pressesprecher 04/2020 Tönnies

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Quadriga Media Berlin GmbH

Ausgabe 4/20

www.pressesprecher.com

TÖNNIES Wie Kommunikationschef André Vielstädte das Vertrauen in den Fleischkonzern zurückgewinnen will.

Progressiv und divers Sabine Bendiek und Thomas ­Mickeleit über die Unternehmenskultur von Microsoft.

Kompliziertes Verhältnis Wieso PR und Journalismus ähnliche Interessen haben und doch oft gegeneinander arbeiten.

Zu viel Hass Warum Unternehmen keine Werbung mehr auf Facebook schalten.



E D I TO R I A L

Cover Foto: picture alliance/dpa | David Inderlied

Meinung Als ich mir überlegte, wen ich für diese Ausgabe interviewen könnte, kam mir als Erstes „Tönnies“ in den Sinn. Mehr als 1.400 Mitarbeiter hatten sich am Tönnies-Standort Rheda-Wiedenbrück mit dem Coronavirus infiziert. Über die Kommunikation des Fleischkonzerns wusste ich bis vor kurzem nichts. Beim Blick auf die Website war ich überrascht, dass es einen Pressesprecher gibt – bei rund 16.500 Beschäftigten eine naive Vorstellung von mir, dass es keinen geben könnte. Ich hatte das Unternehmen in meinem Kopf irgendwo bei Aldi und Schlecker abgespeichert – also bei Firmen, die lange patriarchisch geführt wurden und deren Öffentlichkeitsarbeit sich auf Prospekte beschränkte. Von einer Interviewanfrage an André Vielstädte, den Kommunikationschef von Tönnies, hatte ich abgesehen. Bringt sowieso nichts, dachte ich mir. Der steht zu sehr unter Druck. Umso überraschter war ich, als sich Vielstädte bei uns meldete und fragte, ob die Betrachtung der Krise aus kommunikativer Sicht interessant wäre. Wir führten dann ein Interview. Zu lesen ab Seite 14. In dem Gespräch geht es auch darum, dass wir uns zu schnell eine Meinung bilden und zu wenig informieren. In diesem Fall traf das auf mich zu. Die mediale Berichterstattung forciert diese Entwicklung. Die Zunahme von Meinungsjournalismus macht es aus Sicht der von uns zu diesem Thema befragten Kommunikatorinnen und Kommunikatoren schwerer, mit Sachinformationen durchzukommen. Gesellschaftlich trägt diese Form von Journalismus zur Polarisierung bei. www.pressesprecher.com

Um „Meinung“ geht es auch in einem Gastkommentar von Patrick Kammerer, der bei Coca-Cola für die Kommunikation in 26 Ländern verantwortlich ist. „Dürfen wir unsere Meinung nie ändern?“, fragt er. Er bezieht sich damit auf den Fall von Niel Golightly, der vor etwa zehn Jahren Kammerers Chef bei Shell war und später zu Boeing wechselte. Dort musste Golightly im Juli als Kommunikationschef aufgrund eines 33 Jahre alten sexistischen Artikels zurücktreten, den er später bereute. Mit CEO Sabine Bendiek und Director of Communications Thomas Mickeleit von Microsoft Deutschland sprechen wir über Werte und eine Unternehmenskultur, die gesellschaftliche Verantwortung ins Zentrum stellt. Genau daran darf man bei Facebook Zweifel haben. Führende Unternehmen werben dort nicht mehr. Ihr Vorwurf: Facebook gehe auf seiner Plattform nicht konsequent genug gegen Hass vor. Schwierige Zeiten sind es ganz sicher für Kommunikatoren von Airlines. Magdalena Hauser von Condor und Andreas Bartels von Lufthansa schildern, was die Coronakrise für ihre Arbeit bedeutet.

Viel Spaß beim Lesen!

Volker Thoms, Chefredakteur 3


I N H A LT

MEINUNG

6 Gastkommentar Patrick Kammerer von Coca- Cola über den Rücktritt seines früheren Chefs bei Boeing.

8 PR und Journalismus Vier Kommunikationsverantwortliche über das Zusammenspiel von PR und Medien.

14

Interview mit Tönnies-Kommunikationschef André Vielstädte über verloren gegangenes Vertrauen und die Krisenkommunikation des Fleischkonzerns.

