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Universität Tübingen Interfakultäres Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Die aktuelle Biomedizin aus der Sicht des Islam Ein Gutachten erstellt im Auftrag der AG ‚Bioethik und Wissenschaftskommunikation’ des Max-Delbrück-Centrums für molekulare Medizin Berlin-Buch 2002

Projektbetreuung:

Projektdurchführung:

Prof. Dr. Hans-Martin Sass

Dr. Dr. Ilhan Ilkilic

Zentrum für medizinische Ethik Institut für Philosophie Ruhr Universität Bochum 44780 Bochum Tel: 0234-322-2749, Fax: 321-4598 E-Mail: sasshm@aol.com

Interfakultäres Zentrum für Ethik in den Wissenschaften Universität Tübingen Wilhelmstr. 19-23 72074 Tübingen Tel: 07071-29-77573 Fax: 07071-29-5255 E-Mail: ilhan.ilkilic@uni-tuebingen.de

Kennedy Institute of Ethics Georgetown University Washington DC 20057 USA Tel: 202-687-6767 Fax: 202-687-8089


INHALTSVERZEICHNIS Einleitung

1

1. Das islamische Menschenbild

2

2. Krankheit und Behinderung im islamischen Kontext 2.1 Krankheitsbegriff der islamischen Quellen 2.2 Krankheitsverständnis und Krankheitsdeutungen

5 5 7

3. Die Stellung der Medizin und das Verhältnis von Heilmittel-Heilwirkung-Gott

9

4. Islamische Urteilsfindung und innerislamische Diskussion zur bioethischen Themen 4.1 Der moralische Status des Embryos 4.2 Embryonenforschung 4.3 Das Klonen 4.3.1 Reproduktives Klonen 4.3.2 Therapeutisches Klonen 4.4 Gendiagnostik 4.5 Gentherapie

11 13 17 19 20 24 25 28

5. Dilemmata zwischen Theorie und Praxis in der islamischen Welt

30

6. Über die Gründe der innerislamischen Argumentationsvielfalt zu bioethischen Themen 6.1 Innerislamischer Diskurs über den moralischen Status des Embryos 6.2 Innerislamischer Diskurs über die modernen Naturwissenschaften, Biomedizin und „westliche Technik“ 6.2.1 Prowissenschaftlich konsequentialistische Ansätze 6.2.2 Wissenschaftskritisch epistemologisch-metaphysische Ansätze

31 32 34 35 38

7. Unterschiede zwischen dem innerislamischen und dem christlich-westlichen Diskurs

42

8. Muslime in einer wertpluralen Gesellschaft

44

9. Ergebnistransfer

45

Zusammenfassung

48

Literaturverzeichnis

50


1

Einleitung Die neuen Techniken der modernen Medizin werden heute überall auf der Welt und damit in Ländern unterschiedlichster kultureller und religiöser Prägung angewandt. Neue Forschungs- und Anwendungsfelder der Humangenetik haben auch in den muslimischen Ländern aber auch für in Europa lebende Muslime völlig unbekannte und schwierige soziale und ethische Fragen aufgeworfen. Bioethische Diskussionen über diese Themen sind von konventionellen Methoden der islamischen Urteilsfindung geprägt und unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht von den bekannten christlichen und säkularen Argumenten. In der vorliegenden Arbeit werden zunächst das islamische Menschenbild und das muslimische Krankheitsverständnis sowie die Stellung der Medizin diskutiert. Die bioethischen Argumente in der islamischen Welt zu Themen wie beispielsweise über den moralischen Status des Embryos, reproduktives und therapeutisches Klonen, Gentherapie und Gendiagnostik sind weitere Schwerpunkte dieser

Studie.

In

Bezug

auf

diese

Diskussionen

werden

die

innerislamischen

Stellungnahmen zur „westlichen Technik“ und Biomedizin konzipiert. Anschließend werden Dissense zum mitteleuropäischen Bioethikdiskurs konkretisiert und praktische Vorschläge für einen interkulturellen bzw. interreligiösen bioethischen Diskurs in einer wertpluralen Gesellschaft erarbeitet.1

1

Ich danke Herrn Prof. Hans-Martin Sass für seine Anregungen und Verbesserungsvorschläge. Frau Dipl.-Biol. Gisela Badura-Lotter danke ich für informative Gespräche und Frau Elke Albrecht für die Durchsicht des Manuskripts. Vielen Freunden danke ich für ihre Hilfe bei der Literaturbeschaffung.


2 1. Das islamische Menschenbild Das Menschenbild des Islam wird hauptsächlich durch zwei Hauptquellen des Islam, dem Koran und der Tradition des Propheten Muhammad (sunna), bestimmt. Der Koran, das Buch des Islam, enthält die Offenbarungen Gottes, die dem Propheten Muhammad zwischen 610 und 632 n. Chr. in arabischer Sprache verkündet wurden. Muhammad (570-632 n. Chr.), der Prophet und Verkünder des Islam, legte die Implikationen der allgemeinen

Bestimmungen

des

Korans

durch

seine

Entscheidungen

und

seine

Lebensweise dar. Das islamische Glaubensbekenntnis (ÊahÁda), das ausgesprochen in der Öffentlichkeit zum Muslimsein führt, basiert auf diesen zwei Grundquellen und lautet: „Ich bekenne, dass es keinen Schöpfer außer Gott gibt und ebenso bekenne ich, dass Muhammad Diener und Gesandter Gottes ist“ (AÊhadu an lÁ ilÁhe illallÁh wa aÊhadu anna mu½ammadan abduhu wa rasuluhu). Dem Koran zufolge wurde der Mensch in idealer Gestalt erschaffen und mit den besten Weisungen Gottes versehen.2 Er ist auf der Erde ‚Stellvertreter Gottes’ (¿alÍfa) und nimmt bei Gott unter allen Geschöpfen den höchsten Rang ein.3 Seine hohe Stellung bei Gott erhält er, indem er das ihm anvertraute Gute (von Gott) annimmt. „Wir haben (nach Beendigung des Schöpfungswerkes) das Gut, das anvertraut werden sollte, (zuerst) dem Himmel, der Erde und den Bergen angetragen. Sie aber weigerten sich, es auf sich zu nehmen, und hatten Angst davor. Doch der Mensch nahm es auf sich...“4 Dieses anvertraute Gut beinhaltet nach Mehrheit der Koranexegeten die von Gott auferlegten

Verpflichtungen

und

Verantwortungen.5

Nachfolger bzw. Stellvertreter

Gottes (¿alÍfa ) und Diener Gottes (‘abd) zu sein, bestimmen die Stellung des Menschen auf der Erde. Da die lexikalische Definition von Islam die Ergebung des Menschen in den Willen Gottes ist, hat der Mensch seine Stellvertreterposition als Diener Gottes zu erfüllen. Nach islamischem Menschenbild ist der Mensch durch seine Intelligenz und geistigen Fähigkeiten in der Lage, Gott, das Transzendente, das Absolute und den unbedingten Willen, zu erkennen. Gott zu erkennen und daraus mit eigenem Willen entsprechende Folgerungen zu ziehen, ist für ein glückseliges Leben bzw. die Errettung

2

Vgl. Sure 95/4, Sure 32/9, Sure 67/23 u. Sure 82/7-8. Bei Zitierung aus dem Koran werden im Folgenden zuerst die Nummern der Suren (Korankapitel) und anschließend die der Verse aufgeführt. 3 Vgl. Sure 2/30, Sure 6/165 u. Sure 17/70. 4 Sure 33/72. 5 Vgl. Yazïr, Elmalïlï Hamdi: Hak Dini Kur’an Dili, Istanbul 1971, Bd. 6, S. 3934.


3 des Menschen notwendig. „Der Mensch erleidet bestimmt Verlust, außer denjenigen, die glauben und die guten Werke tun...“6 Nach dem Koran schuf Gott den ersten Menschen und Propheten Adam aus Erde bzw. Lehm und befahl den Engeln ‚Werft euch vor Adam nieder’. Alle folgten dem göttlichen Befehl, außer Satan, der sich aufgrund seines Hochmuts weigerte, sich dem bevorzugten Geschöpf zu unterwerfen. „Er [Gott] sprach ‚was hat dich daran gehindert, dich niederzuwerfen, als Ich (es) dir befohlen habe?’ Er [der Satan] sagte: ‚Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaffen, ihn aber hast Du aus Ton erschaffen.’ Er sprach: ‚Geh aus ihm [dem Paradies] hinunter. Dir steht es nicht zu, dich darin hochmütig zu verhalten. Geh hinaus. Du gehörst zu den Erniedrigten.’“7 Nachdem Satan seinen Engel-Status verloren hatte, bat er Gott um die Erlaubnis, die Menschen vom rechten Weg abkommen zu lassen; und er bekam sie solange Menschen auf der Erde existieren.8 Satan hat im Grunde keine Macht über den Menschen, solange sich jener nicht von ihm in Versuchung führen lässt.9 Als erstes gelingt es Satan, die ersten Menschen, Adam und Eva, im Paradies vom rechten Wege abkommen zu lassen, was für sie das Ende ihres Lebens im Paradies bedeutete. Auf Erden baten sie Gott um Verzeihung, darauf wurde ihnen vom barmherzigen Gott verziehen. Der koranischen Schöpfungsgeschichte zufolge tragen Adam und Eva die Verantwortung für ihre Fehler allein, so dass das islamische Menschenbild keine „Erbsünde“ kennt. „Und jeder begeht nur zu seinem eigenen Nachteil (was er sich an Sünden zuschulden kommen lässt). Und keiner wird die Last eines anderen tragen...“10 Der Mensch ist weder ein gefallenes Geschöpf noch bedarf er eines erlösenden Wunders. Der Prophet Muhammad ist kein Erlöser oder Vermittler, sondern Überbringer der göttlichen Botschaft, die die Menschen über die Eigenschaften Gottes und den Schöpfungszweck informiert. Er ist ein Diener Gottes11

und seiner

menschlichen Natur zufolge ein Mensch wie jeder andere. „Sag: Ich bin nur ein Mensch wie ihr, (einer) dem (als Offenbarung) eingegeben wird, dass euer Gott ein einziger Gott

6

Sure 103/2-3. Die Koran-Zitate stammen von A. Th. Khourys Koranübersetzung. (Der Koran: Übers. v. A. Th. Khoury, 2. Aufl., Gütersloh 1992). 7 Sure 7/12-13. 8 Vgl. Sure 15/36-39 u. Sure 17/62-64. 9 Sure 15/40 u. Sure 17/65. 10 Sure 6/164. 11 Vgl. Sure 17/1, Sure 18/1, Sure 72/19, Sure 96/10 u. a.


4 ist.“12 In seiner Gestalt als Mensch verkörpert er die ideale praktische Umsetzung des göttlichen Willens. Sowohl sein Unterlassen, als auch seine Gutheißungen und seine anderen Entscheidungen in religiösen, sozialen und ethischen Fragen sind nichts anderes als die irdische Erscheinung des göttlichen Willens selbst. In Sure 4 Vers 80 heißt es: „Wenn einer dem Gesandten gehorcht, gehorcht er (damit) Gott (...).“ Die prophetische Tradition (sunna) wird somit für einen Muslim eine essentielle Quelle für seine Urteilsfindungen und Handlungen in allen Lebensbereichen. Die islamische Weltanschauung kennt keine Trennung zwischen Weltlichem und Geistigem, was den Islam zu einer Religion der Öffentlichkeit und nicht der Innerlichkeit macht. „Nicht Orthodoxie ist entscheidend, sondern Orthopraxie: daß man in gemeinsamer kultischer Verrichtung und in gemeinsamer Unterwerfung unter das gleiche Gesetz sich als Muslim erweist.“13 Der Muslim trifft mit eigenem Willen Entscheidungen über das Gute und Böse im irdischen Leben, worüber er im Jenseits vor Gott Rechenschaft ablegen muss und dafür belohnt oder bestraft wird. Im Koran heißt es: „Wenn dann einer (auch nur) das Gewicht eines Stäubchens an Gutem getan hat, wird er es zu sehen bekommen. Und wenn einer (auch nur) das Gewicht eines Stäubchens an Bösem getan hat, wird er es (ebenfalls) zu sehen bekommen.“14 Ob der Mensch mit seinem selbstständigen Willen allein der Schöpfer seiner Handlungen

ist

oder

ob

seine

uneingeschränkte

menschliche

Willens-

und

Handlungsfreiheit aufgrund der Allmacht Gottes zu bestreiten ist, war das Hauptthema unendlicher

theologischer 15

Geistesgeschichte.

und

philosophischer

Diskussionen

in

Die uneingeschränkte menschliche Willensfreiheit

der 16

islamischen

auf der einen

und die göttliche vorherige Festlegung aller Ereignisse17 als ein notwendiges Resultat der göttlichen Attribute auf der anderen Seite sind zwei komplementäre Pole in den islamischen Hauptquellen. Obwohl in diesen Diskussionen von keinem Konsens die Rede ist, hat sich im Laufe der Zeit eine mittlere Position in den Glaubensschulen durchgesetzt. Der Mensch ist weder eine Leiche in den Händen des Totenwäschers noch 12

Sure 18/110. Ess, J. v.: Islam in: Die fünf großen Weltreligionen, E. Brunner-Traut (Hrsg.), Freiburg 1980, S. 70-71. 14 Sure 99/7-8. 15 Vgl. dazu Watt, W., Montgomery: Free Will and Predestination in Early Islam, London 1948; Watt, W., Montgomery: Islamic Philosophy and Theology, Edinburgh 1962; Ess, Josef van: Zwischen ¼adÍÝ und Theologie, Berlin 1975; Burrell, David B.: Freedom and Creation in Three Traditions, Notre Dame 1993 u.a. 16 Vgl. Sure 18/29, Sure 99/6-9 u.a. 17 Vgl. Sure 6/59, Sure 57/22 u.a. 13


5 hat er einen uneingeschränkt freien Willen, der ihn zum alleinigen Schöpfer seiner Handlungen machen würde. Der Glaubensschule MÁturÍdÍya zufolge entscheidet der Mensch durch seinen „partikularen Willen“, der unabhängig ist vom göttlichen Willen. Der Mensch ist Schöpfer seiner Handlungen, wobei sich jedoch, ontologisch gesehen, diese Art des Schaffens von der Gottes unterscheidet. Während Gottes Schöpfung sich aus dem Nichts vollzieht, erschafft der Mensch nur aus bereits Geschaffenem. Die MÁturÍdÍya begrenzt die menschliche Verantwortung auf die Handlungen, die durch den freien menschlichen Willen entstehen.18 2. Krankheit und Behinderung im islamischen Kontext 2.1 Krankheitsbegriff der islamischen Quellen Im Koran begegnet uns das Wort Krankheit (mara±) mehrmals in unterschiedlicher Bedeutung. Am häufigsten wird dieser Begriff metaphorisch verwendet in Form von Heuchelei,19 Unglaube,20 Zweifel an Gottes Existenz21 und fehlender Frömmigkeit22 . In den Versen kommt dieser Begriff ausschließlich im Ausdruck „Krankheit in ihren Herzen“ vor, was von Korankommentatoren als ein Sich-Abwenden vom Glauben an die Einheit Gottes, der Zweifel an Gottes Existenz und Heuchelei interpretiert wird. Blindheit und Taubheit sind im Koran die am häufigsten genannten Krankheiten bzw. Funktionsstörung der Organe. Diese sind ebenso metaphorisch zu verstehen und nicht als Abwesenheit des Seh- oder Hörvermögens zu deuten. In Sure 22 Vers 46 heißt es: „Sind sie [d.h. die ungläubigen Zeitgenossen] denn auf der Erde umhergegangen, dass sie Herzen bekommen, mit denen sie verstehen, oder Ohren, mit denen sie hören? [Aber nein, sie sind mit Blindheit geschlagen.] Nicht die Augen sind [bei ihnen] blind, blind sind die Herzen, die in der Brust sind.“ Ähnlich wie das Wort mara± wird auch das Wort ÊifÁ’, was im Arabischen Heilung, Genesung, Heilmittel, Arznei bedeutet, im Koran vorwiegend auf metaphorischer Ebene benutzt.23 Der Koran erklärt sich als Heilung für o. g. Krankheiten im metaphorischen Sinne: „Sprich: Er (der Koran) ist denjenigen, die glauben, eine Rechtleitung und eine Heilung.“24

18

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu bemerken, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime (Herkunft: Türkei, Balkan, Afghanistan, indischer Subkontinent) Angehöriger dieser Glaubensschule sind. 19 Vgl. Sure 2/10, Sure 5/52, Sure 8/49, Sure 24/50, Sure 33/12 u. Sure 47/29. 20 Sure 9/125, Sure 33/60 u. Sure 74/31. 21 Sure 22/53. 22 Sure 33/32. 23 Sure 9/17, Sure 10/57 u. Sure 17/82. 24 Sure 41/44.


