politik&kommunikation: Rising Stars

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Der Krieg Politiker-­ Söders Social­verändert alles Dokumentationen Media-Strategie

Quadriga Media Berlin GmbH ISSN 1610-5060 Ausgabe I/2022 — Nº 138 www.politik-kommunikation.de

„Da k sich altgönnen Politike ediente r eine SchInnen abschne eibe ide AMIRA MOHAM n.“ ED ALI

„Sie gi lt als e zurecht großenines der Talent JOHAN e.“ NE S VOG

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„Ihr politisches Wirken ist spürbar.“

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CLAUDIA ROTH

„Ein ausgesprochen klarer Kopf!” STEPHAN WEIL

„Weitsich ti gelassen g, mutig vo , ran !“ JENS SP AHN

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Zuversicht

Chancen

Fortschritt

Freiraum

Miteinander

Stabilität

Weil’s um mehr als Geld geht. Seit unserer Gründung prägt ein Prinzip unser Handeln: Wir machen uns stark für das, was wirklich zählt. Für eine Gesellschaft mit Chancen für alle. Für eine ressourcenschonende Zukunft. Für die Regionen, in denen wir zu Hause sind. Mehr auf sparkasse.de/mehralsgeld


ED ITOR IAL

KONRAD GÖKE ist Chefredakteur von politik&kommunikation.

Нет войне!

K

ein Krieg! Das ist die Losung vieler Demonstranten weltweit – selbst in Russland, das die Demonstrationen im Keim zu ersticken versucht. Vor dem Hintergrund eines Krieges ist es schwierig, an etwas anderes zu denken. Seit das Putin-Regime die Ukraine überfallen hat, beschäftigt sich nicht nur die Politik mit diesem Thema. Alle Medien, die Kultur, der Sport – letztlich jeder beschäftigt sich mit einer oder mehreren Dimensionen, die dieses Verbrechen ausmachen. Aber auch ganz ohne vermittelnde Instanzen wird der Krieg greifbar, wenn man mit offenen Augen durch Berlin geht und auf die unmittelbaren Opfer der Katastrophe trifft. Im Angesicht des Krieges wird alles andere klein, aber es verschwindet nicht. Auch mich wühlen die Ereignisse auf, ich bin gefesselt an die Berichterstattung auf verschiedenen Kanälen und lege Ihnen jetzt trotzdem dieses Heft vor, das der Invasion der Ukrainer nicht den Platz einräumt, die sie in unseren Köpfen einnimmt. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Dynamik der Ereignisse die Arbeitsrhythmen eines Vierteljahresmagazins über den Haufen wirft. Andererseits berührt der Krieg und unsere Reaktion darauf derart viele Bereiche der politischen Kommunikation, dass ich es für geboten hielt, sie in einem Artikel zu streifen, und so nicht in die Falle zu tappen, bestimmte Themen in diesem Zusammenhang stärker gewichten zu müssen als andere (Seite 34). Ich hoffe, damit dieser Katastrophe einigermaßen gerecht zu werden und gleichermaßen mehreren Emotionen Raum geben zu können: unserer Betroffenheit angesichts des menschlichen Leids, unserer Empörung aufgrund der Skrupellosigkeit und der Lügen des russischen Regimes, unserer Hilflosigkeit angesichts der Unübersichtlichkeit der Lage und unserer Entschlossenheit, zu helfen

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und der Aggression Putins und seiner Helfer etwas entgegenzusetzen. Annalena Baerbock, Lars Klingbeil, Jens Spahn und Christian Lindner – sie alle haben etwas gemeinsam: Sie waren einmal „Rising Stars“. Seit 2002 stellt p&k regelmäßig die wichtigsten 30 Talente der Politik vor. In dieser Ausgabe porträtieren wir zum sechsten Mal die aktuellen Hoffnungsträger. Unsere diesjährige Auswahl finden Sie ab Seite 14. Es ist kein Geheimnis, dass hinter dem Erfolg jedes Talents immer auch Verbündete und Förderer stecken. Erstmals haben wir diese gebeten, uns die Hoffnungsträger ihrer Parteien näher vorzustellen und zu erklären, was sie auszeichnet. Zwei Artikel beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Politik und Medien: Kathi Preppner hat sich bei Medienmachern für uns umgehört, wie Politiker sich eine Medienpräsenz aufbauen können (Seite 56). Was muss man tun, um „stattzufinden“? Ein Mittel der Wahl sind zuletzt Dokumentationen geworden, die Akteure aus der Politik porträtieren. Das ist eine gute Gelegenheit, sich entsprechend zu inszenieren. Ganz gefahrlos ist die Sache aber nicht. Die Filmemacher wissen durchaus zu verhindern, dass ihre Dokumentationen zu Bühnen der Selbstdarstellung für ihre Protagonisten werden, schreibt Celine Schäfer (Seite 38). Eine geradezu schrankenfreie Selbstdarstellung ermöglicht die Social-Media-Plattform Instagram. Ein Meister der Inszenierung ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Kein Foto ist hier zufällig, jeder Blickwinkel sorgfältig ausgewählt. Selbst das Essen auf seinem Teller fotografiert der CSU-Vorsitzende mit Bedacht. Dafür hat er ein professionelles Team mit einem hervorragenden Fotografen. Aber selbst mit diesen Voraussetzungen ist er nicht immer vor Fettnäpfchen sicher, notiert Christian Deutschländer (Seite 30). Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Konrad Göke

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I NH A LT

I 2022 14 RISING STARS 2022

Diese 30 Gesichter sollten Sie sich merken aus der Redaktion

30 GUT IM BILDE

Die Social-Media-Inszenierung von Markus Söder von Christian Deutschländer

34 ZEHN LEHREN

Der russische Überfall auf die Ukraine verändert Vieles von Konrad Göke

38 „KÖNNEN WIR DAS RAUSSCHNEIDEN?“

Doku-Formate mit Politikern sind beliebt, aber nicht ohne Risiko von Celine Schäfer

42 ZU WENIG ERKLÄRT

Interview mit Cornelia Betsch von Volker Thoms

DIESE 30 GESICHTER SOLLTEN SIE SICH MERKEN 14 48 GENERAL ODER SEKRETÄR?

