Filmpodium 1. April – 15. Mai 2014 / April 1 – May 15

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1. April – 15. Mai 2014

2nd Int. Arab Film Festival Zurich Sergio Leone


Melaza Carlos Lechuga

Rien ne va plus in Kuba – ausser der Liebe Ab 3. April im Kino

Ausgewählte DVDs für Film-Gourmets www.trigon-film.org – 056 430 12 30


01 Editorial

Die Wüste lebt Das Programm des Filmpodiums kann nicht durchgängig allen gefallen. Nicht mal von unseren treusten Stammgästen ist zu erwarten, dass sie jede Vorstellung eines Sechs-Wochen-Programms besuchen. Deshalb planen wir grundsätzlich immer zwei Hauptreihen, die sich unterscheiden und vom Profil und Appeal her ergänzen. So kommt es, dass im April/Mai-Programm zum zweiten Mal ein internationales arabisches Filmfestival stattfindet und parallel dazu Sergio Leone, dem Schöpfer des Italo-Western, aus Anlass seines 25. Todestags eine Retrospektive gewidmet wird. Auf den ersten Blick könnten diese Reihen nicht unterschiedlicher sein: Da das brandaktuelle Filmschaffen, das aus dem Arabischen Frühling hervorgeht und die Umwälzungen in Ländern des Mittelmeerraums spiegelt, oft aus weiblicher Sicht; dort die chauvinistischen Gewaltorgien eines italienischen Lebemanns alter Schule. Und doch gibt es selbst bei diesen Reihen Gemeinsamkeiten. Sowohl in den neuen arabischen Filmen als auch in Leones Epen werden die Figuren in einer ganz spezifischen, kargen Wüstenlandschaft eingebettet und als Produkt ihrer Umwelt gezeigt. Die möglichen Verhaltensweisen der Protagonisten sind eingeschränkt, sei es durch Sitten und Vorschriften des Korans oder durch die – wenn auch pervertierten – Konventionen des Western-Genres. Traditionelle Männerrollen werden hinterfragt: Im neuen arabischen Filmschaffen tun dies zumeist die sich befreienden Frauen, die die Repression des gestürzten politischen Systems nicht gegen den Patriarchalismus der erstarkten Islamisten eintauschen wollen. Bei Leone ist es eher der klassische Hollywood-Western, dessen kitschiger Mythos von strahlenden, edelmütigen Helden mit selbstsüchtigen, zynischen Gewaltmenschen konterkariert wird. Revolution ist hüben wie drüben ein Thema: In Duck, You Sucker! kontrastiert der Antifaschist Leone die Habgier des Banditen Juan mit der mexikanischen Revolution und macht klar, dass es sehr wohl gute Gründe gäbe, in den Kampf zu ziehen. In den neuen arabischen Filmen ist die Auflehnung gegen die alten Diktatoren ein Leitmotiv, doch sie verzichten auf Schwarzweiss-Malerei; Korruption und überholte religiöse Vorstellungen gehören zu den neuen Problemen, die im Namen der Freiheit überwunden werden müssen, nachdem das Regime gestürzt worden ist. Aber wie gesagt: Niemand erwartet, dass Sie sich alle Filme im kommenden Programm ansehen, egal wie lohnend es wäre … Michel Bodmer Titelbild: Chaos, Disorder von Nadine Khan (Ägypten 2012)


02 INHALT

2nd International Arab Film 04 Festival Zurich Wichtige Akzente im Programm des zweiten internationalen arabischen Filmfestivals setzen die Frauen. In Scheherazade’s Diary lernen weibliche Gefangene beim Theaterspiel in einer libanesischen Strafanstalt erstmals, sich zu artikulieren, doch auch die Protagonistinnen in den tunesischen, ägyptischen und saudischen Filmen streben nach einem selbstbestimmten Leben. Geografische Schwerpunkte bilden das traditionelle Filmland Ägypten, wo der Arabische Frühling und seine Umwälzungen im Zentrum stehen, und Palästina, dessen Filmschaffen zunehmend internationale Beachtung findet und gleich mit vier Titeln vertreten ist. Ein reiches Programm, das am Eröffnungswochenende vom 11. bis 13. April auch persönliche Begegnungen mit Filmschaffenden im Kino ermöglicht. Bild: Les mécréants

Sergio Leone

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Chauvinistischer Schundproduzent oder stilbildender Cineast? An Sergio Leone (1929–1989) scheiden sich die kritischen Geister. Lange hatte er als Regieassistent oder Second Unit Director gewirkt, bevor er Anfang sechziger Jahre zu inszenieren begann. Bei The Last Days of Pompeii noch Ersatzmann für den erkrankten Regisseur Mario Bonnard, zeichnete er für den Historienschinken Il colosso di Rodi persönlich, doch um seinen ersten Western, A Fistful of Dollars, amerikanischer wirken zu lassen, nannte er sich Bob Robertson. Dann aber kamen der Ruhm, der Stolz und die Handschrift: Die Pranke des Löwen prägte auch Meisterwerke wie Once Upon a Time in the West und Duck, You Sucker! Bild: A Fistful of Dollars


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Das erste Jahrhundert 27 des Films: 1944 Während im Jahr 1944 Krieg total herrschte, wurden auf der Leinwand mit furioser Schatten- und Lichtsprache die Grundelemente des Film noir versammelt (Double Indemnity), Technicolor-Farben brillant eingesetzt (Meet Me in St. Louis und Henry V) – und erstmals die bisher im Schweizer Film tabuisierte Figur des Flüchtlings gezeigt (Marie-Louise). Bild: Double Indemnity

Premiere: 34 Tanja – Life in Movement In der Welt des Modern Dance galt Tanja Liedtke als Ausnahmetalent. Sie sollte die Leitung der Sydney Dan­ce Company übernehmen, als sie mit nur 29 Jahren tödlich verunfallte. Bryan Mason und Sophie Hyde ist das Porträt einer Künstlerin gelungen, die Menschen zu Höchstleistungen motivierte und deren Truppe ihre Arbeit heute weiterführt.

Reedition: Iwans Kindheit

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Der zwölfjährige Iwan wird im Zweiten Weltkrieg Kundschafter der Rot­ armisten. Im Schwemmland des Dnjepr überbringt er verschlüsselte ­ Nachrichten und riskiert dabei sein Leben. ­Andrej Tarkowskijs vielschichtiges Spielfilmdebüt ist in neuer Digitalkopie als Reedition zu sehen. Bild: Iwans Kindheit

Filmpodium für Kinder: 38 Leon und die magischen Worte Ein kleiner Junge muss seine Märchenhelden vor dem Vergessen retten: eine wunderbare Hommage an die Fantasiewelt der Literatur – und ein leidenschaftliches Plädoyer für die Macht des Lesens. Einzelvorstellungen 40 Büchner-Ausstellung: Woyzeck und Lenz Pink Apple: Peter IOIC-Soirée: L’inhumaine Sélection Lumière: Hôtel Terminus



