Lydia (Ausgabe 1/2016) - 448902

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Persönlich. Echt. Lebensnah. D 12013 ISSN 0939-138X

1/2016 sfr 5,60  3,60 (A)

 3,50

30 JAHRE LYDIA-MAGAZIN

Happy Birthday! CHRISTINE CAINE

Vom Segen, nicht alles im Griff haben zu müssen

GEBET

Das Geheimnis der Stille entdecken

WUNDER

Lebenslange Sehnsucht nach meiner Tochter


Der Glaube sucht,

die Hoffnung sieht,

die Liebe sagt ganz leise:

Nimm meine Hand und geh mit mir im Hier und Jetzt auf Reise.

Wohin es geht, was kommen mag, vermag ich nicht zu sagen. Nur eins:

Mit dir an meiner Seite

kann und will ich's tragen. Sophie Got tschling


Ganz persönlich Ellen Nieswiodek-Martin

Als LYDIA-Gemeinschaft können wir einen Unterschied machen und ein Wegweiser zu unserem himmlischen Vater sein – gerade in schwierigen Zeiten.

LYDIA wird 30! Im Februar 1986 erschien die erste LYDIAAusgabe. Damals sah unser Alltag etwas anders aus: In deutschen Haushalten gab es weder Internet noch Mobiltelefone. Mit dem Wort „Facebook“ hätte niemand etwas anfangen können. Für Eltern war 1986 ein wichtiger Meilenstein, denn in diesem Jahr wurde die zehnmonatige Elternzeit inklusive Elterngeld eingeführt. Im April versetzte ein Ereignis viele Menschen in Panik: die Katastrophe im Kernkraftwerk in Tschernobyl (Ukraine). Nachdem ein Reaktor des Atomkraftwerkes explodiert war, zeigten in Deutschland und anderen Ländern Milch, Pilze, Fisch und andere Nahrungsmittel stark erhöhte radioaktive Werte. Die Strahlung machte natürlich nicht an den Grenzen Halt. Angst ging um. Angst vor etwas, das nicht sichtbar, nicht spürbar war. Angst vor etwas, das man als einzelner kleiner Mensch nicht beeinflussen konnte. Angst vor Langzeitfolgen und vor weiteren Katastrophen. Auch 2016 ist Angst ein bestimmendes Gefühl: Terror, Gewalt und die Veränderungen, die in der Welt passieren, machen vielen Angst. Wir fühlen uns ausgeliefert und schwach. Das ist verständlich. Aber wie können wir es schaffen, uns nicht von Angst beherrschen zu lassen? In der Bibel gibt es Hunderte von Versen über unterschiedliche Ängste. In Psalm 56, Vers 4 heißt es: „Doch gerade dann, wenn ich Angst habe, will ich mich dir anvertrauen.“ Statt unsere Augen auf Gewalt, Not und Terror zu richten, können wir uns entscheiden, Gottes Zusagen zu vertrauen. Wenn ich mich klein und schwach fühle, tröstet mich, dass Gott zugesagt hat, mir beizustehen. Dass er meine Schwachheit sogar nutzt, um seine Kraft sichtbar zu machen.

Trotzdem ringe ich hin und wieder um Vertrauen und Glauben. Und manches Mal ermutigen mich dann andere Christen. Wenn ich höre oder lese, wie sie Gott erfahren haben und er sie durch schwere Zeiten getragen hat, stärkt das mein Vertrauen und meinen Glauben. Teilweise helfen mir ihre Erfahrungen mehr als ein Sachtext mit theologischen Erklärungen. Als ich vor zehn Jahren Elisabeth Mittelstädt, die Gründerin und langjährige Herausgeberin von LYDIA, kennenlernte, beeindruckte mich ihre Lebensgeschichte tief. Es ist eine Geschichte, in der chronische Schmerzen, traurige Ereignisse, aber auch ein großer Traum eine wichtige Rolle spielen. Eine Geschichte, in der manchmal die Dunkelheit zu siegen schien. Aber ihr Leben zeigt, wie Gott uns beisteht und gute Pläne für uns hat – auch wenn wir das nicht immer sehen. Wie er unsere Schwäche nutzt, um seine Kraft sichtbar zu machen. Dass Sie LYDIA heute in der Hand halten, ist ein Ergebnis davon. Diese ermutigende Geschichte können Sie ab Seite 24 nachlesen. In LYDIA wollen wir einander Mut machen, indem wir unsere Erfahrungen miteinander teilen. Indem wir einander erzählen, welche Wege Gott uns geführt und wie er für uns gesorgt hat. Als LYDIA-Gemeinschaft können wir einen Unterschied machen und ein Wegweiser zu unserem himmlischen Vater sein – gerade in schwierigen Zeiten. Jede Frau an ihrem Platz! Ihre

