politik&kommunikation: Politiker auf Social Media

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So digital zieht die CDU in den Wahlkampf

Interview mit Joschka Fischer

POLITIKER AUF SOCIAL MEDIA Wer hat Erfolg auf Instagram und Twitter – und warum?

Quadriga Media Berlin GmbH  ISSN 1610-5060  Ausgabe II/2020 — Nº 131  www.politik-kommunikation.de

Wie kommuniziert ­Wissenschaft mit Politik?


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EDITO R IA L

KONRAD GÖKE ist Leitender Redakteur von politik&kommunikation.

GUTER EU-RAT IST TEUER

E

uropa ist im Corona-Fieber. Die Pointe ist billig, aber wahr. Wenn in den vergangenen Jahren Karten den Zustand der Europäischen Union illustrierten, ging es um Arbeitslosenzahlen, Vermögensverhältnisse oder Wolfsbestände. In den vergangenen Monaten ging es um Infizierte, Genesene, und leider auch Tote. Am 1. Juli übernimmt Deutschland für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Obwohl Europa wie die gesamte Welt noch immer unter dem Eindruck der Pandemie steht, sind die Karten mit den Wirtschaftsdaten zurück. Denn es wird teuer. Um den durch Corona gebeutelten EU-Staaten wieder auf die Beine zu helfen, plant die Europäische Union ein gigantisches Hilfspaket. Dass die Bedürftigkeit der Staaten anhand von Kennzahlen ermittelt wurde, die aus einem Zeitraum vor der Corona-Krise stammen, mag dazu nicht ganz passen. Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Hilfen richtig sind. Fischer selbst musste 1999 frisch im Amt eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft organisieren. Wie das ablief und wie die Corona-Abstandsregeln die Diplomatie beeinflussen werden, verrät Fischer im p&k-Interview (S. 40). Eins ist sicher: Die Zeiten sind besonders. Besonders genug für ein „Merkel-Moment“ (S. 46)? Durch die Corona-Krise erleben soziale Medien in der politischen Kommunikation einen starken Aufwind. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nennt die Pandemie trotz aller Sorgen, die sie uns macht, einen „TurboBoost“ für die Digitalstrategie seiner Partei. Welche digitalen Pfeile die Union sonst noch im Köcher hat, diskutierten Digitalexperten der Partei beim zweiten digitalen Bootcamp, bei dem p&k exklusiv dabei war (S. 50).

II/2020

Twitter ist schon länger eine beliebte Plattform unter den Bundestagsabgeordneten. Im Rahmen einer Datenanalyse hat p&k unter die Lupe genommen, was sie dort genau treiben (S. 12). Auch auf Instagram haben viele Ministerpräsidenten und Staatskanzleien der Länder Kanäle gestartet (S. 18). Keine Frage: Krisenzeit ist Regierungszeit. Und wo sie das nicht ist, ist sie die Stunde des Föderalismus (S. 60). Ein großes Thema ist die Black-Lives-Matter-Bewegung, die aus den USA auf Deutschland überschwappt ist (Fotostrecke: S. 24). Mittlerweile diskutiert die Politik darüber, den „Rasse“-Begriff aus dem Grundgesetz zu streichen (S. 32). In den USA dürfte die Rassismus-Debatte großen Einfluss auf die kommende Präsidentenwahl im November haben (S. 36). Aber auch das Corona-Virus beschäftigt uns weiter, wenn auch vielleicht zu wenig. Die Uniklinika, die uns bisher gut durch die Pandemie gebracht haben, schlagen Alarm (S. 72). Für die drohende „zweite Welle“ fehle es an Geld, aber auch an Achtsamkeit. Um das Verständnis in Politik und Gesellschaft zu verbessern, bemüht sich die Wissenschaft, gut zu kommunizieren (S. 56). Andere Themen geraten über Corona in den Hintergrund: Die Flüchtlinge, obwohl die Pandemie sie hart trifft (S. 68). Und der Bundestag hat es wieder nicht geschafft, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden (S. 64). Ihre Meinung ist mir wichtig. Was gefällt Ihnen an p&k, was muss besser werden? Schreiben Sie mir: konrad.goeke@politik-kommunikation.de Ich freue mich auf Ihr Feedback und wünsche Ihnen vor allem Gesundheit – und natürlich Spaß an der Lektüre!

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INHA LT

II 2020

POLITIKER AUF SOCIAL MEDIA 12, 18

TRUMP ODER BIDEN? 36 12 SO TWITTERN DIE MDB

Wie oft, wann und worüber twittern die Bundestagsabgeordneten? von Konrad Göke

18 POLITIKER AUF INSTAGRAM

Wie Ministerpräsidenten das soziale Medium nutzen von Bendix Hügelmann

24 DIE WELT AUF DER STRASSE

Von Minneapolis bis Hongkong protestieren die Menschen Eine Fotostrecke

32 SPRACHE IST MACHT

Warum der „Rasse“-Begriff nicht ins Grundgesetz gehört von Anne Huning

4

56 WISSENSCHAFT UND POLITIK

Interview mit Helmholtz-Sprecherin Susanne Thiele von Volker Thoms

60 BUND FÜRS LEBEN

36 TRUMP ODER BIDEN?

Ein Interview mit Julius van de Laar über die kommende US-Wahl von Carolin Sachse-Henninger

40 EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFT

Ein Interview mit Ex.Außenminister Joschka Fischer von Konrad Göke

46 MERKEL-MOMENT

Angela Merkel arbeitet an ihrem politischen Vermächtnis von Jean-Christophe Bas

50 DIGITALE UNION

p&k beim zweiten Digital Bootcamp der CDU von Konrad Göke

Wie der Föderalismus in der Corona-Krise Leben rettet von Ursula Münch

72 WELLENBRECHER

Was passieren muss, damit Uniklinika die „zweite Welle“ stoppen von Marya Verdel und Burkhard Göke

82 GLOSSE:

Reisekrankheit

64 ZU-VOLL-VERSAMMLUNG

Wie der Bundestag beim Wahlgesetz versagt und weiter wächst von Eckhard Jesse

68 IM SCHATTEN DES VIRUS

Die Corona-Krise trifft Flüchtlinge hart von Neven Klepo

3 Editorial 5 Schnappschuss 6 Expertentipp 8 Pro&Kontra 10 Fragerunde 10 Floskelalarm 78 Bücher 79 Impressum 80 Ein Tag mit …

INTERVIEW: JOSCHKA FISCHER 40

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SCHN AP P S CHUS S

DER GLÄSERNE ABGEORDNETE Die Parlamente rüsten auf. Um die Abgeordneten vor einer Infektion mit dem Corona­ virus zu schützen, haben einige Länderparlamente in Deutschland die Sitzplätze der Abgeordneten mit Plexiglasscheiben in Glaskästen verwandelt. Hier ist eine Sitzung des Brandenburger Landtags in Potsdam zu sehen.

II/2020

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EX PERT E N T IPP

CDU, REZESSION, ­RASSISMUS

Karl-Rudolf Korte

Hajo Schumacher

Iris Bethge-Krauß

Professor für Politikwissenschaften, Universität Duisburg-Essen

Journalist und Autor

Hauptgeschäftsführerin VÖB

Für die Kanzlerschaft 2021 wird es aber reichen.

CDU im Corona-Hoch: Wird die Partei ihre hohen Zustimmungswerte halten können?

Die Corona-Krise hat alle regierenden Parteien geadelt – im Bund und in den Ländern. Der Merkel-Bonus zieht im Moment die Partei auch mit. Viele Wähler halten die Union für kompetent, den Vorsorgestaat zu sichern.

Ist das Konjunkturpaket der Bundesregierung geeignet, um die kommende Rezession zu dämpfen? Leider sind die aktuellen Probleme aber größer als Rezessionen.

Der Föderalismus hat in der Corona-Krise Stärke gezeigt. Sollten noch mehr Politikfelder lokal angegangen werden?

Die Übergangsverhandlungen zum Brexit stocken. Wird es am Ende trotzdem einen Deal geben? Einen Brexit ohne Deal wird sich keine Verhandlungsseite leisten. Die EU und Großbritannien bleiben auch in Zukunft eng und partnerschaftlich verbunden

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird wegen Corona ohne Gipfeltreffen auskommen müssen. Können unter diesen Umständen überhaupt große Entscheidungen getroffen werden?

Ist die Form der Proteste in den USA geeignet, um den strukturellen Rassismus zurückzudrängen? Gegen tief verwurzelten Rassismus können langfristig nur das konsequente Durchsetzen längst geltender Gesetze und ein strategischer Aktionsplan helfen.

Können Deutschland und die EU im Hongkong-China-Streit überhaupt vermitteln?

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Marina Weisband

Carolin Zeller

Uwe Jun

Autorin

Vizepräsidentin, Quadriga Hochschule Berlin

Professor für Politikwissenschaften, Universität Trier

Sandra ­Busch-Janser Leiterin der Abteilung Politische Kommunikation, Konrad-Adenauer-Stiftung

Besonders Kommunen müssen in ihrer Selbstständigkeit gestärkt werden. Hier wachsen demokratisches Potential und tatsächliche Solidarität. Das braucht aber Autonomie, offene Orte und demokratische Prozesse.

Irgendeinen Deal wird es geben – sicherlich keinen umfassen­ den, ökonomisch und sozial sinnvollen. Dafür reicht die Zeit einfach nicht. Danach wird weiterverhandelt werden müssen.

Es stehen viele wichtige Entscheidungen ins Haus – Corona, Brexit, der Haushalt. Hier muss die EU handeln und Entscheidungen müssen gefällt werden, notfalls digital.

Christine Richter

Tanja Böhm

Publizist

Chefredakteurin, Berliner Morgenpost

Managing Director Corporate Affairs, Microsoft Germany

Ja, sofern die Partei bei der Frage, wer Kanzlerkandidat wird, ebenso viel Verantwortungsbewusstsein zeigt, wie im Umgang mit der Corona-Pandemie.

Subsidiarität ist eines der zentralen Gestaltungsprinzipien unseres Staats­aufbaus. Deshalb sollte immer überprüft werden, auf welcher politischen Ebene ein Politikfeld am besten bearbeitet werden kann.

Große Entscheidungen sind keine Frage von Präsenztreffen. Wenn Gipfel durch breitere Gespräche mit der Bevölkerung ersetzt würden, wäre vielleicht sogar etwas gewonnen.

Georg Milde

Das Paket ist sinnvoll. Doch genauso groß ist die Verantwortung, zusätzliche Schulden nicht bequem an zukünftige Generation weiterzureichen.

Gerade in der Krise – Pandemie oder auch Terror – ist es sinnvoller, wichtige Entscheidungen zu zentralisieren.

Johnson könnte kommunikativ der EU für die künftigen ökonomische Probleme des Landes den “schwarzen Peter” zuschieben. Zudem müsste die britische Regierung Zugeständnisse in Richtung EU machen, welchen die Mehrheit der Konservativen ablehnend gegenübersteht.

Einerseits können sich nationale Interessen ohne eingehende ­persönliche Konsultationen leichter Bahn brechen. Andererseits steht die Notwendigkeit der EU die Corona-­Krise zu bekämpfen.

Die zunehmende Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft steht dem jedoch eher entgegen.

In den USA wird nach dem grausamen Tod an George Floyd jetzt etwas passieren – und beispielsweise die Polizeistruktur reformiert.

Auch wenn Vermitteln schwierig ist, hindert das nicht am offensiven Zeigen einer klaren Haltung. II/2020

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P R O & KON TRA

SCHLIESST! EUCH! EIN? In Deutschland finden immer größere DEMONSTRATIONEN statt. Konrad Göke findet Massenversammlungen wegen der Infektionsgefahr verantwortungslos. Judit Cech hält dagegen, dass neue Protestformen kreativ auf die Gesundheitsgefahr reagieren. Sollte das Versammlungsrecht wegen der Pandemie wieder eingeschränkt werden?

PRO VON KONRAD GÖKE

W

enn man die Bilder der Demos in deutschen Metropolen sieht, könnte man meinen, die Pandemie sei vorbei. Aber das ist sie nicht. Dicht gedrängt protestierten Zehntausende gegen Rassismus und Polizeigewalt. Viele trugen Maske. Aber Abstand halten war unmöglich. Ließe sich das besser planen? Für die Berliner Demo Anfang Juni waren 1.500 Demonstranten angemeldet, es kamen aber rund 15.000. Polizei und Organisatoren verloren die Kontrolle. Wenn eine Bewegung für die gute Sache außer Kontrolle gerät, ist das gut. Es bedeutet Wandel. Ein Virus außer Kontrolle ist eine Katastrophe. Sollte man das Versammlungsrecht also zum Infektionsschutz erneut einschränken? Es ist nachvollziehbar, wenn das Menschen besorgt. „Not kennt kein Gebot“ ist oft genug der Vorwand autoritärer Regierungen, um ihre Machtfülle auszubauen. In Berlin regiert aber die GroKo. Kein Orbán, kein Maduro. Wer bezweifelt ernsthaft, dass die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung einen anderen Zweck haben als den, das Land durch eine gewaltige Gesundheitskrise zu lotsen? Schön wäre es, wenn wir in diesem Zusammenhang gar nicht über Grundfreiheiten reden müssten. Wenn die Menschen von sich aus so vernünftig wären, weiter Social Distancing zu betreiben. Kennen Sie das noch? Da ging es darum, aus Solidarität mit den Alten, Kranken und Schwachen nicht in engeren Kontakt mit anderen Menschen zu kommen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Demos sollen ein starkes Signal der Solidarität mit Opfern von Rassismus und Polizeigewalt senden. Aber diese und alle anderen Demos senden noch ein weiteres Signal: dass die Gefährdung von Risikogruppen dafür in Kauf genommen wird. Dieses Signal ist unsolidarisch. Rassismus muss bekämpft werden. Aber während einer Pandemie bitte mit anderen Mitteln als mit Demos. KONRAD GÖKE ist Leitender Redakteur von politik&kommunikation.

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KONTRA VON JUDIT CECH

D

ass Infektionsschutz und Demonstrationen sich nicht besonders gut verstehen, ist klar. Doch können Demos deswegen nicht verboten werden – immerhin ist das Versammlungsrecht ein Grundrecht. Die Frage ist vielmehr, wie Protest in Corona-Zeiten besser organisiert werden kann. Hier braucht es neue Konzepte von allen Beteiligten. Seit dem Tod von George Floyd versammelten sich in Deutschland immer wieder Menschen, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. In Berlin sollen auf dem Alexanderplatz am 6. Juni rund 15.000 Personen gewesen sein. Karl Lauterbach (SPD) twitterte: „Die Großdemos in Berlin sind unverantwortlich. Das Risiko der Ausbreitung der Pandemie ist einfach viel zu groß.“ Eine besonders kreative Lösung des Problems setzte „Fridays for Future“ Ende April um. Die Aktivisten pflasterten den Rasen vor dem Deutschen Bundestag mit Protestschildern. Auch die Unteilbar-Demo am 14. Juni in Berlin durchbrach altbewährte Protestformen. Dort wurde von 20.000 Teilnehmern eine Menschenkette vom Brandenburger Tor bis Neukölln gebildet. 170 Ordner achteten auf die Einhaltung der Corona-Regeln. Auch die Polizei muss hier umdenken. So berichteten Teilnehmer der Demo auf dem Alexanderplatz, dass es wegen von der Polizei aufgestellten Gittern nicht möglich war, die Abstandsregeln einzuhalten. Berlins Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek kritisierte, dass ihr die Polizei überrascht über die große Teilnehmerzahl schien und nicht gewusst hätte, wie damit umzugehen sei. Corona und andere Pandemien werden unsere Gesellschaft künftig immer wieder vor große Herausforderungen stellen. Das erfordert in allen Bereichen des Lebens neue, kreative Lösungen, so auch bei Demos. Also: Maske auf, Sicherheitsabstand einhalten und auf zur nächsten Demo! JUDIT CECH ist Redakteurin bei politik&kommunikation.

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„ Jede Generation hat ihre Profis. Auf die muss man als Unternehmen setzen.“

Exzellenz Unser bisher schönstes Klienten-Feedback 2020.

Strategie. Unterstützung. Netzwerk. Erfolg. www.fuchs-cie.com II/2020

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VOLKER RATZMANN

Ja, absolut. Der Konzern hat sich mit seiner Strategie „Null Emissionen bis 2050“ ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bisher war ich auf der Seite, die Anforderungen mit zu definieren, jetzt geht es um die Umsetzung: wirtschaftliche, politische und rechtliche Rahmenbedingungen zu finden, dass das gelingen kann. Politik und Wirtschaft brauchen gegenseitiges Verständnis und gemeinsame Erfahrung, um Klimaziele zu erreichen, soziale und wirtschaftliche Stabilität zu erhalten und Demokratie zu sichern. Ich hoffe, ich kann etwas dazu beitragen. In der Wirtschaft brauchen wir noch viel mehr Engagement für weniger CO2. Fühlst Du dich bei der Deutschen Post DHL am richtigen Platz dafür?

ist seit Mai Executive Vice President Corporate Public Policy & Regulation Management bei Deutsche Post DHL Group. Vorher war er Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund.

Bund und Länder haben zu Beginn der Corona-Krise in enger Abstimmung und sehr geschlossen agiert – Föderalismus at its best! Was bleibt davon hängen? Lessons learned oder nur kurzes föderales Strohfeuer?

FRAGERUNDE

Das stimmt. Staatssekretär Volker Ratzman ging und plötzlich lief alles reibungslos. Im Ernst: Es müssen nicht tägliche Abstimmungen sein, wie in der akuten Corona-Phase, aber dennoch wäre ein Weiterführen der ergebnisorientierten Zusammenarbeit gut. Wir haben gezeigt, dass es geht: sinnvolle regionale Unterschiede, schnelle bundesweite Koordination und große Transparenz.

DREI JOBWECHSLER STELLEN SICH GEGENSEITIG FRAGEN ANJA PIEL

CONRAD CLEMENS

ist seit Mai Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB. Vorher war sie Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Niedersächsischen Landtag.

ist seit Ende Dezember Bevollmächtigten des Freistaates Sachsen beim Bund. Vorher war er Landesgeschäftsführer der CDU Sachsen.

Betriebsrenten sind eine sinnvolle Ergänzung einer starken gesetzlichen Rente, taugen aber nicht als Lückenbüßer für ein sinkendes Rentenniveau. In einer Sozialpartnerschaft tragen Arbeitgeber soziale Verantwortung und beteiligen sich an Kosten und Risiken der Betriebsrenten. Diese Haltung haben viele Arbeitgeber bestenfalls noch in Sonntagsreden. Solche Arbeitgeber fliehen aus Tarifverträgen und sind nicht bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um das Sozialpartnermodell zu finanzieren. Zur Stärkung der Tarifbindung ist es auch notwendig, die Allgemeinverbindlicherklärung zu erleichtern.

In Sachsen sehen wir die betriebliche Altersversorgung als wichtige Säule der Altersabsicherung für die Bürger. Wir setzen auf eine Stärkung der Tarifpartner und vorrangig tarifvertragliche Lösungen in der Arbeitswelt. Was sind Ihre Ideen das Sozialpartnermodell in der betrieblichen Altersversorgung voranzubringen?

FLO S KE LALA RM

„OFFEN GESAGT“ Wenn Politiker von sich aus die Phrasenhaftigkeit ihrer Sprache thematisieren, ist Vorsicht geboten. So auch bei der Formulierung „offen gesagt“. Sie suggeriert, dass der Sprecher (oder die Sprecherin) gleich sein Floskel-­ Gefängnis verlässt, um etwas unerwartet Ehrliches zu sagen. Es ist die kleine Schwester des „Klartextes“, nur weniger angriffslustig: Wer etwas „offen“ oder „ganz offen“ sagt, schiebt verbal das Visier seines Ritter­ helms hoch und macht sich verletzlich.

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In Wirklichkeit begehen nur Polit-Neulinge und Berufs­ provokateure wie Boris Palmer den Fehler, durch eine zu klare sprachliche Festlegung einen Shitstorm und oft auch ihre Karriere zu riskieren. Profis benutzen die vorgebliche Offenheit als rhetorisches Stilmittel, um mehr Aufmerk­ samkeit für ihre Aussage zu bekommen. Ehrlich wird diese dadurch selten. MIRIAM HOLLSTEIN, POLITIKJOURNALISTIN (ZULETZT „BILD AM SONNTAG“)

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SO TWITTERT DER BUNDESTAG Twitter ist zu einer zentralen Kommunikationsplattform der deutschen Politik geworden. Etwa 540 der 709 Bundestagsabgeordneten besitzen ein Twitter-Konto. Was interessiert sie? Welche Medien lesen sie? Wer twittert wann – und wer gerne auch nachts? p&k hat insgesamt 92.467 Tweets der Parlamentarier für die 158 Tage zwischen dem 1. Januar und dem 7. Juni ausgewertet. Eine ANALYSE in Grafiken.

TWITTER-KÖNIG IST DER ­CDU-ABGEORDNETE MATTHIAS HAUER. TOP TEN TWITTERER NACH ANZAHL DER TWEETS

matthiashauer

2688

LINDNER IST BUNDESTAGSGESPRÄCH TOP TEN

marcobuschmann 2183

renatekuenast 2111

eskensaskia 1952

niemamovassat 1912

stbrandner 1841

fabiodemasi 1803

anked 1364

th_sattelberger 1171

olliluksic 1169

Stolze 2688 Tweets setzte Hauer in den ersten gut fünf Monaten 2020 ab. Das sind rund 17 Tweets pro Tag. Das liegt nicht nur daran, dass Hauer fleißig erste Tweets absetzt. Er engagiert sich auch besonders häufig in Diskussionen. Insgesamt 1987 oder rund 74 Prozent seiner Tweets sind Antworten auf andere Tweets. Bei Marco Buschmann, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion, machen Antworten sogar rund 91 Prozent seiner Tweets aus. Er folgt Hauer mit insgesamt 2183 Tweets oder rund 14 täglich. Auf Platz drei rangiert die Grünen-Politikerin Renate Künast mit insgesamt 2111 Tweets (rund 13 täglich). Linken-Politiker Niema Movassat liegt gleichauf mit SPD-Chefin Saskia Esken. Beide verpassen das Treppchen mit 1952 oder rund 12 Tweets pro Tag. 15 Abgeordnete setzten in fünf Monaten nur einen einzigen Tweet ab.

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WELCHEN MDB RETWEETEN UND KOMMENTIEREN KOLLEGEN AM HÄUFIGSTEN?

c_lindner

101

TOP TEN

eskensaskia 67

marcobuschmann 56

karambadiaby 56

karl_lauterbach 52

heikomaas 45

christianhirte 43

jensspahn 40

konstantinkuhle 35

brihasselmann 28

FDP-Chef Christian Lindner beschäftigt die MdB am meisten. Seine Tweets werden am häufigsten von anderen Bundestagsabgeordneten kommentiert retweetet. 101 Mal gaben die MdB ihren Senf zu Lindner-Tweets ab. Kein Wunder, bedenkt man, wie gerne Lindner mitunter polarisiert. Die Strategie scheint aufzugehen. Auf dem zweiten Platz folgt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, auf dem dritten der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann. In der Causa Lindner kann die Volltextanalyse seiner 637 Tweets übrigens noch klären: 62 Prozent seiner Tweets tragen die Signatur des Team Lindner (TL), 30 Prozent twittert der Chef selbst (CL), 8 Prozent der Tweets sind unsigniert, dürften aber im Rahmen von Threads dem FDP-Vorsitzenden zuzuschreiben sein.

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WER FÄHRT REGELMÄSSIG DIE MEISTEN LIKES EIN? MDB MIT DEN MEISTEN LIKES PRO MITTLEREM TWEET*

alice_weidel

1946

TOP TEN

gregorgysi 1147

gottfriedcurio 1084

beatrix_vstorch 997

karl_lauterbach 723

swagenknecht 609

tino_chrupalla 532

martinschulz 352

karambadiaby 258

berndbaumannafd 257

MDB MIT DEN MEISTEN LIKES IM ­DURCHSCHNITT

karambadiaby

2809

TOP TEN

alice_weidel 2069

gregorgysi 1563

karl_lauterbach 1453

gottfriedcurio 1160

beatrix_vstorch 1116

hpfriedrichcsu 942

swagenknecht 798

cem_oezdemir 785

tino_chrupalla 646

* Messwert genau in der Mitte, wenn man alle Werte nach Größe sortiert

Manchmal haben Abgeordnete Glück. Ihre Tweets gehen viral. Besonders der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby hat einige Posts abgesetzt, die eine Welle der Solidarität ausgelöst haben. Sie ziehen den Durchschnittserfolg seiner Tweets auf rund 2809, so dass er dem Schnitt nach der erfolgreichste Twitter-MdB mit den meisten Likes pro Tweet ist. Nimmt man den Median, sortiert man also alle Like-Werte der Tweets nach Größe und sucht sich den Wert genau in der Mitte aus, zeigt sich ein anderes Bild. Hier übernimmt die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel mit 1946 Likes im Mittel die Führung. Überhaupt zeigt sich ein AfD-Übergewicht. Die Hälfte der Top-10 in diesem Bereich twittert aus der AfD-Fraktion. Einerseits spiegelt das den bekannten Mobilisierungserfolg der Rechtspopulisten im Netz wider. Andererseits ist das Ergebnis mit Vorsicht zu genießen. In der Vergangenheit wurde AfD-Politikern der Einsatz von Spambots nachgewiesen, die ihre Botschaften weiterverbreiten und ihre Followerzahl künstlich vergrößern.

GEWINNER UND VERLIERER 7000

1000

1000

0

0 06 / 20

2000

05 / 20

2000

04 / 20

3000

03 / 20

3000

06 / 20

4000

05 / 20

4000

04 / 20

5000

03 / 20

5000

02 / 20

6000

01 / 20

6000

swagenknecht

02 / 20

karl_lauterbach

— Durchschnittliche Likes pro Tag — Likes (7-Tages-Schnitt)

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7000

Einige Politiker konnten den Erfolg ihrer Tweets seit dem 1. Januar beträchtlich steigern. Andere verloren mit ihren Tweets an Reichweite und Beliebtheit. Mann der Stunde ist der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der zu einer wichtigen Stimme in der Corona-Krise geworden ist. Bei den Likes liegt sein durchschnittlicher 7-Tages-Wert jetzt 2065 Likes über dem Wert Anfang Januar. Für andere Abgeordnete ging es dagegen bergab. Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht verliert im durchschnittlichen 7-Tages-Wert 546 Likes gegenüber Januar. Allerdings zeigt ihr Zwischenhoch im März, dass es auf Twitter für Politiker schnell gehen kann – in beide Richtungen.

II/2020

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WANN WIRD GETWITTERT? KÖNIGE DER NACHT*

TOP TEN

DURCHSCHNITTLICHE MDB-TWEETS PRO WOCHENTAG 120 100

— Sitzungswoche — Sitzungsfreie Woche

80 60

eskensaskia 217

renatekuenast 144

fabiodemasi 117

40 20

60 50

Sonntag

Samstag

Freitag

Donnerstag

40 30 20 10 23:00

22:00

21:00

20:00

19:00

18:00

17:00

16:00

15:00

14:00

13:00

12:00

11:00

10:00

9:00

8:00

0 0:00

Wenn es 12 schlägt, gehen die Bundestagsabgeordneten noch lange nicht ins Bett. In den frühen Nachtstunden zwitschern einige Eulen fließig weiter. König der Nacht ist der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer, der zwischen null und sieben Uhr noch 358 Tweets postete. Auf Platz zwei folgt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken mit 277 Nachttweets. Platz drei gehört mit 144 Tweets der Grünen-Politikerin Renate Künast. Die „Vampire“ des Bundestags twittern gerne auch zwischen drei und fünf Uhr. Schlaflos sind offenbar Fabio de Masi (Linke) und Renate Künast (Grüne), die es immerhin auf 16 nächtliche Tweets bringen. Die fleißigsten Lerchen sind Sozialdemokraten. Top-Lerche ist Vize-Fraktionschef Dirk Wiese. 47 Tweets setzte er zwischen fünf und sieben Uhr ab, es folgen die ehemalige Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz (31) und Parteichefin Saskia Esken (29). Besonders auffällig ist die Twitteraktivität der SPD-Chefin. Zwar holt Matthias Hauer mit 358 Tweets zwischen null und drei Uhr einen Abstand auf Esken (177) heraus. Ab zwei Uhr gehört die Nacht aber ihr. Zwischen zwei und sieben Uhr führt Esken mit 75 Tweets die Tabelle an.