05 2nd International Arab Film Festival Zurich

Mutig, politisch, vital Thematisch, geografisch und gestalterisch breit präsentiert sich auch in seiner zweiten Ausgabe das internationale arabische Filmfestival, das vom Filmpodium zusammen mit dem Verein IAFFZ organisiert wird. Das Festivalprogramm nimmt das Publikum mit auf eine filmische Reise von Marokko bis in die Emirate, wir begegnen aufmüpfigen Witwen, alten Freiheitskämpfern, jungen Politaktivistinnen und islamischen Mystikern. Über alle Unterschiedlichkeit hinweg erzählen die Filme immer auch von jener Aufbruchsstimmung, die das gegenwärtige gesellschaftliche, politische und kulturelle Geschehen in den arabischen Ländern prägt. Vom 11. bis 13. April werden einige arabische Filmschaffende im Filmpodium von ihrer Arbeit berichten. Als wir im Sommer 2012 das erste arabische Filmfestival vorbereiteten, war der Arabische Frühling noch jung; seine Vorboten – der Drang nach Veränderung, die Auflehnung gegen gesellschaftliche Normen – waren aber in vielen Filmen bereits spürbar. Dieses Jahr hat es ein Werk der Erneuerungsbewegung bis in die Oscar-Nominationen geschafft: Jehane Noujaims Dokumentarfilm The Square (Al midan), der quasi «von innen» über die Revolution auf dem Kairoer Tahrir-Platz berichtet. Wir freuen uns sehr, dass wir den Film – trotz Oscar-Rummel – im Rahmen unseres Festivals zeigen können. Dass mehrere der von uns ausgewählten Filme aus Ägypten stammen, kann angesichts der langen Tradition der dortigen Filmindustrie nicht erstaunen. Der Spielfilm Winter of Discontent von Ibrahim El Batout schildert die Revolution aus der Perspektive eines politischen Aktivisten, einer TV-Moderatorin und eines Vertreters des Regimes. Obwohl vordergründig unpolitisch, vermittelt auch Nadine Khans Chaos, Disorder, der in einem ärmeren Quartier von Kairo spielt, das Bild einer Gesellschaft, die auseinanderzubrechen droht. Frauen vor und hinter der Kamera Wichtige Akzente im Programm setzen die Frauen. In Scheherazade’s Diary von Zeina Daccache ist es gleich eine ganze Gruppe. Daccache, Regisseurin, Schauspielerin und Theatertherapeutin, deren Film 12 Angry Lebanese am >

Fidaï (Algerien): eindringliches Beispiel mündlich erzählter, persönlich erlebter Geschichte < Sorgt bei Hochzeiten für den Unterhalt der ganzen Familie: Camera/Woman aus Marokko

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Omar: Tragische Geschichte um Liebe, Vertrauen und Verrat, angesiedelt in Palästina


06 Festival 2012 zu sehen war, besucht ein Frauengefängnis. Unter ihrer kundigen Anleitung zum Theaterspiel wird die Strafanstalt zum geschützten Raum, in dem die gefangenen Frauen ernst genommen und sich ihres Werts bewusst werden. Die Tatsache, dass viele der Insassinnen in Gefangenschaft erstmals Selbstbestimmung erleben, zeigt die Schwierigkeiten, denen Frauen in arabischen Ländern sogar im persönlichsten Umfeld begegnen. Gleich mehrere Filme erzählen denn auch von weiblichem Streben nach eigenen Entscheidungen: vom Mädchen, das sich die Hand am Stuhl festklebt, um der Koranschule zu entkommen (Peau de colle der Tunesierin Kaouther Ben Hania), über die schwangere junge Witwe, die sich sittenwidrig einen Mann ins Haus holt (Sanctity der saudischen Filmemacherin und Schauspielerin Ahd), und die Freundinnen Zaineb und Aïcha, die auf gegensätzliche Weise mit dem Tragen des Kopftuchs umgehen (Hidden Beauties von Nouri Bouzid, Tunesien), bis zur Kamerafrau Khadija, die als Geschiedene Geld verdienen muss, was ihre Familie missbilligt (Camera/Woman von Karima Zoubir, Marokko).

GÄSTE IM KINO UND DANK Bis Redaktionsschluss haben folgende Filmschaffende ihren Besuch zugesagt: Zeina Daccache (Scheherazade’s Diary; Beirut); Mohcine Besri (Les mécréants; Genf); Nadine Khan (Chaos, Disorder; Kairo); Damien Ounouri (Fidaï; Paris), Nacer Khemir (Looking for Muhyiddin; Tunis/Paris). Das 2nd International Arab Film Festival Zurich ist eine Koproduktion von Filmpodium und dem ­Verein IAFFZ, International Arab Film Festival Zurich. Für die grosszügige Unterstützung danken wir: Südkulturfonds, DEZA, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Bern; Schläpfer Consulting GmbH, Egg; Neue Bürker Treuhand AG, Bözberg; O ­ rient Catering GmbH, Zürich; Travelhouse, Zürich; Restaurant Fata Morgana, Winterthur; MIGROS Kulturprozent, Zürich; Human Potential Development, Zürich; Restaurant Palme de Beirut, Zürich; Basler Versicherung, Frick. Übersetzungen mit Unterstützung der Stiftung Corymbo, Üetliberg. Für ihre Vermittlung und Hilfe danken wir: Trigon-Film, Ennetbaden; Dubai International Film Festival und Gulf Film Festival, Dubai; Botschaft von Ägypten, Bern; Botschaft von Algerien, Bern; ­Botschaft von Irak, Bern; Botschaft von Katar, Bern; Botschaft von Kuwait, Bern; Botschaft von Marokko, Bern; Botschaft von Saudi-­Arabien, Bern; Botschaft von Tunesien, Bern; Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, Bern; sowie den Filmschaffenden in den arabischen Ländern. Tagespass Freitag, 11. April: Fr. 36.-; Samstag/Sonntag, 12./13. April: je Fr. 46.-; Einzeleintritte: übliche Preise.


07 Filmland Palästina Neben dem Filmtraditionsland Ägypten verdient der Aufschwung des palästinensischen Filmschaffens besondere Beachtung: Nur zwei arabische Filme schafften es 2013 nach Cannes – beide aus Palästina. Omar von Hany AbuAssad wurde in der Sektion Un Certain Regard preisgekrönt und war im Rennen um den Oscar: Die schwierigen persönlichen und moralischen Entscheide, die der Protagonist zu fällen hat, sind weder an Sprach- noch an Kulturgrenzen gebunden. Der in Ramallah von Rashid Masharawi gedrehte Palestine Stereo über zwei Brüder, die nach einem Schicksalsschlag nach Kanada auswandern wollen, fand am Festival von Toronto grosse Beachtung. Giraffada von Rani Massalha erzählt humorvoll, aber hintergründig von einem listigen Giraffentransport durch die Trennmauer zwischen Israel und Palästina, und Nation Estate überzeichnet satirisch die Zweistaatenlösung. So produktiv und international präsent das palästinensische Filmschaffen gegenwärtig auch ist, die Produktionsbedingungen sind prekär, neben Geld fehlt fast jegliche Infrastruktur. Immerhin kommen frühere Erfolge den neuen Filmen zugute: Stellen lokale Investoren fest, dass auch Geld zurückfliesst, werden sie risikofreudiger. Crowdfunding und palästinensische Fernsehsender sind weitere Finanzquellen, doch das meiste Geld kommt aus der Golfregion und Europa. Diese breite Abstützung erleichtert auch den Zugang zum Publikum in den koproduzierenden Ländern. Der Blick zurück Nicht alle Filme des Festivals beschäftigen sich mit zeitgenössischen Geschichten und Themen, einige werfen auch einen Blick zurück. Sei es, um die Gegenwart besser zu verstehen, wenn der Filmemacher Damien Ounouri seinen Grossonkel zu seinem Engagement gegen die französischen Kolonialherren in Algerien befragt (Fidaï); sei es, um Vergangenes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wie die rund 18 000 Vermissten aus dem libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1991 (Malaki – Scent of an Angel von Khalil Dreifus Zaarour). Aus dem Damals lässt sich aber auch Hoffnung schöpfen, das zeigt sich etwa im leicht nostalgischen Beirut-Porträt Asfouri von Fouad Alaywan, oder wenn der tunesische Cineast Nacer Khemir dem Islam seinen Stellenwert als Religion zurückgeben und ihn aus der «Geiselhaft der Kleriker» befreien will, indem er sich in Looking for Muhyiddin auf die Spuren des grossen islamischen Mystikers aus dem 13. Jahrhundert begibt. Corinne Siegrist-Oboussier