Ellen Nieswiodek-Martin

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Vom Segen, nicht alles im Griff haben zu müssen

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Interview mit Christine Caine

Neubeginn statt Ruhestand

Was eine Urgroßmutter Jugendlichen zum Thema Nummer eins weitergibt

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20 Beruf & Gesellschaft

14 Das Geheimnis der Stille Zur Ruhe kommen und Gott begegnen Heike Nagel

20 Vernetzt!? Gefahren und Chancen sozialer Netzwerke – Debora Cornelia Sommer

24 Vergessene Träume Die Geschichte der Zeitschrift LYDIA Elisabeth Mittelstädt

23 Daumen hoch oder Daumen runter Wie sehr bin ich auf der Suche nach Anerkennung? Jrene Bircher

34 Das würde ich anders machen, wenn ich noch mal 30 wäre ... 43 Sag mal, ... Fragen an Susanna 62 Tiefer graben Lydia, unser Vorbild Elisabeth Mittelstädt 72 Heilige heute Füllstand erreicht! Ilona Barthel • Unerwarteter Besuch Helen Lescheid • Der Scherbenhaufen Kathrin Kemling • Eine besondere Freundschaft Tabea Lesch • Warten auf Heilung Angelika Breig

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{inhalt}

Glaube & Lebenshilfe

28 Meine Meinung Was haben Sie mit LYDIA erlebt?

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Lydia

32 Mein 30. Geburtstag Von ersten Falten, Vorbildern und Herzenswünschen – Interview mit Florence Joy Enns 56 „Tröstet mein Volk“ Warum ich mich entschied, in Israel für Überlebende des Holocaust zu arbeiten Cäcilia Dietze


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Sag mal, ...

54 40

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Ehe & Familie

Körper & Seele

{ In jeder Ausgabe }

40 Silberhochzeit: „Ja, mit Gottes Hilfe“ Von Ehestürmen und glatter See – Kerstin Wendel

10 Powerfrau am Ende Im Burn-out lernte ich, Gott zu vertrauen Sandra Muth

3 Ganz persönlich LYDIA wird 30! Ellen Nieswiodek-Martin

44 Alleine leben lernen Interview mit Heidi Schulte

18 Nachgefragt Ständig piepst und klingelt es! – Annemarie Pfeifer

48 Neubeginn statt Ruhestand Was eine Urgroßmutter Jugendlichen zum Thema Nummer eins weitergibt Interview mit Heidi Kersten

54 Behutsam umgehen mit „meinem Modell“ Körper, Seele und Geist in die Balance bringen Beate Nordstrand

51 LYDIA-Familientipp: Willkommenscafé für Flüchtlinge – Antje Bernhardt 52 Zwischendurchgedanken Das geschenkte Haus – Saskia Barthelmeß

60 LYDIA kreativ – Imke Johannson 65 Liebe Leser 66 Für Sie gelesen 76 Gut informiert. Neu inspiriert. 80 Leserbriefe 81 Impressum 82 Nachgedacht Offene Grenzen Sharon Mumper

53 Schmunzeln mit LYDIA 68 Meine Geschichte Lebenslange Sehnsucht und ein Wunder Minka Disbrow

Das würde ich anders machen, wenn ich noch mal 30 wäre ...