— Sitzungswoche — Sitzungsfreie Woche

7:00

* Tweets zwischen 0 und 7 Uhr, 1.1.-7.6.2020

Mittwoch

DURCHSCHNITTLICHE MDB-TWEETS NACH UHRZEITEN*

6:00

muellerchemnitz 48

Dienstag

gtzfrmming 52

5:00

joanacotar 53

4:00

dirkwiesespd 54

3:00

anked 71

2:00

371

karl_lauterbach 85

1:00

matthiashauer

Montag

0

* Tweets im Schnitt pro Tagesstunde, 1.1.-7.6.2020

Die MdB twittern zu ähnlichen Tageszeiten wie andere Menschen auch. Interessant wird es aber, wenn man Sitzungswochen und sitzungsfreie Wochen getrennt auswertet. Während einer sitzungsfreien Woche daheim im Wahlkreis twittert der Bundestag durchschnittlich 547 Mal pro Tag. Während einer Sitzungswoche in der Hauptstadt setzen MdB im Schnitt 627 Tweets und damit fast 80 mehr ab. Außerdem tweeten die Abgeordneten in Berlin offenbar früher am Morgen.

THEMEN 500

— Corona — Klima — Rassismus — Thüringen

400 300 200 100

Eine Volltext-Suche in den Tweets nach „Corona“, „Thüringen“, „Klima“ und Worten, die „Rassis-“ in Groß- oder Kleinschreibung enthalten, gibt einen Überblick darüber, worüber Bundestagsabgeordnete in den vergangenen Monaten twitterten. Die Themenwahl und ihre Zeitpunkte sind erwartbar. Interessanter sind die Ausschläge. Deutlich ist zu sehen, dass Corona alle Fraktionen in ihren

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Bann schlägt. In 334 Tweets beschäftigten sich MdB am 25. März mit der Pandemie, als der Bundestag den Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro beschloss. Überraschend ist, dass Thüringen die Abgeordneten noch mehr aufwühlte. Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich am 5. Februar zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD war den MdB 494 Tweets wert.

politik & kommunikation


DIE MEISTGELIKTEN POSTS DER MDB 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000

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MÄRZ

JANUAR

FEBRUAR

Im Januar erfuhr der SPD-Politiker Karamba Diaby eine Welle der Solidarität. Unbekannte hatten in der Nacht auf den 15. Januar Schüsse auf die Fensterscheiben seines Bürgerbüros in Halle abgegeben. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Für den Zuspruch von allen Seiten bedankte sich Diaby mit diesem Tweet.

Im Februar ließ sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen und löste damit ein Erdbeben im politischen Deutschland aus (siehe Themen, S. 14). Die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann distanzierte sich in diesem Tweet, der mehr als 13.000 Mal gelikt wurde.

MAI

Weil ihr Arzt positiv auf Corona getestet wurde, musste Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im März in Quarantäne. Grünen-Politiker Cem Özdemir kritisierte mit diesem Tweet die Häme, die ihr entgegenschlug.

JUNI

APRIL

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ist durch die Corona-Krise zu einem gefragten Experten geworden (siehe S. 13, unten). Im April wurden die Coronamaßnahmen schrittweise wieder zurückgenommen. Geschäfte durften wieder öffnen, die Kontaktbeschränkungen galten weiterhin. Lauterbach hätte mit den Lockerungen lieber gewartet, um die Reproduktionsrate des Virus noch weiter zu drücken und das Virus noch beherrschbarer zu machen. Professor Michael Meyer-Hermann von der TU Braunschweig sah das bei „Anne Will“ genau so. Und über 10.000 Twitternutzer.

II/2020

Linken-Politikerin Sabine Leidig dokumentierte am 15. Mai eine besondere Bahndurchsage. Ein Schaffner veralberte darin Verschwörungstheoretiker. Sie sollten un­bedingt eine Maske tragen, weil die, weil „Bundesregierung heimlich Speichelproben sammelt, um Klone von Ihnen zu produzieren.“ Mit Leidig amüsierten sich über 36.000 User.

Der SPD-Politiker Karamba Diaby wird immer wieder Opfer von Rassismus. Dieser Tweet, mit dem er sich wehrte, war der bisher meistgelikte MdB-Tweet dieses Jahres.

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DIE TOP-TEN-MEDIENMARKEN DER FRAKTIONEN CDU/CSU

welt.de

118

TOP TEN

tagesspiegel.de 76

spiegel.de 76

tagesschau 73

bild.de 64

n-tv.de 61

faz.net 60

handelsblatt.de 52

deutschlandfunk.de 45

rnd.de 38

SPD

TOP TEN

sueddeutsche.de

133

tagesspiegel.de 84

deutschlandfunk.de 66

tagesschau.de 64

welt.de 60

handelsblatt.de 56

zeit.de 49

rnd.de 40

faz.net 36

n-tv.de 35

Die Abgeordneten der Union verlinkten in ihren Tweets am häufigsten Onlineartikel des Springerblatts „Welt“. Die konservative „FAZ“ liegt mit 60 Artikel-Links aber nur auf Platz 7 der Medienmarken. Auf Platz zwei rangiert die Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“ mit 76 Verlinkungen und erfreut sich damit derselben Beliebtheit wie der „Spiegel“ (spiegel.de, spon.de). Bemerkenswert: 101 Verlinkungen auf die Video-„Instagram“ zeigen, dass Unionspolitiker auf neue Kommunikationswege aufmerksam machen wollen. Die etablierte Plattform „Youtube“ kommt nur auf 76 Links.

Bei den Sozialdemokraten bietet sich an der Spitze ein erwartetes Bild. Spitzenreiter ist die linke „Süddeutsche Zeitung“ mit 133 Artikelverlinkungen. Auch bei den Genossen liegt der „Tagesspiegel“ hoch im Kurs. Die Zeitung belegt mit 84 Links den zweiten Platz. Platz drei und vier gehen an die öffentlich-rechtlichen Marken „Deutschlandfunk“ und „Tagesschau“. Auch die SPD-Abgeordneten verlinken deutlich häufiger auf „Instagram“-Beiträge (258 Mal) als auf „Youtube“-Videos (100). Ansonsten steht die Webseite des Auswärtigen Amts mit 50 Links hoch im Kurs. Außenminister Heiko Maas (SPD) wird‘s freuen.

AFD

FDP

TOP TEN

welt.de

309

jungefreiheit.de 267

bild.de 244

focus.de 138

n-tv.de 130

spiegel.de 116

faz.net 100

tagesspiegel.de 83

tagesschau.de 70

t-online.de 56

Auch bei der AfD sind Artikel der „Welt“ populär. 309 Tweets der AfD-Fraktion verweisen auf die Webseite der Zeitung. Zweitbeliebtestes Blatt ist die rechte Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ mit 267 Links. Mit 244 Verlinkungen erzielt die „Bild“-Zeitung bei Tweets der AfD-Fraktion ihre höchste Platzierung. Der rechtskonservative Blog „Tichys Einblick“ schafft es mit 49 Verlinkungen nicht in die Top 10 der Medienmarken. Offenbar retweeten die AfD-Abgeordneten lieber den persönlichen Twitter-Account von Roland Tichy.

16

TOP TEN

welt.de

394

spiegel.de 254

faz.net 193

handelsblatt.de 173

tagesschau.de 165

bild.de 150

tagesspiegel.de 145

zeit.de 132

sueddeutsche.de 128

focus.de 111

Die Freidemokraten lieben die „Welt“. 394 Tweets von FDP-Abgeordneten verweisen auf Artikel des Blatts. Auf dem zweiten Platz folgt der Hamburger „Spiegel“, auf dem dritten die „FAZ“. Dass das „Handelsblatt“ mit 173 Artikel-Links bei den liberalen ihre beste Platzierung holt, ist keine Überraschung. Aber auch die „tagesschau“ schneidet bei der FDP noch respektabel ab. Bis auf Facebook und YouTube bestehen die Top 15 Internetadressen der FDP-Abgeordneten ausschließlich aus Medienmarken. Die Liberalen lesen offenbar gern.

politik & kommunikation


LINKE

spiegel.de

358

TOP TEN

sueddeutsche.de 199

tagesschau.de 184

tagesspiegel.de 125

taz.de 121

neues-deutschland.de 102

zeit.de 84

handelsblatt.de 79

welt.de 79

n-tv.de 74

GRÜNE

spiegel.de

269

Bei der Linksfraktion steht der „Spiegel“ mit 358-Artikellinks am höchsten im Kurs. Am zeithäufigsten verweisen Linkspolitiker auf die „Süddeutsche Zeitung“, gefolgt von der „Tagesschau“ und dem „Tagesspiegel“. Wenig überraschend ist der Erfolg der linken „taz“. Die sozialistische Tageszeitung „Neues Deutschland“ spielt nur bei den Linkenpolitikern eine Rolle. Auffällig ist, dass die linken Abgeordneten häufiger auf Inhalte der persönlichen Webseiten der Abgeordneten verlinken, am häufigsten auf die ulla-jelpke.de (75), andrej-hunko.de (53) und diether-dehm.de (36).

TOP TEN

sueddeutsche.de 192

tagesschau.de 144

handelsblatt.de 142

tagesspiegel.de 129

taz.de 125

zeit.de 123

welt.de 103

faz.net 102

rnd.de 61

Auch bei den Grünen wird der „Spiegel“ mit 269 Mal am häufigsten zitiert, gefolgt von der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Tagesschau“. Entgegen dem Vorurteil, Grüne interessierten sich nicht für Wirtschaft, steht das „Handelsblatt“ mit 142 verlinkten Artikeln auf dem vierten Platz. Dafür steht die linke „TAZ“ auf dem sechsten und die linksliberale „Zeit“ auf dem siebten Platz. Eine gelungene Sammelstelle für grüne Themen und Aussagen scheint gruene-bundestag.de zu sein. Auf Inhalte der Fraktionshomepage verlinken Grünen-Politiker 245 Mal.

HÄUFIG KOMMENTIERT – ABER NICHT IM BUNDESTAG SONSTIGE MEISTRETWEETETE UND KOMMENTIERTE TWITTER-ACCOUNTS

drumheadberlin

78

TOP TEN

_friedrichmerz 57

matthiasmeisner 51

dneuerer 50

polenz_r 48

markus_soeder 48

c_drosten 44

olafgersemann 40

regsprecher 39

rolandtichy 35

Natürlich sind die Bundestagsabgeordneten auf Twitter nicht unter sich. Auch Persönlichkeiten außerhalb des Parlaments aus Politik, Medien und Gesellschaft provozieren Zustimmung und Widerspruch. Der am häufigsten kommentiert retweetete Personen­ account ist „drumheadberlin“, besser bekannt als Bild-Politikredakteur Ralf Schuler. Auch Friedrich Merz, Kandidat auf den CDU-Vorsitz, sorgt von außerhalb des Bundestags immer wieder für Gesprächsstoff. Es folgen die Journalisten Matthias Meisner (Tagesspiegel) und Dietmar Neuerer (Handelsblatt). Mit Christian Drosten ist auch der bekannte Charité-Virologe mit von der Partie.

KONRAD GÖKE ist Leitender Redakteur von politik&kommunikation.

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DABEI SEIN IST ALLES? In Zeiten der Krise bietet die soziale Plattform INSTAGRAM Politikern große Chancen. Studienergebnisse zeigen: Politische Markenbildung könnte sogar Kandidaturen ermöglichen und Karrieren retten.

Late to the party

VON BENDIX HÜGELMANN

I

nstagram ist den politischen Kinderschuhen entwachsen. Nutzten zur Bundestagswahl 2017 noch nicht einmal die Hälfte der später gewählten Parlamentarier die Plattform, liegt die Nutzungsdichte der heute auf Instagram vertretenen MdBs schätzungsweise bei drei von vier. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf Landesebene. Auch zahlreiche Kommunalpolitiker haben die Plattform für sich entdeckt. Nur: Wieso eigentlich? Was kann Instagram, was etwa Facebook oder ein Newsletter nicht können? Was zeichnet ein erfolgreiches, politisches Instagram-Profil aus und wie gelingt eine ganzheitliche, strategische Integration des Kanals in den Kommunikationsmix von Politikern? Durch die Dominanz der Bildsprache verdichtet Instagram stärker als andere Social-Media-Plattformen das idealisierte Selbstbild, welches Instagram-Nutzer von sich konstruieren. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen, was Politiker auf der Plattform so tun, um ihre jeweilige Politik zu kommunizieren. Im Rahmen meiner Dissertation beforsche ich unter anderem die Nutzung von Instagram in der politischen Kommunikation. Mich interessiert dabei vor allem, wie sich Personalisierung und unmittelbare Wähleransprache auf die Herausbildung von Wahlentscheidungen und individuelle Verhaltensweisen auswirken. Dazu führe ich empirische und experimentielle Studien durch und werte unterschiedliche Statistiken aus.

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Bevor wir tiefer in die Materie und die Frage nach der Relevanz von Instagram für politische Akteure einsteigen, muss mit einer immer noch erstaunlich weit verbreiteten Fehleinschätzung aufgeräumt werden: Instagram ist – pardon – nicht der neue „heiße Scheiß“. Die Plattform feiert in 2020 zehnjähriges Jubiläum, 2018 erreichte Instagram die Marke von einer Milliarde Nutzern. Wenn Politiker nun also Instagram in den Kommunikationsmix integrieren, dann ist das weder innovativ noch originell, sondern allerhöchste Zeit. Die „anderen“ Mitspieler im Wettstreit um Aufmerksamkeit – Marken, Musiker, Sportler, Persönlichkeiten und natürlich Influencer – sind schon lange da und haben die Spielregeln für Erfolg auf der Plattform maßgeblich mitgestaltet. Die Plattform selbst erfreut sich dabei auch in ihrem zehnten Jahr großer Beliebtheit, insbesondere unter Millenials und der Generation X. Für all jene ist Instagram ein fester Bestandteil der Media-Diet. Das dort erlernte Konsumverhalten von medialen Inhalten prägt die Zielgruppe weit über den Einfluss der App hinaus. Es ist deshalb nur folgerichtig, sich als Politiker dort digital aufzuhalten, wo sich auch ein nennenswerter Anteil potenzieller Wähler tummelt. Genaue Zahlen für den deutschen Markt gibt die Facebook-Tochter zwar nicht heraus, Schätzungen belaufen sich auf 12 bis 15 Millionen Nutzer zwischen 16 und 39 Jahren. Angesichts knapper Mehrheitsverhältnisse im Sechs-Parteien-System eine nicht nur unter Mobilisierungsaspekten wichtige Zielgruppe. Doch dazu gleich mehr. Denn bevor mit Instagram gezielt mobilisiert werden kann, müssen die zu Mobilisierenden erst einmal erreicht bzw. angesprochen werden.

politik & kommunikation


MINISTERPRÄSIDENTEN: DURCHSCHNITTLICHES KANALWACHSTUM PRO TAG Zeitraum: 22.4.–22.5.

Durchschnittliches Wachstum pro Tag in %

Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg, regierung_bw) 1,17 Volker Bouffier (Hessen, regierunghessen) 1,10 Markus Söder (Bayern, markus.soeder) 0,68 Stephan Weil (Niedersachsen, stephan.weil) 0,56 Tobias Hans (Saarland, tobiashans) 0,54 Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern, manuelaschwesig) 0,52 Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz, ministerpraesidentin.rlp) 0,35 Michael Kretschmer (Sachsen, michaelkretschmer) 0,35 Peter Tschentscher (Hamburg, buergermeister.hamburg) 0,34 Daniel Günther (Schleswig-Holstein, mp.danielguenther) 0,34 Andreas Bovenschulte (Bremen, andreasbovenschulte) 0,34 Armin Laschet (NRW, armin_laschet) 0,30 Dietmar Woidke (Brandenburg, dietmarwoidke) 0,20 Michael Müller (Berlin, michaelmueller.berlin) 0,19 Bodo Ramelow (Thüringen, bodo.ramelow) 0,12 Krisenzeit ist Regierungszeit. Obwohl auf Instagram eher persönliche Kanäle Erfolg haben, konnten auch unpersönliche Regierungsaccounts unter dem Eindruck der Corona-Krise stark zulegen.

MINISTERPRÄSIDENTEN: AKTIVITÄT Zeitraum: 22.4.–22.5.

Nummer Posts

Michael Kretschmer (Sachsen, michaelkretschmer) 45 Markus Söder (Bayern, markus.soeder) 45 Stephan Weil (Niedersachsen, stephan.weil) 39 Peter Tschentscher (Hamburg, buergermeister.hamburg) 27 Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz, ministerpraesidentin.rlp) 24 Tobias Hans (Saarland, tobiashans) 21 Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern, manuelaschwesig) 20 Volker Bouffier (Hessen, regierunghessen) 19 Daniel Günther (Schleswig-Holstein, mp.danielguenther) 12 Armin Laschet (NRW, armin_laschet) 9 Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg, regierung_bw) 8 Michael Müller (Berlin, michaelmueller.berlin) 6 Bodo Ramelow (Thüringen, bodo.ramelow) 4 Andreas Bovenschulte (Bremen, andreasbovenschulte) 3 Dietmar Woidke (Brandenburg, dietmarwoidke) 2 Unter den Accounts der Ministerpräsidenten sind besonders aktive ebenso vertreten wie Karteileichen.

Bitte lächeln Daran hapert es im politischen Instagram in der Breite. Die Nutzungsdichte ist gestiegen, die qualitative Umsetzung aber geht oft an der Sache vorbei: verwaiste oder halbherzig gepflegte Profile, wie jenes von Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD), der

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wochenlang nichts postet, um auf dem Höhepunkt der Corona-Krise ein Glas Bienenhonig als Lebenszeichen in die Kamera zu halten. Dazu die immergleichen Bildund Textstanzen. „Gute Gespräche heute mit dem und dem“, „Im Wahlkreis unterwegs“, „Heute Bürgersprechstunde und jetzt bitte alle unbeholfen zum Gruppenfoto aufstellen“. Motiv: „Graues Sakko vor grauer Wand“.

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Welche Gesellschaft soll das abbilden, welche Botschaft soll das senden? Was wie eine rhetorische Frage klingt, zielt auf den Kern des Problems: Warum sollte sich jemand mit langweiligen politischen Nichtbotschaften auseinandersetzen, wenn nur einen Fingerstrich entfernt hochwertiger Premiumcontent zum Zeitvertreib lockt? Dieses Dilemma lässt sich bundesweit und parteiübergreifend beobachten. Profile werden halbherzig eingerichtet und inkonsistent und uninspiriert gepflegt. Oder noch schlimmer: irgendwann aufgegeben oder vergessen. Deutlicher kann man „Ich habe keinen Bock auf einen Teil meines Jobs“ kaum ausdrücken. Genau das ist die Pflege des Profils nämlich: Teil des Jobs, als Volksvertreter zielgruppengerecht über die politische Arbeit zu informieren.

Oder soll man es lassen? Dass die Umsetzung Schwierigkeiten bereiten kann, ist das eine. Und natürlich: Es ist nicht jedermanns Sache, sich digital so extrovertiert zu verhalten wie reichweitenstarke Influencer. Das gehört aber dazu – und etwas schlecht oder halbherzig zu machen, kann und darf nicht die Lösung für Defizite in der Kanalpflege sein. In diesem Fall sollte man es lieber lassen. Das hat aber schwerwiegende Konsequenzen, denn Instagram bietet aufgrund der relativ geschlossenen Erlebniswelt und der Unmittelbarkeit von Storys in Kombination mit einem konsistent kuratierten Feed ideale Tools für persönliche Markenbildung. In kaum einem anderen Format kann sich Politik so ungestört inszenieren und selbst erfinden wie bei Instagram. Ich meine das nicht verächtlich, sondern sehe hier eine zwingende Notwendigkeit, sich in der Vermittlung von Politik ein Stück weit der Realität aus Unterhaltung und Marketing zu stellen. Es gibt keinen logischen Grund, den Kanal halbherzig zu pflegen: Bei jedem Bild, das hochgeladen wird, handelt es sich um einen Akt der Inszenierung. Ob in Jogginghose auf der Couch oder staatstragend im Einsatz – beide Bilder sind gleich bewusst inszeniert. Insofern gibt es auch keine Rechtfertigung für halbherzig erstellte, langweilige Beiträge. Es sei denn, und das wäre tragisch, die Inhalte geben nichts anderes her.

Was funktioniert, was nicht? Auch für politische Profile gelten grundlegende Regeln, die über Erfolg oder Misserfolg in Social Media mitentscheiden: Profile und die dargebotenen Inhalte sind dann anschlussfähig, wenn die Kommunikation transparent, ehrlich, nachvollziehbar und regelmäßig stattfindet. Instagram lebt von der Illusion der Unmittelbarkeit. Insbesondere Instagram-Storys produzieren ein Gefühl von intimen Einblicken und eignen sich hervorragend für die Personalisierung von Politik. Instagram-Storys sind Bilder und kleine Videos, welche Nutzer in chronologischer Reihenfolge hoch-

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laden, und die nach 24 Stunden wieder verschwinden. Stories geben so einen als unmittelbar empfundenen Einblick in den Alltag des jeweiligen Nutzers. Das alles bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass nur noch Selfies vom Waldspaziergang hochgeladen werden dürfen. Im Gegenteil: Meine Studie zum Nutzungsverhalten von Spitzenkandidaten, Generalsekretären und Sprechern zur Bundestagswahl 2017 hat gezeigt, dass die Plattform in Kampagnen-Phasen deutlich politischer ist, als gemeinhin angenommen. Politisch heißt hier, dass in den Wochen vor der Bundestagswahl diejenigen Beiträge besonders starke Reaktionen hervorriefen, welche eine klare, politische Botschaft transportierten. Den Politikern stehen durch die Betonung der Bildebene unterschiedlichste Wege offen, sich als politische Personenmarke zu positionieren und entsprechend auszudrücken. Noch besser funktionierten übrigens Beiträge, die eine sichtbare Spitze in Richtung einer anderen Partei beinhalteten oder die ein besonderes Alleinstellungsmerkmal des Politikers hervorhoben. Was dies dann konkret für Bildsprache, Narrativ, Inszenierung usw. bedeutet, ist pauschal nicht zu beantworten, sondern hängt vom Naturell bzw. der Persönlichkeit des jeweiligen Politikers ab. Grundsätzlich sollte der Antrieb für das eigene Handeln sichtbar sein, um emotionale Anschlusspunkte zu ermöglichen. Stellt sich nun also die Frage: Wozu das Ganze? Unterm Strich geht’s doch um die Chancenmaximierung, Wähler zu mobilisieren. Wer sich nun die archimedische Formel für die perfekte Instagram-Kampagne erhofft, den muss ich enttäuschen. Zu viel Humbug wurde im Zuge des Cambridge-Analytica-Skandals über die vermeintliche Wirkungsmacht von Targeting und individuellem Verhalten geschrieben. Unabhängig davon ist jedoch eines ganz grundsätzlich festzuhalten: Die Verlagerung zahlreicher Aspekte des sozialen und alltäglichen Lebens in Richtung des Smartphones verändert die Art und Weise, wie Menschen Entscheidungen treffen. Dieser Prozess hat einen Einfluss auf individuelle Wahlentscheidungen und damit auf Mehrheitsverhältnisse. Wie Smartphone-gestützte Kommunikation individuelles Verhalten beeinflusst, habe ich am Beispiel Instagram untersucht.

Sind wir nur dressierte Affen? Der Zauber, den soziale Medien über Mobiltelefone auf uns ausüben, speist sich aus der menschlichen Natur. Und das geht so: Instagram-Inhalte werden fast ausschließlich auf dem Smartphone konsumiert. Studien aus der Verhaltens- und Suchtforschung zeigen, dass die gesteigerte Interaktionsdauer mit Handys nicht nur die kognitive Leistungsfähigkeit von Individuen schwächt, sondern auch die Art- und Weise verändert, wie Entscheidungen getroffen werden. Angesichts eines Überangebots von Informationen greifen Menschen auf sogenannte „Heuris-

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der Unsicherheit Entscheidungen zu treffen, wird durch das „Look & Feel“ von Instagram verstärkt. In einem Experiment, das ich im vergangenen Herbst an der Universität Hamburg durchgeführt habe, bewerteten Probanden eine fiktive, parteilose Bürgermeisterschaftskandidatin positiver, wenn sie Informationen auf einem Instagram-Profil verbreitete. Eine Kontrollgruppe erhielt dieselben Bilder und Textbausteine in klassischer Textform, der Informationsgehalt war identisch (siehe Abbildung links). Dennoch schrieb die Instagram-Gruppe der Fake-Politikerin unter anderem höhere Charisma-Werte sowie größere Kompetenz zu.

Print stadtmagazin

Dasselbe Bild: Eine Kandidatin, die sich auf einem Foto inszeniert, einmal publiziert als InstagramPost (oben), einmal in einem Zeitungsartikel (unten). Testpersonen reagierten auf den Instagram-Post der Kandidatin positiver.

Text: Stadtgespräch: tiken“ in Entscheidungssituationen zurück. Heuristiken BisherAbkürzungen war Sie als Ratsfrau im Hintergrund sind imeher Denken. Sie gleichen akute Inforaktiv. Doch nun greift Friederike Dostermann nach mationen mit Erfahrungen ab.Frau? Heraus kommen affektive dem Bürgermeisteramt. Wer ist diese Entscheidungen, die zwar sehr schnell und ohne großen kognitiven Aufwand getroffen werden, jedoch nicht auf Vernunft und Überlegung basieren. Da die kognitive Leistungsfähigkeit von Menschen begrenzt ist, steigt mit einer immer größeren Anzahl zu verarbeitender Informationen der Anteil affektiver Entscheidungen. Dies muss nicht zwangsläufig zu schlechteren Ergebnissen für den Menschen führen. Allerdings verändert das Wissen um diese Funktionsweise den Blickwinkel auf augenscheinlich irrationales politisches Verhalten.

Schema F wegen Überforderung Eine Heuristik leitet den Entscheidungsträger angesichts komplexer Situationen anhand bekannter Muster. Ob diese Muster dabei auf Wahrheit oder auf Unwahrheit basieren, macht für den Entscheidungsträger keinen Unterschied. So sind es oft die leichten Antworten auf komplexe Zusammenhänge, die die Entscheidungsheuristik substanziell beeinflussen. Dieser Mechanismus, sich am Bekannten zu orientieren, um unter Bedingungen-

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Skandalfest mit Profil Rational ist dieses Verhalten nicht, dafür konsistent: In einem weiteren Experiment sollten die Probanden ebenfalls eine fiktive, parteilose Bürgermeisterin in den Kategorien „Vertrauen“ und „allgemeine Zustimmung“ bewerten. Als Bewertungsgrundlage gab es wiederum entweder einen Zeitungsausschnitt oder den Screenshot eines Instagram-Posts, der bildlich und inhaltlich mit dem Artikel deckungsgleich war. Die Ausgangssituation war negativ. Demnach sah sich die Politikerin kurz nach ihrer Wahl mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitarbeiter unter Druck gesetzt und ausspioniert zu haben. Erwartungsgemäß schlug sich der negative Frame auf die Bewertung der Politikerin durch die Probanden nieder. Interessanterweise bewertete die Instagram-Gruppe die Skandalpolitikerin signifikant besser als die Vergleichsgruppe. Das Wissen um die Instagram-Präsenz war augenscheinlich ausreichend, um die negativen Auswirkungen der Mobbingaffäre ein Stück weit abzufangen. Anders ausgedrückt: Nicht nur der Instagram-Account als solcher und die Verabreichung entsprechender Informationen via Smartphone führte zu größerem Wohlwollen unter den Probanden. Es reichte das alleinige Wissen um die Existenz eines Instagram-Accounts. Angesichts der zunehmend engen Mehrheitsverhältnisse in Sechs-Parteien-Parlamenten wird die Bedeutung eines nachhaltig aufgebauten und konsistent gepflegten Instagram-Profils gesteigert und wird künftig das eine oder andere Prozent herauskitzeln können.

