politik&kommunikation: Was kann Spahn?

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Medientraining für ­Politiker

WAS KANN SPAHN?

Wem folgt der ­Bundestag?

POLITISCHE KOMPETENZ?

LEADERSHIPSKILLS?

VERTRAUENSWÜRDIGKEIT?

DIE GROSSE P& UMFRKA-G E 1

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Quadriga Media Berlin GmbH  ISSN 1610-5060  Ausgabe II/2021 — Nº 135 www.politik-kommunikation.de

Robin Alexander im Interview


Zuversicht

Chancen

Fortschritt

Freiraum

Miteinander

Stabilität

Weil’s um mehr als Geld geht. Seit unserer Gründung prägt ein Prinzip unser Handeln: Wir machen uns stark für das, was wirklich zählt. Für eine Gesellschaft mit Chancen für alle. Für eine ressourcenschonende Zukunft. Für die Regionen, in denen wir zu Hause sind. Mehr auf sparkasse.de/mehralsgeld


ED ITOR IAL

KONRAD GÖKE ist Chefredakteur von politik&kommunikation.

EINE SPAHNALYSE

E

s ist gar nicht so einfach, die Arbeit eines Spitzen­ politikers oder einer Ministerin zu beurteilen. Meistens mangelt es dazu an intimen Einblicken, Sachkenntnis und der Zeit, sich mit komplexen Sachverhalten angemessen auseinanderzuset­ zen. Die klassischen Straßenumfragen zur Popularität des politischen Spitzenpersonals sagen wenig aus darü­ ber, ob die Protagonisten wirklich ihren Job gut machen. Interessant sind sie dennoch. Sie geben Auskunft darü­ ber, wie erfolgreich Leistungen in die Öffentlichkeit kom­ muniziert ­werden. Wie aber beurteilen Fachleute die Arbeit eines Spitzen­ politikers? Sie sind in ihrem beruflichen Alltag damit beschäftigt, die politische Arbeit in ihrem Fachbereich zu verfolgen. Oft sind sie davon auch betroffen und pflegen direkte Kontakte in das jeweilige Ministerium. Um dieser Frage nachzugehen, haben wir Spezialisten der Gesund­ heitspolitik sowie der Politik im Allgemeinen zu den poli­ tischen Kernkompetenzen von Bundesgesundheitsminis­ ter Jens Spahn gefragt. Kann Jens Spahn ein Ministerium führen? Ist er vertrauenswürdig? Rufen höhere Auf­gaben? Wie die Fachleute diese Fragen beantwortet haben und inwiefern sich ihre Einschätzung von derjenigen der Bür­ ger unterscheidet, lesen Sie ab Seite 18. Die Analyse soll den Auftakt für ein neues, datengetriebenes Porträtfor­ mat liefern. Wenn Sie Kritik und Anmerkungen haben, bin ich für jede Nachricht dankbar!

II/2021

Intime Einblicke, beste Vernetzung und kompeten­ tes Einschätzungsvermögen sind Qualitäten, über die der Journalist Robin Alexander unbestritten verfügt. Weil er so nah am Puls der Hauptstadtpolitik ist, ist das Mitglied der „Welt“-Chefredaktion auch ein gern gesehener Gast in Podcasts und TV-Talkshows. Nach seinem Bestseller „Die Getriebenen“ hat er nun mit „Machtverfall“ ein neues Buch vorgelegt. Daran analysiert er die neue Rolle Angela Merkels in der Pandemie und den Kampf um ihre Nach­ folge. Mit p&k hat er über das Vermächtnis Angela Mer­ kels, seine Rolle auf Twitter und die Wahlchancen von Armin Laschet gesprochen (S. 70). Der Kanzlerkandidat der Union hat zuletzt in politi­ schen Talkshows ein besseres Bild abgegeben. Der Anfang jedoch war peinlich. Bei Talkshow-Moderator Markus Lanz geriet Armin Laschet sichtlich ins Schwitzen. Kurze Zeit später jedoch biss sich Lanz an CSU-Chef Markus Söder und Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble die Zähne aus. Wie bereitet man sich am besten auf eine sol­ che Live-­Befragung vor? Wie pariert man Fragen, die man nicht beantworten möchte? Auf welche Talkshow berei­ tet man sich wie vor – und wann kneift man am besten? Das lesen Sie ab Seite 40. Wenn Sie ein Thema haben, das bisher noch nicht auf unserem Radar war: Ich freue mich über Experten und Fachfrauen, die ihre Erkenntnisse nicht für sich behal­ ten, sondern für alle aufschreiben wollen. Meine E-Mail ist konrad.goeke@politik-kommunikation.de Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und bitte bleiben Sie gesund! Konrad Göke

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I NH A LT

PORTRÄT IN ZAHLEN: JENS SPAHN 18

II 2021

70 „WER SAGT, POLITIKER SEIEN FAUL, DER SPINNT“ Interview mit Hauptstadt­ journalist Robin Alexander von Konrad Göke

76 MIT INTERESSE

Lobbyisten im Wahlkampf von Konrad Göke

86 GLOSSE

TV-TALKVORBEREITUNG 40 12 RESCHS RHETORIK REVIEW Um Verzeihung bitten von Markus Resch

14 GUT BERATEN

Wir stellen die neuen ­p&k-Insider vor aus der Redaktion

18 SPAHN IN ZAHLEN

Wie Fachleute Jens Spahns ­politische Perfomance ­beurteilen von Konrad Göke

28 ANHALTENDE SPANNUNG

Wird es eine Neuauflage der Kenia-Koalition in Sachsen-­ Anhalt geben? von Michael Kolkmann

