HfH SchweigeKompass Mappe inkl. Screeningbogen

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ICF-orientierte

Entscheidungshilfe für Fachpersonen zur Früherkennung von selektiv mutistischen Kindern im Alter von 4;0 bis 7;6 Jahren

Wolfgang G. Braun, Prof., Fabienne Hunziker, Isabelle Iten

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik


SchweigeKompass Ziel Der SchweigeKompass ist eine Entscheidungshilfe für Kindergartenlehrpersonen, Lehrpersonen der 1. Klasse und Logopädinnen. Er soll die Entscheidung erleichtern, ob eine logopädische Beratung oder Abklärung zu empfehlen oder einzuleiten ist. Dabei soll es im Sinne sekundärer Prävention Ziel sein, Kinder im Alter von 4;0 bis 7;6 Jahren mit einem selektiven Mutismus früh zu erkennen. Es muss betont werden, dass es sich beim SchweigeKompass nicht um ein evaluiertes diagnostisches Instrument, sondern um eine informelle Entscheidungshilfe handelt. Selektiver Mutismus Selektiver Mutismus ist eine Kommunikationsstörung. Sie ist durch eine andauernde Unfähigkeit gekennzeichnet, in bestimmten Kommunikationssituationen zu sprechen, wobei in anderen Situationen das Kommunizieren / Sprechen möglich ist. Diese Störung beruht nicht auf fehlenden Sprechfertigkeiten. Sie steht für ein beharrliches Schweigen.

Das emotional bedingte, selektive Nicht-Kommunizieren ist nicht mit bewusster Antipathie gegenüber einer Person zu erklären. Kinder mit selektivem Mutismus tun dies aufgrund einer starken Angst. Das Schweigen der Betroffenen ist weder eine Trotzreaktion, noch geschieht es freiwillig. Die Situation bestimmt ihr (kommunikatives) Verhalten. Betroffene Kinder zeigen in den Bereichen Pragmatik und Kommunikation oft Auffälligkeiten (z. B. fehlender Blickkontakt, fehlender Austausch von nonverbalen Signalen, nicht Anwenden von Turn-Taking-Regeln, fehlende Begrüssungs- resp. Verabschiedungsrituale). Dies führt zwangsläufig zu Einschränkungen in der Kommunikation.

Abgrenzung zu ähnlichen Störungsbildern Neben dem selektiven Mutismus gibt es weitere Störungsbilder mit dem Merkmal Schweigen. Die Abgrenzung ist wichtig. Begriff

Beschreibung

Störungsbeginn

Selektiver Mutismus

Selektiver Mutismus ist eine Kommunikationsstörung und beschreibt eine emotional bedingte Selektivität des Sprechens, so dass das Kind in einigen Situationen spricht, in anderen definierbaren Situationen schweigt.

In der Entwicklungszeit: Zwischen 4–6 Jahren oder 6–8 Jahren

Schüchternheit (Keine ICD-10-Klassifizierung)

Schüchternheit ist ein generelles, nicht pathologisches Verhaltensmerkmal. Schüchterne Kinder ziehen das Alleinsein vor, fürchten Zurückweisung anderer Menschen, sind weniger kommunikativ und ziehen sich sozial zurück. Schüchternheit ist ein Definitionsmerkmal von Mutismus.

Im Kindesalter

Sprechangst (Keine ICD-10-Klassifizierung)

Sprechangst ist eine Kommunikationsangst. Das Kind hat Angst vor Menschen zu sprechen. Situationen mit grossem Publikum oder vielen Zuhörern machen Angst und werden in der Regel vermieden. Die Sprechangst kann verbalisiert werden.

50 % im Kindesalter

Autismus – Spektrum – Störung (ASS)

Autismus – Spektrum – Störung ist eine Entwicklungsstörung. Typisch sind: Mangel an sozialem Austausch, Beeinträchtigung der Verständigung, stereotype Verhaltensmuster und Aktivitäten.