24 Ein Tag bei Condor Magdalena Hauser beschreibt, wie die weltweite Nachrichtenlage ihren Arbeitsrhythmus prägt.

26 Geschrumpfter Kranich Die Lufthansa ist vorerst gerettet. Wie Kommunikationschef Andreas Bartels die vergangenen Monate erlebte.

28 CEO-Kommunikation bei Volkswagen / Scholz & Friends I M W ORT L AUT

10 Schwieriges Verhältnis

30 Verantwortung Sabine Bendiek und

Kommunikatoren und Journalisten sind der Wahr- heit verpflichtet. Ein Kom- mentar über die Rollenver teilung.

12 Bundesverkehrsministerium / Bayern München

PRAXIS

T I T E L : TÖ N N I E S

14 Ideales Feindbild Tönnies-Kommunikationschef André Vielstädte über die Krisenkommunikation des Fleischkonzerns und die Rolle von CEO Clemens Tönnies. MENSCHEN

20 Wie sicher ist fliegen?

Thomas Mickeleit von Micro- soft Deutschland über die Bedeutung von Diversity und Inklusion für die Unterneh- menskultur.

36 #StopHateForProfit Tausende von Unternehmen werben nicht mehr auf Facebook. Sie erwarten vom Zuckerberg-Netzwerk mehr Engagement gegen Hass.

40 Mitreden erwünscht Georg Kolb von Klenk & Hoursch gibt Antworten auf fünf in der Mitarbeiterkommunikation häufig gestellte Fragen.

22 Mannschaftssprecherin

22

Mirjam Berle wird Direktorin „Öffentlichkeit und Fans“ beim DFB. Sie soll helfen, den Verband zu transformieren.

Mirjam Berle leitet künftig die Kommunikation des DFB. Gefragt sein dürfte vor allem ihre Erfahrung in Krisen- und ChangeKommunikation.

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August / September 2020

Fotos: picture alliance/Geisler-Fotopress, picture alliance/P0009

Inhalt 4/ 2020

3 Editorial 66 Sprecherkarte 67 Impressum 74 PR-Bild Award


I N H A LT

KARRIERE

42 Vielfältige Perspektiven

Claudia Oeking von Philip Morris über Karriere, Chancengleichheit und die Notwendigkeit, als Unter- nehmen diverser zu werden.

46 Es menschelt nicht

54 Längere Kurzarbeit Die Kurzarbeitsregelung wird verlängert. Was bedeutet das für Arbeitnehmer? AGENTUREN

58 Neuer Beratungsriese Aus Hering Schuppener wird bald Finsbury Glover Hering. Die Ausrichtung soll noch internationaler werden.

Personalberaterin Gabriele Kaminski ver- misst bei digitalen Bewer bungsverfahren die Zwischentöne.

BÜCHER

SOCIAL MEDIA

60 Personal Branding

48 Politiker auf Linkedin

Deutsche Politiker sind auf Linkedin schwach repräsen- tiert. Dabei biete das Netz- werk vielseitige Möglich- keiten, meint Stefan Krüger.

Tijen Onarans neues Buch erklärt, wie jede Person zur Marke werden kann.

30

Microsoft Deutschland positioniert sich klar in gesellschaftlichen Fragen. Interview mit CEO Sabine Bendiek und Kommunikationschef Thomas Mickeleit.

RECHT

52 Lobbyregister

Fotos: picture alliance/Frank Rumpenhorst/dpa, picture alliance/Xinhua

Agenturchef Heiko Kretschmer über die Pläne der Großen Koalition zum Lobbyregister und was bes- ser sein könnte.

herstellen können.

36

Tausende von Unternehmen werben nicht mehr auf Facebook. Sie haben genug von der Verbreitung von Hass in dem Netzwerk.

68 Verband Kommunikationskongress BdKom Award www.pressesprecher.com

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MEINUNG

Dürfen wir nie unsere ­Meinung ändern? Patrick Kammerer über den Rücktritt seines früheren Chefs Niel Golightly bei Boeing.

Von PATRICK KAMMERER

Es hat meinen früheren Boss erwischt: Niel Golightly zurückgetreten nach einem halben Jahr in seinem Traumjob. Er hat zuvor 15 Jahre lang bei Shell gearbeitet und mich damals in sein Team nach London geholt. Einer der besten Chefs, die ich je hatte. Niel Golightly habe ich als sehr klug, ausgewogen und vor allem als jemanden von hoher Integrität kennen gelernt. Die Nachricht traf mich wie ein Hammer. „Boeing Communications chief resigns over 33-year-old article“, berichtet die „New York Times“ am 8. Juli. Inzwischen weiß ich, dass die 6

Golightly distanzierte sich von seinen früheren Aussagen zu Kampfeinsätzen von Frauen. Seine Stelle bei Boeing verlor er trotzdem.

