HfH SchreiberwerbsKompass Mappe inkl. Screeningbogen

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SEK Entscheidungshilfe für Lehrpersonen bezüglich Abklärungs- und Beratungsbedarf bei Auffälligkeiten im Schreiberwerb Mitte der ersten Klasse

Nicole Bantle, Wolfgang G. Braun, Prof., Susanne Kempe, lic. phil., Daniel Rüger, Adrian Seitz

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik


SchreiberwerbsKompass Der SchreiberwerbsKompass ist eine Entscheidungshilfe für Lehrpersonen. Das Instrument hilft zu beurteilen, ob bei Auffälligkeiten im Schreiberwerb in der ersten Klasse eine Abklärung oder Beratung bei einer Fachperson angezeigt ist. Es erfasst sowohl die schreibmotorischen als auch die sprachlichen Aspekte des Schreiberwerbs. Die Entscheidungshilfe ist für Kinder mit Erstsprache Deutsch entwickelt worden. Es handelt sich um ein informelles Instrument und nicht um ein evaluiertes Diagnostikverfahren. Schreiberwerb Schreibmotorische Entwicklung Die Entwicklung der Schreibmotorik setzt sich aus verschiedenen Teilbereichen zusammen. Die auch als Graphomotorik bezeichnete Entwicklung beinhaltet die Ge­­ samtheit der Bewegungsabläufe. Zu den Teilbereichen der graphomotorischen Entwicklung gehören die Entwicklung des Zeichnens, die Formwiedergabe, die Entwicklung der Lateralisation und Händigkeit, die Formerfassung sowie die Fein- und Handmotorik. Ziel der zusammenspielenden Teilbereiche ist es, dass die Handschrift lesbar und flüssig sein soll. Während der Entwicklung der Graphomotorik wird eine immer grösser werdende Automatisierung der Schrift erreicht, sodass die freie kognitive Kapazität zunimmt. Somit wird eine Verlagerung der Aufmerksamkeit während dem Schreiben ermöglicht (bei-

spielsweise auf die inhaltliche Ebene des geschriebenen Textes). Defizite in der Schreibmotorik können kaum isoliert betrachtet werden, da die Teilbereiche ineinander fliessen und immer mehrere Bereiche gleichzeitig betroffen sind. Eine Abklärung oder Beratung ist dann indiziert, wenn das graphomotorische Ziel (flüssiges und lesbares Schreiben) nicht erreicht wird. Schriftspracherwerb In der ersten Klasse lernt das Kind die Buchstaben zu schreiben. Es erlangt Einsicht in die regelhafte Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben, die sogenannte Phonem-Graphem-Korrespondenz. Wörter schreibt es zunehmend lautgetreu, wobei die Anzahl Auslassungen, Hinzufügungen, Weglassungen und Umstellung von Buchstaben abnimmt. Die phonologische Bewusstheit und Sprachkompetenzen beeinflussen den Schreiberwerb. Dabei ist hauptsächlich die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne, d.h. das Identifizieren, Segmentieren und Manipulieren von Lauten, für den frühen Schreiberwerb bedeutsam. Auch das Interesse und die Motivation sind wesentlich beim Schreibenlernen. Die untenstehende Tabelle gibt Auskunft über die sprachliche Schreibentwicklung vom Kindergarten bis in die zweite Klasse.

Alter

Sprachliche Schreibentwicklung

Kindergarten

Logographemische Phase: - Wortbilder (Logos, Embleme, etc.) abzeichnen

1. Klasse

Alphabetische Phase: - Buchstaben nach Diktat schreiben - Einsicht in die Phonem-Graphem-Korrespondenz erlangen - Wörter lautgetreu abschreiben - Wörter lautgetreu schreiben Phonologische Bewusstheit: - Laute innerhalb eines Wortes identifizieren - Ein Wort in seine Laute segmentieren

2. Klasse

Orthographische Phase: - Nach orthographischen Regeln schreiben

Angelehnt an Brandenburger & Klemenz (2009), Costard (2011), Kirschhock (2004) und Schnitzler (2008)


Aufbau Aufgebaut ist der SchreiberwerbsKompass aus Beobachtungskriterien und zusätzlichen Faktoren. Die Beobachtungskriterien sind ausschlaggebend für die Beurteilung und werden im Unterricht beobachtet. Die zusätzlichen Faktoren bestärken eine Abklärung oder Beratung und werden zusätzlich bei Eltern sowie Fachpersonen erfragt. Die Beobachtungskriterien sind in übergreifende, schreib­motorische und sprachliche Beobachtungs­kriterien geglie­dert: 1.–3.

Übergreifende, schreibmotorische sowie sprachliche Beobachtungskriterien

4.

