Mehr Arzneimittel für Kinder entwickeln

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Mehr Arzneimittel für Kinder entwickeln Eine Informationsbroschüre der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz In Zusammenarbeit mit SwissPedNet, dem Schweizer Netzwerk der Pädiatrischen Forschungszentren



Sichere Arzneimittel für Kinder und Jugendliche ..........................4 Die etwas andere Medikamentenentwicklung ..............................6 Endlich einmal wieder ausschlafen ................................................8 Der internationale Austausch ermöglicht bessere Resultate .......9 Viele Kinderkrebsarten sind sehr selten ......................................10 «Es braucht mehr Studien, um Kinder besser zu schützen.» ......12 Meilensteine in der Entwicklung von Kinderarzneimitteln ..........18 Weiter im Web ................................................................................20

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Forschung – das wirksamste Mittel gegen Krankheit Neue Medikamente und Therapien verbessern die Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten und erhöhen deren Überlebensund Heilungschancen. Bei manchen Krankheiten ermöglichen sie heute ein beinahe normales Leben, etwa bei Diabetes. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Krebs, lindern Medikamente das Leiden, verlangsamen den Verlauf der Krankheit oder können bei Kindern die Krankheit oftmals gar heilen. Dass für viele Krankheiten überhaupt so wirksame Mittel zur Verfügung stehen, verdanken wir der Forschung der letzten Jahrzehnte. Dennoch bleibt ein langer Weg. Für zu viele Krankheiten gibt es noch keine Linderung und neue Heilmittel sind dringend nötig. Bis die Patienten von einem neuen Medikament profitieren können, braucht es allerdings mehr als nur Erfindergeist. Zunächst muss das Medikament zahlreiche Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfungen bestehen, bevor es von den Behörden zum Verkauf freigegeben wird. Von den ersten Experimenten im Forschungslabor bis zur amtlichen Zulassung vergehen in der Regel acht bis zwölf Jahre, es kann aber auch schon mal zwanzig Jahre dauern. Wir werden weiterhin alles dafür tun, neue Medikamente und noch bessere Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Denn wir sind überzeugt: Forschung ist das wirksamste Mittel gegen alle Krankheiten. Interpharma Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz


«Heute traue ich mir Dinge zu, die ich früher nicht gemacht hätte. Ohne gross nachzudenken.» Ein beinahe normales Leben leben Darkos Geschichte beginnt mit einer falschen Diagnose. Als der Junge am 1. August 2001 auf die Welt kommt, sind die Eltern, beide erst 20 Jahre alt, überglücklich, der erste Sohn ist geboren. Schon nach einigen

Monaten aber hat der Junge dauernd blaue Flecken. Die Eltern gehen zum Kinderarzt, wollen wissen, was mit ihrem Sohn los ist. Die ersten Laboruntersuchungen werden nicht sorgfältig durchgeführt und die jungen Eltern werden verdächtigt, ihren Sohn zu misshandeln. Erst eine zweite, von den Eltern hinzugezogene Kinderärztin kommt der Wahrheit auf die Spur. Sie kontrolliert noch einmal die Blutwerte, interpretiert diese korrekt und stellt die Diagnose: Hämophilie A.

Sichere Arzneimittel für Kinder und Jugendliche Die Entwicklung von Therapien für Kinder und Jugendliche ist nicht nur herausfordernd, sondern auch dringend notwendig. Noch immer werden viele Medikamente an Kinder abgegeben, die nur an Erwachsenen getestet worden sind. Die Kinderärzte müssen sich dabei auf ihre Erfahrungen verlassen (sogenannter Off-Label-Gebrauch). In den allermeisten Fällen geht das gut. Dass das aber nicht immer glimpflich verläuft, zeigen verschiedene Beispiele aus der Vergangenheit. So ruft Valproinsäure, die gegen epileptische Anfälle eingesetzt wird, bei Kindern und Jugendlichen schwerwiegendere und andere Nebenwirkungen hervor als bei Erwachsenen. Andere Arzneimittel beeinträchtigen das kindliche Wachstum oder haben unerwartete Langzeitfolgen. Fakt ist: Der kindliche Körper kann ganz anders auf eine Substanz reagieren als der eines Erwachsenen. Säuglinge bauen zum Beispiel gewisse Wirkstoffe langsamer ab als Erwachsene. Entsprechend muss die Dosis für die Kinder angepasst werden. Es braucht vermehrt klinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen, damit Ärzte über bessere Entscheidungsgrundlagen verfügen. Allerdings kämpft diese Forschung mit ähnlichen Schwierigkeiten wie die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen: kleine Anzahl Patienten, kleiner Markt, grosse Hürden zur Durchführung von Studien.