Filmauswahl: Vorselektion: Aida Schläpfer, Gabriela Frei Koch, Stéphanie Torche und Michelle Wolf; definitives Programm: Michel Bodmer, Aida Schläpfer, Corinne Siegrist-Oboussier


> Shout.

> Malaki – Scent of an Angel.

> Asfouri.


2nd International Arab Film Festival Zurich. 76 Min / Farbe / Digital HD / Arab/d // DREHBUCH UND REGIE

MALAKI – SCENT OF AN ANGEL Libanon 2010 Seit 2005 halten Hunderte von Frauen eine Mahnwache vor dem UNO-Hauptquartier in Beirut. Sie trauern um Angehörige, die während des libanesischen Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 verschleppt wurden und nie mehr aufgetaucht sind. Khalil Dreifus Zaarour lässt in Malaki sechs dieser Frauen ihre Geschichte erzählen. Ihre Erinnerungen, aber auch ihre Träume und Ängste werden dabei auf ebenso berückende wie beklemmende Weise ins Bild gesetzt. «Wie ist dieser stark ästhetisierende Dokumentarfilm, der mich sehr beeindruckt hat, einzuordnen? Es liegt etwas Erschütterndes in dieser ausgefeilten Form – eine Form im Dienste der Frauenstimmen, die ihre verschwundenen Angehörigen auch dreissig Jahre später noch mit demselben Schmerz in Erinnerung rufen wie am ersten Tag. Der Film beschreibt eines der vielen Phantome, die den Libanon noch immer verfolgen.» (Patrick Chappatte, Katalog Festival International de Films de Fribourg 2012) 80 Min / Farbe / DCP / Arab/d // DREHBUCH UND REGIE ­Khalil Dreifus Zaarour // KAMERA Elie Berbari // MUSIK Nadim Mishlawi // SCHNITT Marwan Ziadeh.

SHOUT Niederlande 2010 Ezat und Bayan sind als syrische Drusen auf den von Israel annektierten Golan-Höhen aufgewachsen. Mit 18 Jahren bekommen sie erstmals die Möglichkeit, die Grenze zu überqueren, um in Damaskus zu studieren, im Wissen, dass sie ihre Familie ein Jahr lang nicht sehen werden. Während der eine Medizin studiert, besucht der andere die Schauspielschule, was die Erwartungen seiner Angehörigen enttäuscht. Nach einem Jahr in der Grossstadt stehen die beiden jungen Männer vor einer schwierigen, weil endgültigen Wahl: Wollen sie in Damaskus bleiben oder für immer heimkehren? Die niederländischen Filmemacherinnen Ester Gould und Sabine Lubbe Bakker schildern in ihrem bewegenden Dokumentarfilm, der vor dem Bürgerkrieg entstand, das kaum bekannte Dilemma der Syrer auf dem Golan. Zwar werden diese besser behandelt als die Palästinenser, und die Besatzung ist weniger spürbar; die Grenze jedoch, die die Golan-Bewohner vom Rest ihrer Heimat und ihren Landsleuten und Verwandten trennt, zwingt sie, sich unwiderruflich für eine der beiden Seiten zu entscheiden.

Ester Gould, Sabine Lubbe Bakker // KAMERA Gregor Meerman // MUSIK Tim van Peppen // SCHNITT Barbara Hin.

LES MÉCRÉANTS Marokko/Schweiz 2011 Auf Befehl ihres spirituellen Führers entführen drei junge Islamisten eine kleine Schauspieltruppe, die mit ihrem neusten Stück auf Tournee ist. Am Zufluchtsort angekommen, können die Entführer keinen Kontakt mehr zur Basis herstellen. Während sieben Tagen in Abgeschiedenheit sind die beiden Gruppen zum Zusammenleben gezwungen, müssen sich miteinander auseinandersetzen und ihre gegenseitigen Vorurteile hinterfragen. «Mohcine Besri, Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler, ist in Marokko geboren, lebt und arbeitet aber in Genf (etwa als Koautor von Laurent Nègres Opération Casablanca) und legt mit Les mécréants sein Spielfilmdebüt vor. Das ist ihm schön gelungen. Spannend und hochpräzis geschrieben, meidet dieses Kammerspiel um sieben Personen die Bequemlichkeit der Karikatur ebenso wie die Versuchung der Schwarzweissmalerei. Indem es unbezähmbaren Freiheitsdrang mit Bildungsfeindlichkeit konfrontiert, bringt es die Streitobjekte des Arabischen Frühlings ins Spiel und stellt ein ontologisches Prinzip auf, das unanfechtbar ist: ‹Der Wert des Menschen hängt weder von der Länge des Barts ab noch von der Länge des Rocks.›» (Antoine Duplan, Le Temps, 27.4.2012) 88 Min / Farbe / DCP / Arab/d/f // DREHBUCH UND REGIE ­Mohcine Besri // KAMERA Pascal Montjovent // MUSIK ­Philippe Heritier, Mohcine Besri // SCHNITT Naïma Bachiri // MIT Rabii Benjhaile (Rabii), Aïssam Bouali (Anas), Abdenbi El Beniwi (Abdou), Jamila El Haouni (Jamila), Mustapha El Houari (Mustapha), Amine Ennaji (Amine), Maria Lalouaz (Hind), Omar Lotfi (Omar).

ASFOURI Libanon 2012 Karim lebt 1975 als kleiner Junge in einem Haus in Beirut, das sein Grossvater Abu Afif gebaut hat. Als der Bürgerkrieg ausbricht, durchleben nicht nur die Bewohner Beiruts, sondern auch das Gebäude der Familie turbulente Zeiten. Zwanzig Jahre später kehrt der erwachsene Karim aus Amerika nach Beirut zu seiner Familie zurück und versucht, das heruntergekommene Gebäude vor neuen Bauvorhaben zu retten. Immer wieder erinnert er sich dabei an die Vergangenheit, als Familien verschiedener Herkunft und Religion dort

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2nd International Arab Film Festival Zurich. friedlich nebeneinander wohnten. Gemeinsam mit Maya, einer jungen Kanada-Libanesin, versucht er, seine Heimatstadt, die er nicht wiedererkennt, zu verstehen. Regisseur Fouad Alaywan hat selbst in den USA studiert. In seinem Spielfilmerstling Asfouri – deutsch: «Irrenhaus» – wirft er den Blick des liebevollen, aber auch kritischen Heimkehrers auf den Libanon. Für stimmungsvolle Bilder sorgte der Schweizer Kameramann Renato Berta. 98 Min / Farbe / DCP / Arab/Armenisch/F/e // DREHBUCH UND REGIE Fouad Alaywan // KAMERA Philippe Van Leeuw, Renato Berta // MUSIK Vatche Kalenderian // SCHNITT Nabil Mehchi, Nancy Lichaa El Khoury // MIT Wissam Fares (Karim), Zalfa Seurat (Maya), Majdi Machmouchi (Vater Amer), Yara Abou Haidar (Mutter Amer), Georges Hayek (Abu Afif).