Die Bedeutung des Generalsekretärs von Günter Bannas

52 DER INNOVATIONSTREIBER Die zweite Karriere des Thomas Sattelberger von Sven Lechtleitner

56 WER DRINGT DURCH?

Warum die Medienpräsenz bestimmter Politiker kein Zufall ist von Kathi Preppner

60 IM SELBEN BOOT

Der Job im Bundestagsbüro: Spannend – aber befristet von Marvin Neukirch

68 AUF DIE PRESSE

Die neuen Sprecher der Bundesregierung von Volker Thoms

72 WEICHEN FÜR DIE ZUKUNFT?

So moderiert man Widerstand bei Großprojekten von Jens-Oliver Voß

76 BEHÖRDENDSCHUNGEL

Was machen die Bundesbehörden? von Marvin Neukirch

94 GLOSSE

Deutschland macht sich locker

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Editorial Schnappschuss Expertentipp Pro & Kontra Fragerunde Floskelalarm Bücher Impressum Ein Tag mit …

INSTA-KÖNIG SÖDER 30

64 SPIEGLEIN, SPIEGLEIN

Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes. Trotzdem fehlen Perspektiven im Parlament von Eckhard Jesse

LEHREN AUS DEM KRIEG 34 4

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S CH N A P P S CH U S S

DIE UNSCHULDIGEN

Unser Bild von der russischen Invasion der Ukraine prägen vor allem die Staatschefs Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj. Sind die Flüchtlinge Thema, preisen wir gern die Hilfsbereitschaft der Menschen in den aufnehmenden Ländern. Wie so oft geraten die Leidtragenden in den Hintergrund. Bisher sollen es mindestens drei Millionen Flüchtlinge sein – die Hälfte von ihnen Kinder, von denen einige allein reisen. Der französische Künstler Jef Aérosol macht sie in den Straßen von Paris sichtbar.

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EX PERT E N T IPP

POLIT-DOKUS, FALSE BALANCE, UKRAINE Zeichnen PolitikerDokumentationen ein realistisches Bild vom Politikbetrieb?

Béla Anda

geschäftsführender ­Gesellschafter, Anda Business ­Communication

David Issmer Managing Director, Teneo

TV oder Buch zeigen immer nur Ausschnitte. Ausnahmen gibt es meist in den USA, zuletzt Ben Rhodes’ Buch über die Obama-Administration.

Ursula Münch

Direktorin, Akademie für Politische Bildung

Volker Ratzmann

Executive Vice President ­Corporate Public Affairs, ­Deutsche Post DHL Group

In ihrer Summe durchaus.

Ist die Position des Generalsekretärs noch zeitgemäß? Ja, wenn er mehr ­General ist als Sekretär.

Parteien brauchen in der Sprache gelegentlich einen Grad an Freiheit, der mit Regierungsamt oder Vorsitz­ position nicht vereinbar ist.

Haben wir ein Problem mit „False Balance” in der politischen Berichterstattung? Nein, aber einen unbalancierten Herdentrieb.

Man hatte oft den Eindruck, wenige Impfgegner finden mehr mediale Resonanz als die vielen Millionen Geimpften.

Ist es noch ein drängendes Problem, dass Gruppen in den deutschen Parlamenten unterrepräsentiert sind?

Der Wechsel zwischen Politik und anderen Welten ist immer hilfreich.

Ist es problematisch, dass so viele Journalisten zu politischen Sprechern werden? Ja, aber es muss gewährleistet werden, dass Anliegen vorgetragen werden können. Es gibt gute Ansätze, die es gewährleisten, ohne Projekte zu verzögern.

Sollte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Infrastruktur bei Bauprojekten weniger Rücksicht auf betroffene Anwohner genommen werden?

Mangelnde Rücksicht führt zu mangelnder Akzeptanz. Verfahrensbeschleunigung bei Einwänden muss das Credo sein.

Kommt der Ausstieg aus den Coronamaßnahmen zur richtigen Zeit? Die Einschränkungen sind mit Blick auf die beherrschbare Lage in den Krankenhäusern nicht länger zu rechtfertigen.

Sollte die Ukraine im Schnellverfahren in die EU aufgenommen werden? Nein, aber die Perspektive sollte klar sein.

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Pascalina Cropp

Gruppenleiterin Public Affairs, ­Union Investment

Catharina Neumeyer Mitglied der Geschäftsleitung, Concilius

Bendix Hügelmann Politikberater

Iris Bethge-Krauß

Sie fokussieren häufig auf besondere Ereignisse. Politik ist allerdings die meiste Zeit das „langsame Bohren dicker Bretter“.

Generalsekretäre leisten einen wichtigen Beitrag zur Diskursfähigkeit von Parteien.

Bürgerbeteiligung ist ein wichtiger und zentraler Teil des Prozesses, jedoch müssen wir beim Planen und Bauen schneller werden.

Geschäftsführerin, Civey

Gut gemachte Politiker-Dokumentationen geben Einblick und zeigen neue Facetten, sind aber immer nur ein Ausschnitt und sollten als solcher auch eingeordnet werden.

Die oft deutlichen Aussagen erhöhen die Unterscheidbarkeit der Parteien.

Angesichts immer komplexerer Herausforderungen brauchen wir gut ausgebildete und erfahrene Kommunikatoren in der Politik.

Es kommt darauf an, in einem konstruktiven Dialog einen Weg zu finden, der langfristig die notwendige Akzeptanz erhält.