Hämophilie, auch Bluterkrankheit genannt, ist eine Krankheit, meist vererbt, bei der die Patienten zu wenig oder nicht voll funktionsfähige Gerinnungsproteine haben. Bei schwerer Hämophilie A, an der Darko leidet, fehlt dem Körper ein Gerinnungsprotein praktisch vollständig. Betroffene Patienten bluten daher rascher, und die Blutungen dauern sehr viel länger als bei gesunden Menschen – unbehandelt kann das bis zum Tod führen. Blaue Flecken können spontan entstehen, ohne äussere Einwirkung. «Ich brauchte eine lange

Zeit, bis ich nach diesem Erlebnis wieder Vertrauen in die Ärzte gewinnen konnte», sagt der Vater. «Für meine Frau war es noch schlimmer.» Umso erstaunlicher, dass die Familie zwölf Jahre später bereit ist, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Darauf zu vertrauen, dass der nun Darko behandelnde Arzt ihnen offen und ehrlich die Vor- und Nachteile einer Studienteilnahme darlegt. «Ich habe volles Vertrauen in diesen Arzt», sagt der Vater. Auch Darko,

Die etwas andere Medikamentenentwicklung Die Entwicklung eines Medikaments zur Abgabe an Kinder verläuft anders als bei Erwachsenen. Grundsätzlich gilt: Erst wenn ein Wirkstoff erfolgreich an Erwachsenen erprobt wurde, kommt eine Studie bei Kindern in Frage. Denn in der Regel eignen sich Wirkstoffe, die sich bei Erwachsenen bewährt haben, auch zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Aber erst eine Studie kann das belegen. Behandelt werden in erster Linie kranke Kinder (es werden also keine Phase-I-Studien durchgeführt, siehe Infografik). Gesunde Kinder werden nur in Ausnahmefällen in klinische Studien eingeschlossen, etwa bei Impfungen. Bei solchen Studien muss einigen Punkten besondere Beachtung geschenkt werden, etwa der Form der Verabreichung. Tabletten sind zum Beispiel für kleine Kinder ungeeignet und Spritzen weder bei grossen noch bei kleinen Kindern beliebt. Oft müssen daher spezielle Lösungen entwickelt werden, zum Beispiel ein Sirup, um den Wirkstoff zu verabreichen. In der Schweiz werden jährlich etwa 50 bis 100 Studien durchgeführt (Krebsstudien nicht eingerechnet). Bei den meisten dieser Studien finden keine Interventionen statt, sondern die Kinder werden nur beobachtet. Bei den interventionellen Studien sind es vor allem solche in den Gebieten Diabetes, Infektionen, Neurologie, seltene Krankheiten, Herz-Kreislauf und Allergien.


So werden Medikamente für Kinder und Jugendliche entwickelt 1. Medikamente für Erwachsene Zunächst wird das Medikament für Erwachsene entwickelt und zugelassen. Zeitraum: mehr als 10 Jahre

11–16 Jahre

0–10 Jahre

2. Kinderstudienplan festlegen Die Herstellerin legt in einem Kinderstudienplan fest, für welche Altersgruppe das Medikament untersucht werden soll und wie. Der Plan wird von der Behörde bewilligt.

3. Darreichung entwickeln Je nach Alter der in der Studie eingeschlossenen Kinder wird eine geeignete Darreichungsform entwickelt, z. B. ein Sirup oder eine Minitablette.

