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RESPEKT UND DIE EINMALIG HINBEKOMMENE NORMALITÄT YVONNE GRIESEL IM GESPRÄCH MIT MATTHIAS

RESPEKT UND DIE EINMALIG HINBEKOMMENE NORMALITÄT

Yvonne Griesel im Gespräch mit Matthias Lilienthal

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Du bist Westberliner und hast bereits 1983 für die taz über die Ostberliner Theater geschrieben. Als einer der wenigen hast du die Stadt als Ganzes genutzt. War das der Grundstein deiner interkulturellen Arbeit?

MATTHIAS LILIENTHAL: Ich fand das Theater im Osten einfach viel spannender, das war eine total unbekannte, neue Welt, die wollte ich einfach kennenlernen. Aber klar, die DDR und die BRD waren zwei verschiedene Staaten. Insofern war der Kulturtransfer dazwischen noch komplizierter und beruhte auf dem Missverständnis, dass alle aus der gleichen Kultur kommen. Es gab Ostberliner Dialekt und Westberliner Dialekt und trotzdem funktionierten die wie zwei fremde Sprachen.

War das schwer für dich?

Total! Als ich im November 1991 an der Volksbühne angefangen habe, war ich unter 285 Leuten an der Volksbühne der einzige Westler. Zumindest fühlte es sich so an.

Wenn ein Theater international arbeitet, liegen dem meist Herkunft und Sprachen der Intendant:innen zugrunde. An den Kammerspielen war das nicht so.

Es waren zwei verschiedene Ansätze. Einerseits haben etwa 43 Prozent der Münchner:innen einen Migrationshintergrund und das Ensemble eines Stadttheaters sollte ein Spiegel der städtischen Gesellschaft sein. Städte wie Frankfurt, München, Hamburg oder Wien können ganz stark migrantisch sein, trotzdem ist das Ensemble einer Bühne meist deutschstämmig. Noch schlimmer: man könnte fast den Eindruck haben, dass auf den Schauspielschulen alle blond und blauäugig sind. Aber die Mehrheit der Deutschen ist ja nicht blond und blauäugig. Deshalb haben wir uns selbst unter Druck gesetzt und wollten, dass im Ensemble 40 Prozent aller Mitarbeitenden keinen „bio-deutschen“ Hintergrund haben.

Und der zweite Aspekt?

Durch meine Arbeit am HAU Hebbel am Ufer und bei den internationalen Festivals hatte sich ein Stamm von Regisseur:innen herausgebildet: Toshiki Okada, Rabih Mroué, Amir Reza Koohestani oder Yael Ronen. Wir haben uns gefragt, wie man sie im Stadttheater, im Ensemble und in den Repertoirebetrieb integrieren kann. Außerdem haben wir 30 Prozent unserer Ressourcen dafür verwendet, freie Arbeiten koproduzieren zu können. Die Münchner Kammerspiele sind finanziell gut ausgestattet. Wenn man da mit Toshiki Okada arbeitet, sollte man es sich leisten, auch Makiko Yamaguchi zu verpflichten, die einerseits aus dem Japanischen dolmetscht, aber auch dramaturgisch arbeitet. Nur so kann die Exaktheit im sprachlichen und kulturellen Transfer gewährleistet werden, die man für die Arbeit braucht und dann auch haben möchte.

Nicht flächendeckend, aber an Abenden wie Anta Helena Reckes „Mittelreich“ waren plötzlich deutlich mehr People of Color im Publikum da. Wenn unter 400 Menschen 90 Schwarze Menschen sind, denkt man zunächst: Das Bild hat einen Fehler. Es hat aber keinen. Der Fehler ist, wenn keine Schwarzen Menschen im Publikum sind. Und wenn plötzlich 40 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund oder 25 Prozent PoC da sind, dann ist das die einmalig hinbekommene Normalität. Bei „Hellas München“ hatten wir richtig viel griechisches Publikum. Das lag auch daran, dass ein Darsteller, der am Münchner Flughafen arbeitet, sehr aktiv auf Social Media ist und über diesen Weg richtig viele Leute ins Theater gelotst hat.

