Human Resources Manager 02/2021 Status

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STATUS


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EDITORIAL

Sinnbilder

Sven Lechtleitner, Leitender Redakteur Human Resources Manager

Coverfoto: picture alliance / Courtesy Everett Collection; diese Seite: privat

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lint Eastwood ist der Inbegriff von Lässigkeit. Mit Zigarillo im Mundwinkel bringt er in den 1960er Jahren auf der Leinwand furchtlos Schurken zur Strecke. Er ist das Sinnbild eines erbarmungs­losen Helden, der ohne viele Worte auskommt. Der US-amerikanische Schauspieler ist längst zu einer Kultfigur geworden, eine lebende Legende im Filmgeschäft – ein Status, den ihm niemand streitig macht. Auch fernab des wilden Westens spielt Lässigkeit eine Rolle. Steve Jobs war mit Jeans und schwarzem Rollkragenpullover Vorreiter. Aber spätestens seit Mark Zuckerberg sind Kapuzen­pullover und Sportschuhe im Management angekommen. Verdeutlichten Sakko und Blazer jahrzehntelang einen gewissen Status, ist Kleidung in der modernen Arbeitswelt kaum noch ein Ausdruck für beruflichen Erfolg, genauso wenig wie der Firmenwagen und das Eckbüro. Was früher das Image polierte, wirkt in Zeiten von New Work und ­Du-Kultur wie ein seltsames Relikt. Die Statussymbole haben sich allerdings keineswegs in Luft aufgelöst, sie befinden sich lediglich in einem Wandel, dem auch unsere Werte unterliegen. Im Mittelpunkt steht heute, was jemand inhaltlich mit der Arbeit bewegt, wie er oder sie sich individuell verwirklichen und ausdrücken kann. Sinnhaftigkeit überwiegt materiellem Besitz. In der Soziologie bezeichnet Status die gesellschaftliche Stellung, die Menschen in einem hierarchischen Geflecht

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einnehmen. Menschen mit höherem sozialen Status schreibt man häufig bessere Bildung, höheres Einkommen und mehr Macht zu. Und so nimmt jede Person in unserer Gesellschaft eine Stellung ein und verkörpert einen bestimmten Status. Solches Hierarchiedenken löst sich in Unternehmen jedoch zunehmend auf. Manchen Führungskräften fällt es dabei leicht, mit dem Team auf einer Ebene zu stehen. Andere ­wiederum hadern damit, ihr Ansehen und ihren Einfluss aufzugeben. Der Karriereweg und der Jobtitel stellen für viele Menschen schließlich ein Statussymbol dar. Mal geht es dabei um Macht, mal um Anerkennung, vor allem aber um das Selbstverständnis der eigenen Person. Wie fragil der Jobstatus aber sein kann, hat die ­Pandemie schmerzlich verdeutlicht. In Krisenzeiten sind auch Managementpositionen vor Kosteneinsparungen nicht geschützt. Während manche von heute auf m ­ orgen durch Jobverlust Status einbüßen, gewinnen andere in der Bevölkerung an Ansehen. Gerade die Wichtigkeit von system­relevanten Berufen, durch die unsere Gesundheits- und Lebensmittelversorgung am Laufen gehalten wird, ist vielen bewusster geworden. Auch wenn der anfängliche Applaus verstummt ist, hat er dafür gesorgt, die Bedeutung elementarer Berufsgruppen ins richtige Licht zu rücken und das gesellschaftliche Statusdenken zu ­hinterfragen.

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16 Ein exklusiver Dienstwagen galt viele Jahre als Ausdruck hohen ­Einkommens und einer Top-­Position im ­Unternehmen. Heute sind ­materielle Status­symbole kaum mehr gefragt. Statt­dessen kommt es auf andere Werte an.

11 Schnappschuss

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Editorial

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Meine Arbeitswelt Mareike Mende-Ratnam ­startete bei Douglas direkt im Corona-­ Ausnahmezustand als Personalgeschäftsführerin

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Debatte aktuell Verliert Arbeitslosigkeit ihr Stigma?

12 Irrtümer New Normal Working Welche Fehleinschätzungen kursieren über das Homeoffice? SCHWERPUNKT: STATUS 16 Mehr Sein statt Haben Statussymbole waren einmal ein Zeichen für Erfolg. Inzwischen haben viele ausgedient. Das hat auch Folgen für HR. 22 Wie gewinnt HR mehr Terrain? Damit HR bei der Geschäfts­ leitung hohes Ansehen genießt, braucht es Know-how und den Blick über den Tellerrand 26 Die Kunst der Lässigkeit Managementtrainer und Schauspieler Tom Schmitt coacht Führungskräfte zu ihrer Status­ intelligenz. Ein Gespräch über Statusspiele und Notfallmantras

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Mareike Mende-Ratnam ist Personal­ geschäftsführerin bei der Parfümeriekette Douglas. Sie mag kein E-Mail-Pingpong und hat mit ihrem Schrittzähler eine Vereinbarung.

30 Jobverlust im Top-Management Ein Sesselwechsel auf ­oberster Führungsebene kann für ­Betroffene vor allem auch Status­verlust bedeuten 34 Jazzband statt Orchester Selbstorganisierte Teams kommen ohne eine Machthaberin oder einen Dirigenten aus. Wie lassen sich starre Strukturen auflösen? 38 Im Echo des Applauses Die Corona-Pandemie hat Pflege­kräften zu mehr Ansehen in der Gesellschaft verholfen. Doch wie lassen sich Menschen für den Beruf begeistern? 42 Teams in Verhandlungen Über Verhandlungserfolge entscheidet, wie Team­mitglieder miteinander umgehen. Für Selbs­tinszenierung ist kein Platz 46 Personalkosten in Krisenzeiten Ist die Krise da, werden oft zuerst Kündigungen ­ausgesprochen. Personalkosten haben ­einen schlechten Ruf. Doch ­diese Annahme ist ein ­Trugschluss

Fotos: Douglas, Porsche; AndresGarciaM / Getty Images; Cédric Waldburger; Valentin Kloubert

MEINUNG


50 Der Freiheitsliebende Unternehmer und Investor Cédric Waldburger legt auf Materielles legt keinen Wert. Das Porträt eines Minimalisten

50 Cédric Waldburger ist jemand, der Freiraum über alles schätzt. Seinen Besitz hatte er vor einigen Jahren auf

IM FOKUS: ­ NEUE FÜHRUNGSWELT

64 Gegenstände reduziert. Der Züricher Start-up-Investor und Mulimillionär lebt als Minimalist. Ein Porträt

54 Führung in der neuen Normalität In der neuen Normalität fehlen Führungskräften noch Antworten auf manche Probleme. Es bleibt dynamisch und ungewiss ANALYSE 58 Erfolgsfaktoren für eine agile Organisationskultur Agile Methoden gelten als ­vermeintliche Heilsbringer in der VUCA-Welt. Aber wie kann HR sie in der Organisation ­implementieren? PRAXIS 62 Alumni auf Jobsuche Wie erleben Absolventinnen und Berufseinsteiger die Situation auf dem Corona-Arbeitsmarkt?

64 Faire Einsatzplanung Ist Flexibilität für Menschen in der Produktions- und Schichtarbeit möglich? Ein Gespräch mit Katrin Pape über New Work im Blue-Collar-Bereich und den Menschen in der Industrie 4.0 68 Sieben Gedanken Die Sprachwissenschaftlerin ­Simone Burel über gender­ gerechte Stellenanzeigen 70 Der beschädigte Mensch Über das rätselhafte Phänomen Depression. Eine Rezension RECHT 72 Aktuelle Urteile 74 Essay Warum moderne Arbeits­formen ein modernes Arbeitsrecht ­brauchen 75 Impressum

38 Zu Beginn der Pandemie standen vor allem in Italien und Spanien die Menschen auf den Balkonen und applaudierten den Pflege­ kräften. Ihr Standing in der Gesellschaft hat sich erhöht. Doch Ansehen alleine reicht für das Recruiting nicht aus.

