Leseprobe audeoud wertli webshop nb

Page 1


Mireille Audeoud und Emanuela Wertli

Nicht anders, aber doch verschieden Befindensqualität hörgeschädigter Kinder in Schule und Freizeit

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

9

Dank

11

1. Zusammenfassung

13

2. Ausgangslage

17

3. Theoretische Überlegungen 3.1 Integration 3.1.1 Lernsituation integriert beschulter Kinder mit einer Hörbehinderung 3.1.2 Integration und Teilhabe 3.2 Befindensqualität 3.2.1 Übersicht Befindensqualität 3.2.2 Habituelles Wohlbefinden: Lebensqualität 3.2.3 Habituelles Stressempfinden 3.2.4 Aktuelles Befinden 3.2.5 Befinden von Menschen mit einer Hörbehinderung 3.3 Zusammenfassung

23 23 23 24 26 26 28 29 31 34 37

4. Fragestellungen

39

5. Forschungsmethodisches Vorgehen 5.1 Überblick des forschungsmethodischen Vorgehens 5.2 Erhebungsinstrumente 5.2.1 Aktuelles Befinden: PANAVA und Tätigkeitserleben 5.2.2 Habituelles Wohlbefinden: Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen 5.2.3 Habituelles Stressempfinden: Fragebogen zur Erhebung von Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter 5.2.4 Persönlichkeit und soziodemografische Angaben

41 41 42 42 44 45 47


5.3 5.4 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3

Zugang zur Stichprobe Durchführung Datenanalyse Definitive Stichprobe und Nonresponder Datenprüfung Analyse

48 49 50 50 51 51

6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3

Beschreibung der Stichprobe Klassenstufe, Alter, Herkunft und Noten aller untersuchten Kinder Beschreibung der hörgeschädigten Kinder Hörstatus, Versorgung, Aufklärung und Kontakt zu Betroffenen Kommunikation, Hausaufgabenzeit, Kommunikationsstress Persönlichkeit Stichprobe der Zeitpunkte

57 57 60 60 62 63 65

7. Ergebnisse zur Befindensqualität 7.1 Darstellung der Ergebnisse 7.2 Ergebnisse habituelles Wohlbefinden (Lebensqualität) 7.2.1 Beschreibung habituelles Wohlbefinden 7.2.2 Vergleich zwischen normalhörenden und hörgeschädigten Kindern 7.2.3 Habituelles Wohlbefinden bei hörgeschädigten Kindern 7.2.4 Behinderungsempfinden hörgeschädigter Kinder 7.3 Ergebnisse habituelles Stressempfinden 7.3.1 Beschreibung habituelles Stressempfinden 7.3.2 Stressvulnerabilität 7.3.3 Stresssymptomatik 7.3.4 Stressbewältigungsstrategien 7.4 Ergebnisse aktuelles Befinden 7.4.1 Beschreibung aktuelles Befinden 7.4.2 Vergleiche im aktuellen Befinden zwischen normalhörenden und hörgeschädigten Kindern über alle Situationen 7.4.3 Vergleich unterschiedlicher Situationen 7.5 Beziehung zwischen aktuellem und habituellem Befinden

71 71 71 71 72 74 75 75 75 76 78 80 82 82 83 86 94


8. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse 8.1 Hörgeschädigte Kinder in der Integration 8.1.1 Heterogene Gruppe 8.1.2 Erfassung 8.1.3 Hör- resp. Kommunikationshilfen 8.1.4 Lernentwicklung 8.1.5 Persönlichkeit und Identität 8.2 Befinden der hörgeschädigten Kinder im Vergleich zu normalhörenden Gleichaltrigen 8.2.1 Habituelles Befinden 8.2.2 Aktuelles Befinden 8.2.3 Zusammenhang zwischen aktuellem und habituellem Befinden 8.3 Grenzen und weiterführende Aspekte des Forschungsvorhabens