32 DIE POSITIONEN DER PARTEIEN

Diese Themen spielen bei der LTW Sachsen-Anhalt eine Rolle von Benjamin Höhne

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56 MITTE IN DEUTSCHLAND

Auf Reisen mit Paul Ziemiak von Georg Milde

62 PROBLEMATISCHE VERWISCHUNG Wie viel Naturwissenschaft ist gut für die Politik? von Katja Krause

34 WEM FOLGT DER BUNDESTAG

Eine Übersicht über die ­beliebtesten Twitter-Accounts von Konrad Göke

36 GEFÄLLT MIR NICHT

Warum Politiker zum ­Influencer in eigener Sache werden ­sollten von Bendix Hügelmann

40 REDE UND ANTWORT

Interviewvorbereitung für ­Politiker von Konrad Göke

66 UNRÜHMLICHE DEBATTENKULTUR Wie sich die Debattenkultur ­ändern kann von Eckhard Jesse

Deutschland sucht den ­Superkanzler von Konrad Göke

3 Editorial 5 Schnappschuss 6 Expertentipp 8 Pro & Kontra 10 Fragerunde 10 Floskelalarm 82 Bücher 84 Ein Tag mit … 85 Impressum

INTERVIEW: ROBIN ALEXANDER 70

44 POLITIK ZWISCHEN LIKE UND HATE Zweiter Teil der p&k-Serie „Road to Bundestag“ von de’ge’pol W

50 ZUM UNGLÜCK GEZWUNGEN

Wahlkampf auf Social Media von Nicolas Schwendemann

politik & kommunikation


S CH N A P P S CH U S S

ALLE TASSEN IM SCHRANK

Früher sorgte Markus Söder mit ausgefallenen Karnevalskostümen für Aufsehen. Heute kommuniziert der bayerische Ministerpräsident über seine Tassen. Ob dieses gold­farbene „Star Wars“- oder ein „The Amazing Spiderman“-Exemplar – Söder hat offenbar für jede Stimmung eine Tasse. Zuletzt beruhigte die Tasse des verhinderten Kanzlerkandidaten bei der Eröffnung der digitalen Programmkonferenz der CSU seine Anhänger: „Alles wird gut“. Die Tasse ist bei Söder also trotz allem immer halb voll.

II/2021

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EX PERT E N T IPP

IMPFPATENTE, BAERBOCK, KANZLER SPAHN

Iris Bethge-Krauß

Ursula Münch

Hajo Schumacher

Hauptgeschäftsführerin, Bun­ desverband Öffentlicher Banken Deutschlands

Direktorin, Akademie für Politische Bildung Tutzing

Journalist und Autor

Sollten Corona-Impfpatente freigegeben werden? Sie sollten den Firmen abgekauft werden. Langwierige, teure Forschung und Entwicklung ​​ müssen sich lohnen.

Ist die Diskussionskultur auf Social-MediaPlattformen noch zu retten? Solange die binäre Logik von ja/nein oder gut/böse herrscht, eher nicht. Die Welt ist ​​differenzierter.

Wird der Wahlausgang in SachsenAnhalt einen großen Einfluss auf die Bundestagswahl haben? Die Wähler sollten nicht unterschätzt werden. Sie können sehr gut unterscheiden, w ​ orum es bei einer Landtagswahl geht – nämlich um eine verantwortungsvolle​​Wahlentscheidung für ihr Bundesland.

Droht der Kampagne von Annalena Baerbock ein ähnliches Schicksal wie jener von Martin Schulz 2017? Die grünen Führungsleute sind Teil ihres Milieus, während SPD-Anführende ihre Milieus ​​ bisweilen verachten.

Ist Jens Spahn ein heißer Anwärter auf die Unions-Kanzlerkandidatur 2025? Wieso? Will Armin Laschet schon nach einer Legislaturperiode zurücktreten?

Zeigen TV-Interviews ein authentisches Bild von Politikern? Ein einzelnes bestimmt nicht, aber verschiedene dann eben doch.

Die Union hat als einzige Partei noch kein Wahlprogramm vorgelegt. Ist das ein Nachteil? Dagegen helfen kamerataugliche Außentermine allein garantiert nicht.

Hat die Hauptstadtpolitik das Gefühl für den ländlichen Raum verloren?

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Im Übrigen glaube ich: Stadt und Land sind nicht zuletzt durch das mobile Arbeiten in ​ Covid-Zeiten enger zusammengerückt. politik & kommunikation


Volker Ratzmann

Kristin Breuer

Janina Mütze

Bela Anda

Mirjam Stegherr

Uwe Jun

Executive Vice President ­Corporate Public Affairs, Deutsche Post DHL Group

Geschäftsführerin ­Kommunikation, Verband Forschender Arznei­ mittelhersteller

Gründerin und G ­ eschäftsführerin, Civey

geschäftsführender Gesellschafter, Bela Anda Communication

freie Journalistin, Beraterin und ­Moderatorin

Professor für Politikwissenschaft, Universität Trier

Die Patente sind nicht das Problem, sondern die Produktionskapazitäten.

Es gilt zu achten, was Wissenschaftler und Unternehmen mit Klugheit und teilweise ​auch Millionen Investitionen erzielt haben – zum Wohle aller.

Auf LinkedIn ja, auf Twitter nicht. Aber, wer weiß, vielleicht ­entstehen ja bald neue ​Netzwerke, auf denen das wieder möglich ist.