6 Die andere Bedeutung des koranischen Krankheitsbegriffes versteht Krankheit als körperliche Schmerzen verursachend, als Strukturanomalität, als Funktionsstörung oder Funktionsausfall des Körpers. Die Verse, in denen der Krankheitsbegriff in dieser Bedeutung vorkommt, haben die Erleichterung bzw. die Befreiung von einigen Grundpflichten im Krankheitsfall zum Gegenstand, wie z.B. Fasten,25 Pflichtgebet,26 Pilgerfahrt,27 rituelle Gebetswaschung28 u.a. Weitere Verse, die dem Thema Gesundheit und Krankheit zugeordnet werden können, behandeln hygienische Bestimmungen, Ernährung, Geschlechtsverkehr sowie das Verhalten gegenüber Verstorbenen und Kranken u.ä. Diese zwei unterschiedlichen Sinngehalte werden vom Koran ganz unterschiedlich aufgenommen und beurteilt. Während der erste Krankheitsbegriff, der des Unglaubens oder der Heuchelei, mit der göttlichen Ermahnung und der Verdammnis in Zusammenhang steht, ist der zweite Begriff jedoch immer mit dem Trost und der Barmherzigkeit Gottes verbunden. Der Koran erkennt die Krankheit als einen leidvollen und schmerzlichen Zustand. „Er weiß, dass es unter euch Kranke geben würde.“29 Die Kranken sollen jedoch keine Gewissensnöte haben, wenn sie ihren, von Gott auferlegten religiösen und sozialen Pflichten nicht nachkommen können. Ihnen ausgesprochene Gebetserleichterungen bzw. Ausfall der religiösen und sozialen Pflichten zuzugestehen, ist als ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes zu verstehen. „Wer von euch nun in dem Monat (Ramadan) anwesend ist, der soll in ihm fasten. Und wer krank ist oder sich auf einer Reise befindet, für den gilt eine Anzahl anderer Tage. Gott will für euch Erleichterung, Er will für euch nicht Erschwernis.“30 Analoge Sinngehalte wie sie in den Koranversen vorkommen lassen sich auch in den Prophetenaussprüchen (Hadithe) finden. Neben dem metaphorischen Gebrauch des Krankheitsbegriffs gibt es zahlreiche Hadithe, die die Empfehlungen oder Praktiken des Propheten Muhammad zur Heilung bestimmter Leiden, Vorbeugungsmaßnahmen gegen Krankheiten,

Hygienemaßnahmen,

sowie

seine

Äußerungen

zur

Bedeutung

der

Krankheit und der Stellung des Kranken umfassen. Sie werden in den klassischen 25

Vgl. Sure 2/185. Vgl. Sure 73/20. 27 Vgl. Sure 2/196. 28 Vgl. Sure 4/43 u. Sure 5/6. 29 Sure 73/20. 30 Sure 2/185. 26


7 Hadithwerken unter einem separaten Kapitel behandelt. Später wurden einzelne Werke mit medizinischen Hadithen unter den Namen Ôibb an-nabÍ oder aÔ-Ôibb an-nabawÍ (prophetische Medizin) entstanden. Die prophetischen Empfehlungen zur medizinischen Therapie oder die Erwähnung spezieller Arzneien gegen bestimmte Krankheiten unterstreichen Gesundheit.

den Im

Hygienemaßnahmen,

Wert

des

körperlichen

Zusammenhang

mit

Körperpflege

oder

Wohlbefindens anderen auf

und

Hadithen,

einige

Bewahrung der die

medizinische

sich

auf

Ratschläge

konzentrieren, kann in medizinischen Hadithen ein starkes Vorbeugeprinzip festgestellt werden. 2.2 Krankheitsverständnis und Krankheitsdeutungen Der islamische Glaube erklärt das Kranksein sowie das Gesundsein zu den Wirklichkeiten des Lebens und erhebt die Gesundheit im Sinne von Freisein von Schmerzen, körperlicher Behinderung oder Strukturanomalien zu den größten und wichtigsten Gottesgaben. Körper und Gesundheit sind dem Menschen auf eine bestimmte Zeit zur Bewahrung und zum Nießbrauch gegeben. Der Mensch ist Inhaber und Nutznießer, Gott hingegen ihr Eigentümer. Es obliegt dem Menschen in dieser Zeit, rechtmäßig und verantwortlich damit umzugehen. Ebenso wie der verschwenderische Umgang mit eigenem Hab und Gut ist auch das verantwortungslose Verhalten gegenüber dem Körper untersagt. Die religiöse Überzeugung, welche die Gesundheit als ein dem Menschen anvertrautes Gut deklariert, impliziert gleichzeitig eine menschliche Verantwortung für deren Erhaltung bzw. Wiederherstellung. Somit ist es eine islamische Pflicht, entsprechende hygienische Maßnahmen zu treffen oder sich den erforderlichen medizinischen Maßnahmen zur Bewahrung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit zu unterziehen. Denn der Muslim hat im Jenseits Rechenschaft abzulegen wie er mit seinem Körper umgegangen ist, was mit Belohnung oder Bestrafung im Jenseits verbunden ist. Das endliche Erdenleben ist nach islamischem Glauben ein Prüfungsort. „Jeder wird den Tod erleiden. Und wir prüfen euch mit Bösem und Gutem und setzen euch damit der Versuchung aus.“31 Zu den vielfältigen Prüfungsformen gehört auch die Krankheit und Behinderung. „Und wir werden euch sicher mit ein wenig Furcht (vor den Feinden) und Hunger und (mit) Verlust an Vermögen, an Leib [Krankheit bzw. Behinderung] und 31

Sure 21/35.


8 Leben und (Mangel) an Früchten (die ihr zum Lebensunterhalt nötig habt) (gewissen) Prüfungen aussetzen. Und bringt denen, die geduldig sind, gute Nachricht (von der Seligkeit, die sie im Jenseits zu erwarten haben)!“32 Mit der Geschichte des Propheten Hiob verdeutlicht der Koran die Sinngebung ‚Krankheitsfall bewahren. 33

als

Geduldsprobe’

und

empfiehlt

einem

Muslim,

Fassung

zu

Dieser Auffassung zufolge ist Krankheit nichts Abscheuliches oder

Verwerfliches, sondern ein Zustand, der die Geduld (als natürliche Konsequenz des Glaubens) und den Glauben selbst auf die Probe stellt. Die beispielhafte Geduld und Gehorsamkeit des Propheten Hiob34 bedeutet jedoch nicht, dass ein Muslim auf Therapie verzichten sollte. Dass der Prophet Moses sich der Therapie unterzog, der Prophet Hiob sich mit dem im Koran genannten heilenden Wasser kühlen ließ und der Prophet Muhammad seinen Gefährten empfahl, sich behandeln zu lassen, zeigt, dass Kranke nicht auf Therapie verzichten dürfen. Aus den islamischen Hauptquellen ist die Krankheit nicht als eine Strafe Gottes oder eine Ausdrucksform des göttlichen Zorns zu deuten. Im Gegenteil erklärt der folgende Hadith einen Krankheitszustand als Gelegenheit für die Sündenvergebung (kaffÁra). „Keine Müdigkeit und keine Krankheit, keine Sorge und keine Trauer, kein Schmerz und kein Kummer befällt den Muslim, nicht einmal ein winziger Dorn kann ihn stechen, es sei denn, Gott will ihm damit eine Sühne für seine Verfehlungen auferlegen.“35 Diese Form der Interpretation war in der islamischen Geschichte oft ein Anlass für einige Mystiker, die Therapie abzulehnen. Al-GhazzÁlÍ (gest. 1111), einer der einflussreichsten Gelehrten des islamischen Mittelalters, vertrat die Auffassung, dass die Annahme der Therapie eine empfehlenswertere Haltung sei.36 Aus den behandelten Krankheitsbegriffen und –deutungen geht hervor, wie die ideale Gemütseinstellung des Muslims in einem Krankheits- und Behinderungsfall auszusehen hat: Der Muslim soll für seine Krankheit bzw. Behinderung erforderliche medizinische 32

Sure 2/155, (Zitat stammt von Rudi Parets Koranübersetzung. Der Koran: Übers. von R. Paret, 6. Aufl., Stuttgart 1993.) 33 Sure 21/83-84 u. Sure 38/41-43. 34 Vgl. Sure 21/83-84 u. Sure 38/41-43. 35 Æa½Í½ al-Bu¿ÁrÍ, Nachrichten von Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad, Ausgewählt, aus dem Arabischen übers. u. hrsg. v. Dieter Ferchl, Stuttgart 1991, S. 390. 36 Vgl. Mu½ammad al-³azzÁlÍs Lehre von den Stufen zur Gottesliebe: d. Bücher 31-36 seines Hauptwerkes I½yÁ’ ‘ulÚm ad-dÍn / eingeleitet, übers. u. kommentiert von R. Gramlich, Wiesbaden 1984, S. 620.


9 Maßnahmen treffen, sie dabei geduldig annehmen und sich nicht aufsässig gegenüber Gott verhalten. Klagen darüber, warum gerade man selbst befallen wurde, oder gar Anklagen Gottes sind mit einem muslimischen Gemüt nicht vereinbar. Handelt der Muslim aber richtig, so kann ihm seine Krankheit und Behinderung sogar die Gelegenheit bieten ins Paradies zu gelangen. 3. Die Stellung der Medizin und das Verhältnis von Heilmittel-Heilwirkung-Gott Ihre besondere Stellung unter den Wissenschaften verdankt die Medizin ihrem unmittelbaren Verdienst am Menschen. Der Mensch kann nur in einer gesunden körperlichen

Verfassung

seine

Pflichten

erfüllen

und

seinem

Schöpfungsauftrag

nachkommen. Daher wurde das Studieren und Praktizieren der Medizin von vielen Gelehrten, darunter auch von Al-GhazzÁlÍ, als far± kifÁyah (kollektive Pflicht)37 , (d.h.) als wichtige Verpflichtung gegenüber Gott, bezeichnet, welche aber durch Folgeleistung einiger Personen andere entlasten würde. In den klassischen Werken der islamischen Geistesgeschichte werden die Wissenschaften zumeist in zwei Gruppen gegliedert: in die Wissenschaft des Körpers (die Medizin) und in die Wissenschaften der Religion.38 Aš-ŠÁfi‘Í (ges. 820), der als Vater der muslimischen Jurisprudenz angesehen wird, erklärt Ärzte, sowie Gelehrte und Philosophen für ein gelungenes Leben als unabdingbar. Bei ihm erlangt die Medizin nach den Wissenschaften der Religion den zweiten Rang.39 Ar-RuhÁwÍ, Arzt und Kenner der hippokratischen und galenischen Werke, vertrat jedoch in seinem Werk Adab aÔ-ÓabÍb (Ethik des Arztes) aus dem 9. Jahrhundert eine andere Position. Die Gesundheit stellt in ar-RuhÁwÍs Konzept das höchste Gut für den Menschen dar.40 Er betont auch die Bedeutung der Gesundheit als Grundvoraussetzung

für

die

Verwirklichung

menschlicher

Fähigkeiten

und

die

Verrichtung religiöser Pflichten wie Fasten und Beten.41 Deswegen erlangt bei arRuhÁwÍ die medizinische Kunst, die im Dienste der Menschen steht, einen noch höheren Rang als die Religionswissenschaften und die Philosophie, und wird somit als Edelste aller Künste (ašrafu aÈ-ÈinÁ‘a) definiert.42 Denn ein Philosoph kann nur die 37

Vgl. Al-GhazzÁlÍ, AbÚ-¼Ámid Mu½ammad Ibn-Mu½ammad: I½yÁ’ ‘ulÚm ad-dÍn, Bd. 1, Kairo 1352=1933, S. 15. 38 Wem dieser Verteilung gehört ist umstritten. Dieser Satz kann vom Propheten Muhammad oder von seinem Schwiegersohn ‘AlÍ ibn AbÍ ÓÁlib oder aber von Rechtsgelehrter Schafi`i sein. Vgl. Elgood, Cyril: Tibb-ul-Nabbi or Medicine of the Prophet, in: Osiris 14, 1962, S. 124 und Bürgel, J. Ch.: Allmacht und Mächtigkeit: Religion und Welt im Islam, München 1991, S. 181. 39 Canan, Ïbrahim (Hrsg.): Kütüb-i Sitte Muhtasarï Tercüme ve Ëerhi, Bd. 11, Ankara 1991, S. 253. 40 Ar-RuhÁwÍ, Is½Áq b. ‘AlÍ: Adab aÔ-ÓabÍb, Faksimileausgabe, Stuttgart 1985, S. 70b. 41 Ar-RuhÁwÍ, Adab, S. 79a-79b. 42 Ar-RuhÁwÍ, Adab, S. 77-b.


10 Seele verbessern, ein tugendhafter Arzt jedoch sowohl den menschlichen Körper als auch die Seele.43 Heutzutage stützen sich muslimische Gelehrte und Intellektuelle auf ähnliche Argumente, außerdem auf einige Verse aus dem Koran und nicht zuletzt auf die positive Einstellung des Propheten Muhammad zur Medizin und Wissenschaften.44 Im islamischen Glauben verdanken alle Lebenden ihre Existenz dem Absoluten und unbedingtem Wille: Gott. Erklärungsversuche der Natur und ihrer Gesetze, die Gott ausschließen,

sind

Erscheinungsform göttliche

mit

dem

aller

Gewohnheit

islamischem

Naturereignisse (sunnat

Gottesbild

nach

nicht

bestimmten

vereinbar.

Naturgesetzen

Denn die sind

als

AllÁh) zu verstehen. Krankheiten werden durch

biologische (Bakterien, Viren etc.), chemische (Gifte etc.), physikalische (Strahlungen) oder andere Stoffe durch Gottes Erlaubnis und Kenntnis hervorgerufen. Er gibt diesen Stoffen

krankmachende

Maßnahmen

heilende

Eigenschaften, Kräfte.

Die

und

ebenso

verleiht

er

medizinischen

therapeutischen Maßnahmen sind dann nicht

eigentliche Ursache der Heilung, sondern besitzen eher eine Vermittlerfunktion. In Sure 26 Vers 80 heißt es „Wenn ich krank bin so heilt er mich“. Gott allein als primären Grund für die Heilung zu nennen schließt jedoch die von einem Arzt empfohlene Behandlung nicht aus. Es obliegt sogar dem Menschen, sich dieser Mittel zu bedienen, um die von Gott kommende Heilung zu erlangen. Dazu der Prophet Muhammad: „Gott hat gegen jede Krankheit ein Heilmittel herabgesandt. Also behandelt diese, aber nicht mit etwas Verbotenem.“45 Die von mehreren Gelehrten zitierte Moses-Geschichte soll nun die komplexe Beziehungsformen zwischen Heilmittel,Heilwirkung und Gott veranschaulichen: „Ein Religionsgelehrter hat folgende Israelitengeschichte erzählt. Als Moses einmal krank geworden war, kamen die Israeliten zu ihm, und als sie seine Krankheit 43

Ar-RuhÁwÍ, Adab, S. 79b. Nanji, Azim A.: Medical Ethics and the Islamic Tradition, in: The Journal of Medicine and Philosophy, Vol. 13, Nr. 3, 1988, S. 257-275; Rahman, Fazlur: Health and Medicine in the Islamic Tradition, New York 1987, S. 29-40; Ebrahim, A. F. Mohsin: Islamic Ethics and the Implications of Modern Biomedical Technology: An Analysis of Some Issues Pertaining to Reproductive Control, Biotechnical Parenting and Abortion, Diss., Temple University, Philadelphia 1986; Ebrahim, A. F. Mohsin: Biomedical Issues, Islamic Perspective, (revised Edition), Kuala Lumpur 1993, S. 38-43; Serour, Gamal I.: Islam and the Four Principles, in: Principles of Health Care Ethics, R. Gillon (Hrsg.), Chichester 1994, S. 75-91; Hathout, Hassan: Islamic Basis for Biomedical Ethics, in: Transcultural Dimensions in Medical Ethics, E. Pellegrino et al. (Hrsg.), Maryland 1992, S. 57-72; Hathout, Hassan u. Lustig, B. Andrew: Bioethical Developments in Islam, in: Theological Developments in Bioethics: 1990-92, Dordrecht 1993, S. 133-147 u.a. 45 AbÚ DÁwÚd, SulaimÁn b. al-AÊþaÝ al-SiºistÁnÍ: Sunan AbÍ DÁwÚd, ÆidqÍ Mu½ammad ¹amÍl (Hrsg.), Libanon 1994, KitÁb aÔ-Óibb, Nr. 3874. 44


11 erkannt hatten, sagten sie zu ihm: ‚Wenn du dich mit dem und dem behandelst, wirst du gesund.‘ Doch er sagte: ‚Ich werde mich keiner Behandlung unterziehen, auf daß Gott mich ohne Heilmittel heile.‘ Als sich aber seine Krankheit in die Länge zog, sagten sie zu ihm: ‚Das Mittel gegen diese Krankheit ist wohlbekannt und bewährt. Wir behandeln uns damit, und wir werden gesund.‘ Er aber sagte: ‚Ich werde mich keiner Behandlung unterziehen.‘ Nachdem nun seine Krankheit noch lange gedauert hatte, gab Gott ihm ein: ‚Bei meiner Macht und Erhabenheit, ich werde dich erst heilen, wenn du dich mit dem, was sie dir gesagt haben, behandeln läßt!‘ Darauf sagte er zu ihnen: ‚Behandelt mich mit dem, was ihr gesagt habt!‘ Sie behandelten ihn, und er wurde gesund. Als er darüber Befürchtungen hegte, gab Gott ihm ein: ‚Willst du meine Weisheit durch dein Vertrauen auf mich entkräften? Wer außer mir hat denn den Nutzen für die Dinge in die Drogen gelegt?“46 Der Prophet Moses lehnte das ihm angebotene Heilmittel ab, weil ihm bewusst war, dass Gott von seiner Lage wusste und keine Heilmittel bräuchte, um ihn zu heilen. Aufgrund dieser Einstellung warnt ihn aber Gott und betont, dass Gottvertrauen (tawakkul) allein keine ausreichende Rechtfertigung sei, um sich von Heilmethoden (hier: Heilmitteln) abzuwenden. Da die in der Arznei vorliegende Heilkraft von Gott stammt, stellt ein Rückgriff auf ein Heilmittel nichts anderes als eine Hinwendung zu Gott dar.47 4. Islamische Urteilsfindung und innerislamische Diskussion zur bioethischen Themen Vier grundlegende Quellen bilden das Fundament der islamischen Urteilsfindung. Diese sind nach ihrem Autoritätsgrad: der Koran (das heilige Buch des Islam), die Sunna (die Aussprüche und Handlungen des Propheten), der Konsens der Gelehrten (IºmÁ‘) und der

Analogieschluss

(QiyÁs).

Je

nach

Bedarf

sind

auch

weitere

ergänzende

Argumentationsgrundlagen, wie isti½sÁn (Billigkeitsentscheidung), istiÈlÁ½ bzw. ra’y (Urteil nach individueller Meinung) sowie ‘urf (wörtl. Gewohnheit, Sitte d.h. die Berücksichtigung der Sitten bei der Urteilsfindung) anzuwenden.48 Ein Fall wird nach einer

Analyse

mit

entsprechenden

Wertungen

begutachtet.