97 97 97 97 98 98 98 100 100 101 102 103

9. Einordnung der Ergebnisse 9.1 Normalität und Referenzwerte 9.2 Hörbehinderung als bewusstseinsferne Behinderung?

105 105 107

10. Folgerungen für die Praxis 10.1 Zweck der Folgerungen für die Praxis 10.2 Integration als System 10.2.1 Definition Integration 10.2.2 Eltern und Familie 10.2.3 Fachleute 10.2.4 Hörbehinderte Kinder 10.2.5 Standards für eine gelingende Integration 10.3 Kompetenzzentren 10.4 Fazit

111 111 111 111 112 112 114 114 116 117

Literatur

119

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

125

Zu den Autorinnen

129


9

Vorwort

Die «Schule für alle» ist das Schlagwort der Gegenwart. Dem Schlagwort folgen nicht wenige Fragen sowohl unter wissenschaftstheoretischem als auch praktischem Aspekt. Zu solchen gehören diejenigen danach, wie beispielsweise eine «Schule für alle» inhaltlich zu gestalten ist oder wie es gelingen kann, allen Schülern (unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht) neben einer akademischen Bildung auch das für ein erfolgreiches Lernen notwendige Wohlbefinden und die soziale Teilhabe in der Klassengemeinschaft zu sichern. Zu solchen Fragestellungen fehlt es noch immer an sachkundigen Antworten. Vor diesem Hintergrund haben Mireille Audeoud und Emanuela Wertli Schülerinnen und Schüler mit Hörschädigung bezüglich ihrer Befindensqualität untersucht. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit werden uns mit vorliegender Studie präsentiert. Mit ihrer empirischen Untersuchung heben sie sich wohltuend von der häufig nur einseitig geführten Integrations- und Inklusionsdiskussion ab. Sie legen umfangreiches Datenmaterial vor, interpretieren und erörtern dieses sachlich. Das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Hörschädigung hat eine lange Tradition, verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Verallgemeinerungsbewegung. Doch erst in jüngster Zeit gelingt es, neben Falldarstellungen auch empirisch erhobenes Material vorzulegen. Die Studie von Mireille Audeoud und Emanuela Wertli gehört zweifelsohne dazu.


10

Ich wünsche dem Buch viele interessierte Leserinnen und Leser! Möge das Buch dazu beitragen, die emotional geführten Diskussionen um Integration/ Inklusion vornehmlich in eine sachbezogene zu überführen. Die Ergebnisse der Studie zeigen nicht wenige Möglichkeiten dazu auf. Sie werden dazu beitragen, das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Hörschädigung weiter zu befördern – im Interesse aller Beteiligten, also der Schülerinnen und Schülern, der Lehrerinnen und Lehrern sowie der Eltern. Annette Leonhardt Ludwig-Maximilians-Universität München


17

2. Ausgangslage

Wie leben hörgeschädigte1 Kinder? Wie sieht ihr Alltag im Vergleich zu dem gleichaltriger normalhörender Kinder aus? Wie geht es ihnen, wie fühlen sie sich? Wann geht es ihnen gut, wann erleben sie Stress? Welchen Einfluss hat die Hörschädigung auf ihre Lebensqualität und ihr Alltagserleben? Ist das Befinden hörbehinderter Kinder anders als das normalhörender Peers, sind sie also unterschiedlich? Die vorliegende Arbeit versucht, diese Fragen zu beantworten. Im Zentrum steht die Befindensqualität hörgeschädigter Kinder. Damit steht die Studie in einer Reihe von Untersuchungen, die sich um die subjektive Befindens- und Lebensqualität bei Menschen, die unter erschwerten Bedingungen leben, bemühen (Bullinger, 1997). Hintermair (2006) sowie Hintermair und Tsirigotis (2008) haben die Lebensbedingungen, die Erschwerungen, aber auch die Ressourcen hörgeschädigter Menschen aus verschiedenen Perspektiven beschrieben. Die vorliegende Studie soll diese Arbeiten um eine weitere Perspektive ergänzen: Es geht um die subjektiv wahrgenommene Befindensqualität hörgeschädigter Kinder zwischen 11 und 13 Jahren in der Schweiz, die integriert beschult werden. 1960 wurden in der Deutschschweiz die ersten hörgeschädigten Kinder in Regelklassen integriert. Die integrative Schulung war zu Beginn in erster Linie für Kinder konzipiert, die punkto Alter, Leistungsfähigkeit, Hörstatus und familiärer Unterstützung einem klar definierten Anforderungsprofil entsprachen. Heute gilt diese Praxis für die Mehrheit der hörgeschädigten Kinder: von Kleinkindern bis zu Auszubildenden in Lehrbetrieben und Berufsschulen, von Kindern mit grosser schulischer Leistungsfähigkeit bis zu