Sofern die epidemiologische Lage es zulässt, würde ich ­zustimmen. Vor allem unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Resilienz. Dieses Thema wird uns wohl noch eine Weile begleiten.

Putins Angriffskrieg ist verachtenswert – meine ungeteilte Solidarität gilt der Ukraine. Allerdings empfinde ich ein Schnellverfahren auch im Sinne der Ukraine nicht als die richtige Vorgehensweise. I/2022

Janina Mütze

Insbesondere Frauen und junge Menschen sind weiterhin unterrepräsentiert. Zudem fehlen Persönlichkeiten aus ­einigen Berufsgruppen wie Unternehmer.

Der Wechsel vom Journalismus in die Politik ist nicht ­problematisch. Die Frage ist jedoch, was danach passiert.

In der aktuellen sicherheitspolitischen Lage sollte insgesamt überlegt und besonnen vorgegangen werden.

Geschäftsleiter, JF&C

Ich nehme bei unserer Arbeit mit Journalisten keine umfassende ­Verzerrung wahr. Zudem setzen immer mehr Redaktionen auf Daten­ journalismus, der Fakten statt Bauchgefühl nach vorne stellt.

In der heutigen schnelllebigen Zeit ist eine ausgeglichene Berichterstattung überall schwieriger geworden.

Wir sind auf einem guten Weg.

Tobias Betz

Hauptgeschäftsführerin, VÖB

Es bleibt ein Drahtseilakt, die Interessen der Schutzbedürftigen und derjenigen, die sich mehr Freiheit wünschen, auszubalancieren.

Die positiven Signale sind aber wichtig. In erster Linie muss es jetzt darum gehen, Putin mithilfe der Sanktionen aufzuzeigen, dass er das Land isoliert und ruiniert, wenn er den Krieg nicht beendet. Zudem sollte humanitäre Hilfe geleistet werden.

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RISING STARS 2022 In der Politik drängt eine NEUE GENERATION in Verantwortungspositionen. Wir haben wieder einmal in die Parteien hineingehört, um herauszufinden, wer die 30 Hoffnungsträger sind, denen eine große Zukunft zugetraut wird. Und wer könnte diese Talente besser beschreiben als ihre Mentoren und Weggefährtinnen?

TILMAN KUBAN (34)

CDU

CDU, MDB, JU-VORSITZENDER

„Eine meiner schönsten Erinnerungen des letzten Bundestagswahlkampfes verbinde ich mit Tilman. Gemeinsam verbrachten wir den Nachmittag auf einem Schnellboot der Wasserwacht in einer meiner Gemeinden im Wahlkreis. Dieser Termin ist in vielerlei Hinsicht beschreibend für Tilman: Mit voller Kraft voraus hat er sich als Vorsitzender der JU in den Bundestagswahlkampf gestürzt. Unermüdlich ist er durch ganz Deutschland getourt, wobei ihm kein Weg zu weit und er zu jeder Aktion bereit war. Auch der Sprung ins kalte Wasser ist Tilman nicht fremd. Nicht erst seit der Pandemie war er als Vorsitzender dabei die Junge Union als digitalste und innovativste Jugendorganisation zu präsentieren. Gerade der viel beachtete Pitch mit den drei Kandidaten für den CDU Vorsitz, aber auch der erste komplett digitale Parteitag einer politischen Organisation mit dem Deutschlandtag 2020 haben Maßstäbe gesetzt, brauchten eine ordentliche Portion Tatkraft und Mut. Und zuletzt besitzt Tilman die nötige politische Weitsicht, um das JU-Schiff auf Kurs zu halten. Schon vor Jahren hat er die Bedeutung der Digitalisierung erfasst und sich dem Thema Technologie und Technologieoffenheit verschrieben. Tilman verbindet Hightech und Heimat wie kaum ein anderer. Die Auszeichnung „Rising-Star“ ist hier nur folgerichtig. Tilman ist ein Kapitän, auf den die Union auch in Zukunft zählen kann.“ DOROTHEE BÄR, CSU, Digitalstaatsministerin a. D.

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SANAE ABDI (35)

SPD

SPD, MDB

„Als Sanae Abdi auf der Kölner Wahlkreiskonferenz ihren Weg und ihren familiären Hintergrund beschrieb, berührte und beeindruckte sie nicht nur mich, sondern auch die Mehrheit der Delegierten. Wie ihre Mutter unter schwierigsten Umständen Mittel und Wege fand, um die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren, zeigt nicht nur, dass in unserem Bildungssystem leider immer noch einiges im Argen liegt, sondern auch, dass man es mit Einsatz, Fleiß und Engagement trotz aller Widrigkeiten schaffen kann. Heute spricht Sanae nicht weniger als sieben Sprachen und hat sich durch ihre jahrelange Tätigkeit für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine umfangreiche entwicklungspolitische Expertise erarbeitet. Sie wurde deshalb zu Recht gleich in ihrer ersten Legislaturperiode in das wichtige Amt der entwicklungspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion gewählt, was alles andere als üblich ist. Sanae führte mit ihrem jungen Team einen frischen und engagierten Wahlkampf und eroberte so das Direktmandat in Köln II für die SPD zurück.“ ROLF MÜTZENICH, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

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RIA SCHRÖDER (29)