Political Influencers So weit die Theorie. Schauen wir nun, wie sich die Landesfürsten in den vergangenen Wochen bei Instagram geschlagen haben. Hierzu habe ich ein Tool aufgesetzt, das aus Instagram-Profilen beliebig viele Datenpunkte ausliest, um diese für weiterführende statische Analysen verfügbar zu machen. So lassen sich informierte Aussagen darüber treffen, wie Tonalität, Bildsprache und Themensetzung auf die Community wirken.

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Der Leitsatz „Krisenzeit ist Regierungszeit“ gilt natürlich auch bei Instagram. Insofern ist das Wachstum als Indikator für neu gewonnenes Interesse an Regierungsoberhäuptern eine interessante Kennzahl. Nach knapp vier Wochen der Beobachtung zeichnen sich im Nutzungsverhalten der Ministerpräsidenten drei Gruppen ab: Erstens: Die progressiven Anwender. Regelmäßige Posts, handwerklich gute Umsetzung, klares Narrativ. Belohnt werden diese Accounts mit relativ stabilem Wachstum und Engagement. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wäre hier als Beispiel zu nennen oder auch Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU). Beide Accounts zeichnet eine zuverlässige Kanalpflege aus, das Profil von Söder ist dabei jedoch noch zielsicherer in der Anwendung unterschiedlicher Formate und einer abwechslungsreichen und dennoch konsistenten Bildsprache. Private Beiträge, wie etwa der Post zum Muttertag, an dem Söder den Quatsch-Feiertag mit einer bewegenden Geschichte über den Verlust der eigenen Mutter emotional anschlussfähig macht und so aus dem Gruselkabinett der kitschigen Feiertagsbildchen herausbricht, zählen zu den stärksten Momenten des Profils. Zweitens gibt es die Inbetweeners: Diese Kanäle sind nicht wirklich groß, nicht wirklich klein und auch sonst etwas unbeständig in Bildsprache und Konzeption. Hier wären unter anderem Daniel Günther (CDU), Peter Tschentscher (SPD) oder Stephan Weil (SPD), die Regierungschefs in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, einzusortieren. Diese Profile schwanken teils stark in der Nutzungsintensität und senden so eine ungenaue Botschaft an potenzielle Follower. Lohnt sich die Beschäftigung mit dem Content, wenn nur unregelmäßig und mitunter handwerklich unsauber geliefert wird? Die Community quittiert diesen Wankelmut mit ebenso schwankenden Interaktions- und Wachstumsraten. Daraus ergibt sich auf Seiten des Profilinhabers eine unklare Entscheidungsgrundlage für die zukünftige Kanalpflege.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) rührte viele Nutzer mit einer sehr persönlichen Geschichte über den frühen Tod seiner Mutter.

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Gar nicht bienenfleißig: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) postete in einem Monat zwei Mal.

Drittens haben wir die Schläfer, also Profile die existieren – und das war’s dann auch schon. Beispiele wären hier das Profil von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) oder Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). Hier passiert weitestgehend gar nichts. Warum die Accounts gepflegt werden, wissen die verantwortlichen Teams wahrscheinlich selbst auch nicht so genau. Zumindest liegt dieser Verdacht nahe, wenn der Account eines Landesregierungschefs sichtbar brach liegt. In Krisenzeiten ein unschönes Signal was die Frage nahelegt: Bleiben oder gehen? Potentielle Follower entscheiden dies entsprechend sichtbar und ziehen weiter. An Alternativen mangelt es ja nicht.

Aus der Krise profitiert? Einen deutlichen Zusammenhang zwischen Kanalpflege und Wachstum gibt es auch in Krisenzeiten nicht. Ebenso wenig wie ein Patentrezept: „Posten Sie jeden Tag ein Bild und fügen Sie in die Beschreibung drei Hashtags und einen Smiley ein.“ So einfach ist es nicht. Zwei Dinge gehen aus Langzeitbeobachtungen klar hervor: Erstens gibt es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Engagement Rate (zum Beispiel Likes, Kommentare, Aufrufe) und dem Kanalwachstum. Dies stützt die oben beschriebene Beobachtung, wonach „guter“ Content, also Inhalte, mit welchen die Zielgruppe gern interagiert über Word-of-Mouth oder ähnliche Distributionswege, Aufmerksamkeit auf das Profil zieht. Zweitens zeigt sich immer wieder, dass Instagram-Kanäle im Kontext von für den Profilinhaber relevanten Medienereignissen besonders stark wachsen. Beispiel: Das Profil von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wuchs im Zuge der bundesweiten Aufmerksamkeit ob der umfangreichen Corona-Lockerungen in seinem Bundesland im Beobachtungszeitraum am stärksten (siehe Grafik).

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VERGLEICH: WACHSTUM DES INSTAGRAMPROFILS VON ARMIN LASCHET   Wachstum Instagram-Profil armin_laschet (in %)   Google Trends „Armin Laschet“, bundesweit 120

1,60

Google Trends „Corona Lockerungen“, bundesweit   Google Trends „Corona-Lockerungen“, NRW

1,40

Google Trends „Corona“, bundesweit

100

Google Trends

1,00 0,80

60

0,60

40

Profilwachstum in %

1,20 80

0,40 20

0,20 0,00 20.05.20

19.05.20

18.05.20

17.05.20

16.05.20

15.05.20

14.05.20

13.05.20

12.05.20

11.05.20

10.05.20

09.05.20

08.05.20

07.05.20

06.05.20

05.05.20

04.05.20

03.05.20

02.05.20

01.05.20

30.04.20

29.04.20

28.04.20

27.04.20

26.04.20

25.04.20

24.04.20

23.04.20

22.04.20

0

Der Vergleich zeigt: Das Instagram-Profil von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gewann deutlich an Followern, als Menschen auf Google aufgrund aktueller Ereignisse in der Corona-Politik seinen Namen googelten und sein Instagram-Konto fanden.

Online-Profile entscheiden über Kandidaturen – und Siege Instagram ist im PR-Theater von Politikern bestens für eine Anschlusskommunikation mit potenziellen Unterstützern geeignet. Der Funnel auf Wählerseite wäre dann wie folgt: Ein Medienereignis initiiert Interesse an einem Politiker. Menschen geben den Namen in die Suchmaske bei Instagram ein. Der erste Berührungspunkt zwischen eigenen Inhalten und einem potentiellen Unterstützer entsteht. Umso schlimmer also, wenn der Nutzer gähnende Langeweile oder nur ein Honigglas vorfindet. Die Daten aus dem MP-Monitoring sind diesbezüglich eindeutig. Wachstum geht mit allgemeinem Interesse einher. Langweilt der Account, wird er es deutlich schwerer haben, sich den neuen Followern nachhaltig attraktiv zu präsentieren. Überhaupt Nachhaltigkeit: Ich erlebe in meiner Arbeit häufig, dass insbesondere Politiker, die sich das erste Mal um ein politisches Amt bewerben, große Schwierigkeit damit haben, kommunikativ den Wandel vom Privatmenschen hin zur öffentlichen Figur zu vollziehen. Nun könnte man an dieser Stelle trefflich darüber streiten, ob eine Unterteilung in öffentliche und private Person adäquat ist. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass sich durch die Unmittelbarkeit sozialer Medien das Anforderungsprofil an Nachwuchspolitiker nicht nur wandelt, sondern in Teilen auch eine Katalysatorwirkung entfaltet, die

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entscheidet, wer sich um ein Amt bewirbt und am Ende auch Siegchancen hat. Nachwuchspolitikerinnen wie Lilly Blaudszun (SPD) verschmelzen bereits heute Unileben, Lokalkolorit und Privates mit politischen Positionen und werden so anschlussfähig für Menschen, die sich eher wenig oder höchstens aus Unterhaltungszwecken für Politik interessieren. Egal wie groß oder klein diese Zielgruppe aus der Sicht des Wahlkämpfers eingeschätzt wird: Stimme ist Stimme. Ob diese von einem 20-jährigen, politisch wenig interessierten Studenten oder einer Zeit-Abonnentin mittleren Alters aus Eimsbüttel stammt, interessiert spätestens am Wahlabend niemanden mehr.

BENDIX HÜGELMANN Bendix Hügelmann ist Strategieberater und promoviert in Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Er forscht zur Wirkung von digitaler Kommunikation auf individuelles Verhalten. Blog: „http://politicalinfluencers.de“. Twitter: @liquid_wording

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DIE WELT AUF DEN ­STRASSEN Für Monate hat das Coronavirus die Straßen leergefegt. Dann protestierten Verschwörungstheoretiker in Deutschland und den USA gegen die Coronamaßnahmen. Seit dem gewaltsamen Tod des Afro-Amerikaners George Floyd bei einer Festnahme haben Demonstrationen gegen Rassismus die Straßen und Plätze an vielen Orten erobert. Und auch in Hongkong gibt es wieder PROTESTE.

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In Richmond (Virginia) wird ein Bild es getöteten George Floyd auf eine Reiterstatue des Bürgerkriegsgenerals Robert E. Lee projiziert. Lee war ein Anführer der Könföderierten Staaten, die für die Beibehaltung der Sklaverei kämpften. Virginias Gouverneur Ralph Northam hat angeordnet, die Statue zu entfernen.

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In Los Angeles reicht Polizeichef Michel Moore einer Demonstrantin seine Hand, während er niederkniet. „Taking a knee“ ist ein Symbol für die Protestbewegung geworden, seit der Football-Star Colin Kaepernick bei Spielen während der US-Hymne demonstrativ kniete, um auf den grassierenden Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft hinzuweisen.

Bewohner eines Hauses in Paris reißen ein Plakat vom Dach, das die rechtsextreme Identitäre Bewegung dort ausgerollt hatte, um Teilnehmer einer Demonstration gegen Rassismus auf der Place de la République zu provozieren.

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Israelische und arabische Frauen protestieren am 18. Juni in Tel Aviv gegen die geplante Annexion der Jordantals durch Israel. Die Annexion und Besiedelung des Jordantals soll im Einklang dem US-Nahostplan geschehen.

Eine Familie protestiert in Köln gegen die Coronamaßnahmen. Mit seiner Aufmachung vergleicht der Vater die Infektionsschutzmaßnahmen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten in Konzentrationslagern. Die sogenannten „Hygiene-Demos“ sind oftmals Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker.

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Der Demonstrant Patrick Hutchinson trug einen verletzten Gegenprotestler während einer Black-Lives-Matter-Demonstration nahe WaterlooStation in London aus dem Gedränge. Die Öffentlichkeit feierte ihn für seine Menschlichkeit

In Paris eskalierte im Juni eine Demonstration für die Verbesserung der Arbeitsumstände des Gesundheitspersonals auf der Invalides esplanade.

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politik & kommunikation


Die Antirassismus-Demonstration am 6. Juni auf dem Berliner Alexanderplatz machte Schlagzeilen, weil bis zu 15.000 Menschen sich versammelten, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Die fehlenden Sicherheitsabstände während der Coronapandemie sorgen auch für Kritik.

In der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu wurden Demonstranten am 19. Juni mit Wasserwerfern beschossen. Sie demonstrierten vor der Residenz des Ministerpräsidenten Khadga Prasad Oli gegen das Krisenmanagement der Regierung während der Pandemie.

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Die Menschenkette in Berlin gegen Rassismus am 14. Juni erstreckte sich vom Brandenburger Tor bis zum Hermannplatz.

In Hongkong wurde wieder gegen China demonstriert. ProDemokratie-Protestiernde hielten ihre Mobiltelefone mit eingeschaltetem Licht hoch und sangen die Nationalhymne.

Insgesamt war die Menschenkette in Berlin neun Kilometer lang. Veranstaltet wurde sie von einem Bündnis aus 130 Initiativen und Gruppen.

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politik & kommunikation


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VORSICHT, SPRACHPOLIZEI? Weil einige den „RASSE“-BEGRIFF aus dem Grundgesetz streichen wollen, wittern andere übertriebene Sprachregelungen. Damit verkennen sie die Macht der Sprache

VON ANNE HUNING

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rtikel 3 Absatz 3 des Grundgesetztes lautet: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Soweit so gut. Oder vielleicht doch nicht? Mitte Juni ist ein Streit darüber entbrannt, ob der Begriff „Rasse“ in eben jenem Grundgesetz stehen bleiben kann. Die Forderungen reichen von alternativen Formulierungen bis zur ersatzlosen Streichung des Begriffs. Hintergrund der Debatte ist die auch hierzulande geführte Diskussion um strukturelle Diskriminierung von Menschen mit dunklerer Hautfarbe. Ihren Anfang nahm sie in den USA nach dem Tod des Afro-Amerikaners George Floyd im Rahmen einer Festnahme durch einen weißen Polizisten. Trotz dieses sehr konkreten Hintergrunds ist der Streit für manche die erste Sommerloch-Diskussion. Anstatt sich über Symbolpolitik zu profilieren, wolle man selbst lieber gegen den eigentlichen Missstand vorgehen. Denn: Ein Wort zu streichen oder es durch ein anderes zu ersetzen, ändere nichts an der grundlegenden Problematik.

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Überflüssige Debatte? Andere sehen sich gar mal wieder zu Unrecht von der „Sprachpolizei“ verfolgt. Die aktuelle Diskussion ist für sie nur ein weiteres Zeichen dafür, dass der offene gesellschaftliche Diskurs unter dem Druck politischer Korrektheit zum Erliegen kommt. Für beide genannten Gruppen ist die Debatte also überflüssig oder sogar schädlich. Für die Befürworter der Grundgesetzänderung ist sie hingegen grundsätzlicher Natur und längst überfällig. Dabei betonten diese Befürworter zweierlei. Zum einen sei der Begriff der „Rasse“ schlicht und ergreifend falsch. Es gebe keine menschlichen Rassen, sage die Biologie. Deshalb habe der Begriff auch nichts im Grundgesetz zu suchen. So naturwissenschaftlich, so einfach. Doch das ist nicht alles, denn viel wichtiger noch ist der zweite Teil der Begründung. Das Wort „Rasse“ sei nicht neutral – wie überhaupt kaum ein Wort in unserer oder jeder anderen Sprache der Welt.

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Mit dem Vorwurf der Sprachpolizei wird oftmals versucht, Begriffsdebatten abzuwürgen.

Sprache erzeugt Bilder Und damit haben sie absolut Recht. Sprache erzeugt Bilder, das ist unbestritten. Der Klassiker: Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten. Was sehen Sie in Ihrem Kopf? Genau. Die Verbindung zwischen dem geschriebenen Wort und dem Bild in unseren Gedanken, das erzeugt wird, ist hier offensichtlich. Wir sind uns der Manipulation in diesem Augenblick auch sehr bewusst. Und: Das Bild des rosa Elefanten ist harmlos. Es verleitet uns höchstens zum Kauf eines eher geschmacklosen Geschenks für den nächsten Kindergeburtstag. Doch Sprache kann noch deutlich mehr – und das häufig unbemerkt und mit nicht ganz so harmlosen Effekten. Formulierungen können unterschiedliche Emotionen auslösen. Wenn der deutsche Bundesfinanzminister davon spricht, die Bazooka herauszuholen, um Deutschlands Wirtschaft zu retten, dann tut er dies nicht, weil er uns zum Waffenkauf animieren möchte. Er will Emotionen und Reaktionen bei uns wecken. Wenn die Bundesregierung die Waffen herausholt, dann sind wir im Krieg – und das erzeugt Angst, aber auch das Gefühl von Zusammenhalt in Anbetracht eines gemeinsamen Gegners. Die eine Hälfte von uns sucht Schutz und stellt sich hinter die

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Regierung. Die andere will kämpfen und stellt sich daneben. Ob man sich nun hinter oder neben die Regierung stellt – man steht zu ihr.

Sprache macht (un)sichtbar Sprache kann darüber hinaus sehr subtil bewerten. Es gibt Arbeitnehmer und Arbeitgeber. In dieser kurzen Feststellung steckt bereits eine Wertung. Es gibt die, die nehmen und die, die geben – und ist Geben nicht so viel seliger als Nehmen? Würde man von Arbeitnehmern als Leistungserbringern und von Arbeitgebern als Leistungsnehmern sprechen, sähe das schon ganz anders aus. Sprache kann sichtbar, aber natürlich auch unsichtbar machen. Wir nehmen an, dass das, was benannt wird, auch existiert. Folglich ist das, was keine Bezeichnung hat, nicht Teil unserer Welt. Denken wir an das deutsche Wort Geschlecht. Es gibt ein Wort, entsprechend muss es sich um ein Merkmal handeln. Im Englischen gibt es hingegen zwei Begriffe, sex und gender. Dass diese zwei Dinge, nämlich sex als biologisches und gender als soziales Geschlecht getrennt zu betrachten sind – weil gegebenenfalls unterschiedlich in der Ausprägung – ist uns erst einmal sprachlich im Deutschen nicht gegeben. Das

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macht dann aber auch den notwendigen Diskurs darüber wesentlich schwieriger. Dass Sprache all dies kann – Bilder erzeugen, bewerten, unsichtbar machen – ist nicht neu. Seit längerer Zeit ist dafür der Begriff des „Framings“ aus den USA nach Deutschland vorgedrungen und hat sich nicht nur in der Wissenschaft und der Kommunikationsbranche, sondern auch im gesellschaftlichen Diskurs etabliert.

Wir sollten selbst sehr bewusst mit unserer Sprache und den darin versteckten Botschaften umgehen.

Framing Framing heißt übersetzt Einrahmung und bedeutet im aktuellen Zusammenhang das Einbetten von Sachverhalten oder Themen in bestimmte Deutungsmuster. Diese Muster bestehen aus Assoziationen, die durch die Nennung eines Begriffs oder eines Wortes beim anderen automatisch hervorgerufen werden. Durch die Verwendung bestimmter Begriffe oder die Einbettung in bestimmte sprachliche Kontexte werden Assoziationen miteinander verknüpft und Assoziationsmuster entstehen, die sich verstärken, je öfter sie genutzt werden. Sie legen Gedankenbahnen in unserem Kopf an, über die neue Eindrücke zukünftig gelenkt werden. Das alles passiert fast immer, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns einmal näher anschauen, wie es sich mit dem „Rasse“-Begriff verhält. Welche Assoziationsmuster werden aktiviert und in der Folge verstärkt, wenn wir dieses Wort hören?

„Rasse“ meint nicht die Weißen An dieser Stelle sei angemerkt: Das hier ist ein persönlicher Meinungsbeitrag. Deshalb erfolgt nun keine wissenschaftliche Analyse, sondern lediglich das Ergebnis einer Selbstreflexion. Wenn ich den Begriff „Rasse“ höre, denke ich zunächst an Folgendes: Tiere. Das macht Sinn, denn im Tierreich ist der Begriff korrekt verortet. Wofür stehen Tiere? Zunächst einmal sind sie keine Menschen. Sie sind (zumeist) weniger intelligent, agieren auf der Grundlage von Instinkten und Trieben. Sie sind wild und in bestimmten Situationen aggressiv. Sie sind unzivilisiert. Und am Ende finden die meisten Menschen, dass ein Tierleben weniger wert ist als ein Menschenleben. Andere mögen bei dem Begriff direkt an seine historische Dimension und die menschenverachtende Rassenlehre der Nationalsozialisten denken. Dies sind aber sicherlich nicht alle und selbst dann wird hierdurch die von den Nazis gemachte Unterscheidung fortgetragen und in gewisser Weise zementiert. Gehen wir nun aber wieder einen Schritt zurück. Als das Wort „Rasse“ in das Grundgesetz eingefügt wurde, nahm es die unter der Nazi-Herrschaft verfolgten Bevöl-

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kerungsgruppen in den Fokus. Heutzutage tritt vor allem die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe in den Vordergrund. Das bezieht sich theoretisch erst einmal auf alle Hautfarben, auch auf die weiße. In der Praxis jedoch ist uns allen klar, dass damit nicht die Masse der weißen Menschen gemeint ist, denn diese werden in Deutschland und weltweit eher selten aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert. Es geht um Menschen mit dunklerer Hautfarbe und genau an diese denken wir, wenn wir heute den Satz im Grundgesetz lesen. Auch das gehört in mein Deutungsmuster für den Begriff, der stets auch vom Kontext bestimmt wird.

Kritisch hinterfragen Addieren wir nun beide Assoziationen, wird deutlich, wo die Reise hingeht. Und genau deshalb ist es so wichtig, Sprache stets zu reflektieren – nicht nur in besonderen Situationen, sondern auch im Alltag. Man kann Begriffe und Formulierungen auf diese Art enttarnen und damit auch die Muster, die sie in uns auslösen. Aber sind wir immer so wachsam? Ich bezweifle es. Deshalb ist es richtig und wichtig, Formulierungen zu entfernen, die menschenverachtende Assoziationsmuster hervorrufen und verfestigen. Dazu gehört auch der Begriff der „Rasse“, wenn er im Zusammenhang mit Menschen genannt wird. Doch damit ist es noch nicht getan. Allein an Artikel 3 Absatz 3 unseres Grundgesetzes gäbe es noch einiges kritisch zu hinterfragen: Wo ist zum Beispiel ein Wort darüber, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität diskriminiert werden darf? Übrigens wird hier aus guten Gründen der Begriff Identität und nicht der geläufigere der Orientierung verwendet – denn bei zweitem wird unterstellt, sie wäre bewusst gewählt. Wir sehen, es gibt viel zu tun für unseren Gesetzgeber. Gleichzeitig entbinden uns Änderungen des Gesetzgebers nicht von der Aufgabe, jeden Tag kritisch zu hinterfragen, was wir lesen, sehen, hören und was das in uns auslöst. Und umgekehrt sollten wir selbst sehr bewusst mit unserer Sprache und den darin versteckten Botschaften umgehen. Die aktuelle Diskussion weckt auf und sensibilisiert uns. So werden wir hoffentlich alle zu kleinen „Sprachpolizisten“.

ANNE HUNING ist Direktorin für Presse und Kommunikation bei einem Interessenverband. Dieser Beitrag gibt allein ihre persönliche Ansicht wieder.

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„TRUMP IST DER ELEFANT, DER DAS PORZELLAN FÜR DICH ­ZERBRICHT“ INTERVIEW Im November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Der Kampagnenberater Julius van de Laar erklärt im p&k‑Interview, wie der demokratische Herausforderer Joe Biden gegen den Amtsbonus von Donald Trump ankommt und warum es trotz des schlechten Krisenmanagements des USPräsidenten immer noch Wähler gibt, die ihm die Stange halten INTERVIEW CAROLIN SACHSE-HENNINGER

JULIUS VAN DE LAAR ist Kampagnen- und Strategieberater. Im US-Wahlkampf 2012 leitete er für Barack Obama den Bereich Wählermobilisierung im Bundesstaat Ohio.

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Herr van de Laar, Sie haben 2008 Wahlkampf für Barack Obama gemacht, der damals die Hoff‑ nung symbolisierte, Menschen vereinen und einen Politikwechsel herbeiführen zu können. Dasselbe wünschen sich viele Menschen jetzt wieder. Ist Joe Biden der Hoffnungsträger 2020? Die Hälfte aller Amerikaner glaubt, Biden könne die Nation wieder zusammenbringen. Und es ist meine persönliche Hoffnung, dass er diese Präsidentschaftswahl gewinnt. Aber es wartet viel Arbeit auf ihn. Das Land ist gespalten wie nie zuvor. Es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände in den Großstädten, die Wirtschaft liegt mit mehr als 40 Millionen Arbeitslosen brach und hinzu kommen bald 200.000 Todesopfer durch die Corona-Pandemie. Zudem hat er Donald Trump zum Gegner, der, selbst wenn er die Wahl verliert, alles daransetzen wird, Biden zum Scheitern zu bringen und das Land weiter zu spalten. Trump konnte lange Zeit auf die gute wirt‑ schaftliche Entwicklung pochen. Was bedeutet der jüngste Einbruch für ihn? „Make America Great Again“ war sein Slogan. Und der Wirtschaft ging es gut, der Aktienmarkt boomte. Die Arbeitslosenquote betrug weniger als drei Prozent – die Arbeitslosenzahlen waren die niedrigsten seit 50 Jahren! Wäre es dabei geblieben, wäre Trump heute fast unbesiegbar. In den vergangenen 70 Jahren ist noch jeder Präsident wiedergewählt worden, wenn die Wirtschaft gut lief. Aber jetzt befindet sie sich in freiem Fall. Und Joe Biden hat plötzlich eine Chance. Die Corona-Krise verschaffte Biden aber zunächst einen Nachteil. Statt durch das Land

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US-Präsident Donald Trump irritiert fast täg‑ lich mit errati‑ schen Presse‑ konferenzen und öffentlichen Auf‑ tritten.

Corona-Nachteil: Herausforderer Joe Biden hatte in den vergange‑ nen Wochen nur Auftritte aus sei‑ nem Keller her‑ aus. Hier spricht er per Video mit dem Comedian und Moderator Trevor Noah.