Ja, bitte: mehr Algorithmen und Kampagnen für Diskurs statt für Hass und Hetze!

Die Grünen haben in den Monaten vor der Corona-Krise Schritt für Schritt an Zustimmung ​​ gewonnen. Ihr Potenzial bei den ­jungen Wählern ist g ​ roß und Klimaschutz ​​ ist ein Megathema.

Die grünen Themen sind zu bedeutsam und mit Baerbock verknüpft. Und sie verstolpert keine Bälle – spielt besser als er.

Medien verlegen sich zu sehr darauf, Politiker in Widersprüche zu verwickeln und vorzuführen, statt breit zu informieren. Das verzerrt.

Guten Journalisten gelingt es, die Profi-Fassade der Interviewten auch einmal zu ​durchbrechen.

Wenn es gut ist, warten wir auch gern noch ein bisschen.

Ich befürchte die Entkoppelung nimmt zu. II/2021

Das setzt voraus, dass die Union 2021 verliert. Und das ist nicht ausgemacht.

Müdigkeit, Zweifel, schlechte Laune: fragwürdig, ob das ­Quoten bringt.

Das lesen eh die wenigsten, manchmal noch nicht einmal die Spitzenkandidaten.

Mit Tendenz zu ja: Die Sichtweisen und ­Interessen ländlicher Räume finden manchmal nur s​ ehr am Rande ​Beachtung.

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P&K INSIDER

GUT BERATEN p&k ist ein Magazin für Fachleute, die in der politischen Öffentlichkeit stehen, wirken und arbeiten. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir dafür den Input der Besten bekommen. Nur so können wir immer nah an den wichtigsten ­Themen und den spannendsten Personalien der Szene sein. Wir haben uns deshalb entschieden, ein Panel zusammenzurufen, das uns fach­ lich eng berät und auf dem Laufenden hält: die p&k-Insider. Sie helfen uns, die vollständigs­ ten Rang­listen zusammenzustellen, die neuesten Trends früh zu registrieren und die sach­ kundigsten Meinungen zu erfahren. Um breit aufgestellt zu sein, kommen sie aus den ver­ schiedensten Bereichen: Journalismus, Agenturen, Wissen­schaft und Lobby. Heute stellen wir die ersten fünf dieser Runde vor, die schlussendlich elf Köpfe umfassen soll. Sie erzählen uns, wie der Wahlkampf ihre Arbeit verändert.

„WIR MÜSSEN JETZT DIE RICHTIGEN WEICHEN STELLEN“

IRIS BETHGE-KRAUSS seit 2017 Hauptgeschäftsführerin, Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) 2009 bis 2017 Geschäftsführerin Kommunikation, ­Bundesverband deutscher Banken 2005 bis 2009 Pressesprecherin der Ministerin Ursula von der Leyen, Bundesministerium für Familie, ­Senioren, Frauen und Jugend

Wahlkampfzeiten zählen zu den spannend­ sten Zeiten, die wir als politischer Interessenverband erleben. Dieses Jahr besonders: Das Ende der Ära Merkel steht nach 16 Jahren kurz bevor und vermutlich bekommen wir es mit einer neuen Koalition auf Bundesebene zu tun. Außerdem steht Deutschland vor gewaltigen Herausforderungen. Wir müssen jetzt die richtigen Weichen für eine wirtschaftliche Erholung und die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit und Digitalisierung stellen. Die öffentlichen Banken spielen dabei eine zentrale Rolle und deshalb reden wir als VÖB natürlich mit und verschaffen unseren Mitgliedsinstituten Gehör. Kürzlich haben wir unsere Positionen zur Bundestagswahl herausgegeben – und auch nach der Wahl werden wir mit der neuen Bundesregierung und den frisch gewählten Abgeordneten in den intensiven Austausch gehen.

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politik & kommunikation


URSULA MÜNCH

„VIELE EINORDNUNGEN FÜR MEDIEN“

seit 2011 Direktorin der ­Akademie für ­Politische Bildung 2009 bis 2011 Dekanin der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften, ­Universität der Bundeswehr München seit 1999 Professorin für ­Politikwissenschaft, Universität der Bundeswehr München

Als Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung gehöre ich zu den vielen Wahlkampfbeobachtern und -kommentatoren – die muss es ja auch geben. Das Interesse am Wahlkampf und vor allem an der Bundestagswahl wird dieses Jahr noch größer sein als sonst: Der anstehende Wechsel im Kanzleramt lässt fast niemanden kalt. Nach der Wahl und der Koalitionsbildung wird in der Akademie für Politische Bildung, einer Forschungs- und Tagungsstätte im oberbayerischen Tutzing, die vom Freistaat getragen wird, aber parteipolitisch unabhängig ist, wie nach jeder Bundestagswahl eine Wahltagung stattfinden – in Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, bei der unter anderem Politikwissenschaftler, Medienleute, Wahlkampfstrategen und Meinungsforscherinnen referieren und diskutieren. Bis es so weit ist, werde ich noch diverse Vorträge zum Beispiel über die Veränderungen im Parteiensystem und die Themen des Wahlkampfs halten und voraussichtlich viele Einordnungen für in- und ausländische Medien vornehmen.

