Hahn 2004d Eisenbahn in Togo

Page 1

HISTORISCHES AFRIKA

Hans Peter Hahn

Eisenbahnen in Togo zwischen kolonialer Ideologie und historischer Wirklichkeit In Afrika spielen Eisenbahnen eine untergeordnete Rolle, auch wenn deren Anfänge bereits in die ersten Jahrzehnte der Kolonialzeit zurückreichen. Trotz des frühen Beginns des Eisen-bahnbaus haben die Linien dort niemals eine ähnliche Bedeutung wie in Europa erlangt. In vielen afrikanischen Ländern war der Eisenbahnbau Ausdruck kolonialen Denkens und wurde von den Interessen der kolonialen Administration geleitet. Diese einseitigen Motive sowie die daraus resultierende Streckenführung und Technik sind bis heute Gründe für die schwierige Situation der Eisenbahn in Togo wie in anderen Ländern des Kontinents.

Als vor einigen Monaten der Nachlaß des Eisenbahnarztes der deutschen Kolonialregierung in Togo dem Museum Zusmarshausen übergeben wurde, bat der Museumsleiter den Lehrstuhl für Ethnologie an der Universität Bayreuth um fachliche Beratung zur Bedeutung dieses Nachlasses. Bilder und Notiz-

48

spektrum

1/04

hefte, die der Eisenbahnarzt Dr. Rudolf Simon während seines Aufenthaltes in Togo (1909-1914) erstellt hatte, waren von seiner Familie aufgefunden und dem Museum übergeben worden. Eine erste Sichtung machte klar, daß diese Dokumente die Ambivalenz von kolonialem Anspruch und rauhem Alltag während des Bahnbaus in Togo besonders deutlich werden lassen. Vor dem Hintergrund, daß die deutsche Kolonie Togo (18851914) oft als "Musterkolonie" bezeichnet wurde und zugleich dort, im Gegensatz zur benachbarten englischen Kolonie "Gold Coast", Prügelstrafe und Zwangsarbeit praktiziert wurden, bietet die Geschichte der Eisenbahn Togos eine herausragende Möglichkeit, diese Widersprüche zu thematisieren. Die Aufgaben von Dr. Simon, u.a. die Feststellung der Ar-beitsfähigkeit, die Behandlung der erkrankten Pflichtarbeiter und die Überwachung der Prü-gelstrafe sind ein Spiegelbild des kolonialen Alltags. Zur Zeit wird eine Ausstellung vorbereitet, die sowohl in Togo als auch in Zusmarshausen gezeigt werden soll. Für die Ausstellung in Togo wurde das dortige GoetheInstitut als Sponsor und Partner


EISENBAHNEN IN TOGO

gewonnen. Da im Jahr 2004 die Eisenbahn in Togo ihr hundertjähriges Bestehen feiert, bilden die aufgefundenen Dokumente eine willkommene Möglichkeit, nicht nur die offizielle Seite darzustellen, sondern auch den Alltag des Eisenbahnbetriebs und die Bedingungen des Eisenbahnbaus während der deutschen Kolonialzeit zu zeigen. Die Ausstellung in Togo wird anhand des Bahnbaus und der Nutzung der Bahnlinien die Auswirkung kolonialer Politik veranschaulichen. Einerseits kann die Eisenbahn als repräsentatives Modell für die Durchsetzung der Moderne aufgefaßt werden. Andererseits ist die Dramatik von harter, für Viele sogar tödlich endender Zwangsarbeit zu zeigen. Die Bilder und Notizen des Eisenbahnarztes bezeugen beides: den Stolz auf den technischen Fortschritt in der Kolonie und die tägliche Konfrontation mit Verletzungen, schweren Krankheiten und auch dem Tod der Arbeiter. Eisenbahnen galten schon im 19. Jahrhundert als wichtiger Motor

ökonomischer Entwicklung. In Togo diente die Eisenbahn zunächst der Beförderung von Gütern an die Küste und in die Metropole. Für die deutschen Kolonien ist festzustellen, daß es kein übergreifendes Konzept des Eisenbahnbaus gab, sondern. in den einzelnen

Ländern einzelne Strecken aufgrund der jeweils gegebenen Anforderungen errichtet wurden. In Togo lag das Motiv für den Bau der ersten, im Jahre 1904 eröffneten "Küstenbahn" in der Kontrolle und Bündelung des Güterverkehrs. Tatsächlich wurde nach dem Bau