Entscheidungsprozess kann eine Haltung geboten (wÁºib,

Nach

dem

far±), empfehlenswert

(mandÚb, sunna), angeraten (musta½abb), gestattet/freigestellt (mubÁ½) abgeraten 46

Al-GhazzÁlÍ, I½yÁ’, (Gramlich), S. 608-609. Vgl. Al-GhazzÁlÍ, I½yÁ’, (Gramlich), S. 609. 48 Vgl. Ramadan, S.: Das islamische Recht, Theorie und Praxis, 1996 Marburg, S. 33 u. Reinhart, A. K.: Islamic Law as Islamic Ethics, in: Journal of Religious Ethics, Vol. 11/2, 1983, S. 189 ff. 47


12 (makrÚh) oder verboten (½arÁm) sein.49 Da eine strikte Trennung des religiösen und privaten Lebens dem Islam fremd ist, gilt diese Methodik in allen Bereichen des Lebens. Zur Lebzeit des Propheten Muhammad waren seine Bestimmungen und Anweisungen in Konfliktfällen und neuen Entscheidungssituationen maßgeblich. Nach seinem Tod dauerte die rasche Verbreitung des Islam weiter an und in den neuen islamischen Gebieten

entstanden

unbekannte

Probleme,

die

zusätzliche

Interpretationen

und

Anwendungsformen der klassischen Quellen und die Etablierung eines Rechtssystems nötig machten. Aufgrund dieser Bedürfnisse sind im 8. und 9. Jahrhundert mehrere Rechtsschulen gegründet worden. Vier der in dieser Zeit entstandenen Rechtsschulen haben sich in der sunnitischen Welt im Laufe der Zeit etabliert und bewahren bis heute ihren Einfluss auf Rechtsbereiche und die Praktizierung der religiösen Pflichten. Diese Schulen werden nach den Namen des Begründers genannt. Die Namen und Einflussbereiche dieser Schulen sind: Die Hanafiten: Abu Hanifa (gest. 767); Türkei, Balkan, Afghanistan, indischer Subkontinent, Zentralasien, teilweise in Ägypten, Jordanien, Syrien, Irak und Palästina. Die Malikiten: Malik Ibn-Anas (gest. 795); Oberägypten, Nord- und Westafrika. Die Schafiiten: Ibn Idris Al-Schafi´i (gest. 820); Unterägypten, Ostafrika, Südarabien, Indonesien und Südostasien. Die Hanbaliten: Ahmad Ibn Hanbal (gest. 855); in Arabien. Die Zaiditen und die Dschafariten sind die bekanntesten schiitischen Rechtsschulen, die im Jemen und im Iran weit verbreitet sind. In der islamischen Rechtslehre hat sich im Laufe der Zeit eine kasuistische Methodik durchgesetzt. Der Koran und die Sunna, die zwei Hauptquellen des Islam, werden in den

Urteilsfindungen

der

Rechtsgelehrten

nicht

nur

mit

einer

semantischen

Annäherungsweise sondern auch mit einer hermeneutischen Sensibilität behandelt. Nicht

nur

die

lexikalische

Bedeutung

eines

Verses,

sondern

auch

dessen

Offenbarungsgrund und Entstehungskontext sind für die daraus abzuleitenden Urteile wichtig.

Auch

kontextbedingt

unterschiedliche zu

verstehen

und

Haltungen in

einem

des

Propheten

entsprechenden

Muhammad

sind

Zusammenhang

als

Entscheidungsgrundlage zu bedienen. 49

Vgl. Antes, Peter: „Ethik“ im Islam, in: Ethik der Religionen, C. H. Ratschow (Hrsg.), Stuttgart 1980, S. 218.


13

Aufgrund dieser Anwendungsweise hat sich schon in der Frühzeit des Islam eine Urteilsmethodik in der Jurisprudenz etabliert.50

In dieser Methodik haben die

ausgearbeiteten Rechtsprinzipien stets ihren kasuistischen Charakter aufbewahrt. Ein Prinzip erlangt dann nicht in allen Fällen eine kategorische Geltung, sondern es ist immer hypothetisch bzw. fallbedingt anzuwenden. Im Laufe der Zeit haben sich in den Rechtsschulen bearbeitete Präzedenzfälle so vermehrt, so das die Rechtsprinzipien nicht als formale Grundsätze bleiben, sondern eine enorme Praxisrelevanz aufweisen. Die durch neue Entwicklungen in der Biomedizin entstandenen ethischen Fragen bezüglich

der

Organtransplantation,

Euthanasie,

Hirntod

sowie

gentechnische

Anwendungen im Bereich der Humangenetik sind neue Herausforderungen für diese kasuistisch

geprägte

Urteilsfindung.

Bioethische

Fragestellungen

dieser

Themenbereiche sind seit den 50er Jahren Gegenstand mehrerer islamrechtlicher Diskussionen.51 Dagegen sind die Stellungnahmen und Argumente zur gentechnischen Anwendungen in der Humangenetik - die nun hier skizziert werden - relativ neu. 4.1 Der moralische Status des Embryos Anlass für die Diskussionen über den moralischen Status des Embryos waren in der islamischen

Geistesgeschichte

nicht

die

theologisch-philosophischen Fragestellungen,

sondern vielmehr Themen wie Schwangerschaftsabbruch oder Empfängnisregelung mit juristischem bzw. strafrechtlichem oder familienrechtlichem Hintergrund. Auch wenn uns juristische Urteile über Schwangerschaftsabbruch bzw. dessen Verursachung und den damit verbundenen Strafmaßnahmen aus der Zeit des Propheten Muhammad und der „rechtgeleiteten Kalifen“ (¿ulafÁ’ rÁšidÚn, 632-661 n. Chr.) bekannt sind,52 sind die systematischen Debatten über die Schutzwürdigkeit des Embryos erst nach der Etablierung der Rechtsschulen im 8. und 9. Jh. entstanden. Zweifelsohne kam der Beseelung des Embryos in diesen Debatten eine zentrale Bedeutung zu. Der Koran beschreibt an mehreren Stellen die embryologische Entwicklung des Menschen im Mutterleib und spricht von einem Einhauchen der Seele. „Zuerst erschuf

50

Vgl. Motzki, Harald: Die Anfänge der islamischen Jurisprudenz, in: Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, Jhrg. 50/2, 1991, S. 1-292. 51 Vgl. Al-Daqr, N. M. Na‘Ím: Mawt al-dimÁ™. Bayn al-Ôibb wal-islÁm. Damaskus 1997. 52 Vgl. Khoury, A. Theodor: Abtreibung im Islam, CIBEDO-Dokumentation, Nr.11, Köln 1981, S. 11-12.


14 Er den Menschen aus Ton, dann machte Er seine Nachkommenschaft aus dem Erguss eines verächtlichen Wassers. Dann formte Er ihn und blies ihm von seinem Geist ein. Und Er machte euch Gehör, Augenlicht und Herz...“53 Ein anderer Vers erklärt die menschliche Entwicklung im Mutterleib, das `auf die Welt kommen´, das Sterben nach einer gewissen Lebenszeit sowie die Wiederauferstehung im Jenseits als Komponenten eines Kontinuums mit unterschiedlichen ontologischen Qualitäten. „Und wahrlich, Wir schufen den Menschen aus einem entnommenen Ton. Dann machten Wir ihn zu einem Tropfen (nuÔfa) in einem festen Aufenthaltsort. Dann schufen Wir den Tropfen zu einem Embryo (‘alaqa), und Wir schufen den Embryo zu einem Fötus (mu±™a), und Wir schufen den Fötus zu Knochen. Und wir bekleideten die Knochen mit Fleisch. Dann ließen wir ihn als eine weitere Schöpfung entstehen. Gott sei gesegnet, der beste Schöpfer! Dann werdet ihr nach all diesem sterben. Dann werdet ihr am Tag der Auferstehung auferweckt werden.“54 Obwohl es im Koran keine konkreten Angaben über den genauen Zeitpunkt der Beseelung gibt, erlangt die folgende Berechnung der islamischen Jurisprudenz eine gewisse Geltung. Für alle in den oben zitierten Versen genannten Entwicklungsstadien bis hin zur Einhauchung der Seele, also von Wassertropfen (nuÔfa) zum Embryo (‘alaqa) bis hin zum Fötus (mu±™a), werden jeweils 40 Tage berechnet. Insgesamt sind es somit 120 Tage bis zum Zeitpunkt der Beseelung. Diese Berechnung basiert auf folgendem Hadith: „Wahrlich, die Schöpfung eines jeden von euch wird im Leibe seiner Mutter in vierzig Tagen (als Samentropfen [nuÔfa]) zusammengebracht; danach ist er ebensolang ein Blutklumpen [‘alaqa]; danach ist er ebenso lang ein kleiner Fleischklumpen [mu±™a]. (...) Dann haucht er ihm die Seele ein.“55 Es gibt jedoch andere Hadithe, die zu anderen Zeitpunkten den Embryo als beseelt erklären. 56 In

den

Argumentationen

der

weichen

Rechtsschulen

unumstritten.

Dennoch

ihre

verursachten

Schwangerschaftsabbruch

ist

die

Beurteilungen stark

Bedeutung über

voneinander

den ab.

der

Beseelung

von

Menschen

Sie

lassen

sich

folgendermaßen resümieren: Eine Abtreibung vor dem 120. Tag der Schwangerschaft ist bei den Zaiditen, einem Teil der Hanafiten sowie der Schafiiten erlaubt. Bei einem

53

Sure 32/7-9. Sure 23/12-16. 55 Rassoul, A½mad Ibn (Übers.): Auszüge aus dem Æa½Í½ al-Bu¿ÁrÍ, Köln 1996, S. 673. 56 Vgl. Canan, Kütüb-i Sitte, Bd. 14, Ankara 1991, S. 5-21. 54


15 Teil der Hanafiten und Schafiiten ist sie verpönt, jedoch aus triftigem Grund erlaubt. Ein Teil der Malikiten erklärt den Schwangerschaftsabbruch ausnahmslos verpönt. Nach der offiziellen Meinung der Malikiten ist der Schwangerschaftsabbruch verboten. Bei Hanbaliten ist er nach dem 40. Tag verboten. Alle Rechtsschulen sind sich jedoch darin einig, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach Einhauchung der Seele in den Fötus, also ab dem 4. Monat, unzulässig ist. Ab diesem Zeitpunkt kann sie nur dann durchgeführt werden, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist.57 Obwohl die 120 - Tagefrist für viele Rechtsgelehrten als ausschlaggebender Zeitpunkt gilt,

spricht

al-GhazzÁlÍ

nicht

von

einem

genauen

Zeitpunkt.

Er

steht

der

Empfängnisverhütung äußerst positiv gegenüber und nennt zudem Gründe für eine Empfängnisverhütung, die nicht bei jedem Rechtsgelehrten auf volle Zustimmung treffen würden. Fürchtet man, dass eine Schwangerschaft die Schönheit der Frau gefährden könnte, so gilt dies nach al-GhazzÁlÍ als ein legitimer Grund für die Verhütung.58 Im Gegensatz zu seiner positiven Einstellung zur Empfängnisverhütung vertritt alGhazzÁlÍ eine klare Gegenposition zur Abtreibung. Auch wenn der Embryo bis zur Geburt

je

nach

Entwicklungsstadium

mit

unterschiedlichen

Eigenschaften

und

Fähigkeiten ausgestattet ist, handelt es sich um ein und dasselbe Lebewesen. Deswegen spricht er sich für den Schutz der befruchteten Eizelle aus, unabhängig von ihrer körperlichen Entwicklung und dem Zeitpunkt der Einhauchung der Seele. Er bezeichnet die Tötung des Embryos als ein ‚Verbrechen’, dessen Ausmaß parallel mit dem Alter des Embryos bzw. Fetus zunimmt. Er plädiert für eine abgestufte Schutzwürdigkeit des Embryos. Die Fragen nach dem moralischen Status des Embryos unterscheiden sich laut al-GhazzÁlÍ nur in gradueller und nicht in kategorischer Hinsicht. Die Konsequenzen dieser Argumentationsweise lassen sich in der Praxis anhand der Strafmaßnahmen der Rechtsschulen feststellen, die sich verschärfen je später der Abbruch innerhalb einer 57

Vgl. Gräf, Erwin: Die Stellungnahme des islamischen Rechts zu Geburtenregelung (tanãÍm al-nasl) und Geburtenbeschränkung (ta½dÍd al-nasl), in: Der Orient in der Forschung, W. Hoenerbach (Hrsg.), Wiesbaden 1967, S. 228-232; Elwan, Omaia: Empfängnisregelung und Abtreibung im Islam, in: Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, E. Wahl (Hrsg.), Heidelberg 1967, S. 469-470; Mahmood, Tahir: Family Planning. The Muslim Viewpoint, New Delhi 1977, S. 39-48; Khoury, Abtreibung, S. 7; Musallam, Basim F.: Sex and Society in Islam. Birth Control before the Nineteenth Century, Cambridge 1983, S. 61-88; Omran, Abdel-Rahim: Family Planning in the Legacy of Islam, London 1992, S. 225-238; Lohlker, Rüdiger: Schari’a und Moderne: Diskussionen zum Schwangerschaftsabbruch, zur Versicherung und zum Zinswesen, in: Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, Nr. 51/3, 1996, S. 22 u.a. 58 Al-GhazzÁlÍ, I½yÁ’, Bd. 2, S. 47.


16 Schwangerschaft vollzogen wurde. Klar ist jedoch, dass ein Schwangerschaftsabbruch unabhängig vom Zeitpunkt seiner Durchführung nicht mit der Tötung eines Kindes bzw.

eines

erwachsenen

Menschen

gleichzustellen

ist.

Dazu

al-GhazzÁlÍ:

„Empfängnisverhütung ist nicht mit Abtreibung und Kindestötung gleichzustellen, denn die letzteren sind Verbrechen gegen eine bestehende Existenz. Die Existenz besitzt mehrere Stufen: die erste Stufe besteht darin, dass das Sperma in den Uterus kommt, sich mit dem Wasser der Frau [Eizelle] mischt und sich auf die Aufnahme des Lebens vorbereitet; dies zu stören, ist ein Verbrechen. Wenn das empfangene Leben zu einem Embryo und einem Fötus wird, dann wird das Verbrechen noch schlimmer. Und wenn die Seele eingehaucht wird und der Fötus zu einem Geschöpf wird, steigert sich die Schlechtigkeit des Verbrechens. Die höchste Schlechtigkeit im Verbrechen ist erreicht, wenn das Kind lebend (von der Mutter) abgetrieben wird.“59 Einen unverkennbaren Aufschwung erlebte die moralische Diskussion über den Beginn des menschlichen Lebens und den Status des Embryos in der islamischen Welt in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Grund dafür waren nicht nur die neuen naturwissenschaftlichen medizinisch

Kenntnisse

technischen

über

den

Möglichkeiten,

menschlichen

sondern

auch

Embryo

und

sozio-politische

die und

ökonomische Anlässe wie Bevölkerungszuwachs, Geburtenbeschränkung, Armut etc. Die

Regierungen

Geburtenkontrolle

und als

Machthaber einzige

und

vieler

islamischer

schnelle

Lösung

Länder ihrer

sahen

oft

die

sozioökonomischen

Probleme.60 Der Erfolg dieser politischen Zielsetzungen setzt jedoch eine Zustimmung seitens des Volkes voraus, die wiederum davon abhängt, inwieweit diese Ziele mit dem vom Islam geprägten Wertesystem übereinstimmen. Aus diesen Gründen erhalten Befürworter einer flexiblen Abtreibungsregelung offizielle Unterstützung, und ihre Stellungnahmen begünstigen zudem einen entsprechenden Gesetzesentwurf wie er in den Ländern Tunesien, Türkei und Pakistan zu finden ist.61 Deutlich gegen diese Entwicklungen richteten sich einige muslimische Intellektuelle und Rechtsgelehrte. In ihren Argumentationen verweisen sie auf das koranische 59

Bauer, Hans (Übers.): Von der Ehe. Das 12. Buch von al-GazÁlÍ’s Hauptwerk [I½yÁ’ þulÚm ad-dÍn], Halle 1917, S. 96. 60 Vgl. Omran, Abdel-Rahim: Population in the Arab World, New York 1980, S. 147-197. 61 Vgl. Elwan, Omaia: Das Problem der Empfängnisregelung und Abtreibung. Die herrschende Auffassung des Staates und der religiösen Kreise in islamischen Ländern, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, 1968, Bd.: 70, S. 57-71 u. Bowen, Donna L: Abortion, Islam, and the 1994 Cairo Population Conference, in: International Journal of Middle East Studies, 29.1, February 1997, S. 168.


17 Tötungsverbot menschlichen Lebens, das die Tötung von Kindern aus Angst vor Armut mit einbezieht. In Sure 17 Vers 31 heißt es: „Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung. Ihnen und euch bescheren Wir doch den Lebensunterhalt. Sie (zu) töten ist eine große Sünde.“62 Sie unterstreichen auch, dass die Geburtenkontrolle eine unmittelbare Anordnung des Westens sei und nur dessen Interessen diene. Anstatt für eine Legitimation der Abtreibung zu stimmen, plädieren sie im Kampf gegen die Armut für eine gerechtere Verteilung der Weltressourcen, für Chancengleichheit und für den Kampf gegen Korruption. Die Position, die einen Schwangerschaftsabbruch nur dann als gerechtfertigt erklärt, wenn eine Schwangerschaft eine Bedrohung für das Leben der werdenden Mutter darstelle,

betrachtet

die

neuen

Forschungsergebnisse

der

Embryologie

und

Humangenetik als Bekräftigung ihrer Argumente. Durch neue Techniken wurde festgestellt, dass sich die menschlichen Organe schon vor dem 120. Tag der Schwangerschaft entwickeln. Ein Embryo oder Fetus mit schlagenden Herzen zu töten ist gewiss emotional eine schwer durchführbare Handlung. Daher sei die Abtreibung vor und nach der Einhauchung der Seele verboten (½aram).63 Aus den oben aufgeführten Argumenten dürfte klar werden, dass es noch keinen Konsens unter den Rechtsschulen bezüglich des Status des Embryos gibt. Die Realität, dass sogar innerhalb einer Rechtsschule unterschiedliche Meinungen vorliegen, ist auf die systemimmanenten Dynamiken der islamischen Urteilsfindung zurückzuführen.64 4.2 Embryonenforschung Aufgrund

der

ungünstigen

wirtschaftlichen

und

wissenschaftlichen

Lage

der

muslimischen Länder gehören die moralischen Fragen der Embryonenforschung bis jetzt weder in der Öffentlichkeit noch in der scientific community zu den kontrovers diskutierten Themen. Betrachtet man jedoch die schnelle Verbreitung der modernen Reproduktionstechniken in den letzten 20 Jahren in der islamischen Welt, so ist eine unmittelbare Konfrontation mit diesen Fragen absehbar. Die Diskussionen sind relativ 62

Und ebenso Sure 6/151, Sure 5/32 u.a. Vgl. Abdul-Rauf, Muhammad: The Islamic View of Women and the Family, New York 1977, S. 126; ÉaltÚt, MahmÚd: Al-IslÁm, ‘AqÍda wa ÉarÍ‘a, Kairo 1965, S. 218-237, Khoury, Abtreibung, 24-25 u.a. 64 Vgl. Macdonald, Duncan B.: Development of Muslim theology, jurisprudence and constitutional theory, New York 1903; Schacht, Joseph: The Origins of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1975; Rahman, Fazlur: Law and Ethics in Islam, in: Ethics in Islam, R. G. Hovannisian (Hrsg.), Malibu 1985, S. 3-15; Motzki, Jurisprudenz, S. 1-292 u.a. 63


18 neu, und es gibt kaum etablierte und ausgearbeitete Positionen über die moralische Beurteilung

der

menschlichen

Embryonenforschung.