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zu ziehen und Menschen zu treffen, ging er wortwörtlich unter: Er sendete Videobotschaf‑ ten von seinem Keller aus. Das ist richtig. Er hat verantwortungsvoll gehandelt, indem er schon früh auf Großveranstaltungen verzichtete. Aber er hat natürlich nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die Trump qua Amtes erfahren hat. Wenn der Präsident zu Hochzeiten der Pandemie das nationale Corona-Briefing gibt, dann steht er im Fokus der Öffentlichkeit. Gegen die Bully Pulpit, die „Macht der Kanzel“, von der der Präsident zum Volk spricht, kommt Biden nicht an. Welche Mittel hat Joe Biden denn, um in Social-­Distancing-Zeiten Nähe zu seinen Wäh‑ ler zu schaffen? Zum einen müsste Biden eine deutliche Antwort artikulieren auf die Frage, wie Amerika wieder aus der Krise herauskommt. Zum anderen könnte er deutlich mehr in die Macht von Beziehungen investieren. Relational Organizing ist der Supertrend im Wahljahr 2020. Schon im Obama-Wahlkampf 2008 haben Daten eine Rolle gespielt, aber nie waren so viele Daten von Unterstützer verfügbar wie heute. Die Trump-App macht es vor: Sie schickt gezielt Botschaften an alle Kontakte, die Trump-Unterstützer im Handy oder im E-Mail-Postfach haben, insbesondere in den Swing States. Wobei Trump da sicher einen nicht unerhebli‑ chen Vorsprung hat, weil er seine Kandidatur bereits vor drei Jahren verkündet hatte. Das ist richtig. Trump hat in allem einen gigantischen Vorsprung: Er hat mehr Daten, mehr Reichweite und mehr Geld. Und er hatte während seines Wahlkampfes eine Krise zu managen, normalerweise ist das ein Geschenk für einen Staatsmann – denken Sie daran, wie Gerhard Schröder beim Oderbruch oder Obama beim Hurrikan Sandy den Menschen vor Ort beigestanden und ihre Hilfe angeboten

haben. Davon war bei Trump in der Corona-­Krise allerdings nichts zu spüren, im Gegenteil, er hat die Pandemie lange heruntergespielt. Welche thematische Agenda sollte Biden ver‑ folgen, auch hinsichtlich der Wähler, die Hillary Clinton zuvor nicht überzeugen konnte? Aus Bidens Sicht muss diese Wahl ein Referendum über Donald Trump werden. Er sollte aufzeigen, wie katastrophal Trump die Krise gemanagt hat, indem er klar die Verluste benennt, an Menschenleben und Kosten für die Wirtschaft. Er muss deutlich machen: Die Zukunft ist heute düsterer als vor vier Jahren. Und sein ursprüngliches Narrativ von der „soul of the nation“, Amerika habe seine Seele, sein Wertegerüst verloren, muss er fortführen. Wenn ein Präsident den Vorhof des Weißen Hauses mit Gummigeschossen und Pfefferspray für sich räumen lässt, nur um die Bibel für einen Fototermin hochhalten zu können (siehe Bild unten), dann hat das nichts mehr mit dem Wertesystem zu tun, für das Amerika einmal stand. Gleichzeitig muss Biden eine Vision bieten. Diese Krise eröffnet die Chance, das Land neu aufzustellen: Wenn wir schon massiv investieren müssen, um den Aufschwung zu schaffen, dann können wir die Wirtschaft gleich fairer und die Ökologie nachhaltiger machen. Diese Chance gibt es mit Trump nicht. Trump gibt sich gern martialisch: als „Kriegs‑ präsident“ gegen das Virus, als „Law-and-Or‑ der“-Präsident gegen die Protestanten der #BlackLivesMatter-Bewegung. Funktioniert diese Inszenierung noch? Seine Popularität ist zuletzt stark gesunken. Es stimmt, seine Zustimmungswerte sind mit 40 Prozent so niedrig wie nie zuvor in seiner Amtszeit. Die Leute sind unzufrieden, sie spüren die Krise. Vor allem bei den Wählern ab 65 Jahren hat Trump zuletzt Stimmen ver-

„ Trump hat in allem einen gigantischen Vorspring: Er hat mehr Daten, mehr Reichweite und mehr Geld.“

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„Es hilft Joe Biden immens, dass er acht Jahre lang Vizepräsident von Barack Obama war.“

loren. Aber der harte Kern von Trumps Wählerschaft – 40 Prozent der Wähler – reicht erst einmal aus, da es ja nur auf die 270 Wahlmänner in den „Battleground“-Staaten ankommt. Trump bemüht eine Base-plus-Strategie: Er will zu seiner Basis noch ein paar Stimmen hinzugewinnen. Sein Kalkül ist es, die vielen Trump-Sympathisanten anzusprechen, die 2016 nicht wählen gegangen sind. Also dreht er den Pegel noch weiter auf mit der Botschaft, die für diese Zielgruppe ohnehin schon funktioniert. Wenn er sich wie vor einigen Tagen mit Afroamerikanern zu einem Round Table zusammensetzt, dann nur, damit ihm nicht so viele moderate Wähler abspringen. Auch für Biden kommt es auf die Swing Sta‑ tes an. Wie stehen die Chancen, dass er sie zurückgewinnt? Es wird sehr knapp werden. Im Moment hätte Trump keine Chance. Wenn er aber seine älteren Wähler zurückgewinnen kann, wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Vor allem in North Carolina sollte Biden Ressourcen investieren, denn dieser Staat ist nicht nur bedeutsam für die Präsidentschaftswahlen, sondern auch für die Wahlen zum Senat, in dem es zurzeit eine knappe republikanische Mehrheit gibt. Biden genießt große Unterstützung unter Afro‑ amerikanern. Inwieweit werden diese systema‑ tisch an der Stimmabgabe gehindert?

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In republikanisch geführten Bundesstaaten ist die Infrastruktur in prädominant afroamerikanisch bewohnten Bezirken mitunter ungenügend. In Georgia beispielsweise funktionierten Anfang Juni Wahlmaschinen nicht und es waren keine Wahlhelfer vor Ort, sodass die Leute in gigantischen Schlangen teils acht und mehr Stunden warten mussten. In anderen Staaten kann man zur Identifikation seinen Waffenschein zu den Wahlen mitbringen, wovon aber mehr Weiße als Afroamerikaner profitieren. Das Gleiche gilt für den Führerschein oder andere Dokumente, die Minoritäten häufig nicht besitzen. Wie verschafft sich Biden, ein Mann des Estab‑ lishments, Glaubwürdigkeit bei seinen schwar‑ zen Wählern? Es hilft Joe Biden immens, dass er acht Jahre lang der Vizepräsident von Barack Obama war und sein vollstes Vertrauen genossen hat. Zudem hat er sich ein Leben lang für die afroamerikanische Community eingesetzt. Gerade jetzt, nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd, kommt ihm auch seine Empathie zugute. Ein Signal könnte er zudem mit seiner Vize-Präsidentschaftskandidatin senden – er hat ja bereits gesagt, dass es eine Frau werden wird. Stacey Abrams oder Kamala Harris kämen als Afroamerikanerinnen mit starker Stimme und Präsenz infrage. Da Biden sich selbst nur als „Transition President“ sieht, kommt der Vizepräsidentin auf jeden Fall größeres Gewicht zu. Trump genießt große Sympathiewerte bei sei‑ nen Wähler. Biden wird vor allem von Jünge‑ ren lediglich als Option gesehen, Trump abzu‑ wählen. Wie kann Biden junge Wähler von sich überzeugen? Die Frage ist: Warum mögen die Leute Trump? So perfide es klingen mag: Er ist einfach authentisch. Er ist der Elefant im Porzellanladen, der das Porzellan aber für dich zerbricht. Dieses Gefühl hatte man bei Hillary Clinton nicht. Und auch nicht bei Biden, der seit 40 Jahren in der Politik ist. Er müsste jetzt zeigen, dass er für die Leute da ist, dass er von morgens bis abends daran arbeitet, ihr Leben besser zu machen. Und er könnte sich prominente Unterstützung holen: Oprah Winfrey, Lady Gaga oder Jimmy Fallon zu seinen Videoschalten einladen und mit ihnen witzigen Content produzieren. Fünf Monate hat er noch Zeit dafür – vor fünf Monaten kannte niemand das Coronavirus. Es ist also alles möglich.

CAROLIN SACHSE-HENNINGER ist Redakteurin des Magazins pressesprecher.

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KUHHANDEL IN ­CORONA-ZEITEN INTERVIEW Zum 1. Juli übernimmt Deutschland die EURatspräsidentschaft. Ex‑Außenminister Joschka Fischer erklärt im Telefongespräch mit p&k, was Videokonferenzen, Abstandsregeln und Kontaktbegrenzungen für Diplomatie und Außenpolitik bedeuten, und hofft, dass sich Europa unter dem Eindruck der Krise zusammenrauft

INTERVIEW KONRAD GÖKE

Herr Fischer, welche Rolle spielen die europäischen Institutionen momentan bei der Bekämpfung der Corona-Krise? Die Gesundheitspolitik ist ja nicht vergemeinschaftet. Es geht im Wesentlichen bei der EU um eine koordinierende und grenzschützende Funktion. Ich denke, das muss nach der Erfahrung dieser Krise neu durchdacht und neu bewertet werden. Also müssen die EU-weiten Themen wie Digitalisierung, Klimaschutz und Migration um Gesundheit erweitert werden? Im Grunde genommen müssen wir alle unser Denken erweitern. Es geht nach wie vor zentral um Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Aber Gesundheit muss jetzt hinzukommen. Die derzeitigen Unabgestimmtheiten dürfen sich nicht wiederholen. Wir haben durch das Virus wie im Zeitraffer gesehen, was passiert, wenn wir die Möglichkeiten und auch die Gefahren, die von der Natur ausgehen, ignorieren. Wir leben zwar in der Vorstellung, dass wir mit großer Technik die Welt beherrschen, aber das hat sich als Täuschung herausgestellt. Wir stecken noch mitten im Kampf gegen Corona. Können wir es uns leisten, beim Klima auf eine gemeinsame europäische Antwort zu warten?

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Wenn sich das Weltklima weiter erhitzt, ist das zwar ein langsamer Prozess. Wenn aber Überschwemmungen, Dürren und Ähnliches zunehmen, wir unsere planetaren Grenzen weiter überschreiten, ist es zu spät. Dann drohen unsere Lebensgrundlagen insgesamt zu kippen – mit nur schwer vorhersehbaren Kettenreaktionen. All das wird man in Zukunft anders sehen vor dem Hintergrund unserer Erfahrung mit Corona. Nach mehr Zusammenarbeit sieht es trotz der eindrücklichen Corona-Erfahrung aber nicht aus. Die USA drohen, die Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation einzustellen. Sehen Sie hier eher die USA beschädigt oder die WHO? Es geht nicht darum, wer mehr beschädigt ist. Dass die USA bedauerlicherweise die noch 2014 in der Ebola-Krise eingenommene Führungsposition heute nicht mehr einnehmen, spüren wir an allen Ecken und Enden. Die WHO ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Wie die meisten multilateralen Institutionen aber ist sie unverzichtbar. Wir dürfen das nicht aus der Sicht des reichen Nordens sehen. Wir haben heute 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, von denen die Mehrheit dazu nicht in der Lage ist, mit gut ausgebildeten Institutionen, wissenschaftlichen

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JOSCHKA FISCHER war von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler Deutschlands und vom 1. Januar 1999 bis zum 30. Juni 1999 Präsident des Rats der Europäischen Union. Er wurde 1948 als Joseph („Joschka“) Fischer geboren. Zwei Jahre zuvor hatten seine ungarndeutschen Eltern ihre Heimat verlassen müssen. Ab 1967 nahm Fischer an der linken Studentenbewegung teil, wo er sich als „Sponti“ radikalisierte. 1982 trat er den Grünen bei, wo er den „RealoFlügel“ repräsentierte. Im Jahr 1985 wurde er hessischer Umweltminister. Heute ist Fischer Chef einer Beratungsfirma.

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Netzwerken und Gesundheitssystemen entsprechend vordass die EU-Kommission in Brüssel bei der Umsetzung zusorgen. Sie sind auf die WHO angewiesen. eine entscheidende Rolle spielt. Sollten wir die Beiträge der USA übernehmen? Unter der deutschen Ratspräsidentschaft soll Das löst das grundsätzliche Problem nicht. Noch auch der Finanzrahmen für die nächsten sieben einmal: Sie werden ohne Institutionen wie die WHO in Jahre festgezurrt werden. Deutschland hat schon Zukunft nicht effizienter Viren – und andere Herausfordesignalisiert, größere Beiträge zu übernehmen. rungen – bekämpfen können. Im Gegenteil, wir brauchen Lassen sich die Gräben zwischen den EU-Staaten die internationale Zusammenarbeit auch zwischen Nord einfach so mit Geld zuschütten? und Süd. Das ist eine Menschheitskrise, Es war in der EU immer so, dass Streit vor der wir stehen. Nicht einfach eine mit Geld gekittet wurde. Im entscheiKrise, die Nationen, Regionen oder ein„ Das ist eine denden Augenblick hat der deutsche zelne Erdteile betrifft. Dafür bedarf es Menschheitskrise, Bundeskanzler oder die Bundeskanzleder internationalen Zusammenarbeit. vor der wir rin unter den Tisch gegriffen und einen Um deren Schwächen zu erkennen und stehen.“ großen Sack mit Geld hervorgeholt und zu verbessern, kann es doch nicht die dann ging es voran. Das war sozusagen Lösung sein, die internationale Zusamdas nicht formalisierte Grundprinzip der menarbeit aufzukündigen. Das wäre absurd. EU und den Deutschen ist es damit alles andere als schlecht Im Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsigegangen. Die Großzügigkeit hat sich ja gerechnet, wenn dentschaft. Welche Gestaltungsmöglichkeiten ergeman sich die ökonomische Entwicklung anschaut. ben sich dadurch für die Bundesregierung? Organisatorisch steht die Ratspräsidentschaft vor Die EU hat im ­Rahmen der Corona-Krise eine enorme ganz praktischen Problemen. Laut SelbsteinschätBedeutung. Die Rats­präsidentschaft hat wegen des zu verzung arbeitet der Europäische Rat mit zehn Proabschiedenden finanziellen EU-Rettungspakets eine völlig zent Kapazität, nur 30 Prozent der Räume steneue Bedeutung erhalten. Üblicherweise ist die Ratspräsihen zu Verfügung. Persönliche Treffen am Rande dentschaft nämlich von geringerer Bedeutung. Trotzdem eines Gipfels werden damit unmöglich. Fehlt würde ich sie auch jetzt nicht überschätzen. damit nicht eine ganz entscheidende KommunikaWarum nicht? tionsebene? Sie erinnern sich vielleicht an die Mitgliedschaft Unter diesen Umständen kann ich mir schwer vorstelDeutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. len, dass sich wirkliche Kompromisse „durchhauen“ lasDa wurde auch ein gewaltiges Getöse gemacht. Letztlich war die Realität dann aber eine andere. In der Regel hat Gute Laune im Bundestag: Außenminister Fischer (l.) und die EU-Ratspräsidentschaft nicht die Bedeutung, die ihr Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lauschen der CDU-Fraktihäufig beigemessen wird. onschefin Angela Merkel, 2004. Aber die Tatsache, dass mit Deutschland die stärkste Volkswirtschaft Europas für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wird natürlich hohe Erwartungen wecken. Die zentrale Frage ist: Wie kommen wir gemeinsam aus dieser Krise heraus? Haben Sie darauf eine Antwort? Ich stelle fest, dass in den Mitgliedstaaten überwiegend im nationalen Rahmen diskutiert wird. Wirtschaftlich gesehen, ist der nationale Rahmen viel zu eng – nicht nur für Deutschland. Der gemeinsame Markt ist der Rahmen, um den es geht. Wenn andere Länder aus der Krise nicht herauskommen, wird es auch Deutschland nicht alleine schaffen. Die Länder ringen derzeit um gigantische Corona-­ Hilfspakete. Wir haben auch aus unserer nationalen Position heraus jedes Interesse daran, dass Europa stärker wird und nicht schwächer. Die große Frage, die zwischen Norden und Süden noch im Raum steht, ist: Reden wir über Kredite oder Zuweisungen? Ich gehe fest davon aus, dass es ein neues, gemeinsames Paket tatsächlich geben wird und

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zukünftige globale Klimapolitik durchaus große Bedeutung haben. Insofern ist nicht jede durch die Krise erzwungene Verschiebung negativ. Aber prinzipiell ist die Lage, wie sie ist. Wenn man sich persönlich treffen kann, sollte man das tun. Wenn es nicht geht, geht es nicht. Es wird auch viel über die Transformation der Wirtschaft gesprochen. Vor allem Klimaschutztechnologien sollen bei Corona-Hilfspaketen besonders gefördert werden, das hat Kanzlerin Merkel im Petersberger Dialog bekräftigt. Auf welche Technologien sollte man dabei bauen? Unabhängig von einzelnen Technologien wird es entscheidend darauf ankommen, ob die führenden Volkswirtschaften Ernst machen mit der Dekarbonisierung. Die strategische Grundlinie ist damit definiert. Uns läuft Fischer (r.) mit dem grünen Co-Vorsitzenden Robert die Zeit davon. Die Prozesse entwickeln sich mit unglaubHabeck. licher Dynamik, und wenn einmal gewisse Veränderungen stattgefunden haben in der Erdatmosphäre, sind die nicht mehr zurückzudrehen. Welche Entwicklung macht Ihnen da besonders sen, wie man zu Recht sagt. Große Kompromisse werden Hoffnung? unter maximalem Druck zwischen den gewählten natioDa sehe ich im Moment leider keine. Dekarbonisieren nalen Repräsentanten geschlossen. Da bedarf es des perwir nicht konsequent alle Wirtschaftsbereiche, bewegen sönlichen Gesprächs und – lassen Sie mich das etwas flapwir uns in Richtung einer Stunde der Wahrheit, wo die sig sagen – der Fähigkeit des Kuhhandels. Das bedeutet, Weltgemeinschaft irgendwann feststellen muss: Wir laudass man sich tief in die Augen blickt und dann mit einem fen auf eine Erhitzung von drei Grad plus zu. Im Wettlauf Handschlag das Geschäft besiegelt. Das auf Distanz zu gegen die Zeit müssen wir gerade jetzt aufholen. machen, stelle ich mir enorm schwer vor. Deswegen sagen Ein Showdown? ja viele Staats- und Regierungschefs, um finale KomproShowdown ist der falsche Begriff. Aber wenn wir das misse zu erreichen, müssen wir uns persönlich in Brüssel 2-Grad-Ziel verfehlen, wird die Erderwärmung für uns in treffen. Ich denke, da ist viel Wahres dran. all ihren Konsequenzen spürbar werden. Gab es denn solche Situationen Gegen solche Probleme scheint in Ihrer Karriere? „ Der Mangel der Brexit geradezu banal. TrotzNatürlich. Wir waren 1999 kaum an Empathie dem muss die EU unter Deutschim Amt, da stand ebenfalls die deutkostet uns lands Ratspräsidentschaft die sche Ratspräsidentschaft an und wir unnötigerweise Verhandlungen mit Großbritanmussten einen siebenjährigen Haussehr viel an nien abschließen. Wenn das misshalt verhandeln. Das war damals im Sympathie.“ lingt, wer ist dann der größere Hotel Interconti in Berlin. Einheit über Verlierer, die EU oder Großbritanden Haushalt war schon da, aber faknien? tisch nur an der Oberfläche vollzogen. Ohne Einigung wird es zwei Verlierer geben. Der gröDamals ging es noch um West und Ost. Es ging bis in die ßere wird auf der britischen Insel sitzen, der kleinere auf frühen Morgenstunden und am Ende mussten dann die dem europäischen Kontinent. Es ist alles andere als klug, finalen Kompromisse vom damaligen Bundeskanzler Gerin eine solche Konfrontation hineinzulaufen. hard Schröder und mir selbst in Einzelgesprächen durchNach dem Brexit werden mit den USA, China und gesetzt werden. Das waren genau solche Situationen. Großbritannien drei der fünf größten deutschen In die deutsche Ratspräsidentschaft fallen auch Handelspartner nicht mehr in der EU sein. MüssGipfeltreffen wie der EU-China-Gipfel im Septen wir uns im Außenhandel nicht weniger auf die tember oder der Klimagipfel in Glasgow, der für EU und mehr auf globale Handelsbeziehungen November vorgesehen war. Kann auf solchen konzentrieren? Treffen ohne diese Drucksituationen überhaupt Das sind keine Alternativen. Der gemeinsame europäimit großen Würfen gerechnet werden? sche Markt ist der Heimatmarkt. Der spielt eine entscheiIch bezweifle prinzipiell, ob der Termin von Glasgow dende Rolle, ob mit oder ohne Großbritannien. Ich beobgünstig terminiert ist. Im November sind die amerikaachte viel mehr die zunehmende Konfrontation zwischen nischen Präsidentschaftswahlen und das kann für die

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den USA und China, die mich mit großer Sorge erfüllt. Sie liegt weder im europäischen noch im deutschen Interesse. Die USA werden China weiterhin mit großem Misstrauen begegnen, egal wer im November die US-Präsidentenwahl gewinnt. Unter einem neuen Präsidenten Biden würde höchstens der Ton freundlicher, die Position aber wird sich nicht verändern. Auch wir Europäer werden uns darauf einstellen müssen, dass China seine Interessen mit allem Nachdruck und manchmal zweifelhaften Methoden verfolgt. Wir dürfen nicht der blauen Blume des romantischen Wunschdenkens folgen. Sondern? Wir sollten sehen, unsere eigenen Interessen zu vertreten und dann auch zum Tragen zu bringen. China wird für uns Deutsche wie für die Europäer wichtig bleiben, ebenso wie die USA. Aber es brechen schwierigere Zeiten im Ausland an. Umso wichtiger wird dann der Binnenmarkt für uns. Wir müssen alles tun, damit Europa als Ganzes wieder auf die Beine kommt und nicht nur national begrenzt denken, da würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Europa möchte Abhängigkeiten von China künftig abbauen. Kann der Binnenmarkt überhaupt in diese Lücke einspringen? Ohne jeden Zweifel. Wir brauchen eine strategische Reserve für Produkte und vor allem im Gesundheitsbereich. Das betrifft nicht nur die Vorratshaltung, sondern auch eine strategische Produktionsreserve. Eine Situation wie die Knappheit von Gesichtsmasken darf sich nicht wiederholen. Das war grotesk, wir reden hier ja nicht über eine Hochtechnologie. Auch was Produktion und Lieferketten jenseits der Vorratshaltung angeht, wird ohne jeden Zweifel die Bedeutung des Binnenmarktes steigen. Es wäre ja unsinnig, wenn jedes europäische Land das für sich selbst machen würde. Im persönlichen Umgang mit chinesischen Offiziellen stößt man auf komplizierte Sprachregelungen. Wie haben Sie das gehandhabt? Nach meiner Erfahrung sind Offenheit, Transparenz und Verlässlichkeit die wichtigsten Faktoren. Es ist klar, dass China keine offene Gesellschaft, keine demokratische Gesellschaft und auch kein Rechtsstaat ist. Daraus ergeben sich andere Kommunikationsstrukturen, auf die man sich einstellen muss, auf die man sich aber auch einstellen kann. Die historische Prägung spielt eine große Rolle. Das Misstrauen der Chinesen gegenüber den Europäern ist begründet durch das 19. Jahrhundert, etwa das Ausgreifen Europas nach China in den Opiumkriegen. Nicht umsonst gilt das 19. Jahrhundert den Chinesen als Jahrhundert der Demütigungen. China wird seinen Weg gehen und zu einer der führenden Mächte im 21. Jahrhundert werden. Dass China etwas aufzuholen hat, ist unbestritten. Allerdings scheint der Diebstahl geistigen Eigentums oft genug das Mittel der Wahl.

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Wer sich darüber aufregt, vergisst, dass im Zuge der Industrialisierung in Deutschland viele Produkte und Technologien kopiert wurden. Großbritannien hat das Etikett „Made in Germany“ eingeführt, um sich gegen billige Raubkopien aus Deutschland zu wehren. Ich rechtfertige das nicht, bitte missverstehen Sie mich nicht. Man muss das nicht billigen und darf sich das auch nicht gefallen lassen. Aber man sollte nicht auf dem hohen moralischen Ross sitzen, wenn man die eigene Wirtschaftsgeschichte kennt. China wird seinen Weg gehen, wird aber auch mehr Verantwortung und Transparenz entwickeln müssen. Wir sehen das jetzt gerade in der Corona-Krise. Warum es hier nicht eine offene, transparente Untersuchung gibt, um den Auslöser des Virus herauszufinden, ist schwer verständlich. Eine Nation kann keinen weltweiten Führungsanspruch anmelden, wenn sie in ihren Verhaltensweisen keine Transparenz an den Tag legt. Die Corona-Krise als Chance für China, in die Rolle einer Führungsnation hineinzuwachsen? Vor allem muss China wirtschaftlich zum „Equal Playing Field“ werden. Chinesische Unternehmen wollen sich in Europa an Firmen von strategischer Bedeutung, etwa im Energiesektor, beteiligen. In China wäre das undenkbar, da brauchst du gar nicht erst zu fragen. So geht das nicht. Derzeit inszeniert sich China als Helfer in der Corona-Krise. Ich meine mich zu erinnern, dass es im Januar oder Februar auch eine Phase gab, wo die EU Material an China geliefert hat. Auch als Außenminister fand Joschka Fischer Zeit, um sich fit zu halten. Hier joggte er im Rahmen eines USA-Besuchs 1998 in Washington.

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den direkten Kontakt verringert, ist ja gegenwärtig in der Vorhand. Das betrifft den Umgang mit Bargeld, Onlinehandel oder mit dem Homeoffice auch die Arbeitswelt. Auch die älteste Generation lernt in dieser Krise ihre Lektion, digital zu agieren und zu leben. Haben Sie denn Ihre digitale Lektion gelernt? Ich war mit diesen neuen Konferenz-Plattformen nicht vertraut. Skype war mir bekannt, der Rest nicht. Mittlerweile kenne ich die. Was ist Ihr Fazit? Das klappt eigentlich ganz gut. Es gab zwar Sicherheitsprobleme bei einer sehr bekannten Plattform, aber nach allem, was man liest, sind die behoben. Die Frage ist, ob auch europäische Unternehmen in diesem Sektor Erfolg haben oder es zumindest eine europäische Regulierung Schwieriges Verhältnis: Fischer besichtigt 2004 ein gibt. Jeder sei eingeladen, sich hier aktiv auf den Märkten deutsch-chinesisches Gemeinschaftsunternehmen in Jinan (China). zu bewegen. Was aber mit den Daten geschieht, wie die erfasst werden, wie damit umgegangen wird, wo sie phyDie chinesische Hilfe scheint aber in den Köpfen sisch sind, das muss durch Europa entschieden werden. hängen zu bleiben. Nach Umfragen gelten China Sie schreiben auch Bücher. Das neueste erschien und Russland der italienischen Bevölkezu Anfang der Corona-Krise, konnte darauf rung als Partner, Deutschland als Gegner. also keinen Bezug nehmen (siehe Kasten). Das ist Quatsch! Schlechtes Timing? Immerhin hat Deutschland Patienten etwa Ich führe seit elf Jahren eine Strategieberaaus Frankreich und Italien eingeflogen tung. Aber das Bücherschreiben hat mich immer und behandelt. Kam diese Hilfe zu spät? begleitet. Das jüngste Buch wartet jetzt noch auf Nein. Wie so oft rennen wir Deutschen in von ein Nachwort, in dem ich meine Erfahrungen mit uns selbst gestellte Fallen. Es wurde groß über dieser Krise aufnehmen werde. die Ablehnung von Corona-Bonds berichtet. Haben Sie durch die Corona-Krise GewohnDie Kanzlerin hat vor wenigen Wochen in einer heiten ändern müssen? Rede die Corona-Maßnahmen verkündet und der Ich lebe natürlich sehr viel zurückgezogener. Ich Joschka Fischer: WillBevölkerung erklärt. Warum sie nicht zwei Sätze habe den Kontakt mit Menschen, die nicht meinem kommen im zu Norditalien gesagt hat, habe ich bis heute nicht Haushalt angehören, entsprechend reduziert. Man 21. Jahrhunverstanden. Dieser Mangel an Empathie kostet könnte auch von Selbstisolation sprechen. dert. Europas Aufbruch uns unnötigerweise sehr viel an Sympathie. Vielerorts muss jetzt eine Maske getraund die deutIst die Stimmung in Italien nicht der gen werden. Was sagen Sie als ehemaliger sche VerBeweis, dass China und Russland die Sponti: Ironie des Schicksals? antwortung. Kiepenheuer EU-Staaten erfolgreich auseinanderdiviMan könnte sagen: Vom Vermummungsver& Witsch Verdieren? bot zum Vermummungsgebot. Ja, das ist durchlag, Köln Ich denke, die italienische Regierung weiß nur aus ironisch. Aber damit wir uns hier nicht miss2020. 208 S., zu gut, worum es geht. Premierminister Conte verstehen, ich finde die Maßnahmen der Bundes20 Euro. wird sich nicht vor den Karren spannen lassen, regierung richtig und es ist wichtig, dass sie einsolche kurzfristigen Interessen gegen die EU auch gehalten werden. nur abzuwägen. Dazu geht es um zu viel. Deshalb erfüllt Haben Sie auch schon eine selbst gemachte, permich das nicht mit großer Sorge. Ich würde mir wünschen, sonalisierte Maske? dass wir im Umgang miteinander einfach mehr Empathie Ich habe eine Maske bei mir, aber die ist nicht selbst zum Ausdruck bringen, mehr Zusammengehörigkeit. Das gemacht. wäre die beste Antwort darauf. Herr Fischer, danke für das Gespräch. Ein großes Thema der Ratspräsidentschaft sollte die Digitalisierung werden. Europa gerät hier ins Hintertreffen. Was ist zu tun? Gewaltig investieren! Deutschland und Europa brauchen Innovationen. Ich sehe, dass die aktuelle Krise auch positive KONRAD GÖKE Konsequenzen gerade im digitalen Bereich hat. Alles, was ist Leitender Redakteur von politik&kommunikation.