Überschrift eines Blogs auf der Website der Airline Routes & Ground Services sechs Tage zuvor die Wahrheit wohl präziser trifft: „Boeing communications chief Niel Golightly forced to resign.“ 1987 schrieb der 29-jährige MarinePilot Niel Golightly einen Artikel für eine Militärzeitschrift. Unter der Überschrift „No right to fight“ vertrat er die These, dass Frauen in der Armee nicht zu Kampfeinsätzen zugelassen werden sollten; es also eine Männerdomäne gebe, in der Frauen fehl am Platz seien. Ich verkürze das Meinungsstück von vor 33 Jahren auf diesen wesentlichen Punkt. Es führt zu heftigem Kopfschütteln, die Argumentation dahinter zu lesen. Sie ist einseitig, heute wie damals. Schreiend konservativ. Diskriminierend gegenüber Frauen. Geschrieben hatte den Artikel

Niel Golightly als junger Mann, als Offizier im späten Kalten Krieg. Er war selbst Kind einer Soldatenfamilie und musste seine eigenen Ansichten offenbar erst noch formen. Der Artikel liest sich wie eine bewusste Provokation: Mal sehen, wie die Welt reagiert. Wie im Debattierklub an der Uni, in dem wir ausprobieren, wie weit eine steile These trägt. Es gab Zustimmung und viel Kritik. Letztere hat Niel Golightly dazu gebracht, seine Meinung zu überdenken und zu ändern. Das behauptet er nicht erst seit heute. Er hat es vielmehr bewiesen, jahrzehntelang. Mir gegenüber mehr als sieben Jahre lang in der engen Zusammenarbeit, vielen Kolleginnen und Kollegen gegenüber genauso. Nicht zuletzt seiner eigenen Familie, indem er seine Patentochter dabei August / September 2020

Fotos: Boeing, Getty Images / subinpumsom

Niel Golightly trat im Juli als Senior Vice President Communications bei Boeing zurück. Der Grund: ein etwa 33 Jahre alter Artikel, in dem Golightly die Meinung vertrat, dass Frauen nicht an militärischen Operationen teilnehmen sollten. Diese Auffassung wurde ihm als Sexismus ausgelegt. Patrick Kammerer, heute bei Coca-Cola, arbeitete mit Golightly vor etwa zehn Jahren bei Shell zusammen. Den Rücktritt seines früheren Chefs und das Verhalten des Arbeitgebers findet er falsch. Kammerer fragt sich: Dürfen wir nie unsere Meinung ändern?


AGENDA

Rassismus bei Bayern München?

Fotos: icture alliance/Preiss/Witters/Poolvia Eibner

Bayern München hat mit einem Sieg gegen Paris SaintGermain erneut die Champions League gewonnen. Möglicherweise ist es den Finalspielen in Lissabon zu verdanken, dass ein Rassismus-Skandal um einen inzwischen nicht mehr für den Verein tätigen Nachwuchstrainer bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit fand. Der im Nachwuchszentrum beschäftigte Trainer soll sich über Jahre gegenüber Jugendspielern und Kollegen rassistisch geäußert haben. Das WDR-Magazin „Sport Inside“ hatte unter anderem Chatprotolle aus einer WhatsappGruppe ausgewertet, die die Massivität der rassistischen Schmähungen und den menschenverachtenden Ton belegen. Formulierungen wie „Halts Maul, Kameltreiber“, „Fick dich, du Kanake“ oder „Dreckstürke“ sollen gefallen sein. Andere in der Gruppe aktive User sollen das lustig gefunden haben. Der Verein, der sich öffentlich für Toleranz einsetzt, sich gegen Rassismus stellt und sich mit #BlackLivesMatter solidarisiert, will die Vorgänge intern untersuchen.

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Am Tönnies-Standort in Rheda-Wiedenbrück befinden sich diese Tierbilder. Etwa 25.000 Tiere werden dort jeden Tag geschlachtet.

Das perfekte Feindbild Dr. André Vielstädte, Kommunikationschef der Tönnies-Gruppe, über verlorenes Vertrauen, Krisenkommunikation und seine Motivation, für ein Unternehmen der Fleischindustrie zu arbeiten.