FDP

MDB, MITGLIED IM BUNDESVORSTAND DER FDP

„Ria Schröder gehört zum Führungsteam einer neuen, jungen und weiblichen FDP-Generation. Sie verstärkt uns, worüber ich mich auch persönlich sehr freue. Ria Schröder vertritt einen neuen politischen Stil, der verbindlich, respektvoll und klug im Auftreten ist, ohne laut sein zu müssen. Durch ihre Arbeit als Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen hat sie auch schon vor dem Bundestagsmandat Führungserfahrung sammeln können und gelernt, sich auf ihren politischen Kompass und auf ihre Haltung verlassen zu können. Ihr zielsicheres politisches Gespür für Debatten und ihr auf Weltoffenheit, Marktwirtschaft und Toleranz ausgerichteter Kompass macht sie zu einer erfolgreichen Vertreterin der erneuerten FDP, für die sie jetzt in der Bildungspolitik auch eine wichtige Sprecherfunktion übernommen hat und in dieser weiter wächst. Sie gilt zurecht als eines der großen Talente der Freien Demokraten.“ JOHANNES VOGEL, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion

„Verbindlich, r­ espektoll und klug im Auftreten, ohne laut zu sein.“

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„KÖNNEN WIR DAS RAUSSCHNEIDEN?“ DOKU-FORMATE, in denen Politiker Kuchen essen und Bier trinken, statt im Plenarsaal zu sitzen, sind beliebt bei Zuschauern. Die Protagonisten selbst hoffen, sich als nahbar und sympathisch zu inszenieren. Die Formate sind aber ein Drahtseilakt – denn die Kontrolle ist begrenzt.

VON CELINE SCHÄFER

Host Miriam Davoudvandi (l.) trifft den damaligen SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil an seinem großen Tag Anfang November 2021, an dem er bekannt gibt, für den Parteivorsitz zu kandidieren.

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Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) gibt dem politischen Dokumentarfilmer Stephan Lamby (3. v. l.) ein Interview.

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chon im Intro der aktuellen Polit-Doku-Serie aber auch bloß die erste Chance, so ausführlich aus dem „Macht auf Zeit“ formuliert Lars Klingbeil einen Nähkästchen zu plaudern. Neben Klingbeil sind es vor Gedanken, der den Zuschauern im Laufe der Serie allem Ricarda Lang (Grüne) und Johannes Vogel (FDP), wie dessen Mantra erscheinen wird. „Man ist ein die in „Macht auf Zeit“ im Vordergrund stehen, Tilman sympathisches Gesicht, das heißt, die Leute sehen einen Kuban (CDU), Katja Kipping (Linke) und Markus Frohnpositiv“, sagt der heutige Bundesvorsitzende der SPD, zum maier (AfD) spielen eher Nebenrollen. Davoudvandi und Drehzeitpunkt noch Generalsekretär. „Aber das kann sich Kawelke gehen mit den „Neugewählten“, wie die Doku auch irgendwann mal ändern.“ Klingbeil wirbt im von ARD übrigens zunächst auch geheißen hat, Käsekuchen essen, und SWR produzierten Film stark um die Gunst vor allem besuchen einen Buchladen und reden mit ihnen über die der jungen Zuschauer. Zumindest um koreanische Erfolgsserie „Squid Game“. die derjenigen, die der Ampel-Regie- „ Klingbeil gibt sich in Für Distanz ist da kaum Platz – soll es rung grundsätzlich etwas abgewinder Doku so nahbar wie aber auch nicht, wie man der Beschreinen können. Zum Beispiel, indem er wohl nie zuvor.“ bung des Formats entnehmen kann. Miriam Davoudvandi, die gemeinsam „‚Macht auf Zeit‘ zeigt die nachdenklimit Jan Kawelke als Host durch die vierteilige Serie führt, chen Momente mitten in der Nacht nach den Koalitionskumpelnd das Du anbietet. Oder wenn er der Journalisverhandlungen und die Anspannung, dem Druck des Politin offen und im Plauderton erzählt, wie wenig er wähtikbetriebs standzuhalten“, heißt es darin. „Beim Spazierrend des Wahlkampfes geschlafen hat. Oder wenn er ein gang, Shopping oder Suppe-Essen zeigt sich, warum sie Fußballtrikot aus dem Regal seines Büros zieht, das er trotzdem für die Politik brennen.“ Moderatorin Davoudvon einer Bundestagskollegin geschenkt bekommen hat. vandi verspricht: „Es geht weder um konfrontative KreuzKlingbeil gibt sich in der Dokumentation so nahbar wie verhöre noch um verwaschene Selbst-Promo. Wir blicken wohl nie zuvor – vielleicht war die Serie für den Politiker auf die Menschen hinter der Kulisse – aber nicht durch die

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ZU WENIG ERKLÄRT CORNELIA BETSCH ist Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt. Bei der Kommunikation zum Impfen wurde es ihrer Meinung nach versäumt, ausreichend auf die Ängste von Menschen einzugehen und zielgruppengerechte Angebote zu machen. VON VOLKER THOMS

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er am 22. November 2021 um 21.45 Uhr in der ARD „Anne Will“ einschaltete, wurde Zeuge einer kleinen Sensation. In der Talkrunde saß Cornelia Betsch, Psychologin und Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt. Das Thema war dasselbe wie fast immer in den vergangenen 24 Monaten: Corona. Der Auftritt von Betsch ist deshalb ungewöhnlich, weil seit Beginn der Coronakrise Kommunikationsexpertinnen und -experten in der öffentlichen Diskussion so gut wie keine Rolle spielen. Die Professorin ist Leiterin des „COVID-19 Snapshot Monitoring“ (COSMO), einer Befragung, die regelmäßig Einstellungen der Menschen zum Impfen auswertet. Sie ist spezialisiert auf die Impfthematik. Betsch ist Mitglied im 19-köpfigen Expertenrat der Bundesregierung zur Corona­pandemie. ­ Frau Professor Betsch, Sie haben in einem Interview mit „tagesschau.de“ im September 2020 eine Erklär-Taskforce gefordert. Haben Sie in der Corona-Pandemie seitdem eine Taskforce erkennen können? Leider nicht. In den Medien schon. Dort gibt es Faktenchecker. Ich denke, dass man von einer zentralen Stelle aus hätte mehr machen können und sollen. Wenn man