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LY D I A

Interview

Segen mit Christine Caine

Vom Segen, nicht alles im Griff haben zu müssen Christine Caine ist eine Powerfrau. Sie kämpft mit ihrer Organisation „A21“ gegen

Menschenhandel, ist eine weltweit gefragte Rednerin und ermutigt mit ihrer Initiative

„Propel Women“ Frauen darin, ihr Leitungspotenzial zu entdecken. Denn die Australierin

mit griechischen Wurzeln ist sich sicher: Jede Frau kann Menschen leiten – hin zu Jesus. Mit LYDIA hat Christine Caine über die Schönheit eines unausgewogenen Lebens, die Quelle ihrer Kraft und ungewöhnliche Geburtstagswünsche gesprochen – und was das alles mit der aktuellen Flüchtlingskrise zu tun hat.

Tausende Flüchtlinge haben auf ihrem Weg von Syrien, Afghanistan und dem Irak die nördliche Grenze Griechenlands überquert. Die Menschen, die wir dort getroffen haben, waren müde, hungrig, durstig und suchten verzweifelt nach Hilfe. Es gab dort weder Trinkwasser noch Sanitäranlagen. Deswegen habe ich zu meinem 49. Geburtstag meine Freunde und Partner von „A21“ gebeten, 49.000 Dollar für die Flüchtlingshilfe an der griechischen Grenze zu spenden. Dieser Wunsch hat sich durch E-Mails und die sozialen Netzwerke schnell verbreitet und wir waren überwältigt, dass zu meinem Geburtstag mehr als 200.000 Dollar für dieses Projekt gespendet wurden! Innerhalb einer Woche haben wir den Grenzübergang

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komplett verändern können: Wir haben Wasser in das Gebiet geleitet und aus einem Schiffscontainer eine mobile Wasserstation gebaut. Dies war eine so große Hilfe, dass die UN uns baten, auch für andere Notgebiete in ganz Europa Wasserstationen zu bauen. Warum engagieren Sie sich so stark in der aktuellen Flüchtlingskrise in Europa und gegen Menschenhandel?

Durch unsere Arbeit mit „A21“ ist uns das Risiko bewusst, dass Flüchtlinge gezielt Opfer von Menschenhändlern werden können. Ich wusste, dass wir etwas unternehmen mussten, denn diese Krise scheint Europas größte Migrationsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg zu sein. Dies ist ein Moment in der Geschichte, in dem wir tun müssen, was in unserer Macht steht, um einen Unterschied zu machen.

F o t o s : H i l l s o n g C h u r ch G e r m a n y

Christine, Sie sind im September 49 Jahre alt geworden. Für Ihren Geburtstag hatten Sie einen besonderen Wunsch. Was war das?


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Glaube & Lebenshilfe

HEIKE NAGEL

Das Geheimnis der

Stille

Zur Ruhe kommen und Gott begegnen Stille. In mir und um mich herum. Ich liebe diese Zeiten, in denen ich zur Ruhe kommen und mich bereitmachen kann, Gott zu begegnen. Wenn ich zurückschaue, dann entdecke ich eine Geschichte der Stille in meinem Leben. Und doch merke ich immer wieder, wie das Wort „Stille“ ambivalente Gefühle bei anderen auslöst. Da ist Zurückhaltung. Vielleicht Angst. Wovor eigentlich?

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1975. Im Dorf meiner Kindheit. Als kleines Grundschulmädchen stehe ich am Nachmittag an der Kasse unseres dörflichen Supermarktes und bezahle von meinem eigenen Taschengeld meine Schätze: eine Tafel meiner Lieblingsschokolade und eine Tüte Lakritz. Eifrig radle ich mit diesen Köstlichkeiten nach Hause und beginne, meinen Lesenachmittag zu zelebrieren: auf meinem Bett mit seiner gemusterten Tagesmatratze, die mir als Sofa-Ersatz dient. Drei Bücher aus der Dorf-Zweigstelle der Stadtbücherei kämpfen um den ersten Rang. Welches lese ich zuerst? Es gewinnt das Buch mit den anregendsten ersten Sätzen. Und dann versinke ich stundenlang in die Welten dieser Bücher, in innige Gefühlszustände, mache Urlaub im Kopf und in der Seele, vergesse die Welt um mich herum. Stille. Irgendwann tauche ich wieder auf – um mich erfrischt wieder dem Leben um mich herum zuzuwenden, neu gestärkt und voller Lust auf meine Aufgaben.