Etwa 1.400 Infektionen mit dem Coronavirus gab es bei der Tönnies-Gruppe in Rheda-Wiedenbrück. Das Werk, in dem am Tag rund 25.000 Tiere geschlachtet werden, musste zeitweise schließen. Tausende von Mitarbeitern und deren Familien gingen in Quarantäne. Schulen und Kitas in zwei ostwestfälischen Kreisen waren wieder dicht. Urlauber aus der Region waren nicht mehr erwünscht. 14

Eine Analyse des Ausbruchsgeschehens durch ein Team vom HelmholtzZentrum für Infektionsforschung, der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf sowie dem Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie kam zu dem Ergebnis, dass die klimatischen Bedingungen in der Fleischzerlegung sowie die Luftverteilung den Ausbruch begünstigt haben. Die beengten Unterkünfte der Werks-

vertragsarbeiter waren nicht der Grund für die hohen Infektionszahlen. Schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, Werksvertragsarbeiter aus Osteuropa, die auf engem Raum zusammen untergebracht sind – die Kritik am Unternehmen Tönnies geht über die Corona-Infektionen hinaus. Hinzu kommen der Prozess der industriellen Fleischproduktion mit pro Tag zigtauAugust / September 2020

Foto: picture alliance/Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Interview: VOLKER THOMS


T I T E L TÖ N N I ES

send getöteten Tieren und mit Clemens Tönnies ein schwerreicher CEO, der als Aufsichtsratschef von Schalke 04 polarisierte und sich im vergangenen Jahr rassistisch äußerte. „Das ist die Idealkonstruktion für ein Feindbild“, sagt Dr. André Vielstädte im Interview. Er leitet die Unternehmenskommunikation bei Tönnies. Herr Dr. Vielstädte, Sie sind seit 2015 Leiter der Unternehmenskommunikation und zusätzlich Geschäftsführer für den Bereich Forschung bei der Tönnies-Gruppe. Wenn Freunde und Bekannte Sie fragen, warum Sie dort arbeiten: Was antworten Sie? Erstens esse ich gerne Fleisch. Und dann ist es für mich als Kommunikator natürlich kommunikativ eine unglaublich spannende Herausforderung. Seit Beginn meiner Arbeit hier vor fünf Jahren spüre ich, dass ich als Sprecher viel bewegen kann. Mein Gestaltungsspielraum ist sehr groß. Das Unternehmen befindet sich – übrigens auch schon weit vor Corona – in einem ChangeProzess. Der wird jetzt noch einmal extrem beschleunigt. Das ist kein Job zum Zurücklehnen. Es ist eine Stelle, bei der neben Kommunikation auch viel Managementführung gefragt ist.

Foto: Tönnies-Gruppe

Kannten Sie Clemens Tönnies persönlich, als Sie 2015 in seinem Unternehmen angefangen haben? Natürlich aus dem Fernsehen. Aber ich habe vorher drei Jahre in einer Agentur gearbeitet, bei der unser Senior-Chef Clemens Tönnies persönlich beraten hat. Ich durfte dann ein Projekt für Tönnies begleiten. Im Anschluss ergab sich die Möglichkeit zu wechseln.

Tönnies aufgrund der Arbeitsbedingungen und der osteuropäischen Werksvertragsarbeiter in der Kritik. Über all dem steht: Es werden etwa 25.000 Tiere am Tag in Rheda-Wiedenbrück geschlachtet. Wie gehen Sie damit um? Ich habe mir diese Frage vor der Unterschrift unter meinen Vertrag auch gestellt. Nach dem Bewerbungsgespräch bin ich durch den Betrieb gegangen, um mir die Schlachtung und die Zerlegung anzuschauen. Die Dimension von rund 25.000 Tieren pro Tag ist natürlich gewaltig. Das ist eine technische und lebensmittelhygienische Meisterleistung. Wie Tönnies das von seinen Prozessen her macht, ist für mich weltweit führend. Für mich ist entscheidend, dass ich die Haltung von Tieren zur Fleischgewinnung moralisch akzeptiere. Ich halte es für mich persönlich auch für moralisch legitim, Tiere zu töten, um Fleisch zur Nahrungsmittelproduktion zu gewinnen. Es bleiben harte Bilder, die Sie anders als andere Akteure der Landwirtschaft auf Ihrer Website auch zeigen. Ein zerlegtes Schwein ist eine blutige Sache.