Faktoren, die zusätzlich für eine Beratungsund Abklärungszuweisung sprechen

Durchführung Um die Kriterien und Faktoren zu beurteilen, wird das Kind Mitte der ersten Klasse beobachtet und Eltern sowie Fachpersonen befragt. Die Lehrperson kreuzt an, ob das jeweilige Kriterium bzw. der jeweilige Faktor zutrifft oder nicht. Darauf wird die Anzahl der Nein-Antworten der Beobachtungskriterien zusammengezählt und unten auf dem Bogen eingetragen. Auswertung und Empfehlung Die Anzahl der Nein-Antworten bestimmt, ob eine Fachperson (Logopädin oder Psychomotoriktherapeutin) herangezogen werden soll. Je mehr der positiv formulierten Beobachtungskriterien (Teile 1-3) auf das Kind zutreffen, umso wahrscheinlicher ist es, dass keine Abklärung oder Beratung in Betracht zu ziehen ist. Zusätzliche Faktoren (Teil 4) können die Entscheidung für eine Abklärung oder Beratung bei einer Fachperson bekräftigen. Das alleinige Zutreffen einzelner Faktoren reicht jedoch nicht aus, um eine Abklärung oder Beratung zu empfehlen. Bei drei oder mehr Nein-Antworten empfehlen wir den Einbezug einer Fachperson. Auch bei zwei Nein-Antworten und mindestens einem zusätzlichen Faktor empfehlen wir eine Abklärung oder Beratung. Eine solche kann, muss aber nicht in eine Therapie münden.

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Kontakt

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kompasse@hfh.ch


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Entscheidungshilfe für Erstklassenlehrkräfte bezüglich Abklärungs- und Beratungsbedarf bei Auffälligkeiten im Schreiberwerb in der Mitte der 1. Klasse Name, Vorname:

Geburtsdatum:

Klasse:

Lehrperson:

Schulhaus:

Datum:

1.

Übergreifende Beobachtungskriterien

Ja Nein Interesse und Motivation

Das Kind zeigt Interesse an der Schreibkultur. Bsp. Schreiben, Schrift im Schulalltag, Bücher. Das Kind kann an einer Schreibaufgabe ausdauernd und konzentriert arbeiten. Bsp. bricht nicht schnell einen Schreibversuch ab.

Das Kind stellt sich den Schreibanforderungen. Bsp. wenig Vermeidungs-, Kompensations- oder Ausweichverhalten.

2.

Schreibmotorische Beobachtungskriterien

Formerfassung und Formwiedergabe

Das Kind kann Grundformen nach Bildvorlage zeichnen. Bsp. Kreis, Kreuz, Viereck und Dreieck.

Das Kind kann Girlanden und Arkaden mit zwei bis drei Bögen rhythmisch und ohne abzusetzen schreiben.

Girlanden: Arkaden: Das Kind kann eine Bildvorlage unter Beachtung der Grenzen sauber ausmalen. Bsp. Ausmalbilder, Mandalas.

Feinmotorik und Wahrnehmung

Das Kind kann den Schreibdruck so anpassen, dass z. B. bei einem dünnen Blatt keine Löcher entstehen.

Das Kind kann den Stift im Drei-Punkte-Griff oder mit einem anderen Griff, der die Fingerbewegung zulässt, halten.

Das Kind benutzt innerhalb der gleichen Tätigkeit konsequent die bevorzugte Hand, während die andere Hand als Haltehand fungiert. Bsp. zeichnen, schreiben, schneiden.

3.

Drei-Punkte-Griff

Sprachliche Beobachtungskriterien

Buchstabenverschriftung

Das Kind schreibt in über 2⁄3 der Fälle der eingeführten Buchstaben den richtigen, wenn er einzeln diktiert wird.

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Entscheidungshilfe für Erstklassenlehrkräfte bezüglich Abklärungs- und Beratungsbedarf bei Auffälligkeiten im Schreiberwerb in der Mitte der 1. Klasse

Ja Nein

Wörterverschriftung

Das Kind kann ein einfaches, ungeübtes Wort lautgetreu aufschreiben. Bsp. Bus, Oma, rot. Das Kind kann ein einfaches, lautgetreues und ungeübtes Wort in der richtigen Buchstabenreihenfolge schreiben. Bsp. Hut, Rad, alt.

Das Kind kann lautgetreue Wörter ohne oder mit wenigen Fehlern abschreiben.

Phonologische Bewusstheit

Das Kind kann sagen, ob es einen Laut in der Mitte eines vorgesprochenen Wortes hört. Bsp. «Hörst du ein L in Salat?» – «Ja».

Das Kind kann ein Wort in seine Laute segmentieren. Bsp. «Welche Laute hörst du in Hut?» «H-u-t».

Sprachentwicklung

Das Kind spricht mit den richtigen Lauten in der richtigen Reihenfolge. Bsp. Rabe und nicht Babe, Rarbe oder Bare.

4.

Gesamtsumme der Nein-Antworten

Faktoren, die zusätzlich für eine Beratungs- /Abklärungszuweisung sprechen

Die Eltern machen sich Sorgen über die Schreibentwicklung ihres Kindes.

In der Familie sind Auffälligkeiten im Schreiberwerb bekannt.

Das Kind hatte oder hat eine diagnostizierte Entwicklungsauffälligkeit wie z. B. eine Spracherwerbs-, auditive, visuelle Wahrnehmungs- oder motorische Koordinationsstörung.

Empfehlung für das weitere Vorgehen

2

Nein-Antworten ohne zusätzlichen Faktor (4.)

2

Nein-Antworten mit mind. 1 zusätzlichen Faktor (4.)

3

oder mehr Nein-Antworten

} }

keine Beratung/Abklärung

Beratung/Abklärung

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0–1 Nein-Antworten


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