einer Krise des bis dahin von der Ideologie konstituierten Subjekts, andererseits setzt er auch kritische Subjektivität frei. Die Ambivalenz führt zur Reflexivität des Subjekts gegenüber seiner eigenen Subjektivität (vgl. Zima 2000, S. 19). Die positive Freiheit kann also von Ideologien usurpiert werden, aber gerade in spätmodernen und postmodernen Gesellschaften ist dies laut Zima nicht von langer Dauer. Dies liegt an der Kurzlebigkeit von religiösen, ideologischen, wissenschaftlichen und medialen Strömungen, die nach ihrem Zusammenbruch und Konstellationswechsel stets wieder Subjektivität freisetzen (vgl. Zima 2000, S. 21).


8

Identität Wesentlich für die Konstitution des Subjekts ist demnach seine „Autoreflexivität“, die es dem Subjekt ermöglicht, über seine eigene Beschaffenheit im Hinblick auf seinen Ursprung nachzudenken. Das Subjekt ist damit in der Lage, verschiedene ideologische Identitäten zu reflektieren und zu relativieren (ebd.). Voraussetzung für die Reflexivität des Subjekts ist die Wechselbeziehung zwischen Individualität als soziale Physis und Potentialität und Subjektivität als Verwirklichung dieser Potentialität im Sprechen und Handeln. Dabei kann laut Zima Individualität auch als Selbstheit (ipseité von lat. ipse) und Subjektivität als Gleichheit (mêmeté im Sinne von Idem) bezeichnet werden. In der Dialektik von Selbstheit und Gleichheit kommt die narrative Identität zustande, die von Kontinuität und Diskontinuität bedingt ist. Wird die Diskontinuität zu groß, kann Zima zufolge das Individuum seine Subjektivität verlieren wie bei Musils „Mann ohne Eigenschaften“ (vgl. Zima 2000, S. 23). Zima fasst sein Subjektverständnis wie folgt zusammen: „Das Subjekt ist also eine dynamische Einheit von Individualität und Subjektivität, die weder ausschließlich als zugrundeliegende, mit sich identisch sinnstiftende Instanz noch als zerfallendes Element oder unterworfene Kreatur zu verstehen ist (Zima 2000, S. 24).“ Abschließend soll nun noch der Identitätsbegriff nach Zima zusammenfassend dargestellt werden, wie er schon in Teilen zuvor entwickelt wurde. Zima versteht Identität als Objekt des fühlenden, denkenden, sprechenden und handelnden Subjekt-Aktanten. Der narrative Prozess der Identitätsbildung hat reflexiven Charakter und kann auch als Subjektbildungsprozess bezeichnet werden. So kann Subjektivität Zima zufolge als Synthese von Individualität und Identität aufgefasst werden, „[…] weil erst derjenige, der eine psychische, soziale und sprachliche Identität erworben hat, als fühlendes, sprechendes und handelndes Subjekt erkannt wird“ (Zima 2000, S. 25). Individualität (Selbstheit), Subjektivität (Gleichheit) und Identität stehen demnach in einem zirkulären Verhältnis: das eine setzt das andere voraus. Fazit Zusammenfassend hat sich das Individuum als kulturelle und sprachliche Erscheinung aus der Gruppen-Identität archaischer und feudaler Gesellschaften herausgelöst und eine Ich-Identität entwickelt. Das somit entstandene Subjekt in seinem modernen Verständnis ist durch seine gesellschaftliche Bedingtheit ambivalent strukturiert: es befindet sich im Spannungsverhältnis von etwas Zugrundeliegendem oder etwas Unterworfenem. Das individuelle Subjekt konstituiert sich im dialektischen Verhältnis von Individualität und Subjektivität, die jedoch die Herausbildung einer narrativen Identität voraussetzen. Wesentlich für die weitere Beantwortung der Leitfrage sind die Ambivalenz des Subjekts und die Entwicklung eines narrativen Programms als Voraussetzung seiner Konstitution.


Identität 1.2

9

Individualisierung Mit Zima wurde bereits ein kurzer Blick auf die Entstehung des modernen Begriffs des Individuums als individuelles Subjekt geworfen, das sich aus archaischer und feudaler Bevormundung löst und sich seiner Einzigartigkeit und Freiheit bewusst wird. In der nun folgenden Darstellung des Individualisierungsprozesses soll noch einmal ein genauerer Blick auf die Entwicklung des modernen Begriffs des Individuums geworfen werden. Wenn im Folgenden von Individuum gesprochen wird, dann ist damit das individuelle Subjekt im Sinne Zimas gemeint. Im Anschluss an diese Darstellung soll mit Nietzsche, Welsch und Bauman das Subjekt im Zeitalter der Identitätsauflösung betrachtet werden. Individualisierung bezeichnet das Verständnis des Individuums von sich selbst als zentralen Bezugspunkt für sich und die Gesellschaft. Das Individuum wird zum sozialen Gestalter der Realität. Individualisierung erweitert und begrenzt Handlungsmöglichkeiten der Individuen. Der Individualisierungsprozess ist durch den Übergang von Uniformität zur Vielfalt der Lebensformen gekennzeichnet (vgl. Junge 2002, S. 7). In diesem Zeitalter der Vielfalt der Lebensformen kann das Individuum durch die Diskontinuität seiner narrativen Identität seine Subjektivität verlieren: das Zeitalter der Identitätsauflösung. Wie es soweit kommen konnte, soll die folgende Darstellung des Individualisierungsprozesses zeigen. Junge sieht in der kulturellen Erfindung des Individuums die Voraussetzung für Individualisierungsprozesse. Unter Erfindung versteht er zweierlei: Zum einen meint Erfindung die Entwicklung der Idee des Individuums im Kontext langer historischer Prozesse und zum anderen die Veränderung in der Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse (vgl. Junge 2002, S. 30-31). Die Idee des Individuums und einer Individualitätssemantik wurde lange Zeit in seiner Entstehung und Entwicklung an der Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit angesiedelt. Dabei trennte die Grenze eine Zeit ohne die Idee eines Individuums von einer Zeit, die diese Idee in ihrer kulturellen und sozialen Bedeutung entdeckte und zur Wirksamkeit brachte. Junge weist jedoch darauf hin, dass neuere Befunde die Idee des Individuums und das Aufkommen einer Individualitätssemantik wesentlich früher als die Renaissance verorten (vgl. Junge 2002, S. 31). Erste Hinweise auf eine frühere Entstehung der Idee des Individuums und der Individualität zeigen sich anhand von Selbstdarstellungen in „autobiographischen Reflexionen“ der Spätantike. Als Beispiel kann hier die Schrift Confessiones (Bekenntnisse) des lateinischen Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354-430 n. Chr.) genannt werden. Diese frühe Form der Selbsterforschung der Lebensgeschichte ist als Selbstthematisierung gleichzeitig ein erstes Zeugnis kultureller Bedeutung des Individuums. Über Jahrhunderte wurde in verschiedenen Epochen diese Autobiographie „[…] als quasi psychologische Selbstdarstellung einer gläubigen Seele oder als literarisches Zeugnis einer religiösen Bekehrung verstanden“ (Junge 2002, S. 32).


10

Identität Nach Junge stellt die kulturelle Erfindung des Individuums die Voraussetzung für die Wahrnehmung der individuellen Person und damit ihrer Berechenund Zurechenbarkeit dar. Diese Bedeutung erlangte das Individuum erst durch seine kulturelle Erfindung. Davor wurde dem Individuum als Einzelmenschen im Rahmen der Beschreibung kultureller oder sozialer Prozesse keine besondere Bedeutung zugeschrieben (vgl. Junge 2002, S. 32-33) Die Voraussetzungen und Wurzeln für die Entstehung der Idee des Individuums liegen Junge zufolge im Christentum und seiner Entwicklung. Dabei tragen neben anderen Einflüssen vor allem zwei Elemente zur Entstehung der Idee bei: Erstens die Idee der Sündhaftigkeit des Menschen und zweitens die Taufe und die damit verbundenen Namensgebung. Die Idee der Sündhaftigkeit ist an die Vorstellung einer sündigen Einzelperson gebunden und mit der Taufe ist erst die dauerhafte Bezeichnung als „Einer und Einziger“ möglich. Mit der von Martin Luther (1483-1546) vorangetriebenen Reformation verdichtet sich der Gedanke des Individuums weiter, denn mit der Reformation werden die kulturelle Idee der Eigenverantwortlichkeit und der Gewissensfreiheit des Einzelnen wichtige Bestandteile für das Selbstverständnis der Menschen (vgl. Junge 2002, S. 34). Die Entwicklung der Eigenverantwortlichkeit bedeutet Junge gemäß auch, dass die Idee des Schicksals nicht mehr als Schlüssel zum Verständnis des Lebens passt. Voraussetzung für diese Entzauberung der sozialen Realität ist ein Rationalisierungsprozess, der die rationale Durchdringung aller Phänomene zur Folge hatte. Daraus ergibt sich, dass die im Christentum angelegte Gewissensfreiheit als Autonomie an sozialer Bedeutung gewinnt (ebd.). Die Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit, Rationalität und Autonomie wird durch einen Disziplinierungsprozess stabilisiert. Junge spricht in diesem Zusammenhang von der „Abrichtung“ des Menschen durch Zivilisationsprozesse (ebd.). Im Zuge der Entstehung von Nationalstaaten wird Fremd- in Selbstzwang transformiert, die zur Herstellung von Kontrolle über die körperlichen Ausdrucksformen und Affekte des Menschen führen (vgl. Junge 2002, S. 34-35). Die Entstehung des Individuums wird Jung zufolge von der Entstehung einer Individualitätssemantik begleitet. Diese ist geprägt von sich wandelnden gesellschaftlichen Strukturen und sich verändernden Selbsterfahrungen der Individuen. Mit der Komplexitätssteigerung gesellschaftlicher Verhältnisse geht einher, dass sich die Rollen des Individuums ausdifferenzieren. Diese Differenzierungsprozesse eröffnen die Möglichkeit der Beschreibung eines Individuums als Individualität durch die Angaben der jeweiligen Rollenkombinationen. Die Ursache der veränderten Selbsterfahrung liegt vor allem darin, dass sich Individuen als Individuen verstehen. Dieses Selbstverständnis des Individuums nimmt seinen Anfang im entstehenden Bürgertum (vgl. Junge 2002, S. 35). Die Idee des autonomen Staatsbürgers ist laut Junge neben der Entwicklung des Bürgertums ein weiterer Einflussfaktor für die Stabilisierung der kulturellen Erfindung des Individuum. Die Idee des autonomen Staatsbürgers manifestiert sich in dem Wunsch nach Gestaltung des sozialen Zusammenle-