Wir beschönigen nichts. Wir wollen den Verbrauchern ein echtes Bild zeigen. Es gehen bei uns tausende Besucher durch den Betrieb. Der Rundgang beginnt aus hygienischen Gründen immer am Ende: beim Produkt, dem finalen Stück Fleisch. Erst dann geht es zur Zerlegung, zur Schlachtung und anschließend zum lebenden Tier. In der Zerlegung sehen die Besucher ein Stück Fleisch, wie sie es aus dem Regal im Supermarkt kennen. Sie erleben dann einen Gedankensprung, wenn es in die Schlachtung geht. Dort sehen sie kein Produkt, sondern ein Tier und Lebewesen. Verbraucher müssen sich immer bewusstmachen, was sie essen. Für Fleisch wurde ein Tier geschlachtet. Nur wenn wir uns das klarmachen, bekommen wir einen bewussten Umgang mit der Fleischindustrie. Das ist auch der Grund, warum wir realistische Bilder auf unserer Website zeigen. Der Leiter des Krisenstabs im Kreis Gütersloh sagte auf einer Pressekonferenz, dass er null Vertrauen in die Firma Tönnies habe. Aufgrund des CoronavirusAusbruchs mussten in zwei Kreisen Schulen und Kitas schließen.

André Vielstädte hält das Töten von Tieren für die Nahrungsmittelproduktion für moralisch legitim.

Bei Ihnen im Betrieb in RhedaWiedenbrück wurden rund 1.400 Personen mit dem Coronavirus infiziert. Bereits vorher stand www.pressesprecher.com

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T I T E L TÖ N N I ES

Menschen waren als Urlaubsgäste in bestimmten Regionen unerwünscht. Wie würden Sie Tönnies’ Image aktuell beschreiben? Unser Image und unsere Reputation haben in der Außenwahrnehmung schwerstens gelitten. Gar keine Frage. Jeder, der uns und den Betrieb kennt, weiß, dass wir unter branchenführenden Bedingungen arbeiten. Der persönliche Einschnitt des erneuten Lockdowns hat die Menschen in der Region persönlich sehr getroffen und wütend gemacht. Dafür wurden wir als Unternehmen schuldig gemacht, weil der Ausbruch bei uns passiert ist. Aber: Es gibt zwei wissenschaftliche Untersuchungen zum Ausbruchsgeschehen bei uns. Es wurde uns bestätigt, dass wir nicht gegen Gesetze verstoßen haben. Die klimatischen Bedingungen in der Produktion haben die Ausbreitung des Virus massiv beschleunigt. Wir sind jetzt am absoluten Beginn, überhaupt wieder Vertrauen aufzubauen. Dieser Prozess wird Jahre dauern. Sie sind ein B2B-Unternehmen. Sie bekommen die Tiere von den Landwirten und geben das Fleisch an den Lebensmittelhandel weiter, der das Fleisch unter verschiedenen Produktnamen vertreibt. Die Marke „Tönnies“ gibt es im Handel nicht. Wie haben Ihre Zielgruppen auf den Ausbruch reagiert?

„Clemens Tönnies ist im ersten Moment der Krise aufgetreten und dann wieder zu Beginn der Ursachenkommunikation.“ 16

Jeder, der uns kennt, unsere Kunden, Partner, aber auch Teile der Politik, hat eins zu eins hinter uns gestanden und uns sehr viel Vertrauen geschenkt. Das ist in so einer Krise nicht selbstverständlich. Natürlich gab es bei allen Stakeholdern Unsicherheit und Informationsbedarf. Was macht ihr da? Habt ihr was falsch gemacht? Wie wollt ihr sowas künftig verhindern? Das war eine kommunikative Aufgabe, diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Denken Sie, mit dem CoronaAusbruch bei Ihnen wäre anders umgegangen worden, wenn Sie kein Fleisch in diesen Dimensionen produzieren würden? Das ist der Kern dieser Debatte. Wir erleben in der Gesellschaft und Politik eine immer stärkere Polarisierung. Es gibt Gut und Böse. Journalismus neigt dazu, klare Positionen zu beziehen. Wir sind ein Familienunternehmen, bei dem einer der Inhaber den Namen des Unternehmens trägt. Dieser Inhaber war dann zusätzlich Aufsichtsratsvorsitzender in einem Fußballklub, der selbst polarisiert. Dazu das gesellschaftlich polarisierende Thema „Ernährung“. Das ist die Idealkonstruktion für ein Feindbild. Man konnte zeitweise meinen, dieses Virus heißt nicht „Corona“, sondern „Clemens“. „Clemens Tönnies ist das Abbild des Kapitalismus“ habe ich irgendwo gelesen. Das sind sehr populistische Entwicklungen. Wir haben Corona nicht erfunden. Unsere kommunikative Strategie ist deshalb, faktisch und objektiv überprüfbar zu arbeiten, damit wir Vertrauen wiederaufbauen. Sie sprachen vom Change. Wenn die Coronakrise nicht wäre, welches Image hätte Tönnies gerne? Wir wollen Fleisch in Deutschland produzieren – gesellschaftlich akzeptiert. Der Schlüssel dazu ist die Tierhaltung. Wenn es uns gelingt, die Haltung