4. Phase II: Studie mit wenigen kranken Kindern Kranke Kinder werden behandelt und der Wirkstoff mit der bisherigen Standardtherapie verglichen. (Phase-I-Studie mit gesunden Kindern nur in Ausnahmefällen) 5. Phase III: Studie mit vielen kranken Kindern Nun wird das Medikament an Hunderten, manchmal Tausenden Kindern erprobt. Auf diese Weise können auch seltenere Nebenwirkungen entdeckt werden.

zugelassen

abgelehnt

6. Begutachtung / Zulassung Die Zulassungsbehörde begutachtet die Resultate. Fallen diese positiv aus, erhält das Medikament die Zulassung auch für Kinder.


mittlerweile 14 Jahre alt, wird in die Entscheidung einbezogen. Er ist zufrieden mit dem Ergebnis: «Heute traue ich mir Dinge zu, die ich früher nicht gemacht hätte. Ohne gross nachzudenken.» Eine Hämophilie A kann heute relativ gut behandelt werden – falls man in einem Land wohnt, in dem der Wirkstoff verfügbar ist. Das Protein, das den Hämophilie-Patienten fehlt und das zur Blutgerinnung notwendig ist, kann per Spritze verabreicht werden, entweder nach

Diabetes und Hormonersatz — Endlich einmal wieder

ausschlafen

Christa Flück, Kinderendokrinologin und Diabetologin am Inselspital Bern, behandelt hauptsächlich Kinder mit Diabetes Typ 1 sowie solche mit Hormonstörungen, also zum Beispiel kleinwüchsige Kinder oder Kinder mit Schilddrüsenerkrankungen. Kinder können aber auch nach einer Krebsbehandlung unter einer Hormonstörung leiden, denn die Behandlung kann die Hypophyse (Hormondrüse) angreifen, weshalb die Kinder dann ein Leben lang auf Hormone angewiesen sind. «80 Prozent der Medikamente, die wir auf unserer Station verwenden, sind nicht für Kinder zugelassen worden», erklärt Flück. Die grösste Schwierigkeit dabei ist, die richtige Dosis für den jeweiligen Patienten zu finden. Kinder und Jugendliche bauen viele Hormone rascher ab als Erwachsene, weshalb – wider Erwarten – nicht eine kleinere Dosis notwendig ist, sondern eine grössere. «Wer keine kinderspezifischen Dosen verabreicht, kann Schaden anrichten», so Flück. Aber wie wird die richtige Dosis bestimmt? «Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel via Körpergewicht, via Körperfläche oder mit Hilfe von Erfahrungswerten.» Im Bereich Diabetes und Hormonersatz hat sich über die vergangenen Jahre vieles zum Besseren entwickelt. So wurden in den vergangenen Jahren neue Insuline zugelassen, die für die Kinder eine riesige Erleichterung sind, einen normalen Alltag zulassen und die Anzahl Spritzen verringern. «Das bedeutet: Die Kinder können endlich auch mal wieder ausschlafen», so Flück.


Bedarf oder regelmässig, also präventiv. Darko kann ein beinahe normales Leben leben. Sportarten wie Fussball sind dennoch riskant, zu viel Kontakt, zu gross die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen. Schwimmen tut ihm gut, deshalb geht er in seinen jungen Jahren bis zu dreimal pro Woche zum Training. Muskeln schützen seine Gelenke, und diese sind besonders gefährdet. Bei Gelenksblutungen füllt sich das Gelenk mit Blut, dann muss Darko bis zu zehn

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Allerdings gibt es noch viel zu tun. Die Anzahl an Off-Label-Verschreibungen ist und bleibt hoch und oft müssen die Fachleute jahrelang warten, bis ein Medikament, das für Erwachsene bereits zugänglich ist, die Zulassung erhält.

Darmerkrankungen — Der internationale Austausch ermöglicht bessere Resultate Johannes Spalinger, Gastroenterologe am Kinderspital Luzern, behandelt Kinder und Jugendliche mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Diese Krankheiten können behandelt, aber nicht geheilt werden. Die Therapiemöglichkeiten bei Kindern sind beschränkt. Medikamente wie Cortison, das bei Erwachsenen häufig eingesetzt wird, soll bei Kindern nur sehr beschränkt verwendet werden, da es unter anderem das Wachstum der Kinder beeinträchtigt. Neuere und wirkungsvolle Medikamente haben häufig noch keine Kinderzulassung und dürfen daher nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Um in solchen Situationen auch von den Erfahrungen anderer Kinder-Darm-Spezialisten zu profitieren, wurde ein internationales Netzwerk aufgebaut, das den Austausch von Wissen und Erfahrungen mit Ärzten auf der ganzen Welt ermöglicht. Wie hat sich das Gebiet in den vergangenen Jahren entwickelt? «Ein Meilenstein war sicher die Einführung neuer Wirkstoffe, sogenannter


