Die Bündner Kulturbahn 2012

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So haben die Unwetter vom November 2002 die Geleisanlagen bei Trun weggespült und verbogen. Foto Bruno Cadosch

Ein eher stiller Kampf mit der Natur Von Hans Domenig Unsere Alpen sind nicht für ewig – auch wenn grosse Patrioten das glauben mögen. Die Erosion, Hochwasser und Lawinen «nagen» an unseren Bergen. Die alpine Landschaft verändert sich dadurch laufend. Unsere RhB, welche mit feinen Linien in Talböden und -hängen sowie in Passübergängen eingewoben ist, führt einen fortwährenden, meist stillen Kampf gegen diese gewaltigen, natürlichen Zerstörungsprozesse – so auch im Bündner Oberland.

Das sanfte Vergnügen täuscht Eine Fahrt mit der RhB durch die Surselva ist nur schon wegen der geisterhaften Rheinschlucht ein Erlebnis. Diese könnte man mit dem vergnüglichen Berg vergleichen, durch den man sich bis ins Schlaraffenland hindurchessen darf, bis einem liebliche Dörfer auf grossen Waldlichtungen – viele von ihnen auf gewagten Bergeshöhen – empfangen. Alles in allem ist diese Fahrt ein wunderbar sanftes Vergnügen, weshalb man sich nicht recht vorstellen kann, dass die Natur auf dieser Strecke der Bahn manchmal nicht nur ein Schnippchen schlägt, sondern vereinzelt auch echte Schwierigkeiten bereitet.

Kraftvolle Hochwasser Der Rhein – hier oben jugendlich-übermütig schäumend – hat mit seinen Zuflüssen die Bahn schon mehrfach lahm gelegt. In den Jahren 1927, 1987, 1998 und 2008 überflutete er über lange Strecken die Geleise in der Ruinaulta, wie die Rheinschlucht romanisch heisst, und drang zwischen Tavanasa und Trun sogar durch den Plauncaund Tiraun-Bahntunnel, und von den Unwetterkatastrophen im November 2002 sind auch heute noch einige Narben sichtbar, besonders bei Rueun und Schlans. Brutale Lawinen Kein bisschen respektvoller benahmen sich in der Surselva die Lawinen. 1984 fegte eine solche vor Disentis die Brücke des Sankt Placi – trotz seines heiligen Namens – bis auf den Grund weg. Man musste daraufhin das ungestüme Gewässer mit einem Riesenrohr von fünf Meter Durchmesser zähmen und kanalisieren. Nach einem Monat Postautoersatz konnte die Bahn behelfsmässig wieder fahren, bis die neue Brücke schliesslich nach drei Monaten fertig war. Was die Lawinen betrifft, kann sich Bruno Cadosch, Bahnmeister

der Surselva, nicht auf durchgehende Verbauungen verlassen wie sein Kollege von der Albulabahn, die diesbezüglich besser geschützt ist. Dafür aber sind in der Surselva technisch raffinierte Warngeräte hoch oben und weit über der Waldgrenze montiert, wo die Lawinen ihren Anfang nehmen. Sobald eine solche losgeht, schliesst sie oben den Deckel des fast kubikmetergrossen Warngerätes zu, und sofort schalten die Signale unten auf der gefährdeten Bahnstrecke auf Rot; übrigens nicht nur die Bahn-, sondern auch die Strassensignale. Damit diese aber nicht für immer auf Rot stehen bleiben, sorgt ein weiterer, im Tal installierter Strickmechanismus dafür, dass die Signale die Fahrt wieder freigeben, sobald die Lawine im Tal ist und nicht mehr weiteren Schaden anrichtet. Felsnasen und Permafrost Neben Lawinenverbauungen tut die Bahn auch noch viel anderes, um die Bedrohungen durch die Natur abzuwehren: gefährliche Steinschlag-Felsköpfe abtragen, Dämme bauen, um Geleiseunterspülungen entgegenzuwirken, Steinschlagnetze montieren, damit keine Felsblöcke oder Steine auf


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