Da

die

embryonale

Stammzellenforschung mit der Tötung des Embryos verbunden ist, wurde sie von vielen Autoritätskreisen mit einem Schwangerschaftsabbruch gleichgesetzt. Daher ist es nicht überraschend, wenn in der Argumentation der Fokus auf den Moment der Beseelung des Embryos gelegt wird. Dazu der arabische Rechtswissenschaftler Isam Ghanem: „Embryo Research is (...) legal under Islamic Jurisprudence provided the foetus is under 120 days old and provided both the mother and husband together consent to such research.“65 Die Stellungnahme der „The First International Conference on Bioethics in Human Reproduction Research in the Muslim World“ im Jahr 1991 argumentiert mit dem im europäischen Diskurs problematischen Begriff „prä-embryo“66 und plädiert für eine Forschung mit Embryonen, die nach einer In-vitro-Fertilisation übrig geblieben sind. „The

excess

number

of

fertilized

eggs

(pre-embryo)

can

be

preserved

by

cryopreservation. (...) These pre-embryos can be used for research purposes on methods of cryopreservation provided a free and informed consent is obtained from the couple.“67

Hervorgehoben wird in dieser Stellungnahme das Einverständnis des

rechtlich verheirateten Ehepaares, die Ausschließung kommerzieller Interessen und klare,

wissenschaftlich

nachvollziehbare

therapeutische

Forschungsziele.68

Eine

ähnliche Einstellung pflegt auch „The Fiqh Council of North America“, das aus in den USA lebenden Medizinern, Rechtsgelehrten und Islamwissenschaftlern besteht. In ihrer 2001 veröffentlichten Stellungnahme plädieren sie dafür, nicht eingepflanzte Embryos für Forschungszwecke zu verwenden. 69 Diese und ähnliche Argumente sind jedoch nur dann vertretbar, wenn man die islamrechtliche Position, die eine Abtreibung auch ohne einen triftigen Grund bis zum 40. bzw. 120. Tag erlaubt, als Entscheidungsgrundlage nimmt. Diejenigen Positionen 65

Ghanem, Isam: Embryo Research: An Islamic Response, in: Medicine, Science and the Law, Vol. 32, No. 1, January 1991, S. 14. 66 Vgl. Jones, D. Gareth u. Telfer, Barbara: Before I was an Embryo, I was a Pre-Embryo: Or was I?, in: Bioethics 9, 1995, S. 32-49. 67 Serour, Gamal I. U. Omran Abdal-Rahim (Hrsg.): Ethical Guidelines for Human Reproduction Research in the Muslim World, Cairo 1992, S. 30-31 u. Vgl. Serour, Gamal I.: Islamic Developments in Bioethics, in: Theological Developments in Bioethics:1992-1994, A. Lustig (Hrsg.), Dordrecht 1997, S. 171-188. 68 Vgl. Serour, Islamic Developments, S. 176 f. 69 Vgl. http://www.fiqhcouncil.org/articles/EmbronicStem-CellResearch.asp (14.08.2002).


19 aber, die eine Abtreibung - solange eine Schwangerschaft das Leben der werdenden Mutter nicht gefährdet als absolut verboten erklären, sollten die Forschung an embryonalen Stammzellen kategorisch ablehnen. Komplizierter scheint es, über den Standpunkt zu urteilen, der die Tötung eines Embryos nur dann erlaubt, wenn triftige Gründe vorliegen. Vertreter dieser Position müssen beantworten ob die Forschung an Embryonen aufgrund der Hoffnung, Therapieformen für bestimmte Krankheiten zu finden, gerechtfertigt sei. Dies zu Rechtfertigen scheint aber nicht einfach zu sein, wenn man dabei die klassischen Argumente, die eher familiäre und soziale Bedingungen vor Auge hatten, berücksichtigt. Da es sich um andere Intentionen und Handlungsziele handelt,

ist

eine

kasuistische

Positionsbestimmung

mit

mehreren

methodischen

Problemen behaftet. Die Bedeutung der medizinischen Forschung und die Frage nach der gerechten Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen sind weitere zentrale Punkte bei der Beurteilung der Embryonenforschung.70 Die Forschung am menschlichen Embryo setzt Know-how, finanzielle Ressourcen und eine entsprechende Infrastruktur voraus. Kaum eines der muslimischen Länder ist in der Lage, alle diese genannten Voraussetzungen zu erfüllen.

In

vielen

muslimischen

Ländern

fehlen

die

nötigen

Mittel

für

eine

medizinische Grundversorgung. Unter diesen Umständen scheint es sinnvoll zu sein, die vorhandenen

Ressourcen

im

Gesundheitswesen

für

die

dringenste

medizinische

Versorgung einzusetzen. Die finanziellen Ressourcen aber anstatt für dringende Fälle wie

Impfungen,

Infektionstherapie,

Embryonenforschung möglicherweise

zu

oder

verwenden,

realisierbaren

Notoperationen

würde

Leidenslinderungen

bedeuten, über

zu

nutzen,

die die

in

für

der

jetzigen

die

Zukunft

zum

Teil

lebensrettenden medizinischen Maßnahmen zu stellen. 4.3 Das Klonen In der Natur kommt das Klonen in unterschiedlicher Formen vor. Bei vielen niederen Tieren und den meisten Pflanzen geschieht die vegetative Vermehrung durch das Klonen als eine normale Form der Fortpflanzung. Bei Säugetieren aber auch beim Menschen kommt eineiige Zwillingsbildung (monozygotische Zwillinge) auch durch das

natürliche

Klonen

vor.

Im

Labor

kann

eine

identische

Mehrlingsbildung

(Embryosplitting) durch ein mikrochirurgisches Teilungsverfahren künstlich hergestellt 70

Vgl. Sachedina, Abdulaziz: Human Clones: An Islamic View, in: The Human Cloning Debate, G. McGee (Hrsg.), California 1998, S. 241.


20 werden. Dazu sind beim Menschen maximal bis zum 8-Zell-Stadium entnommene totipotente Zellen, die sich selbstständig zu einem Embryo entwickeln können, nötig. Gegenstand unserer Diskussion sind hauptsächlich das reproduktive und therapeutische Klonen. Unter dem Begriff „reproduktives Klonen“ ist folgendes zu verstehen: Die asexuelle

und

klontechnische

Erzeugung

eines

Menschen

mit

Hilfe

eines

Zellkerntransfers in die entkernte Eizelle und deren Implantierung in die Gebärmutter der Frau. 71 Dagegen geht es beim therapeutischen Klonen um die klontechnische Erzeugung menschlicher Embryonen und Zellen für therapeutische Zwecken.72 4.3.1 Reproduktives Klonen Der Nachkommenschaft, die das Fundament für die Erhaltung der menschlichen Gattung darstellt, wird im islamischen Glauben eine zentrale Bedeutung beigemessen. Diese

Wertschätzung

hat

für

eine

positive

Einstellung

gegenüber

modernen

Reproduktionstechniken gesorgt und hat deren rasante Verbreitung in der islamischen Welt gefördert. Ist eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege oder mit Hilfe anderer medizinischer Maßnahmen nicht möglich, so ist eine In-vitro-Fertilisation zu bejahen. Obwohl eine Befruchtung durch In-vitro-Fertilisation mit Hilfe einer dritten Person und durch technische Eingriffe außerhalb des Mutterleibes stattfindet, wird sie kategorisch genauso wie die natürliche Befruchtung beurteilt. Diese mehrheitliche Akzeptanz von seiten der Gelehrten und muslimischen Intellektuellen ist jedoch mit bestimmten Bedingungen verbunden: Sowohl die Eizelle als auch die Samen sollen von rechtsgültig verheirateten Ehepartnern stammen und die befruchtete Eizelle soll in die Gebärmutter der Ehefrau implantiert werden.73 Die qualitativen Unterschiede zwischen In-vitro-Fertilization und dem reproduktiven Klonen schließen eine äquivalente moralische Beurteilung beider Technikanwendungen

71

Die Debatten über Embryosplitting, die auch unter dem Begriff reproduktives Klonen zu behandeln sind, werden in diesem Aufsatz nicht berücksichtig. 72 Vgl. Hillebrand, Ingo et al. (Hrsg.): Klonen, Stand der Forschung, ethische Diskussion, rechtliche Aspekte, Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, Stuttgart 2001, S. 11-22; Badura-Lotter, Gisela: Embryonale Stammzellen - naturwissenschaftlicher Sachstand und ethische Analyse, in: Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin im interdisziplinären Dialog, E.-M. Engels et. al. (Hrsg.), Baden Baden 2001, S. 56-95. 73 Vgl. Krawietz, Birgit: Die ¼urma: schariatrechtlicher Schutz vor Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit nach arabischen Fatwas des 20. Jahrhunderts, Diss., Berlin 1990, S. 210-221; Diyanet ÏÐleri BaÐkanlïºï (Hrsg.): Fetvalar, Ankara 1995, S. 101-102; Ebrahim, Biomedical Issues, S. 85-118; Ghanem, Isam: The Response of Islamic Jurisprudence to Ectopic Pregnancies, Frozen Embryo Implantation and Euthanasia, in: Arab Law Quarterly, Vol. 4, 1989, S. 346; Rispler-Chaim, Vardit: Islamic Medical Ethics in the Twentieth Century, Leiden 1993, S. 19-27.


21 aus. Daher verlieren die für die In-vitro-Fertilization akzeptierten ethischen Argumente ihre Bedeutung, wenn es um das reproduktive Klonen geht. In letzterem Verfahren werden die 23 mütterlichen Chromosomen aus der Eizelle entfernt, und in eine „entkernte“ unbefruchtete Eizelle wird dann der Zellkern einer somatischen Zelle mit 46 Chromosomen implantiert. Danach wird diese neue Zelle in einem mikroelektronischen Feld zur Zellteilung stimuliert. Der durch dieses Verfahren entstehende Embryo trägt ein Erbmaterial, das mit dem des Spenders weitgehend identisch ist.74 Somit besitzt der geklonte Embryo entweder väterliches oder mütterliches Erbgut, bei einer natürlichen Befruchtung besitzt der Embryo hingegen das genetische Programm beider Elternteile. In so einer Situation ist es kaum möglich von einem klassischen Vater- und Muttersein zu sprechen. Diese Art von Kinderzeugung würde deshalb vermutlich schwerwiegende Auswirkungen auf die islamische Familienstruktur haben, die im Gesellschaftsleben mit enormen

sozialen

und

Verwandtschaftsbeziehungen Umgangsformen

juristischen

bestimmen

muslimischer

Problemen

wesentlich

Gemeindemitglieder.

die

verbunden Interaktionen

Eine

wäre. und

Verwischung

die der

Abstammungslinie würde soziale Rollen und religiös-ethische Pflichten in Frage stellen. Ebenso würden familienrechtliche, strafrechtliche u. a. juristische Entscheidungen ein unlösbares Ausmaß einnehmen. Muhammad Sayyid Tantawi, der Großmufti von der Al-Azhar Universität in Kairo, hebt in diesem Zusammenhang in seiner Argumentation nasab (Abstammung) hervor. Da das Klonen in der Abstammungslinie Verwirrung verursachen würde und somit auch im sozialen Leben chaotische Zustände veranlassen würde, ist es mit der Scharia (religiöses Gesetz des Islam) nicht vereinbar. Ähnlich wurde das reproduktive Klonen auch in der offiziellen Stellungnahme von Diyanet ÏÐleri BaÐkanlïºï (der Präsidium für religiöse Angelegenheiten) der türkischen Republik als haram (verboten) erklärt.75 Die Abweichung von der natürlichen Zeugungsart steht auch im Widerspruch zur im Koran explizit genannten Schöpfungsgewohnheit Gottes. In Sure 49 Vers 13 heißt es: „O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und einem weiblichen Wesen 74

Abgesehen von den in der Eizelle vorhandenen mitochondrialen DNA. Offizielle Antwort auf meine Anfrage vom 8.8.2002. Vgl. zur detaillierten Begründung der Position von Diyanet ÏÐleri BaÐkanlïºï und Yaman, Ahmet: Klonlama ya da genetik Kopyalamaya Ïslam Hukuku açïsïndan bir yaklaÐïm, in: Diyanet Ïlmi Dergi, Nr. 34/8, 1998, S. 21-41; Yaman, Ahmet: Ïslam Hukuku açïsïndan genetik kopyalama , in: Diyanet Aylïk Dergi, Dezember 2000, Karaman, Hayrettin: Genetik Kopyalama, in: Yeni Ëafak, 9.3.1997, S. 2. 75


22 erschaffen.“ Da das reproduktive Klonen die natürliche Entstehung eines Menschen von „einem männlichen und einem weiblichen Wesen“ ausschließt, stellt diese Verfahren einen Gegenpart zu Gottes Schöpfungsart dar. Durch den negativen Einfluss auf die menschliche Diversität steht dieses Verfahren erneut im Konflikt mit dem islamischen Menschenbild.76 Der Koran erklärt die Menschen mit ihren unterschiedlichen Farben, Nationen und Sprachen sowie die Artenvielfalt in der Natur als einen gottgewollten Zustand. Dazu folgendes Zitat aus dem Koran: „Zu seinen Zeichen gehört die Erschaffung des Himmels und der Erde, und auch die Verschiedenheit eurer Sprachen und Arten. Darin sind Zeichen für die Wissenden.“77 Ein weiteres praktisches Problem, das mit der Technik des Klonens verbunden ist, würde eine bereits vorhandene negative Einstellung dieser Technik gegenüber noch verstärken: Wenn man bedenkt, dass das Klonen von Dolly erst nach dem 278. Versuch gelungen ist, so muss man am Anfang solcher Versuche in Kauf nehmen, dass Eizellen, die nicht von der werdenden Mutter stammen, verwendet werden müssen. Da es bereits in den Diskussionen, die im Rahmen der In-vitro-Fertilation durchgeführt wurden, eine kategorische Ablehnung der fremden Eizellen gibt, wird die Zustimmung zu einer solche Praxis nicht leicht fallen. Basierend auf den skizzierten Argumenten ist in der islamischen Welt von einer allgemeinen Ablehnung des reproduktiven Klonens zu sprechen. Munawar Ahmad Anees,

der

pakistanische

Biologe

und

Islamwissenschaftler,

unterstreicht

den

Unterschied zwischen dem Wesen des reproduktiven Klonens und den koranischen Paradigmen. „The Quranic paradigm of human creation, it would appear, preempts any move towards cloning. From the moment of birth to the point of death, the entire cycle is a Divine act. The humankind is simply an agent, a trustee of God and the body a trust from God. As such, any replication is simply a redundant act. In the absence of a Quranic axiom on body as property, genetic policing would appear to be quite unethical.“78

76

Vgl. Sachedina, Human Clones, S. 233. Sure 30/23. 78 Anees, Munawar A.: Re-defining the Human: Triumphs and Tribulations of Homo xeroxiens, Paper presented at the International Conference on Cloning, 4-5.4.1998 Dubai, S. 5, http://www.dranees.org/xerox.htm (13.08.2002)) 77


23 Einen anderen Standpunkt konzipiert Abdulaziz Sachedina, Professor für islamische Studien an der Universität Virginia in den USA. Er unterstreicht die Partnerschaft zwischen Gott und Mensch beim Schöpfungsakt und betrachtet die humangenetischen Eingriffe im früheren Stadium der embryologischen Entwicklung, die zum Ziel haben, Menschen zu dienen, als nachvollziehbar. „As participants in the act of creating with God, human beings can actively engage in furthering the overall well-being of humanity by intervening in the works of nature, including the early stages of embryonic development, to improve human health“.79 Er stützt sich dabei zunächst auf diejenigen Beseelungstheorien, die Beschützung des Embryos vor seiner Beseelung als nicht relevant ansehen. Des weiteren benutzt er eine theologische Argumentation, nämlich, dass der Mensch von Natur aus nicht in der Lage ist den göttlichen Willen zu beeinflussen und seine Gesetze zu verändern. Da der Mensch nicht in der Lage sei, außerhalb des göttlichen Willens zu handeln, könnte dieser humangenetische Eingriff der Forscher auch als Wille Gottes interpretiert werden. „Hence, in Islam human manipulation of genes made possible by biotechnical intervention in the early stages of life in order to improve the health of the fetus or cloning in the meaning of embryo splitting for the purpose of improving the chances of fertility for a married couple is regarded as an act of faith in the ultimate will of God as the Giver of all life.“80 Ähnlich wie Sachedina argumentiert sein Kollege Ali Engineer und behauptet, dass nach dem Geist des Korans das Klonen nicht völlig abgewiesen werden kann. Der Mensch als göttliches Geschöpf kann und darf mit seinem von Gott geschenktem Intellekt zur Verbesserung der Lebensqualität auf dieser Erde beitragen. „Die Teilnahme am Schöpfungsprozess durch diese vom Menschen erdachten Technologien zur Verbesserung der Lebensqualität und der Verlängerung der Lebensspanne, ist ein wahrer Akt des Gottesdienstes.“81 Zweifelsohne darf die Einstellung des schiitischen Schaichs al-Harandi im Iran als extremste innerhalb der islamischen Welt bezeichnet werden: Nach ihm kollidiert weder das reproduktive noch das therapeutische Klonen mit den Unterweisungen Gottes. Das 79

Sachedina, Abdulaziz: Islamic perspectives on Cloning, http://www.people.virginia.edu/~aas/issues/cloning. htm, S. 2. (1.8.2002) 80 Ebd. 81 Engineer, A. Ali: Naturverhältnis des Menschen und Mitwirkung an der Schöpfung durch Technik in der Sicht des Islam, in: Natur und Technik in den Weltreligionen, Peter Koslowski (Hrsg.), München 2001, S. 68.


24 Klonen sei eine andere Art von Schöpfung, die von Gott dem Menschen zu seinem eigenen Wohl zur Verfügung gestellt worden ist. Ebenso wie Sachedina unterstreicht er, dass Klonen von Menschen nicht mit der Schöpfung Gottes zu identifizieren ist. AlHarandi hat auch kein Problem damit, wenn durch diese Art und Weise Genies wie Einstein und Beethoven auf die Welt gebracht werden. Denn auch in der islamischen Geschichte gibt es genügend Praktiken, die Muslime vor der Geburt oder Befruchtung praktiziert haben um den Charakter, Eigenschaften und Geisteskraft des werdenden Kindes

positiv

zu

beeinflussen.