BOBBY Tunesien 2012 Der achtjährige Fares darf erstmals allein zur Schule gehen, wie ein Grosser. Auf dem Weg begegnet er einem kleinen streunenden Hund. Die beiden freunden sich an, doch als Fares seinen neuen Gefährten, den er Bobby nennt, eines Tages nach Hause bringt, gibt es Ärger: Für seinen gläubigen Vater ist der Hund ein unreines Tier. Aber Fares lässt nicht locker. Im mehrfach preisgekrönten Kurzfilm Bobby des tunesischen Regisseurs Mehdi M. Barsaoui mündet der Konflikt zwischen fundamentalistischem und liberalem Islam in einen menschlichen Schluss.

18 Min / Farbe / Digital SD / Arab/e // DREHBUCH UND REGIE Mehdi M. Barsaoui // KAMERA Hazem Berrebah // MUSIK Kais Sellami // SCHNITT Mehdi M. Barsaoui, Pascale ­Chavance // MIT Alla Eddine Ben Hamza (Fares), Jamel Sassi (Vater), Schakrah Rammah (Mutter).

CAMERA/WOMAN Marokko 2012 Karima Zoubir porträtiert die geschiedene Khadija, die als Kamerafrau in Marokko Hochzeiten filmt und so für ihren Sohn, ihre Eltern und ihre Geschwister sorgt. Obschon finanziell von ihr abhängig, billigen Khadijas Eltern die berufliche Tätigkeit ihrer Tochter keineswegs, sondern möchten sie lieber wieder unter die Haube bringen. «In Marokko können sich Frauen heute scheiden lassen. Man hätte hoffen können, dass dieser soziale Fortschritt endlich den Frauen gestatten würde, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Doch die Realität sieht leider anders aus. Die meisten Frauen, die eine Scheidung verlangen, müssen auf jeden Unterhalt durch den Gatten verzichten und dennoch die Verantwortung für die Unterstützung und das Aufziehen der Kinder übernehmen. Unter diesen Umständen haben geschiedene Frauen kaum eine Chance, allein durchzukommen. Wer die Scheidung will, muss diese ‹Strafe› hinnehmen, als wäre das der gerechte Preis dafür, dass sie einfach ihre ­Freiheit geniessen wollen.» (Karima Zoubir, aljazeera.com, 13.11.2013) 59 Min / Farbe / Digital HD / Arab/d // DREHBUCH UND REGIE Karima Zoubir // KAMERA Gris Jordana // MUSIK Naissam Jalal // SCHNITT Sofia Escudé Poulenc // MIT Khadija Harrad.

> Bobby.


2nd International Arab Film Festival Zurich.

CHAOS, DISORDER (Harag W’ Marag) Ägypten 2012

Nadine Khans Spielfilmerstling spielt in einem ärmlichen Viertel von Kairo, wo Wasser, Gas und andere Güter per LKW angeliefert und von Menschenschlangen erwartet werden. «Manal ist die Lokalprinzessin, die Tochter des Ladenbesitzers Haj Sayyed und ein leckeres Schnittchen in den Augen ihres muskelbepackten offiziellen Begleiters Zaki und des rivalisierenden Mini-Bosses Mounir. Letzterer ist ein attraktives Schlitzohr und greift auch zu unsauberen Tricks, um die Dame zu erobern, die ihm schöne Augen gemacht hat. Als er ihrem Vater das Handy klaut und darauf ein kompromittierendes Video findet, steigen seine Chancen. (...) Das Drehbuch wurde zuerst von der staatlichen Zensurbehörde abgelehnt, doch nach der Revolution vom Januar 2011, die Präsident Mubarak stürzte, kam es endlich durch. Obschon die Geschichte kein offen politisches Thema hat, zeichnet sie doch das Bild einer gefährlichen Unzufriedenheit, die knapp unter der Oberfläche des Alltagslebens brodelt, so dass man sich ohne Mühe vorstellen kann, wieso es den Beamten unbehaglich wurde.» (Deborah Young, Hollywood Reporter, 18.12.2012) 77 Min / Farbe / DCP / Arab/e // REGIE Nadine Khan // DREHBUCH Nadine Khan, Mohamed Nasser // KAMERA Abdel­ salam Moussa // MUSIK Hassan Khan // SCHNITT Dina ­Farouk // MIT Ayten Amer (Manal), Mohamed Farrag (Zaki), Ramsi Lehner (Mounir), Sabri Abd El Menem (Haj Sayyed), Osama Mohamed Atia (TokTok), Hany El Metenawy (El Kotch), Ghada Felfel (Oum Hind), Asmaa Ahmed (Dina), Ossama ­Nabil Botross (Balgham).

eindringliches Beispiel mündlich erzählter, persönlich erlebter Geschichte.» (Bianka Piringer, kino-zeit.de) «Ein schöner, eleganter und bewegender Blick auf die manchmal soliden, manchmal wackligen Erinnerungen eines Mannes an seine Zeit als Kämpfer für die Befreiung Algeriens von der Kolonialherrschaft. Damien Ounouris Fidaï stellt einen verblüffenden Fortschritt im arabischen Dokumentarfilmschaffen dar. Nachdem sein Grossonkel, Mohamed El Hadi Benadouda, seine Abenteuer in den fünfzig Jahren seit Beginn der Unabhängigkeit Algeriens seiner Familie verheimlicht hat, ist Ounouris kunstvoll gemachter Film (...) auch ein Akt der persönlichen Befreiung.» (Robert Koehler, Variety, 9.9.2012) 83 Min / Farbe / DCP / Arab/F/d // REGIE Damien Ounouri // DREHBUCH Linda Amiri, Damien Ounouri // KAMERA Matthieu Laclau // MUSIK Houria Aichi, Alla, Smail ­Benhouhou u.  a. // SCHNITT Matthieu Laclau // MIT Mohamed El Hadi Benadouda.

NATION ESTATE Dänemark/Palästina 2012 Der Palästina-Konflikt wird in Nation Estate auf originelle und satirische Weise gelöst: Nicht als eigener Nationalstaat («nation state»), sondern als Nationalwohnsiedlung («nation estate») ersteht Palästina in dieser Zukunftsvision, als gewaltiger Wolkenkratzer, der auf jeder symbolisch dekorierten Etage die Bevölkerung einer anderen Stadt – Jerusalem, Ramallah, Bethlehem ... – unterbringt. Nation Estate lief weltweit an Filmfestivals, u. a. in Rotterdam, in Oberhausen, wo er den Preis der Ökumenischen Jury erhielt, und in Marseille (Preis der Kritiker-Jury für den besten Kurzfilm), Rom, São Paulo, Guanajuato und Sarajevo.