Identität

11

bens durch die Bürger. Bereits zwischen den 11. und 13. Jahrhundert konnte sich das aufstrebende und nach politischer Macht bemühende Bürgertum das Recht auf kommunale Selbstverwaltung erkämpfen. Spätestens mit den großen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts musste der Staat den Autonomiebestrebungen seiner Staatsbürger nachgeben und seine Untertanen in politische Prozesse einbinden. Dies wurde schrittweise umgesetzt durch die Einführung und allmähliche Ausweitung des Wahlrechts auf immer größere Bevölkerungskreise (vgl. Junge 2002, S. 36). Der Prozess der Entwicklung des Individuums kann gemäß Junge anhand von exemplarischen Belegen nachverfolgt werden. So dokumentieren vor allem Entwicklungen in den schönen Künsten ab dem 16. Jahrhundert in Form von Autobiographien, Tagebüchern und Selbstporträts die Bedeutungszunahme des Individuums. Diese exemplarischen Belege dienen der Selbstreflexion von Erfahrungen und Erlebtem und sind als Form der Selbstreflexion ein Durchbruch für die Idee der Individualität. Sie zeigen außerdem, dass die Idee des Individuums weit zurückreicht und sich früh in künstlerischer Form zu äußern begann, die bis heute bestand hat (vgl. Junge 2002, S. 37). Junge hat in der weiteren Darstellung der Entwicklung des Individuums diese nach Individualitätsschüben typologisiert (vgl. Junge 2002, S. 37-41), die im Folgenden kurz beschrieben werden. 1. und 2. Individualisierungsschub Der erste Individualisierungsschub beginnt mit dem aufkommenden Christentum, dass die Fundamente für die Entwicklung der Idee des Individuums legte. Der zweite Individualisierungsschub wurde von der Durchsetzung der Ohrenbeichte ab dem 13. Jahrhundert und der Entwicklung des Protestantismus ausgelöst. Eigenverantwortlichkeit und Gewissensfreiheit kennzeichnen diese zweite Phase, die die soziale Form der Individualität bereitstellt. Beide Individualisierungsschübe stellen den Beginn der sozialen Bedeutsamkeit des Individuums und der Individualität für die Entstehung und Entwicklung moderner Gesellschaften dar. 3. Individualisierungsschub Mit dem dritten Individualisierungsschub setzt die Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft ein. Dabei ist das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft durch die Auffassung bestimmt, dass das Individuum Resultat sozialer Prozesse ist, also ein komplexes Bündel vielfältiger, sich aus Differenzierungsprozessen ergebender Erwartungen an eine Person darstellt. In diesem Kontext kann von dem Individuum im Sinn eines Dividuums, also eines geteilten Individuums gesprochen werden. Dabei stellen die Probleme des Individuums und seiner Individualität die Folge seiner gesellschaftlichen Konstitution als Dividuum dar. Das Verständnis des Individuums als Resultat sozialer Prozess und damit der Gesellschaft, entwickelt sich aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung, Urbanisierung und Bürokratisierung.


12

Identität Diese zwingt dem Individuum Anpassungsreaktionen auf, „[…] die es nicht als Herrn des Geschehens zeigen“ (Junge 2002, S. 38). In diesem historischen Kontext des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts entwickeln vor allem Durkheim, Weber und Simmel wegweisende soziologische Fragestellungen und Zeitdiagnosen. Allen gemein ist die Frage nach den Auswirkungen gesellschaftlicher Prozesse auf das Individuum. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen das Subjekt als Resultat gesellschaftlicher Prozesse und Kräfte. 4. Individualisierungsschub Der vierte Individualisierungsschub wird von massiver Wohlstandssteigerung ausgelöst und kehrt das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft um. Im Unterschied zur klassischen Soziologie wird das Individuum unter anderem von Ulrich Beck als entscheidender Motor für Vergesellschaftungsprozesse erkannt. Dabei erscheint Gesellschaft nun als Produkt des Handelns von Individuen. Mit dieser Umkehr rückt der gewachsene Möglichkeitsspielraum des Individuum und damit seiner Chance zur Beeinflussung und Mitgestaltung von Vergesellschaftungsprozessen in den Mittelpunkt des Interesses. Zusammenfassend steht in der vierten Phase die Gestaltbarkeit der Gesellschaft durch individuelles Handeln im Vordergrund. Die Ursachen für die Umkehrung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft im Übergang der dritten zur vierten Phase können im Wandel der Selbstthematisierung der Individuen gesehen werden. So kennzeichnet die vierte Individualisierungsphase eine Zeit, in der das Individuum sich aus der Dominanz gesellschaftlicher Vorgaben und Normen befreit. Die Befreiung des Individuums hat jedoch auch zur Folge, dass das Individuum nicht mehr auf die Gesellschaft als Orientierung für sein Handeln zurückgreifen kann. Es muss nun eigene Handlungsoptionen entwickeln und ist damit auf sich selbst „zurückgeworfen“. Das bedeutet aber auch, dass das Individuum die Gesellschaft gestaltet. Die veränderte Vorstellung des Individuums im Kontext der Gesellschaft zeigt sich in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft. Beispielsweise in den Veränderungen der privaten Lebensführung und des Politischen. Mit der Pluralisierung von Formen der privaten Lebensführung entsteht auch deren Wahlmöglichkeit. Fazit Das Individuum als eine kulturelle Erfindung hat sich durch historische Prozesse zu seinem heutigen Verständnis entwickelt. In unterschiedlichen Entwicklungsschüben konnte das Individuum die Darstellungsmöglichkeiten seiner Individualität erweitern und seine Handlungsmöglichkeiten von gesellschaftlichen Zwängen befreien. Dabei wandelte sich das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum von einem Produzenten zum Produkt des Individuums und gerät damit im vierten Entwicklungsschub in den Mittelpunkt der soziologischen Frage nach der Konstitution von Gesellschaft. Das Zeitalter der Identitätsauflösung kann in Anschluss an Zima und Junge in der Spät-und


Identität

13

Postmoderne oder dem dritten und vierten Individualisierungsschub verortet werden. Somit besitzt es für heutige individuelle und kollektive Subjekte, also auch für Unternehmen und Organisationen, bezeichnenden Charakter in der Beschreibung der sozialen Wirklichkeit. 1.3

Der Subjektbegriff im Übergang von der Spät- zur Postmoderne Mit den drei Philosophen Nietzsche, Welsch und Bauman soll im Anschluss an die Beschreibung der Geschichte der Individualisierung der Subjektbegriff der Spät- und Postmoderne näher erläutert werden. Für die weitere Darstellung des Subjektbegriffs sollen die Begriffe Moderne, Spätmoderne und Postmoderne voneinander unterschieden und kurz erläutert werden. Moderne wird laut Zima oft synonym mit Neuzeit verwendet und bezeichnet in Abgrenzung zum Mittelalter (bis ca. 1600) die Zeit der Aufklärung und Rationalisierung und die damit einhergehende Säkularisierung und Verwissenschaftlichung der Gesellschaft (vgl. Zima 1997, S. 8-9). Der Begriff Spätmoderne beschreibt Zima als eine Zeit des kritischen Nachdenkens über die Moderne und damit das Reflexiv werden dieser: die Moderne wurde selbstkritisch (vgl. Zima 1997, S. 10). Welsch sieht in der Spätmoderne den Beginn der Partikularität und Pluralität in Wissenschaft, Kunst und Philosophie. Diese Entwicklung wurde durch die Entdeckung der Relativitätstheorie von Albert Einstein und der damit einhergehenden Ablösung der Mathesis universalis angestoßen und führte zu einer Vielzahl an Wirklichkeiten, wo vorher Einheit und Universalität herrschte (vgl. Welsch 1997, S. 77-78). Die Postmoderne geht Zima zufolge über die Moderne und Spätmoderne als Selbstreflexion der Moderne hinaus und ist geprägt von der Krise des modernen (industriellen, kapitalistischen) Wertesystems und der Notwendigkeit, über dieses Wertesystem kritisch nachzudenken (vgl. Zima 1997, S. 18). Zima erkennt drei Faktoren, die zu der nachmodernen Krise des Subjekts geführt haben: „[…] 1. die immer schwieriger werdende Ausrichtung des individuellen auf einen überindividuellen Subjekt-Aktanten; 2. der allmähliche Zerfall kollektiver Wertesysteme; 3. die diesen Prozeß begleitende Entwertung der Sprache, die als Grundlage der Subjektivität immer brüchiger wird“ (Zima 2000, S. 31). Aus dieser Krise des Subjekts entwickelten die postmodernen Philosophen ihr Verständnis des Subjekts als Unterworfenes (sub-iectum) und Zerfallendes (vgl. Zima 2000, S. 38). Ein Kerngedanke postmodernen Denkens ist die These, „[…] daß die Wiederholung eines Zeichens (im Sinne der semantischen Rekurrenz oder Redundanz) nicht kohärenz- oder identitätsbildend wirkt, sondern Abweichungen, Widersprüche zeitigt und so den Zerfall des Diskurses und des Subjekts bewirkt“ (Zima 2000, S. 41). Demnach können Begriffe in einem Diskurs


14

Identität nicht ohne Abweichungen wiederholt werden und somit ist auch das Subjekt des Diskurses nach Zima aufgrund von selbstproduzierten Abweichungen nie mit sich selbst identisch. Zima weist allerdings darauf hin, dass der mit dieser These einhergehende Zerfall oder die Auflösung des Subjekts etwas voreilig erscheint, nur weil man da, wo man statische Identität vermutete, unerwartet Bewegung und Wandel wahrnimmt. Deswegen schlägt er ein Kompromiss vor: „Insofern kann Subjektivität […] als sich wandelnde Identität und als Einheit in der Vielfalt aufgefaßt werden. Es kommt darauf an, von einer Auffassung der Subjektivität als statischer Identität oder als ‚Zustand der völligen Beharrung‘ (Frank) abzurücken, um sich ein Subjekt vorstellen zu können, dessen Individualität als sozialisierter Natur, dessen Subjektivität als Kultur nur als Prozesse oder dynamische Einheiten denkbar sind“ (Zima 2000, S. 42). Diese kurze und allgemeine Einführung in den Subjektbegriff der Spät- und Postmoderne beschreibt noch mal, wie Identitätsauflösung zu verstehen ist und Identität als dynamische Einheit von Individualität und Subjektivität gerettet werden kann. Diese Entwicklung von Zerfall und Auflösung des Subjekts und seiner Rettung kann anhand von Nietzsche, Welsch und Bauman nachvollzogen werden. In ihren Identitätsmodellen versuche alle drei Philosophen Antworten auf die Krise des Subjekts zu geben. 1.3.1

Nietzsches Subjektverständnis Nietzsches Verständnis des Subjekts kann in die 3. Phase der Individualisierung eingeordnet werden. Also in eine Phase, in der das Individuum als Resultat sozialer Prozesse und damit als Produkt der Gesellschaft gesehen wurde. Friedrich Nietzsche (15.10.1844 - 25.08.1900) gilt als ein radikaler Kritiker der abendländischen Traditionen, der Metaphysik, der Philosophie und der christlichen Moral (vgl. Steenblock 2007, S. 256). Nietzsches Subjektbegriff ist im Kontext der herrschenden sozialen Verhältnisse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seiner Kritik am traditionellen Begriff von Vernunft, Wahrheit und Moral zu verstehen. Die sozialen Verhältnisse waren gekennzeichnet von einem verbürgerlichten und demokratisierten Christentum, in dem das individuelle Subjekt ein entmündigtes Produkt der Sittlichkeit darstellte (vgl. Zima 2000, S. 133), oder wie Zima sagt, im Kollektiv aufgrund übermächtiger Auftraggeber durch ideologische Affirmation aufging (vgl. Zima 2000, S. 131). Aus diesem Kontext der spätmodernen Krise des Subjekts entwickelte Nietzsche den Übermenschen als Antwort auf die Zwänge der Spätmoderne. Um Nietzsches Genealogie des individuellen Subjekts zu verstehen, soll zunächst ein kurzer Blick auf seine Kritik an Vernunft, Wahrheit und Moral geworfen werden. Nietzsche geht von einem zweideutigen Charakter der modernen Welt aus und sieht in der daraus entstehenden Ambivalenz die Ursache für den Zerfall des systematischen Denkens. So meint Ambivalenz