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DAS „MERKEL-­ MOMENT“ Auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft kämpft ANGELA MERKEL um ihr politisches Vermächtnis. Kann sie jetzt einen neuen, ausbalancierten Internationalismus prägen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft viel für die Europäische Union bewegen.

VON JEAN-CHRISTOPHE BAS

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or der Corona-Krise plante Deutschland, 2020 zu einem entscheidenden Jahr auf der internationalen Bühne zu machen. Angesichts der ungewöhnlichen Konstellation des internationalen Politikkalenders, der neben der zweijährigen Mitgliedschaft Deutschlands als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in der zweiten Jahreshälfte zusätzlich die Präsidentschaft des Rats der Europäischen Union sowie den Vorsitz des Minister-

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komitees des Europarats („Größeres Europa“ einschließlich Russland, Ukraine, Türkei usw.) vorsieht, wollte die deutsche Bundesregierung dieses Jahr nutzen, um für ihre Positionen und Visionen zu wichtigen europäischen und internationalen Fragen zu werben. Dabei konnte und kann sie auf die Unterstützung der neuen Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bauen. Die langjährige Vertraute Angela Merkels strebt eine proaktivere, geopolitisch ausgerichtete

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Einträchtig: Kanzlerin Merkel (m.) mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU, l.) und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).

Kommission zur Stärkung der internationalen Sicherheitsarchitektur an.Deutschlands Ambitionen wurden bereits Anfang dieses Jahres mit der Organisation der Libyen-Konferenz am 19. Januar 2020 in Berlin und wenige Tage später auf der 56. Münchner Sicherheitskonferenz mit dem provokanten Titel „Westlessness“ herausgefordert. „Westlosigkeit“: Das beschreibt einen im Inneren gespaltenen und von illiberalen Kräften getriebenen Westen, dem sein weltpolitischer Gestaltungsanspruch abhandenkommt.

Ausgebremst Allerdings wurden diese ambitionierten Ziele bereits vor der Pandemie sowohl durch innenpolitische als auch außenpolitische Umstände signifikant ausgebremst. Während auf der Berliner Libyen-Konferenz neben Gastgeberin Merkel zwar die gesamte internationale Gemeinschaft auf höchster Ebene zusammengekommen war, darunter UN-Generalsekretär António Guterres, die Staatschefs Putin, Erdoğan, Macron und Boris Johnson sowie US-Außenminister Mike Pompeo, verweigerten die beiden Hauptprotagonisten des Konflikts, Fajis al-Sarradsch (Chef der libyschen Regierung des Nationalen Einvernehmens) und Khalifa Haftar (Führer der Libyschen Nationalarmee, LNA), ein Aufeinandertreffen. In der Schlusserklärung forderten die beteiligten Staaten und Institutionen „alle betroffenen Parteien auf, ihre Anstrengungen für ein Ende der Kämpfe zu verdoppeln, eine Deeskalation und einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen“. Das war natürlich Wunschdenken, denn zwischenzeitlich war es bereits zu unzähligen Verletzungen des Waffenstillstands gekommen.

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In München irritierte das Schlagwort „Westlosigkeit“ viele Teilnehmer. Angesichts des Aufstiegs Chinas und des Rückzugs der USA forderte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron denn auch eine entschlossenere und eigenständigere europäische Sicherheitspolitik und ließ eine gewisse Frustration über Deutschlands Zögern hinsichtlich einer Wiederbelebung der Europäischen Integration erkennen, die er selbst unermüdlich protegiert.

Corona als Chance Nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und der politischen Krise, die sie ausgelöst hat, schossen in Berlin bereits erste Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Kanzlerschaft Merkels aus dem Boden. „Der Spiegel“, „Die Frankfurter Allgemeine“ und weitere wichtige deutsche Medien meinten schon, ihre Zeit sei abgelaufen. Doch plötzlich war die Corona-Krise da – und mit dieser die Gelegenheit für die Kanzlerin, nicht nur in Deutschland wieder an Autorität zu gewinnen, sondern insbesondere auf dem internationalen Parkett ihre Führerschaft zu behaupten. In der Tat: Angesichts der Krise wenden sich die Deutschen wieder „Mutti“ zu – einer Frau, deren Umgang mit der Krise dank wissenschaftlicher Striktheit, Einfühlungsvermögen und Pragmatismus der teilweise erratischen, dramatischen und chaotischen Krisenbewältigung vieler anderer Regierungschefs diametral entgegensteht. In ihrer Pressekonferenz Mitte März, in der sie vorsorgliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ankündigte, passte es gut, dass neben ihr Bayerns Ministerpräsident Söder und der Erste Bürgermeister Hamburgs

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Vakuum: Die Europäische Union könnte mit neuem Schwung auch die Reformierung der Vereinten Nationen einleiten.

Peter Tschentscher in ihrer Eigenschaft als Vorsitzender und Vize der Ministerpräsidentenkonferenz saßen. Damit unterstrich sie die entscheidende Rolle, die die Bundesländer bei der Bewältigung der Corona-Krise spielten, denn die Entscheidungen über Schulschließungen, Regelungen im ÖPNV und öffentliche Menschenansammlungen lagen in deren Zuständigkeitsbereich. So stellte Merkel einmal mehr ihre Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln unter Beweis.

Neuordnung der Welt Sie scheute sich auch nicht, auf einer Videokonferenz der G7 die Aussetzung der Beitragszahlungen der USA an die WHO zu kritisieren. Vielmehr forderte sie als Reaktion auf die Pandemie eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit. Ihr Außenminister Heiko Maas ergänzte, die WHO bleibe „das Rückgrat der internationalen Pandemiebekämpfung“ und „sie zu schwächen wäre nichts anderes, als in einem laufenden Flug den Piloten aus dem Flugzeug zu werfen“. Im Rahmen des XI. Petersberger Klimadialogs am 28. April 2020 bekräftigte die Kanzlerin ihren Willen, dass bei der Auflegung von Konjunkturprogrammen auch stets der Kampf gegen den Klimawandel berücksichtigt werden müsse. Ihre Stimme hat Gewicht – sowohl in Deutschland als auch auf der internationalen Bühne. Ihr Corona-Krisenmanagement bescherte ihr in jüngsten Umfragen die höchsten Zustimmungswerte seit 2017. Angesichts eines infolge der Pandemie geschwächten chinesischen wie US-amerikanischen Regierungschefs und eines generellen Mangels an Führungsstärke in der internationalen Politik hat Angela Merkel jetzt die einzigartige Möglichkeit, als Stimme der Vernunft und Mäßigung bei der notwendigen Neuerfindung der Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit und der Neuordnung der Weltordnung zu agieren. Es ist durchaus möglich, dass es infolge der Corona-Krise bald ein „Merkel-Moment“ geben wird, das einen gerechten und ausbalancierten neuen Internationalismus vorantreibt, mit dem die gemeinsamen Herausforderungen für die Menschheit bewältigt werden können, und dem sich alle anschließen, die sich für eine weltweit gleichberechtigte, faire Entwicklung sowie den Dialog und die Zusammenarbeit unter den Kulturen einsetzen. Dazu gehören insbesondere die dringend notwendige wie umfangreiche Reform der Vereinten Nationen und ihrer Arbeitsprozesse sowie die Schaffung von dauerhaften

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Grundlagen für eine Globalisierung 2.0, die im Interesse so vieler Stakeholder liegen. Ferner gilt es, dieses einzigartige Momentum zu nutzen, in dem die gesamte Menschheit zum ersten Mal mit derselben Bedrohung konfrontiert ist, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der gemeinsamen Verantwortung und des gemeinsamen Schicksals zu entwickeln. Eine Menschheit – viele Kulturen.

Reformbedarf Die Reform – oder besser gesagt die Neuerfindung – der Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit erfordert die Lösung von vier großen Herausforderungen, vier großen Dilemmata: • Wie kann man den Kräften entgegenwirken, die auf die Wiederherstellung einer bipolaren Welt drängen, die zwischen den USA und China geteilt ist, und in der Folge dazu führen, dass andere Länder als Anpassungsvariablen unter das eine oder andere Lager fallen? Das wäre die Negation des 20. Jahrhunderts, das uns gelehrt hat, dass eine bipolare Welt in Wirklichkeit eine polarisierte Welt ist. • Was hält uns als Menschheit zusammen? Wie sollte ein „neuer Vertrag“ aussehen, der die Menschheit unter einen Schirm zusammenbringt? Sollten wir (und wenn ja, wie?) die „universellen“ Werte wieder aufgreifen, die scheinbar spaltender sind anstatt vereinend, und gleichzeitig die Vielfalt der Kulturen und Zivilisationen ignorieren? Geht es um die Entwicklung neuer Formen der Solidarität, eines Gefühls der gemeinsamen Verantwortung oder um gemeinsame Bedrohungen? • Wie können die Spannungen zwischen nationaler Souveränität und internationaler Zusammenarbeit vermieden werden? Wie kann man zeigen, dass sie kompatibel und nicht antagonistisch sind? Wie kann man

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Beweise dafür schaffen, dass eine stärkere Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten wirksamer ist, um globale Herausforderungen zu bewältigen, und besser in der Lage ist, größere Krisen zu verhindern und Entwicklung und Stabilität zu fördern? • Ist das Wesen der internationalen Zusammenarbeit nicht überholt, und wenn ja, wie sollte sie neu erfunden werden? Ist das alte Modell der Zusammenarbeit des Westfälischen Friedens von 1648, das ausschließlich auf Entscheidungen von Regierungen beruht, ein Hindernis für die Fähigkeit internationaler Organisationen, um wirksam auf globale Herausforderungen zu reagieren? Ist es nicht dringend notwendig, zivilgesellschaftliche Akteure, den Privatsektor, Wissenschaftler usw. in die Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen und einen gemeinsamen Multi-Stakeholder-Prozess zu entwickeln, statt ausschließlich Regierungen handeln zu lassen, die eher geneigt sind, nationale Interessen zu verteidigen und zu fördern, als rechtzeitige und solide Antworten zu geben, wie die Covid-Krise bei der WHO sehr deutlich gezeigt hat?

Das Dialogue of Civilizations Research Institute veranstaltet am 2. und 3. Oktober dieses Jahres in Berlin die 18. Ausgabe seines Rhodos-Forums, um seinen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels zu leisten. Es hat eine hochrangige internationale Arbeitsgruppe aufgestellt, die den ganzen Sommer über arbeiten und konkrete Empfehlungen zu diesem Zweck ausarbeiten wird. Wenngleich es nicht einfach werden wird, sind die Möglichkeiten für Angela Merkel sehr real, zumal sie am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Ihr bleiben noch 18 Monate, um diese Mission zu erfüllen, mit der sie sich einen Eintrag in den Geschichtsbüchern sichern kann – so wie die Regierungschefs vor 75 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zusammenkamen, um ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und eine Vision zu entwickeln, mit der die Weltgemeinschaft wieder auf den richtigen Weg gebracht werden sollte.

Dies sind die grundlegenden Fragen, die dringend für die Gewährleistung einer erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit geklärt werden müssen.

JEAN-CHRISTOPHE BAS ist Geschäftsführer des Dialogue of Civilizations Research Institute (DOC Research Institute), einer internationalen Denkfabrik mit Sitz in Berlin.

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„D“ FÜR DIGITAL Beim zweiten DIGITAL BOOTCAMP der CDU diskutierten interessierte Unionsmitglieder die Möglichkeiten der Digitalisierung für die Parteiarbeit und den Wahlkampf. p&k war exklusiv dabei

Viel Licht, wenig Schatten. Die Organisation des zweiten „Digital Bootcamps“ ging flott über die Bühne.

VON KONRAD GÖKE

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eulich war es mal wieder soweit. Das Konrad-Adenauer-Haus hatte Besuch von etwa 20 Aktivisten, die natürlich nicht eingeladen waren. Diesmal standen die radikalen Klimaschützer von „Extinction Rebellion“ (XR) bei der CDU-Zentrale in der Berliner Klingelhöferstraße auf der Matte. Einige klebten sich mit ihren Händen oder Fingern an der Glasfassade fest. Mit Schablonen sprühten sie Parolen an die Fenster. Natürlich beglei-

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teten sie die Aktion medial auf den sozialen Netzwerken. „Schluss mit Klimaschmutzlobby & Klüngelei!”, kommentierten die XR-Aktivisten eines der Videos. Die Aktion erreichte lange nicht die Aufmerksamkeit, die Greenpeace-Aktivisten erregten, die im vergangenen November das „C“ vom CDU-Schriftzug des KAH abmontierten und damit auf Deutschlandtour gingen. Die CDU reagierte damals schnell, die Agentur „Storymachine“ startete den Twitterkanal @IchBinDasDu und das Social-Me-

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dia-Team der Union konterte geschickt den Versuch von Greenpeace, die Partei nochmals so vorzuführen, wie das im Mai zuvor dem YouTube-Star Rezo gelungen war. Die Lektionen aus dem Rezo-Video habe die CDU gelernt, sagt Ziemiak. Die neu aufgelegte Kommunikationsstrategie bestand gleich mehrere Belastungsproben – sogar eine Pandemie. „Insbesondere für unsere digitale Kommunikation hat Corona uns einen gewaltigen Schub gegeben“, sagt Ziemiak zu p&k. „So schlimm diese Pan-

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demie ist, und so viel Sorge wir haben, war es doch ein wirklicher Turbo-Boost für die Digitalisierung der CDU“. Mittlerweile könnte man meinen, das „D“ in CDU stehe auch für „Digital“. Um die Digitalkompetenzen noch weiter auszubauen, veranstaltete die Union am 13. Juni ihr zweites „Digital Bootcamp“. Im Gegensatz zur ersten Veranstaltung, die noch mit Bühne und Publikum im Februar im KAH stattfinden konnte, war diese Ausgabe komplett digital. Das

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Eindrücke aus dem Konrad-Adenauer-Haus während des zweiten „Digital Bootcamps“ der CDU. Im Studio führten Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig, Generalsekretär Paul Ziemiak und Kampagnenchefin Isabell Hass (v. l. n. r.) durch die Veranstaltung.

Setup: Eine eigens eingerichtete Webseite mit Zugangscode, dort ein Livestream aus der CDU-Zentrale, ein Chatfenster und zeitweilig eingeblendete Abstimmungsoptionen für die eingeloggten Nutzer. Schon zu Anfang wurde deutlich, dass sich das Anforderungsprofil für Politiker im digitalen Zeitalter wandelt. Generalsekretär Paul Ziemiak und Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig standen in einem Fernsehstudio an einem Moderationstisch mit mehreren Kameras im Studio. Das merkte man, weil die Gastgeber zunächst in die falsche schauten, wenn auch nur für wenige Sekunden. Wie gestandene TV-Moderatoren überspielten die beiden das geschickt. Alleine dieser Vergleich zeigt, wo die Messlatte für Politiker bei Digitalübertragungen mittlerweile liegt. Zur Kamerapräsenz tritt im Zeitalter omnipräsenter Videos die Moderation zu den unverzichtbaren Qualitäten eines Spitzenpolitikers. 40 Mitarbeiter arbeiteten im Konrad-Adenauer-Haus daran, dass die Technik bei der Veranstaltung mitspielte. Sie machten ihren Job gut. Nie streikte das Bild, für Ton war immer gesorgt, wenn gelegentlich auch das falsche Mikrofon laut geregelt war. Die Webseite, in die das Bootcamp eingebettet war, war übersichtlich gebaut. Fenster links, Chat rechts . Eigenartigerweise zählte eine Ziffer über dem Chatfenster die Nachrichten im Chat. Mit der Anzahl der Anwesenden, die das Bootcamp im Stream verfolgten, hätte man mehr anfangen können. Nach einer Einleitung von Ziemiak und einem netten Filmchen über das erste Bootcamp blendete die Regie noch eine Wordcloud mit Teilnehmererwartungen an die Veranstaltungen ein. Ob eine Wordcloud irgendwann schon einmal Überraschendes zutage gefördert hat? Die Teilnehmer erwarteten sich Innovationen, Ideen und Spaß.

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Kurz und knackig Für Parteiveranstaltungen inklusive Arbeitsgruppen war die zeitliche Begrenzung sportlich gewählt. In zweieinhalb Stunden, zwischen 10 und 12.30 Uhr, ging das Bootcamp über die Bühne. So mussten die Teilnehmer nicht einen ganzen Tag oder gar ein Wochenende einplanen und sparten sich auch die Anreise, was allgemein gut ankam. Zu p&k sagt Ziemiak, der Zeitrahmen sei bewusst so gesetzt worden. Er ergebe sich aus der grundsätzlich unterschiedlichen Natur analoger und digitaler Veranstaltungen. „Die kann man nicht einfach übertragen, sondern man muss sie neu und anders denken. Den ganzen Tag vor einem Bildschirm zu sitzen ist etwas anderes, als sich irgendwo auf einer Konferenz aufzuhalten.“

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Nach der Begrüßung ging es in insgesamt fünf „Ideenwerkstätten”. Die Themen deckten eine breite Palette von Erfordernissen ab, die die zunehmend digitale Parteiarbeit mit sich bringt. Die erste Werkstatt beschäftigte sich mit „digitaler Debattenkultur“. Eine regionale Beteiligungskampagne mit dem Titel „Lehren aus der Krise“ soll interessierte Bürger mit Lokalpolitikern zusammenbringen, um über die Folgen von Corona zu diskutieren. Eine

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andere Ideenwerkstatt setzte sich mit dem Thema „Digitale Programmarbeit“ auseinander. Ein großer Vorteil digitaler Zusammenkünfte liegt im Zeitaufwand. Sie können kurzfristig angesetzt werden, eine Anreise ist unnötig, Ergebnisse von Abstimmungen liegen sofort vor. Auch die digitale Kandidatenaufstellung soll so möglich werden. Eine Ideenwerkstatt widmete sich eigens diesem Thema, um Aufstellungsversammlungen insbesondere für Kampfkandidaturen zu organisieren. Eine andere Gruppe traf sich zum virtuellen Brainstorming, um Ideen für einen digitalen Neumitgliederservice auszuarbeiten. p&k entschied sich für die Ideenwerkstatt 4. Hier wurden Ideen für den Endspurt in kommunalen Wahlkämpfen gesammelt. Die Gruppe war mit 38 Teilnehmern die größte, das Interesse war hoch. Hintergrund für die Themenwahl waren die anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 30. September. Zur Einstimmung hielt Robin Schulz, verantwortlich für Strategie und Kampagnen beim Landesverband NRW, einen Impulsvortrag. Er nannte einige Positivbeispiele für gelungene Wahlkampfaktionen im Netz. Der Ortsverband Saerbeck etwa startete zum Vatertag eine „Burgermeister“-Challenge. Ein leidlich origineller Name. Die Aktion selbst war origineller. Die Union verschickte Grillzangen

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Klimaaktivisten von „Exctinction Rebellion“ dokumentieren eine Protestaktion vor der CDU-Zentrale am 18. Juni (oben). Am Ende mussten sie die Schäden selbst beseitigen (unten).

und Brötchen an Interessierte, die dafür Bilder ihrer gegrillten Burger einschickten und verschiedene Preise örtlicher Geschäfte gewinnen konnten. Die Aktion sei prächtig angekommen, sagte Schulz. Weiterer Vorteil: Die Corona-Maßnahmen konnten dabei respektiert werden.

Mitgliederbetreuung gewinnt Nach dem Vortrag durften die Gruppenmitglieder Ideen in den Raum stellen. Die Gruppe wählte eine, die sie für die Abschlusspräsentation näher ausarbeitete und diskutierte. Gruppenmoderator Patrick Broniewski vom Team Kampagne stellte die Ergebnisse später auf der virtuellen Hauptbühne vor. Bei einer digitalen Abstimmung setzte sich die Idee des badischen Kampagnenplaners Jan Tielesch durch, das traditionelle Hinterzimmer zu digitalisieren, mit dem Parteien im Kommunalwahlkampf versuchen, in den letzten 72 Stunden vor der Wahl noch unschlüssige Wähler von sich zu überzeugen oder gemeinsam den Schlussspurt des Wahlkampfs zu feiern. Das Zeitfenster war auf eine Stunde angesetzt. Der Puffer von 30 Minuten zur Abschlusskonferenz wurde benö-

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tigt. Die meisten Gruppen überzogen und brachen die Diskussionen vorzeitig ab. Das erreichte zweierlei: Einerseits mussten sich die Gruppen auf einige zentrale Impulse beschränken, die Mitarbeiter des KAH in kurzen Präsentationen sammelten. Die Enttäuschung über einen vorzeitigen Diskussionsabbruch dürfte schnell der Erwartung des nächsten Treffens weichen. Statt kurzer, abschließender Gespräche bieten schlanke, regelmäßige digitale Treffen die Möglichkeit, dauerhafte Gesprächsfäden zu knüpfen. Zurück im Studio stieß Kampagnenchefin Isabelle Hass zu Ziemiak und Hennewig. Die Ergebnisse der Ideenwerkstätte wurden vorgestellt und bewertet. Die Abstimmung gewann der Entwurf der Ideenwerkstatt 5, der einen digitalen Neumitgliederservice mit virtuellen Bier- und Kaffeetreffen und engerem Kontakt zu Ansprechpartnern in der Partei skizzierte. Dann endete die Veranstaltung mit dem Versprechen auf baldige Wiederholung. Für Ziemiak sind die Bootcamps erst der Anfang digitaler Parteiarbeit. „Ich bin dafür, dass man Parteitage auch online durchführt”, sagt der CDU-General zu p&k. Das sei mit den anderen Generalsekretären bereits besprochen. „Wir wollen etwa über inhaltliche Fragen und Beschlüsse oder auch einen Koalitionsvertrag künftig online abstimmen können. Wahlen und Änderungen der Parteisatzung sollen hingegen auch weiterhin als normale Präsenzveranstaltungen stattfinden.“ Die Aktion von XR endete übrigens schnell. Die Demo war nicht angemeldet. Die Polizei rückte an. Die Union duldete den Protest, weil ein anderer Eingang noch benutzbar war. Die Aktivisten mussten aber die Sprüche wieder von den Fenstern der CDU-Zentrale schrubben. Diesmal war es die CDU, die das Geschehen online dokumentierte. Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig fotografierte die Aktivisten beim Putzen und kommentierte trocken: „Nach der Rebellion mit Sprühkreide & Sekundenkleber folgt jetzt die Reinigung. Preußische Tugend Sauberkeit gilt rund ums KAH auch für @XRBerlin“. Er bedankte sich bei der Polizei und fügte an: „Übrigens: Sich an Fensterscheiben festzukleben ist nur eine mögliche Form politischer Teilhabe.“ Und lud das Publikum zur nächsten CDU-Plattform ein.

KONRAD GÖKE ist Leitender Redakteur von politik&kommunikation.

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„Wir brauchen Journalisten, die Hintergründe transparent machen und zugleich für jeden verständlich formulieren können. Die Zielsetzung des Journalistenpreises entspricht meiner Vorstellung von einem Wirtschaftsjournalismus, der dem Bürger Urteilskraft über ökonomische Themen verschafft.“ Helmut Schmidt (1918 – 2015)

25. HELMUT SCHMIDT JOURNALISTENPREIS Der Helmut Schmidt Journalistenpreis wurde erstmals 1996 ausgeschrieben und wird seitdem jedes Jahr für besondere Leistungen auf dem Gebiet der verbraucherorientierten Berichterstattung über Wirtschafts- und Finanzthemen verliehen. Der Preis ist insgesamt mit 30.000 Euro dotiert.

Einsendeschluss ist der 30. Juni 2020.

BIS

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DER HELMUT SCHMIDT

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Nähere Informationen zum Preis und zur Anmeldung finden Sie unter: www.hsjp.de

Gestiftet von der


GEFRAGTE ­EXPERTEN INTERVIEW Susanne Thiele, Pressesprecherin des HelmholtzZentrums für Infektionsforschung, spricht im Telefoninterview über die Vorbereitung von Forschern für TV-Auftritte, die medizinische Expertise von Journalisten und Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation

INTERVIEW VOLKER THOMS

N

eben Prof. Christian Drosten und Prof. Alexander Kekulé erklären insbesondere die Forscherinnen und Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig den Menschen in Deutschland die virologischen und epidemiologischen Seiten des Coronavirus. Die Professoren Melanie Brinkmann, Michael Meyer-Hermann und Gérard Krause diskutieren in Talkshows, geben Interviews und stehen für Statements zur Verfügung, die auch die Politik in ihren Entscheidungen beeinflusst. Susanne Thiele ist seit 2015 die Pressesprecherin des HZI. Im Interview spricht sie darüber, wie sie die Experten für Medienauftritte vorbereitet, wie das Coronavirus ihre Arbeit verändert und was die Anforderungen an Wissenschaftskommunikation sind. Frau Thiele, als Sie in der „Süddeutschen Zeitung“ über Melanie Brinkmann gelesen haben „Die versteht doch noch die Sorge des kleinen Mannes um die Endlichkeit der Klopapierrolle“ und sie als „Sex-Symbol“ bezeichnet wurde, was haben Sie da gedacht?