FIDAÏ

9 Min / Farbe / DCP / ohne Dialog // REGIE Larissa Sansour

Algerien/Deutschland/Frankreich 2012

// DREHBUCH Søren Lind // KAMERA Jesper Tøffner // MUSIK Aida Nadeem // SCHNITT William Dybeck Sorensen //

«Die Umwälzungen in der arabischen Welt lassen ihre junge Generation auch vermehrt nach ihren geschichtlichen Wurzeln fragen. Der franzö­ sische Filmemacher Damien Ounouri hat eine Dokumentation über seinen Grossonkel gedreht, der erst jetzt, nach fünfzig Jahren, über seine Rolle im algerischen Unabhängigkeitskrieg spricht. Mohamed El Hadi Benadouda wurde mit 19 Jahren ein ‹fidaï› – ein Mann, der sein Leben dem Kampf für eine höhere Sache verschreibt. Im Auftrag der algerischen Nationalen Befreiungsfront FLN erschoss er Anfang 1961 in Frankreich einen Mann. Damien Ounouris Film Fidaï ist ein

MIT Larissa Sansour (Frau), Leila Sansour (Frau im Lift), Maxim Sansour (Mann im Lift).

ON THE EDGE (Fawha) Frankreich 2012

Der siebenjährige Karim, ein Einzelkind aus bescheidenem Hause, wird von Albträumen ­ ­verfolgt, die mit den Mythen und Legenden um seine Heimatstadt Bou Jaâda zusammenhängen.

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> Nation Estate.

> Scheherazade’s Diary..

> Winter of Discontent.

> Chaos, Disorder.

> The Square.


2nd International Arab Film Festival Zurich. Wohnt im ausgetrockneten Dorfbrunnen wirklich eine böse Hexe, die ihm ans Leder will? Die Mutter verhätschelt ihren kleinen, verängstigten Jungen, aber der Vater will, dass Karim nun ein Mann wird. Der Marokkaner Omar Mouldouira inszeniert mit Fawha eine tragikomische Fabel ums Erwachsenwerden, welche an Märchen aus dem Mittelmeerraum gemahnt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die bezaubernde Sand-Animationssequenz, welche den Film einleitet. 27 Min / Farbe / DCP / Arab/e // DREHBUCH UND REGIE Omar Mouldouira // KAMERA Frank Van Vught // MUSIK Safy ­Boutella // SCHNITT Emmanuelle Mimran // MIT Oussama Bahouane (Karim), Hamza Alkaoui (Medhi), Touria Alaoui ­(Fatima), Hatim Saddiki (Messaoud), Aziz El Hattab (Ali).

WINTER OF DISCONTENT (El sheita elli fat) Ägypten 2012

Der ägyptische Autor und Regisseur Ibrahim El Batout greift in seinem jüngsten Film die Revolution in seiner Heimat auf, als Anfang 2011 Millionen den Rücktritt des diktatorischen Präsidenten Mubarak erzwangen. Winter of Discontent springt in der Zeit vor und zurück und konzentriert sich auf ein Trio von Figuren, deren Leben sich verstricken: den oppositionellen Aktivisten Amr, der selbst schon das Opfer staatlicher Folter geworden ist, den Geheimpolizisten Adel und die Nachrichtensprecherin Farah. Amr Waked, der den Aktivisten verkörpert, ist ein Star des ägyptischen Kinos, der in Filmen wie Syriana und Salmon Fishing in the Yemen mitgewirkt hat. Bei Winter of Discontent zeichnet er zudem als Produzent und Mitinitiator des Films, dessen Dreharbeiten noch während der Proteste auf dem Tahrir-Platz begannen. «Winter of Discontent ist kein Film für die breite Masse. Ich bin aber stolz darauf, bei diesem kollektiven Abenteuer mitgemacht zu haben, das darin bestand, die wichtigste Episode unseres Lebens zu erzählen. Ein solcher Moment ist wie eine Geburt: schmerzhaft und doch gleichzeitig hoffnungsvoll.» (Amr Waked, zit. nach: Le magazine du Monde, 6.7.2013) 94 Min / Farbe / DCP / Arab/e // REGIE Ibrahim El Batout // DREHBUCH Ibrahim El Batout, Ahmed Amer, Yasser Naem, Habi Seoud // KAMERA Victor Credi // MUSIK Ahmed Mostafa

CATHARSIS: A SELF-PORTRAIT Ägypten 2013 «Selbstporträts von Cineasten können leicht öd und langweilig sein, doch Catharsis: A Self-portrait von Alia Ayman ist alles andere als das. Nicht nur ist es wunderschön gefilmt; Aymans Drehbuch ist ehrlich und schonungslos, eine Herausforderung für sie selbst wie auch für das Publikum. Ihre Worte wechseln zwischen Arabisch und Englisch; ‹Es ist zweisprachig,› sagt sie, ‹weil ich es bin.› Sie sagt auch Selbstverständliches geradeheraus: ‹Wieso fühle ich mich auf den Strassen von New York wohler als in meiner Heimat?› Was sie als Studentin an der American University in Kairo über kulturellen Imperialismus gelernt hat, flicht sie ein in ihr wachsendes Verständnis ihrer Umwelt und ihrer eigenen Person; das Private und das Politische durchdringen sich gegenseitig auf intime und elegante Weise.» (Naira Antoun, Egypt Independent, 4.3.2013) 7 Min / Farbe / Digital SD / Arab/e // DREHBUCH, REGIE UND SCHNITT Alia Ayman // KAMERA Alia Ayman, Tito Coletes // MUSIK N ­ adah El Shazly // MIT Alia Ayman.

HIDDEN BEAUTIES

(Millefeuille) Tunesien/Frankreich 2013 «Januar 2011. Tunis kocht über. Dem Regime Ben Ali bleiben nur noch wenige Tage. Zwei junge und hübsche Frauen arbeiten in einem Luxus-Tearoom im Stadtzentrum. Aïcha trägt den Schleier, Zaineb weigert sich. Das spielt jedoch kaum eine Rolle: Sie sind die besten Freundinnen der Welt. Aber beiden steht eine Entscheidung bevor. Die eine wird den Hijab tragen müssen, die andere wird gezwungen, ihn abzulegen. So kommt es im Film zu zwei sich kreuzenden Sequenzen, zwei prächtigen Szenen. In der einen versucht Aïcha den Schleier abzulegen: Ihre Reaktion kommt aus dem Bauch, aus der Epidermis, als würde die Luft ihre Kopfhaut verzehren. In der anderen Szene bedeckt Zainebs Tante ihr die Haare mit dem Schleier, und die junge Frau wird fast wahnsinnig. Tatsächlich führen Zaineb und Aïcha einen identischen Kampf, auch wenn er zunächst gegensätzlich wirkt. Und tatsächlich fehlt etwas bei der ‹sichtbaren› Revolution: die innere Revolution, die Freiheit zur Selbstbestimmung, egal, wie diese für die Frauen aussieht.» (Jean-Christophe Ferrari, Evene, Juni 2013)

Saleh // SCHNITT Hisham Saqr // MIT Amr Waked (Amr), ­Farah Youssef (Farah), Salah Al Hanafy (Adel), Tamer Abdul-

105 Min / Farbe / DCP / Arab/F/e // DREHBUCH UND REGIE

Hamid (Malik), Moataz Mosallam (Moataz).

Nouri Bouzid // KAMERA Béchir Mahbouli, Sébastien

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2nd International Arab Film Festival Zurich. Goepfert // MUSIK Sami Maatougi // SCHNITT Seif Ben Salem // MIT Souhir Ben Amara (Aïcha), Nour Meziou (Zaineb), Bahram Aloui (Hamza), Lotfi Abdelli (Brahim), Fathi Messelmani (Vater).