VOLKER ­RATZMANN seit Mai 2020 Executive Vice President Corporate Public Affairs, Deutsche Post DHL Group 2016 bis 2020 Staatssekretär und Bevollmächtigter des ­Landes Baden-Württemberg beim Bund, Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund 2012 bis 2016 bundespolitischer Koordinator von Minister­ präsident Winfried Kretschmann (Grüne), Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund 2003 bis 2012 Fraktionsvorsitzender, Bündnis90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin

„VIEL UNTERWEGS – LEIDER NUR VIRTUELL“

II/2021

Das Parteigeschehen gerät mehr in den Fokus, während die Zahl der Gesetzgebungsverfahren sinkt – das verändert natürlich vor allem das Geschäft der Interessenvertretung im politischen Berlin. Aber wir sind ein globaler Logistikkonzern, die deutsche Politik bestimmt nur einen – wenn auch wichtigen – Teil meiner Arbeit. Mein Bereich kümmert sich weltweit um Politik. Ich bin zurzeit verstärkt in Brüssel unterwegs, wenn auch leider nur virtuell. Und auch in den USA hat die politische Dynamik seit dem Amtsantritt der Biden-Administration wieder deutlich zugenommen. Themen wie die Koordination der Impflogistik oder die Bewältigung des Klimawandels sind unabhängig vom Wahlkampf immer akut, fordern unsere Aufmerksamkeit und unser Handeln. Diese globalen Herausforderungen nehmen auf einen nationalen Wahlkampf zu Recht wenig Rücksicht.

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„UMFRAGEN SIND EIN BEITRAG FÜR TRANSPARENZ“

JANINA MÜTZE seit 2020 Vorstandsmitglied, Futury Innovationslab seit 2019 Aufsichtsrätin, Comeco seit 2015 Gründerin und Geschäftsführerin, Civey

So ein Superwahljahr bedeutet für uns Hochkonjunktur. Durch einen höheren Fokus auf den politischen Diskurs sind Echtzeit-­Daten von hoher Relevanz. Ein großer Teil der Gesellschaft wünscht sich einen politischen Neuanfang. Doch wie soll der aussehen? Nicht nur Verbände, sondern auch Unternehmen möchten den Ausgang der Wahlen bestmöglich antizipieren und Stimmungen in ihren Branchen vorab verstehen. Wir unterstützen sie dabei – ob bundesweit oder auf Wahlkreis­ebene. Auch, wenn zu Wahlkampfzeiten das Interesse für Umfragedaten steigt, verstehen wir unsere Arbeit in jedem Jahr als Beitrag für mehr Transparenz. Mithilfe unserer Technologie bieten wir jedem Einzelnen die Möglichkeit, die Gesellschaft ein wenig besser zu verstehen. In Zeiten, in denen es in Social Media Bubbles hoch hergeht, leisten valide Daten zu Meinungen und Positionen einen wichtigen Beitrag zur Einordnung. Ganz gleich, ob Wahlkampf ist oder nicht.

„WER WAHLKAMPF MACHT, MUSS SICH VOLLSTÄNDIG DARAUF EINLASSEN“

BELA ANDA seit 2017 geschäftsführender Gesellschafter, Anda Business Communication 2012 bis 2015 stellvertretender Chefredakteur Politik und ­Wirtschaft, „Bild” 2006 bis 2012 Chief Communication Officer, AWD (später Swiss Life Select) 2002 bis 2005 Regierungs­sprecher und Chef des Bundespresseamts

Wahlkämpfe habe ich an der Seite von Gerhard Schröder sehr intensiv erlebt, erst als Berichterstatter, dann als Begleiter. Dabei habe ich erfahren, dass man sich aus den tiefsten Umfragelöchern befreien kann, wenn man bereit ist zu kämpfen. Nur – man muss es dann auch tun. Eine weitere Lehre für alle, die Wahlkampf machen, ist: Wer Wahlkampf macht, und wenn auch nur beratend, muss sich vollständig darauf einlassen, um seine Aufgabe voll wahrzunehmen. Für diese Zeit zählt nur der Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidatin - kein anderes Mandat. Wahlkampf bedeutet höchste Taktzahl, 24/7. Wer sich darauf einlässt, hat eine der spannendsten und intensivsten Zeiten, die das professionelle Leben bietet. Politik genieße ich nun als Beobachter.

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WAS KANN SPAHN? 18

POLITISCHE KOMPETENZ?

LEADERSHIPSKILLS?

VERTRAUENSWÜRDIGKEIT?

politik & kommunikation


Hinter dem Bundesgesundheitsminister liegt eine harte Zeit: der schleppende Start der Impfkampagne, Streit mit der Presse – mit den besseren Impf- und Inzidenzzahlen kehrt aber die Zuversicht zurück. Wie beurteilen Fachleute die POLITISCHE PERFORMANCE von Jens Spahn, was denkt die Bevölkerung – und was sagt der Minister selbst zu diesen Umfrageergebnissen?