Lokomotive und Waggons der Küstenbahn in Togo

Brückenbauarbeiten beim Bau der Hinterlandbahn in der Nähe von Atakpamé

1/04

spektrum

49


HISTORISCHES AFRIKA

Quelle: Deutsches Koloniallexikon, S. 536

dieser Linie die Zollstation in Anecho geschlossen und Lomé zur alleinigen Zollstelle an der togoischen Küste erhoben. Die europäischen Plantagengesellschaften waren daran interessiert, ihre Erzeugnisse kostengünstig an die Küste zu bringen. Vor allem für den Bau der "Inlandbahn" von Lomé nach Kpalimé spielte dieses Argument eine Rolle. Tatsächlich transportierten Eisenbahnen Waren schneller, billiger und zuverlässiger zur Küste als die bis dahin üblichen Trägerkolonnen. Im "Deutschen Kolonialkalender" von 1910 sind dazu Vergleichspreise angegeben. So kostete der Transport einer Last mit Träger von Kpalimé nach Lomé 167 Pfennig, mit der Bahn waren für den glei-

50

spektrum

1/04

chen Transport nur ca. 30 Pf. aufzuwenden. Die letzte und mit knapp 200 km längste Bahnlinie, die "Hinterlandbahn", ist von den geographischen Verhältnissen des Landes her die wichtigste. Sie führte von Lomé aus nach Norden und bildete wenigstens den Anfang einer Verkehrachse für das in NordSüdrichtung über 600 km lange Land. Während nördlich von Lomé ausgedehnte Ölpalmplantagen eine ökonomische Grundlage für den Betrieb der Bahnlinie bildeten, war der Bahnbau weiter nach Norden nur durch den geplanten Export von Eisenerz zu begründen. Die Bahnlinie war tatsächlich bis hin zur Erzlagerstätte bei Bandjeli projektiert, gebaut wurde davon allerdings wegen Geldmangels nur etwa die Hälfte. Die Planung schrieb vor, daß Steigungen in Richtung Küste nicht mehr als 1/100 betragen durften, um später den mit Erz schwer beladenen Zügen den Weg zu er-leichtern. Für die entgegengesetzte Richtung gab es keine solchen Vorschriften. Der Eisenbahnbau in den deutschen Kolonien wurde in Deutschland mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt. Insbesondere die Kolonialgesellschaften forderten mit Nachdruck eine Beschleunigung des Bahnbaus und verwiesen in ihrer Propaganda auf England und Frankreich, die bereits sehr viel mehr Schienenkilometer in Afrika gebaut hatten. Demgegenüber stand das Prinzip der Kolonialverwaltung, daß die deutschen Kolonien alle Kosten, also auch die für den Bahnbau, selbst zu tragen hatten. Im Ergebnis wurde der Bahnbau immer wieder wegen fehlender Mittel hinausgezögert. Die Bahnlinien wurden mit möglichst geringem Aufwand realisiert. So verwendete man Schmalspurbahnen, verzichtete auf einen Unterbau der Gleise und versuchte, möglichst viele Arbeiten des Bahnbaus mit Zwangsarbeitern durch-

zuführen. Das "Deutsche Koloniallexikon" (1920) hat aufgrund dieser Problematik einen umfangreichen Eintrag zu dem Stichwort "Rentabilität der Kolonialbahnen". Darin vertreten die Autoren die Auffassung, daß sich der Bahnbau auch dann lohne, wenn kurzfristig keine Gewinne durch das zu erwartende Transportaufkommen möglich sind. Die erforderliche Arbeitsleistung für den Bahnbau in Togo wurde mit "Steuerarbeitern" und mit "Pflichtarbeitern" erbracht. Die Steuerarbeiter leisteten genau sechs Arbeitstage an der Baustelle ab, um damit den Gegenwert der damals üblichen Kopfsteuer zu erbringen. Insbe-sondere beim Bau der "Hinterlandbahn" reichte die Zahl der auf dieser Grundlage beteiligten Arbeiter nicht aus. Man verpflichtete deshalb einzelne Bezirke, eine bestimmte Anzahl an Arbeitskräften für einen festgesetzten Lohn zu stellen. Unter dieser Gruppe der "Pflichtarbeiter", von denen viele aus Nord-Togo zur Baustelle kamen, betrug der Anteil der Erkrankten über 30 % und die Zahl der Toten ging in die Hunderte. Oft starben sie an Krankheiten, die durch das ungewohnte feuchtheiße Klima oder durch die andere Ernährung ausgelöst waren. Der Transport von Personen war in Togo zunächst nicht vorgesehen. Ebenso wurde der mögliche Transport bäuerlicher Erzeugnisse (Mais, Baumwolle) aus der Region nicht in Betracht gezogen. Wie bereits erwähnt, bestand die zentrale Aufgabe der Bahnlinien im Abtransport der Erzeugnisse der großen Ölpalmplantagen. Allerdings reichte die Produktion dieser Planta-gen nicht aus, um die Kapazität der Bahnen auszulasten. Schon während der Bauarbeiten für die "Küstenbahn" gab es überraschenderweise einen großen Andrang togoischer Reisender, die das neue Transportmittel nutzen