Identität

15

die Zusammenführung der Gegensätze ohne Aufhebung, begleitet durch die Paradoxie, dass beispielsweise Lust und Unlust nicht in einer höheren Synthese aufgelöst werden können, sondern parallel verlaufen, sich gegenseitig relativieren und dekonstruieren (vgl. Zima 2000, S. 134-135). Diese „Kräfte des Zerfalls“ sind Zima zufolge der Grund für die Partikularisierung und faktische Auflösung von Begriffen mit Universalanspruch wie Vernunft, Wahrheit und Moral. Sie sind partikular strukturiert und nicht verallgemeinerungsfähig und können der Kontingenz und Partikularisierung überantwortet werden (vgl. Zima 2000, S. 135). So ist für Nietzsche Logik, selbst wenn sie dialektisch ist, keine Lösung, da sie unauflöslich mit der Unlogik verbunden ist und daher kontingent und nicht verallgemeinerungsfähig ist (ebd.). Diese Zweideutigkeit oder Ambivalenz der Begriffe, die nicht in einer Synthese aufgelöst werden können, führt zu einem ebenso partikularen und kontingenten Wahrheitsund Moralbegriff. Indem Nietzsche zeigt, dass Begriffe wie Moral und Wahrheit keinen Universalanspruch besitzen, deckt er den repressiven Charakter der modernen Welt auf (vgl. Zima 2000, S. 136). Der ambivalente und repressive Charakter in Nietzsches Verständnis der Spätmoderne führt zu seinem Verständnis des individuellen Subjekts als eine zerfallende und zerworfene, von Widersprüchen geprägte, heterogene Instanz, die am Rande des Zerfalls agiert (vgl. Zima 2000, S. 131). „Subjekt: das ist die Terminologie unseres Glaubens an eine Einheit unter allen den verschiedenen Momenten höchsten Realitätsgefühls: wir verstehen diesen Glauben als Wirkung einer Ursache, – wir glauben an unseren Glauben so weit, daß wir um seinetwillen die ‚Wahrheit‘, ‚Wirklichkeit‘, ‚Substantialität‘ überhaupt imaginieren. – ‚Subjekt‘ ist die Fiktion, als ob viele gleiche Zustände an uns die Wirkung eines Substrats wären: aber wir haben erst die ‚Gleichheit‘ dieser Zustände geschaffen; das Gleich-setzen und Zurecht-machen derselben ist der Tatbestand, nicht die Gleichheit (– diese ist vielmehr zu leugnen –)“ (Nietzsche 1887). Nietzsche sieht also in unserer Vorstellung von Subjektivität eine Konstruktion des Irrealen, die durch das Gleichsetzen des Nichtgleichen, durch das Übersehen des individuellen und wirklichen zustande kommt (vgl. Zima 2000, S. 132). Nietzsche sieht das Ich als etwas, das durch das Denken gemacht wird. Damit unterscheidet er sich wesentlich von Descartes, der davon ausging, dass das Ich im Cogito die Voraussetzung des Denkens ist (vgl. Zima 2000, S. 137). Nietzsches Vorstellung von einem individuellen Subjekt basiert auf einem extrem reduzierten Aktantenmodell, das sich in seiner Vorstellung vom Übermenschen widerspiegelt. In diesem Modell verzichtet er auf einen Auftraggeber (Gott, Weltgeist, Geschichte) oder anders gesagt auf ein „kollektives grand design im Sinne des Christentums oder Hegels“ (Zima 2000, S. 138). Außerdem führt er Subjekt- und Objekt-Aktant zusammen, d.h. der Übermensch ist nicht nur Subjekt, sondern auch sein eigens Objekt, das Ziel seiner Handlungen (ebd.).


16

Identität Das Aktantenmodell ist von dem Gedanken der Selbstbemächtigung bestimmt. Zima zufolge geht es dabei darum, „[…] sich ein seiner selbst mächtiges, übermenschliches Subjekt jenseits der gesellschaftlichen ‚Zwangsjacke‘ vorzustellen“ (ebd.): den Übermenschen. Mit dem Willen zur Macht und dem Übermenschen, der sich nach dem Tod Gottes von moralischen Traditionen befreit und selbst Werte setzt, plädiert Nietzsche für einen lebendigen und weltbejahenden Menschen. Dieser Mensch hat sich nicht nur mit Vergangenem und Gegenwärtigem abgefunden, sondern möchte es genauso in ewiger Wiederkehr haben (vgl. Steenblock 2007, S. 263). Der Mythos der ewigen Wiederkehr ist Zima zufolge Nietzsches Versuch sich von einer linearen Vorstellung von Geschichte zu lösen und jede Art von Teleologie zu verneinen. Der Mythos der ewigen Wiederkehr macht den Übermenschen zu seinem eigenen Auftraggeber und Telos (vgl. Zima 2000, S. 139). Daraus ergibt sich, dass ein „selbstbemächtigtes“ Subjekt, das jede Art von Auftraggeber ablehnt und sich selbst zum Ziel hat, nicht mehr als linear verlaufende Erzählung darstellbar ist, sondern nur im mythischen Kreislauf. Es steht damit außerhalb jeder Historizität. Der Wille zur Macht ist in diesem Kontext die Art und Weise, wie die Selbstbemächtigung des Übermenschen möglich wird (vgl. Zima 2000, S. 140). Fazit So stellt Zima zusammenfassend fest, dass Nietzsches Übermensch ein Versuch ist, den herrschenden sozialen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts zu entfliehen. Nietzsches Verdienst besteht nach Zima darin, dass er die Kehrseite der idealistischen Freiheit aufgezeigt hat. Aus etwas Zugrundeliegendem wurde etwas Unterworfenes und dadurch die nachmoderne Kritik des modernen Idealismus eingeleitet (vgl. Zima 2000, S. 137). In Nietzsches Vorstellung des selbstbemächtigten Subjekts bleibt jedoch die Frage offen, wie sich das Subjekt mit dem Willen zu Macht gegen übermächtige Kollektiv-Subjekte und deren narrative Programme wehren kann. 1.3.2

Welschs Subjektverständnis Wolfgang Welsch (17.10 1946 –) entwickelt seine Vorstellung von Identität aus dem Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse. Diese sind nach Welsch geprägt durch die Pluralisierungsdynamik der Moderne, die sich nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auch auf individueller Ebene der Individuen vollzieht und sich in der Postmoderne fortsetzt und steigert. Die Generalthese Welschs lautet demnach auch, dass die objektive Pluralisierung die Ursache für die individuelle ist (vgl. Welsch 2010, S. 191). Neben der Pluralisierung sind Welsch zufolge unsere gegenwärtigen Verhältnisse auch durch Ambivalenz gekennzeichnet. Wie Nietzsche und Bauman betont auch Welsch die Ambivalenz von Wahrheit, Pluralisierung und Ästhetisierung, die nur dann zu einem tragfähigen Wirklichkeitsverständnis führen, wenn auch ihre Gegenthesen verfolgt werden (vgl. Welsch 2010, S. 192).


Identität

17

Welsch geht also davon aus, dass die objektive Pluralisierung der Gesellschaft auch auf die Individuen zutrifft und damit Identität nicht mehr etwas zusammenhängendes, eine Einheit bildendes ist, sondern vielmehr nur noch plural möglich erscheint. Leben ist Welsch zufolge von Übergängen zwischen unterschiedlichen Lebensformen gekennzeichnet. Diese Pluralität der Lebensformen gilt es nicht durch Einheitsbeschwörungen zu bewältigen, es müssen vielmehr Formen gefunden und ausgebildet werden, in denen Pluralität gelebt werden kann und Übergänge mit neuen Identitätsfindungen möglich werden (vgl. Welsch 2010, S. 171-172). Mit dieser Vorstellung der „Identitätsvervielfachung“ (Welsch 2010, S. 172) oder der „Verbreiterung des Identitätsfächers“ (Welsch 2010, S. 179), wendet sich Welsch gegen ein traditionelles Verständnis von Identität und Variabilität des Subjekts, das von einem substantiellen Kern ausgeht (Welsch 2010, S. 176). Allerdings geht es Welsch nicht um die Leugnung oder Auflösung von Subjektivität, sondern um eine gemäßigtere Interpretation von Subjektivität und um die Herausbildung neuer Identitätsformen, die den Pluralisierungsprozessen und der daraus entstehenden Problematik der Subjekt- und Identitätskonstitution angemessener sind (vgl. Welsch 2010, S. 172, 179). Seine These einer individuellen Pluralisierung sieht Welsch auch in soziologischen Analysen bestätigt. Diese weisen Welsch zufolge auf die fortschreitende Pluralisierung der Lebensstile hin. Für die pluralen Lebensformen gibt es noch keine Stile, die Orientierung bieten würden und so muss das Subjekt erst noch eigene entwickeln. Dabei sind laut Welsch gerade für solche Kurzphasen Identitätsmodelle bedeutsam und nötig, die diesen Wechseln Rechnung tragen. Es geht also darum Identitätsmodelle zu entwickeln, die Pluralität zum Kern haben und damit eine progressive Aneignung der Pluralisierungsdynamik darstellen (vgl. Welsch 2010, S. 180). Das traditionelle Identitätsmodell wird im Kern ersetzt: Pluralität ersetzt Einheit. Identität besteht Welsch zufolge aus einem Kern der Vielheit der Möglichkeiten Fazit Zusammenfassend geht Welsch also von einer Pluralisierungsdynamik in nachmodernen Gesellschaften aus, die sich auch auf die Ebene der Individuen auswirkt und Identitätsformen notwendig machen, in denen die Pluralität der Lebensformen gelebt werden kann und Übergänge zwischen verschiedenen Identitäten möglich sind. Auch Welsch löst sich damit aus dem Einheitsgedanken des modernen Identitätsverständnisses. Allerdings sogar soweit, dass Einheit durch Pluralität ersetzt wird und ein substanzieller Kern – also die Individualität – nur noch aus der Vielheit der Möglichkeiten besteht. Offen bleibt auch, wie die Übergänge zwischen den verschiedenen Identitäten möglich werden, ohne dass das Subjekt durch die Diskontinuität seines narrativen Programms seine Subjektivität verliert. Somit erscheint mir seine Darstellung der Identität im Übergang mehr eine Beschreibung gesellschaft-