DIE GROSSE P& UMFRKA-G E 1

VON KONRAD GÖKE

W

enn es im vergangenen Dezember einen Hoff­ nungsträger gegeben hat, der die Union in die Bundestagswahl hätte führen können, dann wäre das wohl Jens Spahn gewesen. Die Zustimmungswerte in der Bevölkerung zur Corona-Politik der Bundesregierung waren hoch. Deutsch­ land war mit vergleichsweise wenigen Toten durch die erste Welle gekommen. Im Sommer lagen die Inzidenzen zeit­ weise so niedrig, dass es sich anfühlte, als wäre die Pande­ mie bereits ausgestanden. Die Deutschen waren zufrieden. Davon profitierte auch der Bundesgesundheitsminister. Seitdem ist viel passiert. Vom zweitbeliebtesten Poli­ tiker hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Bun­ desgesundheitsminister zeitweise bis auf Rang acht in der Skala abgerutscht. Die Ursachen sind vielfältig, und Jens Spahn ist nicht für alle davon verantwortlich. Von außen ist das allerdings schwer zu beurteilen. Selbst für politisch Interessierte war es schwierig zu erkennen, an welcher Stelle es bei der Impfstoffbeschaffung genau hakte und was überhaupt die Spielräume gewesen waren. Woran bemisst sich die Leistung eines Politikers? Wann macht ein Minister einen guten Job? Um sich die­ ser Frage anzunähern, hat p&k in Zusammenarbeit mit der Quadriga Hochschule eine Umfrage durchgeführt. Das Ziel war es, die politischen Qualitäten des Politikers Jens Spahn auszuleuchten. Dazu haben wir Fachleute befragt: Verbandsfunktionäre, Gesundheitspolitiker, Politikjour­ nalisten, Unternehmer. Um die Ergebnisse mit der vox populi zu vergleichen, haben wir noch das Umfrageinsti­ tut Civey ins Boot geholt.

Spahns Zurückhaltung Jens Spahn und sein Team fanden die Idee eines Por­ träts, das auch gezielt die Meinung von Experten einholt, spannend – und das trotz der offenkundigen Gefahr, dass die Ergebnisse stark von aktuellen Unzufrieden­heiten

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heruntergezogen werden. Das enorm günstige Stim­ mungsbild von 2020 wird nicht dabei herauskommen, das ist allen klar. Wir vereinbarten mehrere Gesprächs­ termine im Dezember, Februar und einen abschließen­ den Termin nach der Umfrage im Mai. Die Treffen fanden ausschließlich virtuell statt. Unnötige Präsenztermine wollte das Spahn-Team vermeiden. Etwaige spannende Fragen überließ man auch lieber ganz uns. Warum diese Vorsicht? Als die ersten Giftpfeile auf die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock flogen, freuten sich die Grünen: Das hieße, sie werde ernst genommen. Jens Spahn sprach die­ ses Gefühl schon bei unserem ersten Gespräch im Dezem­ ber an. Damals schoss sich der Koalitionspartner SPD auf ihn ein. Auch Spahn sah das als Auszeichnung. Der Geg­ ner zielte eben gegen jemanden in der ersten Reihe. Jedoch sollte sich zeigen, dass in der ersten Reihe andere Maß­ stäbe dafür gelten, was strategisch klug ist – und was nicht. So mag bei der Zurückhaltung, interessante Fragen vorzuschlagen, der Winter eine Rolle gespielt haben, als Spahn seine Kanzlerchancen ausgelotet hatte und damit aufgeflogen war. Der Wunsch, die Treffen rein virtuell zu halten, kann mit dem Spenden-Dinner in Leipzig zu tun haben, zu dem Spahn im Oktober 2020 fuhr. Das war nach den damaligen Corona-Regeln erlaubt und sorgte trotz­ dem für Unmut. Viele sahen Spahns Vorbildfunktion ver­ letzt. Aber dass Legalität und Legitimität nicht immer zusammenpassen, gehört zum politischen Instinkt eines Spitzenpolitikers. Spahn steht jetzt in der ersten Reihe – und will keine unnötigen Fehler mehr machen. In der Hochphase der Unzufriedenheit mit der deut­ schen Corona-­Politik im Februar hatte sich Spahn über­ raschend gelassen gegeben. Er habe seine Erfahrungen damit gemacht, dass es in der Politik schnell aufwärts, ebenso schnell aber auch wieder abwärts gehen könne, sagte er. Damals beherrschte das deutsche „Impfdesaster“ die deutschen Schlagzeilen. Spahn war sich damals sicher,

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TWITT E R -A N A LYSE

WEM FOLGT DER BUNDESTAG? Mehr als drei Viertel der Bundestagsabgeordneten twittern. Welchen anderen Twitter-Accounts folgen die meisten von ihnen?

TOP TEN ALLER ACCOUNTS

1. RegSprecher (-)

381 (+9)

TOP TEN

2. tagesschau (-) 375 (+14)

3. derspiegel (-) 372 (+23)

4. SZ (-) 348 (+10)

5. peteraltmaier (-) 334 (+10)

6. zeitonline (-) 334 (+12)

7. dpa (-) 330 (+16)

8. welt (-) 315 (+12)

9. spdbt (-) 311 (+11)

10. HeikoMaas (neu) 310

POLITIKER

1. peteraltmaier (-)

334 (+10)

TOP TEN

2. HeikoMaas (-) 310 (+18)

3. c_lindner (-) 288 (+9)

4. DoroBaer (-) 281 (+6)

5. jensspahn (7.) 279 (+29)

6. akk (-) 268 (+15)

7. OlafScholz (neu) 252

8. larsklingbeil (-) 250 (+13)

9. hubertus_heil (neu) 248

10. GoeringEckardt (9.) 241 (+7)

Unter allen Accounts ist Regierungssprecher Steffen Seibert noch immer der Spitzenreiter. Ihm folgen die meisten Bundestagsabgeordneten. Dahinter rangieren weiterhin die Nachrichtenkanäle der „Tagesschau“, des „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“. Neu in den Top Ten ist Außenminister Heiko Maas, der die „F.A.Z.“ aus der Spitzengruppe verdrängt.