VERBAND 78 Editorial 79 Rückblick Der BPM-Arbeitsrechtstag 80 KI in der Personalauswahl Algorithmische Systeme, ­Recruiting und Onboarding im Berufsbild von HR 83 BPM-Awards 2021 Jetzt für den Personalmanagement Award und Nachwuchs­ förderpreis bewerben 84 Virtueller Spendenlauf Als Team gemeinsam ein Ziel erreichen LETZTE SEITE 86 Fragebogen Statt Eckbüro bevorzugen Führungs­kräfte heute Zeit für eigene ­Projekte. Anastasia ­Danilov forscht darüber, wie sich Vergütung und Anreizsysteme auf unser Verhalten auswirken.


MEINUNG

Vier remütrrI des New Normal Working 12

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MEINUNG

Beschäftigte können ihre Arbeitsumgebung frei wählen und sind glücklicher. Solche Gedanken hegen viele Unternehmen, wenn es um das Homeoffice geht. Zu Recht?

Ein Gastbeitrag von Julia Ganser und Ewald Scherm

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ofa, Küchentisch oder Bett? Anzug oder Jogging­ hose? Nicht nur diese Fragen hat sich bereits in der ersten Welle eine Vielzahl von Berufstätigen täglich zu Hause gestellt. Feierten Unternehmen und Beschäftigte das Homeoffice zunächst, scheint es dauerhaft wohl doch keine so gute Idee zu sein – vermehrt kommen Zweifel an dieser Form des Arbeitens auf. Daher müssen wir uns jetzt in der dritten Welle fragen, wie und wo wir in Zukunft arbeiten werden. Dabei sollten Unternehmen keineswegs vier zentralen Annahmen über das New Normal Working auf den Leim gehen:

haben einen adäquaten heimischen Arbeitsplatz oder die Umgebung, sich ohne Unterbrechungen zu konzentrieren. Jahrelang haben Unternehmen die Heterogenität ihrer Belegschaft bewusst gefördert, jetzt dürfen sie diese nicht ignorieren, indem sie allen die gleichen Lösungen anbieten. Es ist ein Trugschluss, vom Arbeiten ohne Einschränkungen am Küchentisch oder auf dem Sofa auszugehen. Allerdings scheinen frühere Debatten über Arbeitszeit-, Arbeitsschutzsowie Datensicherheits- und -schutzprobleme im Home­ office kaum noch Relevanz zu haben und aus dem Blick der Unternehmen zu verschwinden.

Erster Irrtum: Menschen können überall arbeiten

Zweiter Irrtum: Homeoffice macht ­glücklich

Befänden wir uns im Gesellschaftsspiel Monopoly, hörten wir die Leute aus der Unternehmensleitung sagen: „Gehen Sie zur neuen Normalität nicht über Los! Gehen Sie direkt nach Hause und ziehen Sie kein Geld für einen adäquaten Arbeitsplatz ein!“ Alles deutet darauf hin, dass die Unternehmen ihre wertvollste Ressource auch künftig zum Arbeiten nach Hause schicken wollen. Doch nicht alle

Menschen brauchen nicht nur den persönlichen Kontakt zueinander, es ist auch kaum zu erwarten, dass sie von zu Hause aus zu einem Team zusammenwachsen. Nicht alle wollen auf Dauer zu Hause arbeiten, wo sich Arbeit und Privatleben zwangsläufig vermischen. Vor allem bei neu Eingestellten, die das Unternehmen und das Kollegium noch gar nicht oder kaum kennengelernt haben, dürfen

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Mehr Sein statt Haben Statussymbole sind ein Zeichen für Erfolg – zumindest waren sie das einmal. Inzwischen haben viele ausgedient. Corona verstärkt die Dynamik. Das hat auch Folgen für HR.

Ein Beitrag von Mirjam Stegherr

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ein Haus, mein Auto, mein Boot – so lautet der Dreiklang des Erfolgs in einem Werbespot von 1995. Wer es im Leben geschafft hat, kann sich solche Statussymbole leisten. Doch was Mitte der 1990er Jahre für einen Dreiklang reichte, löst sich langsam auf, auch in der Personalpolitik. Nicht erst seit Corona haben Auto und Büro als Lockmittel für Führungskräfte ausgedient. 2019 war der Dienstwagen laut Umfrage des Digitalverbands Bitkom für gerade einmal zwölf Prozent der Personalverantwortlichen ein Lockmittel. Für 70 Prozent der Unter-30-Jährigen ist das Auto kein Statussymbol mehr. „Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der sich der materielle Status und seine 16

Symbolik erschöpft haben“, sagt Trendforscher Tristan Horx. „Statt Quantität zählt Qualität. Es geht nicht mehr darum, wie viel wir haben, sondern wie glücklich und gesund wir sind.“ Auch Glück und Gesundheit werden mitunter über Symbole inszeniert, zum Beispiel die Yoga-Matte im Sonnenuntergang, frische Smoothies oder Avocado-Toasts. Dafür reicht ein Blick in die Bilder-Plattform Instagram. Der Mensch sei ein soziales Wesen und geprägt von Rollen und Hierarchien, sagt Horx. Einen Status zu haben, heiße, sich abzugrenzen. Symbole helfen dabei, doch werden sie vielfältiger und vor allem subtiler. „Die perfekte Inszenierung hat sich spätestens seit der Pandemie als ein Schein-Status www. hu ma n re so u rcesma n age r. d e


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Je exklusiver der Dienstwagen, desto höher das Einkommen und die Position im Unternehmen: Materielle Anreize galten viele Jahre als Sinnbild für beruflichen Erfolg und verschafften einen Status in der Gesellschaft.

entmystifiziert“, sagt Horx. Die Dauerfreude auf Instagram hat sich in der Krise mehr und mehr erschöpft.

Foto: Porsche

Alte Erkennungsmerkmale Auch in der Wirtschaft gilt: Statussymbole verändern sich. Wer sie sucht, muss heute genauer hinschauen. Dreiteiler und Aktentasche wurden spätestens mit einem CEO wie Mark Zuckerberg als Erkennungsmerkmale für Chefin oder Boss aufgesprengt. „Auch Frauen haben das Bild der CEOs bunter gemacht“, sagt Ulrike Wieduwilt, Deutschlandchefin von der internationalen Personalberatung Russell Reynolds. Gerade amerikanischen Unternehmen a p r il / m ai 20 21

sei es zu verdanken, dass Statussymbole in der Arbeitswelt keine so große Rolle mehr spielen. Ihren eigenen Berufseinstieg beim US-Konzern Mars nennt sie „eine wunderbare Schule“: Alle hätten in der gleichen Kantine gegessen, die gleichen Parkplätze genutzt und wären für jede und jeden erreichbar gewesen. Erst mit dem Wechsel in ein deutsches Unternehmen habe sie Statusdenken kennengelernt. Wieduwilt hat in ihrer Arbeit als Beraterin erlebt, dass das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags an der Marke des Dienstwagens scheitern kann. Autos, eine Assistenz und die Anzahl der Fenster im Büro waren früher wichtige Aspekte. Heute würde das noch am ehesten in sehr traditionellen 17


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Um über die traditionellen HRKompetenzen hinauszuwachsen, müssen HRVerantwortliche mutig sein. Wer die unsichtbaren Grenzen überwindet, kann volles Potenzial entfalten und damit auch den Megatrends besser begegnen.

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Wie gewinnt HR mehr Terrain? Ein Gastbeitrag von Gunther Olesch

Damit HR bei der Geschäftsleitung hohes Ansehen genießt und bei Unternehmensstrategien mitgestalten kann, braucht es Know-how und den Blick über den Tellerrand.

Foto: Creatas Images / Getty Images

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er überwiegende Teil der Personalchefinnen und HR-Manager definiert sich häufig über ihre klassischen Personalaufgaben. Von der Einstellung und Personalplanung über die Work-Life-Balance bis hin zum Renteneintritt ergreifen sie viele Maßnahmen, die die Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden positiv beeinflussen sollen. Organisations- und Personalentwicklung in der Arbeitswelt 4.0 stehen oftmals im Vordergrund. Digitalisierung, Demografie, Globalisierung und der Wertewandel der jüngeren Generationen sind dabei nicht ganz neue, aber große und spannende Herausforderungen. Insbesondere New Work und die Digitalisierung betreffen im starken Maße auch den HR-Bereich. Neue IT-Systeme machen klassische Personalaufgaben effizienter. Schon heute erfolgen Bewerbergespräche bedingt durch die Corona-Pandemie überwiegend per Videointerviews statt. Auch E-Learning steigert die Produktivität von Bildungsverantwortlichen. Internationale IT-HR-Templates ermöglichen einen effizienteren Umgang mit Personaldaten. Die Digitalisierung vereinfacht bürokratische Aufgaben der HR-Verantwortlichen.