18

Identität licher Verhältnisse in postmodernen Gesellschaften zu sein, als dass sie eine hinreichende Formulierung eines Identitätsmodelles darstellt. 1.3.3

Baumans Subjektverständnis Zygmunt Bauman (25.11.1925 –) entwickelt aus der Annahme einer ambivalenten und kontingenten modernen Gesellschaft sein Verständnis des individuellen Subjekts, das dem vierten Individualisierungsschub zugeordnet werden kann. Bauman erkennt in der Kontingenz als Zustand des Unbehagens und der Ängstlichkeit ein Produkt der reflexiven Moderne. Die Selbsttäuschung der Moderne in ihrem Entwurf der rational-universalen Welt der Ordnung und Wahrheit, führte laut Bauman zu ihren bereits postmodernen Produkten der Ambivalenz und Kontingenz (vgl. Bauman 2005, S. 367). Anders gesagt: Das Scheitern des Universalitätsanspruchs der Moderne führt zu der Notwendigkeit, dass das Individuum die Hoffnung auf Universalität aufgeben muss und die übrig gebliebene Kontingenz in sein Geschick umwandelt. Mit Agnes Heller beschreibt Bauman sein Verständnis von Geschick: „Ein Individuum hat seine oder ihre Kontingenz in sein oder ihr Geschick verwandelt, wenn diese Person zu der Überzeugung gekommen ist, das Beste aus seinen, oder ihren praktisch unendlichen Möglichkeiten gemacht zu haben“ (Heller 1989 in: Bauman 2005, S. 369). Die Voraussetzung für Kontingenz als Geschick sieht Bauman in der Emanzipation. Darunter versteht Bauman die Akzeptanz der eigenen Kontingenz, mit der einhergeht, dass diese auch der hinreichende Grund dafür ist, „leben und leben zu lassen“. Emanzipation ist für Bauman damit „[…] das Ende des Schreckens vor der Andersheit und der Abneigung gegen Ambivalenz“ (Bauman 2005, S. 369). Wie Wahrheit ist Emanzipation Bauman zufolge nicht eine Qualität von Objekten, sondern bestimmt die Qualität ihrer Beziehung. Die Qualität wird durch den neuen Umgang mit Ambivalenz bestimmt: das Ende der Furcht und der Anfang der Toleranz (vgl. Bauman 2005, S. 370).Toleranz wird damit die entscheidende Voraussetzung für die Artikulation der Emanzipation und damit auch der Transformation von Kontingenz in Geschick. Emanzipation meint die Toleranz des Anderen. Bauman zufolge genügt es nicht, die Demütigung des Anderen zu vermeiden, sondern er muss auch respektiert werden. Denn das einzige, was in einer ambivalenten Gesellschaft als universal gilt, ist die Einzigartigkeit. Diese ist es laut Baumann auch, die uns durch unser Verschiedensein mit allen Menschen ähnlich macht. Somit muss ich die Differenz des Anderen akzeptieren, bevor ich meine eigene Differenz anerkennen und damit auch die Kontingenz in Geschick umwandeln kann (vgl. Bauman 2005, S. 370-371). Die Emanzipation durch Toleranz ist für Bauman ein zweischneidiges Schwert. Toleranz ist selbst ambivalent und kann einerseits bedeuten, dem Anderen gegenüber freundlich zu sein oder aber auch Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber seiner Lage zu äußern. Dieses Desinteresse mündet


Identität

19

Bauman zufolge in einer Schicksalsergebenheit, Resignation vor dem Anderen, das nicht geändert werden kann. So ist Toleranz ambivalent und darüber hinaus auch kontingent und Bauman zufolge nicht ausreichend. Die Verbindung zu dem Fremden ist nach Bauman durch Verantwortung gekennzeichnet und nicht nur durch Toleranz des ähnlichen Schicksals. Verantwortung meint vielmehr die Gemeinsamkeit des Geschicks. Dieses geteilte Geschick ist nur durch Solidarität möglich (vgl. Bauman 2005, S. 371). Fazit Zusammenfassend beruht Baumans Subjektverständnis auf der Annahme, dass die postmoderne Gesellschaft durch Ambivalenz und Kontingenz gekennzeichnet ist und das Subjekt durch seine Emanzipation die Kontingenz in sein Geschick verwandeln muss. Toleranz enthüllt sich als Geschick und macht den langen Weg vom Schicksal zum Geschick, von der Toleranz zur Solidarität möglich (vgl. Bauman 2005, S. 374). Letztendlich gibt es Bauman zufolge keinen sicheren Ausweg aus der Ungewissheit, denn der Versuch zu Entkommen sowie die Lage, aus der man versucht zu entkommen, sind selbst kontingent. Demnach heißt in Kontingenz leben, ohne Garantie zu leben (vgl. Bauman 2005, S. 373). Allen drei Autoren ist der Versuch gemein, Antworten auf die spätmoderne Krise des Subjekts zu finden. Während Nietzsche die Bedingtheit des Subjekts durch die Gesellschaft aufdeckt und Welsch die Pluralisierungsdynamik der Spät- und Postmoderne auf das Individuum überträgt, ist sich Bauman der Ambivalenz und Kontingenz des postmodernen Subjekts bewusst und versucht das zerfallende Subjekt in Form des Geschicks und der Solidarität zu retten.


Corporate Identity

20

2

Corporate Identity

Im Anschluss an die Darstellung des Identitätsverständnisses in der Spätund Postmoderne soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, den facettenreichen Begriff Corporate Identity näher zu bestimmen. In einem ersten Schritt wird eine allgemeine Begriffsbestimmung erfolgen, die dann durch die Facetten eines statischen und dynamischen Ansatzes von Corporate Identity ergänzt wird. Abschließend werden beide Ansätze im Hinblick auf ihre Möglichkeiten und Risiken hin untersucht und verglichen. Durch die Darstellung der Facetten von Corporate Identity und ihrer anschließenden Diskussion soll herausgearbeitet werden, welche Antworten Unternehmen und Organisationen auf die zunehmende Differenzierung und Pluralisierung ihrer internen und externen Strukturen geben. Diese wiederum lassen sich dann mit Nietzsche, Bauman und Welsch vergleichen und im Kontext des Individualisierungsprozesses bewerten. 2.1

Kontext Um die Bedeutungszunahme von Corporate Identity als strategisches Instrument der Unternehmensführung im Laufe der letzten 30 Jahre zu erklären, wird im folgenden Abschnitt der Kontext und seine Bedingungen erläutert, denen Unternehmen und Organisationen ausgesetzt sind. Corporate Identity als eine Erfolgsformel unternehmerischen Handelns entwickelte sich im Kontext einer sich verändernden Marktsituation. Der Begriff verweist auf diese Veränderung, denn das Phänomen ausgeprägter Firmenidentitäten ist nicht neu, die bewusste Konstruktion der Firmenidentität schon (vgl. Daldrop 1997, S. 10). Kennzeichnend für die Veränderung ist laut Linneweh ein Überangebot einander immer ähnlicher werdender Waren- und Dienstleistungen, mit denen Unternehmen und Organisationen konfrontiert werden. Die Globalisierung und die damit einhergehende Vereinheitlichung von „Techno- und Kommunikationsstrukturen“ (ebd.) führt dazu, dass sich Produkte unterschiedlicher Anbieter in Preis und Qualität immer weniger unterscheiden und die Leistungsmerkmale komplexer Produkte (z.B. Computer und Software) oder Dienstleistungen (z.B. Versicherungen, Banken) von Kunden kaum noch überprüft werden. Unternehmensinterne Strukturen werden durch internationale Unternehmenszusammenschlüsse, Produktdiversifikation und die Eröffnung neuer Tätigkeitsfelder und Branchen immer uneinheitlicher und machen es demzufolge immer schwerer, die Identität eines Unternehmens nur über seine Produkte zu definieren (ebd.).Diese Entwicklung führt nach Linneweh dazu, dass es für Unternehmen immer schwieriger wird, ihre Produkte oder Dienstleis-


Corporate Identity

21

tungen ihren Marktpartnern gegenüber zu kommunizieren und dabei nicht in der Masse an unternehmerischen Kommunikationsmaßnahmen unterzugehen. Resultat dieser Entwicklung ist eine komplexe Wahrnehmungswelt, in der es immer schwieriger wird, sich zu orientieren. Dem gegenüber steht jedoch das menschliche Bedürfnis nach Orientierung. Linneweh weist zusammenfassend daraufhin, dass es bei allen Identitätsbemühungen von Unternehmen und Organisationen darum geht, Orientierungsmöglichkeiten zu bieten, die einen Beitrag zur Unternehmenswahrnehmung und damit auch zum Unternehmenserfolg leisten (vgl. Daldrop 1997, S. 12). In dieser Beschreibung lassen sich die Differenzierungs- und Pluralisierungsdynamiken der Spät- und Postmoderne wiedererkennen, denen auch individuelle Subjekte ausgesetzt sind. 2.2

Allgemeine Begriffsbestimmung Der Begriff Corporate Identity stammt aus dem Englischen und bezeichnet die Identität von Unternehmen, Kooperationen, Konzernen oder Organisationen – also die Gruppen-Identität von kollektiven Subjekten (vgl. Abdullah & Cziwerny 2007, S. 12). Corporate Identity ist im Allgemeinen Begriff und Bestandteil der wettbewerbsorientierten Unternehmenspolitik und wird seit den 1980er Jahren diskutiert (vgl. Erlhoff & Marshall 2007, S. 76). Das Konzept der Corporate Identity basiert auf der Annahme, „[…] daß sich soziale Gebilde – Organisationen, Parteien, Verbände und Unternehmen – in ihrem Verhalten und in ihrer Wirkung auf die Umwelt grundsätzlich analog zu Individuen bzw. Personen beschreiben und erklären lassen […]“ (Daldrop 1997, S. 12). Diese Annahme gilt laut Linneweh unabhängig davon, dass soziale Gebilde aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Menschen bestehen. Unternehmen werden laut Linneweh als in sich geschlossene „leiblich-geistig-seelische Einheiten“ erlebt (ebd.). Dabei sind sowohl das äußere Erscheinungsbild als auch „aktuelle und potentielle Verhaltensmuster“ Unterscheidungspunkte zu anderen sozialen Gebilden (vgl. Eysenck 1978 in: Daldrop 1997, S. 12). Häusler sieht drei wesentliche Aspekte für die Begriffsbestimmung: 1. Corporate Identity bezeichnet die Summe aller Ausdrucksformen von Unternehmen. Die Ausdrucksformen werden in der Regel aufgeteilt in das Erscheinungsbild (Corporate Design – CD), das Unternehmensverhalten (Corporate Behaviour – CB), die Unternehmenskommunikation (Corporate Communication – CC) und die Strukturen, mit denen das Unternehmen seinen internen und externen Publikum gegenübertritt (vgl. Abdullah & Cziwerny 2007, S. 13; vgl. Erlhoff & Marshall 2007, S. 77). 2. Der zweite Aspekt ist die hinreichende Konsistenz aller Ausdrucksformen. Häusler weist darauf hin, dass diese Konsistenz nicht absolut sein muss. Vielmehr können Spannungen und Ambivalenz auch Teil von Unternehmensidentitäten sein (vgl. Erlhoff & Marshall 2007, S. 77). 3. Der dritte Aspekt der Corporate Identity ist der Bezug aller Erscheinungsformen auf einen zugrundeliegenden, substantiellen Kern.