Die ersten vier Plätze der meistgefolgten Politiker sind fest vergeben. Wirtschaftsminister Peter Altmaier bleibt unangefochten die Nummer eins. Allerdings schließt Außenminister Heiko Maas mit Plus 18 Followern zu ihm auf. Die meisten neuen Follower im Vergleich zu 2020 gewinnt mit 29 aber Gesundheitsminister Jens Spahn. Angesichts der Pandemie ist das nicht überraschend.

PARTEIEN UND FRAKTIONEN

MINISTERIEN

1. spdbt (-)

311 (+11)

TOP TEN

2. cducsubt (-) 296 (+16)

3. CDU (-) 290 (+11)

4. spdde (-) 274 (+10)

5. GrueneBundestag (6.) 257 (+12)

6. Die_Gruenen (5.) 254 (+5)

7. CSU (-) 229 (+7)

8. fdp (-) 222 (+8)

9. Junge_Union (-) 179 (+2)

10. dieLinke (-) 178 (+1)

Die SPD-Bundestagsfraktion steht weiterhin auf Platz eins der meistgefolgten Parteien- und Fraktionsaccounts. Wenig Bewegung gibt es im Feld dahinter. Einzig der Partei- und der Bundestagsfraktionskanal der Grünen tauschen ihre Plätze. Die Fraktion überholt die Partei in der Gunst der Abgeordneten.

34

1. AuswaertigesAmt (-)

287 (+10)

TOP TEN

2. BMG_Bund (8.) 185 (+29)

3. BMWi_Bund 185 (+18)

4. BMI_Bund (3.) 185 (+17)

5. bmu (2.) 180 (+2)

6. BMJV_Bund (5.) 177 (+10)

7. BMFSFJ (3.) 176 (+8)

8. BMF_Bund (7.) 167 (+5)

9. BMAS_Bund (-) 153 (+9)

10. BMZ_Bund (-) 130 (-1)

Wie im Vorjahr ist bei den Ministeriunskanälen viel Bewegung drin. Einzig der Account des von Heiko Maas geführten Auswärtigen Amtes behauptet seinen Spitzenplatz. In Zeiten der Pandemie ist das Bundesgesundheitsministerium wiederum der größte Gewinner: Mit plus 29 Followern (2020: plus 40) springt das Haus von Jens Spahn von Platz acht auf Platz zwei der von Abgeordneten meistgefolgten Ministeriumskanäle. politik & kommunikation


Jedes Jahr veröffentlicht p&k ein ­Ranking der Twitter-Accounts, die unter den MdBs die meisten Follo­ wer haben. Dazu liest ein Compu­ terprogramm die Follow-Liste jedes twitternden Bundestagsabgeord­ neten aus und zählt die häufigsten Einträge. Nach wie vor ist das sozi­ ale Netzwerk unter ­Politikern, Poli­ tikjournalisten sowie Verbands- und

Interessenvertretern eine der wich­ tigsten Plattformen, um (sich) zu in­ formieren und auszu­tauschen. Weil die Zahl der Twitter-Nutzer im Bun­ destag immer noch wächst, kön­ nen die meisten Kanäle ihre Follo­ werschaft unter den Abgeordneten ausbauen. Zwar gibt es keine echte Wachablösung in den Kategorien, die schon vergangenes Jahr erhoben

MEDIEN

1. tagesschau (-)

375 (+14)

TOP TEN

2. derspiegel (-) 372 (+23)

3. SZ (-) 348 (+10)

4. zeitonline (-) 334 (+12)

5. dpa (-) 330 (+16)

6. welt (-) 315 (+12)

7. faznet (-) 307 (+9)

8. Tagesspiegel (-) 301 (+8)

9. phoenix_de (neu) 293

10. ntvde (-) 292 (+16)

­ urden. Dahinter gibt es aber teils w ­einige B ­ ewegung. Sehen Sie selbst!

KONRAD GÖKE ist Chefredakteur von politik&kommunikation.

JOURNALISTEN

1. robinalexander_ (-)

287 (+18)

TOP TEN

2. ulfposh (-) 259 (+26)

3. HollsteinM (-) 231 (+18)

4. FlorianGathmann (5.) 229 (+21)

5. MelAmann (7.) 226 (+27)

6. dneuerer (4.) 222 (+11)

7. TinaHassel (8.) 215 (+17)

8. dunjahayali (9.) 212 (+15)

9. janfleischhauer (neu) 209

10. MatthiasMeisner (6.) 209 (+1)

Bei den Medien bleibt fast alles beim Alten. Weiterhin führt der ­Kanal der „Tagesschau“ mit knappem Abstand vor dem ­„Spiegel“ in der Gunst der Bundestagsabgeordneten. Letzterer kann den Abstand allerdings von zwölf auf nur noch drei Follower verkürzen. Neu in den Top Ten ist der Account von „Phoenix“, dafür steigt der Eilmeldungskanal des „­ Spiegel“ ab.

Die ersten beiden Ränge gehören weiterhin zwei „Welt“-Journalisten. Robin Alexander führt das Feld vor Ulf Poschardt an. ­Dahinter folgt die „Funke“-Journalistin Miriam Hollstein. Die stärkste ­Gewinnerin ist nach ihrem Aufstieg in die „Spiegel“-­Chefredaktion mit 27 neuen Bundestags-Followern Melanie Amann. Der ­„Focus“-Kolumnist Jan Fleischhauer rückt in die Top Ten auf, sein Namensvetter Jan Böhmermann fliegt dafür raus.