Vor dem 3. Lebensjahr manifestiert

Unterscheidung zu Mutismus: redundante Sprachentwicklung. Kinder mit ASS verhalten sich konstant, meist gleich bleibend zurückgezogen, Kinder mit Mutismus hingegen zeigen wechselndes Kommunikationsverhalten. Soziale Phobie

Die soziale Phobie ist eine Angststörung und beschreibt eine starke andauernde Angst vor Leistungsanforderungen (z. B. sozial, beruflich) in Gegenwart anderer Menschen, die eine kritische Bewertung vornehmen könnten (Bewertungsangst).

Oft im Jugendalter

Trennungsangst (ICD-10)

Trennungsangst ist eine Angststörung, wobei die Furcht vor Trennung den Kern der Angst darstellt.

Vor dem 6. Lebensjahr


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ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) Die Denkweise der ICF erweitert den Fokus über die auffälligen Sprechfunktionen hinaus - eine Auffälligkeit wird im Zusammenspiel mit Körper, Person und Umfeld verstanden. Aspekte der Aktivität, Partizipation (Schweigen, soziale Interaktion) und Umfeld (Sorgen der Bezugsund / oder Betreuungspersonen) fliessen in den SchweigeKompass mit ein.

Aufbau und Auswertung des SchweigeKompasses Der SchweigeKompass beinhaltet einen Erfassungsbogen mit insgesamt 14 Items und ist in die folgenden drei Kategorien unterteilt:

1. ‹Markante Items›: Die erste Kategorie besteht aus vier ‹Markanten Items›, die starke Verdachtsmomente für einen selektiven Mutismus anzeigen. Dies ist der Grund, warum diese Items im Beobachtungsbogen zuerst aufgeführt sind. Auswertung: Bei einer oder mehr Nein-Antworten empfehlen wir eine Beratung / Abklärung.

2. ‹Beobachtbare Items›: Die zweite Kategorie führt sieben ‹Beobachtbare Items› auf, welche die Fachperson direkt am Kind oder in seinem Umfeld mit anderen Kindern und Erwachsenen beobachten kann. Die Beobachtungsitems werden auf Grund der professionellen Beobachtung der Fachperson mit ‹Ja› oder ‹Nein› beantwortet. Auswertung: Je mehr der oben genannten Beobachtungskriterien auf das Kind zutreffen, umso wahrscheinlicher ist es, dass keine logopädische Beratung / Abklärung in Betracht zu ziehen ist. Sollten zwei oder mehr Beobachtungskriterien nicht zutreffen (NeinAntworten), empfehlen wir auf jeden Fall den Austausch mit den Eltern und / oder eine logopädische Beratung bzw. Abklärung. 3. ‹Bekräftigende Hinweise›: Die dritte Kategorie beschreibt vier ‹Bekräftigende Hinweise› bei Verdacht auf einen selektiven Mutismus. Diese Hinweise sind als mögliche Risikofaktoren zu verstehen. Die ‹Bekräftigende Hinweise› allein sind keine Indikation für eine Beratung oder Abklärung im Bezug auf ein Schweigen. Auswertung: Diese Hinweise können die Entscheidung für eine Abklärung oder Beratung bei einer Fachperson bekräftigen. Das alleinige Zutreffen einzelner Hinweise reicht jedoch nicht aus, um eine Abklärung oder Beratung mit Fokus selektiver Mutismus zu empfehlen.


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Kontakt

kompasse@hfh.ch

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Entscheidungshilfe für Fachpersonen zur Früherkennung von selektiv mutistischen Kindern im Alter von 4;0 bis 7;6 Jahren Name, Vorname:

Geburtsdatum:

Beobachtungszeitraum:

1.

Markante Beobachtungskriterien:

Ja Nein

Die Bezugs – und / oder Betreuungspersonen des Kindes sehen in Bezug auf das Kommunikationsverhalten des Kindes keine Auffälligkeiten. (Beispiel: Grundsätzlich erleben die Bezugs – und / oder Betreuungspersonen das Kind ähnlich offen in Gesprächssituationen, es besteht keine grundsätzliche Diskrepanz zwischen dem Verhalten zu Hause und dem Verhalten in der Einrichtung)

Das Schweigen im Kontext Kindergarten / Schule dauert weniger als 3 Monate an und ist nicht überdauernd. (Beispiel: Das Kind spricht beim Übertritt in den Kindergarten / in die Schule wenig. Sobald sich das Kind im Kindergarten / in der Schule eingelebt hat und mit Ritualen vertraut ist, spricht es vermehrt; es ist eine positive kommunikative Entwicklung beobachtbar)

