Reverse charge - Umkehr der Steuerschuld in Italien

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Gutachten

Reverse Charge – Umkehr der Steuerschuld im italienischen Steuerrecht


Funktionsweise Wikipedia: „…der Leistende muss die Umsatzsteuer an das Finanzamt entrichten und der Leistungsempfänger kann die gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen. Bei der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft geht dagegen bei bestimmten Leistungen die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger über.“

Die Anwendung des Reverse Charge Verfahrens – zu Deutsch auch „Steuerschuldumkehrung“, auf Italienisch „sistema di inversione contabile“ – funktioniert in der Praxis wie folgt.

Ein Lieferant erstellt für die von ihm erbrachte Warenlieferung oder Dienstleistung eine Rechnung ohne Mehrwertsteuer (= Umsatzsteuer). Diese wird dann aber vom Kunden, der auch ein Unternehmen sein muss, bei Erhalt der Rechnung in diese integriert. In der Praxis heißt dies, dass der Kunde die Mehrwertsteuer per Hand auf der Rechnung notiert.

Die Besonderheit des Verfahrens ist damit aber noch nicht erschöpft, denn im Gegensatz zu den „normalen“ Eingangsrechnungen, welche mit Mehrwertsteuer ausgestellt werden, hat der Kunde die Verpflichtung, diese nicht nur ins „Register der Eingangsrechnungen“ sondern auch noch in jenes der Verkaufsrechnungen einzutragen. Dies bedeutet, dass sich für den Kunden die Mehrwertsteuer im Einkauf sowie im Verkauf neutralisiert. Dies gilt natürlich auch für den Lieferanten, da dieser seine Rechnung ja bereits ohne Mehrwertsteuer stellt.

Ein Beispiel soll den Ablauf verdeutlichen:


Ein italienisches Unternehmen erhält die folgende Rechnung von einem EU-Lieferanten:

Hafenstraße 100 21035 Hamburg USt. DE999999999 Rossi GmbH Via Monte 10 39031 Brunico MwSt. Nr. IT12345678900

Hamburg, den 31.08.2015

Rechnung Nr. 1000 Ware lt. Warenbegleitschein

1.000,00 €

USt.-frei lt. § 6a UStG.

-

Rechnungsbetrag

1.000,00 €

Das Unternehmen ergänzt die Rechnung um die Mehrwertsteuer (in Italien 22%):

Hafenstraße 100 21035 Hamburg USt. DE999999999 Rossi GmbH Via Monte 10 39031 Brunico MwSt. Nr. IT12345678900

Hamburg, den 31.08.2015

Rechnung Nr. 1000 Ware lt. Warenbegleitschein

USt.-frei lt. § 6a UStG.

Rechnungsbetrag

1.000,00 €

-

1.000,00 €


Das italienische Unternehmen bucht die Rechnung im Register der Eingangsrechnungen: Nr. Lieferant/Kunde 1

Test GmbH

Beschreibung Innergem. Erwerb

Grundlage 1.000 €

MwSt.

Gesamtbetrag

220 €

1.220 €

Dann wird die Rechnung auch noch ins dafür vorgesehene Ausgangsrechnungsregister, wobei moderne Buchhaltungsprogramme die Buchung automatisch generieren, d. h. die Rechnung wird effektiv nur einmal verbucht. Die Nummerierung stimmt in beiden Registern überein. Nr.

Lieferant/Kunde

Beschreibung

1

Test GmbH

Innergem. Erwerb

Grundlage 1.000 €

MwSt.

Gesamtbetrag

220 €

1.220 €

Die Verbuchung der Rechnung in den Mehrwertsteuerregistern hat auch eine automatische Verbuchung des Geschäftsvorfalls im Journal der doppelten Buchhaltung zur Folge. Es werden die folgenden Konten berührt: Konto Soll

Betrag

Wareneinkauf

1.000 €

MwSt.-Einkauf

220 €

Konto Haben Verbindlichkeiten Lieferant MwSt.-Verkauf

Betrag 1.000 € 220 €

Wie man sieht, hebt sich das Mehrwertsteuerguthaben mit der Mehrwertsteuerschuld auf, was bleibt ist ein Wareneinkauf und eine Schuld gegenüber dem Lieferanten von 1.000 €.

Zusätzlich entsteht beim italienischen Kunden die Pflicht zur Abgabe einer Intrastat-Meldung, ob auch der Lieferant eine Intrastat-Meldung abgeben muss, hängt von den jeweiligen Bestimmungen im Heimatland ab.


Herkunft des Verfahrens Die Hauptanwendung des Reverse Charge (RCh.) - Verfahrens liegt im Bereich der grenzüberschreitenden Lieferungen und Dienstleistungen. Die EU arbeitet seit dem Jahr 1985 erfolglos am sogenannten Clearing-Verfahren, dessen Einführung es ermöglichen würde, dass auch die Mehrwertsteuer/Umsatzsteuer ausländischer Lieferanten, gleich jener der Inländer, steuerlich absetzbar wäre. Solange dies aber nicht der Fall ist, kommt das RCh.-Verfahren zur Anwendung.