Man kann Theater also divers gestalten, sowohl in sozialer als auch in internationaler Hinsicht.

Grundsätzlich schon. Wenn sehr viel mit Jugendlichen und Geflüchteten gearbeitet wird – wie etwa bei „#love“ – dann ist auch das Publikum stark migrantisch und auch Geflüchtete kommen ins Theater. Dass ein Publikum im alltäglichen Betrieb migrantisch durchsetzt ist, so wie es am HAU Hebbel am Ufer in Berlin war, an diesen Punkt sind wir mit den Kammerspielen noch nicht wirklich gekommen.

Seht ihr das als politischen Auftrag in unserer heutigen Zeit?

Wir haben das schon gemacht, bevor die AfD sich so eindeutig positioniert hat, aber natürlich macht mir das jetzt Spaß, noch mehr darauf rumzureiten als vorher. Das Stadttheater wurde um 1800 in Weimar und Mannheim gegründet und hat eigentlich die deutsche Nation um 70 Jahre vorweggenommen. Dadurch sind die National- und Stadttheater auch der deutschen Sprache so verpflichtet. Damals war das ein revolutionärer Akt, aber die Stadttheater fühlen sich dem bis heute verpflichtet. Wir haben

das auf einer bestimmten Ebene versucht in Frage zu stellen.

Die Kammerspiele haben ja die Gemüter in den letzten Jahren stark erhitzt. Hat die internationale Ausrichtung ihren Anteil daran?

Das spielte auch eine Rolle. Beim Ärger über englischsprachige Übertitel stellt sich natürlich schon die Frage: Worüber ärgert sich das Publikum? Sie müssen ja nicht hinsehen. Es gab auch Ärger darüber, dass z.B. in „Dionysos Stadt“ Arabisch gesprochen wird. Es sei ein deutsches Theater und da solle Deutsch gesprochen werden. Wenn Arabisch auf der Bühne gesprochen wird, ist der Ärger noch größer, als wenn Englisch gesprochen wird. Wenn Damian Rebgetz mit englischsprachigem Akzent redet, wird das eher als charmant verbucht.

Warum hat sich das Publikum über die Titel aufgeregt?

Wegen der Ablenkung. Außerdem hieß es, dass es sowieso kein Publikum gäbe, das kein Deutsch versteht. Aber wir haben Gegenbeweise. Bei zwei, drei Vorstellungen sind die Übertitel aus technischen Gründen ausgefallen. Danach hatten wir 15 bis 30 Beschwerden. Geht man davon aus, dass die Vorstellungen mit 300 Leuten besucht waren, sind das immerhin fast zehn Prozent des Publikums.

Habt ihr je bereut, dass ihr die englischen Übertitel eingeführt habt?

Nein, es wird ja auch nicht nur an den Kammerspielen gemacht. Im Festivalbetrieb ist es normal. Vor etwa zehn Jahren hat es angefangen, dass englische Übertitel an deutschen Theatern gezeigt werden. Ich finde das total gut. Was ich eher bereue ist, dass wir das nicht auch in der Kammer 2 und 3 konsequent durchhalten konnten. Aber das hatte finanzielle Gründe. Die Übertitel in der

Kammer 1 kosten etwa 100.000 Euro pro Jahr. Konzeptionell hätte ich es richtig gefunden, es auf allen drei Bühnen anzubieten.

An den Kammerspielen wird auf Arabisch, Japanisch, Englisch und noch anderen Sprachen gearbeitet. Ich hatte immer das Gefühl, die Sprachund Kulturbarrieren werden im Probenprozess en passant miterledigt. Stimmt das?