22

Corporate Identity So kann man zusammenfassen, das Corporate Identity die Summe aller hinreichend konsistenten und wertorientierten, d.h. auf einen substantiellen Kern bezogenen, Ausdrucksformen eines Unternehmens bezeichnet. Corporate Identity als Prozess Häusler versteht Corporate Identity nicht als zu definierendes Ergebnis, sondern als nicht linearen, komplexen Prozess der Identitätsentwicklung. So ist der Beginn und Verlauf der Identitätsentwicklung kontingent und von realen Problemen und Prozessen bedingt (ebd.). Das Identitätsverständnis beruht auf der Annahme, dass Identität kein Ergebnis, sondern andauernder, konstruktiver Prozess ist. Dieser Prozess kann als Kreislauf gedacht werden, der es ermöglicht an jeder Stelle einzusteigen und nicht linear durchschritten werden muss, sondern vielmehr Sprünge und Rückschritte ermöglicht. Wesentliches Merkmal dieses kreisförmigen Prozesses ist, dass es kein Anfang und kein Ende gibt und der Prozess so mehrmals durchschritten werden muss (vgl. Erlhoff & Marshall 2007, S. 78). Das Ziel der Identitätsentwicklung ist es nach Häusler, den Kernwert des Unternehmens in konkrete Erlebnisse umzusetzen. Die Erlebnisse an den Berührungspunkten zwischen dem Unternehmen, den Konsumenten, der Öffentlichkeit und den Mitarbeitern müssen sich zu einer konsistenten Erlebniskette zusammenfügen (ebd.). Entscheidend für den Erfolg des Prozesses der Identitätsentwicklung sind nach Häusler die intelligente Entwicklung, das kontinuierliche Management und die stetige Evaluation des Prozesses (ebd.). Folgendes stellt die wesentlichen Bestandteile des Kreislaufs der Identitätsentwicklung dar: –– Identity Evaluation erfasst die Unternehmensidentität in all seinen Ausdrucksformen, bewertet und schützt sie. –– Identity Creation entwickelt die Unternehmensidentität. –– Identity Management leitet die Unternehmensidentität basierend auf klaren Vorstellungen. Die Kriterien für eine gelungene Corporate Identity sieht Häusler in Originalität und Neuartigkeit und dem sinnvollen und erkennbaren Bezug zur gegebenen Situation des Unternehmens (vgl. Erlhoff & Marshall 2007, S. 79). Das Ziel aller Bemühungen ist die konsistente Zusammenführung aller Ausdrucksformen der Unternehmensidentität, sodass ein hoher Wiedererkennungswert aller Äußerungen ohne Gleichförmigkeit entsteht (ebd.). Die Unternehmenspersönlichkeit Die Unternehmenspersönlichkeit stellt im sogenannten Identitätsmix den substantiellen Kern aller Äußerungen des Unternehmens nach Innen und Außen dar. Neben der Unternehmenspersönlichkeit besteht Corporate Identity wie bereits erwähnt aus Corporate Behaviour, Corporate Communication und Corporate Design. Die Wahrnehmung der Corporate Identity wird als Corporate Image bezeichnet. Diese Aufteilung wird auch als die Struktur der


Corporate Identity

23

Corporate Identity bezeichnet (vgl. Birkigt, Stadler, & Funck 1998, S. 18-24). Im Folgenden soll die Unternehmenspersönlichkeit als substantieller Kern der Corporate Identity genauer erläutert werden. Linneweh versteht Unternehmen als Persönlichkeit mit personaler Identität. So können Linneweh zufolge sozialen Gebilden eine spezifische personale Identität zugeschrieben werden. Denn neben Produkten und Dienstleistungen bietet das Unternehmen seinen Kunden auch Botschaften, Einstellungen, Haltungen und Wertvorstellungen an (vgl. Daldrop 1997, S. 12). Aus diesem Verständnis des Unternehmens etablierte sich in der Wirtschaftspsychologie seit den 1950er Jahren neben dem Begriff der Markenpersönlichkeit der Begriff der Unternehmenspersönlichkeit. Dabei umschließt das Verständnis des Unternehmens als Person sowohl die Innen- als auch die Außensicht, da Linneweh zufolge die Besonderheiten einer Person sich sowohl in der Selbstals auch in der Fremdbetrachtung erschließen (vgl. Daldrop 1997, S. 13). In der Psychologie wird laut Linneweh Persönlichkeit als relativ konstante Gesamtheit aller individuellen Merkmale in ihrer spezifischen Ausprägung definiert. Dabei sind die wichtigsten Kennzeichen einer Persönlichkeit: –– Ihre individuelle Besonderheit. –– Die Übereinstimmung zwischen äußerer Erscheinung, Worten und Taten sowie dem persönlichen Selbstverständnis. –– Ihre starke Ausstrahlung auf andere. Linneweh sieht die Person als Ziel der individuellen Entwicklung. Diese zeichnet sich aus durch eine unverwechselbare, spezifische personale Identität aus, also ihre charakteristische Art sich Selbst und die Umwelt wahrzunehmen, in ihr zu handeln und zu kommunizieren (ebd.). Dabei gelten bei Linneweh Individuen dann als Persönlichkeit, wenn diese im Verlauf ihres lebenslangen Entwicklungsprozess nicht nur ihre personale Identität verwirklichen, sondern darüber hinaus auch eigenständige Verhaltensstrukturen entwickeln und eventuell richtungsweisende Normen und Orientierungspunkte setzen. Laut Linneweh können die Merkmale, die eine Person zur Persönlichkeit machen, auch Unternehmen zu einer Unternehmenspersönlichkeit verhelfen. Demzufolge kann ein Unternehmen dann als Persönlichkeit gesehen werden, wenn das manifestierte Selbstverständnis mit den von außen erlebbaren Persönlichkeitsaspekte, wie Erscheinungsbild, Sprache und Handlungen, übereinstimmt (ebd.). Im Weiteren soll der statische und dynamische Ansatz von Corporate Identity erläutert werden. Bei der Betrachtung liegt der Fokus auf dem Erscheinungsbild als konzentrierte visuelle Form der Unternehmensidentität. Am Erscheinungsbild lässt sich ablesen, wie Unternehmen und Organisationen mit den sich immer schneller verändernden internen und externen Strukturen umgehen. Der statische Ansatz wird nur kurz angesprochen, da relativ einfach zu bestimmen ist, wie mit Diversität und Pluralität umge-


24

Corporate Identity gangen wird und besonders am Beispiel dynamischer Erscheinungsbilder und ihrem Unterschied zu statischen, der Unterschied deutlich wird. 2.3

Statischer Ansatz Allgemein kann gesagt werden, dass der statische Ansatz von Corporate Identity auf der Definition und Beschreibung von Birkigt, Stadler und Funck basiert, auf die sich auch Linneweh bezieht. Für die wirtschaftliche Praxis haben sie Corporate Identity wie folgt definiert: „[…] Corporate Design [ist] die strategisch geplante und operativ eingesetzte Selbstdarstellung und Verhaltensweise eines Unternehmens nach innen und außen auf Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie, einer langfristigen Unternehmenszielsetzung und eines definierten (Soll) Images – mit dem Willen, alle Handlungsinstrumente des Unternehmens in einheitlichem Rahmen nach Innen und Außen zur Darstellung zu bringen“ (Birkigt, Stadler, & Funck 1998, S. 18). In diesem Kontext kann Corporate Identity als Methoden gesehen werden, den „Geist“ des Unternehmens in die Köpfe der Mitarbeiter zu transportieren und ihn von dort in den Markt zu übertragen, mit dem Ziel, einen koordinierten, schlüssigen, eindeutigen und prägnanten Auftritt nach innen wie nach außen zu erreichen(vgl. Daldrop 1997, S. 14). Corporate Identity erscheint in diesem Verständnis als eine harmonisierte Darstellung aller Ausdrucksformen des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern und Marktpartnern, die durch Geschlossenheit, Ganzheitlichkeit, Eindeutigkeit und Prägnanz gekennzeichnet ist. Wesentliche Merkmale des statischen Ansatzes sind also die möglichst eindeutige, unverwechselbare, kontinuierliche und konsistente Wahrnehmung des Unternehmens. In diesem Ansatz ist kaum Raum für Variabilität und Flexibilität, da diese die Wahrnehmung des Unternehmens oder der Organisation gefährden würden. Wie Flexibilität, Variabilität und Ambivalenz trotzdem Teil einer Corporate Identity werden können, ohne die eindeutige Identifizierbarkeit eines Unternehmens aufzuheben, soll im Folgenden in der Beschreibung dynamischer Erscheinungsbilder und dem dynamischen Ansatz gezeigt werden.

2.4

Dynamischer Ansatz Ulrike Felsing hat sich in ihrer Untersuchung von „dynamischen Erscheinungsbilder im kulturellen und öffentlichen Kontext“ (Felsing 2010) mit flexiblen Erscheinungsbildern auseinandergesetzt. Im Folgenden möchte ich anhand dieser Untersuchung beschreiben, was flexible Erscheinungsbilder sind, wie sie zustande kommen und wie sie sich von statischen Erscheinungsbildern bzw. dem ganzheitlichen, holistischen Ansatz des Corporate Designs unterscheiden.


Corporate Identity

25

Begriff und Merkmale Felsing zufolge sind flexible Erscheinungsbilder von Merkmalen gekennzeichnet, die sich im Allgemeinen aus Aspekten von Flexibilität und Dynamik ableiten lassen: Veränderlichkeit, Kontextbezogenheit, Prozesshaftigkeit, Performativität, Nichtlinearität, Kohärenz und Vielfalt. Ob und in welchem Verhältnis diese Merkmale in einem Erscheinungsbild zum Tragen kommen, hängt von dem jeweiligen Variationsverfahren ab (vgl. Felsing 2010, S. 13). Flexibel wird Felsing zufolge in diesem Zusammenhang als „anpassungsfähig“ verstanden. So können sich dynamische Erscheinungsbilder an spezifische Inhalte, Situationen und Kontexte anpassen und sind damit in der Lage, auf Veränderungen der Organisation und/oder ihres Kontextes zu reagieren (vgl. Felsing 2010, S. 18-19). Der Begriff Erscheinungsbild wird von Felsing bewusst gewählt, um sich von dem mit Unternehmens- und Wirtschaftskultur konnotierten Begriff „Corporate Design“ abzugrenzen. Erscheinungsbild verweist vielmehr auf den Bereich des Gestaltens, Sichtbarmachens und -werdens, des Darstellensund Kommunizierens (vgl. Felsing 2010, S. 19). Kriterien Ausgehend von dem wesentlichen Merkmal flexibler Erscheinungsbilder – der Variation – ist eines der Hauptkriterien für ein ausgereiftes flexibles Erscheinungsbild die inhaltliche Relevanz der Variation. So soll Felsing zufolge die Variation über ein formales Spiel hinaus ein konkretes inhaltliches Anliegen transportieren (vgl. Felsing 2010, S. 14) Dabei wird die Qualität des Erscheinungsbildes durch die Wechselbeziehung von Organisation, Inhalten und deren Visualisierung bestimmt. Die Inhalte werden laut Felsing nicht durch ideale oder symbolische Werte, sondern durch den realen Kontext der Organisation bestimmt (ebd.). Ein weiteres Kriterium für flexible Erscheinungsbilder betrifft den Einsatz elektronischer Medien. Dabei ist inhaltliche Relevanz der Medien die Voraussetzung für ihren Einsatz. Außerdem sollen Medien entsprechend ihrer Eigenart und nicht als modischer Effekt eingesetzt werden (vgl. Felsing 2010, S. 15). Die Breite des Variationsspektrums ist ein weiteres Kriterium von flexiblen Erscheinungsbildern. Das vierte Kriterium ist die Differenzierung, die Felsing zufolge auch eine der Hauptfunktionen von flexiblen Erscheinungsbildern darstellt. Die Aufgabe der Differenzierung ist Spannung in dynamischen Erscheinungsbildern zu erzeugen. Es kann differenziert werden zwischen der gesamten Kooperation und ihren Teilbereichen, zwischen dauerhafter Präsenz und temporären Ereignissen und zwischen verschiedenen Kommunikationsmedien (ebd.). Zusammenfassend bestehen die wesentlichen Kriterien für flexible Erscheinungsbilder aus inhaltlicher Substanz und Relevanz, der Breite des Variationsspektrums und der Differenzierung auf inhaltlicher und formaler Ebene.