1976. Im Garten meines Elternhauses.

In diesen Tagen verbringe ich viel Zeit auf einem kleinen Gebetshocker in diesem Kirchenraum. Meine Seele kommt zur Ruhe. Stille außen, Stille in mir. Spüren: Da existiert noch jemand außer uns Menschen – und er ist hier! Wissen: Ich bin nicht allein und werde es nie sein.

1990. In der ersten eigenen Wohnung. Meine Freundin und ich haben ein Projekt gewagt: Wir machen in Eigenregie gemeinsam einen sechsmonatigen Jüngerschaftskurs. „MasterLife“ ist ein Programm mit dem Ziel, uns auf dem Weg mit Jesus zu stärken. Eine Aufgabe in diesen Wochen lautet: „Verbringe drei Stunden allein mit Gott.“ Einige anregende Fragen sollen uns helfen, die Zeit zu füllen und uns auf Gott auszurichten. Drei Stunden? Was soll ich in dieser langen Zeit bloß tun? Die Fragen werden schnell beantwortet sein – und dann? Was, wenn ich einfach mit mir allein bleibe, Gott gar nicht spüre? Wäre das nicht eine riesige Enttäuschung? Innerlich leicht gestresst und gleichzeitig gespannt, was wir uns nach diesen 180 Minuten erzählen werden, wagen wir es. Jede zieht sich zurück in einen Raum in unserer Wohnung und verbringt dort Zeit mit Gott. Ganz allein mit ihm. Wird er sich uns zeigen? Er wird! Ein wunderbares Erlebnis erwartet jede von uns. Stille – zu zweit und doch allein.

Meine Seele kommt zur Ruhe. Stille außen, Stille in mir. Spüren: Da existiert noch jemand außer uns Menschen – und er ist hier!

Hausaufgabe: „Nehmt die Vogelstimmen in eurem Garten auf eine Kassette auf.“ Nachdem ich den Kassettenrekorder mit einem Verlängerungskabel auf unserer Terrasse funktionstüchtig gemacht habe, drücke ich auf die Aufnahmetaste und tauche in eine mir unbekannte Welt ein: Wie viele verschiedene Vögel singen da gemeinsam? Sie antworten einander, scheinen miteinander zu spielen, tirilieren, warnen einander mit eindringlichen Rufen und genießen den sonnigen Sommertag in unserem Garten. Stille in mir. Ehrfurcht vor einer Welt, die mich schon immer umgab und die ich bisher unbeachtet gelassen habe.

2003. Dünenhof, Cuxhaven.

Meine Freundin und ich – inzwischen Mütter mehrerer Kinder – haben uns für ein Wochenende mit dem Titel „In der Stille Gott begegnen“ angemeldet. Das Tagungshaus liegt weit draußen, in dem winzigen Cuxhavener Ortsteil Berensch direkt am Wattenmeer. Ein herrlicher Ort, um in eine andere Welt einzutauchen – eine Welt der Ruhe und Einkehr. Neben verschiedenen Impulsen zum Thema steht uns ein ganzer Nachmittag, beginnend mit einem stillen Mittagessen, zur Verfügung, um Gott in der Stille zu begegnen. Wie viel in wenigen Stunden der Stille geschehen kann, merke ich an diesem Wochenende. Wieder erweist sich Gott als der Lebendige, der Sich-Mitteilende, der An-meiner-kleinen-Welt-Interessierte. Unfassbar! Und doch erlebbar – durch wenige Stunden, die ich mir nur für die Begegnung mit ihm reserviere. In dieser Phase erlebe ich diese Zeiten noch im Sinne von „Arbeitsbesprechungen“: Ich komme mit einer