von Tieren auf ein Niveau zu bringen, das von Menschen in der Stadt und auf dem Land akzeptiert wird, dann bekommen wir in die Diskussion rund um Fleisch mehr Ruhe. Wir wollen das Tierwohl in Gänze erhöhen. Wir sind aber auch offen für andere Entwicklungen. Wir produzieren bereits vegetarische und vegane Produkte. Die Verbrauchernachfrage schauen wir uns genau an. 
 Am 20. Juni gab Clemens Tönnies ein öffentliches Statement ab. Danach schien er abgetaucht, bis er sich Mitte Juli in einem Interview im „Westfalenblatt“ zu Wort meldete. Wie entscheiden Sie, wer wo und wie kommuniziert? Wir hatten unterschiedliche Phasen der Krise. Zum einen das Krisenereignis, das sich durch die Tests und die Auswertung etwa fünf Tage in die Länge zog. In der Phase haben wir mit absoluter Transparenz kommuniziert, uns vor jede Kamera gestellt und erklärt, was wir wissen. Dann kam eine zweite Phase: der Stillstand des Betriebs, in der die Ursachenanalyse stattfand. Die dauerte vier Wochen. Hier war uns wichtig, dass die Kommunikation im Hintergrund steht und die Analyse nicht beeinflusst. Wir sind in dieser Phase nur sehr begrenzt öffentlich aufgetreten, aber nicht mit dem CEO. Clemens Tönnies ist im ersten Moment der Krise aufgetreten und dann wieder zu Beginn der Ursachenkommunikation. Wir hatten zwei große Interviews: im „Westfalenblatt“ und in der „Lebensmittelzeitung“. Hinter Clemens Tönnies steht ein Team. Wir haben verschiedene Themen wie das Wohnen oder die Landwirtschaft, die von unterschiedlichen Personen bespielt werden. Warum gerade das „Westfalenblatt“? Es besitzt ein eher konservatives Profil. Im Raum Bielefeld und Gütersloh ist es aber nur die zweitgrößte Zeitung August / September 2020


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Zu viel Hass auf Facebook-Seiten Um das Zuckerberg-Netzwerk zu zwingen, stärker gegen Hass auf seiner Plattform vorzugehen, schlossen sich weltweit Tausende Unternehmen einem Werbeboykott an. Einige planen nicht mehr zurückzukehren. Von CAROLIN SACHSE-HENNINGER

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Im Juni erschien in der „Los Angeles Times“ eine Anzeige, die Unternehmen dazu aufrief, einen Monat lang keine Werbung bei Facebook zu schalten. Unterzeichnet war sie von USOrganisationen, die eine konsequentere Bekämpfung von Hass, Diskriminierung und Gewalt auf der Plattform erzwingen wollten. Der Kampagne #StopHateForProfit schlossen sich weltweit bald mehr als 1.000 Unternehmen an – in Deutschland unter anderem Bayer, Henkel, Siemens, SAP und Volkswagen. In der Folge brach der in den vergangenen Monaten stark gestiegene Aktienkurs von FaceAugust / September 2020

Foto: picture alliance/Xinhua News Agency/Ting Shen

PRAXIS


PRAXIS

Fotos: privat

Facebook-Chef Mark Zuckerberg muss sich vor Unternehmen und Politik – hier vor dem US-Kongress 2018 – rechtfertigen, warum er so wenig gegen Hate Speech unternimmt. Zahlreiche Firmen halten Facebook für ein ungeeignetes Umfeld für ihre Werbe-Aktivitäten.

