Griebl, Naturnah gärtnern

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Einleitung Alljährlich warten Gartenliebhaber und -liebhaberinnen auf den Moment, wo sich am Ende des Winters der erste Krokus durch die Erde kämpft, die erste Schneerose ihre Blüte öffnet und bald darauf der ersehnte Blütenreigen der zahlreichen Frühlingsblüher beginnt. Wenn zugleich auch die Vögel mit dem Nestbau beginnen, die Hummeln wieder auf Nahrungssuche sind und der erste Zitronenfalter seinem Winterquartier entfliegt, dann lebt unweigerlich auch die Leidenschaft für den Garten wieder auf. Gärten sind aber nicht einfach Gärten: Die einen entpuppen sich als wahre Fundgruben des Lebens mit seltenen Pflanzen und reichem Tierleben, während andere eher an «ausgeräumte Landschaften» erinnern, in denen die Eigner voller Stolz den Englischen Rasen, umrahmt von einer dreimal jährlich mit Gerüst und Schnur geschnittenen Thujenhecke präsentieren oder ein Rosenbeet aus überzüchteten Teehybriden – Relikte aus den 1970er-Jahren. Als Gärtner kommt der Autor dieses Buches häufig ins Gespräch mit begeisterten Hobbygärtnern, und oft ist dabei zu erleben, dass diese sehr wohl den ökologischen Wert ihrer Parzelle verbessern möchten. Welche Arten sind aber ökologisch wertvoll? Mit der Antwort «die heimischen Wildarten» ist kaum jemand zufrieden. Aus diesem Grunde hat der Verfasser in den vergangenen knapp 30 Jahren gärtnerischer Tätigkeit notiert, welche Pflanzen bei den Tieren besonders beliebt sind, welche Vermehrungsart am besten funktioniert, welche Pflanzenarten in direkter Nachbarschaft gut gedeihen und welche man besser nicht zu nah nebeneinander pflanzt. Diese und viele weitere Informationen werden in diesem Buch dargestellt und der Leserschaft weitergegeben. Natürlich umfasst dieses Buch nicht alle Pflanzen, die in unseren Breitengraden als ökologisch wertvoll zu gelten haben, denn dazu müssten praktisch alle heimischen Pflanzenarten behandelt werden. Weil ein solches Unterfangen kaum möglich ist und eindeutig den Rahmen dieses Buches sprengen würde, musste eine Auswahl getroffen werden. Diese ist selbstverständlich von subjektiven Vorlieben geprägt und kann natürlich hinterfragt werden. Denn warum wird das Kleinblütige Knopfkraut, ein fremdländisches, sich fast invasiv ausbreitendes Kraut behandelt, das heimische Sichelblättrige Hasenohr hingegen nicht? Der Grund ist, dass es dem Autor wichtig ist zu zeigen, dass auch solche «fremdländischen», wuchernden Arten nützlich sein können, wenn man offen genug ist, den Nutzen zu sehen. Um auf die potenziellen Gefahren solcher invasiven Arten hinzuweisen, ist bei den Pflanzenporträts jeweils ein entsprechendes Icon platziert worden. Der naturnahe Garten mit seinen zahlreichen ökologisch wertvollen Pflanzen ist Ausdruck der zeitlosen Sehnsucht des Menschen, in Harmonie mit unserer Erde zu leben. Er bedeutet Ehrfurcht vor dem Leben und Wertschätzung von Pflanzen und Tieren, die ohne eigenes Zutun in den Garten kommen. Im naturnahen Garten wird mit der Natur, nicht gegen sie gearbeitet. Durch die richtige Pflanzenwahl bereichert der naturnahe Garten auch die Lebenswelt der Umgebung. Heimische Pflanzen und die Artenvielfalt ziehen Vögel, Igel, Schmetterlinge und viele andere Tiere an. Der Garten darf sich verändern und sieht jedes Jahr anders aus. Manche Pflanzenarten machen sich breit, andere treten zurück oder verschwinden. Die Natur hat ihre eigene Ordnung, die hier respektiert und geschätzt wird. Der menschliche Ordnungssinn wird dabei dem natürlichen untergeordnet. Naturnahe Gärten sind vielseitig, spannend, lebendig und für mehr und mehr Menschen einfach schön. Sie laden zum Verweilen ein. Sie brauchen weit weniger Pflege und schenken viel mehr Freude.

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