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Freiräume erlaubt und eine Unsicherheit da ist, können sich dort immer Falsch- und Desinformation hinsetzen. Schauen sich 100.000 Menschen ein Bhakdi-Video an, würde ich nicht denken, dass er 100.000 Anhänger hat, sondern dass 100.000 Personen eine bestimmte Frage haben und sich eine Antwort erhoffen. Manchmal kann die Antwort auch sein: „Wir wissen es nicht, unternehmen aber etwas, um die Antwort zu finden.“ Häufig hilft es bereits zu wissen, wo man hingehen kann und wo man Dinge erklärt bekommt. Die Menschen wollen die Regeln verstehen. Das geht sehr deutlich über das Werben für eine Impfung hinaus. Inwiefern? Für das Impfen wird sehr viel geworben. Auf der anderen Seite haben wir Websites wie „Zusammen gegen Corona“, auf denen alles an Wissen zu finden ist, was wir in dieser Pandemie gesammelt haben. Das ist aber auch nicht das, was wir brauchen. Jemand, der nur zwei oder drei Fragen zum Impfen hat und sich unsicher ist, ob er es machen soll, findet dort kaum die Informationen zu seinen konkreten Fragen. Jeder sucht aus der Perspektive seines Handelns, aus der die Frage entstanden ist: Was soll ich tun, wenn ...? Was gilt für mich, wenn ...? Wenn ich erstmal eine behördlich sortierte Bleiwüste durchforsten muss, ist die Motivation schon verpufft. Ein Angebot

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O.l.: Franz ­Müntefering als SPD ­Generalsekretär mit ­Zigarillo. O.r.: Daneben die Verhandler der Ampel-­Koalition mit den damaligen Generalsekretären Lars Klingbeil (SPD), ­Volker ­Wissing (FDP) und ­Michael Kellner (damals Bundes­ geschäftsführer der Grünen). Unten stellt CDUChef Friedrich Merz sein General­sekretärsTandem vor: Christina Stumpp und der frühere Berliner Sozial­ senator Mario Czaja.

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GENERAL ODER SEKRETÄR? Nicht alle Parteien kennen das Amt des GENERALSEKRETÄRS. Manche nennen das Amt nur anders, andere haben es gar nicht. Die Bedeutung der Position hängt vor allem von den Umständen ab. VON GÜNTER BANNAS

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ie Monate vor Bundestagswahlen sind für die Generalsekretäre der Parteien eine harte Zeit: keine freie Zeit im Wahlkampf, Besprechungen mit nervösen Vorstandsmitgliedern, Siegeszuversicht verbreiten, auch wenn die Umfragen mau ausfallen. Danach aber kommen, im Siegesfalle, die Tage der Ernte, zunächst bei Koalitionsverhandlungen, an denen sie maßgeblich beteiligt sind, und dann bei der Verteilung von Posten und Ämtern. 2013 kamen sämtliche Generalsekretäre von den Unionsparteien und SPD ins Bundeskabinett. Hermann Gröhe (CDU) wurde Gesundheitsminister, Alexander Dobrindt (CSU) Verkehrsminister und Andrea Nahles (SPD) Arbeitsministerin. Auch im vergangenen Dezember gingen die Generalsekretäre der Ampelparteien nicht leer aus. Volker Wissing (FDP) wurde Bundesminister für Verkehr und Digitales und Michael Kellner (Grüne) immerhin Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium. Lars Klingbeil (SPD) ist nun SPD-Parteivorsitzender. Sie hatten das Handwerk gelernt und ihre Bewährungsproben bestanden. Wer will schon solche Parteiämter abschaffen, in denen meist jüngeren Politikern derlei Chancen geboten werden? Politischer Rambo zu sein und sich um Parteigliederungen zu kümmern, lautet die Stellenbeschreibung. Lang ist die Liste der Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer, wie das Amt früher bei der SPD genannt wurde und bis heute bei den Grünen genannt wird, die später in höchste Ämter aufstiegen: Angela Merkel (CDU, Bundeskanzlerin), Volker Rühe (CDU, Verteidigungsminister), Volker Kauder (CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, Verteidigungsministerin), Ronald Pofalla (Chef des Bundeskanzleramtes). Franz Müntefering (SPD-Chef und Bundesminister in verschiedenen Ressorts), Hubertus Heil (SPD, Arbeitsminister), Olaf Scholz (SPD, Bundeskanzler), Katarina Barley (SPD, Bundesministerin in verschiedenen Ressorts und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments), Guido Westerwelle (FDP, Außenminister) und Christian Lindner (FDP, Finanzminister). Auch die bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, Max Streibl und Edmund Stoiber waren in jungen Jahren CSU-Generalsekretäre, wie auch Karl-Theodor zu Guttenberg (Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister) und Friedrich Zimmermann (Innenminister). Die neue Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) war einst Bundesgeschäftsführerin ihrer Partei.

Anfänge Gerne erkundigen sich Journalisten bei Generalsekretären zu Beginn deren Amtszeit, ob sie mehr als „General“ oder mehr als „Sekretär“ wirken wollen, was eine Frage nach Selbstverständnis und Führungsansprüchen ist. Und wie es so ist in der Politik: Auf die Umstände kommt es an.