Tage ruhen und behandelt werden. Schule ja, Sport nein, bis sich die Blutung gelegt hat. Das passierte früher vier- bis fünfmal pro Jahr. Anfangs muss Darko nur bei Bedarf spritzen, also nur bei Blutungen oder Verletzungen, später jedoch alle zwei Tage. Trotzdem hat Darko immer wieder Gelenkblutungen. Dann, im Jahre 2013, ergibt sich die Möglichkeit für die Teilnahme an einer Studie. Ein neuer Wirkstoff, womöglich bessere Wirksamkeit, nur noch zweimal pro Woche spritzen.

Der neue Wirkstoff wirkt schlagartig, die Blutungen sind weg, insbesondere die ständigen Blutungen in den Gelenken. Darko kann sich den Wirkstoff heute auch selbstständig spritzen. Für die Zukunft wünscht er sich einen Spray oder eine Tablette. «Wenn ich in Zukunft den Wirkstoff als Spray einnehmen könnte – das wäre super.»

Biologika, zur Behandlung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa», so Spalinger. Heute kann dank diesen biotechnisch hergestellten Medikamenten eine Vielzahl von Kindern und jugendlichen Patienten beschwerdefrei leben. Die Wirkstoffe wirken schnell und es gibt gute Langzeiterfahrungen. Allerdings sind die Kosten für diese Behandlung hoch. Mit welchen Schwierigkeiten kämpft der Experte im medizinischen Alltag? «Viele Jugendliche sind durch ihre Krankheit eingeschränkt, haben häufige Arzttermine, müssen täglich Tabletten einnehmen. Dies bereitet verständlicherweise Probleme und führt dazu, dass die Therapie teilweise ungenügend eingehalten wird. Es braucht zum Teil viel Motivations- und Erklärungsbedarf und eine Art Coaching, um die Jugendlichen vom langfristigen Nutzen der Therapie zu überzeugen.»

Krebs — Viele Kinderkrebsarten sind sehr selten Johannes Rischewski, Kinder-Onkologe am Kinderspital Luzern, behandelt krebskranke Kinder, zum Beispiel solche, die an einem Lymphdrüsenkrebs leiden oder an einem Blutkrebs (Leukämie). Dank neuen Behandlungsmethoden können heute mehr als zwei Drittel geheilt werden. «Die Entwicklung ist beeindruckend, zum Beispiel bei bestimmten Formen der Leukämie, die in den 60er-Jahren noch ein Todesurteil bedeuteten. Heute können wir 85 Prozent dieser Kinder dauerhaft heilen», so Rischewski.


Darko S., 14 Jahre alt, leidet seit seiner Geburt an einer schweren Hämophilie. Er lebt mit seiner Familie in der Region Luzern.

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Grundsätzlich werden bei Krebstherapien im Kindesalter die gleichen Methoden eingesetzt wie bei Erwachsenen: Strahlentherapie, Chirurgie, Medikamente. Allerdings können diese Verfahren nicht einfach eins zu eins wie bei Erwachsenen angewendet werden. Bei der Strahlentherapie müssen zum Beispiel Langzeitfolgen in Betracht gezogen werden, die bei einem Erwachsenen praktisch nicht vorkommen. So kann eine Bestrahlung an der Wirbelsäule ein ungleiches Wachstum der Wirbelsäule hervorrufen. Zudem sind Kinder deutlich empfindlicher gegenüber den Auswirkungen der Strahlen als Erwachsene. Ein anderes Problem betrifft die Anzahl Patienten. «Viele Kinderkrebsarten treten sehr selten auf, weshalb es herausfordernd ist, Studien mit ausreichenden Patientenzahlen durchzuführen.» In den vergangenen Jahren sind aber viele neue und interessante Krebswirkstoffe auf den Markt gekommen – nun ist es notwendig, zu untersuchen, welche Kombinationen in welchen Dosen bei welchem Patienten am wirksamsten sind. «Das geht nur via internationale Netzwerk-Zusammenarbeit», so Rischewski. Der Onkologe wünscht sich von allen Beteiligten – von den Ärzten bis zur Industrie – mehr Engagement, damit die Wirkstoffe möglichst rasch für Kinder zugelassen werden.