1 Im

Folgenden wird je nach Kontext von hörgeschädigten, hörbehinderten oder schwerhörigen Kindern gesprochen. Hörschädigung wird in einem audiologischen Kontext, Hörbehinderung eher in einem psychosozialen Kontext verwendet. Gemeint sind alle Kinder mit einer diagnostizierten Hörschädigung, die einer audiopädagogischen Begleitung bedürfen und die in die Regelschule gehen. Es sind Kinder, die mit Hilfe technischer Versorgung Sprache auditiv wahrnehmen können. Sie unterscheiden sich von Kindern, die eine spezielle Betreuung in separierten Settings (Schulen für Hörgeschädigte) benötigen.


18

Kindern, die nach individuell definierten Zielen unterrichtet werden, für Kinder aus Schweizer Familien wie für Kinder aus Familien mit anderer Kultur und Sprache. Die Tendenz zur Integration wird sich auf Grund der neuen kantonalen Gesetzgebungen 2 noch verstärken. Denn aufgrund des Behindertengleichstellungsgesetzes und der gesetzlichen Veränderung der Sonderschulfinanzierung3 sind die Kantone gefordert, für die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule zu sorgen. 4 Die Mehrheit der hörbehinderten Kinder und Jugendlichen besucht die Regelschule am Wohnort. Sie, ihre Eltern und ihre Lehrpersonen werden von einem der Zentren für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche bzw. Zentren für Gehör und Sprache audiopädagogisch begleitet und beraten. Für Kinder mit einer Hörbehinderung hat das zur Folge, dass nun vermehrt auch andere Kinder mit anderer Behinderung oder besonderem schulischem Förderbedarf in der gleichen Klasse sind. Lehrpersonen entscheiden heute demnach nicht mehr auf Grund besonderer Motivation, ein schwerhöriges Kind in ihre Klasse aufzunehmen, sondern die Kinder werden ihnen zugewiesen. Zur Unterstützung der Kinder mit besonderem Förder- oder Sonderschulbedarf arbeiten zusätzlich Schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen während einer festgelegten Anzahl Lektionen mit in der Klasse oder separat mit einzelnen Kindern. Diese Kooperation entlastet, bindet aber auch Ressourcen. So besteht die Tendenz, die spezifische Unterstützung der hörbehinderten Kinder diesen Fachpersonen für Schulschwierigkeiten zu übergeben und die audiopädagogische Unterstützung durch Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, die für die Arbeit mit hörgeschädigten Kindern spezialisiert sind, abzubauen oder, z. B. bei einem leichtgradig schwerhörigen Kind, ganz darauf zu verzichten. Dazu kommt, dass hörbehinderte Kinder in der Regelklasse oft wenig auffallen, bei Schwierigkeiten nicht selten eine Tendenz zu Vermeidung und Rückzug zeigen. Das wissen die Fachleute der Audiopädagogik. Und so gehört es auch zu ihrem Aufgabenbereich, in Ergänzung zu

2 vgl.

z.B. Verordnung Sonderschulung Kt. Aargau [SAR 428.5.13] § 15 Abs. lit.a. Per 1.1.2008 hat sich die IV aus der Mitfinanzierung und der Mitregelung der Schulung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf zurückgezogen. Seit dem 1.1.2008 tragen die Kantone in der Folge der NFA die gesamte fachliche, rechtliche und finanzielle Verantwortung für die Schulung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf. In der Interkantonalen Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik vom 25. Oktober 2007 legten die Kantone im Hinblick auf den NFA-Aufgabentransfer gemeinsame Rahmenbedingungen fest: Grundangebot, Berechtigte, gemeinsame Instrumente. 4 Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG) vom 13. Dezember 2002 gestützt auf Artikel 8 Absatz 4, 87, 92 Absatz 1 und 112 Absatz 6 der Bundesverfassung. 3 Sonderpädagogik-Konkordat:


19

allem, was mit Sprache und Sprachverständnis zu tun hat, sich um das zu kümmern, was mit dem Begriff «Wohlbefinden» in der Studie beschrieben wird. Viele Jugendliche bleiben auch auf der Sekundarstufe I in der Regelschule. Ein nicht zu vernachlässigender Teil dieser Kinder wechselt aber von der Integration in eine Sonderschule für Schwerhörige oder Gehörlose oder in eine Privatschule mit spezielleren Bedingungen, als sie die Regelschule anbietet. Hörgeschädigte integrativ beschulte Kinder werden – wie weiter oben erwähnt – von audiopädagogischen Diensten (APD) 5 unterstützt. Audiopädagogen und Audiopädagoginnen arbeiten mit den Kindern einzeln, beraten die Eltern, die Lehrpersonen, die Schulhausteams und die Behörden. Sie bauen eine Kooperation auf mit dem Ziel, die kommunikativen und pädagogischen Bedingungen so zu optimieren, dass sich die Kinder ihren Voraussetzungen entsprechend entfalten und ihre Partizipation und Integration gelingen kann. Kinder mit einer Hörschädigung bringen sehr unterschiedliche Voraussetzungen mit in den Schulalltag. Ausschlaggebend für eine Integration ist die Möglichkeit und die Fähigkeit zur Partizipation. Dies hängt ab von der Einstellung der Eltern und der Lehrpersonen für oder wider eine Integration, vom Hörstatus 6, von der technischen Versorgung (Hörgeräte, CochleaImplantat7), von der Sprachkompetenz und der Sprachperformanz sowie nicht zuletzt von der Persönlichkeit des Kindes. In pädaudiologischen 8 sowie kinder- und jugendpsychiatrischen Lehrbüchern werden hörgeschädigte Kinder dahingehend beschrieben, dass einige durch eine verzögerte Sprachentwicklung und damit verbunden einen verzögerten Aufbau des expressiven und rezeptiven Wortschatzes auffallen. Dies kann zu Leistungsdefiziten und zu sozialer Desintegration in der Regelschule führen. Diese Kinder seien «in besonderer Weise für problematische Entwicklungen prädisponiert» (Steinhausen, 1993, nach Reeh et al., 2008, S. 161).

5 Audiopädagoginnen/Audiopädagogen

sind Lehrpersonen mit einer zusätzlichen Ausbildung in Schulischer Heilpädagogik mit Schwerpunkt Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose. In Deutschland spricht man von Mitarbeitenden des «mobilen Dienstes». Das sind Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen, die auf Hörbehinderung spezialisiert sind. 6 In dieser Arbeit wird zwischen einseitiger Hörschädigung, leichter, mittel- und hochgradiger Hörschädigung und Resthörigkeit unterschieden. 7 Cochlea-Implantat (auch Cochlear Implant, CI): Die elektronische Mikroprothese übernimmt teilweise Funktionen der nicht mehr funktionstüchtigen Hörschnecke im Innenohr. Kinder, die mit einem CI versorgt sind, werden CI-Kinder genannt. 8 Pädaudiologie, als Teilgebiet der Audiologie, kümmert sich um die differenzierte Diagnostik Hörgeschädigter im Kindesalter.