Die Zukunft gehört HR Wie müssen sich HR-Verantwortliche für diese Zukunft ausrichten? Sie brauchen Mut und Selbstvertrauen, um neue Themenfelder aufzugreifen, die außerhalb des klassischen a p r il / m ai 20 21

Personalmanagements und der traditionellen HR-Kompetenz liegen. Bei diversen HR-Verantwortlichen liegt hier jedoch ein gewisses Beharrungsvermögen, die Zeit vor der Digitalisierung zu einem Teil zu bewahren. Das habe ich häufig auf Konferenzen und Kongressen gespürt. Sie sollten sich stärker den langfristig angelegten Unternehmensstrategien widmen. Dazu gehören mittelfristige und langfristige Unternehmensziele. Personalmanagerinnen und HR-Chefs sollten sich über den eigenen HR-Tellerrand in die Themen Unternehmensstrategie und -prozesse, zukünftige Märkte und deren Marktentwicklungen in einer globalisierten Welt einarbeiten und sie mitgestalten. Dabei müssen sie sich Fragen stellen und Vorschläge entwickeln, welche Produkte, Lösungen und Dienstleistungen des eigenen Unternehmens benötigt die Kundschaft von morgen? Welche Entwicklungs- und Produktionsmöglichkeiten müssen wir als Unternehmen schaffen und ausbauen? Welche Vertriebskanäle wie Direktverkauf und E-Sales werden eine relevante Rolle spielen? Klar ist: Das sind keine traditionellen Themen von HR. Sie sollten jedoch in Zukunft bei der Ausrichtung von HR eine Rolle spielen. Zufriedene Kundinnen und Kunden sorgen für Umsatz. Auf Basis dessen kann das Unternehmen die Zukunft gestalten. Und schließlich trägt der Umsatz auch die Personalkosten. Denn ein Unternehmen muss immer vom Markt her entwickelt werden. Zur strategischen Zielplanung gehören Unternehmenspolitik und Unternehmensleitbild. Daraus leiten 23


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Die Kunst der Lässigkeit Ein Interview von ­Jeanne Wellnitz

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Wir gestalten mit unserem Statusverhalten das Machtverhältnis innerhalb unserer Kommunikation. Tom Schmitt coacht Führungskräfte zu ihrer Statusintelligenz und hat ein Buch über Statusspiele geschrieben. Ein Gespräch über Clint Eastwoods Hochstatus, Notfallmantras und willkommene Aggression

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Westernhelden wie Clint Eastwood sind besonders plakative Hochstatus-Menschen. Sie setzen auf Respekt und Distanz, ihnen ist nicht wichtig, ob sie

Foto: picture alliance / United Archives

gemocht werden.

Herr Schmitt, finden Statusspiele ständig statt oder werden sie durch uns eingeläutet? Sie finden unerlässlich statt. Wir können, wie es Paul Watzlawick mit seinem berühmten Satz „Wir können nicht nicht kommunizieren“ einst sagte, nicht keinen Status haben. Genauso wie wir nicht keine Körpersprache haben können. Weshalb beschäftigen Sie sich seit nahezu dreißig Jahren mit diesem Phänomen? Man beschäftigt sich mit so einem Thema natürlich nicht ohne ein gerütteltes Maß persönlicher Betroffenheit. Ich habe mich in bestimmten Situationen, sagen wir mal so, persönlich verunmöglicht. Was ist passiert? Als ich als Trainer anfing, habe ich Kunden kalt akquiriert. Kunden wollen jemanden, der weiß, wovon er spricht, der ein gewisses Standing hat. Jemand, der im Coaching mit Ja-aber-Menschen zurechtkommt. Das habe ich auch relativ gut hingekriegt und im Rausgehen bin ich dann symbolisch eingeknickt und habe vermittelt: Übrigens, ich bin auch ein Netter. In dem Moment war ich für den Kunden verbrannt. Sie haben den Auftrag nicht bekommen, weil Sie sich nicht für Respekt, sondern Sympathie entschieden haben? a p r il / m ai 20 21

Genau, das ist die Nähe-Distanz-Problematik. Ich habe zum Beispiel eine Präferenz für einen Tiefstatus. Das bedeutet, in einer Stresssituation ist es mir wichtiger, sympathisch zu sein als mich durchzusetzen. Bei Hochstatus-Menschen ist das genau andersherum. In Stresssituationen setzen sie auf Respekt und Abstand, ihnen ist nicht wichtig, ob sie gemocht werden. Ein Hochstatus-Mensch dreht sich – metaphorisch gesprochen – niemals noch einmal um, wenn er weggeht. Stellen Sie sich Clint Eastwood als Westernhelden vor, der nach einem Duell in den Sonnenuntergang reitet. Western sind sozusagen die Prototypen von Hochstatus. Clint Eastwood würde sich nie umdrehen, lächeln oder gar winken. Das wäre dann eine Persiflage, so wie wir sie von Michael „Bully“ Herbig kennen, der Winnetou konsequent im Tiefstatus gespielt hat. Wie ging es dann mit Ihnen und dem Status weiter nach dem Kundengespräch? Ich wollte dem auf den Grund gehen. Ich habe damals auch Theater gespielt. Mir wurde immer gesagt: „Du musst mit dem Status spielen.“ „Ja, wie geht das?“, wollte ich wissen. „Lies Keith Johnstone“, wurde mir geraten. Dann las ich Keith Johnstones Theaterspiele – er ist der Begründer des Theatersports – und da stand

drin: Ja, du musst mit dem Status spielen. Ich wusste also immer noch nicht genau, was zu tun ist. Und, was haben Sie mittlerweile herausgefunden? Entscheidend ist, dass wir unsere Angst, anzuecken, überwinden, wenn wir die Präferenz Tiefstatus haben. Hochstatus-Typen hingegen müssen die Angst vor der Nähe überwinden. Es gibt Leute in meinem Coaching, die brechen es ab und sagen: „Ist mir doch völlig egal, ob meine Mitarbeiter mich mögen. Hauptsache, sie machen, was ich will.“ Ist dieser Typus noch häufig vertreten in Deutschlands Führungsetagen? Laut meinen Erfahrungen sind neun von zehn Menschen in Stresssituationen im Tiefstatus. Und dieser eine Mensch von zehn sitzt meistens in den Führungsetagen. Wichtig ist jedoch: Wir sollten Status nicht bewerten. Denn es gibt bei jedem Status immer einen Benefit, aber auch einen Preis zu zahlen. Und dass neun von zehn Menschen Nähe wichtig ist, das ist etwas durchaus Gutes. Was wäre das sonst für eine Gesellschaft? Ist heutzutage nicht eher die charismatische Führungspersönlichkeit gefragt als der knallharte Leader oder die kühle Chefin? 27


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Gestern noch gefragt, heute freigestellt Ein Gastbeitrag von Jörg Kasten

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Wenn der eigene Arbeitsplatz wegfällt, gehen damit Befürchtungen einher. Auf oberster Führungsebene kann ein Sesselwechsel vor allem auch Statusverlust bedeuten.