«Es braucht mehr Studien, um Kinder besser zu schützen.» David Nadal ist Professor und Direktor des Forschungszentrums für das Kind am Universitäts-Kinderspital Zürich und Präsident von SwissPedNet. Worauf muss man besonders achten, wenn man als Kinderarzt Kinder und Jugendliche in klinische Studien einbindet? Speziell ist, dass wir nicht nur die Eltern über alle Studiendetails aufklären müssen, sondern auch das Kind. Das braucht Zeit und die Fähigkeit, auf unterschiedlichen Ebenen altersgerecht zu kommunizieren. Zum Teil müssen wir drei verschiedene Informationsblätter vorbereiten: für das Kind, für den Jugendlichen, für die Eltern. Sind Studien mit Kindern und Jugendlichen komplizierter? Auf jeden Fall ist vieles anders als bei Erwachsenen. Es stellen sich schwierige Fragen: Kann das Kind die Belastung ertragen? Wie reagiert der jugendliche, sich entwickelnde Körper auf die Behandlung? Wie reagiert der Stoffwechsel? Wie rasch wird das Medikament abgebaut? Alle diese Fragen versuchen wir zu beantworten. Zudem stellen die Studien je nachdem nicht nur einen grossen Zeitaufwand für das Kind dar, sondern oft auch für die Eltern. Brauchen solche Studien eine spezielle Überwachung? Ja, denn die Risiken müssen möglichst minim gehalten werden. Bei Phase-II-Studien werden daher nur Wirkstoffe verwendet, die schon bei Erwachsenen untersucht wurden.


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Gibt es Fälle, bei denen der Jugendliche an einer Studie teilnehmen möchte, aber die Eltern sind dagegen? Ja, das gibt es. Und es gibt auch die umgekehrte Situation. Solche Situationen können zum Teil mit gemeinsamen Gesprächen gelöst werden. In der Schweiz gilt seit Anfang 2014 das neue Humanforschungsgesetz. Dieses regelt die klinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen. Hat das HFG die erhoffte Verbesserung gebracht? Unmittelbar ist es ein Vorteil, da nun vieles klar geregelt ist. Aber was wir im Entstehungsprozess des Gesetzes zu wenig beachtet haben, ist die Forschung mit gesunden Kindern, denn wir brauchen auch diese Daten, um sagen zu können, was «normal» ist. Für solche Forschungsprojekte eine Bewilligung zu erhalten, ist schwieriger geworden, denn der Forschende muss dazu einen direkten Nutzen für das gesunde Kind belegen. Das müssen wir verbessern. Der persönliche Gewinn kann auch darin liegen, dass man später selbst einmal von einer Behandlung profitiert oder dass andere direkt davon profitieren. Studien mit Kindern und Jugendlichen auf die Beine zu stellen, ist schwierig. Welches sind die grössten Hürden? Oftmals fehlt es ganz einfach an genügend Probanden, weil Kinder grundsätzlich weniger häufig krank sind als Erwachsene. Viele Kinderkrankheiten treten daher relativ selten auf. Darum müssen sich die Zentren zusammenschliessen, um gemeinsam Studien durchzuführen. Diesem Umstand haben wir mit der Gründung von Swiss-


Die gemeinnützig anerkannte Stiftung ersucht um keinerlei staatliche Subventionen. Die Finanzierung der wöchentlichen Artistenbesuche beruht vollständig auf der Unterstützung von Spendern und Partnern. www.theodora.org PC 10-61645-5

Dr. Flippa und Dr. Madame Bonjour, Traumdoktoren der Stiftung Theodora, mit Professor David Nadal vom Universitäts-Kinderspital Zürich.

Die Stiftung Theodora verfolgt seit 1993 das Ziel, das Leiden von Kindern im Spital und in spezialisierten Institutionen durch Freude und Lachen zu lindern. Im Jahr 2015 schenkten die Traumdoktoren schweizweit Lachen und Momente des Glücks auf rund 100 000 Kinderbesuchen.