Ein weiterer Grund für die seit 2007 erweiterte Anwendung des RCh. besteht in der vermeintlichen Bekämpfung der Mehrwertsteuerhinterziehung in sogenannten „Risikobranchen“ wie dem Bau- und Baunebengewerbe. In diesen Branchen soll es Unternehmen geben, die Rechnungen mit MwSt. ausstellen, diese dann aber nicht einzahlen. Durch die vermehrte Anwendung des Verfahrens entstehen, gewollt oder ungewollt, aber nicht zu unterschätzende Kollateralschäden. Jene Unternehmen, die vorwiegend dem Reverse Charge Verfahren unterliegen, also Rechnungen ohne Mehrwertsteuer ausstellen, generieren nämlich ein dauerhaftes Mehrwertsteuerguthaben, da sie viele Einkäufe mit Mehrwertsteuer tätigen.

Grundsätzlich hinterlässt das RCh.-Verfahren einen leicht bitteren Nachgeschmack. Was kann es welchen Sinn haben, eine Rechnung zuerst umständlich um die Mehrwertsteuer zu ergänzen, sie dann in 2 Registern einzutragen, nur um so diese Mehrwertsteuer verrechnen zu können? Dasselbe Ergebnis ließe sich einfach dadurch erzielen, indem man die Rechnung einfach so belässt, wie man sie vom ausländischen Lieferanten erhalten hat und diese dann ohne Mehrwertsteuer verbucht, so wie dies etwa auch für Rechnungen, welche von der MwSt. „befreit“ sind, möglich ist…


Gesetzliche Grundlagen Bezüglich der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens muss man den MwSt.-Einheitstext (DPR 633/1972) konsultieren, im Detail die sogenannten Territorialitätsbestimmungen laut den Artikeln 7

bis 7-septies und die operativen Bestimmungen laut Art. 17. Zudem ist das

Gesetzesdekret 331/1993, welches die innergemeinschaftlichen Lieferungen detailliert regelt, heranzuziehen.

Hauptanwendungsbereich und Fallbeispiele Damit das RCh.-Verfahren überhaupt zur Anwendung kommen kann, muss es sich um ein sogenanntes B2B – Geschäft handeln. D. h. der Kunde muss immer auch ein Unternehmer oder jedenfalls in Besitz einer Mehrwertsteuernummer sein. Es kann sich also niemals um eine Privatperson handeln. Die folgenden Bereiche sind von der Anwendung des RCh. am häufigsten betroffen: -

- Innergemeinschaftliche

Lieferungen

und

Leistungen Ein Möbeleinzelhändler aus Italien kauft Möbel bei seinem Lieferanten in Deutschland.


Unterwerkvertr채ge Bsp.: Der Bauunternehmer vergibt Verputzarbeiten an den Subunternehmer.

Installation von Anlagen Bsp.: Der Elektriker stattet ein Betriebsgeb채ude mit Elektroinstallationen aus.

Fertigstellungsarbeiten Bsp.: Malerarbeiten

Abbrucharbeiten Bsp.: Abbruch und Wiederaufbau eines Geb채udes

Reinigungsarbeiten an Geb채uden Bsp.: Fensterreinigung der Glasfassade


Direkte Mehrwertsteuer/Umsatzsteuer-Registrierung in Italien zwecks Anwendung des Reverse Charge Verfahrens Grundsätzlich ist es so, dass sich Unternehmen nicht zwingend in Italien registrieren lassen müssen, nur weil sie in Italien tätig werden. Es kann aber durchaus sein, dass ein Sachverhalt eintritt, der dann eine Registrierung erfordert, wie unter anderem die Anwendung des Reverse Charge Verfahrens. Nur wer in Italien eine Mehrwertsteueranmeldung hat, kann das RCh. dort auch anwenden. So erfordert beispielsweise die Erbringung von Bauleistungen durch einen deutschen Unternehmer für einen Kunden in Italien noch keine Direktanmeldung. Beschäftigt er aber deutsche Subunternehmer auf der italienischen Baustelle, so bedarf es einer Anmeldung um auf deren Rechnungen das italienische Reverse Charge Verfahren anwenden zu können.

Fazit Das

umständliche

Reverse

Charge

Verfahren

diente

ursprünglich

als

vermeintliche

Übergangslösung um die Entstehung von Mehrwertsteuerguthaben im grenzüberschreitenden Leistungsaustausch zu vermeiden, wird aber zunehmend auch zur Vermeidung der Steuerhinterziehung eingesetzt. Dies erhöht die Komplexität der Buchhaltung und führt häufig zu MwSt.-Guthaben. Für die Prüfung Ihres Sachverhaltes stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Autor: Dr. Patrick Moling

Für Anfragen: Dr. Hermann A. Graber

0039 / 0474 / 572900 bzw. kanzlei@graber-partner.com


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