INTERESSENVERTRETUNGEN

SONSTIGE

Wahlrecht_de

246

TOP TEN

dgb_news 160

a_watch 148

_verdi 130

greenpeace_de 111

amnesty_de 110

campact 110

IGMetall 109

Der_BDI 103

vzbv 101

In der neu zusammengefassten Kategorie von Interessenvertretungen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen führt der Informationskanal von „Wahlrecht.de“ souverän das Feld an. Gerade im Superwahljahr sind Umfragen höchst relevant für die MdB. Dahinter folgen die Kanäle des „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ und von „Abgeordnetenwatch“. Mit dem „BDI“ schafft es nur ein Wirtschaftsverband in die Top Ten. II/2021

RegSprecher

381

TOP TEN

sigmargabriel 289

ThomasOppermann 274

katarinabarley 240

KuehniKev 231

ArminLaschet 230

petertauber 228

_FriedrichMerz 226

MartinSchulz 224

c_drosten 217

Diese neu geschaffene Kategorie sammelt alle Konten, die nicht in die vorigen Schubladen passen. Hier finden sich Accounts wie­ ­jener des im Oktober 2020 verstorbenen Bundestagsvizepräsidenten ­Thomas Oppermann. Katarina Barley ist ins Europaparlament gewechselt. Kevin Kühnert und Friedrich Merz streben eine Wahl in den Bundestag an, aus dem Peter Tauber soeben ausgeschieden ist. Dem Virologen Christian Drosten folgen 217 MdB.

Stichtag war der 21. Mai 2021.

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KOPF UND KRAGEN Wahlkampfzeit ist auch die große Zeit der Interviews. Vor allem Auftritte in POLIT-TALKSHOWS erfreuen sich großer Beliebtheit. Dort kann man viel gewinnen, aber auch viel verlieren. Alles eine Frage der Vorbereitung.

TV-Journalistin. So müssen sich Interessierte nicht mehr die komplette Sendung anschauen. Viele Videoschnipsel zeigen direkt den Aufreger.

Chance und Risiko In der Regel werden Talkshows aufgezeichnet und dann ungeschnitten ausgestrahlt. „Die Chancen von Live-Talk­ shows sind gleichzeitig die Gefahren“, sagt Hug. „Ich habe keine Nachbereitung, alles geht über den Sender.“ Einer­ seits bietet das Politikern die Chance, pur und authen­ tisch herüber­zukommen. „Ich kann meine Kernbotschaf­ ten direkt an das Zielpublikum senden, niemand kann das herausschneiden“, sagt Hug. „Außerdem habe ich meist eine längere Redezeit und bin dadurch präsenter.“ So lie­ ßen sich mehr Emotionen hervorrufen, und Fernsehen funktioniere nur mit Emotionen. Aber Live-Situationen sind auch nicht ohne Risiko. Davon können Politiker ein Lied singen. „Patzer werden eins zu eins gesendet“, sagt Carola Hug. „Anschließend ist man auch in Mediatheken damit online.“ Wer sich eine

VON KONRAD GÖKE

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er Auftritt von Armin Laschet bei Markus Lanz Ende März dürfte unser Bild vom Wahlkampf 2021 maß­ geblich mitprägen. Der ZDF-Talker hatte Laschet eingeladen, um eine Reaktion des CDU-Chefs ein­ zufangen. Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Laschets Corona-Politik auf mehrfaches Nach­ bohren der ARD-Moderatorin Anne Will gerügt. Die Reak­ tionen auf Laschets Auftritt waren verheerend. „Laschet graut es an einigen Stellen sichtlich vor den Fragen des Moderators“, schrieb die „Welt“. Der „Spiegel“ überhöhte das Geschehen gar zu einem Stierkampf, Lanz habe den CDU-Vorsitzenden zur Strecke gebracht „wie ein Matador das orientierungslose Rindvieh“. Der Auftritt war ein Wahl­ kampfdesaster und wurde vom politischen Gegner in Videoschnipseln genüsslich ausgeschlachtet. Video-Interviews werden immer wichtiger. Dafür sor­ gen vor allem zwei Trends: Immer mehr Menschen kon­ sumieren Nachrichten auf dem Laptop oder auf ihrem Handy. Ein Video ist schnell abgespielt. Videos auf Twitter oder Youtube sind leichter erreichbar als etwa gedruckte Interviews, die nicht selten hinter einer Bezahlschranke stehen. Carola Hug ist Mediencoach und bereitet ihre Kunden auch auf TV-Auftritte vor. „Die Redaktionen vie­ ler Talkshows setzen mittlerweile darauf, die Passagen einzelner Gäste aus den Sendungen herauszuschneiden und auf sozialen Medien zu posten“, sagt die ehemalige