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DER INNOVATION­S­ TREIBER Nach der Vorstandskarriere schlägt THOMAS SATTELBERGER einen politischen Weg ein – und ist beschäftigter als je zuvor. Über Unruhe im Ruhestand, die Magie der Transformation und das Verständnis von Personalarbeit VON SVEN LECHTLEITNER

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it zwei Smartphones in den Händen sitzt Thomas Sattelberger am Schreibtisch in einem seiner beiden Büros in Berlin. „Schon voll im Staatssekretär-Modus! 2 Handys, 2 Büros & ein explodierender Terminkalender. Let’s do it!“, kommentiert er diesen Schnappschuss auf Twitter und Linkedin zum Amtsantritt. Die beiden Telefone braucht er, das zweite Büro auch. Alles muss strikt getrennt sein zwischen seiner Abgeordnetentätigkeit im Bundestag und dem Amt als Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Im Deutschen Bundestag ist er seit 2017 Mitglied, den Spitzenposten bei der Behörde hat er seit Dezember 2021 inne. Als das Foto seines ersten Amtstages in den sozialen Netzwerken die Runde macht, kommentieren manche die Unterschriftenmappe, die voller Dokumente in der Mitte des Schreibtisches liegt. Ein Widerspruch zwischen analogem Behördenalltag und dem Digitalversprechen, das sich seine Partei, die FDP, auf die Fahnen geschrieben hat. Kritik gehört zur politischen Arbeit dazu. Verschlossenheit gegenüber der digitalen Welt kann man Sattelberger jedenfalls nicht unterstellen. Der 72-Jährige hat unter anderem ein Profil auf der Videoplattform Tiktok mit rund 150.000 Followern und teilt kurze Videoclips zu seinem Politikerdasein. Zu Beginn der Pandemie führte er auf Youtube ein Videotagebuch über seine Coronainfektion und den Krankheitsverlauf; digitale Medienarbeit zwischen Aufklärung und Unterhaltung sozusagen. Trotz der Trennung zwischen Partei- und Fraktionsarbeit sowie ministerieller Arbeit kann eines kaum separat koordiniert werden: die Termine in seinem Kalender. Eine Herausforderung für ihn und sein Team. Die Zeitplanung sei fast wie zu seiner Zeit als Dax-Vorstand bei der Telekom. Als Abgeordneter folgt er bestimmten Routinen: montags Bürotag, dienstags Fraktionstag, mittwochs ein halber Ple­nartag, donnerstags und freitags ein ganzer. Mit dem Amt des Staatssekretärs haben sich Kommunikation und Termine vervielfacht. An Arbeits-

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tagen ist der Politiker schon mal von 7:00 Uhr morgens bis abends 20:30 Uhr durchweg in Videokonferenzen, ohne Pausen für Frühstück und Mittagessen. Am Tag des Gesprächs für dieses Porträt klingelte nachts um 2:30 Uhr sein Wecker, bis 5:00 Uhr hat er gearbeitet, sich dann fertig gemacht und ist zum Flughafen gefahren. Der Flieger von München nach Berlin ging um 7:00 Uhr. „Work-Life-Balance ist ein Konzept für Menschen, die ihre Arbeit als nicht sinnvoll empfinden“, sagt Sattelberger. Bei ihm vermische sich Privates und Berufliches. Über Fragen der Balance macht er sich keine Gedanken.

Quereinstieg in die Politik

Mit 72 Jahren übernimmt Thomas Sattelberger einen Spitzenposten beim Bundesministerium für Bildung und Forschung – und hantiert zum Amtsantritt mit zwei Telefonen und einem übervollen Terminkalender.

Nach dem Karriereende als Personalvorstand und Arbeitsdirektor, zuletzt bei der Telekom, ging es für den Diplom-Betriebswirt in den Unruhestand, wie er es nennt. Sattelberger übte einige Aufsichtsratsmandate aus, wirkte aktiv bei nationalen Initiativen wie MINT Zukunft schaffen mit, die sich für die Ausweitung von MINT-Qualifikationen einsetzt. Erfüllt haben ihn diese Aufgaben allerdings nicht. „Im zarten Alter von 66 Jahren musste ich feststellen, dass man dort zwar lernt, Schiffchen auf dem See zu steuern, es aber etwas anderes ist, noch einmal eine gehaltvolle Aufgabe zu haben“, sagt Sattelberger. So hat er als später Quereinsteiger den Weg in die Politik eingeschlagen und ist über die bayerische FDP-Landesliste auf Platz fünf in den Bundestag gezogen. Schließlich folgte die Möglichkeit, noch einmal eine gestalterische Aufgabe zu übernehmen – für das Bildungsund Forschungsministerin. Die Bildungsthemen im Ministerium betreut sein Kollege Jens Brandenburg. Thomas Sattelberger ist für Forschung und Innovation zuständig. Bereits für die FDP-Fraktion war er unter anderem Sprecher für Innovation, Bildung und Forschung. Die Transformationsthematik packe ihn seit jeher, auch schon während seiner Arbeit als Personalvorstand. Ob Organisationsentwicklung, Culture Change oder jetzt eben die Transformation: „Es sind die Pionieraufgaben, die ich spannend finde“, sagt Sattelberger. Klassische Personalarbeit habe er nie gemacht. Es sei immer HR-Arbeit für Fusions-, Privatisierungs-, Sanierungs- oder Globalisierungsprozesse gewe-

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sen. Die Transformation habe ihn wie magisch angezogen. Im Fokus seines politischen Wirkens steht die Innovationskraft, gerade im Mittelstand. Der Münchner sagt, dass die Zahl der Produkte- und Serviceinnovationen zurückgehe. Gleiches gilt für Ausgründungen und Gründungen von Unternehmen. Diese seien fast auf einem historischen Tiefstand. Dabei bezieht er sich insbesondere auf den Deep-Tech-Bereich, also disruptive Innovationen und Technologien. Abgesehen vom Biotechnologieunternehmen Biontech hat Deutschland kaum was vorzuweisen: „Seit der Einführung des MP3-Verfahrens haben wir hierzulande nicht mehr viel hinbekommen“, sagt Sattelberger. Im Vergleich zu Schweden, Kanada oder den USA ringt Deutschland um den Anschluss. Aus seiner Sicht braucht es mehr Deep-Tech-Mittelstand, vor allem in den Bereichen Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Raumfahrt und Klima-Tech. Schlüsselthemen dafür sind für ihn das Wissenschafts- und Forschungssystem, aber ebenso Industriekooperationen und forschungsintensive Firmenausgründungen. Seine jetzige Arbeit vergleicht er mit den Aufgaben, die er als Personalvorstand anging, nur dass er nun noch wirkungsvoller agiere: „Am Schluss ist es statt einer Vorstandsvorlage eine Gesetzesvorlage, nur eben im Makrosystem.“