PedNet Rechnung getragen. Diese Organisation koordiniert pädiatrische Studien auf nationaler und internationaler Ebene. Eine weitere Hürde besteht darin, dass der Markt für solche Medikamente klein ist und es sich oft schwierig gestaltet, für solche Forschungsprojekte eine Finanzierung zu finden. Lange waren Forscherinnen und Forscher eher zurückhaltend, wenn es darum ging, pädiatrische Studien durchzuführen. In den vergangenen Jahren hat man aber den Eindruck erhalten, dass sich diese Zurückhaltung gelegt hat? Ja, es hat tatsächlich ein Wandel stattgefunden. Gerade weil Kinder besonders schützenswert sind, müssen solche Studien durchgeführt werden, denn dies erhöht die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen. Zudem gilt aus meiner Sicht: Patienten, die an einer Studie teilnehmen, sind sicherer, als wenn sie nicht teilnehmen, weil sie im Rahmen der Studie besonders gut überwacht werden. Eine Studie ist ja nicht einfach ein Experiment, sondern unterliegt sehr strengen Regeln zur Durchführung. Ist es in der Schweiz schwieriger, eine Studie durchzuführen, als in anderen Ländern? Nicht generell. Aber Tatsache ist auch: In der Schweiz erhält jede Person grundsätzlich eine optimale Therapie, garantiert durch die Grundversicherung. In anderen Ländern ist das nicht immer so, dort kann die optimale Therapie zum Teil nur in Studien verabreicht werden. Daher haben Patienten in diesen Ländern einen grösseren Anreiz, an einer Studie teilzunehmen.



Wo braucht es weitere Fortschritte? Bei Neugeborenen und bei schwer kranken Kindern. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind liegt nach einer Frühgeburt im Brutkasten und braucht eine spezielle Behandlung. Vielleicht geht es sogar um Leben und Tod. Sind Sie da offen für ein Gespräch mit dem Arzt betreffend Teilnahme an einer Studie? Hier braucht es Lösungen, neue Ansätze und daran arbeiten wir. Aber das ist nicht etwas, das sich von heute auf morgen verändern wird. Wie könnte die Pharmaindustrie dazu beitragen, dass mehr Wirkstoffe für Kinder auf den Markt kommen? In der Schweiz haben wir das Problem, dass es viele internationale Pharmafirmen gibt, die ihren Hauptsitz in den USA haben. Vertreter der hiesigen Niederlassungen müssen das Mutterhaus überzeugen, dass die Studie auch in der Schweiz durchgeführt wird. Aber weshalb? Die Schweiz ist international ein kleiner Player, Studien durchzuführen, ist teuer, der Absatzmarkt klein. Die Schweiz muss und kann aber anderes bieten, zum Beispiel eine profunde Qualität der ethischen Betrachtung einer Studie oder bessere Daten. Denn eines ist klar: Wenn Studien hierzulande durchgeführt werden, dann ist das positiv für die Kinder in der Schweiz. Früher waren etwa 50 Prozent der Wirkstoffe, die in der Pädiatrie verwendet werden, nicht an Kindern getestet worden. Hat sich die Situation verbessert? Ja, ein bisschen. Es geht in die richtige Richtung, aber auch das braucht Zeit. Neu braucht jeder Wirkstoff einen PIP, ein pädiatrisches Prüfkonzept. Dieses soll sicherstellen, dass das Medika-


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ment auch für Kinder zugelassen wird. Die Firmen profitieren, indem sie einen längeren Patentschutz erhalten. Ich bin überzeugt, dass das langfristig etwas bewirkt. Das Problem liegt aber vor allem bei den Medikamenten, die schon lange auf dem Markt sind. Dort werden keine Studien durchgeführt. Genau. Diese werden zum Teil schon seit Jahrzehnten bei Kindern eingesetzt. Aber sind sie wirklich in allen Situationen angebracht und sicher? Ganz sicher können wir nur sein, wenn wir entsprechende Studien durchführen. Aber wer soll das tun? Und wer soll das bezahlen? Denn die Medikamente werden in der Praxis ja ohnehin eingesetzt.