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Foto: Davut Akbulut / Getty Images

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islang haben mehr als eine halbe Million Menschen durch die Auswirkungen der Pandemie ihren Job verloren. Gleichzeitig schauen sich Managerinnen und Führungskräfte der oberen Führungsebenen derzeit vermehrt nach neuen Arbeitgebern um. Die Gründe dafür sind vielfältig. Manchmal legt die Corona-Krise Defizite im Unternehmen offen, die Top-Führungskräfte nicht akzeptieren können oder wollen. Oftmals sind sie aber auch einfach betriebsbedingt gezwungen, auf Jobsuche zu gehen. Viele Unternehmen schließen aufgrund von Restrukturierungen, Sanierungen oder drohenden Insolvenzen ganze Abteilungen. Der Chefsessel kann dabei schnell zum Schleudersitz werden. Die Praxis zeigt immer wieder: Je höher die Position im Unternehmen ist, desto schwieriger gestaltet sich aktuell ein adäquater Arbeitgeberwechsel. Spitzenpositionen in Konzernen sind rar, öffentliche Ausschreibungen selten – vor allem, wenn es sich um ein Jahresgehalt von mehreren Hunderttausend Euro handelt. Die Besetzung erfolgt häufig über persönliche Kontakte oder Netzwerke. Zwar ist die Konkurrenz geringer, aber es kann schon problematisch sein, überhaupt eine passende Vakanz zu finden. Wer sich möglicherweise nie beworben hat und bisher immer nur abgeworben wurde, ist dann umso entsetzter, wenn die eigene Person plötzlich nicht mehr gefragt ist. So suchen Top-Managerinnen und Top-Manager sowie erprobte Führungskräfte auch schon mal bis zu zwei Jahre nach einer neuen Aufgabe. Eine angemessene Position finden viele nur dann, wenn sie downsizen – also zum Beispiel bei Position und Gehalt Abstriche machen.

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Auch top ausgebildete, durchsetzungsstarke und hervorragend vernetzte Führungskräfte kommen trotz guter Kontakte aktuell schwer in neue Positionen. Unternehmen agieren in Krisenzeiten risikoscheu. So setzen sie im Moment noch häufiger als sonst auf Personen innerhalb der eigenen Organisation. Gleichzeitig überlegen sich Top-Führungskräfte mehrmals, ob sie einen nicht dringend gebotenen Positionswechsel aktuell wirklich wagen sollen. Ein gewisses Maß an Planungssicherheit in Zeiten großer wirtschaftlicher Disruptionen ist auch bei Top-Jobs wichtig. Ein Wiedereinstieg auf oberster Managementebene ist besonders in Wirtschaftskrisen selten, die Suche nach einem adäquaten neuen Job ist äußerst schwierig. Dennoch besetzen Unternehmen auch in Zeiten der Pandemie Positionen im Top-Management. Vor allem im gehobenen Management erfolgen Konzernwechsel in der Regel durch Kontakte mit Headhunterinnen, Recruitern oder ehemaligen Vorgesetzten, seltener durch herkömmliche Bewerbungsphasen. Mit einem unverhofften Jobverlust fallen diese wertvollen Kontakte jedoch bis auf Weiteres weg – vor allem solche, die positionsbedingt Teil des eigenen Netzwerks waren. Überspitzt gesagt finden sich viele Betroffene plötzlich in der für sie ungewohnten Rolle des Bittstellers, der Aspirantin wieder: gestern noch gefragte Führungskraft, heute freigestellt und auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Der mühsam aufgebaute Status mitsamt seinen Privilegien droht zu schwinden.

Statusängste Wenn Spitzenchefs und Top-Managerinnen längere Zeit nach einer neuen Anstellung suchen, hat dies auch einen weiteren negativen Effekt. Von einem vollständig durchgetakteten Tag kommen sie auf einen Schlag in einen Zustand, in dem sie sehr viel freie Zeit haben. Das können viele anfangs nur schwer aushalten. Denn bisher hat der Job den Rhythmus bestimmt. Das hohe Stresslevel, die vielen Überstunden und die Bestätigung durch den Unternehmenserfolg – das alles fehlt plötzlich. Der Karriereknick kratzt zudem massiv am Selbstbild und Statusängste können die Folge sein. Nun ist das richtige Krisenmanagement wichtig. Selbst für ehemalige Top-Führungskräfte ist das 31


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Kaum jemand verkörpert Jazzmusik wie die US‑Amerikanerin Billie Holiday. Sie zählt zu den bedeutendsten Jazzsängerinnen. Jazz steht genauso wie moderne Führung im Zeichen der Improvisation.

Ein Gastbeitrag von Björn Waide

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Hierarchie schreibt Führungskräften einen gewissen Status zu. Selbstorganisierte Teams kommen hingegen ohne eine Machthaberin oder einen Dirigenten aus. Wie lassen sich starre Strukturen auflösen?

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Foto: picture-alliance / United Archives/TopFoto

Jazzband statt Orchester


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ut fünf Jahre lang hat das Fintech-Unternehmen Smartsteuer immer wieder optimiert, agile Arbeitsweisen ausprobiert und mit Scrum gearbeitet. Abteilungen spürten graduelle Verbesserungen mal mehr, meist aber weniger. Es fehlte nicht nur der Blick aufs Ganze, sondern auch, aufs Ganze zu gehen. Bequemlichkeit hatte sich eingeschlichen. Es reichte der Anspruch, hier und da eine Verbesserung zu erreichen. Doch dies ging zulasten der Innovationskraft. Ein stetig steigender Wettbewerbsdruck hat das verdeutlicht. Ein Gedanke des Managements setzte den Wandlungsprozess in Gang: Es bräuchte ein neues Führungskonzept, um den Beobachtungen, Einflüssen und Veränderungen gerecht zu werden. Schließlich gibt das Management die Richtung vor, in die ein Unternehmen und die Mitarbeitenden gehen möchte. Es gleicht einem Orchester: Einige wenige geben den Ton an, jedes Teammitglied beherrscht ein Instrument, alle harmonieren im Zusammenspiel. Das Repertoire ist bestens einstudiert und wechselt nur selten. Im Laufe der Zeit stellten alle Beteiligten in Team- und Management-Meetings sowie internen Workshops fest: Wir wollen nicht das schon Dagewesene immer wieder zur Aufführung bringen, sondern das noch nie Gehörte. Dabei sollte es möglichst frei zugehen, ohne Notenvorgabe von Dirigierenden, lieber wie in einer Jazzband.

Illustration: coffeee-in / Getty Images

Selbstorganisiert, aber mit Struktur Im Herbst 2019 haben wir uns als Unternehmen neu organisiert: Das Management löste sich quasi auf, bis auf den Geschäftsführer, den es formell auf dem Papier geben muss. Auf die Ebene der Teamleitung inklusive der Gespräche mit unseren Beschäftigten verzichten wir seither. Stattdessen sind alle zu Führungskräften geworden. Weiterbildungsbudgets stehen allen zur Verfügung. Über Urlaube entscheidet jede und jeder selbst. Keine Hierarchie, keine Regeln? Falsch. Regeln sind wichtiger denn je, auch wenn sie struktureller Natur sind. Das haben wir dank der New-Work-Beraterinnen von Freischwimmer gelernt, die in den Prozess eingebunden war und uns beim Umbruch angeleitet hat. Unterstützt haben uns Crashkurse in Systemtheorie und Kulturmusteranaa p r il / m ai 20 21

lyse. Durch diese theoretischen Grundlagen konnten wir besser erkennen, welchen strukturellen Rahmen wir für unsere neue Arbeit brauchen. In Einzelbefragungen und in gemeinsamen Workshops haben wir erarbeitet, was unsere Unternehmenskultur ausmacht und wie sie sich äußert – und dabei verstanden, dass sie maßgeblich von den zugrunde liegenden Strukturen abhängt. Die Appelle zu innovativer Arbeit verhallen, wenn sich an den Strukturen nichts ändert. Neues Arbeiten braucht neue Strukturen. Für uns war klar: Wir wollen mit dem kleinstmöglichen Struktur-Set-up starten. Das bedeutet: nur das Minimum vorzugeben und der Rest soll sich von alleine ergeben. Nach monatelangem Analysieren und Diskutieren verständigten wir uns auf drei Kernelemente: den Strategiekreis, die Verantwortungsdreiecke und den Thesenbasar. • Der Strategiekreis besteht aus festen sowie stetig wechselnden Mitgliedern. Gemeinsam legen sie die Leitlinien für das Unternehmen fest, innerhalb derer sich alle bewegen. Ein Beispiel ist dabei etwa die Einigung auf Kosten pro Neukunde, die Smartsteuer bereit ist zu zahlen. Auch erarbeiten sie die Vision und die daraus abgeleitete Strategie und stellen diese im Anschluss dem gesamten Team vor. • Bei all dem Drang, innovationsgetriebener zu arbeiten, bleibt ein Großteil der Arbeit dem Tagesgeschäft vorbehalten. Um genau zu wissen, was dabei zu tun ist, hilft eine Aufgabeninventur. Diese liefert eine Liste mit notwendigen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die wir – zum Teil geclustert – in sogenannten Verantwortungsdreiecken neu aufgeteilt haben. Drei Mitglieder teilen sich die Verantwortung für ein bestimmtes Thema und können im gemeinsamen Austausch weiter daran arbeiten. Der Vorteil: Einzelne Mitglieder können sich bei Bedarf aus dem Verantwortungsdreieck zurückziehen. Bedarf meint dabei nicht nur einen möglichen personellen Ausfall, sondern vor allem das Engagement in Innovationsprojekten. • Diese besondere Projekte werden Missionen genannt und von Missions-Teams bearbeitet. Hier entstehen die Innovations-Jazz-Stücke, die wir dann zur Aufführung bringen. Jede Mission braucht unterschiedliche Ressourcen und damit unterschiedlich viele Mitglieder. Ob aus einer Idee eine Mission wird, entscheidet sich auf dem monatlichen Thesenbasar.