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Wir haben das eher auf die lustige Schiene genommen. Frau Brinkmann ist selbst keine Corona-Forscherin. Sie ist Virologin und forscht an Herpesviren. Sie hat sich bereit erklärt, die Anfangskommunikation zu begleiten. Wenn man es schafft, virologische Expertise mit guten Erklärungen für Laien zu kombinieren, hat man viel gewonnen. Das ist Melanie Brinkmann sehr gut gelungen. Da sie drei kleinere Kinder hat, wurde sie zu einem Role Model, wie sich eine Karriere als Forscherin mit der Familie verbinden lässt. Einige Kollegen fanden den Artikel allerdings sexistisch. Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ist aktuell in den Medien sehr präsent. Neben Melanie Brinkmann tritt vor allem Michael Meyer-Hermann häufig auf. Wie hat das Ihre Arbeit verändert? Eine derart hohe Medienpräsenz wie aktuell hat das HZI noch nicht gehabt. Ich bin hier seit 2015 Pressesprecherin und auch für mich ist das neu in dieser Intensität. Wir erhalten seit Januar vermehrt Presseanfragen zum Coronavirus. In Höchstzeiten sind es 60 bis 70 Anfragen pro Tag. Ich bin selbst im Dauereinsatz – auch am Wochen-

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SUSANNE THIELE

ende. Ich habe praktisch eine Standleitung zu unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Neben Ihnen sind in Ihrem Team noch zwei Wissenschaftsredakteure und ein Web-Content-Manager beschäftigt. Wie gelingt es Ihnen, die Masse an Anfragen abzuarbeiten? Bei uns laufen alle Anfragen über die Pressestelle. Also auch diejenigen, die direkt an die Professoren gerichtet sind. Wir klassifizieren die Anfragen in „TV“, „Leitmedien im Print-Sektor“, „Hörfunk“ und „regionale Medien“. Inzwischen haben unsere Expertinnen und Experten viele Statements zu unterschiedlichen Aspekten der Pandemie formuliert. Wir haben diese gesammelt und unseren Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. Die Statements enthalten dann auch Aussagen, die in andere Fachgebiete hineinreichen. So sind die Wissenschaftler auch über ihr unmittelbares Fachgebiet hinaus sprechfähig. Indem wir die Statements sammeln und systematisch aufbereiten, können wir als Pressestelle viele ähnliche Anfragen beantworten. Wesentliche Unterstützung erfahren wir durch die Arbeit des Science Media Center. Bei den virtuellen Pressebriefings können wir uns inhalt-

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leitet seit 2015 die Kommunikation des HelmholtzZentrums in Braunschweig. Außerdem ist die Mikrobiologin Wissenschaftsautorin. 2014 erschien ihr erstes Sachbuch „Sex macht Spaß, aber viel Mühe“ im Orell Füssli-Verlag als Koautorin im Autorenteam mit Steffen Münzberg und Vladimir Kochergyn. 2019 erschien das Sachbuch „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke“, das im HeyneVerlag erschien und von Thiele allein verfasst wurde. Sie schreibt heute noch für Zeitungen und ihren Blog „Mikrobenzirkus“.

lich einbringen und auf diese Weise über 100 Journalisten auf einmal erreichen. Sie veröffentlichen auch Empfehlungen, die eine unmittelbare politische Wirkung entfalten. Zum Beispiel haben Sie zu einem „umsichtigen, schrittweisen Öffnungsprozess“ geraten und empfohlen, mehr zu testen. Überschreitet das HZI damit nicht seine wissenschaftliche Expertise? Als Helmholtz-Zentrum vertreten wir die Philosophie, dass wir der Gesellschaft Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Wir haben Wissenschaftler, die etwas zur Virologie, Epidemiologie und Systembiologie sagen können. Dazu zur Impfstoffentwicklung und Antikörperforschung. Jeder Forscher sagt etwas aus seiner Perspektive. Das ist der normale wissenschaftliche Prozess. In der Öffentlichkeit ruft das schon mal die

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Reaktion hervor, dass die Wissenschaftler sich einigen sollten. Deshalb versuchen wir, auch übergeordnete Perspektiven mit in die Einschätzungen zu integrieren. Wir überlassen die Deutungshoheit der Ergebnisse natürlich der Politik, die viele verschiedene Aspekte wie psychische Belastungen oder die Einflüsse auf Wirtschaft und Bildung aufgrund der Schließung von Schulen berücksichGefragter Gast tigen muss. in Talkshows: Melanie An Virologen und Epidemiologen gab es zuletzt Brinkmann war viel Kritik. Vor allem an Christian Drosten und mehrfach bei Markus Lanz in dem RKI. Drosten hat Morddrohungen erhalder Sendung.. ten. Inwieweit trafen derartige Angriffe auch das Helmholtz-Zentrum und Ihre Professoren? Insbesondere nach Fernsehauftritten erhalten wir auch mal negative Stimmen. Aber so extrem, wie Professor Drosten das schildert, sind die Beleidigungen und Angriffe gegen unsere Wissenschaftler bislang glücklicherweise nicht. Nach den Modellierungen von Professor Meyer-Hermann, die besagten, dass der Lockdown etwas länger fortgesetzt werden sollte, gab es aus der Wirtschaft nehmen Sie die Fachkompetenz von Journalisten im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich wahr? Bedenken. Uns haben Unternehmer angeschrieben, die ihre Position klargemacht haben. Das ist aber auch richtig. Man muss leider sagen, dass einige Journalisten nicht Nach einer Talkshow von „Anne Will“ mit Meyer-Hermann gut vorbereitet in die Diskussion gehen. Wir haben Anfraist die Modellierung mit dem IFO-Institut entstanden, gen bekommen, die sich Journalisten schon anhand der dass alles, was das Virus schädigt, auch gut für die WirtFAQs des Robert Koch-Instituts selbst hätten beantworten schaft ist. Die Interessen sind weitgehend deckungsgleich. können. Einige hingen in der Diskussion drei Wochen hinWie entscheiden Sie, welche TV- und Talkterher. Solche Anfragen beantworten wir dann mit Pool-Stashow-Auftritte Ihre Professoren wahrnehmen? tements. Es geht ja vielen nur darum, irgendwie ein zitierfä„Lanz“ ist zum Beispiel ein Format, in dem Melahiges Statement zu bekommen – fast egal von wem. Es gibt nie Brinkmann häufig zu Gast ist. aber auch Wissenschafts-, Medizin- und Daten-JournalisIch höre mir im redaktionellen Vorten, die sich sehr gut eingelesen haben. gespräch die Themen und die Gästeliste Denjenigen Journalisten, die sich nicht an und entscheide dann, ob ich unsere „ Ich habe praktisch so gut auskennen, bieten wir an, dass wir Experten dort reinsetzen möchte. Wir eine Standleitung Artikel noch einmal gegenlesen und Fakwürden uns zum Beispiel nicht an Bunzu unseren ten checken. Die Tonalität der Artikel desliga-Diskussionen beteiligen. Wenn Wissenschaftlern.“ verändern wir natürlich nicht. es darum geht, neue Ergebnisse zu komMachen Medien das? Lassen munizieren, die wir ja am HZI jeden Tag diese Fakten checken? haben, dann beteiligen wir uns gerne. Ja. Manchmal Teile von Artikeln Meine Philosophie lautet, eher seltener aufzutreten und oder auch ganze Artikel. Wer sehr unsicher ist, macht das dafür mit konkreten Ergebnissen in eine Debatte reinzudurchaus. Leitmedien tun das in der Regel nur in Ausgehen. Wir sind natürlich trotzdem sehr präsent. Aber das nahmefällen. ist viel weniger, als was wir machen könnten. Ein Problem Wie bereiten Sie Ihre Experten auf Pressetermine für die Medien ist, dass in der Corona-Diskussion anfangs vor? nicht viele Experten bereit waren, vor die Kamera zu treten. Professor Krause war vorher beim RKI und ist sehr gut Eigentlich müssten doch sehr viele Mediziner trainiert im Umgang mit Medien. Er formuliert sehr ausüber die notwendige Expertise verfügen. Zum Beigewogen. Unsere anderen Wissenschaftler haben eine Art spiel in der Deutschen Gesellschaft für Virologie. Training on the Job bekommen. Wir haben Pressetermine Wir mussten viele Presseanfragen aus Ressourcengrünvor- und nachbereitet. Wir waren anfangs von der Anfraden absagen. Es hätte also die Chance für andere Expergenflut so überrannt, dass es eher eine persönliche Beraten gegeben. Wir haben Medien auch regelmäßig andere tung war. Diejenigen HZI-Experten, die jetzt mit ihren kompetente Virologen oder Impfstoffforscher empfohlen. Forschungsprojekten als Newcomer an die Öffentlichkeit Christian Drosten beklagte sich, dass er von gehen, bereiten wir systematisch vor. Ohne Training treMedien falsch wiedergegeben worden sei. Wie ten diese nicht vor die Kamera.

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Worauf kommt es an, wenn Wissenschaftler vor die Kamera treten? Was können sie falsch machen? Man muss Wissenschaftler gut darauf vorbereiten, dass in Talkshows investigative Fragetechniken verwendet werden. Es wird schnell von der eigentlichen Expertise in das persönliche Leben gewechselt, so dass ein Wissenschaftler geneigt ist, als einfacher Bürger zu antworten. Diese Äußerungen werden dann trotzdem als wissenschaftliche Expertise wahrgenommen. Sich auf den wissenschaftlichen Bereich und seine Kompetenz zu beschränken, muss man trainieren. Wie sollen sich Wissenschaftler in so einer Situation verhalten? Eine Möglichkeit ist, im Interview deutlich zu sagen, dass ich nicht mehr als Forscher antworte, sondern beispielsweise als Mutter oder als Vater. Es ist ein dynamischer Prozess. In die Falle tappt man normalerweise nur einmal. Beim nächsten Mal sind Wissenschaftler dafür sensibilisiert und es passiert nicht mehr. Mit welchen Herausforderungen ist die Wissenschaftskommunikation allgemein konfrontiert? Worin liegt die Schwierigkeit, wissenschaftliche Themen Journalisten und der Öffentlichkeit verständlich zu machen? Es ist wichtig, die Fragen von Laien immer ernst zu nehmen. Es gibt keine dummen Fragen. Wir versuchen, wissenschaftliche Ergebnisse mit dem Alltag zu verbinden und die Bedeutung für den einzelnen klarzumachen, indem wir einzelne Beispiele verwenden. Was bedeuten multiresistente Keime, wenn jemand in eine Klinik geht? Was bedeuten solche Keime für eine einfache Zahn-OP? Dann wird vieles schnell verständlich. Wie gehen Sie damit um, wenn zum Beispiel auf Facebook oder Twitter falsche Tatsachen, Fake

II/2020

News oder Verschwörungstheorien unter Ihren Postings geteilt werden? Wenn wir faktisch belegen können, dass etwas falsch ist, dann stellen wir das natürlich richtig. Auf ganz heftige Schlachten in den Social Media lassen wir uns nicht ein. Es gibt andere Wege. Als wir Anfragen zu der Theorie erhalten haben, dass das Coronavirus in einem Labor in Wuhan entstanden sein soll, sind wir darauf in einem Interview eingegangen und haben dort erklärt, dass es dafür keine wissenschaftlichen Hinweise gibt. Die besonders spannenden Zeiten für eine Pressesprecherin oder einen Pressesprecher sind häufig die, die für die Gesellschaft oder ein Unternehmen schwierig sind. Wie bewerten Sie diese Krise für sich selbst? Mein Privatleben abends und am Wochenende ist seit Januar praktisch runtergefahren. Es ist eine sehr arbeitsreiche Zeit. Sie schweißt aber auch das Team zusammen. Einen Teil der Zeit mussten wir aus dem Homeoffice arbeiten, was noch einmal eine besondere Herausforderung war. Ich bin selbst Mikrobiologin und würde schon sagen, dass es die spannendste Zeit meines beruflichen Lebens ist. Gibt es etwas, das Sie selbst aus dieser Krise mitnehmen und was Sie überrascht hat? Ich muss lobend erwähnen, dass wir bei Medien auf ein großes Verständnis gestoßen sind, unter welchem Stress wir aktuell stehen. Ich habe wenige aggressive E-Mails von Journalisten erhalten und eher ein positives Miteinander mit den Medien erlebt. Das hätte ich mir in so einer Extremsituation anders vorgestellt. Einige haben sich sogar gefreut, dass wir in dieser stressigen Lage überhaupt Statements möglich machen. Wir hatten ebenfalls mit effekthaschenden Überschriften zu tun. Vieles versendet sich aber auch einfach. Welche Kompetenzen sollte jemand mitbringen, der in der Wissenschaftskommunikation tätig sein möchte? Es hilft, ein naturwissenschaftliches Studium zu haben, um überhaupt zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert. Dazu Fremdsprachenaffinität, weil die Wissenschaftssprache Englisch ist. Man muss Interviews auf Englisch führen können. Meine Empfehlung ist, als Trainee in eine wissenschaftliche Pressestelle zu gehen oder als Volontär in einer Wissenschaftsredaktion zu beginnen. Vor allem muss man Spaß daran haben, an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kommunikation zu arbeiten.

VOLKER THOMS ist Chefredakteur des Magazins pressesprecher.

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BUND FÜRS ­LEBEN Der FÖDERALISMUS wird oft als Hemmschuh gescholten. In Zeiten der Pandemie kann die zweite Ebene aber wichtige Verantwortung übernehmen. Vor allem wenn Populisten an der Spitze versagen

VON URSULA MÜNCH

G

overnors don’t do global pandemics“. Der Hinweis von Andrew Cuomo, dem Regierungschef des Staates New York, die Bekämpfung einer globalen Pandemie gehöre nicht zur Jobbeschreibung eines US-amerikanischen Gouverneurs, legte – wenn auch unausgesprochen – eine einschränkende Ergänzung nahe: Es sei denn, der Präsident ist unfähig. Scheinbar sind bundesstaatliche Strukturen für Krisen im Allgemeinen und eine Pandemie im Besonderen ungeeignet. Schließlich erfordern krisenhafte Zuspitzungen nach landläufiger Vorstellung schnelle Entscheidungen und nicht

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die zeitraubende Koordination mehrerer politischer Ebenen. Das ebenso beliebte wie Tatsachen verzerrende „Flickenteppich“-Narrativ wird der Leistungsfähigkeit von Bundesstaaten auch in Zeiten der Pandemie jedoch nicht gerecht.

Föderalismus kann Leben retten Zu den generellen Vorzügen föderaler Strukturen gehört nicht allein die Möglichkeit, differenzierte politische Antworten auf unterschiedliche Problemlagen zu geben, sondern vor allem die freiheitssichernde, da machthemmende Funktion von Föderalismus. Vergleicht man nationales Krisenmanagement in Zeiten der Pandemie, wird offensichtlich, dass Föderalismus aber noch deutlich

politik & kommunikation


Linke Seite: Bei der Besichtigung der Ford-Fabrik im Mai in Ypsilanti hält US-Präsident Donald Trump ein Gesichtsvisier hoch. Mundschutz trug Trump trotz Aufforderung nicht. Er wolle der Presse keine „Freude“ machen.

mehr kann – unter bestimmten Umständen retten bundesstaatliche Strukturen sogar Leben. So stünden die beiden weltweit nach ihrer jeweiligen Einwohnerzahl zweitund drittgrößten Bundesstaaten ohne ihre bundesstaatliche Struktur in der Pandemie ausgesprochen schlecht da – nämlich allein mit ihren Präsidenten. Sowohl Jair Bolsonaro, der brasilianische Präsident, als auch der US-amerikanische Präsident Donald Trump sind als Corona-Leugner oder zumindest als Verharmloser bekannt: Beide Staatschefs hatten die Epidemie in der entscheidenden Anfangsphase kleingeredet und in ihrem weiteren Verhalten eine Sorg- und Verantwortungslosigkeit an den Tag gelegt, die etwa vom Präsidenten des brasilianischen Kongresses Rodrigo Maia als „Attentat auf die öffentliche Gesundheit“ bewertet wurde.

Gouverneure als Ausfallbürgen Dass die Gesundheitskrise in den beiden amerikanischen Staaten nicht noch dramatischer verläuft bezie-

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Diese Seite: Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro spielt die Gefahr des Corona-Virus herunter. Immer wieder provoziert er, indem er ohne Mundschutz die Hände seiner wartenden Anhänger schüttelt.

hungsweise verlaufen ist, lässt sich auch darauf zurückführen, dass die eigentliche Pandemiebekämpfung vor allem auf der subnationalen Ebene geleistet wird: In beiden Staaten fungieren Gouverneure als Ausfallbürgen für die unzuverlässige, handlungsunwillige und unfähige Bundesregierung. In dieser Funktion werden die exekutiven Repräsentanten der subnationalen Ebene häufig unterstützt durch die Bürgermeister der (großen) Städte, die in Brasilien sogar eine eigenständige staatliche Ebene bilden. Nicht nur der Parlamentarismus und damit das gesamte Regierungssystem, sondern auch der US-amerikanische und der brasilianische Bundesstaat sind anders aufgebaut als der bundesdeutsche, und sie funktionieren auch anders. Das bereits in der deutschen Verfassungsgeschichte angelegte föderale „Verbundmodell“ ist auf eine intensive Kooperation von Bund und Ländern angewiesen, schließlich sind die Länder bei uns unter anderem für den Vollzug der Bundesgesetze zuständig. Die Strukturen und Praktiken dieser Kooperation sind prägende Größen deutscher Staatlichkeit. Neben dem insge-

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samt leistungsstarken Gesundheitssystem und der funktionierenden (Gesundheits-)Verwaltung in Ländern und Gemeinden sind hier die Ursachen dafür zu finden, dass die Pandemie in Deutschland glimpflich verläuft.

Stärkere Trennung in den USA und Brasilien In den USA und Brasilien dagegen (wie auch in der Schweiz) sind die Ebenen von Zentralstaat und Gliedstaaten deutlicher voneinander getrennt. Gemeinsame Pressekonferenzen der Regierungschefs von Zentralstaat und Einzelstaaten, in denen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung vorgestellt und erläutert werden, gibt es dort nicht. In Amerika findet auch keine institutionalisierte, sondern höchstens eine gelegentliche Zusammenarbeit auf der Ebene der Einzelstaaten statt.

Auch wenn die Gouverneure in ihrem Bemühen um einen Ausgleich für das fehlende präsidiale Krisenmanagement gelegentlich sogar so weit gehen, sich über das Freund-Feind-Denken des Präsidenten hinwegzusetzen und seine anschließenden Schmähungen hinzunehmen, wird selbst die US-amerikanische Infektionslandkarte in den Parteifarben blau (Demokraten) und rot (Republikaner) gedeutet: Die vom Virus am härtesten betroffenen Staaten leiden unter der doppelten Belastung durch entgangene Steuereinnahmen und explodierende Kosten für die Gesundheitsversorgung gerade der Ärmsten in der Bevölkerung. Besonders hart trifft es die bevölkerungsreichen „blauen“ Staaten mit ihren großen Metropolen, die stärker betroffen sind als die dünn besiedelten ländlichen Staaten, deren Gouverneure meist den Republikanern angehören. Im republikanisch dominierten Senat sind aber genau die bevölkerungsreichen Staaten wegen

BUNDESSTAATEN IM VERGLEICH

DEUTSCHLAND

USA

BRASILIEN

Aufgaben­ teilung

Verbundmodell mit überwiegend funktionaler Aufgabenverteilung zwischen Bund und den 16 Ländern: Zentralstaat vor allem Gesetzgebung; Gliedstaaten vor allem Vollzug Bundesgesetze.

Trennmodell mit Aufgabenteilung zwischen Zentralstaat und den 50 Einzelstaaten meist nach Staatsaufgaben: Die Ebene, die für eine Aufgabe zuständig ist, erlässt und vollzieht Gesetze.

Eigentlich Trennmodell, faktisch aber Verbundmodell, in dem die Gesetze und Maßnahmen des Zentralstaats vor allem von Behörden der 27 Gliedstaaten und Kommunen umgesetzt werden.

Kooperation

Zusammenarbeit von Bund und Ländern unverzichtbar, auch wegen Vollzug der meisten Bundesgesetze durch Landesbehörden.

Ursprüngliche Trennung zwischen Bund und Einzelstaaten unter anderem wegen Finanzzuweisungen des Bundes an die unteren Gebietskörperschaften inzwischen häufig durchbrochen.

Die drei staatlichen Ebenen sind laut Verfassung strikt getrennt. Faktisch in vielen Bereichen starke Einflussnahme des Zentralstaats – vor allem auf finanzschwache subnationale Einheiten.

Beteiligung der Glied­ staaten an der Willensbildung des Gesamtstaates

Bundesrat setzt sich aus Mitgliedern der Landesregierungen zusammen. Anzahl der Stimmen eines Land abhängig von dessen Einwohnerzahl. Stimmen eines Landes (zwischen 3 und 6) können nur einheitlich abgegeben werden. Derzeit insgesamt 69 Stimmen.

Direktwahl (seit 1913) der Senatoren durch die Wahlbevölkerung der Einzelstaaten für sechs Jahre. Jeder Einzelstaat entsendet zwei Senatoren – unabhängig von Bevölkerungsstärke. Insgesamt 100 Senatoren.

Direktwahl der Senatoren durch die Wahlbevölkerung der Einzelstaaten für acht Jahre. Jeder Einzelstaat entsendet drei Senatoren – unabhängig von Bevölkerungsstärke. Insgesamt 81 Senatoren.

Stellung ­Kommunen

Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung durch Grundgesetz. Städte und Gemeinden sind staatsrechtlich Teil der Länder. Kein Durchgriffsrecht des Zentralstaats gegenüber Kommunen.

Keine Absicherung der Stellung der Gemeinden in der Bundesverfassung. Kommunen sind staatsrechtlich Teil der Einzelstaaten.

Besonderheit: Munizipien (ca. 5.500 Kommunen) sind neben Einzelstaaten gleichberechtigte Mitglieder der Föderation.

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politik & kommunikation


Um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, verwendet Kalifornien Bundesmittel, um Obdachlose im Rahmen von „Project Roomkey“ die Möglichkeit zu geben, vorübergehend in dafür ausgewiesene Hotels zu ziehen.

Populismus als Abgrenzung von den sogenannten Eliten

Der Gouverneur vom US-Bundesstaat New York, Andrew Cuomo. Als US-Präsident Trump auf Twitter eine laufende Pressekonferenz Cuomos kritisierte, giftete der zurück, Trump solle den Fernseher ausschalten und seinen Job tun.

des antiquierten amerikanischen Wahlsystems proportional schlechter vertreten.

Konkurrenz statt Kooperation bei Corona Diese blau-rote Dichotomie überzog bereits vor Jahrzehnten alle Dimensionen US-amerikanischer Politik und führte zu einer Art Kulturkampf. Auch deshalb wäre es falsch, gerade im US-amerikanischen Wahljahr auf den Einzug einer neuen Überparteilichkeit und Ideologiefreiheit zu hoffen. Eher umgekehrt: Corona forciert den Wettbewerb um Ressourcen oder politische Anerkennung sogar. Dass es in den USA nicht zur völligen Blockade des politischen Systems kommt, liegt zum einen daran, dass der Präsident die beiden Kammern des Kongresses mittels sogenannter „executive orders“ („Durchführungsverordnungen“) umgehen kann. Und es ist zum anderen darauf zurückzuführen, dass die Gouverneure gerade der von Corona besonders gebeutelten „blauen“ Staaten ihre Möglichkeiten im Rahmen der bundesstaatlichen Kompetenzordnung nutzen, um eine andere Eindämmungspolitik zu verfolgen als der Bund. So ergriff der demokratische Gouverneur von New York als Antwort auf die Verharmlosungsbotschaften Trumps harte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und erließ zum Beispiel „Mathilda’s Law“ – geschickt benannt nach seiner Mutter, der überaus populären Ehefrau des früheren Gouverneurs Mario Cuomo. Diese Maßnahme verfügte für Risikogruppen noch weitergehende Beschränkungen. Auch der demokratische Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, initiierte eine besondere Aktion:

II/2020

Die eigenständige und weitreichende Pandemiebekämpfung gerade der demokratischen Gouverneure stößt bei den Anhängern Trumps auf entschiedenen, teils auch martialisch zur Schau getragenen Protest. Diejenigen, die angesichts des „shutdowns“ die sozialpolitisch kaum abgefederte Vernichtung ihrer ökonomischen Existenz zu fürchten haben, folgen ausgerechnet der populistisch unterfütterten Rede vom „lean state“ („schlanker Staat“). Die Corona-Krise entlarvt die Denkweise populistisch geprägter Politik: Wissenschaftsfeindlichkeit und Anti­ intellektualismus gelten nicht als peinlich und rufschädigend, sondern werden vielmehr schon deshalb gepflegt, um sich von den sogenannten Eliten abzugrenzen und bei den Massen anzubiedern. Ihre Ablehnung des föderalen Systems geht weit über die derzeitige Krise hinaus: Sowohl Trump als auch Bolsonaro spüren instinktiv, dass das gewaltenhemmende föderale System – nicht zuletzt in Kombination mit einer unabhängigen Justiz und kritischem Journalismus – ihren politischen Machtanspruch und ihren persönlichen Geltungsdrang unterminieren. Sowohl Trump als auch Bolsonaro hatten phasenweise versucht, ihre jeweiligen subnationalen Ebenen bei der Pandemiebekämpfung zu übergehen und sich als allmächtige Krisenmanager aufzuspielen. Erst als die Pandemie in beiden Staaten begann aus dem Ruder zu laufen, „entdeckten“ beide ihre Einzelstaaten: als Sündenböcke, denen man die Schuld an zu spätem oder auch zu weitgehendem Krisenmanagement zuweisen konnte. Ungeachtet dieser Ablenkungsversuche verweist das föderale System von „checks and balances“ auch Trumps Anspruch, der Präsident genieße im Kampf gegen die Pandemie „total authority“, da er das Recht habe, die von den Gouverneuren verhängten Beschränkungen aufzuheben, ins Reich der Wünsche. Die US-amerikanische Verfassung verbietet also nicht nur einen „King Trump“ (Andrew Cuomo), sondern erhöht die Chance, verantwortungsvoll regiert zu werden: Die zweite staatliche Ebene macht es möglich.

URSULA MÜNCH ist Professorin für Innenpolitik und Vergleichende Regierungslehre an der Universität der Bundeswehr in München und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing

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ZU VOLL ­VERSAMM­LUNG Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben es in dieser Legislaturperiode versäumt, das WAHLGESETZ zu ändern. Dabei muss eine erneute Vermehrung der Parlamentssitze verhindert werden.

VON ECKHARD JESSE

W

ahlsystemfragen sind Machtfragen. Dieser Satz kennzeichnet das Verhalten der Bundestagsparteien. Seit einigen Jahren steht in der (Politik-)Wissenschaft, der Publizistik und der Politik die Wahlrechtsthematik auf der Agenda. Auch das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach Stellung dazu bezogen. So wird darüber diskutiert, wie sich ein weiteres personelles Aufblähen des Deutschen Bundestages verhindern lässt. Mehrere Versuche des früheren Bundestagspräsidenten Nobert Lammert und des jetzigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble führten zu keinem Erfolg. Beide warteten sogar mit eigenen Vorschlägen auf. Obwohl alle Parteien prinzipiell die Notwendigkeit eingesehen haben, die Zahl der Bundestagsabgeordneten zu verkleinern, ist inzwischen die Frist verstrichen, bis zu der eine Änderung des Wahlgesetzes noch möglich gewesen wäre. Ab dem 25. Juni können die Parteien mit der Aufstellung ihrer Kandidaten beginnen. Sie haben – zu ihrem Nachteil – taktiert, auf Zeit gespielt. Dies ist ein Armutszeugnis für die politische Klasse. Sie muss den Vorwurf hinnehmen, offenkundig eigene Interessen über das Gemeinwohl gestellt zu haben. Dies ist eine Blamage, wenn nicht gar ein Skandal. Die Bundestagswahlen 2021 finden nun nach den bisherigen Regeln statt. So gut wie keine Debatte gibt es über eine „große Wahlsystemreform“: Soll das auf dem Prinzip der Proportionalität von Stimmen und Mandaten basierende hiesige Wahlsystem grundlegend geändert werden? In den 1950er-Jahren und auch zur Zeit der ersten großen Koalition (1966– 1969) wurde darüber noch gestritten. Seither ist dieses

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Thema weithin aus dem Blickwinkel verschwunden, obwohl die politischen Konstellationen eine intensive Diskussion eigentlich nahelegen: keine regierungsfähigen Mehrheiten für lagerinterne Koalitionen; massive Schwächung der Volksparteien; Stärkung populistischer Parteien, die für ein Regierungsbündnis mehr oder weniger ausfallen und dadurch das Entstehen Großer Koalitionen begünstigen. Das einst so gepriesene Wahlsystem versagt angesichts veränderter Rahmenbedingungen in der Praxis. Es gibt gute Gründe für ein stärker mehrheitsbildendes Wahlverfahren. An dieser Stelle soll jedoch nur davon die Rede sein, wieso das Problem mit dem aufgeblähten Parlament entstanden ist, was die Parteien an Initiativen zur Lösung unternommen haben und welcher Ausweg aus der Sackgasse führt. Full House: Am 24. Oktober 2017 konstituierte sich der 19. Deutsche Bundestag in Berlin

Stimmgewichtsprobleme Für das Verständnis der jetzigen Wahlrechtsproblematik ist es notwendig, bis auf das Jahr 2005 zurückzugehen. Wenige Tage vor der Bundestagswahl verstarb eine Wahlkreiskandidatin der NPD. Daraufhin fand nach Maßgabe des Wahlgesetzes in diesem Wahlkreis – Dresden I – eine Nachwahl statt, damit die Partei einen anderen Direktkandidaten – es war ausgerechnet Franz Schönhuber, der frühere Chef der „Republikaner“ – ins Rennen schicken konnte. Nach Bekanntgabe des Bundestagswahlergebnisses wurde der Effekt des paradox anmutenden negativen Stimmgewichts für jedermann erkennbar. Mehr Zweitstimmen für die CDU in diesem Wahlkreis könnten unter dem Strich zu einem Mandat weniger führen, und zwar durch den Verlust eines Überhangmandats. Repräsentanten der CDU wollten das vermeiden und ermunterten ihre Wähler, mit der Erststimme für den eigenen Kandidaten zu votieren und mit der Zweitstimme für die FDP. So errang ihr Direktkandidat das Wahlkreismandat, und das Zweitstimmenresultat fiel für sie erfreulich niedrig aus. Das Bundesverfassungsgericht erklärte als Reaktion auf Wahlprüfungsbeschwerden im Jahre 2008 ein derartiges negatives Stimmgewicht für null und nichtig. Die Parlamentarier ließen bis Ende September 2011 Zeit vergehen, bevor die Regierungsfraktionen (CDU/CSU und FDP) ein Wahlgesetz verabschiedeten, ohne die Opposition einzubeziehen. Das Bundesverfassungsgericht gab der Klage der Opposition 2012 Recht und erklärte auch dieses Gesetz für verfassungswidrig. Zum einen beanstandete es den nach wie vor bestehenden inversiven Erfolgswert, zum andern die Gefahr des Aufkommens von Überhangmandaten in überreichem Maße. Nur bis zu 15 Überhangmandate seien rechtens. Das neue, bis heute geltende Wahlgesetz von 2013, nun mit den Stimmen aller Bundestagsparteien verabschiedet, sieht Ausgleichsmandate vor für Überhangmandate, die aufkommen, wenn eine Partei in einem Land mehr Direktmandate errungen hat als ihr nach den Zweitstimmen Landeslistenmandate zustehen. Um allen Einwänden des Gerichts in puncto „inverser Erfolgswert“ Rechnung zu tragen, ist das Wahlgesetz kompliziert und intransparent ausgefallen. Und bereits seinerzeit war aufgrund der Schwäche der großen Parteien ein aufgedunsenes Parlament absehbar.