Meilensteine in der Entwicklung von Kinderarzneimitteln Über die Jahrzehnte hat die Medizin enorme Fortschritte im Bereich Kinderarzneimittel erzielt. So können heute je nach Krebsart über 80 Prozent der krebskranken Kinder geheilt werden. Aber auch in vielen anderen Bereichen wurden Verbesserungen erzielt, die das Überleben, aber auch die Lebensqualität von Kindern entscheidend verbessert haben. Insbesondere die Einführung mehrerer Impfungen hat Millionen von Kindern das Leben gerettet. Impfungen sind das wirksamste Mittel, um Kinder gegen Diphterie, Starrkrampf, Keuchhusten, Hirnhaut- und Kehlkopfentzündung, Kinderlähmung, Masern, Mumps, Röteln und Leberentzündung (Hepatitis B) zu schützen. Sie schützen nicht nur die Person selbst, sondern auch Mitmenschen, die besonders gefährdet sind, etwa Kleinkinder und schwangere Frauen. Eine Impfung «schult» den Körper, entsprechende Krankheitserreger beim ersten Kon-

takt abzuwehren. Sie enthält abgeschwächte oder abgetötete Erreger oder Teile davon. Durch den Kontakt mit dem Impfstoff entstehen Abwehrkörper und spezielle Gedächtniszellen. Beim ersten Kontakt mit dem tatsächlichen Erreger geht der Körper rasch und massiv gegen den Eindringling vor. 1898_Die Diphterie ist eine für Kinder lebensbedrohliche Infektionskrankheit. Erstmals gibt es eine Impfung dagegen. 1960er-Jahre_Die Impfung gegen Kinderlähmung wird eingeführt. Kinderlähmung betrifft vor allem Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren. 1960er-Jahre_Nach dem Contergan-Skandal wird die Arzneimittelprüfung und -zulassung stark verschärft. In vielen europäischen Ländern werden klare Richtlinien zur Zulassung von Wirkstoffen definiert.


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1987_Erstmals kommt ein Präparat gegen Aids auf den Markt. Allerdings dauert es noch einige Jahre, bis das Medikament auch für Kinder zugelassen ist.

2012_Die Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die EU-weit an klinischen Studien teilnehmen, steigt deutlich: über 5 Jahre von 300 auf 40 000 Personen.

2000_Mütter, die an Aids erkrankt sind, können das Virus an ihre ungeborenen Kinder weitergeben. Erstmals erhalten infizierte Mütter ein Medikament, welches das Ansteckungsrisiko für ihre Kinder wesentlich verringert.

2015_Neue Insuline kommen auf den Markt. Sie müssen weniger oft verabreicht werden. Auch neue Pumpen und Injektionssysteme für die Insulin-Gabe vereinfachen das Leben von Kindern, die an Diabetes leiden.

2006_Gebärmutterhalskrebs gehört zu den bösartigsten Tumoren bei Frauen. Ein entsprechender Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs verringert die Chance, daran zu erkranken.

2016_Jedes Jahr kommen in der EU zwischen 15 bis 30 neue Medikamente für Kinder und Jugendliche auf den Markt. Swissmedic fordert die Unternehmen auf, entsprechende Studien auch in der Schweiz einzureichen.

2007_Die neue EU-Verordnung zur Förderung von Kinderarzneimitteln tritt in Kraft. Die Verordnung verpflichtet Unternehmen zur Durchführung von klinischen Studien mit Kindern und Jugendlichen und gewährt in der Folge zusätzliche 6 Monate Marktexklusivität.

Ausblick_In den kommenden Jahren werden mehrere hoffnungsvolle Wirkstoffe erwartet, die bereits bei Erwachsenen zugelassen wurden, zum Beispiel bei Hepatitis oder Lungenkrebs. Interessant sind für die Pädiatrie auch sogenannte Gentherapien, bei denen Erbkrankheiten mit Genen behandelt werden.


Weiter im Web Kinderarzneimittel – Bundesamt für Gesundheit http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/00709/04670/04677/ SwissPedNet – Swiss Research Network of Clinical Pediatric Hubs http://www.swisspednet.ch Kinderkrebs-Schweiz https://www.kinderkrebs-schweiz.ch/ Stiftung Theodora www.theodora.org www.facebook.com/StiftungTheodora



Interpharma Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz Petersgraben 35 Postfach, 4009 Basel Telefon +41 (0)61 264 34 00 E-Mail: info@interpharma.ch www.interpharma.ch Redaktion Interpharma: Sibylle Augsburger, Sara Käch Redaktion: advocacy AG, Basel Gestaltung: vista point, Basel Bilder: Barbara Jung September 2016




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