Innovations­fähigkeit von HR Wie steht es um die Personalarbeit in Sachen Innovationsfähigkeit? Schließlich wirken Personalverantwortliche mit ihren Strategien maßgeblich ein auf Talente, deren Gewinnung und Entfaltung am Arbeitsplatz. Für Sattelberger geht es zunächst darum, selbst zu verstehen, was Innovationsfähigkeit in eigenen Unternehmen überhaupt

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WER DRINGT DURCH? Für manche Neu-MdBs mag es ein Rätsel sein, aus Journalistensicht ist die Sache klar: Warum manche Politikerinnen und Politiker ständig IN DEN MEDIEN landen, während andere blass bleiben. VON KATHI PREPPNER

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r ist der am häufigsten genannte Twitter-Nutzer im Je niedriger die Position, desto wichtiger sind andere vergangenen Jahr. Mehr als 935.000 Menschen folKriterien. „Interessant sind auch Leute, die prägnant forgen ihm in dem sozialen Netzwerk, auf so viele kommulieren können und den Mut haben, klare Aussagen men Olaf Scholz, Christian Lindner und Nancy Faezu treffen“, sagt Quadbeck. Als „klassisches Beispiel“ ser ungefähr zusammen. Häufigster Talkshow-Gast war nennt sie Wolfgang Bosbach, der auch nach seiner Zeit er auch, 40 Auftritte legte er 2021 hin, ein Rekord. „Er ist als Vize-Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion häufür die große Bühne geschaffen“, schreibt die „Zeit“; er sei figer Talkshow-Gast war. Quadbeck erklärt diese mediale eine „Marke“, heißt es beim „Tagesspiegel“. Präsenz mit seiner Sprache, die sehr nah an den Leuten Klar, Karl Lauterbachs enorme Medienpräsenz liegt sei. Zudem könne er komplizierte Dinge einfach erklären. auch daran, dass er Corona zu seinem Thema gemacht Auch Karl Lauterbach fällt für sie in diese Kategorie. „Solhat. Er ist Epidemiologe, war bis 2019 als SPD-Fraktionsche Menschen rufe ich immer gerne an. Man durchblickt vize unter anderem für das Thema Gesundheit zuständig die Dinge selbst besser, wenn man mit ihnen spricht.“ und liest nach eigenen Aussagen gerne und viele Studien. Aber das allein ist noch nicht das Geheimnis seiner mediKlare Positionen alen Allgegenwärtigkeit. Die bestand schon, bevor er BundesgesundheitsmiTobias Schulze, Ressortleiter Inland bei der „taz“, nister wurde. Dabei ist für Journalisten die Position eines schätzt es ebenfalls, wenn Politiker viel erklären. „Am Politikers oder einer Politikerin ein zentrales Relevanzkrischönsten ist es, wenn ich jemanden anrufe und wir erst terium. „Wir greifen gerne oben ins Regal“, sagt Eva Quad-​ mal im Hintergrund sprechen können.“ Nach einem beck, stellvertretende Chefredakteurin und Leiterin der solchen Telefonat könne er vieles oft besser einordnen. Hauptstadtredaktion des Redaktionsnetzwerks DeutschZudem könnten Hintergrundinformationen nützlich land (RND). Schließlich hätten die Politiker in der ersten sein, zum Beispiel um in eine bestimmte Richtung weiReihe etwas zu entscheiden und auch zu sagen, was für ter zu recherchieren. „Das ist natürlich immer eine GratPolitik relevant ist. Lauterbach wanderung. Aber auch wenn es stand aber lange nicht besonders „ Lauterbach stand lange nicht eine Hintergrundinformation weit oben. besonders weit oben.“ ist, will die Person ja, dass man 56

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Links: Bei Karl Lauterbach (SPD) wurde schon gemunkelt, er sehe Talk-Host Markus Lanz häufiger als seine Kollegen. Unten: Sahra Wagenknecht (Linke) ist ein häufig geladener Gast. Unten: Wolfgang Bosbach (CDU) war zwischen 2012 und 2016 der Politiker, der an den meisten Talkshows teilnahm.

das weiß.“ Für Politiker heißt das jedenfalls: So finden sie Gehör. Je nach Thema seien in bestimmten Situationen natürlich auch Fachpolitiker besonders interessant, sagt Quadbeck, „weil sie in der Sache oft sehr pointiert formulieren und Forderungen stellen können“. Schulze findet es auch hilfreich, wenn jemand eine möglichst klare Position formuliert und kein Sowohl-alsauch. Gelegentlich falle ihm auf Twitter auf, dass jemand in seiner Fraktion aus der Reihe fällt oder einen originellen Gedanken hat. Kürzlich zum Beispiel Kathrin Henneberger, neue Bundestagsabgeordnete, die als eine der ers-

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SPIEGLEIN, SPIEGLEIN Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes. Trotzdem fehlen viele PERSPEKTIVEN IM PARLAMENT. Wie kann man diesen Missstand beheben? VON ECKHARD JESSE