Gescheiterte Reformen Da es bei der Bundestagswahl 2013 „nur“ zu vier Überhangmandaten gekommen war (und – irrigerweise – zu 29 Ausgleichsmandaten), fühlten sich die Parlamentarier nicht zu Reformen in eigener Sache bemüßigt, obwohl die Wissenschaft immer wieder auf die Notwendigkeit zum Handeln hingewiesen hatte. Anders sah das nach der Bundestagswahl 2017 aus: Die Zahl der Abgeordneten stieg ge-

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begrenzen (notfalls mit einer Kappung für Direktmandate wie bei der AfD), vermochte sich die Union nicht auf eine Line zu einigen. CDU und CSU akzeptieren 15 ausgleichslose Überhangmandate, doch will die CSU die Zahl der Direktmandate nicht reduzieren, während die CDU mit einer moderaten Verringerung wohl einverstanden wäre.

Generell reformunfähig?

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (o.), Vorgänger Norbert Lammert (u., beide CDU)

Das Ausbleiben einer Reform in den letzten Monaten lässt sich nicht Covid-19 in die Schuhe schieben. Der Attentismus der Parteien folgte wohl dieser Maxime: Wenn wir schon Stimmen verlieren, wollen wir wenigstens unsere Mandate behalten. Der Verstoß gegen die Regelgröße von 598 Mandaten hat weitere Nachteile: steigende Kosten für den Steuerzahler, Erschwernis der Kommunikation im Parlament, provisorischer Containerbau für Abgeordnete und ihre Mitarbeiter. Deutschland hat bereits jetzt hinter dem Nationalen Volkskongress in China das größte Parlament, bezogen auf die Zahl der Abgeordneten. Was die Parteien diesmal versäumt haben, war ihnen in der Vergangenheit gelungen: 1996 wurde beschlossen, die Zahl der Mandate ohne Überhangmandate von 672 (eine Folge der deutschen Einheit) auf 598 zu reduzieren. Allerdings galt die Regelung erst für die übernächste Legislaturperiode. Das machte den Abgeordneten ein solches Votum leichter. Die Parteien müssen sich die Frage gefallen lassen, ob die fehlende Einigung in diesem Punkt ihre generelle Reformunfähigkeit signalisiert.

Reformvorschlag genüber der Regelgröße von 598 Mandaten um 111 auf 709, und zwar durch 46 Überhang- und 65 Ausgleichsmandate (siehe die Tabelle). Der Hauptgrund: Die CDU hatte zwar massiv an Zweitstimmen verloren, aber zugleich den Löwenanteil an Direktmandaten eingeheimst. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble setzte 2018 eine mit je einem Vertreter der Bundestagsparteien bestückte Arbeitsgruppe ein. Sie sollte in aller Vertraulichkeit ein Reformmodell ausarbeiten, doch im April 2019 musste sie ihr Scheitern eingestehen. Von nun an agierten die Parteien mehr oder weniger auf eigene Faust. Die AfD stellte den – im Bundestag abgeschmetterten – Antrag, die Zahl der Direktmandate in einem Land dürfe nicht das Zweitstimmenergebnis übersteigen, um die Regelgröße zu wahren. Die Konsequenz: Wer seinen Wahlkreis mit einem schwachen Resultat gewinnt, wäre nicht im Bundestag vertreten. Die anderen drei Oppositionsparteien einigten sich auf einen Gesetzentwurf, der eine Gesamtzahl von 630 Mandaten vorsieht und die Zahl der 299 Wahlkreise auf 250 reduziert. Allerdings kann bei diesem Modell die Größenordnung von 630 Mandaten nicht garantiert werden. Wartete die SPD mit einem Vorschlag auf, die Zahl der Abgeordneten – ohne einen Neuzuschnitt der Wahlkreise – auf 690 zu

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Viele Ideen, wie sich ein aufgeblähtes Parlament vermeiden lässt, sind im Gespräch. Alle weisen sie mehr oder weniger den einen oder anderen Pferdefuß auf, zum Beispiel die Gefährdung des föderalen Proporzes innerhalb der Fraktionen, wenn Überhangmandate in einem Bundesland mit Listenmandaten in einem anderen Bundesland verrechnet werden. Und Personen, die „ihren“ Wahlkreis direkt gewonnen haben, den Einzug in ein Parlament zu verwehren, ist wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Der folgende Reformvorschlag ist radikaler Natur. Sein Vorteil: Nach menschlichem Ermessen entstehen keine Überhangmandate und somit auch keine Ausgleichsmandate: Die Zahl der Direktmandate, bisher 50 Prozent, wird auf ein Viertel reduziert, also auf 150. Der Wählerwille kommt ohne Aufstockung der Mandate ungefiltert zur Geltung. Gegen größere Wahlkreise wird häufig eingewandt, dadurch bröckele die Verbindung zwischen Abgeordneten und Wählern. Erstens ließe sich aber fragen, ob eine solche enge Beziehung überhaupt besteht. Zweitens basiert der Vorbehalt weithin auf einem Missverständnis, da die Listenabgeordneten, die in der Regel auch im Wahl-

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TABELLE: ÜBERHANG- UND AUSGLEICHS­ MANDATE SEIT DER B­ UNDESTAGSWAHL 1990 Wahljahr

CDU

CSU

SPD

Gesamt

4

16

1990

6

1994

12

6

1998

13

2002

1

4

5

2005

7

9

16

2009

21

3

2013

4

2017

36

13

24 33*

7

3

111**

* 4 Überhangmandate plus 29 Ausgleichsmandate: CDU 13, SPD 10, Die Linke 4, Grüne 2 ** 46 Überhangmandate plus 65 Ausgleichsmandate: SPD 19, FDP 15, AfD 11, Die Linke 10, Grüne 10

kreis kandidiert haben, ebenso „Wahlkreispflege“ betreiben. Im Durchschnitt stammen also vier Abgeordnete aus einem Wahlkreis, manchmal mehr, manchmal weniger. Im Internetzeitalter gibt es ohnehin genügend Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Abgeordneten und Wählern. Und im Bundestag spielt der Unterschied zwischen Wahlkreis- und Listenabgeordneten keine sonderlich große Rolle, wenngleich ein direkt Gewählter wohl über eine größere Unabhängigkeit verfügt.

Das Parlament sollte sich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode zu einer einschneidenden, keiner halbherzigen Reform fraktionsübergreifend durchringen. Die politisch interessierte Öffentlichkeit müsste selbst dann Druck ausüben, wenn der Wahlausgang 2021 nicht erneut zu dem befürchteten Aufblähen führt, z. B. durch ein sehr gutes Zweitstimmenergebnis der Union. Und was wichtig wäre: Das Wahlsystem mit der Regelgröße sollte künftig im Grundgesetz verankert sein. Das bedeutet nicht, dies sei damit ein für alle Mal festgeschrieben. Es ließe sich dann aber ausschließlich im Konsens der tragenden politischen Kräfte ändern. Ein Wahlsystem darf nicht zum Spielball politischer Interessen werden. Denn Wahlsystemfragen sind nicht nur Machtfragen, sondern auch Legitimationsfragen. Schließlich entscheidet der Souverän bei der Wahl darüber, wer zur Regierungsübernahme demokratisch legitimiert ist.

ECKHARD JESSE ist emeritierter Professor an der TU Chemnitz mit einem Schwerpunkt auf Parteien- und Wahlforschung.

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IM SCHATTEN DES VIRUS Bis zum Ausbrechen der Pandemie waren MIGRANTEN UND GEFLÜCHTETE eines der größten Themen in Deutschland. Jetzt gefährdet das Coronavirus ihre Gesundheit, Chancen und Integration – und kaum jemand spricht darüber.

VON NEVEN KLEPO

V

or knapp drei Monaten, im März, da war 2015 plötzlich wieder ganz nah. Deutsche Zeitungen und das Internet waren voller Bilder von Flüchtlingen, die sich an der türkisch-griechischen Grenze drängten und von griechischen Sicherheitskräften mit Tränengas beschossen wurden. Migration und Asyl waren kurz davor, wieder als große Streitthemen in die deutsche Öffentlichkeit zurückzudrängen. Auch die beiden alten Lager, „lasst sie rein“ und „wehrt sie ab“, waren schnell formiert. Dann kam Corona. Mittlerweile sind Politik und Gesellschaft mit vielem beschäftigt: Corona, Wirtschaft, auch Rassismus. Über Asylbewerber, die in Deutschland leben, redet kaum jemand. Dabei sind sie von allen diesen drei Themen besonders stark betroffen. Zunächst ist positiv zu konstatieren: In den letzten fünf Jahren sind flächendeckend auf dem gesamten Bundesgebiet aus der Flüchtlingskrise heraus krisenfeste Strukturen entstanden, die abmildernd auf die Auswirkungen der Corona-Krise für Asylbewerber wirken konnten. Vor allem Strukturen für die Beratung und Betreuung der neu angekommenen Menschen hielten der Pandemieherausforderung stand. In Bayern etwa stehen für die Betreuung von Geflüchteten landesgeförderte Flüchtlings- und Integrationsberatungen bereit, die durch zusätzliche Förderungen einzelner Kommunen für Beratungs- und Koordinationsstellen unter anderem für ehrenamtliche Helfer ergänzt werden. Hinzu kommen die bereits 2005 aufgebauten vom Bund geförderten Migrationsberatungsstellen, die auch von anerkannten Asylbewerbern aufgesucht werden können.

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Trotz der großen Anstrengungen der Beratungsstellen sind Aspekte der Integrationsarbeit durch das Brennglas Corona-Krise mit einer neuen Dringlichkeit in den Vordergrund gerückt. Die Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit Geflüchteten, die Wichtigkeit sozialer Kontakte für die Integration, der auftretende Bildungsrückstand geflüchteter Schulkinder ebenso wie die häufig diskutierten Unterbringungsformen von neu ankommenden Asylbewerbern müssen wieder in den Blick genommen. Wertvolle, hart erkämpfte Fortschritte der Integration drohen sonst verloren zu gehen.

Kontaktlose Beratung Die greifbarste Auswirkung der Corona-Krise auf die Betreuung der Geflüchteten bestand darin, in kürzester Zeit Beratungsangebote trotz der eingeschränkten persön-

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Ein Mann steht am Fenster einer Flüchtlingsunterkunft im Frankfurter Stadtteil Bockenheim. In der Gemeinschaftsunterkunft sind im Mai 65 Bewohner sowie zwei Mitarbeiterinnen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) positiv auf Covid-19 getestet worden.

lichen Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Der persönliche Kontakt vor Ort in den Gemeinschafts- und Sammelunterkünften wurde auf einen äußerst begrenzten Personenkreis beschränkt. Die Mehrheit der Beratungen erfolgte auf ungewohnte Weise entweder telefonisch oder als Online-Beratung. Für Notfälle hatten die meisten Beratungsdienste einzelne Büros außerhalb der Unterkünfte geöffnet. Die Berater fanden kreative Wege, wie Dokumente kontaktlos, zum Beispiel für eine Ausfüllhilfe abgegeben werden konnten. Aus den Zeiten der Flüchtlingskrise haben die meisten Integrationsarbeiter Erfahrungen gesammelt, wie sie in einem äußerst schwierigen Umfeld, das nur geringe Ressourcen aufweist, bestmöglich den Bedarf ihrer Klienten decken – auch ohne Büroausstattung oder Übersetzer, mithilfe der allgemein bekannten Hand-und-Fuß-Sprache. Des Weiteren hat sich in den letzten fünf Jahren eine enge Verbindung zwischen staatlichen Stellen, hauptamt-

II/2020

lichen Integrationsberatungen und ehrenamtlichen Helfern als Dreigestirn der Integrationsarbeit herausgebildet. Die Kommunikation mit den Geflüchteten wird über den Austausch dieser Akteure aufrechterhalten. In kürzester Zeit wurden von unterschiedlichsten Stellen Informationsblätter mit Übersetzungen in mehr als 30 Sprachen der Welt erstellt. Auch wurde an Plakate mit der Darstellung der wichtigen Hygiene- und Schutzmaßnahmen mit Piktogrammen gedacht, die ebenfalls für Analphabeten verständlich sind. Zusätzlich wurden die Bewohner der Unterkünfte stetig durch hauptamtliche Beratungsstellen und Helfer aufgeklärt, insbesondere wenn eine Quarantäne angeordnet wurde. Die Organisation der Versorgung von in Quarantäne gestellten Unterkünften trugen meist amtliche Stellen, wobei gerade in der Anfangszeit der Krise auch Integrationsberatungsstellen und Ehrenamtliche in einigen Fällen aushelfen mussten.

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Funkstille Allerdings wurde die Aufklärung der Geflüchteten durch Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Ämtern teils sehr erschwert. Die Gesundheitsämter wurden zur Herrin des Verfahrens. Sie mussten Prioritäten der Dringlichkeit entsprechend setzen, so dass nicht immer zuverlässige und verbindliche Auskünfte an die Beratungsstellen weitergegeben wurden. Die Beratungsstellen konnten ihren Klienten auf diese Weise keine eindeutigen Empfehlungen geben, was die Betroffenen zusätzlich verunsicherte – insbesondere in Unterkünften, in denen einzelne Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Darüber hinaus hat sich während der Corona-Krise ein weites Geflecht von staatlichen Akteuren gebildet, die nur dürftig über ihre Unterstützungsangebote informiert haben. Verabschiedete Corona-Hilfen für Empfänger von Sozialleistungen, wie der Kindernotzuschlag oder die IT-Hilfen für Schulkinder einiger bayrischer Kommunen, blieben unter Betroffenen weitgehend unbekannt. Selbst die Beratungskräfte mussten aufwendig recherchieren, um sich eine Übersicht über Neuerungen zu verschaffen, da die zuständigen Behörden nicht ausreichend und zeitnah über Neuerungen Auskunft gaben.

Fake News Ein besonderes Problem für die Kommunikation mit den Geflüchteten während der Corona-Krise sind Falschmeldungen über die Gefährlichkeit des Virus etwa aus dem arabischen Raum, häufig gemischt mit in ihrer Argumentation konsistenten Verschwörungstheorien. Meist werden diese Falschmeldungen über die gängigen Social-Media-Kanäle verbreitet. Häufig geäußert wird beispielsweise die falsche Annahme, die Corona-Krise sei bewusst von der Politik heraufbeschworen worden, um den Bürgern grundlegende Rechte zu verwehren und ihre Freiheiten einzuschränken. Diese Fehlinformationen haben die Aufklärungsarbeit deutlich erschwert und führten unter einem kleinen Kreis der Asylbewerber sogar dazu, dass sie sich deutlich seltener an die Kontaktbeschränkungen hielten. Glücklicherweise war ihre Zahl überschaubar. Die meisten Geflüchteten legten ein vorbildliches Verhalten seit Beginn des ersten Ausbruchs des Coronavirus an den Tag. Mit Blick auf diesen zuverlässigen Personenkreis sollte eine selbstorganisierte Vertretung von Geflüchteten in den Unterkünften stärker gefördert werden. Über sie können verlässliche Informationen unter den Bewohnern verteilt werden. Solche Selbstvertretungen wurden in der Vergangenheit – auch wegen der häufigen Umverteilung von Bewohnern – nur in seltensten Fällen eingeführt.

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Beengte Verhältnisse begünstigen die Virusübertragung. In einer Flüchtlingseinrichtung in St. Augustin (RheinSieg-Kreis) wurden im Mai 130 Menschen positiv auf das Corona­virus getestet. Insgesamt wurden in der Unterkunft 300 Personen getestet. Zur Quarantäne wurden die Infizierten in eine Bonner Jugendherberge verlegt.

Alltag wichtig für Sprachpflege Für die meisten Geflüchteten, aber auch Migranten wird der Integrationsweg durch die notwendige räumliche Distanzierung während der Corona-Krise deutlich holpriger. So sind die Integrationskurse abgebrochen und erst seit kurzer Zeit gibt es Alternativangebote, die online von den Integrationskursträgern bereitgestellt werden können. Viele Betroffene bemerken ohne die konstante Fortführung der Integrationskurse einen Rückgang ihres Sprachempfindens. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird nun Regelungen für eine Erweiterung der maximal geförderten Kursstunden finden müssen, um den Teilnehmern einen erfolgreichen Abschluss des Integrationskurses zu ermöglichen. Mehr noch wird ein erfolgreicher Integrationsweg am häufigsten über den sozialen Umgang in der nahen Umgebung gegangen: vom morgendlichen Kontakt zur freundlichen Bäckereiverkäuferin über die Gespräche zwischen Eltern bei der Begleitung der Schulkinder bis hin zur Arbeitsstelle und den gemeinsamen Feierabendritualen unter Bekannten. Das unabdingbare Social Distancing während der Corona-Krise führt zu einem abrupten Abfall dieser Kontakte und lähmt über Monate hinweg die Integration von Geflüchteten und Migranten. Insbesondere fehlen soziale Kontakte durch den häufigen Verlust des Arbeitsplatzes. Überdurchschnittlich viele Flüchtlinge sind im Gastgewerbe oder der Zeitarbeit tätig, die hart von der Krise betroffen sind. Nicht umsonst hat Integrationsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) deswegen in der „taz“ Alarm geschlagen.

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Für viele Betroffene geht der Verlust der Anstellung zusätzlich mit dem Verlust der Arbeitserlaubnis einher, da diese in den meisten Fällen an den Arbeitgeber gebunden ist. Viele, die nun wieder für ihren Lebensunterhalt auf Unterstützung der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters angewiesen sind, müssen nicht nur mit den Herausforderungen der Isolation umgehen, sondern bangen vor allem darum, ob ihnen wieder eine Arbeitsgenehmigung nach der Krise erteilt wird.

In der Schule abgehängt Besonders Flüchtlingskindern, aber auch einem großen Teil der Migrantenkinder droht derzeit, in der Schulbildung abgehängt zu werden. Gerade Grundschulkinder sind für die weitere Entwicklung auf Hilfe angewiesen. Seitens der Eltern stehen dem oft genug mangelnde Sprachund Fachkenntnisse entgegen. Ob überhaupt Schulmaterialien und die dazugehörigen Aufgaben an die Schüler verteilt werden, hängt häufig vom persönlichen Engagement von Helfern und in vielen Fällen der Lehrkräfte ab, die sich besonders in Grundschulen der ländlichen Gebiete aufopferungsvoll um ihre Schulklassen kümmern. Angesichts des oft niedrigen Bildungsstands der Eltern und der spärlichen IT-Ausstattung in den Unterkünften der Geflüchteten kann die Aufopferungsbereitschaft einzelner Personen nur geringfügig den Rückstand vieler Kinder infolge des Lockdowns mildern. Hier könnte ein freiwilliges Ferienangebot für alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft Abhilfe schaffen, um möglichst alle Schulkinder auf einen ausreichenden Wissensstand für das folgende Schuljahr zu bringen.

Unterbringung steigert Ausbruchsrisiko Die größte Problemlage ist die Unterbringung der Geflüchteten in Sammel- und Gemeinschaftsunterkünften. Die Missstände sind hier nicht erst seit gestern bekannt. Aber die Corona-Krise hat sie im wahrsten Sinne des Wortes virulent gemacht. Sammel- und Gemeinschaftsunterkünfte erschweren die Versorgung der Geflüchteten, ihre Integration, erhöhen das Infektionsrisiko und machen das Social Distancing nahezu unmöglich. Hygienevorschriften werden ad absurdum geführt in Unterkünften, in denen sich mehrere Familien die Sanitär- und Küchenräume teilen. Während zumindest für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe einheitliche Regelungen bestehen, gibt es für Gemeinschaftsunterkünfte, insbesondere aber auch für die Aufnahmeeinrichtungen mit kaum überschaubarer Kapazität keine Mindestanforderungen. Die Unterbringung von Geflüchteten vor allem in großen Unterkünften an den Randbezirken führt zu sozialer Ausgrenzung und dem dauerhaften Risiko der Ausbreitung

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von Infektionskrankheiten. Immer wieder kommen Fälle, beispielsweise von Tuberkulose, in den Unterkünften vor. Unrealistisch erscheint die Forderung, alle Asylbewerber unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in kürzester Zeit in dezentrale Unterkünfte wie Wohnungen unterzubringen. Es wäre den Wählern kaum zu vermitteln, warum deutlich erhöhte Ausgaben für die Unterbringung abgelehnter Asylbewerber mit äußerst geringer Bleibeperspektive in dieser Krisenzeit veranschlagt werden sollten. Langfristig aber müssen Sammelunterkünfte für alle Asylbewerber durch menschenwürdige und integrationsfördernde Unterbringungsformen ersetzt werden. Migranten zeigen deutlich bessere Integrationserfolge, wenn sie Einheimische in eine eigene Wohnung oder Wohngemeinschaft einladen können. Sie schämen sich, in Sammelunterkünften Besucher zu empfangen. Um hier mittelfristig mehr zu erreichen, braucht es alternative Wege in die deutsche Gesellschaft für nicht anerkannte Geflüchtete, die trotz des abgelehnten Asylbescheids teils bereits mehr als fünf Jahre in Deutschland leben und bessere Integrationsfortschritte vorweisen können als manch ein anerkannter Geflüchteter oder Migrant. Für anerkannte Asylbewerber geht der positive Asylstatus praktisch mit dem Recht einher, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen. Sie müssen deutlich rascher als bisher von den in Außenbezirken befindlichen Unterkünften in kleinere, dezentrale Unterkünfte inmitten von Städten und Ortschaften – und damit in die Mitte unserer Gesellschaft – umverteilt werden. Denn nur durch einen verbesserten sozialen Kontakt kann die Integration dieser Gruppe von Geflüchteten nachhaltig gelingen. Seit 2015 wurden in der Integrationspolitik viele richtige Schritte unternommen, die es nun aber sozio‑politisch weiterzudenken gilt. Die Schaffung von aus Flüchtlingsunterkünften ausgehenden Krankheitsrisiken, möglicher neuer Formen von Clankriminalität oder sonstiger negativer Folgen dieser Unterbringungsform muss verhindert werden. Stattdessen sollte ein zukunftsorientiertes Miteinander mit einem konstruktiven Beitrag der neuen Mitbürger dieser Gesellschaft gefördert werden. Die Massenunterbringung mag in Zeiten des massenhaften Zuzugs alternativlos gewesen sein. Jetzt verursacht sie vor allem Probleme. Die Corona-Krise hat das nicht verursacht, wohl aber sichtbar gemacht.

NEVEN KLEPO ist promovierter Politikwissenschaftler. Seit 2018 leitet er die Flüchtlings- und Integrationsberatung des Münchner Migrantenvereins Hilfe von Mensch zu Mensch e. V., die mehr als 3.500 Geflüchtete und Migranten betreut.

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WELLENBRECHER Bislang haben die deutschen Universitätskliniken das Land gut durch die Pandemie getragen. Aber die Achtsamkeit der Bevölkerung lässt nach. Damit die „zweite Welle“ so glimpflich ausgeht wie die erste, muss sich einiges ändern. In der politischen Kommunikation – und finanziell

VON MARYA VERDEL UND BURKHARD GÖKE

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enn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. An diese Redewendung denkt, wer die Bilder der vergangenen Wochen sieht. Auf dem Berliner Landwehrkanal feierten rund 3.000 Menschen auf Gummibooten in Sichtweite zu einem Krankenhaus, wo Ärzte die Corona-Pandemie bekämpfen. Später kamen in vielen Großstädten Zehntausende zu Demonstrationen zusammen. Zwar trugen hier viele Maske, Mindestabstände konnten aber nicht eingehalten werden. Zu den sogenannten „Hygiene“-Demos erübrigt sich jedes weitere Wort. Neben dem offensichtlichen Infektionsrisiko bergen diese Massenveranstaltungen eine psychologische Gefahr: Sie vermittelt den Menschen, die Pandemie sei überstanden. Ohne Impfstoff ist und bleibt das falsch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt zu Recht, es komme auf jeden Einzelnen an. Umso wichtiger ist

Links: Dicht gedrängt, keine Masken. So sorglos „demonstrierten“ in Berlin junge Menschen am 31. Mai für Berliner Clubs – direkt vor dem Urbankrankenhaus.

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es, dass die Menschen mitgenommen werden. Das kann nur ernsthafte, transparente und ehrliche Kommunikation bedeuten. Diese findet vornehmlich durch Politiker und Journalisten statt. Aber auch hier herrschen zahlreiche Missverständnisse bezüglich der Arbeit in der Wissenschaft, den Krankenhäusern und selbst über die Corona-Maßnahmen vor, die dringend korrigiert werden müssen. Inkonsistente Verordnungen und falsche Medienberichte stiften eine Verwirrung in der Bevölkerung, die sich letztlich in einer sinkenden Einhaltung der Corona-Regeln niederschlägt. Das hat fatale Konsequenzen. Ganz richtig sagte der Heidelberger Sozialpsychologe Florian Kutzner in der „SZ“, politische Entscheidungsprozesse müssten offengelegt werden. Bei einer Pressekonferenz konnte (oder wollte) Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht erklären, warum wir im März die Grenzen geschlossen hatten. Waren wir nur dem Beispiel anderer Länder gefolgt oder gab es wissenschaftliche Gründe dafür? Auch die Frage, was wir über Dunkelziffern von Erkrankten wissen, gehört aus dem Arkanbereich geschlossener Gremien in die Öffentlichkeit. Menschen werden misstrauisch, wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) behauptet, nach einem Holperstart klappe alles nun wunderbar. Statt unglaubhafter Tri-

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umphmeldungen brauchen wir in der Politik eine ehrliche öffentliche Fehlerkultur. Selbstdarstellung mag sich kurzfristig in Umfragewerten auszahlen, höhlt langfristig aber das Vertrauen der Bürger in die Politik, weil Rückschläge nicht verziehen werden.