book ein und der Konzern sah sich zu offiziellen Statements und Gesprächen mit Anzeigenkunden gezwungen. Anfang August konstatierte die „New York Times“, dass Facebook im Juli sogar mehr Werbeumsätze verbuchen konnte als im Jahr zuvor. Der Großteil der Werbeeinnahmen stammt von kleinen und mittleren Unternehmen – jenen also, die aufgrund der Corona-Pandemie besonders auf Online-Werbung setzen. Inzwischen haben auch die meisten großen Unternehmen ihr Anzeigengeschäft wieder hochgefahren. Eine Civey-Umfrage kam Ende August zu dem Ergebnis, dass www.pressesprecher.com

fast 40 Prozent der Entscheider über Werbespendings weniger oder gar keine Werbung mehr auf der Plattform schalten wollen. Die Frage bleibt trotzdem: Wie nachhaltig ist die Kampagne? War der Facebook-Boykott für Unternehmen nicht vor allem eine willkommene Gelegenheit, in Zeiten von ohnehin reduzierten Werbebudgets mit einer PR-Aktion positiv auf sich aufmerksam zu machen? Im Agenturnetzwerk Edelman steht Facebook auf der Kundenliste. Dennoch begrüßt Deutschland-Chefin Christiane Schulz den Werbeboykott: „Gerade bei gesellschaftspolitischen Themen haben Unternehmen den größeren Hebel. Wenn sie diesen nutzen und das nachhaltig, dann können sie etwas verändern.“ Immerhin fordern 80 Prozent der Verbraucher, dass Marken sich einbringen sollen, um Probleme zu lösen. „Wir wissen aus unseren Studien, dass man mit einer klaren Haltung sein Vertrauen gegenüber den Verbrauchern um ein Vielfaches erhöhen kann“, sagt Schulz. Edelman veröffentlicht regelmäßig das „Trust Barometer“, das das Vertrauen in verschiedene Organisationen, Branchen und Institutionen misst. Schulz sagt aber auch: „Wer bei der Aktion nur mitgemacht hat, ohne selbst entsprechend zu handeln oder seinen Standpunkt weiterhin nachhaltig zu vertreten, wird davon nicht profitieren.“

Unternehmerische ­Verantwortung Um Glaubwürdigkeit geht es zum Beispiel E.ON. Der Energiekonzern hat nicht nur Werbegelder von Facebook und Instagram zurückgezogen, sondern auch sämtliche organische Aktivitäten auf den Plattformen eingestellt. „E.ON ist ein werteorientiertes Unternehmen“, erklärt Lars Rosumek, Leiter des Bereichs Group Communications and Political Affairs. „Insofern ist uns sehr wichtig, in welchem Umfeld unsere Marke auftritt.“ Doch ihm geht es um mehr als nur Brand Safety. Rosumek spricht von unternehmerischer Verantwortung: „Es geht darum, vielfältige Meinungen diskriminierungsfrei zuzulassen und Verunglimpfung, Rassismus, Diskriminierung zurückzudrängen.“ E.ON selbst lebt seine Werte durch einen konzernweit bindenden „Code of Conduct“ sowie durch verschiedene Projekte und Partnerschaften, die Inklusion und Diversität fördern sollen. Die Entscheidung für eine Teilnahme am Werbeboykott war unternehmensintern getrieben, gemeinsam initiiert von Vertrieb, globalem Marketing, Unternehmenskommunikation und Vorstand. Um die Reichweitenverluste zu kompensieren, setzte der Konzern derzeit verstärkt auf eigene Kanäle wie die Corporate Website.

„Gerade bei gesellschaftspolitischen Themen haben Unternehmen den größeren Hebel. Wenn sie diesen nutzen und das nachhaltig, dann können sie etwas verändern.“ Christiane Schulz, Edelman

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PRAXIS

Facebook, so berichtet Rosumek, habe in Gesprächen auf höchster Ebene in Deutschland und Europa glaubhaft gemacht, dass es sich intensiv und ernsthaft mit dem Thema auseinandersetze. Es sei aber nur ein „Teilerfolg“, weshalb das Unternehmen weiterhin auf unbestimmte Zeit pausiert. „Es war ein Kernziel dieser Kampagne, Facebook einen Call of Action zu geben. Wir beobachten nun, was Facebook unternimmt.“