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er Bundestag wird nie ein exaktes Spiegelbild Parteien müssen viele politische Positionen zu einem der Gesellschaft sein.“ Diese Aussage Wolfgang Bild versammeln, wenn sie ihre Grundsatz- und WahlproSchäubles war der Fluchtpunkt in seiner Eröffgramme zusammenstellen. Das heißt noch lange nicht, nungsrede am 26. Oktober 2021 als Alterspräsidass wir es ihnen bei unserem Blick auf die Bevölkerung dent des Deutschen Bundestages. Für ihn sind Abgeordgleichtun. Kaum jemand wählt eine Partei, weil ihre Ausnete Vertreter des ganzen Volkes, nicht einer bestimmten sagen zu 100 Prozent mit den eigenen Überzeugungen Schicht. In der Tat sagt die Zusammensetzung eines Parlaübereinstimmen. ments nach Beruf, Ethnie, Geschlecht, Herkunft, Region und Religion wenig über dessen Qualität aus. Das Thema „Vertreter des ganzen Volkes“ beschäftigt Schäuble aber nicht erst seit Kurzem. Bereits im Sommer 2021 hat er diesen Gedanken in einem ZeiDas Grundgesetz stellt im Artikel 38 klar fest, Abgetungsartikel Ausdruck verliehen. ordnete seien „Vertreter des ganzen Volkes“. Das BundesWorum geht es genau? Nicht nur Angehörige nehverfassungsgericht hat das wiederholt betont. So urteilmen die Interessen ihrer gesellschaftlichen Gruppen ten die Verfassungsrichter 2012, die „Abgeordneten sind wahr. Auch die Belange der ganz Junnicht einem Land, einem Wahlkreis, gen, die noch nicht ins Parlament eineiner Partei oder einer BevölkerungsVERTEILUNG DER ziehen können, und die der ganz Alten, gruppe, sondern dem ganzen Volk BEVÖLKERUNG NACH SINUSdie ihm nicht mehr angehören, fallen gegenüber verantwortlich; sie repräsenMILIEUS BIS 2021 keineswegs unter den Tisch. Mehr noch: tieren zudem das Volk grundsätzlich in Diese Gruppenzugehörigkeiten spiegeln ihrer Gesamtheit, nicht als Einzelne“. Hedonisten 15 keineswegs politische Positionen wider. Das ist eine klare Absage an die VorBürgerliche Mitte 13 Das Denken in diesen Kategorien verstellung, dass Abgeordnete bestimmte Traditionelle 11 nachlässigt das Votum des jeweiligen Teilgruppen der Bevölkerung repräIndividuums. So lehnen viele Frauen sentieren. Jüngst haben LandesverAdaptiv-Pragmatische 11 Quoten für ihr Geschlecht ab. Es ist fassungsgerichte mit dieser ArgumenKonservativ-Etablierte 10 schwierig, politische Themen eindeutation Gesetze für paritätisch besetzte Expeditive 9 tig einzelnen Parteien zuzu­ordnen. Wahllisten als verfassungswidrig verPrekäre 9 Dasselbe Problem stellt sich auch bei worfen. Performer 8 gesellschaftlichen Gruppen. Wir lesen Das Parteiengesetz weist den ParLiberal-Intellektuelle 7 häufig, ein gesteigertes Umweltbewusstteien die Aufgabe zu, als Bindeglied sein und eine liberale Einwanderungszwischen dem Souverän, dem Volk, und Sozial-Ökologische 7 politik fielen unvermeidlich zusammen den Staatsorganen zu fungieren. Damit Quelle: Sinus-Institut 2021 und würden vornehmlich von jüngeren ist eigens gesagt, dass die Auswahl von Bewohnern reicher Stadtviertel vertreten werden, die für Kandidaten allein den Auftrag einer politischen Partei deren politische Umsetzung die Grünen wählten. Aber nicht vollständig erfüllt. Wie die Bürger in den politischen warum soll eine alte Landbewohnerin nicht ebenso denWillensbildungsprozess einbezogen werden sollen, erörken? Oftmals wird vergessen, dass ähnliche politische tert das Gesetz nicht konkret. Überzeugungen aus völlig unterschiedlichen Gründen zustande kommen können. So kann die Oma vom Land Wo gehöre ich hin? ihr eigenes Gemüsebeet bewirtschaften und Flüchtlinge betreuen, weil sie selbst Fluchterfahrung hat. Die Sozialwissenschaften haben Versuche unterIn einer Umfrage des Umweltministeriums von 2019 nommen, die moderne Gesellschaft zu vermessen. Laut stimmten nicht nur 89 Prozent des sozial-ökologischen Sinus-Institut besteht die Bevölkerung aus zehn Gruppen. Milieus der Aussage zu, wir dürften Natur nur so nutDer „bürgerlichen Mitte“ etwa rechnen die Wissenschaftzen, dass dies kommenden Generationen im gleichen ler rund 13 Prozent der Deutschen zu. Diese Gruppe unterUmfang möglich sei. Auch 82 Prozent des traditionelstütze die gesellschaftliche Ordnung, strebe danach, sich len Milieus waren dieser Meinung. Ein Denkfehler liegt beruflich und sozial zu etablieren, und wünsche sich gesidarin, Überzeugungen unterschiedlicher Politikfelder zu cherte und harmonische Verhältnisse. Die relativ größte einem Weltbild zu verschmelzen. Was besonders absurd Gruppe, die „Hedonisten“, mache dagegen 15 Prozent der ist: Wer gegen die expansive Euro-Politik ist, muss auch Bevölkerung aus, sei sozial in der unteren Mittelschicht zu gegen Einwanderung sein, nicht an den Klimawandel glauverorten und richte ihr Leben danach aus, den Zwängen ben, Putin-Anhänger sein und das neuartige Coronavides Alltags zu entfliehen. Natürlich darf man die Bedeurus für erfunden (– und gleichzeitig die Impfung als wirtung solcher Kategorien nicht überschätzen. Harte Kritekungslos dagegen) halten. rien stellen sie nicht dar. Parteien, Journalisten und Juris-

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9./10. Juni 2022 Berlin

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