26

Corporate Identity Mittel Flexible Erscheinungsbilder setzen sich aus beständigen und veränderlichen Zeichen zusammen. Was sind veränderliche und beständige Zeichen, welche Funktion haben sie und wie werden sie mithilfe von Variationsverfahren entwickelt? Veränderlichkeit Zeichen bestehen Felsing zufolge aus zwei verschiedenen Seite: aus Zeichen-Ausdruck (Signifikant) und aus Zeichen-Inhalt (Signifikat). Der Zeichenausdruck bestimmt sich durch verschiedene Aspekte, z.B. durch Form, Farbe, Helligkeit, Größe, Proportionen, Perspektive und Abstraktionsgrad. Außerdem wird der Zeichenausdruck auch durch die Art des Darstellungswerkzeuges geprägt, wie z.B. Zeichenfeder, Bleistift, Computerzeichnungen oder durch das jeweilige Darstellungsmedium – Plakat, Internetseite oder Video (vgl. Felsing 2010, S. 17). Ausgehend von diesem Begriff des Zeichens, können in einem flexiblen Erscheinungsbild Beständigkeit und Veränderlichkeit durch jedes einzelne Zeichen erzeugt werden, da – wie beschrieben wurde – jedes Zeichen beständige und veränderliche Aspekte umfasst (ebd.). Beständigkeit und Veränderlichkeit können aber nicht nur über Zeichen, sondern auch durch die verschiedenen Elemente des gesamten Erscheinungsbildes erzeugt werden (vgl. Felsing 2010, S. 18). Beständigkeit Felsing zufolge wird Veränderlichkeit durch Variation und Differenzierung erzeugt. Im Folgenden soll nun beschrieben werden, mit welchen Bestandteilen Beständigkeit in einem dynamischen Erscheinungsbild erzeugt wird. Das erste Element, um Beständigkeit zu erzeugen, ist dem „singulären Logo“ eines statischen Erscheinungsbildes (ein Erscheinungsbild ohne veränderliche Komponenten) sehr ähnlich. Felsing nennt dieses Element das Basislogo. In manchen Fällen kann dieses Basislogo gleichzeitig auch die reduzierteste Form des Erscheinungsbildes sein. Dann zeigt es die Konstante in ihrer reinsten Form (ebd.). Wenn in jedem Zeichen etwas besteht, das allen Zeichen gemein ist, dann kann man nach Felsing von einem konstanten gestalterischen Prinzip sprechen. Dieses Prinzip kann jedoch in der Umsetzung verschiedene Ausdrucksformen annehmen. Ein weiteres Element, um Beständigkeit zu erzeugen, ist das Basisthema. Wird dieses in verschiedene Medien und Formate übersetzt, kann Felsing zufolge eine elementare Beständigkeit zwischen verschiedenen, heterogenen Medien erzeugt werden (ebd.). Zuletzt kann Beständigkeit auch durch Regelhaftigkeit erzeugt werden, beispielsweise durch einen konstantes Raster. „All diese Faktoren wirken einer möglichen Auflösung, d.h. Zersplitterung in unzusammenhängende Elemente entgegen“ (Felsing 2010, S. 19). Die Faktoren treten an die Stelle einheitlich und konstant wiederkehren-


Corporate Identity

27

der Mittel statischer Erscheinungsbilder, unterstützt durch einen möglichst hohen Bezug zu inhaltlichen Ebenen des dynamischen Erscheinungsbildes. Beständigkeit erhöht sich durch die beschrieben Faktoren und ihren inhaltlichen Bezug. Die Funktion beständiger Aspekte in dynamischen Erscheinungsbildern zielt darauf ab, einen Wiedererkennungswert, grundsätzliche Inhalte und Kerninformationen und die Darstellung einer Ganzheit zu vermitteln. Veränderliche Aspekte vermitteln wechselnde Inhalte der Organisation, ihrer Teilbereiche oder Individuelles (vgl. Felsing 2010, S. 19-20). Fazit Zusammenfassend basiert die Flexibilität dynamischer Erscheinungsbilder auf beständigen und veränderlichen Aspekten und ihrem Zusammenspiel. Ein weiteres Kriterium für dynamische Erscheinungsbilder ergibt sich aus der Art und Weise, wie die beständigen und veränderlichen Aspekte zusammenwirken. Felsing zufolge ist es entscheidend, „[…] dass sich die veränderlichen Aspekte einerseits auf die jeweiligen spezifischen Inhalte und anderseits auf die beständigen, meistens grundlegenden Inhalte beziehen. Dieser Bezug ist bei ausgereiften flexiblen Erscheinungsbildern schon von Anfang an durch das Basisthema oder das gestalterische Prinzip angelegt“ (Felsing 2010, S. 20). 2.5

Vergleich der Ansätze Dynamische Erscheinungsbilder kommen Felsing zufolge vor allem aus kulturellen und öffentlichen Kontexten. Sie betont aber, dass der Gestaltungsprozess dynamischer Erscheinungsbilder auch auf Unternehmen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich anwendbar ist. Die Gründe dafür, dass dynamische Erscheinungsbilder vor allem von Organisationen des kulturellen und öffentlichen Bereichs eingesetzt werden, liegen gemäß Felsing vor allem in ihrer Wirkung und Rezeption und der Übertragung der Basisinhalte auf die Form des Erscheinungsbildes (vgl. Felsing 2010, S. 217-218). Im Folgenden möchte ich den statischen und dynamischen Ansatz anhand ihrer Möglichkeiten und Risiken für Unternehmen und Organisationen in der Wirkung und Rezeption vergleichen. Damit soll herausgearbeitet werden, welche Vor- und Nachteile die unterschiedlichen Ansätze in Bezug auf die Konstitution von Unternehmensidentitäten bieten. Im Anschluss an diese Darstellung soll dann diskutiert werden, welche Bedeutung Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung hat. Kern dieser Diskussion wird die Ambivalenz von Einheit und Vielheit und die Selbstbestimmtheit und das Unterworfen sein aktueller Identität sein. Möglichkeiten und Risiken statischer Erscheinungsbilder Statische Erscheinungsbilder repräsentieren Felsing zufolge Unternehmen oder Organisationen auf einer allgemeinen Ebene in ihrer Ganzheit. Dabei dient das Corporate Design zur Erstellung einer visuellen Einheit aller Äußerungen. Ausgangspunkt dieser visuellen Einheit ist das Markenzeichen, das Einheit nach innen und außen sichtbar und einprägsam – also wiedererkennbar – macht. Das von Felsing als „singuläres Logo“ bezeichnete Mar-


28

Corporate Identity kenzeichen stellt die Kernaussage von Unternehmen und Institutionen dar. Die Stärke dieser Kernaussage besteht in seiner Stabilität, Kontinuität und Einheitlichkeit und damit der Wiedererkennbarkeit (vgl. Felsing 2010, S. 220). Ein großer Vorteil statischer Erscheinungsbilder ist Felsing zufolge also die konzentrierte Signalwirkung, die vor allem durch einheitlich und konstant wiederkehrende Mittel erzeugt wird. Diese Stärke statischer Erscheinungsbilder wird dann für Unternehmen und Organisationen bedeutsam, wenn diese global agierend eine differenzierte Produktpalette vertreiben. Dann können die entstehenden Auflösungstendenzen infolge hoher Differenzierung durch die Signalwirkung eines statischen Erscheinungsbildes kompensiert werden (vgl. Felsing 2010, S. 230). Allerdings bergen die Vorteile statischer Erscheinungsbilder auch Risiken. Diese ergeben sich vor allem aus der Reduktion. Unverhältnismäßige Reduktion, Vereinheitlichung und Signalhaftigkeit führen Felsing zufolge oft zu seinem künstlich versimpelten, schematisierten Erscheinungsbild. Die Gefahr dabei ist, dass das Erscheinungsbild beziehungslos und beliebig wirkt und sich dadurch nicht mehr aus dem Logomeer hervorheben kann (vgl. Felsing 2010, S. 232). Darüber hinaus sind statische Erscheinungsbilder in ihrer Bezugnahme auf wechselnde Kontexte wesentlich stärker eingeschränkt, „[…] weil die Gefahr besteht, dass dabei die kohärente Wirkung der Erscheinungsbilder verloren geht“ (Felsing 2010, S. 227). Da das singuläre Logo nicht den wechselnden Kontexten angepasst werden kann, hängt der Variationsspielraum vor allem von der Variabilität der Typografie, Farbe, Bildsprache und Layout ab. Felsing verweist auf die Austauschbarkeit vieler Erscheinungsbilder großer Unternehmen. Diese sind Felsing zufolge oft weder einzigartig, noch abgrenzend, inhaltsbeschreibend oder selbsterklärend. Die Ursache dafür sieht Felsing in der Wertefindung der Unternehmen, die sich zu stark auf Visionen statt auf das Jetzt, die Aktivitäten, Veränderungsprozesse und Ereignisse der Organisation selbst beziehen. Zwar sind Visionen wichtig, aber sie können nicht den Kern der Identität ausmachen (vgl. Felsing 2010, S. 226). Die Folge fehlender individueller Werte (die Visionen von Unternehmen sind fast alle identisch – größer, schneller, besser) führt zu einem Mangel an Differenzierung, der sich auch in der Visualisierung der Werte widerspiegelt. Aber selbst wenn Werte bestehen, müssen diese auch erst in das Erscheinungsbild übersetzt werden. Felsing sieht an dieser Stelle eine Gefahr für statische Erscheinungsbilder, die oft Zeichen einsetzen, die die Organisation auf rein symbolischer Ebene vertreten. Wenn sich die symbolhaften Zeichen zu sehr an allgemeinen Bedeutungen orientieren, besteht Felsing zufolge die Gefahr, dass sie schnell unspezifisch wirken und damit austauschbar werden. Signifikanz kann nach Felsing nur dann erreicht werden, wenn symbolhafte Zeichen immer wieder konkretisiert werden, also spezifisch, signifikante Inhalte visualisieren (vgl. Felsing 2010, S. 228-229).