Nicht ganz. Ich habe immer darauf gedrungen, in mehrsprachigen Produktionen oder wenn syrische Schauspieler:innen beteiligt waren, ein:e Dolmetscher:in für die Proben zu engagieren. Wenn in den letzten 14 Tagen vor der Premiere die Nerven blank liegen, kommt es auf eine exakte Übersetzung an. Wir hatten vor ein paar Wochen z. B. eine Probensituation, in der mein Englisch und das des Dramaturgen nicht exakt genug waren, um das zu beschreiben, was wir sagen wollten. Da kommt es auf minimale Signifikanzen an. Man braucht dann einfach ein:e Dolmetscher:in. Auch deshalb haben wir in diesen Sektor viel Geld investiert.

Das ist spürbar.

Bei einer Produktion von Toshiki Okada hatten wir einmal eine andere Dolmetscherin engagiert als sonst. Sie war sehr gut, aber die Signifikanzen von Theater kannte sie nicht. Man braucht Leute, die gut dolmetschen und mit den Besonderheiten des Theaterbereichs umgehen können. Viele Dolmetscher:innen hübschen zum Beispiel mein Tarantino-Deutsch auf. Dann kann ich aber nicht mehr vermitteln, was ich eigentlich senden wollte.

Englisch ist ja auch im Theater eine Art Lingua franca. Trotzdem setzt du dich immer vehement dafür ein, dass alles Englische ins Deutsche übertitelt wird.

können, sollen auch alles verstehen. So wie ich die Menschen respektiere, die kein Deutsch können und ihnen die englischen Übertitel zur Verfügung stelle, so möchte ich das auch für die Menschen, die nicht so gut Englisch können. Zumal die Übertitel„Wenn Arabisch auf anlage ja der Bühne gesprobereits da ist chen wird, ist der und auch eine Ärger noch größer, Person, die als wenn Englisch die Titel fährt. gesprochen wird.“ Das ist für mich einfach eine Frage von Respekt, den ich versuche auf diese Art zum Ausdruck zu bringen. Das hat natürlich auch negative Seiten. Manchmal nimmt das Übersetzen von englischen Texten ja auch die Aura weg. Aber mir ist die Zugänglichkeit dann in Relation wichtiger.

Teilweise sind Übertitel durch die Kürzung ja ein sehr starker Eingriff in den Text. Normalerweise gibt es auch keine Gegenkontrolle von eurer Seite. Ist das nicht befremdlich?

Nein, ich kenne das, weil ich am Anfang meiner Dramaturgentätigkeit selbst Texte für Übertitel eingekürzt habe. Ich finde es schlimm, wenn einem die Übertitel so sehr um die Ohren fliegen, dass man gar nicht mehr auf die Bühne gucken kann. Weil ich es hier gar nicht mehr merke, vertraue ich euch total.

Das ist etwas sehr Besonderes und sehr Seltenes. Glaubst du, dass diese internationale Entwicklung an den Bühnen sich fortsetzen wird? Oder geht es eher zurück zum Nationalen, so wie wir das auch politisch gerade beobachten?

Das ist ja nicht nur eine isolierte Bewegung im Theater. Berlin zum Beispiel hat eine englischsprachige Bevölkerung, die das Leben sehr beeinflusst. Auch im Festivalbetrieb werden sich vollkommen neue Fragen stellen. Wird der kulturelle Austausch aufgrund

der Klimakrise wieder eingeschränkt? Welche Rolle spielt die Globalisierung? Alles Fragen, die wir neu aushandeln müssen.

Einige kleinere Städte haben auch angefangen, auf Englisch zu übertiteln. Aber dort stellt sich die Frage nach dem Publikum, das man damit erreicht, natürlich noch mehr.