Weder

das

mögliche

Chaos

in

den

Verwandtschaftsverhältnissen noch das Missbrauchspotential sind für ihn ausreichende Argumente um diese oder ähnliche wissenschaftliche Tätigkeiten zu verbieten.82 4.3.2 Therapeutisches Klonen Selbst befürwortende Naturwissenschaftler des sog. therapeutischen Klonens vertreten die Ansicht, dass es bei der Anwendung dieser Methode in einer absehbaren Zeit nicht um Behandlung oder Heilung von bestimmten Krankheiten geht. In der Zukunft wären jedoch Organ- und Gewebezüchtung für Transplantationszwecken oder Verhinderung oder Heilung von Erbkrankheiten einige denkbaren Anwendungsbereiche. Organe wie Leber, Herz oder Niere mit Hilfe dieser Technik für die Transplantationszwecke im Labor zu schaffen, schätzen Experten „von heute aus gesehen [als] utopisch“ 83 ein. In Frage käme Gewebezüchtung von geklonten embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) oder Keimzellen (EG-Zellen), mit dem Zweck, einige Krankheiten wie Parkinson, Multiple Sklerose etc. zu behandeln. Diese Anwendung befindet sich noch in der tierexperimentellen Phase und über die Erfolgsaussichten für den Menschen kann mit Klarheit noch nicht viel gesagt werden. Im Gegensatz zum reproduktiven Klonen wurde in der islamischen Welt bis jetzt das therapeutische Klonen sehr wenig thematisiert und diskutiert. Man begnügt sich eher mit der Akzentuierung der positiven Einstellung des Islam zu therapeutischen Zielen. Dagegen werden den Nutzen für eine dritte Person auf Kosten der Tötung der Embryonen kaum thematisiert.

82

Vgl. Rispler-Chaim, Vardit: Genetic Engineering in Contemporary Islamic Thought, in: Science in Context, Vol. 11, Nr. 3-4, 1998, S. 567-573. 83 Vgl. Roloff, E. Klaus: Therapeutisches Klonen. Klonen und Stammzellforschung in der medizinischen Realität, in: Rheinische Merkur, Nr. 7, 16.02.2001.


25 In Anlehnung an Beseelungsargumente ist für eine islamische Beurteilung des therapeutischen Klonens zunächst der Zeitpunkt der Gewinnung von embryonalen Stammzellen oder embryonalen Keimzellen, die mit der Tötung des Embryos verbunden ist, wichtig. Gewinnt man die ES-Zellen am 3. oder 5. Tag nach der Befruchtung (p. c.) so wird die Position, die bis zum 40. Tag die Tötung des Embryos ohne triftigen Grund erlaubt, dieses Verfahren billigen. Die Position, die einen triftigen Grund

voraussetzen,

müssen

beurteilen

ob

für

sie

die

Gewebezüchtung

für

therapeutische Zwecke ein gültiges Argument ist. Dabei sollte man natürlich auch den experimentellen

Charakter

dieses

Verfahrens

nicht

aus

den

Augen

verlieren.

Problematischer wird für beide Positionen in unterschiedlichem Maße die Gewinnung der EG-Zellen aus 6 Wochen alten oder älteren Embryonen. Für die Position, welche die Tötung eines Embryos kategorisch ablehnt und nur unter der Bedingung der Lebensgefährdung der werdenden Mutter für zulässig erklärt, scheinen keine von diesen Gewinnungsarten akzeptabel zu sein. Durchaus denkbar ist auch ein geklontes Kind mittels Nukleustransfermethode auf die Welt zu bringen, um seine Niere dem Zellkernspender zu transplantieren. In dieser Anwendungsart wird nicht die geklonte Person sondern eine dritte von diesem Verfahren profitieren. Diese oder oben genannte Anwendungstechniken, bei denen die Nutzer dieser Anwendung nicht gleichzeitig die geklonte Person selbst sind, kommt die Verdinglichung und Instrumentalisierung des geklonten Embryos in Frage. Wenn man zusätzlich

die

hohe

Sensibilität

des

Islam

bezüglich

der

Abstammungslinie

berücksichtigt, die durch dieses Verfahren sicherlich verwischt wird, so wird es nicht einfach sein dieses Verfahren zu billigen. Aus diesen Gründen ist es schwierig, eine positive

Einstellung

zu

einer

Behandlung

der

Fruchtbarkeitsstörung

durch

Klonierungstechniken zu begründen. 4.4 Gendiagnostik Gendiagnostik wird in medizinischen Laboren für verschiedene Zwecke durchgeführt, was berücksichtigt werden muss um die islamischen Argumente zu diesem Verfahren zu klären. Zunächst ist zwischen der genetischen Untersuchungen vor und nach der Geburt

zu

unterscheiden.

Pränataldiagnostik

(PND)

Vorgeburtliche durch

Untersuchung

Amniozenteze

oder

umfasst

wiederum

Chorionbiopsie

und

Präimplantationsdiagnostik (PID), die Untersuchung der im Labor befruchteten Eizelle


26 auf bestimmte genetische Krankheiten. Neugeborenen Screening, Gentests in der Gerichtsmedizin,

Heterozygotendiagnostik

Rahmen

Vorsorgeuntersuchungen

der

oder

präsymptomatische

gehören

zu

Diagnostik

den

im

nachgeburtlichen

Anwendungsbereichen. Da eine ausführliche Diskussion aller Bereiche den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sollen nun hier nur einige grundsätzliche Argumente zur Gendiagnostik behandelt werden. Wenn eine pränatale Diagnostik nur die Furcht der Eltern vor bestimmten Krankheiten des werdenden Kindes aus dem Weg räumt und damit zu ihrer Beruhigung oder zum inneren

Verarbeiten

Vorbereitung

der

beiträgt,

so

Krankheit ist

sowie

aus

einer

zur

vorsorglichen,

islamischen

organisatorischen

Perspektive

gegen

diese

Anwendungen nichts einzuwenden. Dient aber eine PND nicht den genannten Zwecken, so ist sie unmittelbar mit einem Schwangerschaftsabbruch verbunden. Denn zur Zeit gibt

es

in

den

diagnostizierbaren

meisten genetisch

Fällen

keine

bedingten

pränatale

Krankheiten.

Therapie Schließt

für man

die

pränatal

jedoch

einen

Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer genetischen Krankheit wie z.B. DownSyndrom aus, - eine mehrheitlich vertretene Position unter den muslimischen Gelehrten und Intellektuellen - so werden die Fragen nach dem Sinn und Zweck einer Gendiagnostik nicht leicht zu beantworten sein. Osman Bakar, Professor für Islamwissenschaften aus Malaysia, vertritt die Ansicht, dass der Wunsch nach einem gesunden perfekten Kind nicht mit dem islamischen Menschenbild vereinbar sei. “Islamic Law cannot accept these known defects as a legitimate basis for abortion unless they are deemed to endanger the very life of the mother.”84 Die Berücksichtigung zusätzlicher Risiken bei diesen Verfahren wie eine mögliche Fehldiagnose oder die nicht auszuschließende Schädigung oder Tötung des Embryos bei einer Amniozenteze oder Chorionbiopsie und andere Risiken würden diesen Standpunkt bekräftigen. 85 Eine ähnliche negative Einstellung zur PID ist ebenso zu vertreten, wenn man die Gefährdung des mütterlichen Lebens als einzigen legitimen Grund für die Tötung des Embryos

anerkennt.

Berücksichtigt

man

jedoch

andere

Positionen,

die

den

menschlichen Lebensbeginn wegen der Beseelung zu einem späteren Zeitpunkt

84

Bakar, Osman: The History and Philosophy of Islamic Science, Cambridge 1999, S. 181. „Alle Methoden sind mit einem gewissen eingriffsbedingten Fehlgeburtsrisiko verbunden. Das bis zu 1% für die Amniozentese und bis zu 3% bei der Chorionzottenbiopsie beträgt.“ Propping, Peter: Humangenetik, in: Lexikon der Bioethik, L. Honnefelder et al. (Hrsg.), Bd. 2, Gütersloh 2000, S. 251. 85


27 ansetzen, so kommen andere Argumente, die bereits behandelt worden sind, in Frage. Die Positionen, die zur PID eine positive Einstellung haben, stehen unter der Beweislast, warum eine genetische Krankheit ein triftiger Grund für die Verwerfung des menschlichen

Embryos

sein

soll.

Die

bereits

behandelten

spezifischen

Krankheitsdeutungen machen es aber klar, dass das menschliche Leben im islamischen Glauben nicht erst durch körperliche und geistige Fähigkeiten seinen Wert bekommt. Als edelstes Geschöpf Gottes erlangt das menschliche Leben die Schutzwürdigkeit unabhängig von seinem Gesundheitszustand. Deswegen scheint die Position, die aufgrund einer genetischen Krankheit ein Leben als nicht lebenswert beurteilt, mit einem islamischen Menschenbild nicht vereinbar zu sein. Fokussiert man nur den Zeitpunkt der Beseelung als einzigen Maßstab für den moralischen Status des Embryos, so können PND und PID unterschiedlich bewertet werden. Wegen des relativ frühen Zeitpunktes des Eingriffs, kann die PID als weniger problematisch interpretiert werden als die PND. Der optimale Zeitpunkt für die Chorionzottenbiopsie liegt zwischen dem 70. und 77. Schwangerschaftstag (10.-11. SSW), für die Amniozentese zwischen dem 105. und 129. Tag (15.-17. SSW) und für Fetalblutpunktion ab dem 133. Tag (ab 19. SSW) der Schwangerschaft. Diesbezüglich werden sie von den Positionen, die den 40., 80. oder 120. Tag der Schwangerschaft als Zeitpunkt der Beseelung erklären, dementsprechend beurteilt werden. Es ist jedoch nochmals anzumerken, dass es dabei nicht um die Beurteilung des Diagnoseverfahrens geht, sondern um den mit ihm verbundenen Schwangerschaftsabbruch. Gegen die in Deutschland durchgeführten Neugeborenen Screenings, bei denen die Schäden manche genetischen Krankheiten, die heute noch nicht geheilt werden können, mit entsprechender Diät oder anderen Behandlungsmethoden die Schäden minimiert werden können, ist aus einer islamischen Perspektive nichts einzuwenden. Ebenso wenig

ist

gegen

Strafverfahren Missbrauch

die

der

einzuwenden. der

durch

Personenidentifizierung Die

bekannten

Gendiagnostik

dienenden

und

erlangten

Genomanalysen

berechtigten

Erkenntnisse

Bedenken

durch

den

im zum

Staat,

Lebensversicherer oder Arbeitgeber sind ebenso aus einer islamischen Perspektive zu


28 unterstreichen.86 Ein allgemeiner Konsens herrscht in der islamischen Welt über die Verwerflichkeit der Geschlechtswahl durch PND oder PID. 87 4.5 Gentherapie Gentherapie umfasst die Behandlung einer genetisch bedingten Krankheit durch entsprechende Eingriffe im betroffenen Genomabschnitt. Die dafür benutzten Verfahren beinhalten

derzeit

unterschiedliche

technische

Probleme

bezüglich

Effizienz,

Steuerbarkeit und Wirkungsdauer und befinden sich im experimentellen Stadium. Es kann nicht von einem etablierten Therapieverfahren geschweige denn von klar nachgewiesenen Heilungen im Rahmen von Gentherapien gesprochen werden.88 Auf jeden Fall ist es für die ethische Beurteilung nötig, die somatische Gentherapie und die Keimbahntherapie voneinander zu unterscheiden. Somatische Gentherapie beinhaltet die Korrektur von genetischen Defekten in Körperzellen und ist (zumindest der Absicht nach) auf das behandelte Individuum beschränkt. Dagegen handelt es sich bei einer Keimbahntherapie

um

alle

gentechnische

Eingriffe,

die

in

die

nachkommenden

Generationen vererbt werden. Von technischer Seite her gesehen kann die somatische Gentherapie in ethischer Hinsicht

mit

einem

neuartigen

mikrochirurgischen

Eingriff,

einer

Arzneitherapie,

Impfung oder Substitutionstherapie in Form von Organtransplantationen verglichen werden. 89 Interessanterweise wurde die somatische Gentherapie in den Diskussionen der islamischen Welt oft mit Organtransplantation oder mit Bluttransfusion verglichen. Dazu Mediziner Hathout: „It [gene therapy] is the equivalent of organ transplantation at the molecular level…”90

86

Vgl. Habicht-Erenler, Susanne (Hrsg.): Genom-Analyse an Arbeitnehmern: Schutz oder Auslese?, Evangelische Akademie Loccum, Rehburg-Loccum 1989; Rüdiger, Hugo W.: Genomanalyse in der Arbeitsmedizin, in: Genomanalyse und Gentherapie, H.-M. Sass (Hrsg.), Berlin 1991, S. 68-80; Gabriel, H. Werner: Arbeitsschutz und genetische Analyse, in: Genomanalyse und Gentherapie, H.-M. Sass (Hrsg.), Berlin 1991, S. 101-104 u.a. 87 Vgl. Alfi, Omar u. Hathout, Maher: When the Female Infant, Buried Alive, is Questioned for what Crime was She Killed? –In the 20th Century, in: Bulletin of Islamic Medicine, Vol. 1, Kuwait 1981, S. 416-417. 88 Dennoch sind neue Berichte aus der aktuellen Forschung vielversprechend. Vgl. Bild der Wissenschaft Online, (http://warpsix.dva.de/sixcms/detail.php?id=130375, 17.9.2002) u.a. 89 Vgl. Honnefelder, Ludger: Gentherapie, in: Lexikon der Bioethik, L. Honnefelder et al. (Hrsg.), Bd. 2, Gütersloh 2000, S. 69. 90 Hathout, Hassan: The Ethics of Genetic Engineering: An Islamic Viewpoint, in: Journal of the Islamic Medical Association of North America, Nr.22/3 1990, S. 100.


29 In den Diskussionen über die somatische Gentherapie stehen nicht der genetische Charakter

des

Verfahrens

sondern

dessen

Effizienz

und

Beherrschbarkeit

im

Vordergrund. Eine falsche Integration der transfizierten DNA kann onkogene Wirkung haben und bösartige Neubildungen verursachen. Beim Einsatz viraler Vektoren kann die Gefahr der Entstehung replikationskompetenter Viren nicht völlig ausgeschlossen werden. 91 Skepsis und Vorbehalte dieser Therapieversuche gegenüber intensivierten sich, als der 18-jährige Jesse Gelsinger, der an einer erblichen Leberkrankheit litt, im Verlauf eines Gentherapie-Versuches in den USA starb. Stellt man bei der Beurteilung solcher Verfahren das islamische Prinzip „keine[n] Schaden hinzufügen hat höhere Priorität als Gutes tun“92 in den Vordergrund, so ist eine präzise Folgenabschätzung der therapeutischen Eingriffe und eine Nutzen-SchadenAbwägung nötig. Mangelhafte Erkenntnisse über Wirkungszusammenhänge in diesem Verfahren und fehlende Erfahrung machen eine aussagekräftige Schadenskalkulation unmöglich. Zweifelsohne bestärkt der experimentelle Charakter dieser Heilversuche mit ihrer

gewissen

Unkalkulierbarkeit

die

negativen

Stellungnahmen

zu

solchen

Interventionen. Im weiteren sind die für ein klinisches Humanexperiment gültigen Prinzipien

wie

medizinische

Indikation,

Mitberücksichtigung

der

Alternativen,

Einwilligung des Patienten, Recht auf Therapieabbruch u.a. zu beachten. Skepsis und Vorbehalte gegenüber der somatischen Gentherapie sind jedoch nur in der jetzigen Anfangsphase begründet. Wird so eine Therapiemethode etabliert und erfolgreich angewandt, so gibt es keinen Grund sie abzulehnen. Dieselbe Position ist jedoch aus einer islamischen Perspektive nicht zur Keimbahntherapie zu vertreten. Trotz der bereits genannten Befürworter ist die Keimbahntherapie wegen ihrer therapeutischen Unsicherheit, ihres Embryonen verbrauchenden Charakters und vor allem

der

islamischen

unkalkulierbaren Perspektive

Auswirkung

nicht

vertretbar.

auf

die

Nachkommenschaft

Grundsätzlich

abzulehnen

aus

einer

sind

auch

Anwendungen mit eugenischem Ziel oder Eingriffe, die der Verbesserung bestimmter Eigenschaften dienen (Enhancement).93

91

Vgl. Rispler-Chaim, Genetic Engineering, S. 568. Vgl. Sachedina, Human Clones, S. 240. 93 Vgl. Yaman, Klonlama, S. 26. 92


30 5. Dilemmata zwischen Theorie und Praxis in der islamischen Welt Eine berechtigte Frage wäre welche praktische Bedeutung die dargestellten Positionen über

gentechnischen Anwendungen in der Humangenetik für einen praktizierenden

Muslim bzw. muslimischen Patienten haben. Wie soll eine muslimische Familie mit diesen Entscheidungsformen umgehen, wenn bei ihr aus medizinischen Gründen eine PND oder PID indiziert wird? Für einen die islamischen Normen ernstnehmenden Muslim dient eine religiöse Ratgebung (Fatwa) in seiner theologisch überforderten Situation der Konkretisierung der in den islamischen Quellen existierenden Normen für eine praktische Handlung. Auf ethischer Ebene formuliert, dient das Fatwa dem Muslim zur Beantwortung der Frage: „Was soll ich in dieser Situation als Muslim tun?“ Aber wie ist das Urteil des Mufti aus einer medizinethischen Perspektive und innerhalb des islamischen Rechtssystems zu beurteilen? Ist der Einfluss eines Fatwas als klare Beeinträchtigung der Selbstbestimmung des Patienten zu beurteilen oder hilft ein Fatwa vielmehr dem betroffenen muslimischen Patienten, seine Entscheidung den islamischen Werten gemäß zu treffen, was als Beitrag zu dessen Wohlbefinden zu betrachten ist? Wie verbindlich ist das Fatwa hinsichtlich der theologischen Grundlagen aber auch im praktischen Sinne? Hat es einen Absolutheitsanspruch? Darf die Entscheidung eines Mufti mit konventionellen Methoden als einzig und gottgewollt deklariert werden? Zu diesen Fragen äußert sich der ägyptische Großmufti Tantawi folgendermaßen: „Ich behaupte nicht, dass mein Fatwa oder das eines anderen für die Leute verbindlich ist. Vielmehr werde ich gefragt und verdeutliche dann das religionsrechtliche Urteil, nachdem ich nach Wahrheit und Gerechtigkeit gestrebt und nach den Quellen geforscht habe, bei der Darlegung meines Standpunktes, und danach kann, wer will, die Rechtsauffassung dieses Gutachtens übernehmen.“94 (Hervorhebung von mir) Nicht

nur

die

Entscheidungen

der

Muftis,

die

unterschiedlichen

Rechtsschulen

angehören, können voneinander divergieren, sondern auch die Meinungen innerhalb einer Rechtsschule – wie in den Diskussionen über den Status des Embryos der Fall ist – können sich voneinander unterscheiden. Diese auf innerislamische Dynamiken zurückzuführende Meinungsvielfalt, sowie das Fehlen einer Hierarchie, wie sie etwa in der katholischen Kirche vorzufinden ist, hindern die Verallgemeinerung eines Fatwas.