1987. Taizé. Aus einer inneren Krise und mit einer tiefen Sehnsucht nach Gott, den ich noch nicht persönlich kenne, fahre ich als 19-Jährige mit einigen Freundinnen in das französische Dorf Taizé, anderthalb Zugstunden von Paris entfernt. Werde ich ihn hier treffen, den Gott, den ich in anderen Menschen entdeckt habe, nach dem mein Herz sich sehnt und nach dem ich schon viele Jahre suche? Zögernd trete ich in die schummrige Kirche – und bin überwältigt. Die Tränen laufen, ich weine und kann nicht mehr aufhören. Was für eine Atmosphäre!

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Glaube & Lebenshilfe

ELISABETH MIT TELSTÄDT

Träume Vergessene D I E G E S C H I C H T E D E R Z E I T S C H R I F T LY D I A

Unglaublich! Es sah ganz danach aus, dass Gott eine Zeitschrift für die Frauen Euro-

pas wollte – und dass er mich auserwählt hatte, sie zu gründen. Wie konnte das sein? Ich war keine Autorin und hatte noch nie eine Zeitschrift herausgegeben. Aber mein Herz brannte für Frauen in Not. Sie waren meine Schwestern, und wenn Gott sie durch solch eine Zeitschrift erreichen wollte – wer war ich, ihn daran zu hindern?

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eine Gedanken wanderten zu Lydia, der ersten Christin auf dem europäischen Kontinent – einer Frau, deren Herz weit offen war für Gott. Sie war eine Unternehmerin, eine Führungspersönlichkeit, die sich nicht vor dem Ruf Gottes verschloss, ihr eigenes Volk mit dem Evangelium zu erreichen. Diese Frau wurde die Namensgeberin der Zeitschrift – eine demütige Christin, deren Leben uns bei unseren verlegerischen Bemühungen inspirierte. Über viele Jahre hinweg haben unsere Leserinnen die Geschichten der Zeitschrift, die auf Deutsch, Rumänisch und Ungarisch erscheint, mit Begeisterung gelesen und viel Ermutigung durch sie empfangen. Sie haben die Fackel über Generationen, Konfessionen und Kulturen hinweg weitergetragen. Ich hatte das Vorrecht, Tausende von Briefen von Frauen zu lesen, die berichteten, wie die Zeitschrift ihr Leben verändert hat. Carina ist dreißig Jahre alt, und

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schon ihre Mutter und ihre Oma haben LYDIA gelesen. „Seit meiner Geburt hat LYDIA mein Leben begleitet, ebenso wie sie das Leben meiner Mutter und meiner Oma begleitet hat“, schrieb sie. „Nun, da ich selbst Mutter bin, begreife ich mehr und mehr, wie wichtig es ist, dass wir unsere Erfahrungen an die nächste Generation weitergeben – sowohl unsere geistlichen als auch unsere ganz praktischen, alltäglichen Erfahrungen.“ Wir staunen immer wieder darüber, in welchem Ausmaß Frauen die Zeitschrift im Laufe der Jahre abonniert und weitergegeben haben. Seit ihrer Gründung sind über neun Millionen Exemplare in über hundert Ländern in Umlauf gekommen. Der „edle Geist“ der Purpurhändlerin Lydia hat zahllose Menschen ermutigt, Jesus Christus nachzufolgen und ihr familiäres und soziales Umfeld durch ihren Glauben zu prägen. Wie ist die Zeitschrift also entstanden? Sie wurde nicht aus kostbaren Purpurstoffen zusammengenäht, sondern unter Nöten und Schmerzen geboren.


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Ehe & Familie

Interview mit Heidi Schulte:

Ob im Restaurant, beim Spazierengehen oder im Urlaub – Dinge alleine zu unternehmen fällt vielen Menschen schwer. Vor allem dann, wenn man zuvor vieles gemeinsam erlebt hat. Das empfand Heidi Schulte besonders stark, als sie zum zweiten Mal Witwe wurde.