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Im Echo des Applauses Ein Beitrag von Sven Lechtleitner

Zu Beginn der Pandemie standen vor allem in Italien und Spanien die Menschen auf den Balkonen und applaudierten den Pflegekräften, die Tag und Nacht alles gaben. Ihr Standing in der Gesellschaft hat sich erhöht. Doch Ansehen alleine reicht nicht aus, um Menschen für den mitunter harten Berufsalltag in der Pflege zu begeistern.

I Foto: AndresGarciaM / Getty Images

m Frühling letzten Jahres applaudierten Menschen an Fenstern und auf Balkonen medizinischem Personal. Ein Ausdruck von Wertschätzung für deren heldenhaften Einsatz im Kampf gegen das Virus. Der Applaus ist nach der ersten Welle längst verhallt. Geblieben sind eine Corona-Prämie sowie das Gefühl von mehr Anerkennung in der Gesellschaft – und die gleichen Probleme wie zuvor. Die Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen sind für die Pflegenden körperlich wie mental belastend, und die niedrige Bezahlung steht seit Jahren in der Kritik. Zwar hat eine Pflegereform Anfang 2019 die Finanzierung von Pflegekräften für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen verbessert. Auf dem Arbeitsmarkt hierzulande gibt es jedoch nicht genug qualifizierte Fachkräfte. Alleine das Halten von Beschäftigten gleicht einer Mammutaufgabe, gerade in einer Ausnahmesituation wie dieser.

Applaus mit Ende Medienberichten zufolge ist die Zahl der Pflegekräfte von April bis Juli 2020 um 9.000 Stellen gesunken. Der Pflegebranche stehe eine Kündigungswelle bevor, heißt es. Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bremen, kann die Indizien dafür nicht bestätigen. a p r il / m ai 20 21

Bei den Zahlen handle es sich um eine Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit. Er bezeichnet diese als eine Momentaufnahme. Im August 2020 sei die Situation bereits besser gewesen als von den Medien suggeriert. Die Ursache für den Rückgang sieht er vielmehr in der natürlichen Fluktuation begründet – vor allem aber darin, dass während des ersten Lockdowns alles heruntergefahren wurde und sich Einrichtungen kaum um Recruiting bemüht haben. Seine Bedenken hinsichtlich einer eventuellen Kündigungswelle beziehen sich eher auf die Zeit nach Corona. „Aus dem Verantwortungsbewusstsein heraus lässt kaum eine Pflegekraft ihre Klinik im Stich, wenn es am schlimmsten ist“, sagt Rothgang. Er kann sich jedoch vorstellen, dass viele nach der Krise für sich den Job neu bewerten und dann eine Kündigung erwägen. Der Wissenschaftler kann den Unmut des Pflegepersonals nachvollziehen. Nach dem Applaus sei wenig passiert, die Corona-Prämie habe für mehr schlechte als gute Stimmung gesorgt. Laut Rothgang haben Pflegekräfte das anfängliche Hin und Her der Prämie als negativ und die Bezugskriterien als ungerecht empfunden. Er erinnert daran, dass in der ersten Welle teils persönliche Schutzausrüstung wie Atemmasken fehlten und Beschäftigte unter Gesundheitsrisiken weitergearbeitet hätten. In der dritten Welle heiße es sei39


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S TAT U S Als eitel gilt eher Mensch als Tier. Doch als Fabelwesen steht vor allem der Gockel für Eitelkeit. Eine Eigenschaft, die in Gruppen durchaus Statuskämpfe

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Foto: Isaac Ruiz Santana / Getty Images

auslösen kann.


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Mit Verhandlungen lässt sich in kurzer Zeit viel gewinnen oder verlieren. Über Erfolg entscheidet, wie Gruppenmitglieder intern miteinander umgehen. Aber wie vorgehen, damit Verhandlungsteams harmonieren und sich Einzelne nicht den Status der Führungsrolle zuschreiben? Ein Gastbeitrag von Thorsten Hofmann

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er Erfolg von Unternehmen und Organisationen hängt oft mit den Ergebnissen von Verhandlungen zusammen, die im Rahmen von Change-Prozessen, strategischer Neuausrichtung, Abbaumaßnahmen oder Tarifkonflikten erfolgen. Der Verhandlungserfolg ist abhängig vom Ausbildungsgrad aller Beteiligten und davon, wie die Teams zusammengestellt sind. Ein gut funktionierendes Team braucht Rollenklarheit und Disziplin. Denn Verhandlungen sind keine Selbstläufer. Sie brauchen ein perfektes Verhandlungsteam, das aufgebaut wird, weit bevor Verantwortliche mitbestimmungspflichtige Themen dem Betriebsrat bekannt geben oder einen Organisationsumbau neu verhandeln. Die gute Nachricht ist: Verhandeln lässt sich erlernen. Mit der richtigen Vorbereitung und einer passenden Taktik erhöhen sich die Erfolgschancen – und Erfolg hängt davon ab, wie ein Team gruppenintern agiert. Meist treffen in einem Verhandlungsteam Fachleute aufeinander, allesamt Expertinnen und Profis in ihrem Fachgebiet. Viele von ihnen wissen, welches Ziel sie in einer Verhandlung verfolgen. Geht es jedoch an den Verhandlungstisch, herrscht oft Chaos, weil viele unterschiedliche Vorstellungen und Interessen zusammenkommen. Oftmals bringen Beteiligte diese nicht strukturiert unter einen Hut. Alle versuchen, das Beste zu geben. Ist das Team jedoch nicht nach klaren Regeln aufgestellt, agiert es mitunter wie eine Gruppe von Kleinkindern, die Fußball spielen: Alle stürmen gleichzeitig los und versuchen, an den Ball

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heranzukommen. Oder es folgt eine Solovorstellung: Eine Person übernimmt alles und der Rest sind Teilnehmende ohne Aufgabe. Unter solchen Bedingungen lässt sich kein gutes Ergebnis erzielen.