94

Zitiert bei Kraewitz, ¼urma, S. 35.


31 Solange

kompetent

begründete

unterschiedliche

Entscheidungen

bestehen,

ist es

schwierig, nur eine Beurteilung als einzig gottgewollte Entscheidung zu deklarieren.95

Ein weiterer entscheidender Punkt für die Gültigkeit eines Fatwas in der Praxis ist die religiöse Einstellung des Patienten zum Fatwa-Wesen. Es kann vorkommen, dass der Fragesteller sich mit seiner religiösen Sensibilität bei der Handlungsempfehlung eines Fatwas nicht wohlfühlt und auf die im Fatwa gestattete Haltungen verzichten will. Bei solchen Gelegenheiten wird im Türkischen der Satz, „Hier gibt es die Seite des Fatwas und die Seite der Frömmigkeit“, verwendet. Dies impliziert, dass in manchen Situationen neben der im Fatwa nahegelegten Handlungsentscheidung eine andere, aus der persönlichen Frömmigkeit resultierende Gewissensentscheidung stärkere Gültigkeit beanspruchen kann.

Es existiert in der Praxis eine große Spannbreite persönlicher Frömmigkeitsformen. Diese unterschiedlichen Religiositätsformen veranlassen im Alltag auch verschiedene Entscheidungsoptionen. Für die säkularen Muslime haben die islamischen Vorschriften kaum eine praktische Bedeutung. Es gibt auch Muslime, die ihr Leben mit hoher Sensibilität nach den islamischen Handlungsnormen und Wertvorstellungen gestalten. Die religiöse Ratgebung der Autoritäten wird somit von den Muslimen unterschiedlich wahrgenommen und praktiziert. Ausschlaggebend bleibt für eine Entscheidungsfindung die Wahrnehmung und Interpretation dieser religiösen Ratgebungen von einem Muslim. Sicherlich sieht

die Situation anders aus, wenn diese Argumente in die Gesetze des

jeweiligen Landes einfließen und

den persönlichen Bestimmungen und Handlungen

Grenzen gesetzt sind. 6. Über die Gründe der innerislamischen Argumentationsvielfalt zu bioethischen Themen Oben

wurde

akzentuiert.

bereits

Diese

der

kasuistische

Entscheidungsformen

Charakter

der

islamischen

Urteilsfindung

sind

auf

äquivalente

Erstprämissen

stets

angewiesen, die für eine angemessene Schlussfolgerung unerlässlich sind. Fehlt einer der erforderlichen Erstprämissen bzw. ein äquivalenter Fall wie es etwa bei der 95

Vgl. zur weiteren Problematiken des heutigen Fatwa-Wesens Ilkilic, Ilhan: Der muslimische Patient. Medizinethische Aspekte des muslimischen Krankheitsverständnisses in einer wertpluralen Gesellschaft, Münster 2002, S. 110-119 u. Ilkilic, Ilhan: Patientenautonomie und der muslimische Patient in einer wertpluralen Gesellschaft, in: Concilium, Internationale Zeitschrift für Theologie, 37. Jahrgang, Heft 4, Oktober 2001, S. 510-521.


32 Forschung an embryonalen Stammzellen der Fall ist, so können bei der Urteilsfindung mehrere Schwierigkeiten entstehen. Neben diesen systemimmanenten Probleme tragen auch

andere

Komponenten

in

diesem

Diskurs

zur

Argumentationsvielfalt

der

innerislamischen Diskussion über bioethische Themen bei. Sicherlich prägen die Argumente, die um den moralischen Status des Embryos und die Einstellung zu modernen Naturwissenschaften und „westlichen Technik“ kursieren, diesen Diskurs mit. Eine Analyse dieser Beurteilungsformen wird uns mehr Klarheit über den Aufbau und den Charakter der Dilemmata in der islamischen Welt schaffen. 6.1 Innerislamischer Diskurs über den moralischen Status des Embryos Die entscheidende Fragestellung für die moralische Beurteilung der Embryonentötung ist, ob das menschliche Leben nach islamischer Lehre zu diesem Zeitpunkt bereits angefangen hat. Wie bereits erwähnt, ist für diese Bewertung die Beseelung des Embryos maßgeblich. Eine Analyse dieser Argumentationsweisen erfordert jedoch die Klärung des Zusammenhangs zwischen Beseelung und Schutzwürdigkeit des Embryos. Denn weder in den Koranversen noch in den Hadithen sind explizite Aussagen über dieses Verhältnis zu finden. Die Schutzwürdigkeit bzw. Nicht-Schutzwürdigkeit der unbeseelten Embryo hängt davon ab, inwiefern die Beseelung die Qualität und das Wesen des Embryos verändert. Verändert sie den Wert des Embryos - wie al-GhazzÁlÍ behauptet

-

nur

graduell,

dann

könnte

man

daraus

schwierig

eine

„Nicht-

Schutzwürdigkeit“ des Embryos ableiten. Um den Embryo vor seiner Beseelung als nicht schutzwürdig zu erklären, würde bedeuten, dass die Beseelung eine kategorische Veränderung für den moralischen Status des Embryos darstelle. Der Charakter dieser Diskurse wurde bis heute nicht von philosophisch-theologischen Argumentationen sondern eher von methodisch bedingten Stellungnahmen und praktischen Problemen geprägt. Für

eine

strafrechtliche

Verfolgung

einer

Abtreibung

ist

die

Feststellung

der

Schwangerschaft nötig. Trotz einiger unsicheren Schwangerschaftstests waren im islamischen

Mittelalter

charakteristischen

die

Veränderungen

mehrmals am

ausbleibende

Mutterleib

Menstruation

sichere

Anzeichen

und

die

für

eine

Schwangerschaft, die aber einen langen Beobachtungszeitraum voraussetzen.96 Ebenso war es mit den damaligen Diagnosemitteln schwierig, frühzeitig festzustellen, ob das 96

Vgl. zur Schwangerschaftstests im islamischen Mittelalter Weisser, Ursula: Zeugung, Vererbung und pränatale Entwicklung in der Medizin des arabisch-islamischen Mittelalters, Erlangen 1983, S. 154-159.


33 Abgetriebene ein Embryo bzw. ein Fötus war, oder ob es sich um etwas anderes handelte. Auch wenn man damals einen früheren Zeitpunkt, den Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle als Beginn des menschlichen Lebens ausgewählt hätte, so fehlte die technische Ausrüstung, um eine Schwangerschaft feststellen zu können. Diese und ähnliche

Schwierigkeiten,

die

in

den

gegenwärtigen

fachlichen

islamrechtlichen

Diskussionen kaum berücksichtigt werden, könnten Gründe für die relativ lange Frist 120 Tage - sein, um damals eine ungerechte Strafe für den/die mutmaßliche/n Täter/in zu verhindern.97 Die Durchsetzung der kasuistischen Urteilsfindung in der islamischen Rechtslehre hat auch unmittelbar den Diskurs um den Status des Embryos beeinflusst. Bis heute argumentieren vor allem Rechtsgelehrte mit Analogieschlüssen, die auf klassische Argumente der islamischen Geistesgeschichte basieren. Dieses kasuistische Verfahren stößt

jedoch

an

ihre

Forschungszwecke

Grenzen,

geht.

In

wenn der

es

um

Tötung

klassischen

der

Embryonen

Beurteilung

für eines

Schwangerschaftsabbruchs werden die Konflikte, die die Mutter, die Familie oder die Gesellschaft direkt betreffen, unter die Lupe genommen und mit anderen Gütern abgewogen. Zweifelsohne ist es problematisch, wenn man diese Art von Urteilsfindung äquivalent als Entscheidungsgrundlage für die embryonenverbrauchende Forschung benutzt. Denn die abzuwägenden Güter sind von unterschiedlicher Qualität. Abgesehen von diesen Schwierigkeiten in der Urteilsfindung entwickelten sich in der zweiten

Hälfte

des

zwanzigsten

Jahrhunderts

neue

Annäherungsweisen

zum

Schwangerschaftsabbruch, welche auch die Diskussionen um den Status des Embryos unmittelbar beeinflussten. Eine eher von muslimischen Intellektuellen und Ärzten vertretene Position distanziert sich von den Beseelungstheorien und weist vielmehr auf den Tötungsverbot des Menschen bzw. der Kinder im Koran hin. 98 Wie oben bereits detaillierter behandelt, waren der Ausgangspunkt dieser Stellungnahmen die in den 60’er und 70’er Jahren geführten Diskussionen um die Geburtenbeschränkung. Diese 97

Es ist dabei sinnvoll anzumerken, dass nach islamischem Recht die Wartezeit einer Frau nach ihrer Scheidung (idda) auch ca. 120-130 Tage beträgt. Grund dafür ist nicht zuletzt die Klarstellung einer möglichen Schwangerschaft bzw. die Feststellung des Vaters des werdenden Kindes. Diese nicht zufällig ähnliche Frist scheint eine Unterstützung meiner Argumentation zu sein. Vgl. Al-Qaradawi, Jusuf: Erlaubtes und Verbotenes im Islam, übers. aus d. Arabischen v. A. v. Denffer, München 1989, S. 173187. 98 Abdul-Rauf, Muhammad: The Islamic View of Women and the Family, New York 1977, S. 126; ÉaltÚt, ÉarÍ‘a, S. 218-237; Khoury, Abtreibung, 24-25 u.a.


34 eindeutig negative Einstellung zur Abtreibung begründete sich eher durch den Zusammenhang

zwischen

Geburtenkontrolle

in

den

muslimischen

Ländern

und

westlichen Interessen. Nicht zuletzt haben die neuen Erkenntnisse in der Embryologie und vor allem die Visualisierung der embryonalen Entwicklung im Mutterleib die Emotionen der Muslime enorm beeinflusst und unabhängig von den Beseelungstheorien eine positive Einstellung zum Embryonenschutz geprägt. Durch „The First International Conference on Islamic Medicine“ im Jahre 1981 in Kuwait

bekam

diese

Einstellung

einen

anderen

Status.

Im

Gegensatz

zu

Beseelungstheorien spricht der sogenannte Islamic Code of Medical Ethics, der nach dieser Konferenz deklariert worden ist, von der Heiligkeit des menschlichen Lebens auch im Mutterleib und schreibt dem Embryo eine gewisse Schutzwürdigkeit zu. Nur aufgrund medizinischer Notfälle kann eine Schwangerschaft abgebrochen werden. „The sanctity of life covers all its stages including intrauterine life of the embryo and fetus. This shall not be compromised by the Doctor save for the absolute medical necessity recognised by islamic jurisprudence.“99 Derselbe Kodex beinhaltet jedoch keine Explikationen zur Embryonenforschung. Die anderen institutionellen Stellungnahmen wie etwa die der „First International Conference on Bioethics in Human Reproduction Research in the Muslim World“ im Jahr 1991100 oder die der „The Fiqh Council of North America“ im Jahr 2001101 befürworten eher einen pragmatischen Ansatz, wenn es um die Forschung mit den von der In-vitro-Fertilisation übrig gebliebenen Embryos geht. Ihr Plädoyer ist: Anstatt diese Embryonen wegzuwerfen, ist es sinnvoll, sie für Forschungszwecke zu nutzen. Die etablierten ethischen Diskussionen haben uns zeigen können, dass diese Art von Argumentationen mit mehreren Einwänden verbunden sind,102 die ebenfalls aus einer islamischen Perspektive heraus vertretbar sind.

99

Islamic Code of medical ethics, Kuwait Document, International Organization of Islamic Medicine (Hrsg.), Kuwait 1981, S. 66. 100 Vgl. Serour, Gamal I. (Hrsg.): Proceedings of the first International Conference on Bioethics in Human reproduction Research in the Muslim World, December 10-13, 1991, 2 Vols., International Islamic Center for Population Studies and Research, Al-Azhar University (Org.), Cairo 1992. 101 Vgl. zur vollständigen Stellungnahme http://www.fiqhcouncil.org/articles/EmbronicStemCellResearch.asp (14.08.2002). 102 Vgl. Badura-Lotter, Embryonale Stammzellen, S. 56-95.


35 6.2 Innerislamischer Diskurs über die modernen Naturwissenschaften, Biomedizin und „westliche Technik“ Die

Stellung

zu

den

modernen

Naturwissenschaften

und

angemessenen

Umgangsformen mit der „westlichen Technik“ waren für die Muslime schon ab dem 18. Jahrhundert

Gegenstand

kontroverser

Diskussionen.

Die

allgemeine

positive

Einstellung des Islam zu den Natur- und Geisteswissenschaften einerseits, die von der islamischen Wissenschaftsgeschichte bezeugt wird, und der unverkennbare säkulare Charakter der modernen Wissenschaften und ihre Anwendungsformen andererseits, die oft

mit

den

Grundnormen

des

Islam

kollidieren,

bestimmen

bis

heute

die

Hauptpositionen dieser Diskurse. Zweifelsohne haben diese Ansätze einen klaren Einfluss auf die Argumente, die im Rahmen der modernen Biomedizin bzw. Gentechnik vertreten sind. Mit Berücksichtigung der oben behandelten Problemfelder können diese Positionen in zwei Hauptgruppen aufgeteilt werden. 6.2.1 Prowissenschaftlich konsequentialistische Ansätze Die Mehrheit der Ansätze, die in dieser Gruppe zu subsummieren sind, betrachtet die modernen Naturwissenschaften wertfrei. Die in diesen Wissenschaften angewandten Methoden sind neutral, objektiv und beinhalten keine philosophische und ideologische Komponente. Auch ist zwischen einer westlichen Weltanschauung und der Technik als Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis kein unmittelbarer Zusammenhang festzustellen. Es gibt nur gute und schlechte Zielsetzungen, die mit Hilfe dieser Techniken erreicht werden können. Solange diese Wissenschaften und Techniken den islamisch vertretbaren Zielen dienen, ist gegen sie nichts einzuwenden. Die durch diese Techniken entstandenen Umwelt- und Gesundheitsprobleme der Gegenwart können wieder durch weitere Wissenschaftserkenntnisse und Technik gelöst werden. 103

Die

gegenwärtigen

modernen

Naturwissenschaften

sind

nur

eine

weiterentwickelte Form der damals von den Muslimen übernommenen Wissenschaften. Die

jetzige

Rückständigkeit

der

muslimischen

Länder

im

Bereich

der

Naturwissenschaften und Technik ist nur durch Abwendung von den islamischen Grundprinzipien erklärbar. „Unfortunately, the Muslims deviated from the Islamic path

103

Vgl. Kalin, Ibrahim: Three Views of Science in the Islamic World, in: God, Life and the Cosmos: Christian and Islamic Perspectives, T. Peters et al. (Hrsg.), Hampshire 2002, (im Druck); erreichbar unter http://home.gwu.edu/~sh669h/Articles/Three-Views-of-Science.htm.


36 and fell down from that exalted position to what we are now today – with colonial minds possessing brain washed non-Islamic attitudes and practices in science.“104 Diese Strömung entwickelte sich schon relativ früh im 19. Jahrhundert und basiert auf die Grundthese, dass es zwischen Religion und positiven Wissenschaften keinen Widerspruch gibt. Sayyid Ahmad KhÁn (1817-1898) und Sayyid AmÍr ‘AlÍ (1849-1928) in Indien, Jamal al-Din Afghani (1839-1897) in Persien, Muhammad Abduh (18491905) in Ägypten, Namik Kemal (1840-1888) und Ziya Gökalp (1876-1924) im osmanischen Reich, Mehmet Akif Ersoy (1873-1936) und Said Nursi (1876-1960) in der türkischen Republik sowie der pakistanische Nobelpreisträger Abdas Salam sind einige

Pioniere

dieser

Position.105

Mit

ihren

Veröffentlichungen,

Predigen

und

Konferenzen beeinflussten sie eine große Öffentlichkeit und spielten dabei eine meinungsbildende Rolle in der Gesellschaft. Jamal al-Din Afghani, einer der wichtigsten Vertreter dieser Position, äußert sich in seiner Replik auf E. Renans Vorwurf, Islam sei eine wissenschaftsfeindliche Religion, folgendermaßen: „Science is that noble thing that has no connection with any nation, and is not distinguished by anything but itself. [...] The Islamic religion is the closest of religions to science and knowledge, and there is no incompatibility between science and knowledge and the foundation of Islamic faith“106 Auf derselben Basis plädiert Mehmet Akif Ersoy, der Dichter der Nationalhymne der türkischen Republik, für eine Übernahme

und

Weiterentwicklung

der

westlichen

Technik

ohne

jedoch

die

moralischen Normen und Lebensweise des Westens zu importieren. 107 Eine ähnliche Position vertritt Mehmet Nuri Yýlmaz, der jetzige Präsident des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet ÏÐleri BaÐkanlïºï) der türkischen Republik. So seine Worte in einem Vorwort eines von dieser Institution herausgegebenen Fatwa-Buches: „Es soll mit Sicherheit erkannt werden, dass die Religion niemals mit Wissenschaft und Technik

104

Syed, Ibrahim B.: Islamization of Attitude and Practise in Embryology, in: Islamization of Attitudes and Practices in Science and Technology, M. A. K. Lodhi (Hrsg.), Herndon 1989, S. 119. 105 Zu unterstreichen ist, dass diese genannten Namen sich nicht unter einer Denkschule oder einer politischen Strömung subsummieren lassen. Unter den Modernisten, Traditionalisten und Islamisten lässt sich diese Position wieder finden. Vgl. dazu Rahman, Fazlur: Islam and Modernity. Transformation of an Intellectual Tradition, Chicago 1982. 106 Answer of JamÁl ad-DÍn to Renan, Journal des Débats, May 18, 1883, zitiert bei Keddie, Nikki R.: An Islamic Response to Imperialism, London 1968, S. 183. 107 Vgl. Ersoy, M. Akif: Süleymaniye Kürsüsü’nde, Ö. R. Doýrul (Hrsg.), 15. Aufl., Istanbul 1982, S. 187.