20

In Projekten im Rahmen der Integrationsforschung wurden in erster Linie die Effizienz integrativer Schulsettings und die Aspekte der sozialen Integration gemessen. Im Zentrum standen die oben erwähnten Leistungsdefizite oder die Leistungskompetenzen. Nur in wenigen Befragungen wird das Befinden integrierter Kinder in ihrem Alltag genauer erforscht. Lebensweltliche Ansätze, die auch die Freizeit mitberücksichtigen, gibt es kaum. Es ist jedoch gerade das Wohlbefinden, das für die Leistungen, die spätere Lebenszufriedenheit und die Gesundheit in Arbeit und Freizeit ausschlaggebend ist (Schutz & Pekrun, 2007). Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, die Befindensqualität in allen Alltagsbereichen zu untersuchen. Ergebnisse aus Untersuchungen mit Jugendlichen mit einer Hörschädigung in Bezug auf deren Wohlbefinden sind eher alarmierend. Studien mit jüngeren Kindern hingegen belegen, dass diese sich kaum von normalhörenden Kindern unterscheiden. Das lässt vermuten, dass beim Übergang vom Kindes- zum Jugendalter eine Veränderung in der Wahrnehmung des subjektiven Befindens stattfindet. Die Pubertät stellt sowohl normalhörende als auch hörbehinderte Kinder vor ähnliche Belastungen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in diesem Alter die Kinder mit einer Hörschädigung, bedingt durch ihre Behinderung, zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sind. Deshalb kann vermutet werden, dass die Befindensqualität der beiden Kindergruppen in diesem Alter aus mehreren Gründen beginnt, unterschiedlich zu werden: • Immer mehr wird auf verbaler Ebene interagiert und die Bedeutung informeller Gespräche (Tuscheln, Flirten etc.) nimmt zu. Laufen bei jüngeren Kindern Gespräche noch über sichtbare Spielhandlungen, werden sie im Jugendalter unter Peers zu komplexen, rein sprachlichen Codes, deren Decodierung für Jugendliche mit einer Hörbehinderung schwierig sein kann. • Die Informationsdichte nimmt zu und das Gelingen der Kommunikation hängt vermehrt von äusseren Bedingungen ab: den Lichtverhältnissen, dem Ausmass des Störlärms, der Anzahl der beteiligten Personen, deren Kommunikationsverhalten sowie dem Inhalt und dem Kontext der Botschaften. • Die normalhörenden Jugendlichen empfinden häufiges Rückfragen ihrer hörbehinderten Kollegen und Kolleginnen als lästig. • Hörhilfen wie Hörgeräte, das CI, die FM-Anlage 9 und weitere technische Unterstützungen können zum Stigma werden.

9 Eine

FM-Anlage ist eine drahtlose Signalübertragung, wobei der Sprecher (meist die Lehrperson) ein Mikrophon trägt, das Gesprochenes direkt über Funk auf die Hörgeräte des Kindes überträgt. Haupteinsatzort der FM-Anlage ist das Schulzimmer.


21

• Für Jugendliche mit einer Hörbehinderung stellen sich Fragen der Zugehörigkeit. Damit sind Fragen des Andersseins und des Behindertseins (Frage, ob man überhaupt behindert ist und was dies bedeutet) und des eigenen Stigmamanagements gemeint. • Komplexere Lerninhalte und erhöhtes Lerntempo in der Sekundarstufe I fordern von hörbehinderten Schülern und Schülerinnen mehr Zeit und Energie, um dem Unterricht zu folgen. Freizeitaktivitäten und Phasen der Entspannung und Erholung kommen oft zu kurz. Das sind Gründe, dass hörbehinderte Jungendliche auf dieser Stufe nicht selten in eine hörgeschädigtenspezifische Institution wechseln. Zum Umgang mit solchen Belastungen entwickeln Betroffene unterschiedliche Bewältigungsstrategien. Deshalb werden in der Studie auch das Stress­ erleben und die Stressbewältigungsstrategien betrachtet, denn je besser die Bewältigungsstrategien sind, umso höher ist das Wohlbefinden. So wird angenommen, dass 11- bis 13-jährige hörgeschädigte Kinder bereits eine breitere Palette an Strategien als ihre normalhörenden Gleichaltrigen zeigen (müssen). Es wird auch angenommen, dass sich innerhalb der Gruppe der hörbehinderten Kinder Unterschiede in der Befindensqualität zeigen. Es wird vermutet, dass die Kinder mit einseitiger oder leichtgradiger Hörschädigung ein höheres Wohlbefinden als die Kinder mit einer mittel- bis hochgradigen Hörschädigung haben, weil sie weniger Belastungen im Sinne eines Mehraufwandes ausgesetzt sind, da sie mehr auditiv wahrnehmen. Ziel des vorliegenden Projektes ist es, die erörterten Themenbereiche zu beleuchten und damit einen Beitrag zu leisten, der sowohl für das hörgeschädigtenpädagogische wie auch das allgemeinpädagogische Feld von Relevanz ist.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.