Im ersten Jahr hier haben wir die Leute auch erst langsam daran gewöhnen müssen, obwohl in den großen Konzernen in München wie Siemens Englisch ja Betriebssprache ist. Die technischen Masterstudiengänge an der TU München sind komplett auf Englisch umgestellt. Aber diese Leute für das Theater zu gewinnen ist sehr schwer. Die denken erst mal: Theater in Deutschland ist für mich nichts, da verstehe ich nichts. Dass wir das trotzdem gemacht haben, ist Teil eines aufklärerischen Projekts. Und dass es die AfDler ärgert, ist natürlich noch ein Grund mehr, es zu tun.

Hier arbeiten seit Jahren Menschen mit unterschiedlichen Sprachen an künstlerischen Projekten. Aber man hat das Gefühl, Sprache spielt eine untergeordnete Rolle, da das gemeinsame Projekt im Vordergrund steht.

Das Ensemble hat natürlich im Laufe der Jahre gelernt, mit den kulturellen Unterschieden umzugehen und sie unterschiedlich zu verarbeiten. Das Ensemble hat sich von einem Schauspiel-Ensemble zu einem Projektmacher:innen-Ensemble gewandelt. Die Schauspieler:innen und Performer:innen sind kulturell extrem gebildete Projektpartner:innen. Aber die Kammerspiele sind in gewisser Weise auch eine Mogelpackung. Die Hälfte der Inszenierungen wird auf Englisch erarbeitet. Später wirken sie dann aber wie deutschsprachige Inszenierungen.

Gab es eigentlich Reaktionen darauf, dass auf der Bühne mit Akzent gesprochen wird?

Ja, anfangs schon und das sehr stark. Es kam vor, dass Schauspieler:innen ausgebuht wurden und natürlich leiden sie darunter. Aber viele Fragen haben sich nach drei Jahren erledigt. Die Leute gewöhnen sich und man kann sich gar nicht mehr daran erinnern, dass das je anders war.

Tut es dir leid, dass du jetzt schon aufhören musst?

Es gibt eine Ebene, da hat man das Gefühl, es gibt Dinge, die sind unerledigt geblieben. Andere Sachen sind zu kurz gekommen und es gibt wieder andere Dinge, für die die fünf Jahre auch schon zu lang sind.

Was würdest du dir denn zum Abschluss von uns Übertitler:innen wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass eure Arbeit niemandem mehr aufstößt und dass internationale Zugänglichkeit eine Selbstverständlichkeit auf allen Bühnen wird. Ich finde wie ihr es macht prima und hoffe, dass das keine Entwicklung ist, die in den nächsten fünf Jahren wieder verschwindet.

Matthias Lilienthal ist seit der Spielzeit 2015/16 Intendant der Münchner Kammerspiele. Nach seiner Zeit als Chefdramaturg an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in den 90ern war er künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des HAU Hebbel am Ufer (2003-2012) und Programmdirektor für Theater der Welt (2002 und 2014).

„ WAS HABEN ÜBERTITEL FÜR DEINEN BERUF LICHEN WEG FÜR EINE ROLLE GESPIELT UND WAS MACHT EINE GUTE ÜBERTITELUNG AUS? “

„Sicher viel. Die benötigte rhythmische Genauigkeit und die textliche Auseinandersetzung mit Theaterstücken aus unterschiedlichen Sprachgebieten haben mich für verschiedenste Theaterstoffe sensibilisiert und auf Festivals und in festen Spielstätten habe ich viele internationale Theatermacher:innen kennengelernt. Eine gute Übertitelung sollte, ohne dass Inhalt und Stil verloren gehen, dramaturgisch perfekt gekürzt sein, damit der neu entstandene Text die Zuschauer:innen nicht ablenkt und in Einklang mit dem Bühnengeschehen und der gesamten Inszenierung steht.“

Monica Marotta ist als Produktionsleiterin, Dolmetscherin, Übersetzerin und Übertitlerin tätig. Nach dem Studium in Neapel arbeitete sie seit der Jahrtausendwende in Berlin für viele internationale Festivals, bevor sie Projektleiterin des Studio R wurde. R

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