Rollen klar aufteilen Wenn für eine Verhandlung Teamarbeit vorgesehen ist, müssen Rolle und Funktion definiert sein. Auch Mitglieder aus der Führungsebene, die nicht direkt am Verhandlungstisch sitzen, müssen sich ihrer Rolle und Funktion bewusst sein. Wer ist für Deeskalation zuständig? Welche Sprach- und Handlungsdisziplin sollen alle einhalten? Denn: Niemand kann alles alleine stemmen. Auch das Delegieren von Aufgaben will gelernt sein. Nichts schadet einer Verhandlung mehr, als wenn sich Personen aus den eigenen Reihen plötzlich ins Wort fallen oder das gerade Gesagte – verbal oder nonverbal – infrage stellen. Solche gut gemeinten Interventionen oder auch Friendly Fire haben schon in so mancher Verhandlung einen Vorteil in einen Nachteil verwandelt. Noch schädlicher ist es, wenn aus dem eigenen Team Widerspruch ertönt und dieser am Verhandlungstisch für alle deutlich wird. Das zugrunde liegende Problem ist in beiden Fällen ein nicht aufeinander abgestimmtes Verhandlungsteam. Jedes Teammitglied kann also eine potenzielle Fehlerquelle sein. Ein Modell, das hilft, Fehler zu minimieren, kommt mittlerweile in vielen Unternehmen und bei politischen Verhandlungen zum Einsatz. Angelehnt ist dieses Konzept an die Überlegungen und Prinzipien des ehemaligen FBI Chief Negotiators Frederick Lanceley, der es ursprünglich für Krisenverhandlungen entwickelte. Es eignet sich gleichermaßen für Start-ups, kleine und mittelständische Unternehmen wie für Konzerne. Es ist so ausgelegt, dass alle, die es anwenden, verschiedene Eskalationsebenen innerhalb der Verhandlung nutzen können. Das Modell sieht drei Funktionen vor: zwei Funktionen am und eine außerhalb des Verhandlungstisches. Die beiden Funktionen am Verhandlungstisch bezeichnet man als Verhandlungsführung und Verhandlungssteuerung. Außen vor bleibt jene Person, die entscheidet – ein Decision Maker. Natürlich ist dieses Konzept aufstock- und erweiterbar. Man kann jederzeit weitere Personen integrieren: Protokollführende, Fachleute – also juristisch, ökonomisch oder wissenschaftlich versierte Personen –, ausgebildete Beobachtende oder auch professionelle Profilerinnen und Profiler, die in 43


T I T E L

S TAT U S

Der Freiheitsliebende Ein Porträt von Sven Lechtleitner

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Cédric Waldburger ist jemand, der Freiraum über alles schätzt. Auf Materielles legt er keinen Wert. Das Porträt eines Multimillionärs, der als Minimalist lebt

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TITEL

Foto: Cédric Waldburger / cedricwaldburger.com

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räzise wie ein Schweizer Uhrwerk empfängt der Züricher Unternehmer und Investor Cédric Waldburger zum Gespräch – bereits fünf Minuten vor dem Termin ist er im virtuellen Gesprächsraum. Sein Set-up wirkt wie die professionelle Liveschalte eines Fernsehsenders: ein hochauflösendes Kamerabild mit Tiefenunschärfe, das Gesicht ausgeleuchtet und das Firmenlogo stets eingeblendet. Was in dem hellen Arbeitszimmer noch auffällt: weiße Wände ohne Bilder so weit es der Kamerawinkel erfasst. Lediglich der Farbakzent eines violetten Lichts im Hintergrund gibt dem Raum Atmosphäre. Für jemanden, dessen gesamte Besitztümer in einen Rucksack passen, spielt Dekoration keine Rolle. Dabei könnte sich der 32-Jährige teure Kunstwerke für die Wände seiner Wohnung leisten. Ein von ihm mitgegründetes Unternehmen ist Medienberichten zufolge mit zwei Milliarden Dollar bewertet. Dennoch haben materielle Dinge für ihn keinen Wert. Er ist Minimalist. Sein erstes Unternehmen gründete Waldburger im Alter von 14 Jahren aus einem Hobby heraus. Gemeinsam mit einem Freund hat er Logos und Websites entworfen. Daraus ist 2002 eine Agentur entstanden. Waldburger hält das Agenturgeschäft für einen guten Einstieg in das Unternehmertum. Der Grund: Dort ergibt sich vieles Learning by Doing. Die Gründer konnten Stolpersteine überwinden, ohne dass die Firma einen Schaden davongetragen hat. Im Jahr 2018 verkaufte er die Agentur gewinnbringend. Heute gilt er als Start-up-Investor mit Hang zum Fintech- und Finance-­ Bereich. Bisher hat er bei mehr als 20 Unternehmensgründungen eine Rolle gespielt: Mal sind sie aus seiner Idee heraus entstanden, mal hat er sie als Investor mitfinanziert.

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Aktuell verbringt Waldburger 100 Prozent seiner Zeit damit, in Firmen zu investieren. Das geschieht über sein Venture-Capital-Unternehmen Tomahawk.VC. Mit der Risikokapitalgesellschaft investiert er sein Geld sowie das von drei weiteren Investoren zeitlich begrenzt in junge Wachstumsunternehmen. Nach Risiko hört es sich allerdings nicht an, wenn er davon erzählt, dass seine Firma mit rund 30 Millionen in andere Unternehmen investiert ist. Von Sorge um Kapitalverlust keine Spur. Ganz im Gegenteil: Der Unternehmer strahlt Ruhe und Selbstsicherheit aus. Er scheint sich sicher zu sein, die richtigen Kapitalanlagen ausgewählt zu haben. Finale Investitionsentscheidungen hat Waldburger sonst immer durch ein persönliches Treffen besiegelt. Seit Beginn der Pandemie finden diese virtuell statt. Doch Video-Meetings lassen nur einen begrenzten Eindruck des Gegenübers zu. Gespräche wie beim Abendessen, bei denen er auch die Person hinter dem Business kennenlernt, bleiben seither aus. Für ihn eine Situation, an die er sich anfangs gewöhnen musste. Gemeinsam sucht das neunköpfige Team von Tomahawak.VC nach Firmen, in die es investieren möchte. Dabei handelt es sich meist um Technologie-Start-ups. „Mich treiben Unternehmen an, die einen positiven Impact auf das Leben von zahlreichen Menschen haben“, sagt Waldburger. Die Finanzbewertungen seiner Unternehmen beeindrucken ihn hingegen kaum. Solche Bewertungen ermöglichen zwar gewisse Ressourcen, aber das wirklich Spannende sei, wenn die Technologie zur Anwendung komme und das Leben anderer bereichere. Für die Investmentfirma strebt der studierte Elektrotechniker Wachstum an, jedoch langsam und Schritt für Schritt. Man könne nicht von heute 51


A N A LY S E

Die Mischung macht’s Agile Methoden gelten als vermeintliche Heilsbringer in der VUCA-Welt. Doch sie bringen nur etwas, wenn HR auch eine agile Organisationskultur implementiert. Acht Erfolgsfaktoren

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n Organisationen ist vermehrt der Ruf nach Agilität zu hören. Konsequenterweise werden neue, agile Methoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking eingeführt. Diese sollen die traditionellen Techniken ersetzen, mit denen wir bislang Projekte gemanagt oder Teams geführt haben. Sie gelten als der neue Heilsbringer. Jedoch stellen Unternehmen immer wieder fest, dass die agilen Methoden nicht den erhofften Erfolg bringen. Ihnen wird schnell klar, dass es wichtiger ist, dass die Organisation zunächst ein gemeinsam getragenes Grundgerüst an agilen Werten und Prinzipien braucht. Sie brauchen eine agile Organisationskultur. Dies ist auf der einen Seite ein komplexer und oftmals auch langwieriger Prozess. Auf der anderen Seite ist es ein lohnenswerter Weg. Denn in den 58

unruhigen Gewässern der VUCA-Welt ist die Organisationskultur der Fels in der Brandung. Mitarbeitende einer Organisation können sich daran orientieren und sicher sein, dass die aktuell gefragten Verhaltensweisen auch in Zukunft noch erfolgversprechend sein werden. Dies reduziert Komplexität und schafft Verhaltens- und Entscheidungssicherheit. Wie kann nun der kulturelle Transformationsprozess am besten gelingen? Eine zentrale Rolle nehmen dabei die Führungskräfte ein. Doch von diesen wird derzeit ein schmerzhafter Spagat verlangt. Während sie auf der einen Seite Umsetzungs- und Innovationsgeschwindigkeit steigern sollen, sind sie auf der anderen Seite gleichzeitig gefordert, das Kerngeschäft weiter voranzutreiben. Diese Beidhändigkeit, auch Ambidextrie genannt, führt www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e