Corporate Identity

29

Möglichkeiten und Risiken dynamischer Erscheinungsbilder Die Kernaussage statischer Erscheinungsbilder – deren Hauptaufgabe es ist, Stabilität, Kontinuität und Einheitlichkeit, also Beständigkeit zu erzeugen – wird bei dynamischen Erscheinungsbildern durch die beständigen Aspekte übernommen. Ergänzt werden die beständigen Aspekte durch die veränderlichen Aspekte, die Felsing zufolge wechselnde Inhalte repräsentieren: Sie kommunizieren das Besondere gegenüber dem Allgemeinen, temporäre Ereignisse gegenüber dauerhaften, die Teilbereiche der Organisation gegenüber der gesamten Kooperation und Individuelles gegenüber Übergeordnetem (vgl. Felsing 2010, S. 220). Allgemein kann man in Bezug auf die Risiken von dynamischen Erscheinungsbildern sagen, dass mit fortschreitender Komplexitätssteigerung auch das Risiko steigt, dass Rezipienten den Zusammenhang zwischen den Variationen nicht mehr herstellen können und sich so das Erscheinungsbild und damit die Identität eines Unternehmens im Sinne eines sprachlichen und narrativen Programms auflöst. Damit löst sich auch der Zusammenhang vom Unternehmen zu seinem Erscheinungsbild und die Wiedererkennbarkeit über Sprache, Bild und Handlung ist nicht mehr gegeben (vgl. Felsing 2010, S. 218). Dynamische Erscheinungsbilder entwickeln mit ihren veränderlichen Aspekten ihre besondere Stärke, indem sie auf Basisinhalte und Grundhaltungen in visueller Form verweisen, die einen Bezug zu gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen und politischen Themen haben. Diese Stärke ist besonders wichtig für Museen und kulturelle Organisationen, die mit ihrem Erscheinungsbild ihren Aktualitätsbezug über zeitgenössische visuelle Elemente kennzeichnen wollen. Statische Erscheinungsbilder können vor allem über ihre Bildwelt aktuelle Themen aufgreifen, bleiben jedoch in ihrem Logo solange konstant, bis ein Redesign durchgeführt wird. Wie schon in der Beschreibung dynamischer Erscheinungsbilder beschrieben wurde, haben diese viele gestalterische Mittel, um einen Aktualitätsbezug auch visuell herzustellen. Dabei ist es Felsing zufolge jedoch wichtig, dass weiterhin stabilisierende Elemente einen direkten Zusammenhang mit der Organisation herstellen (vgl. Felsing 2010, S. 219-220). Ausgereifte dynamische Erscheinungsbilder können laut Felsing nicht nur auf wechselnde Inhalte der Organisation selbst reagieren, sondern auch auf die ihres Kontextes. Ein Erscheinungsbild kann dann als kontextreflexiv bezeichnet werden, „[…] wenn es etwas vom Zusammenhang, in dem es wirkt aufnimmt und wiedergibt“ (Felsing 2010, S. 224). Unter dem Kontext versteht Felsing geographische, architektonische, urbane oder landschaftliche – aber auch kulturelle und gesellschaftliche – Besonderheiten. Sie bergen Felsing zufolge das Potenzial, Erscheinungsbildern einer Organisation, einer Stadt oder einem Stadtteil besondere Signifikanz zu verleihen (ebd.). Über die symbolischen Möglichkeiten eines singulären Logos statischer Erscheinungsbilder hinaus, wird durch den Bezug auf reale Gegebenheiten und Geschehnisse nach Felsing ein Grad von Authentizität und Glaubwürdigkeit hergestellt, den statische Erscheinungsbilder nur schwer leisten können. Felsing sieht in dieser Bezugnahme eine Inszenierung des Unter-


30

Corporate Identity nehmens oder der Organisation im Kontext realer Prozesse, die sich in Zeichen und Symbolen widerspiegeln: Das Unternehmen wird über sein kontextreflexives Erscheinungsbild zu einem Teil der Realität, auf die es Bezug nimmt (vgl. Felsing 2010, S. 225-226). Die Gefahr, dass durch die Bezugnahme auf wechselnde Kontexte die kohärente Wirkung des Erscheinungsbildes verloren geht, wird durch die beständigen Aspekte dynamischer Erscheinungsbilder kompensiert. Die veränderlichen Aspekte nehmen Bezug auf den Kontext und erzeugen Dynamik (vgl. Felsing 2010, S. 227). Neben der Kontextreflexivität können dynamische Erscheinungsbilder über die symbolische Ebene hinaus auch durch Performativität Signifikanz herstellen und damit ihrer Austauschbarkeit entgegenwirken. Performativität bedeutet Felsing zufolge in diesem Kontext die Betonung des Ereignishaften, Prozesshaften, Flüchtigen und Atmosphärischen und ist an das „Vollziehen einer Handlung“ gebunden (vgl. Felsing 2010, S. 239). Dies geschieht, indem laufende Handlungen und Aktivitäten der Organisation durch den Einsatz von Medien in das Erscheinungsbild integriert und so reale Werte auf performative Weise vermittelt werden (vgl. Felsing 2010, S. 229). Dynamische Erscheinungsbilder ermöglichen es, der zunehmenden Differenzierung in Unternehmen und Organisationen gerecht zu werden und nehmen dafür die stärkere Auflösung einer konzentrierten visuellen Botschaft in Kauf. Ausgereifte flexible Erscheinungsbilder erzeugen Individualität und Gemeinsamkeit durch komplexe Zeichensysteme, bestehend aus einer Vielfalt an Formen und Farben. Die Diversität dieser Erscheinung ermöglicht es, auch in Zukunft auf die Dynamik und den Wandel in Unternehmen und Organisationen Bezug nehmen zu können. Außerdem werden durch die stärkere Differenzierung auch verschiedene Zielgruppen angesprochen (vgl. Felsing 2010, S. 222). Andererseits sieht Felsing darin auch die Gefahr, dass der Grad der an Allgemeinheit zunimmt und konkrete spezifische Eigenheiten des Unternehmens in der Beliebigkeit verschwinden und das Unternehmen sich nicht mehr ausreichend von seinen Mitbewerbern und seinem Kontext abhebt (vgl. Felsing 2010, S. 221). Somit macht eine möglichst hohe Variation und Flexibilität noch kein gutes dynamisches Erscheinungsbild aus. Wesentlich ist Felsing zufolge, dass die Flexibilität von substantiellen und beständigen Faktoren getragen und konsequent in die Variationen und spezifischen Medien übersetzt wird (vgl. Felsing 2010, S. 234-236).


Fazit

3

31

Fazit

Mit der Eingrenzung der wesentliche Begriffe Individuum, Subjekt und Identität ging die Erkenntnis einher, dass das individuelle Subjekt ambivalent strukturiert ist: Es befindet sich im Spannungsverhältnis von etwas Zugrundeliegendem oder Unterworfenem. Voraussetzung für die Konstitution des individuellen und kollektiven Subjekts ist die Entwicklung eines narrativen Programms. In diesem Verständnis erscheint Identität als narratives Programm von existentieller Bedeutung für die Konstitution individueller und kollektiver Subjekte. Das Zeitalter der Identitätsauflösung kann in die Spät- und Postmoderne eingeordnet werden oder in den dritten und vierten Individualisierungsschub. Die Spät- und Postmoderne ist gekennzeichnet durch Partikularität und Pluralität und die Krise des modernen Wertesystems, die sich auch auf die Ebene des individuellen Subjekts auswirkt. So ist die Krise des individuellen Subjekts durch seine Orientierungslosigkeit aufgrund fehlender überindividueller Subjekt-Aktanten (z.B. Religion) und den allmählichen Zerfall kollektiver Wertesysteme geprägt. Diese Merkmale wirken sich auf die Identität individueller Subjekte aus. Identitätsauflösung ist ein Phänomen der sich entwickelnden Vielfalt der Lebensformen in spät- und postmodernen Gesellschaften. Das Individuum kann durch ein Übermaß an Diskontinuität in der Entwicklung seiner narrativen Identität seine Subjektivität verlieren: die Auflösung der Identität. Damit erscheint nicht nur das Subjekt ambivalent zu sein, sondern auch seine Identität, die sich in einem Spannungsverhältnis von Kontinuität und Diskontinuität befindet. Damit gewinnt Kontinuität einen großen Wert für die Identität und damit auch für das Bestehen des individuellen und kollektiven Subjekts – besonders im Zeitalter der Identitätsauflösung. Mit der Frage nach der Auflösung der Identität ging die Erkenntnis einher, dass die Vorstellung einer statischen Identität in der Postmoderne durch die dynamische Einheit von Individualität und Subjektivität ersetzt wird: Das Subjekt ist durch Ambivalenz und damit durch Dynamik gekennzeichnet. Die Dynamik des Subjekts und seiner Identität spiegelt sich auch im Corporate-Identity-Konzept wieder, in dem Identität nicht als Produkt sondern ständiger Prozess, sowohl im statischen als auch dynamischen Ansatz, dargestellt wird. Mit Nietzsche wurde das Subjekt als etwas Unterworfenes erkannt, das durch den Übermenschen als selbstbestimmtes Subjekt gerettet werden kann. Welsch fügt hinzu, dass Subjekte in nachmodernen Gesellschaften auch durch Pluralisierungsdynamiken bedingt sind, die ein neues Identitätsverständnis notwendig machen: die Identität im Übergang. Mit Bauman sind postmoderne Gesellschaften nicht nur der Pluralität sondern auch der Kontingenz ausgesetzt. Das individuelle Subjekt soll durch seine Emanzipation die Kontingenz als Schicksal in Geschick und Toleranz in Solidarität