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I

m Oktober 1990 starb Heidi Kühnels Ehemann Werner nach langer, schwerer Krankheit. Ein halbes Jahr später verliebt sie sich in den Evangelisten Anton Schulte. Er ist 21 Jahre älter als sie. Im Dezember 1991 heiraten die beiden. Von da an verändert sich Heidis Leben völlig: Nun ist sie die Frau eines bekannten Mannes, begleitet ihn auf seinen Reisen und wohnt an verschiedenen Orten. Nach fast zwanzig Jahren Ehe stirbt Anton Schulte im Alter von 85 Jahren. Für Heidi Schulte ein harter Schlag. Vier Monate später reist sie nach Lanzarote, um dort den gemeinsamen Hausstand aufzulösen. Hier beginnt sie ihre Gedanken und Gefühle in einem Tagebuch aufzuschreiben.

Foto: Yvonne Heiming

Alleine leben lernen


30. April 2011, Lanzarote: Ein komisches Gefühl, ganz alleine auf der Insel zu sein. Vor einem Jahr war ich noch mit Anton hier. Damals hätte ich nicht gedacht, dass es das letzte Mal sein würde. Beim Abendessen im Hotel stand ich mit meinem Teller in der Hand da und sah mich unsicher nach einem Platz um. Das muss ich wohl noch lernen: in einem großen Speisesaal alleine an einem Tisch zu sitzen.

 2. Mai 2011, Lanzarote: Heute Morgen las ich in der Bibel: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Römer 14,8). Egal, was passiert, wir sind in Gottes Hand. Heute beim Frühstück fiel mir auf, dass noch andere Frauen alleine an einem Tisch saßen. Es geht anderen also ähnlich wie mir. Das ist tröstlich.

 6. Mai 2011, Lanzarote: Ich fühlte mich sehr allein. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, mit einem Menschen zu sprechen. Ich dachte, dass es schön wäre, wenn jetzt jemand anrufen würde. Später, als ich mich fürs Abendessen umzog, klingelte tatsächlich mein Handy. Welch eine Freude! Gott hat meine Traurigkeit gesehen und jemanden daran erinnert, mich anzurufen. Danach ging es mir wieder besser.

 2. Oktober 2011: Heute sitze ich hier und weine um zwei Männer, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ich weine um zwei Männer, die mir so wichtig waren und deren Leben ich fast gleichlang geteilt habe. Vielleicht ist meine Trauer um Werner auch zu kurz gekommen? Eine Bekannte hat mich ermutigt, meine Gedanken rund um Werner aufzuschreiben. Morgen jährt sich sein Todestag zum 21. Mal. 1976 erkrankte er an Morbus Crohn. Die Krankheit verlief in Schüben. Als er

starb, war er gerade mal 45 Jahre alt – und ich 44. In der Zeit nach Werners Tod musste ich mich neu zurechtfinden. Ich weiß noch, wie ich in der Bank meinen Familienstand angeben musste und „Witwe“ sagte. Das kam mir so unglaublich vor und machte mir klar: Ich muss jetzt alles selbst entscheiden. Oh Herr, wie soll ich das schaffen? Dann trat Anton in mein Leben. Als wir heiraten wollten, sagte jemand wegen unseres großen Altersunterschieds zu mir: „Willst du das alles noch mal durchmachen?“ Aber wenn man jemanden liebt, spielt das plötzlich keine Rolle mehr. Und jetzt bin ich wieder alleine.