Das Kind spricht mehrheitlich in ihm bekannten und vorhersehbaren Kontexten und mit allen daran beteiligten Personen. (Beispiel: Das Kind spricht sowohl im Kontext Kindergarten / Schule, als auch Zuhause und bei regelmässigen Freizeitaktivitäten wie z. B. dem Sportverein)

Das Kind erlebte keine sehr belastenden Einzelsituationen. (Beispiele für solche für das Kind in seinem Erleben sehr belastende Erfahrungen: Erfahrung von Tod, Trennung oder Unfall, Erstkontakt mit einer ihm fremden Umgebungssprache, allenfalls auch Geburt eines kleinen Geschwisters, Eintritt in Kindergarten, Übergang Kindergarten – Schule)

2.

Anzahl Nein-Antworten Auswertung: Bei einer oder mehr Nein-Antworten empfehlen wir eine Beratung / Abklärung.

Gezielte Beobachtungsitems:

Das Kind ist sozial offen im Umgang mit anderen Kindern. (Beispiel: Das Kind findet sich in einer neuen Situation zurecht und kann sich wenn nötig Hilfe holen. Zum Beispiel möchte das Kind gerne mit einer Gruppe Kinder ‚Puppen spielen’. Es tritt dazu in Interaktion mit den anderen Kindern und kann sich in das Gruppenspiel integrieren, es zeigt ein unbeschwertes Verhalten, nimmt am Geschehen teil)

Das Kind zeigt grundsätzlich Blickkontakt. (Beispiel: Das Kind kann Blickkontakt herstellen und diesen aufrechterhalten)

Das Kind ersetzt die verbale Kommunikation selten durch Zeigegesten. (Beispiel Spielplatzsituation: Das Kind sagt «Darf ich auf die Schaukel?» und zeigt nicht nur schweigend auf die Schaukel)

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Entscheidungshilfe für Fachpersonen im Frühbereich Kinder im Alter von 3;0 bis 4;6 Jahren

Ja Nein

Das Kind zeigt eine lockere Körperhaltung. (Beispiel: Die Körperhaltung des Kindes wirkt z. B. in Kommunikationssituationen, in denen es gefordert wird, nicht ausgesprochen starr, unbeweglich)

Das Kind zeigt eine bewegte Mimik. (Beispiel: Gefühlsregungen wie traurig sein, wütend sein oder Freude sind dem Gesicht ‹abzulesen›. Auch hört man das Kind je nach Situation lachen, weinen, husten oder niesen (körpernahe Lautäusserungen).

Das Kind antwortet verbal und ersetzt die Antwort selten durch Nicken / Kopfschütteln. (Beispiel: «Hast du Hunger?» Das Kind antwortet sprachlich mit: «Ja»)

Auswertung: Je mehr der oben genannten positiv formulierten Beobachtungskriterien auf das Kind zutreffen, umso wahrscheinlicher ist es, dass keine logopädische Beratung / Abklärung in Betracht zu ziehen ist. Sollten zwei oder mehr Beobachtungskriterien nicht zutreffen (Nein-Antworten), empfehlen wir auf jeden Fall den Austausch mit den Eltern und / oder eine logopädische Beratung bzw. Abklärung.

Bekräftigende Hinweise:

Das Kind ist mehrsprachig.

Die Sprache des Kindes ist auffällig (mögliche Sprachentwicklungsstörung).

Das Kind nimmt am Geschehen im Kindergarten / in der Schule nicht aktiv teil.

Mindestens ein Elternteil zeigt oder zeigte ein sehr ähnliches Verhalten wie das Kind.

Anzahl bekräftigende Hinweise

Gesamtergebnis

Anzahl Nein-Antworten Teil 1

Anzahl Nein-Antworten Teil 2

Anzahl bekräftigende Hinweise

Empfehlung weiteres Vorgehen

Keine Massnahme nötig

Entwicklungsbeobachtung Weiterweisung

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3.

Anzahl Nein-Antworten


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