Foto: ddukang / Getty Images

Ein Gastbeitrag von Fatima Schwarz und Stefan Schwarz


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dazu, dass häufig in hybriden Strukturen gearbeitet wird. Das Kerngeschäft wird aus der Linienorganisation heraus erledigt, während zusätzlich im Rahmen von agiler Projektarbeit an innovativen Themen gearbeitet werden soll. Dabei fehlt es den Führungskräften oftmals immer noch an Wissen bezüglich der Umsetzung agiler Prinzipien und Methoden. An dieser Stelle kommt die HR-Funktion der Organisation ins Spiel. Da es bei der Implementierung einer agilen Organisationskultur um die Steuerung des menschlichen Verhaltens geht – was die originäre Kernaufgabe der HR-Funktion ist –, sollte HR im kulturellen Transformationsprozess die Vorreiterin sein. Doch Achtung! Wie bereits erwähnt ist die Veränderung einer Organisationskultur ein schwieriger Prozess, da die Kultur über einen langen Zeitraum gewachsen ist und a p r il / m ai 20 21

Verhaltensweisen gut eingeübt sind. Insofern ist jede Organisationskultur erst mal ein träges System, welches nicht über Nacht seine Funktionsweise verändern wird. Dazu bedarf es Zeit, Geduld und folgende acht Erfolgsfaktoren. 1   Das Commitment des Top-Managements Vergewissern Sie sich zunächst der hundertprozentigen Unterstützung ihres Top-Managements. Holen Sie sich dann den expliziten Auftrag ab, die organisationale Transformation federführend im Personalbereich zu starten. Machen Sie dabei deutlich, dass die Arbeit an der agilen Organisationskultur keine Nebenbeschäftigung, sondern zeit- und ressourcenintensiv ist, wenn sie erfolgreich sein und nicht Jahrzehnte dauern soll, dafür aber am Ende gewinnbringend ist.

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PRAXIS

Ein Interview von Senta Gekeler

Ist Flexibilität und Mitbestimmung auch für Menschen in der Produktions- und Schichtarbeit möglich? Oder bleibt dieses Privileg nur dem White-Collar-Bereich vorbehalten? Ein Gespräch über New Work im Blue-Collar-Bereich und den Menschen in der Industrie 4.0

Frau Pape, Sie wollen mehr Flexibilität in den Blue-CollarBereich bringen. Wie kam es dazu? Trotz Digitalisierung leben und denken leider viele Unternehmen immer noch in klassisch hierarchischen und starren Strukturen. Das wollen wir ändern. Wir wollen Arbeitgeber dafür sensibilisieren, dass sich Arbeit auch im Bereich Blue Collar und Deskless Workforce flexibler gestalten lässt. Beschäftigte, die in diesem Bereich arbeiten, wünschen sich ebenso Mitbestimmung und flexible, familienfreundliche Arbeitszeiten. Starre Schichtmodelle sind zudem heute nicht mehr tragbar, weil unsere Arbeitswelt durch zunehmende Auftragsschwankungen aufgrund von Produktvielfalt und kleinen Losgrößen deutlich volatiler geworden ist. Darauf müssen die Unternehmen kurzfristig reagieren können. Wie können Sie das bewerkstelligen? Wir haben ein digitales Tool entwickelt, mit dem Planerinnen und Planer ihre Mitarbeitenden in die Schichtplanung einbeziehen können, indem

sie ihnen per App Einsatzanfragen zuschicken. Ein Regelwerk hilft den planenden Personen, anhand von notwendigen Qualifikationen und unter Beachtung gesetzlicher Arbeitszeitregelungen geeignete Arbeitskräfte zu finden. Eine datenbasierte Prioritätensteuerung balanciert die Arbeitsbelastung aus und stellt sicher, dass nicht immer die gleichen Personen die Mehrarbeit leisten. Die Beschäftigten können die Einsatzanfragen ohne Stress im Rahmen einer Rückmeldefrist beantworten, die für alle gleichermaßen gilt, also kein first come, first serve. Das heißt, sie können zum Beispiel in Ruhe mit der Familie absprechen, ob sie eine Wochenendschicht übernehmen. So nehmen die Angestellten unmittelbar auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeit Einfluss. Das klingt ein bisschen nach New Work. Genau. Wenn sich Unternehmen für flexiblere Arbeitszeitmodelle öffnen, können sie New-Work-Elemente durchaus auch auf den Hallenboden bringen. Es kommt schließlich auch im Büro auf

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die richtige Abstimmung an, die Konzepte wie Homeoffice und Gleitzeit ermöglicht. Mit unserem Tool können sich auch alle im Schichtbetrieb innerhalb eines vereinbarten Gestaltungsspielraums unkompliziert und digital abstimmen. Auch dem menschlichen Bedürfnis nach Mitbestimmung kommen Arbeitgeber entgegen, indem sie ihre Belegschaft noch mal fragen, bevor sie diese für Einsätze einplant. Wie hat sich die Arbeit im Schichtbetrieb durch die CoronaPandemie verändert? Wir arbeiten hauptsächlich mit größeren mittelständischen Unternehmen und Konzernen zusammen. Dort hat Corona erst einmal viele in eine Schockstarre verfallen lassen. Viele Unternehmen sind sofort in die Kurzarbeit gegangen, sodass Schichtplanung eine Zeit lang gar kein Thema war. Jetzt läuft der Betrieb wieder und Firmen haben erstmals realisiert, dass die Arbeitswelt sich an unerwartete Situationen anpassen und Arbeitsorganisation neu erfinden muss. Sie denken vermehrt über flexible Konzepte www. hu ma n reso u rce sma n age r. d e

Foto: Kristina Becker / Photovisionen.com

Faire Einsatzplanung


PRAXIS

Katrin Pape ist CEO und Gründerin des Startups Vote2Work. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Universität Rostock arbeitete sie als Softwareentwicklerin und später als Produktmanagerin im Bereich industrielle Bildverarbeitung. 2001 wechselte sie zu National Instruments und verantwortete den Aufbau des Business Segments Optische Inspektionssysteme. 2006 gründete sie ihr erstes eigenes Software- und Systemhaus. 2015 startete sie Vote2Work mit dem Ziel, mit innovativen Methoden und smarten MatchingAlgorithmen die Flexibilisierung der Arbeitswelt im Blue-CollarBereich zu unterstützen und die Mitarbeiterpartizipation zu fördern. Vote2Work gewann auf dem Personalmanagementkongress 2019 den HR-Start-up-Award. Human Resources Manager ist Mitinitiator des Preises.

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R E C H T

E S S AY

Moderne ­Arbeitsformen brauchen ein ­modernes ­Arbeitsrecht

Mit neuen Formen der Arbeit geht oftmals die Forderung einher, den Begriff der Beschäftigung neu zu definieren. Doch das ist nicht notwendig, solange die Auslegung dieses Begriffs mit der Zeit geht.

Ein Essay von Christoph Seidler

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b Arbeit 4.0 oder New Work – diese Begriffe sind im Personalmanagement und Arbeitsrecht in aller Munde. Sie beschreiben, insbesondere im Kontext der Digitalisierung der Arbeitswelt, neue Arten der Arbeit wie Crowdworking oder Scrum. Dabei treffen zwei Welten aufeinander: zum einen die neue Welt mit modernen und agilen Strukturen, zum anderen die klassische Welt des Arbeitsrechts, die jede Form der Arbeit in die vorgegebenen, seit vielen Jahrzehnten unveränderten Kategorien schematisch einordnet. Konflikte sind vorprogrammiert. Schon rufen viele Unternehmen nach einem Arbeitsrecht 4.0. Der Verdacht steht im Raum, das Arbeitsrecht passe nicht zu den modernen Arbeitsformen und bremse die digitale Revolution aus. Aber ist das wirklich so?