OMAR Palästina 2013 Vorpremiere

Peau de colle ist eine witzige Kurzsatire über das Spannungsverhältnis zwischen der heutigen Jugend und den gestrengen Sitten des islamischen Patriarchats. 23 Min / Farbe / Digital HD / Arab/e // DREHBUCH UND REGIE Kaouther Ben Hania // KAMERA Hazem Berrabah // MUSIK Benjamin Violet // SCHNITT Valentin Féron // MIT Yasmine Ben Amara (Amira), Shiraz Fradi (Mounira), Ahmed Hafiène (Lehrer), Fathi Heddaoui (Arzt), Rafed Cheyada (Junge), Zied

Hany Abu-Assad, der wohl bedeutendste palästinensische Filmemacher, errang 2006 eine OscarNomination mit Paradise Now, dem Drama um zwei angehende Selbstmordattentäter. Sein neuer Film Omar wurde 2013 in Cannes preisgekrönt und gelangte ebenfalls ins Oscar-Rennen. Omar, ein junger palästinensischer Bäcker, klettert regelmässig über die israelische Sperrmauer, um seinen Freund Tarek zu besuchen, dessen Schwester Nadja seine heimliche Freundin ist. Während Omar erreichen will, dass Tarek ihm die Heirat mit Nadja gestattet, drängt dieser darauf, den israelischen Besatzern eins auszuwischen. Tarek gewinnt Omar für einen Anschlag auf einen israelischen Soldaten. Als Omar kurz darauf in die Hände der Polizei fällt, nötigt ihn diese, Tarek ans Messer zu liefern. Omar steht vor einem fatalen Dilemma: Wenn er nicht seinen Freund verrät, kommt er lebenslang in Haft und sieht seine Geliebte nie wieder. «Das Wichtigste bei diesem Film ist, dass es eine tragische Liebesgeschichte ist, weder an eine Zeit noch an einen Ort gebunden. Es ist auch ein unterhaltsamer Thriller. Er handelt von Menschen, die versuchen, das Richtige zu tun, doch weil sie falsche Entscheidungen treffen, werden sie zu noch viel schwierigeren Entscheidungen gezwungen. Das Publikum soll wissen, dass der Film nicht nur von Politik handelt, sondern im Grunde von Menschen, Liebe, Vertrauen und ­Verrat.» (Hany Abu-Assad, zit. nach: Indiewire, 28.11.2013) 98 Min / Farbe / DCP / Arab/Heb/d // DREHBUCH UND REGIE Hany Abu-Assad // KAMERA Ehab Assal // MUSIK Raja Dubayah // SCHNITT Martin Brinkler, Eyas ­Salman // MIT Adam Bakri (Omar), Leem Loubany (Nadja), Eyad Hourani (Tarek), Waleed Zuaiter (Agent Rami), Samer Bisharat (Amjad).

PEAU DE COLLE Frankreich/Tunesien 2013 Die fünfjährige Amira will nicht mehr zur Koranschule gehen. Also klebt sie zuhause ihre Hand am Stuhl fest. Aber so leicht gehen Amiras Mutter und der Koranlehrer dem Mädchen nicht auf den Leim.

Kochbati (Nachbar).

SANCTITY Saudi-Arabien/Frankreich 2013 Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes ist die junge Witwe Areej doppelt benachteiligt: Nicht nur hat sie keine Möglichkeit, einen Lebensunterhalt zu verdienen, da ihr das Gesetz zwei Monate lang nicht erlaubt, einen Mann zu sehen; sie ist zudem schwanger. Der Bruder ihres Gatten behauptet, ihm stehe Geld zu, aber die Witwe weiss nichts von Schulden. In ihrer Verzweiflung und Isolation nimmt sie einen jungen Jemeniten bei sich auf, der ihr Lebensmittel bringt, aber im Ruf steht, Drogenhändler zu sein. Mit diesem Ver­ stoss gegen die verordnete Geschlechtertrennung überschreitet Areej eine Grenze. Sanctity, der dritte Kurzfilm der saudi-arabischen, in den USA ausgebildeten Filmemacherin und Schauspielerin Ahd, lief 2013 im Wettbewerb der Berlinale. Ahd hat sich auch als Darstellerin der Mutter in Haifaa al-Mansours Wadjda einen Namen gemacht. 37 Min / Farbe / DCP / Arab/e // DREHBUCH UND REGIE Ahd // KAMERA Tristan Tortuyaux // SCHNITT Léa Masson // MIT Ahd (Areej), Mohammed Baker (Abdullah), Mohammed Osman (Ali).

SCHEHERAZADE’S DIARY Libanon 2013 «Zeina Daccache ist als Schauspielerin bekannt, aber sie hat auch als Regisseurin für Drama­ therapie-Theater gearbeitet. Ihr neuer Film wurde während zehn Monaten im libanesischen Frauengefängnis Baabda gedreht. Dieser fesselnde und tragikomische Dokumentarfilm zeigt Insassinnen, die sich gegen patriarchalische Gesellschaften auflehnen. Mittels ihrer Theaterinitiative unter dem Titel ‹Scheherazade in Baabda› enthüllen diese ‹Gattenmörderinnen, Ehebrecherinnen und Drogenkriminellen› ihre Geschichten. Sie erzählen von häuslicher Gewalt, traumatischen Kindheiten, gescheiterten Ehen, hoffnungslosen Romanzen und dem Entzug der Mut-


2nd International Arab Film Festival Zurich. terschaft. Die Frauen im Gefängnis Baabda offenbaren ihre privaten Geschichten und halten damit der heutigen libanesischen Gesellschaft den Spiegel vor. Vor vier Jahren errang Daccache den FipresciPreis und den Muhr Arab Award am Dubai International Film Festival für den besten Dokumentarfilm mit 12 Angry Lebanese (2009; 2012 am arabischen Filmfestival im Filmpodium zu sehen, Anm. d. Red.), in dem sie Insassen in der Strafanstalt Roumieh porträtierte. Seither haben die Brüder Taviani ihren bemerkenswerten Film Cesare deve morire vorgelegt. Das Modell ‹Theater im Dokumentarfilm› ist nicht neu. Wird ein solcher Film aber professionell gemacht, mit flammender Leidenschaft, glaubwürdigen Gefühlen und nackter Ehrlichkeit, funktioniert er immer. Daccache bestätigt das.» (Bojidar Manov, Fipresci, 2013) 80 Min / Farbe / DCP / Arab/d // DREHBUCH UND REGIE Zeina Daccache // KAMERA Jocelyne Abi Gebrayel // MUSIK Khaled Mouzanar // SCHNITT Michele Tyan. Das Theatertherapie-Projekt, der Dokumentarfilm und die Übersetzung der Untertitel wurden mit Unterstützung der Drosos Stiftung Zürich realisiert.

THE SQUARE

(Al midan) Ägypten/USA 2013

aus der Revolution ein Krieg wurde. Ein Film, der zurückschaut, um den Blick nach vorne zu öffnen.» (Dorothee Wenner, Katalog Forum Berlinale 2014) 104 Min / Farbe / Digital HD / Arab/e // REGIE Jehane Noujaim // KAMERA Muhammad Hamdy, Ahmed Hassan, Jehane ­Noujaim // MUSIK H. Scott Salinas, Jonas Colstrup // SCHNITT Pedro Kos, Muhamed El Manasterly, Christopher De La Torre // MIT Khalid Abdalla, Magdy Ashour, Ahmed Hassan, Ragia Omran, Ramy Essam, Aida Elkashef.

