Foto André Stiebitz
Potsdam LEbenswelt
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eiche 2013 ist ein Potsdamer Jubiläumsjahr. Vor genau zehn und genau zwanzig Jahren kamen insgesamt neun neue Ortsteile hinzu. friedrich nimmt das zum Anlass, um Geschichten aus allen Teilen der Stadt zu erzählen – Kiez und Anger, Stadt und Land, alten und neuen Ortsteilen.
93 : 1935-52, seit 19
Gehört zu Potsdam
Zuhause in allen Einzelheiten
52° 24’ N, 12° 59’ O raphische Lage:
(Wieder-) Entdeckungen aus Potsdam
Geog
Fläche: Einwohner: Postleitzahl:
2,3 km² 4 538 14469
Ganze Generationen von Potsdamer Studenten haben den Getränkehändler Ulrich Gorgs aus Eiche kennen- und lieben gelernt. Unzählige Veranstaltungen hat er, den alle nur beim Nachnamen nennen, gerettet, indem er auch am Samstagabend nochmal nachgeliefert hat, wenn das Fest ausgelassener als erwartet wurde. Mit dem Zigarrenstummel im Mund liefert Gorgs seit 1990 Wasser, Bier und Saft, aber keinen Wein und vor allem keinen Schnaps – nicht sein Stil. Den Studentenklub ›Pub à la Pub‹ hat er sogar mitaufgebaut, eigens sein Grundstück beliehen und über Jahre ein Risiko getragen – immer in der Hoffnung, dass so eine Institution schließlich auch seinen Umsatz steigert. So hat er seitdem bei allen Hochschulveranstaltungen seinen Fuß in der Tür. Doch bevor er nach der Wiedervereinigung zum »Bierverleger« wurde, hat Ulrich Gorgs zwei völlig andere Leben gelebt. Am 25. Januar 1944 in Königsberg geboren, kommt er durch Flucht mit der Mutter nach Ostdeutschland, wächst an verschiedenen Orten der DDR auf, lebt lange Zeit im Holländischen Viertel. Mit 16 zieht es ihn zur See. Er beginnt eine Lehre als Hochseefischer in Rostock, die aber schnell endet, als er öffentlich den Mauerbau kritisiert und gerade so mit Bewährung davon kommt. 1963 versucht er mit einem Kohlenzug am Bahnhof Drewitz über die Grenze zu fliehen und wird gefasst. Jetzt geht es in den Knast. Er ist »ein renitenter Gefangener« mit einiger Arrestzeit. 42 Monate sitzt er insgesamt und wird an seinem 22. Geburtstag entlassen. Sein neues Leben: Kraftfahrer, Schwerlasttransporte aus dem Potsdamer Plattenwerk, Tiefbauarbeiter und auch Busfahrer – als solcher stößt er auch auf das verwilderte Grundstück gegenüber der
Getränkehändler und Studentenheld Ulrich Gorgs – ein Original aus Eiche
Havellandkaserne. Er kauft es einem seiner Fahrgäste ab. Dort in der Kaiser-FriedrichStraße steht sein Haus, das er mit Frau und zwei Söhnen bewohnt, sind bis heute sein Getränkelager und sein »Gefechtsstand« – ein halber Keller aus ausgemusterten Plattenbauelementen aus Potsdamer Produktion. In Eiche fängt er 1984 eine weitere Karriere an. Gorgs gründet eine Ortsgruppe der liberaldemokratischen Partei und kandidiert bei den Kommunalwahlen, gibt zum ersten Mal selbst eine Stimme ab und wird als Mitglied der Blockparteien beinahe automatisch Teil des Gemeinderats. Sein Ressort sind Handel und Versorgung. Eine der ersten Amtshandlungen: Fehlende Kühlregale im Konsum, wo die Butter schmilzt, könnte man doch von der Juristischen Hochschule der Stasi im Nachbarort Golm bekommen – die seien da ja unbenutzt. Freunde macht er sich so nicht, sondern schlägt die Funktionäre »in der Sache, mit ihrem eigenen Geschwafel«. Nach 1990 gründet er auch die FDP in Brandenburg mit,
aber trat schon vor Jahren enttäuscht wieder aus, »weil sie nichts mehr mit Liberalismus zu tun hat.« Ulrich Gorgs war sein Leben lang ein Freigeist mit Prinzipien. So kommt es, dass er bis heute die Jugend auf seine Weise unterstützt, aber auch, dass er von einem Tag auf den anderen mit dem Rauchen aufhört. Die Zigarren sind seit einem Jahr tabu. Er hat noch knapp 200 Stück im Schrank und rät: Höre auf, wenn Du noch was zu rauchen hast, »dann merkst Du nämlich schnell, wie ernst Du es meinst!«. [pede]
Aus den Ortsteilen 2. November, 16 Uhr Lesung Jaecki Schwarz & Wolfgang Winkler, Marquardt • www.kulturscheune-marquardt.de 11. November Festveranstaltung zum Ortsjubiläum, diverse Orte in Marquardt