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„ Wenn reichen oder auf seinen Pressesprecher ver­ Blöße leistet, landet damit im unendlichen man einen weisen. Mit Überraschungen muss man rech­ Gedächtnis des Internets. Die Folge: Kom­ Angriff nen. Es reicht nicht, einfach perplex zu sein.“ munikative Fehltritte können einen noch fährt, dann Bei der Sendung „hart aber fair“ beispiels­ Jahre später einholen, wenn sie ausgegraben muss man weise konfrontiert Moderator Frank Plasberg ­werden. ihn schon seine Gäste gerne mit Einzelschicksalen aus Für Politiker bedeutet das: vorbereiten, fachlich dem Publikum, die gerne auch Aussagen sei­ vorbereiten, vorbereiten. Kajo Wasserhövel unterlegen ner Gäste konterkarieren. Wer es hier nicht trainiert Kunden, darunter viele Politiker, für können.“ schafft, emotionale und verständnisvolle Töne Interviews. Vor allem die eigenen Fachthemen anzuschlagen, verspielt Sympathiepunkte. müssten gut vorbereitet sein. „Es kann schon Trotzdem ist es auch erlaubt, zu improvisieren. „Impro­ peinlich werden ansonsten“, sagt der ehemalige SPD-Spit­ visieren muss man dann, wenn man über Fragen oder The­ zenpolitiker. Aber auch aktuelle Themen wie etwa die Pan­ men noch nicht vorher nachgedacht hat beziehungsweise demie müssten immer gut parat sein. „Und vor allem dann, noch keine Position hat“, sagt Wasserhövel. „Es muss nicht wenn man einen Angriff fährt, dann muss man ihn schon schlecht sein, dann frei zu assoziieren. Nur sollte man fachlich unterlegen können.“ einen guten Instinkt besitzen, um dann auch sagen zu kön­ nen: ‚Sorry, aber zu dem Thema weiß ich noch zu wenig, Improvisieren – wenn man es kann um da ein gutes Urteil zu haben.‘“ Die gute Nachricht ist: Die Ruhe in stressigen Inter­ „Es können immer Überraschungsmomente auftau­ viewsituationen lässt sich trainieren. „Das ist ein bisschen chen“, sagt Carola Hug. „Auf Vorwürfe muss man direkt wie eine kalte Dusche“, sagt Hug. „Je öfter ich mich dem reagieren. Da kann man Antworten nicht einfach nach­

Talkrunde bei Anne Will: FDP-Vorsitzender Christian Lindner, SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, Grünen-Chefin Annalena Baerbock und CDU-Chef Armin Laschet treffen sich zum verbalen Schlagabtausch.

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DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN Die Parteizentralen haben ihre Kampagnen geplant und Mediabudgets verteilt. DIGITALE WERBUNG gewinnt massiv an Bedeutung. Die Regeln dafür sind aber älter als das Internet. Wir dürfen die Regulierung digitaler politischer Werbung nicht den amerikanischen Internetkonzernen überlassen. VON NICOLAS SCHWENDEMANN

Die Regeln dafür, Silicon Valley

wie in Deutschland öffentlich über Politik verhandelt wird, werden im ­Silicon Valley ­geschrieben. 50

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Landtagswahl Baden-Württemberg 2021.

Bei der digitalen politischen Werbung hinkt die Regulierung der technischen Entwicklung hinterher.

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m klassischen Bereich ist bei politischer Werbung klar definiert, wann und in welchem Umfang wo Plakate geklebt, Spots geschaltet und Anzeigen gebucht wer­ den dürfen. Aus gutem Grund: Der Wahlkampf soll nach Regeln ablaufen, die dem Wettstreit um die Stim­ men der Wähler einen Rahmen geben. Sie sollen für glei­ che Ausgangsbedingungen unter den Wettbewerbern sor­ gen. Mit Erfolg: Werbeschlachten, wie sie beispielsweise in den USA üblich geworden sind, gibt es bei uns nicht. Bei der digitalen politischen Werbung hinkt die Regu­ lierung der technischen Entwicklung hinterher. Die Mög­ lichkeiten sind vielfältiger, technisch ausgereifter und intellektuell anspruchsvoller geworden. Das gilt beson­ ders für das Targeting und das Testen von Botschaften und Werbemitteln. Der vermeintliche Skandal um Cambridge Analytica hat das in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Zugleich wurde viel Vertrauen zerstört. Es war der Ein­ druck entstanden, die Wählerschaft sei getäuscht und manipuliert worden. Bei genauerem Hinsehen wurde aller­ dings klar: Die Gründer von Cambridge Analytica waren vor allem gut darin, eine magische Sales-Geschichte über den eigenen Erfolg zu verbreiten. Spätestens mit Donald Trump ist eine generelle Diskus­ sion über die Rolle der sozialen Medien in der Demokratie entbrannt. Viele Fragen sind nach wie vor ungeklärt: der

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Umgang mit Hatespeech, gezielten Desinformationskam­ pagnen und extremistischen Botschaften etwa. Es geht um nicht weniger als die Frage, inwieweit Social-Media-Platt­ formen dazu beitragen, die Demokratie zu gefährden und die Spaltung der Gesellschaft zu vertiefen. Facebook, Google & Co. haben nach wie vor keine Antworten, wie sie diesen Herausforderungen begegnen wollen. All diese Themen haben wenig mit digitaler politischer Werbung zu tun, werden aber damit häufig in einen Topf geworfen. Für die Social-Media-Unternehmen sind diese Ent­ wicklungen nicht nur aus politischen Gründen kritisch. Der vergiftete Diskurs auf den Plattformen bedroht ihr Geschäftsmodell im Kern: User wenden sich entnervt ab. Wird die Stimmung zu toxisch, sinken Zugriffszahlen, Nutzungshäufigkeit und Nutzungsdauer – und damit das Kapital der Plattformen: der zielgerichtete Zugang zu den Zielgruppen und die Reichweite für die Botschaften der Werbekunden. Die logische Konsequenz der Plattform-Betreiber: Weil politische Inhalte schlecht fürs Geschäft sind, machen sie ihre eigenen Regeln und verändern die Funktionsweise der Algorithmen. Auf Facebook ist die organische Reichweite politischer Akteure in den vergangenen Jahren massiv ein­ gebrochen. Es liegt nahe, die Gründe dafür in einer Verän­ derung des Algorithmus zu vermuten. Zudem schränken

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