ZAKARIA Frankreich 2013 Der gebürtige Algerier Zakaria lebt zusammen mit seiner Familie in einem ruhigen kleinen Dorf im Süden Frankreichs, angepasst und akzeptiert. Als jedoch sein Vater stirbt, steht Zakarias Welt Kopf. Er beschliesst, zusammen mit seiner Familie nach Algerien zu reisen, um seine Verwandten zu besuchen und zu unterstützen. Seine halbwüchsige Tochter Sarah hat allerdings ganz andere Pläne. Die Tunesierin Leyla Bouzid bringt in Zakaria das Thema der inneren Entfernung von der Heimat bei Migranten humorvoll und anrührend auf den Punkt. 28 Min / Farbe / DCP / F/e // REGIE Leyla Bouzid // DREHBUCH Leyla Bouzid, Saïd Hamich // KAMERA Sébastien Goepfert // MUSIK Khaled // SCHNITT Lilian Corbeille // MIT

«Im Januar 2011 hatte sich auf dem Tahrir-Platz das Zeitgefühl verändert. Die plötzliche Beschleunigung nach dreissig Jahren Stillstand löste eine Euphorie aus, die damals auch die amerikanisch-ägyptische Filmemacherin Jehane Noujaim mit ihrer Kamera nach Kairo zog. Sie blieb über zwei Jahre und begleitete mehrere Aktivisten in den dramatischen Zeiten, die folgten – und noch andauern. Im Zentrum ihres Films steht Ahmed Hassan, ein junger Mann aus dem Arbeiterbezirk Shobra, der schon als Achtjähriger Geld verdienen musste. Der ägyptisch-britische Schauspieler Khalid Abdalla stammt aus einer Familie, die seit Generationen für mehr Demokratie im Land kämpft. Die vielleicht tragischste Figur ist Magdy Ashour, der als Muslimbruder unter Mubarak verhaftet und gefoltert worden war – und auf dem Tahrir-Platz, damals im Januar 2011, in Khalid und Ahmed Freunde und Verbündete fand. Mit einer beeindruckenden Materialfülle und einer entschlossen subjektiven Grenzgängerperspektive rekapituliert The Square die sich überstürzenden Ereignisse, die Eskalation von Gewalt, die Stimmungsumschwünge, den Moment, als

Saïd Ahmama (Zakaria), Célia Mazade (Sarah), Ayoub Louchi (Adil), Béatrice Fernandez (Mutter), Lucas Vignac (Adam).

LOOKING FOR MUHYIDDIN Tunesien 2013 Ein Mann kehrt in seine Heimat zurück, um seine Mutter zu bestatten. Um ein Versprechen gegenüber seinem Vater einzulösen, macht er sich auf die Suche nach Spuren von Muhyiddin Ibn ’Arabi, dem grossen islamischen Theologen, Mystiker und Dichter des 13. Jahrhunderts. Seine Nachforschungen über Muhyiddins weltoffenen und menschlichen Islam, der heute in Vergessenheit zu geraten droht, führen durch neun Länder und zu vielen Begegnungen, die neue Facetten des grossen Denkers enthüllen. Der tunesische Cineast Nacer Khemir, Schöpfer der «Wüsten-Trilogie» – Die Wanderer der Wüste, Das verlorene Halsband der Taube, Bab’Aziz, der Prinz, der seine Seele betrachtet –, sagt über die Absicht seines neuen Films: «Wenn du neben deinem Vater gehst und er fällt plötzlich hin, das

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> Looking for Muhyiddin.

> Giraffada.

> Palestine Stereo.


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2nd International Arab Film Festival Zurich. Gesicht im Dreck, was würdest du tun? Du würdest ihm aufhelfen und ihm mit deinem Hemd das Gesicht abwischen. Das Gesicht meines Vaters steht für den Islam und ich habe versucht, mit meinem Film dem Islam das Gesicht sauber zu wischen, indem ich eine offene, tolerante und freundliche islamische Kultur zeige, voller Liebe und Weisheit, einen Islam, der sich von seiner Darstellung in den Medien seit 9/11 unterscheidet. (...) Fundamentalismus und Fanatismus können nicht für den Islam stehen, ebenso wenig wie die Inquisition für den Glauben Jesu steht.» (Interview auf ibnarabisociety.org)

«Die herzzerreissende Entscheidung zweier Brüder, ihre Heimat zu verlassen, bietet Regisseur Rashid Masharawi (Laila’s Birthday) eine natürliche Gelegenheit, das Leben unter der Besatzung zu dokumentieren. Das tut er mit einem scharfen Sinn für die tragikomischen Absurditäten, wie sie einer unmöglichen politischen Situation eigen sind, die sich einfach endlos fortsetzt. Was stark durchdringt, ist sein leidenschaftliches Plädoyer dafür, dass Palästinenser dableiben und für ihr Land kämpfen sollen, statt in verheissungsvollere Gefilde auszuwandern.» (Deborah Young, Hollywood Reporter, 19.10.2013)

183 Min / Farbe / DCP / OV/e // DREHBUCH UND REGIE Nacer

90 Min / Farbe / DCP / Arab/e // DREHBUCH UND REGIE

Khemir // KAMERA Alexandre Leglise, Hazem Berrabah,

­Rashid Masharawi // KAMERA Tarek Ben Abdallah // MUSIK

­Nacer Khemir u.a. // MUSIK Shiraz Jerbi // SCHNITT Nacer

Kais Sallemi // SCHNITT Pascale Chavance // MIT Mahmoud

Khemir, Abir Messaoud, Chaibi Wafa // MIT Nacer Khemir,

Abu Jazi (Stereo), Salah Hannoun (Sami), Areen Omari

Gabriele Mandel Khan, Denis Gril, James Morris, Abdul Aziz

­(Mariam), Mayssa Abdel Hadi (Laila), Assem Zoubi (Ziad),

Al-Mansoub, Bakri Aladdin.

Khalifa Natour (Samir).

ZU GAST IM FILMPODIUM: NACER KHEMIR DI, 15. APRIL | 17.00 UHR Nacer Khemir ist mit seiner «Wüsten-Trilogie» zum bedeutendsten tunesischen Filmemacher der Gegenwart geworden. In seinem jüngsten Film Looking for Muhyiddin setzt er sich mit dem Islam auseinander und kontrastiert das heutige Zerrbild dieser Religion, das von Fanatismus und Fundamentalismus geprägt ist, mit den weltoffenen Vorstellungen des Mystikers Muhyiddin Ibn ’Arabi. Der Regisseur wird seinen Film persönlich vorstellen. Das Gespräch findet in französischer Sprache statt.

PALESTINE STEREO Palästina/Tunesien/Frankreich 2013 Zwei palästinische Brüder, Sami und Milad (genannt Stereo), beschliessen nach Kanada auszuwandern. Das Haus ihrer Familie wurde versehentlich bei einem israelischen Bombenangriff zerstört, wobei Milads Frau starb und Sami sein Gehör und seine Stimme verlor. Milad, der seinen Lebensunterhalt als Sänger an Hochzeiten verdient hatte, kann sich nicht mehr zu solchen Auftritten überwinden. Sami wiederum ist zu stolz und zu stur, um als Behinderter seine Verlobte Laila zu heiraten. Da die Brüder für die Einreise nach Kanada aber 10 000 Dollar benötigen, tuckern sie in einer ehemaligen Ambulanz durch Ramallah und vermieten an politischen und festlichen Anlässen eine schäbige Tonanlage.