Abhängige Beschäftigung oder freie Tätigkeit? Das deutsche Arbeitsrecht kennt im Wesentlichen zwei Kategorien von Erwerbstätigkeit: einerseits das Arbeitsverhältnis mit dem sozialversicherungsrechtlichen Begriff der abhängigen Beschäftigung, andererseits die Selbstständigkeit beziehungsweise freie Mitarbeit. Beschäftigt ist, wer den Weisungen eines Arbeitgebers unterliegt und in dessen

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IMPRESSUM

betriebliche Organisation eingegliedert ist. Beschäftigte gelten im Gegensatz zu selbstständig Tätigen als besonders schutzbedürftig. Nur sie profitieren daher von einem komplexen System aus Arbeitsschutz und sozialer Sicherung. Es gelten beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn, die Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder Mutterschutz, gesetzlicher Mindesturlaub und ein im internationalen Vergleich strenger Kündigungsschutz. Müssen sich neue Formen der Arbeit in dieses bestehende System einordnen, kommt es nicht selten zu Überraschungen. Eindrucksvoll verdeutlicht dies das sogenannte Crowdworker-Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 1. Dezember 2020 (Az. 9 AZR 102/20). Crowdworking, also Plattformarbeit, ist ein Beispiel für eine neue Arbeitsform, die erst durch die digitale Transformation von Wirtschafts- und Arbeitsleben entstehen konnte. Wie an einem Schwarzen Brett bieten Unternehmen auf dafür eingerichteten Websites oder über mobile Apps Aufträge an, die dann Nutzerinnen und Anwender aus der Crowd annehmen können. Die Aufträge lassen sich von überall aus online und ohne eine zeitliche oder örtliche Bindung kurzfristig erledigen. Das Bundesarbeitsgericht entschied zugunsten des klagenden Crowdworkers, der sich als Arbeitnehmer sah. Damit stellte sich das Gericht nicht nur gegen die Fachliteratur, die überwiegend von einer freien Mitarbeit ausgegangen war. Auch die Parteien waren bei der Vertragsgestaltung von einem freien Dienstverhältnis ausgegangen. Derartige Fälle sind auf den ersten Blick so alt wie das Arbeitsrecht. Die Arbeitsgerichte und Sozialversicherungsträger entdecken gelegentlich in vermeintlich freien Dienstverhältnissen eine weisungsgebundene Tätigkeit und damit ein Arbeitsverhältnis. Das kommt meist überraschend. Mitunter war eine derartige Einordnung aber bei genauerem Hinsehen und einer objektiven Betrachtung offenkundig. Was also ist heute anders?

Klassische Interpretation – agile Strukturen Im Zusammenhang mit modernen Arbeitsformen scheint es eine gefühlte Häufung solcher Entscheidungen zu geben. Das ist aber nur die eine Seite. Der entscheidende Punkt liegt woanders: Während früher die Wahl eines freien Dienstverhältnisses in der Regel primär dem Flexibilitätsinteresse der Arbeitgeberseite diente, ändert sich mittlerweile aufseiten der Auftragnehmenden jedenfalls teilweise das Meinungsbild. Nach einer Studie zur Plattformarbeit der Bertelsmann-Stiftung 2019 sahen 70 Prozent der Befragten in der Digitalisierung die Möglichkeit, durch berufliche Flexibilität eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen. Vielen ist die individuelle Unabhängigkeit wichtig. Sie sind auf der Suche nach immer wieder neuen Aufgaben oder auch nur kurzfristigen Nebenverdienstmöglichkeiten. Ein Vorteil ist auch der niedrigschwellige Marktzugang: So können etwa Personen ohne Abschluss ebenso Aufträge ergattern wie gut ausgebildete Arbeitssuchende. Ein komplexes Bewerbungsverfahren oder eine langfristige Bindung ist nicht erforderlich. Die fehlende soziale Absicherung war im Rahmen der Studie der Bertelsmann-Stiftung der am seltensten genannte Nachteil. Dies mag daran liegen, dass ein Großteil der Befragten neben der Plattformarbeit einem Hauptjob a p r il / m ai 20 21

Herausgeber Rudolf Hetzel Torben Werner (V. i. S. d. P.) Redaktion Sven Lechtleitner (sl) Leitender Redakteur sven.lechtleitner@quadriga.eu Jeanne Wellnitz (jew) Redakteurin jeanne.wellnitz@quadriga.eu Autoren und Autorinnen der Ausgabe Simone Burel, Arco Elsmann, Julia Ganser, Senta Gekeler, Thorsten Hofmann, Jörg Kasten, Mareike MendeRatnam, Alexander al Naqib, Gunther Olesch, Fatima Schwarz, Stefan Schwarz, Ewald Schwerm, Mirjam Stegherr, Björn Waide, Kirsten Wallmichrath, Pascal Verma, Christoph Seidler Lektorat Christa Melli www.literatur-und-film.de Gestaltung Marcel Franke, Damian Strohmaier Anzeigen Norman Wittig norman.wittig@quadriga.eu Abonnement Stefanie Weimann aboservice@quadriga.eu Druck PIEREG Druckcenter Berlin GmbH Benzstraße 12 12277 Berlin Im Internet www.humanresourcesmanager.de/ magazin Verlags- / Redaktionsanschrift Quadriga Media Berlin GmbH Werderscher Markt 13 10117 Berlin Telefon: 030 / 84 85 90 ­ Fax: 030 / 84 85 92 00 redaktion@humanresourcesmanager.de

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LETZTE SEITE

Die Verhaltens­ forscherin Während früher Führungskräfte mit Dienst­ wagen und Eckbüros gelockt wurden, sind heute Achtsamkeitstrainings und Zeit für eigene ­Projekte hoch im Kurs. Anastasia Danilov forscht darüber, wie sich Vergütung und Anreizsysteme auf unser Verhalten auswirken.

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Die Motivation von Menschen lässt sich am ehesten entfachen durch … eine geschickte Kombination aus monetären und nicht-monetären Anreizen, Wertschätzung und einem guten Arbeitsklima. Ebenso spielt für viele Menschen die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit eine große Rolle. Mein persönliches Statussymbol ist … flexible Arbeitszeit. Dadurch kann ich meine Produktivität und mein Wohlbefinden optimal kombinieren. Ein Statussymbol, das anderen, aber mir selbst noch nie wichtig war, ist … der Titel auf der Visitenkarte. Am liebsten lese ich … die New York Times. Corona hat meinen Arbeitsalltag verändert, insofern, dass … ich viel organisierter geworden bin. Ich habe mein erstes Geld ­verdient als … Programmiererin von verhaltensökonomischen Experimenten. Ein Buch, das mich nachhaltig beeindruckt hat, war … The Why Axis. Hidden Motives and the Undiscovered Economics of E ­ veryday von John List und Uri Gneezy.

Meinen Arbeitstag starte ich am liebsten mit … einem Glas Wasser und einem kurzen Workout. Ein Rat, den ich immer befolge, … steckt in dem Song Everybody’s free vom australischen Regisseur undDrehbuchautoren Baz Luhrmann. Das ist mein Ratschlag-Knigge. Die Fragen stellte Jeanne Wellnitz

Anastasia Danilov ist Professorin für Organisationsökonomik und Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Einstein Center Digital Future. Sie studierte BWL mit den Schwerpunkten Personalwirtschaft, Finanzen und Statistik an der Universität zu Köln und erwarb parallel dazu einen Master in International Management an der Copenhagen Business School. Anastasia Danilov promovierte bei dem renommierten deutschen Personalforscher Dirk Sliwka in Köln. Nach der Promotion spezia­lisierte sich die 39-Jährige im Bereich der Organisations- und Verhaltensökonomik.

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Foto: Valentin Kloubert

Ethik und Motivation sind zwei Seiten einer Medaille, da … das ethische Verhalten genauso wie die Motivation von Menschen durch Anreizinstrumente beeinflusst wird. Mit ökonomischen Experimenten untersuche ich die Wirkung von unterschiedlichen Vergütungsformen, und ich finde verblüffend, dass … die Vergütung nicht nur das Verhalten der Individuen beeinflusst, sondern auch ihre Wahrnehmung über die herrschenden sozialen Normen, also die Erwartungen und das Verhalten der anderen. Anreizsysteme können ­Sabotage oder Lügen auslösen, wenn … die Menschen in Unternehmen durch unethisches Verhalten ihre Chancen erhöhen, ihre eigene Vergütung zu mehren. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle wie beispielsweise: Wie verbunden fühlen sich Individuen mit anderen Menschen aus dem Unternehmen oder gegenüber dem Unternehmen selbst? Wie steht es um Teamgeist, wahrgenommene Gerechtigkeit des Anreizsystems, die Sichtbarkeit der Handlungen und das soziale Ansehen?


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Wie muss Performance Ma­ nagement gestaltet werden, um es als effektives Führungs­ und Entwicklungsinstrument einsetzen zu können?

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20.05–17.06.2021

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Wie positioniere ich mein Unternehmen am Markt, um die Arbeitgeber­ attraktivität für meine Zielgruppe zu steigern?

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