32

Fazit transformieren. Nur so kann das individuelle Subjekt mit der Ungewissheit der Postmoderne leben. Die Darstellung des Subjektbegriffs bei Nietzsche, Welsch und Bauman zeigt, wie Subjekt und Identität durch die Entwicklung in nachmodernen Gesellschaften zunehmend als etwas dynamisches und temporäres verstanden werden. Corporate Identity entwickelte sich im Zuge einer sich verändernden Marktsituation. Auf der einen Seite konvergieren Waren- und Dienstleistungen verschiedener Unternehmen und auf der anderen Seite diversifizieren sich unternehmensinterne Strukturen durch Zusammenschlüsse, neue Produkte und Tätigkeitsfelder. Auf diese Entwicklung stellt Corporate Identity als bewusste Konstruktion einer Firmenidentität eine Antwort dar, die Orientierungsmöglichkeiten für die Marktpartner in einer zunehmend komplexer werdenden Wahrnehmungswelt bietet. Auch auf der Ebene kollektiver Subjekte wurden durch die Veränderungen in der nachmodernen Gesellschaft neue Identitätsmodelle notwendig, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Der Corporate-Identity-Ansatz geht im Kern davon aus, dass sich Unternehmen in ihrem Verhalten und ihrer Wirkung auf die Umwelt analog zu Personen verhalten. Der Begriff beschreibt im Allgemeinen alle konsistenten und wertorientierten Ausdrucksformen eines Unternehmens. Corporate Identity ist dabei nicht als zu definierendes Ergebnis zu verstehen, sondern als ein kreisförmiger, komplexer und kontingenter Prozess. Ziel ist die Zusammenführung aller Ausdrucksformen der Unternehmensidentität, um eine möglichst hohe Wiedererkennung ohne Gleichförmigkeit zu erreichen. Die allgemeine Begriffsbestimmung lässt deutliche Unterschiede zu der Begriffsbestimmung im statischen Ansatz erkennen. In der allgemeinen Begriffsbestimmung, die wesentlich jüngeren Datums ist (1998-2007), tauchen bereits Begriffe wie Kontingenz auf und Identitätsentwicklung wird als dynamischer, sich stetig wiederholender Prozess gesehen. Der statische Ansatz ist in seiner Zielsetzung durch die möglichst eindeutige, unverwechselbare, kontinuierliche und konsistente Wahrnehmung des Unternehmens gekennzeichnet. In diesem statischen Ansatz bleibt wenig Platz für Variabilität und Flexibilität. Die Stärke statischer Erscheinungsbilder liegt in der visuellen Einheit aller Äußerungen, die sich im Markenzeichen als Kernaussage des Unternehmens manifestiert. Durch Stabilität, Kontinuität und Einheitlichkeit aller Äußerungen wird eine starke Signalwirkung erzeugt, die die Auflösungstendenzen international agierender Unternehmen mit einer differenzierten Produktpalette kompensieren kann: Das statische Erscheinungsbild erzeugt Einheit wo möglicherweise keine Einheit mehr zu erkennen ist. Der Vorteil einer starken Signalwirkung statischer Erscheinungsbilder birgt auch Gefahren. So kann der Versuch, durch übermäßige Reduktion Signalwirkung herzustellen, dazu führen, dass das Erscheinungsbild beziehungslos und beliebig wirkt und dadurch an Wiedererkennungswert verliert. Außerdem ist ein kohärentes Erscheinungsbild mit einer starken Signalwirkung in der Bezugnahme auf wechselnde Inhalte und Kontexte stark eingeschränkt.


Fazit

33

Dynamische Erscheinungsbilder sind gekennzeichnet durch Veränderlichkeit, Kontextbezogenheit, Prozesshaftigkeit, Performativität, Nichtlinearität, Kohärenz und Vielfalt. Sie basieren auf beständigen und veränderlichen Aspekten, die einerseits für Wiedererkennung und andererseits für die Vermittlung von wechselnden Inhalten verantwortlich sind. Die größte Gefahr für dynamische Erscheinungsbilder ist die Auflösung durch übermäßige Differenzierung und Reduzierung. Obwohl die veränderlichen Aspekte eine Gefahr darstellen, sind sie auch die besondere Stärke von dynamischen Erscheinungsbildern. Sie können einen Aktualitätsbezug herstellen, in dem sie auf aktuelle und zukünftige Inhalte im Erscheinungsbild verweisen. Neben wechselnden Inhalten können sie auch auf wechselnde Kontexte Bezug nehmen und dadurch einen besonderen Grad an Authentizität und Glaubwürdigkeit erreichen. Dynamische Erscheinungsbilder geben mit den veränderlichen Aspekten eine Antwort auf die zunehmende Differenzierung in Unternehmen und Organisationen. Sie passen sich flexibel den Entwicklungen des Unternehmens an, basierend auf einem sich dynamisch verändernden substantiellen Kern.


Bedeutung

34

4

Bedeutung von Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung

Grundsätzlich hat die Identität von individuellen und kollektiven Subjekten eine existenzielle Bedeutung. Ohne ein narratives Programm kann nicht von einem individuellen oder kollektiven Subjekt gesprochen werden. Anders gesagt: Ohne Sprache und Handlungen eines Unternehmens würde dieses nicht existieren. Das bedeutet, dass alle Unternehmen oder Organisationen bereits eine Identität besitzen, sonst könnten sie als solche nicht erkannt werden. Dieses Verhältnis von Identität und sozialer Existenz gilt unabhängig von den sich verändernden sozialen Bedingungen, denen individuelle und kollektive Subjekte ausgesetzt sind. Die Bedeutung von Corporate Identity ist also zunächst existenziell. Schaut man nun auf die Bedingungen der nachmodernen Gesellschaft, so scheint es, dass es für Unternehmen nicht mehr ausreicht, „nur“ eine Identität zu besitzen. Sie müssen sich darüber hinaus sowohl Vereinheitlichungsals auch Differenzierungstendenzen stellen, die sich auf den Unternehmenserfolg auswirken. Die Komplexität der Wahrnehmungswelt erfordert von Unternehmen, dass sie sich von ihren Mitbewerbern unterscheiden um eindeutig identifiziert werden zu können. Allerdings wird es für Unternehmen immer schwieriger, Eindeutigkeit, Kohärenz und Prägnanz authentisch in ihrem Erscheinungsbild zu verankern. So stehen Unternehmen immer zwischen der Entscheidung möglichst hohe Wiedererkennung im Erscheinungsbild zu erreichen oder durch Flexibilität und Differenzierung gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen gerecht zu werden. Corporate Identity ist also im Zeitalter der Identitätsauflösung ebenso ambivalent strukturiert und kontingent in seiner Entwicklung, wie Welsch und Bauman es für das individuelle Subjekt erkannt haben. Damit ist Corporate Identität eine strategisches Instrument der Unternehmensführung, das sich zwischen Einheit und Auflösung oder Kontinuität und Diskontinuität bewegt. Corporate Identity muss der Ambivalenz und Kontingenz des kollektiven Subjekts gerecht werden, das sich ständig durch äußere und innere Einflüsse verändert. Es gibt nicht mehr eine Metaerzählung, die die Identität des kollektiven Subjekts über seine ganze Existenz hinweg bestimmt. Auch Unternehmen kennen im Anschluss an Welsch und Beck verschiedene Lebensformen- und phasen, die es durch ein sich veränderndes narratives Programm zu bewältigen gilt. Corporate Identity gewinnt seine zentrale Bedeutung also in der Gestaltung der Transformation des Unternehmens mit dem Ziel, Kontinuität und Wiedererkennung trotz Wandel zu erzeugen: Die Einheit in der Vielheit. Corporate Design ist in diesem Sinne als Transformationskompetenz von Unternehmen zu verstehen. Dabei erscheint der Begriff Corporate Identity nicht mehr passend, da er sich auf die Konstruktion und Darstellung einer Identität bezieht.


Bedeutung

35

An dieser Stelle möchte ich einen neuen Begriff einführen, der den Fokus auf die veränderten Bedingungen und Anforderungen legt, denen sich das Corporate-Identity-Konzept stellen muss: Corporate Ambiguity. Ambiguity steht im Deutschen für Ambiguität und bedeutet laut Duden im Lateinischen Mehrund Doppeldeutigkeit von Wörtern, Werten, Symbolen und Sachverhalten (vgl. Dudenverlag 2001, S. 55). Corporate Ambiguity als Strategie unternehmerischen Handelns zielt darauf ab, die Transformation eines dynamischen kollektiven Subjekts so zu gestalten, dass es nicht durch Diskontinuität und Pluralisierung der Auflösung und dem Zerfall überantwortet wird, gleichzeitig aber auf den Wandel Bezug nimmt. Corporate Ambiguity kann als Kompetenz verstanden werden, die mit der Komplexität der Wahrnehmungswelt – der Mehrdeutigkeit – umzugehen weiß. Corporate Ambiguity ist eine Transformationskompetenz, die den ambivalenten und kontingenten Identitätsentwicklungsprozess zum Geschick unternehmerischen Handelns macht. Dabei können die Elemente des dynamischen Ansatzes, wie Felsing sie beschrieben hat, Methoden sein, um sowohl Beständigkeit als auch Veränderlichkeit in einem dynamischen Spannungsverhältnis zu integrieren.


36

Bibliografie

Abdullah, Rayan; Cziwerny, Roger (2007): Corporate Design (CD): Mainz. Bauman, Zygmunt (2005): Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg Edition: Hamburg. Birkigt, Klaus; Stadler, Marinus M., & Funck, Hans J. (1998): Corporate identity: Landsberg/Lech. Daldrop, Norbert W. (1997): Kompendium Corporate Identity und corporate Design: Stuttgart. Draser, Bernd (2012): Philosophie des Designs – Vorlesung an der ecosign / Akademie für Gestaltung. Unveröffentlicht: Köln. Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hrsg.) (2007): Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven des Design. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser. Eysenck, Hans J. (1987): Gesellschaft und Individuum. Düsseldorf. Felsing, Ulrike (2010): Dynamische Erscheinungsbilder im kulturellen und öffentlichen Kontext. Müller: Baden/Switzerland. Heller, Agnes (1989): From Hermeneutics in Social Science toward a Hermeneutics of Social Science. In: Theory and Society, Bd. 18. S. 291-322. Junge, Matthias (2002): Individualisierung. Campus Verlag: Frankfurt/ New York. Nietzsche, Friedrich (1887): Nachgelassene Fragmente, 10[19]. Nietzsche Source: Digitale kritische Gesamtausgabe (eKGWB). Stand: 06.04.13 http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/NF-1887,10[19] Steenblock, Volker (2007): Kleine Philosophiegeschichte. Reclam: Stuttgart. Welsch, Wolfgang (1997): Unsere postmoderne Moderne. Akademie Verlag: Berlin. Welsch, Wolfgang (2010, 7. Auflage): Ästhetisches Denken. Reclam: Stuttgart. Zima, Peter V. (1997): Moderne – Postmoderne: Gesellschaft, Philosophie, Literatur. Francke Verlag: Tübingen und Basel. Zima, Peter V. (2000): Theorie des Subjektes: Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne. Francke: Tübingen, Basel.


37

Notizen


38


39


40

Impressum

Schäper, Jonathan (2013): Corporate Ambiguity – Was bedeutet Corporate Identity im Zeitalter der Identitätsauflösung. Unveröffentlicht: Haan. Konzept und Gestaltung Jonathan Schäper Druck Printed on Epson Stylus Photo R1800 with passion. Papier Mondi Color Copy Style, 160 g/m2, FSC Mix Schrift DIN Pro, Albert-Jan Pool, FontFont Bindung Rückstichheftung mit Mettler-Garn »Amanda«, 100% Seide Zeichenanzahl 79 600 (ohne Leerzeichen)

Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich den Produktlebenszyklus selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe, alle Ausführungen, die anderen Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen wurden, kenntlich gemacht sind und die Arbeit in gleicher oder ähnlicher Fassung noch nicht Bestandteil einer Studien- oder Prüfungsleistung war. Ort, Datum:

,

Unterschrift:


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.