 8. Oktober 2011, Urlaub in Tirol: Es ist noch dunkel. Aber ich bin aufgestanden, weil ich so sehr weinen musste. Gestern habe ich eine E-Mail bekommen, in der ich gefragt wurde, ob der Schmerz über Antons Tod langsam nachgelassen hätte. Was soll ich dazu sagen? Ja oder nein? Manchmal denke ich, dass er weniger geworden ist. Aber dann überfällt mich die Trauer wieder ganz heftig. Meine Sehnsucht nach ihm ist dann übergroß. Wie jetzt. Und ich kann nur noch weinen. Da hilft es mir auch nicht, wenn die Menschen um mich herum sagen: „Die Zeit heilt alle Wunden!“ oder „Es ist doch fast ein Jahr her, dass Anton gestorben ist. Nun ist es doch bald mal gut mit der Trauer! Bestimmt findest du einen neuen Mann.“ So denken Menschen, die noch nie so ein schmerzhaftes Erlebnis durchgemacht haben. Bin ich bitter oder denke ich falsch? Nein, ich bin nicht bitter! Es tut nur so, so weh! Ich bin trotz allem Schmerz sehr dankbar und lobe meinen Gott für die schöne und wertvolle Zeit mit Anton. Am liebsten möchte ich ständig von dieser Zeit erzählen. Aber Anton wird von den Menschen um mich herum kaum noch erwähnt. Er ist mir immer noch so nah, für andere ist er Vergangenheit. Sie haben mit sich selbst genug zu tun. Einladungen und Anrufe sind weniger geworden. Vermutlich denken viele, dass ich gut versorgt bin, weil ich nicht alleine im Haus wohne.

5 Fragen an Heidi Schulte Frau Schulte, Ihre Tagebuchaufzeichnungen sind nun fünf Jahre alt. Was hat sich seitdem verändert?

Ich weine nicht mehr so oft. Der Schmerz lässt nach, aber die Sehnsucht bleibt. Mein Leben ist wieder munterer geworden. Ich bin mehr unterwegs und unternehme mehr. Zum Beispiel habe ich mir überlegt, was ich Sinnvolles machen kann und wo ich unter die Leute komme. Seit Frühjahr 2015 bin ich im „Demenz-Café“ zweimal in der Woche für erkrankte Menschen da. Wir singen, spielen und lachen viel. Ich gehe danach immer als Beschenkte nach Hause. Das sind Stunden, in denen ich mein Alleinsein völlig vergesse. Sie haben also eine Strategie gegen das Alleinsein gefunden?

Alleine zu leben will gelernt sein. Immer wieder suche ich nach neuen Möglichkeiten und Aufgaben, bei denen ich mit Menschen zusammen sein kann. Ich habe zum Beispiel in einer christlichen Ferienanlage und bei einer Freizeit mitgearbeitet. 2012 bin ich mit einer mir bis dahin fremden Frau den „Jesus Trail“ in Israel gelaufen. Das war eine wunderbare Erfahrung. Vor ein paar Monaten habe ich mit einer anderen Witwe, die ich erst kurz kannte, eine Freizeit mitgemacht. Aber es fällt mir immer noch schwer, alleine zu walken oder spazieren zu gehen. Mir fehlt die Kommunikation. Alleine ist es mir zu langweilig und eintönig. Haben Sie manchmal den Wunsch, einen neuen Partner zu finden?

Ich würde sagen: Es reicht! Ich musste mich von zwei geliebten Ehemännern verabschieden. Natürlich fehlt mir ein Partner, ein Gegenüber. Es käme für mich nicht infrage, mit einem Partner zusammenzuleben, ohne verheiratet zu sein. Aber noch mal eine Ehe eingehen? Nein ... Es wäre ja nicht nur der Mann, sondern eine ganze Familie mit Kindern und Enkeln, die dazugehören würde. Davor scheue ich mich. Dennoch wünsche ich mir jemanden, der

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kreativ LYDIA

30 Jahre Lydiadas ist Grund zum Feiern!

IMKE JOHANNSON

Dabei darf eine Geburtstagstorte natürlich nicht fehlen. Ein feiner Biskuitteig mit einer Himbeersahnefüllung und einer knackigen Schicht weißer Schokolade ist da genau das Richtige. Dazu bringt die passende Dekoration romantische Partystimmung. Herzlichen Glückwunsch!