37 in Konflikt gerät. Man kann sich auch nichts anderes von einer Religion [Islam] vorstellen, deren erster Befehl das Wort ‚Lies’ [Sure 96/1] ist.“108 Anders als Gelehrte und muslimische Denker beurteilt Mustafa Kemal Atatürk (18811938), der Gründer der türkischen Republik, die modernen Wissenschaften nicht aus einer islamischen Perspektive, sondern sieht es für notwendig, den Islam nach den Kriterien

der

Wissenschaften

zu

beurteilen.

In

seiner

extremen

Wissenschaftsgläubigkeit stellen die Wissenschaften Wegführer für alle Lebensbereiche dar. “Für alles auf der Welt, ob für materielle Dinge, ob für geistige Dinge, für das Leben oder für den Erfolg, ist die Wissenschaft, die Naturwissenschaft, der wahre Wegführer [muršid

109

]; außerhalb der Wissenschaft und der Naturwissenschaft nach

einem Wegführer zu suchen, ist Gedankenlosigkeit, Ignoranz und ein Abweg. “110 Auch wenn bei weitem nicht so extrem wie in Atatürks Formulierungen, kann heute in den muslimischen Ländern von einer allgemeinen positiven Einstellung zu modernen Naturwissenschaften und zur „westlichen Technik“ gesprochen werden, die sich durch Regierungsprogramme bestätigen lässt. Im Rahmen dieser politischen Zielsetzungen wurden schon während des osmanischen Reiches Studenten, Wissenschaftler und die Staatselite nach Europa geschickt, um einen Wissenschafts- und Techniktransfer zu gewährleisten. Yirmisekiz Mehmet Celebi aus dem osmanischen Reich wurde schon im Jahr 1720 mit diesem Ziel nach Frankreich geschickt.111 RifÁ‘ al-ÓahÔÁwÍ (1801-1873) aus Ägypten, der ebenso zu dieser Gruppe gehört, hielt sich vom 1826 bis 1831 in Paris auf112 und plädierte nach seiner Rückkehr nach Ägypten für eine Studienreform nach europäischem

Vorbild.

Al-ÓahÔÁwÍ zufolge bestehe kein qualitativer Unterschied

zwischen den im Mittelalter von Muslimen betriebenen Wissenschaften und den

108

Diyanet, Fetvalar, (übers. v. I. I.), S. 6. Das arabische Wort muršid bedeutet ursprünglich der geistige Führer eines islamischen Ordens oder einer mystischen Schule. 110 Atatürk Kültür, Dil ve Tarih Yüksek Kurumu (Hrsg.): Atatürk’ün kültür ve medeniyet konusundaki sözleri, Ankara 1990, S. 80, (übers. v. Metin Ilhan). Dagegen argumentiert Fazlur Rahman folgenderweise: „First of all, it is historic Islam that gives continuity to the intellectual and spritual being of the community. No community can annul its past and hope to create a future being for itself-as that community. A basic fallacy of an Atatürkish kind of „reform“ consists precisely in an effort to shed the historical being of the community and to seek a future without it.“ Rahman, Islam and Modernity, S. 146. 111 Vgl. Kalin, Three Views of Science, S. 1, Lewis, Bernard: The Muslim Discovery of Europe, New York 1982, S. 114-116. 112 Vgl. Al-ÓahÔÁwÍ, RifÁ‘: Ein Muslim entdect Europa. Al-ÓahÔÁwÍ, RifÁ‘, Bericht über seinen Aufenthalt in Paris 1826-1931, K. Stowasser (Hrsg.), München 1989. 109


38 modernen Wissenschaften in Europa seiner Zeit. Diese seien nur eine fortentwickelte Form der von den Muslimen übernommenen Wissenschaften.113 Die unter dieser Kategorie zuzuordnenden Einstellungen lassen sich bezüglich der Biomedizin und Gentechnik folgendermaßen resümieren. Im koranischen Vokabular entspricht das arabische Wort Áya nicht nur dem Koranvers, sondern auch Zeichen, Gotteswunder, Meisterwerk u.ä. Nach dem Koran sind alle Naturereignisse und die Harmonie im Kosmos als Zeichen Gottes (ÁyÁt Allah; vestigia Dei) zu verstehen. Dazu Abdus Salam, der pakistanische Nobelpreisträger für Physik: „Science is important because of the underlying understanding it provides of the world around us and of Allah’s

design.“114

In diesem Zusammenhang ist eine Forschungstätigkeit dem

Mediziner Hassan Hathout zufolge nichts anderes als ein Versuch, diese Zeichen Gottes zu verstehen und sie ist als religiöse Pflicht zu betrachten.115 Hinsichtlich der Medizin formuliert er folgende Argumente: „Because medicine is necessary for life, its establishment is a religious mandate. By juridical rule, whatever is necessary to uphold a necessity becomes itself a necessity; thus, since research is necessary for the progress of medicine it becomes juridically mandatory.”116 Diese Pflicht zur Forschung ist bei ihm so weit zu fassen, dass sie auch Forschung am Menschen beinhaltet. „This mandate for research also includes research on human subjects, so long as the latter does not conflict with the protection and promotion of basic human rights spelled out by the Sharia.”117 Eine ähnliche Sichtweise ist ebenso im „Islamic Code of Medical Ethics” unter dem Titel „The Doctor and Modern Biomedical Advances“ festzustellen: „There is no censorship in Islam on scientific research, be it academic to reveal the sign of God in His creation, or applied aiming at the solution of a particular problem.“118 Die Forschungspflicht des Muslims gilt Hathout zufolge auch im Bereich der Gentechnik, die der Menschheit neue Horizonte eröffnet hat. Eine Begrenzung dieser Forschungen sei mit einer Verhinderung der Entdeckung der göttlichen Schöpfungsgewohnheit vergleichbar. . “Islam would place no obstacle upon genetic research” 119 „[…] no ban

113

Vgl. Rahman, Islam and Modernity, S. 64. Salam, Abdus: The Renaissance of Sciences in Arab and Islamic Lands, in: Islamic Quarterly, Vol. 25, 1981, S. 98. 115 Hathout, Islamic Basis, S. 65. 116 Hathout u. Lustig, Bioethical Developments, S. 139. 117 Ebd. 118 Islamic Code of Medical Ethics, in: Bulletin of Islamic Medicine, Vol. 1 (Second Edition) Kuwait 1981, S. 748. 119 Hathout u. Lustig, Bioethical Developments, S. 144. 114


39 should be put on scientific research for the sake of furthering knowledge and revealing God’s traditions in His creation,…“120 Auf derselben Basis konzipiert Abdulaziz Sachedina, Professor für islamische Studien an der Universität Virginia in den USA, eine zustimmende Stellungnahme zur humangenetischen

Forschung

mit

Embryonen.

Er

überträgt

das

Partnerschaftsverständnis zwischen Gott und Mensch beim Schöpfungsakt in der islamischen Lehre auf die Gentechnik, so dass Forschen und Klonen für „gute Zwecke“ zu

befürworten

sind.121

Unter

den

muslimischen

Gelehrten

erreicht

die

Wissenschaftsbegeisterung sicherlich ihren Höhepunkt bei dem schiitischen Schaich alHarandi aus Iran. Negative Folgen im sozialen Leben oder Missbrauchspotential sind ihm zufolge keine guten Gründe, um die gentechnische Forschung zu beschränken.122 6.2.2 Wissenschaftskritisch epistemologisch-metaphysische Ansätze Die Grundthese dieser Ansätze ist die Untrennbarkeit der Wissenschaft von der Kultur, d.h. die Methodologie, Zielsetzung und Anwendungsformen der Wissenschaften können nicht unabhängig von den soziokulturellen Bedingungen der Gesellschaft, in der sie entstanden sind, betrachtet werden. Da die Entwicklung und Entfaltung der Sozial- und Naturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert auf säkularem Boden stattgefunden haben, können sie nicht ohne eine Überprüfung und Beurteilung übernommen werden. Ihre Zielsetzungen und Anwendungsformen von modernen Technologien sollen erst nach

islamischem

Wissenschaftsverständnis,

Menschenbild

und

Wertvorstellung

überprüft und bewertet werden. Basierend auf diesen Grundannahmen entstanden in den 70’er Jahren mehrere kritische Stellungnahmen zu modernen Wissenschaften und „westlicher Technik“ . Ismail Raji al-Faruqi123 gehört zu den wichtigsten Namen, der den Begriff „Islamization of Knowledge“ geprägt und etabliert hat. Faruqi zufolge ist die gegenwärtige Krise der Muslimen nur durch die intellektuellen Probleme der islamischen Welt erklärbar. Die Wissenschaften und ihre Methoden entstehen nicht isoliert von historischen und kulturellen Prägungen. Deswegen sollen sich Muslime dem säkularen Charakter der 120

Hathout, Islamic Basis, S. 70. Vgl. Sachedina, Cloning, S. 1-3. 122 Vgl. Rispler-Chaim, Genetic Engineering, S. 567-573. 123 Als al-Faruqi am 27.5.1986 ermordet wurde, war er Professor für Geschichte der Religion und islamische Studien an der Temple University-Philadelphia in den USA. 121


40 modernen

Wissenschaften

bewusst

werden

und

reflektierend

eine

islamische

Epistemologie entwickeln.124 Für diese Zwecke gründete er mit anderen muslimischen Intellektuellen „International Institute of Islamic Thought (IIIT) im Jahr 1981 Herndon/Virginia in den USA. Das Argument „Different civilizations have produced distinctively different sciences“125 stellt auch bei Ziyauddin Sardar bzw. Ijmali-Schule den Ausgangspunkt dar. Sardar sieht die westliche Zivilisation mit ihrem universellen Anspruch als eine Bedrohung für die islamische Welt an und spricht vom instrumentellen Charakter der modernen Wissenschaften. Ihm zufolge sind die modernen Wissenschaften keine objektiven Phänomene,

sondern

Weltanschauung

dienen

geprägten

eher

Ziele.

als

Eine

Instrumente kritiklose

für

die

unmittelbare

von

westlichen

Übernahme

dieser

Wissenschaften und Technologien würden sicherlich mit islamischer Lebensweise kollidieren und im schlimmsten Fall die muslimischen Wertvorstellungen schwinden lassen. Für die Zukunft der islamischen Welt ist die intellektuelle Auseinandersetzung mit modernen Wissenschaften und Ausarbeitung der relevanten Umgangsformen mit der modernen Technologien unabdingbar.126 Seyyid Hussein Nasr, Professor für islamische Studien an der George Washington Universität in den USA, prägt innerhalb dieser Diskussionen den Begriff „sacred science“ und plädiert für die Rekonstruktion des islamischen Denkens auf der Basis der Offenbarungserkenntnis

mit

ontologischen

und

metaphysischen

Reflektionen.

Nasr

macht den säkularen Charakter der modernen Wissenschaften und Technologien für die sozialen und ökologischen Krisen der modernen Welt verantwortlich. Sein Konzept „sacred science“ basiert auf dem Einheitsglaube (tawhid) und der sich aus diesem Glauben abzuleitenden Kosmologielehre. Nicht eine Konkurrenzvorstellung zwischen Mensch und Natur, sondern ein kosmologisches Harmonieverständnis ist für die Mensch-Natur-Beziehung maßgeblich.127

124

Vgl. FÁrÚqÍ, IsmÁ‘Íl RÁjÍ: Islamisation of Knowledge: Problems, Principles and Prospective, in: Islam: Source and Purpose of Knowledge, The International Institut of Knowledge (Hrsg.), Herndon 1988, S. 13-63. 125 Sardar, Ziauddin: Arguments for Islamic Science, Delhi 1985, S. 1. 126 Vgl. zu einer detaillierten Darstellung dieser Position Stenberg, Leif: The Islamization of Science. Four Muslim Positions Developing an Islamic Modernity, Lund 1996, S. 41-96. 127 Vgl dazu Nasr, S. Hossein: The Need for a Sacred Science, New York 1993 und Hahn, Lewis E. et al. (Hrsg.): The Philosophy of Seyyed Hossein Nasr, The Library of Living Philosophers, Vol. 28, Chicago 2001.


41 Diese kritischen Einstellungen haben weder mit epistomologischem Ansatz wie bei Faruqi und Sardar noch mit ontologisch-metaphysische Ansatz wie bei Nasr und Naquib al-Attas128 bis jetzt eine ausgearbeitete Stellungnahme zu ethischen Probleme der Biomedizin entworfen. Dennoch sollen nun einige nennenswerte Auseinandersetzungen - entstanden im Rahmen der skizzierten Diskurse - behandelt werden. Syeds Aufsatz „Islamization of Attitude and Practise in Embryology“, erschienen in den IIIT-Publikationen, begnügt sich damit, nur einige Parallelitäten zwischen Koranversen über die Entwicklung des Embryos und den Erkenntnissen der modernen Embryologie aufzuzeigen. In Publikationen dieser Art, deren Anzahl nicht gering ist, geht es dabei nicht in erster Linie um eine theologisch-philosophische Position zum Status des Embryos mit Hilfe der ersten Hauptquelle des Islam zu bearbeiten. Dabei wird eher die koranische Angabe über die embryologische Entwicklung des Menschen vor 1400 Jahren vor der modernen Embryologie hervorgehoben, wobei eine apologetische Gesinnung nicht zu verkennen ist. Sicherlich erreichen diese Art von Publikationen ihren Höhepunkt im Werk „La Bible, le Coran et la science“ von Maurice Bucaille, der zum Islam übergetretene französische Mediziner. Er selbst betrachtet seine Studie als einen Versuch, mit Hilfe der modernen Wissenschaften die Verse Gottes besser zu verstehen.129 Munawar

Ahmad

konstatiert

eine

Anees, ganz

der

andere

pakistanische Einstellung

Biologe als

und

Buccaile

Islamwissenschaftler, zu

den

modernen

Biowissenschaften. Er kritisiert solche Sichtweisen, die den Koran als ein Lehrbuch der Embryologie betrachten und dessen normativen Gehalt missachten.130 In seinen Veröffentlichungen unterstreicht er den ideologischen Charakter der modernen Biologie und spricht von „Biological Despotism“.131 Er macht auf den Unterschied zwischen islamischen und biologischen Menschenbild aufmerksam, und erfordert eine möglichst schnelle intellektuelle Auseinandersetzung mit den jetzigen und in der Zukunft möglichen gentechnischen Anwendungen. „The Islamic view of human nature does not consider biology as an inevitability. This single most important distinction between 128

Vgl. Al-Attas, S. M. Naquib: IslÁm, Secularism and the Philosophy of the Nature, London 1985. Vgl. Bucaille, Maurice: La Bible, le Coran et la science. Les Ecritures saintes examinées à la lumière des connaissances modernes, Paris 1976. 130 Vgl. Anees, Re-defining. 131 Vgl. Anees, Munawar A.: Islam and Biological Futures. Ethics Gender and Technology, London 1989, S. 11 ff. 129


42 reductive, deterministic, exploitative biology and the universal worldview of Islam is crucial in the total elimination of sexism, racism and socioecomnomic inequities. We must

confront

the

biological

ideology

with

the

worldview.“132

Islamic

Wissenschaftlicher Reduktionismus, biologischer Determinismus und Objektivismus in den

modernen

Biowissenschaften

bilden

ihm

zufolge

eine

Trinität

des

Instrumentalismus, die ihren Höhepunkt durch Gentechnik und deren Klonierung des Menschen

wird.133

erreichen

Deswegen

sollen

diese

philosophisch-ideologischen

Dimensionen auch bei einer islamischen Rechtsentscheidung mitberücksichtigt werden. „It is no longer sufficient to confine ourselves to assorted juridical opinions on isolated matters. These issues must be considered in their ideological context. Muslim individuals must not remain prisoners to their biology that is definded only through Western technology.“134 Er gibt auch konkrete Beispiele in seinem Werk “Islam and Biological Futures” an, die mittels moderner Reproduktionstechniken und Gentechnik machbar sind, aber mit einem islamischen Wertesystem nicht vertretbar sind.135 Eine ähnliche Position vertritt Osman Bakar, Professor für „Islamic Science“ an der University of Malaya in Kuala Lumpur Malaysia. Er betont den holistischen Charakter der

islamischen

Wissenschaften,

darunter

auch

den

des

islamischen

Medizinverständnisses. Der menschliche Körper ist – vor allem in der mystischen Tradition des Islam - ein kleiner Kosmos, dessen Studium nicht auf biomedizinische Wissenschaften

und

Zwecke

reduziert

werden

kann.

Im

islamischen

Glaubensverständnis kann der Wert eines Menschen nicht auf körperliche und gesundheitliche Perfektion reduziert werden. Deswegen ist eine Technikanwendung, die solche Grundprinzipien ignoriert, nicht mit dem islamischen Menschenbild vereinbar.136 7. Unterschiede zwischen dem innerislamischen und dem christlich-westlichen Diskurs Aus

den

obigen

gentechnischen

Darstellungen

Anwendungen

in

dürfte der

klar

werden,

Humangenetik

dass -

die

Positionen

zur

im Gegensatz zur weit

verbreiteten Vorstellung – in der islamischen Welt genauso vielfältig wie die Diskussionen in Europa und in den USA sind. Trotz dieser Heterogenität lassen sich 132

Anees , Biological Futures, S. 15. Vgl. Anees, Re-defining. 134 Anees, Biological Futures, S. 15. 135 Vgl. Anees, Biological Futures. 136 Vgl. Bakar, Islamic Science, S. 181 ff. 133


43 dennoch einige Unterschiede zum christlich-westlichen Diskurs feststellen, die hier kurz skizziert werden sollen. Zweifelsohne sind die Intensität und der Charakter der genethischen Diskussionen in den muslimischen Ländern durch ökonomische und sozio-politische Verhältnisse bestimmt. Sowohl die ungünstige wirtschaftliche Lage als auch das mangelnde wissenschaftliche Know-how bzw. die nicht vorhandene Infrastruktur verhindern, dass diese Themen wichtigster Gegenstand öffentlicher Diskussionen werden. Solange die finanziellen Ressourcen für die notwendige medizinische Versorgung fehlen, ist es nicht sinnvoll, sie auf zukunftsorientierte Forschung zu investieren. Handelt es sich nur um die Bekämpfung genetisch bedingter Krankheiten, könnte man mit geringen finanziellen Investition und Aufwand konkrete Erfolge erzielen. Geplante und gut strukturierte Aufklärungskampagnen Verwandtschaftsehen

in senken

der und

Öffentlichkeit somit

die

würden

Häufigkeit

die der

Anzahl

dadurch

der

bedingten

genetischen Krankheiten verringern. Außerdem sind genetische Krankheiten Statistiken zufolge nicht die häufigste Todesursache. Nicht zuletzt wegen diesen Praxisbedingungen wurden die Chancen und Risiken der gentechnischen Anwendungen in der Humangenetik in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. Im Gegensatz zu europäisch US-amerikanischen Diskussionen kann von einer etablierten Technikfolgenabschätzungsdebatte nicht gesprochen werden. Falls das Missbrauchpotential dieser Techniken in den Veröffentlichungen thematisiert wird, werden die schariatrechtlichen Regelungen, ohne detaillierte Angaben zu machen, als ausreichende Maßnahme für die Hinderung eines Missbrauchs erklärt. Neben

diesen

praxisbedingten

Unterschieden

lassen

sich

auch

Differenzen

im

Argumentationsinhalt zwischen innerislamischen und christlich-westlichen Argumenten feststellen.