Verantwortung der Medien Der Wissenschaftsjournalismus erblüht. Gleichzeitig erschüttert eine unseriöse mediale Berichterstattung das Vertrauen in das deutsche Gesundheitssystem. Als Beispiel für eine Torpedierung wissenschaftlicher Arbeit kann die Berichterstattung der „BILD“-Zeitung über eine Studie von Christian Drosten, dem Chefvirologen der Charité, gelten. Ein Reporter trug Kritik von Statistikexperten an der Studie mit der Bitte um Stellungnahme an Drosten heran. Problematisch war hier nicht die unhöflich kurze Antwortfrist von nur einer Stunde. Das eigentliche Problem war die Stilisierung konstruktiver Kritik anderer Wissenschaftler zu Vorwürfen. Deutliche Kritik ist im Veröffentlichungsprozess wissenschaftlicher Arbeiten üblich, gewollt und notwendig. Durch die Skandalisierung der Kritik hat „BILD“ das Vertrauen ihrer Leser in wissenschaftliches Arbeiten untergraben, obwohl nur intensive, ergebnisoffene Forschung die Pandemie beenden wird. Ebenso fehl am Platz ist die Skandalisierung der Testpraxis in Krankenhäusern und Arztpraxen durch diverse Medien. Wenn Patienten in der Berichterstattung beklagten, sie würden trotz Symptomen nicht getestet, wurde das als „Schlampigkeit“ („Spiegel“) gegeißelt. Dass die Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI) explizit vorschreiben, dass nur Personen zu testen sind, die nachweislich Kontakt mit COVID-19-Fällen hatten oder aus Risikogebieten kamen, wurde verschwiegen, um das Empörungslevel zu halten. Bizarr: In seiner Ausgabe vom 7. Juni berichtete der „Spiegel“ über die enormen gesundheitlichen Risiken für Patienten, die aus Angst nicht mehr ins Krankenhaus kommen. Woran mag das wohl liegen? Insbesondere bei der Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Atemschutzmasken wurden Fehler gemacht. Zuerst galten sie wegen fehlender wissenschaftlicher Nachweise als überflüssig, kurze Zeit später wurden sie Pflicht in Bussen und Bahnen. War die wissenschaftliche Leerstelle nur ein Vorwand wegen fehlender Masken? Hier hätte ehrlich kommuniziert werden müssen: über die erwiesene Materialknappheit, aber auch über die schon anfangs vorhandenen Indizien, dass Masken zum Fremdschutz taugen. Der spürbare Vertrauensverlust leistete Verschwörungstheorien Vorschub. Auch wissen offenbar noch immer viele Menschen nicht, wie man eine Gesichtsmaske effektiv anund ablegt. Fotos wie jenes, auf dem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) seine Maske unter der Nase trug, zeigen einen klaren Mangel an Verständnis zu dieser Maßnahme.

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„Was wusste der Star-Virologe?“ Mit dieser polemischen Unterzeile attackierte die „Bild“-Zeitung Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité.

Auch bei Pflegekräften und Ärzten wurde Porzellan zerschlagen. Überlastete Gesundheitsämter mit Personalmangel kamen mit der anfänglichen Flut von Einzelmeldungen nicht zurecht und waren dazu zeitweilig nur per Fax erreichbar. Das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) appellierte an Medizinstudenten, in Gesundheitsämtern auszuhelfen. Haarspalterische Diskussionen um die Frage, wer wem wann Neuinfektionen zu melden hat, führten Ende April zu Präzisierungen der Meldepraxis durch das RKI und wilden Vorwürfen von Journalisten, es hätten „Vertuschungen“ („Mopo“, „Bild“) von Infektionsausbrüchen an Häusern stattgefunden, die alle Hände voll zu tun hatten, die Pandemie zu beherrschen. Das Medizinpersonal fühlte sich missverstanden und ungerecht behandelt. So gab es neben warmen Worten statt finanzieller Anerkennung für den Einsatz in der Corona-Krise jetzt noch Nackenschläge.

Sinn und Unsinn von Corona-Tests Die Bevölkerung muss über Sinn und Unsinn, Möglichkeiten und Grenzen von Corona-Tests informiert werden. Vorstellungen über den Erregernachweis mittels PCRTests, Serodiagnostik bei der Suche nach Antikörpern und die genetische Aufarbeitung der Viren zur Darstellung von Infektionsketten gehen derzeit völlig durcheinander. Die aktuelle Devise lautet: testen, testen, testen. So weit, so richtig. Aber die Qualität eines Abstrichs ist von entscheidender Bedeutung. Es reicht nicht, massenhaft Tests zu besorgen. Die Brisanz des Videos, in dem ein Fußballprofi von Hertha BSC ungewollt die lasche Einhaltung der Corona-Regeln bei seinem Club öffentlich machte, lag nicht allein darin, wie der Spieler in einen Corona-Test platzte, sondern dass der Betreuer bei der Probenentnahme oberflächlich in der Backe einer Testperson herumwischte. Auch Fachleute müssen unterrich-

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tet werden, dass nur die tiefe Rachenentnahme zuverlässige Proben erbringt. Die Selbstentnahme von Proben bei unerfahrenen Laien ist höchst zweifelhaft. Auch wenn jede Neuaufnahme in einem Krankenhaus getestet wird, lässt sich nicht ausschließen, dass Corona-Infizierte unerkannt auf eine Station aufgenommen werden. Das ist kein Skandal, sondern eine Tatsache. Denn Tests sind nur eine Momentaufnahme und nie abschließend. Ein Erregernachweis wirft ein Fangnetz aus, das auch leer wieder eingeholt werden kann, obwohl sich Fische im Wasser befinden. Das ist ein gängiges Erläuterungsbild aus der Virologie. Wissenschaftliche Arbeiten schätzen, dass jeder fünfte Test falsch negativ ausfällt. Vor allem im Anfangsstadium ist der Virusnachweis schwierig. Deshalb sind an Krankenhäusern zumindest unter stationären Patienten Mehrfachtestungen nötig. Wir müssen mit weiteren Ausbrüchen in Altenheimen und Krankenhäusern rechnen. Wir können nicht alle jederzeit testen. Dem ist hinzuzufügen, dass auch die Kostenfrage ungeklärt ist. Ein zuverlässiger Virentest kostet seit dem 15. Juni 63 Euro. Dafür brauchte es einen Entscheid der Bundesschiedsstelle. Vorher erstatteten gesetzliche Krankenkassen nur 52,50 Euro. Zwischen den Leistungserbringern und den Kassen wurde um jeden Cent gefeilscht. Zum 31. Juli können die Kassen diese Vereinbarung wieder kündigen, um zum 1. August wieder den Preis zu drücken. So viel zur Bereitschaft, die Kämpfer gegen die Pandemie zu unterstützen. Wenn jede Krankenstation ihre Patienten mehrfach die Woche testet, kommen schnell Summen zusammen, die ein Krankenhaus überlasten. Neben den eingangs erwähnten Testrichtlinien des RKI müssen diese Fakten auf den Tisch, um der Frustration über begrenzte Testkapazitäten mit Erklärungen zu begegnen.

Rüsten für die zweite Welle Nach dem milden Verlauf der ersten Pandemiewelle herrscht in Deutschland Erleichterung. Führende Hamburger Ärztefunktionäre, Pedram Emami und Dirk Heinrich, konstatierten im Mai: „Unser System ist nicht so schlecht, wie es viele in der Vergangenheit geredet haben“. Es zeige sich im internationalen Vergleich, dass die finanziell noch stärker ausgebluteten Systeme der Katastrophe „nichts entgegenzusetzen haben“. Allerdings ist auch in Deutschland kaputtgespart worden. Wir sollten nicht darauf wetten, dass die deutschen Klinika eine zweite Welle überstehen, wenn nichts passiert. Denn noch immer ist Deutschland nicht dort, wo es angesichts der alten Pandemiepläne hätte sein sollen. Vom Nationalen Pandemieplan 2005 nahmen Politik und Medizinbetrieb ebenso wenig Notiz wie von der Novelle des Planes 2017. Trotzdem ist es Politik und Krankenhäusern in Deutschland gelungen, die erste Pandemiewelle mit entschlossenen Maßnahmen zu brechen. An der hohen Dichte auch kleiner Krankenhäuser lag der deutsche Erfolg indes nicht, auch wenn das oft behauptet wird. Die Bertelsmann-Studie aus dem vergangenen Jahr, die eine Schließung kleinerer Häuser zugunsten von spezialisierten Zentren forderte, bleibt richtig. Vielmehr standen die großen Universitätsklinika bei der Versorgung von Infizierten, der Erforschung des Virus und der Beratung der Politik an vorderster Front. Jetzt droht ihnen das Geld auszugehen, vor allem auch, weil sie massiv für die Bekämpfung der Pandemie und zur Einhaltung der Verordnungen und Vorgaben der Politik in Vorleistung gegangen sind.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, l.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss Anfang Juni.

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Die akademischen Klinika haben keinen Speck an den Rippen. Die Ursachen sind bekannt: unzureichende Steigerungen der Zuwendungen für Forschung und Lehre, ein pauschales Fallkostensystem zu Lasten der Universitätsmedizin, Leistungsreduktion durch Personalmangel, Tarifkosten- und Sachkostensteigerungen ohne Ausgleiche, Investitionsstau bei Baumodernisierung und Digitalisierung, Belastungen bei der Ausbildung von Fachärzten und spezialisierter Pflege und anderes mehr. Die Corona-Pandemie wird die Krise der Krankenhäuser drastisch verschärfen. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands hat kurzfristig Zahlen, Daten und Fakten von zumindest zwölf Klinika zusammengetragen. Das Bild ist erschreckend: Mehrbelastungen zwischen 30 bis 100 Millionen Euro werden erwartet, kein Klinikum kann ein ausgeglichenes Ergebnis für 2020 darstellen.

Erlöse sinken, Ausgaben steigen Beispiel UKE: Ohne Ausgleiche werden bis zu 70 Millionen Euro Fehlbetrag für das Jahr 2020 prognostiziert. Allein ein Mehraufwand bei der Materialbeschaffung in Höhe von 20 Millionen Euro und Personalmehrkosten von 3,5 Millionen Euro werden prognostiziert. Bis Ende Mai galt die Vorgabe, 25 Prozent der Intensiv- und 10 Prozent der Normalbetten für COVID-19-Patienten frei- bzw. vorzuhalten. Verbunden mit der durch die Behörden angeordneten Schließung der Ambulanzen macht das 30 Millionen Euro aus. Auch die finanzielle Lage der Tochtergesellschaften (Gastronomie, Logistik etc.) ist aufgrund der deutlich reduzierten Patientenzahlen stark rückläufig. Bilanzen sind keine virtuellen Zahlen. Die finanzielle Schieflage könnte greifbare Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit deutscher Klinika bei der Pandemiebekämpfung haben. Bei der Bereitstellung und Ausweitung der Kapazitäten für Intensivmedizin sind die Uniklinika mit Eigenmitteln an die Grenzen gegangen. Schutz-

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Am 7. Juni auf dem Münchner Königsplatz demonstrierten geschätzte 25.000 Menschen gegen Rassismus. Trotz vieler Masken konnten die gebotenen Abstände kaum eingehalten werden.

kleidung und -masken mussten an einem überteuerten Markt beschafft werden. Ähnliche Anstrengungen waren zur Sicherstellung von Medikamenten und Desinfektionsmitteln nötig. Es wurde breit Testung auf das Virus angeboten, ohne Rücksicht auf Absicherung einer angemessenen Kostenerstattung. Personal wurde unkonventionell von anderen Dienstleistern unter erheblichen Kosten „angemietet“. Die Wucht der Belastung von verschobenen Operationen und dringlichen, nicht mehr elektiven Versorgungsmaßnahmen trifft die Klinika jetzt voll.

Der Bund muss nachlegen Der Koalitionsausschuss beschloss Anfang Juni ein „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“, ein Corona-Konjunkturpaket, das den bestehenden Strukturfonds um 3 Milliarden Euro erhöhte. Das Ziel: Moderne Notfallkapazitäten, die Stärkung regionaler Versorgung, eine bessere digitale Infrastruktur sowie Investitionen in IT- und Cybersicherheit. Es besteht die Gefahr, dass die Uniklinika nichts davon haben. Das Geld fließt eher den nicht akademischen Plankrankenhäusern zu, die zum Teil durch private Konzerne organisiert werden. Die früher zugestandene Kompensationszahlung von 560 Euro pro nicht belegtem Bett und Tag reicht insbesondere für Uniklinika in keiner Weise. Aus der Mischkalkulation aus Intensiv- und Normalbett müsste sich mindestens ein Betrag von 800 Euro ergeben, um die stationären Erlösausfälle aufzufangen. Der COVID-19-Mehrkostenzuschlag von 50 Euro war bis zum 30.6. befristet und wurde bis zum 30.9. verlängert und auf 100 Euro verdoppelt. Warum nicht wirksam mit Beginn der Pandemie? Auch der Ausgleich für frei gehaltene Betten wurde angehoben – aber eben nicht

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rückwirkend, sondern erst ab 1. Juli. Auf den bisherigen Kosten der Pandemie bleiben die Uniklinika somit sitzen. Und die ambulanten und wahlärztlichen Ausfälle sind weiter ausgeklammert. Ungelöst bleibt die Finanzierungssituation für die Mitarbeitertestungen, die insbesondere zur Vermeidung von Infektionsketten im Krankenhaus eine wichtige Rolle spielt. Eine Aufforderung des Bundesrats, die Bundesregierung möge eine Verbesserung der Kompensation insbesondere für große Krankenhäuser prüfen, hat keine rechtliche Bindungswirkung. Nur Baden-Württemberg hat reagiert: Die Universitätskliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm erhalten vom Land eine Finanzspritze, insgesamt bis zu 600 Millionen Euro.

Was lernen wir aus der Krise? Das deutsche Gesundheitswesen ist geprägt von der dualen Finanzierung. Bei Krankenhäusern tragen die Länder die Verantwortung für Investitionen, die Krankenkassen zahlen den laufenden Betrieb. Die Investitionskraft hängt stark von der Haushaltslage und der regierungspolitischen Schwerpunktsetzung bei der Haushaltsmittelvergabe ab. Diese Abhängigkeit kann für die nahe Zukunft den ohnehin gegebenen Investitionsstau in deutschen Krankenhäusern verschärfen.

Gerade in der jetzigen Phase der Pandemie ist erkennbar, wie wichtig verlässliche Gesundheitsstrukturen im Rahmen der Daseinsvorsorge sind. Jahrelang ist kaum in Gesundheit investiert worden. Das zeigt sich durch baufällige Bestandsgebäude, die durch gestiegenes Patientenaufkommen längst ihre Kapazitätsgrenzen und Hygienetauglichkeit erreicht oder überschritten haben. Ganz besonders drückt der Schuh aber im IT-Bereich. Ob elektronische Patientenakte, automatisierte Prozesse, modernere Arbeitsplätze oder Homeoffice: Das Krisenmanagement für die Zukunft auf einer komplett vernetzten, datenbezogenen Infrastruktur aufzubauen, ist eines der Erfordernisse, die jetzt sichtbar werden. Massive Investitionen der Bundesländer bergen die Chance, gleichzeitig die Innovationsführerschaft in den Kliniken und ein Wiederbeleben der regionalen und überregionalen Wirtschaftskraft herzustellen.

MARYA VERDEL ist Kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). BURKHARD GÖKE ist Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor des UKE.

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Entdecken Sie jetzt, was in der neuen METRO steckt: ++++ POLITIKER IM HOMEOFFICE ++++ GEHT PARTEITAG AUCH ONLINE? ++++ Die einflussreichsten I II III IIV II III IV ++++ REGIERUNGSCHEFS der Länder Besuchen Bevollmächtigten VIDEOKONFERENZEN ZEHN LEHREN FÜR BESSERE WillkoSie uns in der Düsseldorfer Altstadt. ss

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aus mehr als 170 klares Zeichen und nimmt ihre gesellschaft­ liche Verantwortung wahr: Die METRO GROUP heißt Flücht­ linge willkommen, unterstützt das Engagement ihrer Mit­ arbeiter und beteiligt sich aktiv an der Erarbeitung von Lösungen für die Flüchtlingskrise. www.metrogroup.de

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Plus Umfrage: Meinungsmacher 2017 am Morgen

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Im Internet www.politik-kommunikation.de Twitter: @pundk Facebook: facebook.com/ politikundkommunikation Xing: www.xing.com/news/pages/ politik-kommunikation-5

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Plus Umfrage: Die einflussreichsten Bevollmächtigten

iGZ-Mitgliedsunternehmen garantieren Zeitarbeit ohne Risiken und Nebenwirkungen:

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Redaktionsbeirat Prof. Dr. Marco Althaus ­(HVF Ludwigsburg) Eva Haacke (Deutscher Bundestag) Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-Essen) Sebastian Lange (WeltN24) Prof. Coordt von Mannstein (Kommunikationsexperte) Silvana Koch-Mehrin (Women in Parliaments Global Forum) Peter Radunski (MSL Group) Prof. Volker Riegger (logos Holding) Klaus-Peter Schmidt-Deguelle (Medienberater) Maximilian Schöberl (BMW) Dr. Hajo Schumacher (Freier Journalist) Kajo Wasserhövel (Elephantlogic)

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Ein Hacker über Typologie der IV Cyberattacken No 115 Ministeriums­ und Bots sprecher

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Fotograf/Fotoredaktion Jana Legler

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Gestaltung und Illustrationen Marcel Franke, Kristina Haase

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Mitarbeiter dieser Ausgabe Jean-Christophe Bas, Burkhard Göke, Anne Huning, Bendix Hügelmann, Eckard Jesse, Neven Klepo, Dominik Lamminger, Ursula Münch, Carolin Sachse-Henninger, Volker Thoms, Marya Verdel

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Abonnement Ansprechpartnerin: Stefanie Weimann aboservice@quadriga.eu Inland: 12 Monate – 79 Euro, ­ Studenten Inland: 12 Monate – 39 Euro.­ ­Studentenabonnement gegen ­Vorlage ­einer gültigen Bescheinigung. Alle Preise ­verstehen sich für vier Ausgaben jährlich inkl. MwSt. und Versandkosten.

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Redaktion Konrad Göke (V.i.S.d.P.) konrad.goeke@­ politik-kommunikation.de Judit Cech judit.cech@politik-kommunikation.de

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Druck PIEREG Druckcenter Berlin GmbH, Benzstraße 12, 12277 Berlin

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Herausgeber Rudolf Hetzel, Torben Werner

16.02.18 14:51

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Firma: Name, Vorname: Straße: Postleitzahl, Ort: Telefon: Bildnachweise S. 3: Kristina Haase; S. 4: AP Photo/Matt Rourke, Reuters/Leah Millis, Kai-Uwe Heinrich TSP; S. 5: Soeren Stache/dpa; S. 6: Dominik Butzmann, privat, Annette Hauschild/Ostkreuz; S. 7: Franzika Krug, Frank Nürnberger, Birgit Reichert/dpa, Jana Legler, Reto Klar, Lars Borges; S. 8: Kristina Haase, Jana Legler; S. 10: David Hollstein, DGB/Simone M. Neumann, Pawel Sosnowski, privat; S. 12–17: Twitter, Kristina Haase; S. 18–23: Instagram; S. 23: privat; S. 24: AP; S. 25: AP Photo/Oded Balilty, AP; S. 26: AP Photo/Jae C. Hong, AP Photo/Thibault Camus; S. 27: picture alliance/Abdulhamid Hosbas, AP Photo/Martin Meissner; S. 28: REUTERS/Dylan Martinez, picture alliance/ abaca; S. 29: AP Photo/Markus Schreiber, picture alliance/ZUMA Press; S. 30: dpa/ Jörg Carstensen, picture alliance/AA, picture alliance/ZUMA Press; S. 34: privat; S. 36, picture alliance; S. 37: picture alliance/ZUMA Press, AP Photo/Evan Vucci; S. 38: AP Photo/Patrick Semansky; S. 39: AP Photo/Matt Slocum, privat; S. 41: Kai-Uwe Heinrich TSP; S. 42: Bernd Settnik dpa/lbn; S. 43: picture alliance/Sueddeutsche Zeitung Photo; S. 44: DB Scharmbeck/dpa; S. 45: Peer Grimm/dpa, Kiepenheuer&Wietsch, Kristina Haase; S. 46: picture alliance/Kay Nietfeld/dpa; S. 47: Bernd von Jutrczenka/ dpa; S. 48: John Nacion/picture alliance; S. 49: Dialogue of Civilizations; S. 50–53: Steffen Böttcher; S. 54: Twitter, picture alliance, Kristina Haase; S. 57: Verena Meier; S. 59: ZDF/Cornelia Lehmann; S. 60: picture alliance/ZUMAPRESS.com; S. 61: picture alliance/AP Images; S. 63: picture alliance/ZUMAPRESS.com, Jan Roeder; S. 64: Ralf Hirschberger/dpa; S. 66: picture alliance/AA, Michael Kappeler/dpa; S. 72: picture alliance/Eventpress; S. 74: Michael Kappeler/dpa; S. 75: John MacDougall/Pool via AP; S. 76: Peter Kneffel/dpa; S. 77: Axel Kirchhof; S. 78: S. Fischer, Droemer; S. 80: privat; S. 82: Kristina Haase

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EIN TAG MIT …

DOMINIK LAMMINGER Mitglied der Geschäftsführung und Leiter des Geschäftsbereichs Förderbanken, Finanzierung und Verbandssteuerung des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) 1

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1   Mein Start in den Arbeits­tag beginnt meist gegen 7 Uhr mit dem Pressespiegel. Anschließend geht es in die Lennéstraße am Potsdamer Platz, wo der VÖB seinen Sitz hat. 2   Als gebürtiger Wolfratshausener, einer kleinen Stadt südlich von München, ist Oberbayern meine Heimat. Dennoch lebe ich seit zwölf Jahren unglaublich gerne in Berlin und empfinde es als großes Glück, von meinem Büro aus viele Wahrzeichen wie den Reichstag oder das Brandenburger Tor sehen zu

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können. In der Verbandsgeschäftsführung bin ich für die Betreuung der Förderbanken, die Wirtschaftspolitik sowie Strategie, Kommunikation und Personal verantwortlich. 3   Heute ist ein besonders wichtiger Tag für den Verband. Der Vorstand, dem die Entscheidungsträger der Landesbanken und der Förderbanken angehören, trifft sich, um über die neue Verbandsstrategie zu diskutieren, die von unserer Hauptgeschäftsführerin Iris ​ Bethge-Krauß vorgestellt wird. Gemeinsam haben wir

seit vielen Monaten daran gearbeitet. Bevor die Sitzung am späten Nachmittag beginnt, besprechen wir letzte Details. 4   Mit einer aktiven Kommunikation wollen wir die Anliegen unserer Mitgliedsbanken begleiten. Das PRTeam des VÖB besteht aus vier tollen Kolleginnen und Kollegen. Gemeinsam mit Anne Huning und Oliver Gruß spreche ich über einen Beitrag unseres Präsidenten Eckhard Forst. 5   Gerade ein Verband, der nur freiwillige Mitglie-

der hat, muss sich jeden Tag aufs Neue bewähren und die Mehrwerte der Verbandsmitgliedschaft transparent aufzeigen. Mit Ottilie Klein, die bei mir als Abteilungsdirektorin für Strategie und Gremienbetreuung verantwortlich ist, bespreche ich die Arbeitsaufträge aus einer Ausschusssitzung. 6   Jetzt geht es los. Normalerweise trifft sich der Verbandsvorstand zu seinen Sitzungen in Frankfurt oder Berlin – coronabedingt heute nun virtuell. Die Sitzung läuft sehr gut, die neue Verbandsstrategie

von Iris Bethge-Krauß findet große Zustimmung. Im nächsten Schritt wird die Strategie der Mitgliederversammlung vorgestellt. Und die Sitzung endet für mich mit einer weiteren Zuständigkeit, über die ich mich sehr freue: Künftig wird in meinem Verantwortungsbereich auch die Tarifgemeinschaft Öffentlicher Banken angesiedelt. Als Arbeitgeberverband führen wir die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten unserer Mitgliedsbanken, von den Landesbanken über die Förderbanken bis Bausparkassen oder Direktbanken.

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REISE­ KRANKHEIT VON KONRAD GÖKE

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anche Gruppen tapferer Entdecker gehen in die Menschheitsgeschichte ein. 94 Matrosen und Wissenschaftler segelten 1768 auf der „Endeavour“ für astronomischeForschungen in die Südsee. 102 Passagiere segelten 1620 auf der „Mayf lower“ aus England nach Amerika, um als „Pilgerväter“ in die Annalen einzugehen. Am 15. Juni 2020 brachen 165 deutsche Urlauber zu einer einwöchigen Expedition auf die Balearen-Insel Mallorca auf, um nach Monaten des Corona-Lockdowns zu erkunden, ob menschliches Urlaubsleben auf dem Ballermann wieder möglich ist. Bei ihrer Ankunft wurden die Testurlauber dann auch gebührend mit Applaus und Presserummel empfangen. Dabei gab es für sie einige Hürden zu überwinden: Sie mussten sich mit Wärmebildkameras auf Fieber checken lassen. In den Hotels waren Spender mit Desinfektionsmittel angebracht. Auf den Boden geklebte Pfeile mussten befolgt werden. Täglich rief jemand von der balearischen Gesundheitsbehörde an, um zu kontrollieren, ob auch alles in Ordnung ist. Außerdem mussten die Teilnehmer der Malle-Vorhut ihre persönlichen Daten hinterlegen, was Deutsche bekanntlich mehr schmerzt als Fledermausviren. Für das Publikum, das in Deutschland gebannt vor den Fernsehern zurückblieb, mussten die Mitglieder der Ex-

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pedition binnen einer Woche sicherstellen, ob die wichtigsten Malle-Erfahrungen wieder möglich sind. Wie kann man sich mit 1,5 Metern Abstand zuprosten? Wie laut kann man mit Mundschutz „Saufen, morgens, mittags, abends“ von „Ingo ohne Flamingo“ grölen? Ist der Brechreiz ein Mallorca- oder ein Corona-Symptom? Wer greift beim Saufeimer mit Corona-Bier nach dem letzten Strohhalm? Natürlich sind auch die Ferienregionen in Deutschland jetzt hellhörig geworden. Sie hatten Corona sei Dank auf mehr deutschen Heimurlaub gehofft, jetzt sehen sie plötzlich ihre Felle davonschwimmen. Baden-Württemberg hofft, Mallorca-Skeptiker in seine Weinberge locken zu können. Vom Traubensaft kriegt man schließlich auch Umdrehungen. Auch auf die Hits müssen Urlauber im Südwesten nicht verzichten. Immerhin verspricht die zweite Strophe des Deutschlandliedes unter anderem „deutschen Wein und deutschen Sang“. Aber leider ist diese verrückte Nudel unter den Hymnenstrophen nahezu unbekannt – verblasst neben ihren Geschwistern, der Streberin („Einigkeit und Recht und Freiheit“) und dem Bruder, der im Knast sitzt, aber keiner in der Familie spricht darüber („Deutschland, Deutschland über alles“.) Auch die Bayern werben um Urlauber. In der Alpen bekommen Gäste von der Bergwacht vor traumhafter Kulisse Hubschrauberflüge geboten, vorausgesetzt sie überschätzen sich beim Wandern und gehen ein bisschen länger auf unerkundeten Pfaden und gefährlichen Schluchten spazieren, was für Deutsche ein Klacks ist. Damit konkurriert Bayern mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein an der Nordsee, wo für Abenteuerlustige die Wattwanderung gerne auch mal eine „Wattthe-fack-Wanderung“ wird und ebenfalls mit einem szenischen Helikopterflug endet. Auch für historisch Interessierte bieten die deutschen Regionen etwas. In Dresden lockt das Grüne Gewölbe wieder mit einem Tag der offenen Tür. Wer sich bei touristischen Schnappschüssen nicht auf die traditionell miserable Kameratechnik der legendären Schatzkammer verlassen will, sollte sich vor den reichlich besetzten Vitrinen (und einer leeren) selbst fotografieren. Die Malle-Expedition wird derweil akribisch ausgewertet. Aber egal wie die Ergebnisse sind: Wir können getrost auch daheim entspannt wandern oder uns auf einem See treiben lassen, bevor wir im Herbst die zweite Welle surfen. Letztlich bleibt uns ohnehin nur zu hoffen, dass das Coronavirus bald besiegt ist. Dann heißt es wieder: „Aber scheiß drauf – Influenza ist nur einmal im Jahr!“

KONRAD GÖKE ist Leitender Redakteur von politik&kommunikation.

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27. Aug.   –  26. Okt. 2020

31. Aug. – 12. Okt. 2020

31. Aug. – 05. Okt. 2020

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Niemals zuvor war Kommunikation so notwendig. Berlin, digital & dezentral. 17. & 18. September 2020

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