REZEPT

Geburtstagstorte 6 Eier 250 g Zucker 150 g Mehl 100 g Speisestärke 300 g weiße Blockschokolade 400 g Himbeeren 400 g Schlagsahne 250 g Quark (20 %) 200 g Schmand 4 Päckchen Vanillezucker bunte Zuckerstreusel 1. Backofen auf 200 °C aufheizen. Eier mit Zucker schaumig schlagen, bis sich die Masse vervielfacht hat. Mehl und Speisestärke dazusieben und mit einem Löffel unterheben. Alles in die gefettete Backform geben und sofort in den vorgeheizten Ofen schieben. 5 min bei 200 °C backen, weitere 35 min bei 180 °C fertigbacken. Nach dem Abkühlen den Kuchen aus der Form lösen und mit einem großen Messer in drei Tortenböden schneiden. 2. Schokolade im Wasserbad schmelzen und auf zwei der Tortenböden verteilen. Himbeeren darauf verteilen und kühl stellen, bis die Schokolade fest geworden ist. 3. Währenddessen Sahne schlagen und mit Quark, Schmand und Vanillezucker vermengen. Die Mischung auf die Himbeeren streichen, die Tortenböden stapeln und die Torte mit der restlichen Sahnemischung bestreichen. 4. Zuletzt die Torte mit Zuckerstreuseln verzieren.

Alternativ kann man auch tiefgefrore ne Himbeeren verwenden. Di ese dann mit To rtenguss nach Pack ungsbeilage un d etwas Flüssigkeit aufk ochen. Bevor m an sie auf dem mit Sc hokolade bestric henen Tortenbode n verteilt, etwas abkühlen lassen . WWW.DEKOLIEBE.DE 60

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BALLON-DEKOSTECKER Für die romantischen Ballons biegt man aus Draht eine ovale Schlaufe, bestreicht diese mit Klebstoff und drückt sie auf Stoff. Nach dem Trocknen des Klebers schneidet man die überstehenden Stoffränder mit einer scharfen Schere ab. Um ein liebevolles Detail zu setzen, kann man noch den unteren Rand des Ballons mit einem ganz feinen Basteldraht umwickeln.

Wenn man das andere Ende des Drahtes als Schlaufe biegt, entstehen wunderschöne Serviettenringe, die mit einer Banderole beklebt gleichzeitig als Namensschilder dienen können.

Fotos: Imke Johannson

Luftig-leicht schweben die kleinen Ballons über den Blüten und komplettieren das Gesamtbild. Einfach die Drahtenden in einen gebundenen Blumenstrauß stecken.

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D 1 2 0 1 3 / Post ver triebsstück/Gebühr bezahlt/Lydia Verlag/Ger th Medien GmbH/Dillerberg 1/D -35614 Asslar-Berghausen

Credo gefährlicher Frauen Lieber Gott, bitte mach uns zu gefährlichen Frauen. Mögen wir Frauen sein, die sich ihrer Kraft bewusst sind, etwas zu verändern, zu wachsen und radikal-lebendig für Gott zu sein. Mögen wir Heiler der Wunden und Rechter des Unrechts sein. Mögen wir weinen mit denen, die weinen, und für jene ein Fürsprecher sein, die nicht für sich selbst sprechen können. Mögen wir Kinder wertschätzen, die Alten umarmen und die Armen stärken. Mögen wir innig beten und weise unterweisen. Mögen wir Leiterinnen sein, die stark und sanft zugleich sind. Mögen wir Freudenlieder singen und Angst niederreden. Mögen wir nie zögern, wenn eine gute Leidenschaft uns vorantreibt, eine Überzeugung uns drängt und gerechter Zorn uns Antrieb gibt. Mögen wir allem Furcht einflößen, was ungerecht und böse ist in der Welt. Mögen wir Systeme des Missbrauchs aufdecken und Lügen durch Wahrheit zum Schweigen bringen. Mögen wir strahlen wie Sterne in einer dunklen Generation. Mögen wir überfließen an Güte im Namen Gottes und durch die Kraft Jesu Christi. Und mögen wir in diesem Namen und durch diese Kraft die Welt verändern. Lieber Gott, bitte mach uns zu gefährlichen Frauen. Lynne Hybels

w w w . ly n n e h y b e l s . c o m

Amen.


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