Auch kleinere Unternehmen aus dem B2C-Geschäft machen mit, weil es zu ihrer Markenidentität passt. Der Outdoor-Ausrüster Vaude und der Getränkehersteller Fritz-Kola setzen etwa beide in der Kommunikation stark auf das Thema Nachhaltigkeit. Facebook als Plattform, auf der Hass teilweise ungezügelt seinen Lauf nimmt, passt dazu eher weniger. „Wir wollen als Marke zu gewissen Themen Haltung zeigen, bei denen wir uns in eine sachliche Debatte einbringen und Lösungen aufzeigen können“, erklärt Manfred Meindl, Leiter des internationalen Marketings bei Vaude. So sei die Idee zur Teilnahme, ähnlich wie bei E.ON, intern entstanden. Über die kostenlose PR freut sich das Unternehmen – der Reichweitenverlust sei damit zu verkraften gewesen, bekennt Meindl. Das entfallene Werbebudget habe man unter anderem in Google Ads investiert. Aber nach anfänglichem Zögern hat sich das Unternehmen entschlossen, den Streik im August zu beenden. „Wenn es nötig ist, sind wir bei einem neuerlichen Boykott wieder dabei“, versichert Meindl. Anders Fritz-Kola: Das Unternehmen nimmt eventuelle Einbußen auf der Absatzseite aufgrund der fehlenden Werbereichweite in Kauf. Sein Werbebudget hat es an die Organisation Exit Deutschland gespendet, die sich gegen Hass im Internet engagiert. „Wir stehen 38

Lars Rosumek, E.ON

für ein offenes Miteinander, gegen Hass, Hetze und Populismus“, heißt es aus dem Unternehmen, „es ist Teil unserer Identität.“ So verzichtet Fritz-Kola auch weiterhin auf die kommerzielle Reichweite von Facebook. Es gebe keinen festgesetzten Termin, zu dem der Getränkehersteller wieder Anzeigen auf Facebook und Instagram schalten will.

Schlechtes Zwischenzeugnis für Facebook Wie lange der Boykott noch andauern wird, ist nicht abzusehen. Die Initiatoren der Kampagne haben Facebook jüngst ein schlechtes Zwischenzeugnis ausgestellt. Facebook selbst wird indes nicht müde, seine Anstrengungen und Erfolge zu betonen. Der Konzern verweist gern auf eine im Juni veröffentlichte Studie der EU-Kommission, der zufolge Facebook schneller und erfolgreicher im Bearbeiten und Löschen von gemeldeten Beiträgen ist als YouTube oder Twitter. So würden knapp 96 Prozent der gemeldeten Beiträge in weniger als 24 Stunden von Facebook gesichtet; auf Instagram, das zu Facebook gehört, seien es knapp 92 Prozent. YouTube und Twitter hingegen schaffen lediglich 81,5 respektive 77 Prozent. Den Initiatoren von #StopHateForProfit reicht das nicht. Sie kritisieren vor allem die ihrer Meinung nach unzureichenden Mechanismen und Regularien, mit denen Facebook den Hass auf seiner Plattform bekämpfen will. Zudem ist Facebook zu zögerlich: Lang hat es

gedauert, bis der Konzern anfing, irreleitende Posts von US-Präsident Donald Trump zu löschen oder radikale Gruppen wie QAnon zu verbieten. Das bemängelt auch Christof Biggeleben, Kreativchef der Kommunikationsagentur Ressourcenmangel. Schon im April hatte der Facebook-Kritiker im „pressesprecher“ in einem Meinungsbeitrag für einen Werbestopp plädiert. Seiner Ansicht nach sollten mehr Unternehmen ihre Teilnahme am Boykott kommunizieren: „Wenn alles so still und leise vonstattengeht, dann sagt Mark Zuckerberg zu Recht, wir sitzen das aus, die kommen schon alle wieder. Irgendwann muss man mal sagen, es reicht, es geht um das Zusammenleben, es geht um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Durch Facebook ist so viel kaputtgegangen, das ist dramatisch.“

Bisher traf der Werbeboykott Facebook wirtschaftlich kaum. Der Börsenwert stieg in der Coronakrise wie der vieler Tech-Unternehmen.

August / September 2020

Fotos: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt, privat, Quadriga Media

Google Ads statt Facebook Ads

„Es war ein Kernziel dieser Kampagne, Facebook einen Call of Action zu geben. Wir beobachten nun, was Facebook unternimmt.“


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