EISENBAHNEN IN TOGO

Bahnbau bei Amoutchou

Marktplatz vor dem Bahnhofsgebäude in Kpalimé

Bahnbrücke bei Kpalimé

Erdarbeiten beim Bahnbau

Bahnhof in Lomé Quelle der Karte: Deutsches Koloniallexikon

1/04

spektrum

51


HISTORISCHES AFRIKA Quelle der Grafik links: Kolonialkalender 1911, S. 17

wollten. Ähnliches wiederholte sich bei der "Inlandbahn" und – in beschränktem Umfang auch bei der "Hinterlandbahn" in Richtung Norden. Die Togoer entdeckten die Bahn für sich und reisten regelmäßig damit. Aufgrund der genauen Buchführung liegen Zahlen über die ausgestellten Fahrkarten und die zurückgelegten Strecken vor. So wurden im Jahr 1912 über 200.000 Fahrkarten verkauft, der weitaus größte Anteil davon für die aus offenen Güterwagons bestehende dritte Klasse. Die meisten Fahrten führten über Stecken von weniger als 30 km. Es han-

delte sich offensichtlich um Bauern und Händler, die mit der Eisenbahn aus dem Umland nach Lomé fuhren, um den dortigen Markt zu besuchen. Diese, zum Zeitpunkt des Bahnbaus nicht vorhergesehene Nutzung ist als eine Art der Aneignung zu betrachten. Togoer nutzten die Bahn für kurze Strecken und für ihren Kleinhandel. Ein Beispiel dafür ist der nach dem Bahnbau aufblühende Salzmarkt von Nuepe, einem kleinen, nur 10 km von Lomé entfernten Ort an der Grenze nach Ghana. Der Handel dort war deshalb attraktiv, da hier ghanaische Waren unverzollt gekauft werden konnten. Die Togoer, die von Lomé aus mit der Bahn zu diesem Markt fuhren, unterliefen damit ein wichtiges Ziel des Bahnbaus, nämlich der Kontrolle der Waren. Sie belegten damit ihre Fähigkeit, im Umgang mit der Eisenbahn eigene Konzepte zu entwickeln und diese auch in die Praxis umzusetzen.

Der gegenwärtige Stand der Eisenbahnbauten in unseren Kolonien Wilhelm von Puttkamer, Hauptmann a. D. im "Kolonial Kalender" 1912

Mehr Dampf! Baut Bahnen! Jahrelang erscholl vergebens der Weckruf! Neuerdings aber ist es anders geworden. In allen unseren Kolonien kracht gegenwärtig die Axt, donnert der Sprengschutz, freie Bahn zu schaffen für den Unterbau, der den Schienenweg tragen soll. Nicht regenarme Steppe, nicht Fels, nicht Wasser, nicht Urwald vermag ihn aufzuhalten; siegreich dringt er vor, ein Wahrzeichen des Ernstes mit dem die Europäer begonnen haben, den schwarzen Erdteil ihrer Kultur dienstbar zu machen. Aber nicht allein die rohe Gewalt ist es, die sich einer widerstrebenden Natur entgegensetzt, sie zu beugen unter den Willen des Menschen, auch dem Sinn für Schönheit, Kunst und Eleganz wird Rechnung getragen. Luftige und geräumige Stationsgebäude führt man auf; in leichter, eleganter Bauart schwingt sich der eiserne Brückenträger über den Strom, der bisher in des Urwalds erhabener Weltabgeschiedenheit dahinrauschte, übersponnen höchstens von Lianen und Schlinggewächsen in zierlichen Gewebe. Unberührt noch von der so vielseitigen modernen Verkehrstechnik, präsentieren sich unsere Kolonien als ein jungfräuliches, gänzlich unbeackertes Feld, auf dem der Ingenieur ungehindert sein technisches Können entfalten kann. […]

Togo ist, wie bekannt, die kleinste aber nicht die schlechteste der afrikanischen Kolonien, ausgezeichnet dadurch, daß ihr Etat fast immer ohne Reichszuschuß balanciert. Ein erfreuliches Bild bieten dementsprechend auch die Verkehrsanlagen, die heute schon ein kleines Netz bilden, indem sie aus vier gesonderten Betrieben bestehen. Wir haben da zuerst den Landungsbrückenbetrieb, dann den der Küstenbahn Lome-Anecho, drittens den der Inlandbahn Lome-Kpalime (122 Kilometer) und schließlich den der Hinterlandbahn LomeAtakpame (180 Kilometer), welch letztere nun auch seit dem 1. April 1911 in vollem Umfange dem öffentlichen Verkehr übergeben worden ist. Alle vier sind in staatlichem Besitz, jedoch verpachtet an die Deutsche Kolonial Eisenbahn Bau- und Betriebsgesellschaft. […]

52

spektrum

1/04


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.