Bemerkenswert

ist

dabei

die

unterschiedliche

Interpretationen

der

monotheistischen Argumente. Das in der christlichen Debatte zentrale Argument „Playing God“ wurde von den muslimischen Gelehrten und Intellektuellen anders verstanden und interpretiert. Die Muslime vermeiden es, die menschlichen Tätigkeiten im Bereich Gentechnik als Anmaßung und Hochmut gegenüber Gott zu interpretieren. Sie differenzieren eindeutig – auch beim reproduktiven Klonen - göttliche Schöpfung und den menschlichen Anteil in diesem Prozess. Der Mensch ist von seinem Wesen her


44 nicht in der Lage, Gott zu spielen. Auch das reproduktive Klonen geschieht mit Wissen und Erlaubnis Gottes. Die zentrale Fragestellung dabei ist nicht ob der Mensch durch diese Handlung an die Stelle Gott tritt, sondern ob diese Handlung von Gott gebilligt oder verdammt wird.137 In

den

philosophischen

amerikanischen

und

genetischen

theologischen

Diskussionen

Argumenten

bekommen

der

europäisch

US-

Begriffe

wie

normative

Menschenwürde, Integrität und Individualität der Person u.a. eine zentrale Bedeutung. Dieselben

philosophisch-theologischen

Argumentationsweise

lassen

sich

Begriffe

innerhalb

der

mit

normativ

innerislamischen

geprägter

Diskussion

in

derselben Art und Weise nicht wieder finden. In der islamischen Urteilsfindung, geprägt durch konventionellen Methoden der islamischen Rechtslehre, gewinnt die kasuistische Argumentationsweise mehr Gewicht als die normative. Durch diese Eigenschaft erlangt sie

eine

starke

Praxisbezogenheit

Handlungsoptionen.

Auf

der

und

liefert

viel

anderen

Seite

weist

schneller jedoch

und diese

konsequenter klassische

Urteilsmethodik Schwächen auf, wenn es um völlig neue Fragestellungen geht, die in der Geschichte der islamischen Rechtslehre unbekannt sind. Da erscheint eine normative

theologisch-philosophische

Diskussion

basierend

auf

eine

islamische

Anthropologie wünschenswert. 8. Muslime in einer wertpluralen Gesellschaft Es gibt gute Gründe, die gentechnischen Anwendungen und Forschungen im Bereich Humangenetik nicht auf einer monokulturellen Ebene zu behandeln und innere Angelegenheit einer Nation zu betrachten. Mehrere Tatsachen und mögliche zukünftige Szenarien

sprechen

dafür,

dass

in

diesen

Debatten

die

internationalen

bzw.

interkulturellen Aspekte mitberücksichtigt werden müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass das westliche Know-how für sich genommen außerhalb der Industrieländer und nicht zu letzt in muslimischen Ländern neue gesetzesfreie Zonen findet und ethisch nicht vertretbaren Folgen verursacht.138 Abgesehen von Missbrauchsmöglichkeiten der 137

Dieser Unterschied kann vielleicht spekulativ auf das Prometheus-Zeus-Verhältnis in der antiken Mythologie zurückgeführt werden, welches dem Islam aber fremd ist. 138 Der Fortpflanzungsmediziner Severino Antinori, bekannt durch seine umstrittenen Klonexperimente mit kinderlosen Paaren, verkündete bei der Fachtagung „Future of Genetic Engineering“ (1-2.4.2002 in Abu Dhabi) in den Vereinigten Arabischen Emiraten die erfolgreich geglückte Schwangerschaft einer seiner Patientinnen. Er äußert sich dabei weder zur Nationalität der Mutter noch zu ihrem Aufenthaltsort und lobte dabei außerordentlich die Arbeitsbedingungen in muslimischen Ländern. „If my work will be controlled there are several Moslem assistants working with me and ready to help. Honestly I receive a lot


45 gentechnischen Anwendungen in den muslimischen Ländern – bedingt durch juristische und politische Gegebenheiten - verdienen m.E. in Europa und speziell in Deutschland andere Fragestellungen mehr Aufmerksamkeit. Eine berechtigte Fragestellung wäre die nach dem Sinn und der Bedeutung muslimischer Werte und seine Präferenzen in einer multikulturellen Gesellschaft hinsichtlich der bioethischen Diskurse. In West-Europa leben ca. 13 Millionen Muslime, 3,4 Millionen davon in Deutschland. Die Interessen und Prioritäten dieser Menschen wurden auch in der heißesten Phase der bioethischen Diskussionen weder in den öffentlichen Diskussionen noch in den wissenschaftlichen Publikationen thematisiert. Sie sind auch kein Diskussionsthema in den

der

Beratungsfunktion

dienenden

Gremien

wie

Nationaler

Ethikrat

oder

Bundestags-Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin". Es ist in einem demokratischen Staat nicht vertretbar, dass die Interessen und Wertesysteme der Menschen - mit oder ohne Stimmrecht -, die seit 40 Jahren in diesem Land leben und weiter leben werden, in den essentiellen Entscheidungsprozessen gleichgültig sind. Denn die erlassenen Gesetze betreffen jeden Menschen, unabhängig von seinem Pass und seiner Religion. 9. Ergebnistransfer Aufgrund der diskutierten Positionen in der islamischen Welt und der Sachlage in Deutschland können folgende Empfehlungen formuliert werden. a) Ein säkularer Rechtsstaat soll die Religionsfreiheit garantieren und freie Räume für die Entfaltung der individuellen Religiosität schaffen „Vielmehr

hat

der

säkulare

Rechtsstaat

seinen

Sinn

im

Menschenrecht

auf

Religionsfreiheit. (...) Die beste Verteidigung des säkularen Rechtsstaats besteht darin, die Religionsfreiheit als Auftrag ernst zu nehmen und möglichst konsequent zur Geltung zu bringen. Wie alle Menschenrechte zielt auch die Religionsfreiheit auf Gleichberechtigung.“139

Diese

Gleichberechtigung

impliziert

Möglichkeiten

für

die

of support, a lot of consideration in this culture. Controversially we receive a lot of opposition, investigation, and persecution from the Catholic Church. What does that mean? Your culture is open, completely honest. I am happy to be here to make use of the knowledge of this culture. Islamic culture is widespread in all world media now.“ Prof. Severino Antenori in: Scientific Conference on: Future of Genetic Engineering, (Tagungsband), 1-2.4.2002, S. 46. 139 Bielefeldt, Heiner: Muslime im säkularen Rechtsstaat – vom Recht der Muslime zur Mitgestaltung der Gesellschaft, in: Muslime im säkularen Rechtsstaat, T. Hartmann u. M. Krannich (Hrsg.), Berlin 2002, S. 73.


46 Muslime zur Mitgestaltung dieser Gesellschaft. Die Teilnahme an Diskursen über ethische Probleme neuer Technologien der Lebenswissenschaften und Partizipation an entsprechenden Entscheidungsprozessen sind Komponenten dieser Mitgestaltung. b) Eine gelungene Partizipation erfordert eine effektive Informationspolitik Es versteht sich von selbst, dass eine Beteiligung an einem Diskurs über die ethische Probleme

der

neuen

Biomedizin

eine

Entscheidungs-

und Reflektionskompetenz

voraussetzt. Dafür sind wiederum die entsprechenden wissenschaftlichen Kenntnisse nötig.

Die

jüngsten

wissenschaftlichen

Studien

belegen

jedoch,

dass

ein

Informationsdefizit über die Themen der Humangenetik und neuer biotechnischer Verfahren in der deutschen Bevölkerung groß ist.140 Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, sprachliche Barriere u.a. verschlechtern zusätzlich die Qualität der Informationsmöglichkeiten für die Muslime in Deutschland. Deswegen sollen sie mit entsprechenden Maßnahmen verbessert werden. c)

Eine

effektive

Informationspolitik

soll

religiös-kulturelle

Aspekte

berücksichtigen Es

reicht

nicht

aus,

ein

für

das

deutsche

Publikum

herausgegebenes

Informationsmaterial in die türkische, arabische oder bosnische Sprache zu übersetzen. Auch wenn sie didaktisch und sprachlich gut aufbereitet sind, sollen sie zusätzlich kulturell-religiöse Aspekte berücksichtigen. Zu beachten ist dabei, dass die vorhandenen Positionen

neutral

dargestellt

werden.

Denn

diese

Materialien

sollen

für

eine

Urteilsbildung nötige Informationen liefern und nicht das eigene Urteil des Lesers präjudizieren.141 d) Brücke zwischen Laien und Experten Informationsmaterialien können nur bis zu einem gewissen Grad die Informationslücke eines Laien schließen und können nicht ein interaktives Gespräch bzw. Diskussion ersetzen. Durch Aufklärungsseminare in den Moscheen oder muslimischen Vereinen können vor Ort Brücken geschlagen werden zwischen Laien und Experten und konkrete 140

Vgl. Ilkilic, Ilhan, M. Düwell u. S. Graumann: Informationen und Aufklärung über Chancen und Risiken der Humangenetik und neuer gen- und biotechnischer Verfahren, Abschlussbericht des BZgAProjekts, Tübingen 2002. 141 Im Rahmen des von der BZgA geförderten Forschungsprojekts „Informationen und Aufklärung über Chancen und Risiken der Humangenetik und neuer gen- und biotechnischer Verfahren„ wurden Kriterien für die Erstellung eines Informationsmaterials entwickelt. Diese können bei der Aufbereitung neuer Infomaterialien als Grundlage benutzt werden. Vgl. Ilkilic, Informationen und Aufklärung, S. 78-80.


47 Fragen beantwortet werden. Eine Telefon-Hotline oder - für die junge Generation – ein Internetportal kann ebenso einen interaktiven Dialog fördern. Dabei ist jedoch die Sprachbegabung

des

Laien

und

die

naturwissenschaftliche

sowie

theologische

Kompetenz des Experten zu beachten. e) Interkulturelle bzw. interreligiöse Diskussionsforen Die von unterschiedlichen Institutionen (Staat, Medien, Universitäten etc.) organisierten interreligiösen Diskussionsforen über bioethische Themen können einen organisierten gesellschaftlichen Meinungsaustausch leisten. Ebenso werden sie zu einer gegenseitigen Verständigung zwischen andersglaubenden und andersdenkenden Menschen beitragen und Räume für mehr Verständnis und Toleranz schaffen. Die von Bill Clinton, dem ehemaligen

Präsidenten

der

Vereinigten

Staaten

veranlasste

„National

Bioethics

Advisory Commision (NBAC)“ im Jahr 1997 ist in diesem Zusammenhang als ein gelungenes

Beispiel

zu

nennen.

Diese

Kommission

veröffentlichte

später

die

Stellungnahmen unterschiedlicher religiöser Gruppen in den USA zum Thema Klonen des Menschen. 142 f) Ausbildung der Fachkräfte in der genetischen Beratung Die Erfahrungen und wissenschaftlichen Diskussionen zeigen, wie schwierig die Gewährleistung einer „Nichtdirektivität“ und „Neutralität“ in der genetischen Beratung ist.143 Neben diesen Schwierigkeiten belegen wissenschaftliche Studien mehrere Lücken in der Praxis.144 Das ganze wird umso dramatischer wenn die zu beratende Person Angehöriger einer anderen Kultur und Religion ist. Die eindeutig hohe Geburtenrate bei der muslimischen Bevölkerung in Deutschland und die unübersehbare Menge an Verwandtschaftsehen erhöhen unmittelbar - zumindest statistisch - die Dringlichkeit zu genetischen Beratung. Die Vermittlung von Grundkenntnissen über den muslimischen Glauben fehlen in der Ausbildung der Fachkräfte, die in der genetischen Beratung tätig werden, gänzlich.

142

Vgl. Campbell, Courtney S. (Hrsg.): Cloning Human Beings. Religious Perspectives on Human Cloning, abrufbar unter der URL-Adresse: http://bioethics.georgetown.edu/nbac/pubs/cloning1/cloning. pdf (1.8.2002). 143 Vgl. Lunshof, Jeantine E.: Genetische Beratung: Zwischen Nichtdirektivität und moralischem Diskurs, in: Ethik in der Humangenetik, M. Düwell u. D. Mieth (Hrsg.), Tübingen 1998, S. 227-237. 144 Vgl. Hennen, Leonard et al. (Hrsg.): Genetische Diagnostik – Chancen und Risiken. Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung zur Genomanalyse, Berlin 1996.


48 g) Eigene Verantwortung Eine einwandfreie Realisierung der oben genannten Empfehlungen kann nicht von den zuständigen Behörden und Institutionen gewährleistet werden. Ist man von der Bedeutung eines gesellschaftlichen Diskurses und der Partizipation überzeugt, so sollte man bereit sein eigenen Anteil zu leisten. Die Bildung einer eigenen Meinung die und Teilnahme an solchen Diskussionen setzen einige Informationen über die Funktion und Zielsetzung dieser Techniken voraus, welche ohne Bereitschaft und Mühe nicht zu erlangen sind. Jeder soll die nötige Dialogbereitschaft mitbringen, die den Respekt vor der Meinung des Anderen und das Interesse für andere Sichtweisen beinhalten. Schließlich geht es nicht um das Diktieren der eigenen Meinung, sondern

voneinander

zu lernen die eigene Position zu klären und kritisch darüber nachzudenken.

Zusammenfassung Die Forschung und Anwendungen im Bereich der Humangenetik haben - wie in vielen anderen Ländern - auch in der islamischen Welt neue Diskussionen veranlasst. Die Besonderheit dieser neuen bioethischen Fragestellungen einerseits und die spezifische Urteilsfindung des Islam andererseits sorgten für ein breites Spektrum der Argumente. Die Intensität und der Inhalt dieser Argumente wurde jedoch auch von den soziopolitischen

und

ökonomischen

Gegebenheiten

des

jeweiligen

muslimischen

Landes geprägt. Diese relativ neuen Diskussionen sind noch nicht etabliert und eine klare Polarisierung im Dissens ist zur Zeit nicht in Sicht. Der Status des Embryos und die Bewertung der Biomedizin als moderne Wissenschaft und ihre technischen Anwendungsformen übernehmen im innerislamischen Diskurs eine Schlüsselfigur. Zentral ist bei der Beurteilung des moralischen Status des Embryos die Beseelung und ihre Implikationen. Dazu können resümierend zwei Hauptpositionen formuliert werden: Erstens, die Beseelung verändert den Status des Embryos kategorisch und somit ist sie entscheidend für die Schutzwürdigkeit bzw. NichtSchutzwürdigkeit des Embryos. Zweitens, die Beseelung verändert den Status des Embryos nur graduell, man könnte daraus (vor der Beseelung) keine „NichtSchutzwürdigkeit“ des Embryos ableiten. Die Argumente, die auf der ersten These basieren, halten Eingriffe am Embryo vor der Beseelung (40., 80., oder 120. Tag der Schwangerschaft) mit oder ohne triftigem Grund (je nach Rechtsschule) für möglich.


49 Die

zweite

Position

tendiert

eher

zu

einer

ablehnenden

Haltung

gegenüber

embryonenverbrauchenden Eingriffen und Forschungen, weil die Beseelung den Status des Embryos nicht kategorisch verändert. Nach Ansicht dieser Position beginnt das menschliche Leben nach der Befruchtung der Eizelle und so kommt ihm absolute Schutzwürdigkeit zu. Der zweite zentrale Punkt in der Diskussion ist der Stellenwert der Biomedizin als Wissenschaft und ihre technischen Anwendungsformen. Die Ansichten, die zwischen dem Islam und argumentieren

modernen Naturwissenschaften und Techniken keinen Konflikt sehen, eher

kasuistisch.

Sie

pflegen

eine

positive

Einstellung

zu

biomedizinischen Anwendungen und Forschungen, solange diese Wissenschaften und Techniken den islamisch vertretbaren Zielen dienen. Die Gegenposition bezweifelt das konfliktfreie Verhältnis und hält Methoden, Zielsetzungen und Anwendungsformen der Wissenschaften von der Kultur, in der sie entstanden sind, für untrennbar. Die Vertreter dieser Ansicht plädieren deshalb in ihren normativen Argumentationen für eine Evaluation

der

Menschenbild

Biomedizin und

und

ihre

Anwendungsformen

Wertvorstellungen.

Die

nach

fehlende

islamischem

ethisch-reflektive

Auseinandersetzung mit diesen Themen bis jetzt einerseits und diverse Gegensätze zwischen

dem

biomedizinischen

islamischen Anwendungen

Menschenbild andererseits

und

einige

verursachen

in

Zielsetzungen dieser

Gruppe

der eine

kritische und zurückhaltende Einstellung. Die Frage nach der Aussagekraft und Bedeutung dieser Argumente für einen Muslim wäre an dieser Stelle durchaus berechtigt. Abhängig von seiner Religiositätsform, seiner Betroffenheit, und den technischen Möglichkeiten sowie gesetzliche Regelungen seines Lebensortes ergeben sich unterschiedliche Entscheidungs- und Handlungsoptionen. Die Meinungsvielfalt

in

der

innerislamischen

Diskussion

räumen

dem

einzelnen

muslimischen Individuum mehr Spielraum für seine Gewissensentscheidungen ein und ermöglichen somit ihm eine Handlungsflexibilität. Gleichzeitig erschwert jedoch diese Sachlage eine Entscheidungsfindung und ist für ihn eine Herausforderung, die eine intensive individuelle Auseinandersetzung mit der Thematik voraussetzt.


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