GIRAFFADA Frankreich/Palästina/Deutschland 2013 Der zehnjährige Ziad kümmert sich hingebungsvoll um zwei Giraffen im einzigen verbliebenen Zoo Palästinas, wo sein Vater Yacine als Tierarzt arbeitet. Als bei einem israelischen Luftangriff die männliche Giraffe getötet wird, geht es dem Weibchen immer schlechter. Also muss dringend ein neuer Partner für das trauernde Tier gefunden werden. Die Suche führt Ziad und Yacine bis in den Ramat Gan Safari-Park bei Tel Aviv, wo Yacines israelischer Kollege Yohav Hilfe ver­ spricht. Aber eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als eine Giraffe durch Israels Sperrmauer. Rani Massalhas von Tatsachen inspiriertes Spielfilmdebüt ist eine – durchaus kindgerechte – Fabel und macht den real existierenden Zoo von Qalqiliya zum Sinnbild für Palästina. Die Anlage ist nicht nur von der Gewalt der Israeli bedroht, sondern auch von der Korruption des Chefs, der sich lieber in Saus und Braus feiern lässt, statt die knappen Ressourcen zum Wohl der Bewohner einzusetzen. 85 Min / Farbe / DCP / Arab/Heb/d // REGIE Rani Massalha // DREHBUCH Xavier Nemo, Rani Massalha // KAMERA Manuel Teran // MUSIK Rami Nakhleh, Hassan Nakhleh // SCHNITT Carlotta Cristiani // MIT Saleh Bakri (Yacine), Laure de Clermont-Tonnerre ­

(Laura),

Ahmad

Bayatra

(Ziad),

­Mohammad Bakri (Hassan), Roschdy Zem (Yohav), Loutof Nuweiser (Marwan).



19 Sergio Leone

Es war einmal die Revolution Zu Lebzeiten unterstellte man Sergio Leone gerne und oft schlechten Stil. Heute gilt gerade dieser Stil als revolutionär, und man feiert den Regisseur als Auteur des Genrekinos. Bis dahin allerdings brauchte es Glück, Männer in Sandalen, Akira Kurosawa, eine Handvoll Dollar und den Umweg über die spanische Wüste, wo Leone im staubigen Niemandsland den Italo-Western fand. Am 17. August 1964 gelangte in einem schäbigen Florentiner Vorortskino ein Western mit dem Titel Per un pugno di dollari (englisch: A Fistful of Dollars) zur Uraufführung. Vier Jahre waren vergangen, seit Jean-Luc Godard mit À bout de souffle seine quere Lesart von Hollywood-Genrefilmen fruchtbar gemacht und dem Kino eine Frischzellenkur verpasst hatte. Seither hatten die Auteurs der Nouvelle Vague ein ansehnliches Korpus geschaffen, das der Revolution Gewicht und Fahrt verlieh. Die Macher dieser theorieunterfütterten Filme besassen die Deutungshoheit im Diskurs um das Kino der Zukunft. Das Kommerzkino jedoch, wo zur selben Zeit Neues entstand, wurde ausgeblendet. Wie eine späte Wiedergutmachung würdigten die Cahiers du cinéma, das Zentralorgan der Auteurs, im Jubiläumsheft 1995 jenen 17. August 1964 als einen der unsterblichen Momente der ersten 100 Jahre Kinogeschichte. Dabei startete A Fistful of Dollars, von Sergio Leone (1929–1989) als italienisch-westdeutsch-spanische Koproduktion in Spanien realisiert, ohne viel Aufsehen. Der Film entwickelte sich aber schnell zum Publikumsrenner und begründete das Geschäftsmodell «Italo-Western», obwohl er so ganz anders war als das US-Genrefutter, das die filmbegeisterten Italiener liebten. Anders als Godard & Co., Fellini oder Antonioni arbeitete Leone im industriellen Genrekino. A Fistful of Dollars war weniger das Ergebnis visionärer Ideen und Reflexionen als vielmehr das Produkt des branchenüblichen Zwangs, das Ewiggleiche als etwas Vertrautes und doch sensationell Neues zu verkaufen. Damals flutete die italienische Billigfilmindustrie die Welt mit trashigen «Sandalenfilmen». Man recycelte dabei jene Kulissenstädte, die die

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Kargheit als Stilprinzip des Italo-Western: For a Few Dollars More

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Keine Moral, aber grosse Knarren: The Good, the Bad and the Ugly


20 Amerikaner in den fünfziger Jahren für ihre monumentalen Bibelstunden in Rom aufgebaut hatten, und verfügte über erfahrenes Personal – Leone hatte 1951 bei Quo Vadis und 1959 bei Ben-Hur als Second Unit Director mitgewirkt –, so dass bald billige Herkulesfilme im Monatstakt vom Band rollten. Dabei wurde Leone zum Regisseur, der 1959 The Last Days of Pompeii mitinszenierte und 1961 Il colosso di Rodi aus der Taufe hob. Ein Samurai zieht nach Westen Zwei Lehren nahm Leone aus dieser Zeit mit: Packe ein sinnenfreudig-albernes Abenteuer mit einem Superman in ein populäres Hollywood-Genre und besetze die Hauptrolle mit einem Yankee. So lockte man die Italiener mit ihrer Liebe zu allem Amerikanischen und verkaufte ihnen Wohlvertrautes in modischer Hülle. Leones Plan, es mit einem Western zu versuchen, dem amerikanischsten aller Genres, war demnach nicht besonders abseitig. Die Idee zu A Fistful of Dollars kam aus Japan. 1961 brachte Akira Kurosawa den Samuraifilm Yojimbo ins Kino. Ein Jahr zuvor hatte Hollywood dessen Shichinin no samurai (Die sieben Samurai, 1954) erfolgreich als Western – The Magnificent Seven (Regie: John Sturges) – adaptiert. Leone war überzeugt, dass sich auch Yojimbo für einen Transfer eignen würde, insbesondere da er annahm, dass bereits Kurosawas Film eine Übertragung gewesen war. Erinnerte der Plot – zwei rivalisierende Clans werden von einem Einzelkämpfer gegeneinander ausgespielt – nicht an Dashiell Hammetts Krimi «Red Harvest», der wiederum an Carlo Goldonis Komödie «Diener zweier Herren» gemahnte? Leone kopierte frech Kurosawas Meisterwerk, im Glauben, für diese kulturelle Rückführung nicht zahlen zu müssen (womit er sich einen saftigen Rechtsstreit einhandelte). Als er Produzenten fand, die es mit einem EuroWestern als Ersatz fürs ausgelatschte Sandalen-Genre wagen wollten, gab es eine Handvoll Lire und eine Adresse in der südspanischen Wüste, wo ein paar ausgediente Kulissen warteten. Im Rückblick wirkt es wie ein Pfingstwunder, dass überhaupt ein Film entstand. Auf dem Set herrschte ein babylonisches Sprachgewirr zwischen Italienern, Spaniern, Deutschen und TV-Cowboy Clint Eastwood, für den – nach Absagen von Henry Fonda, Charles Bronson und James Coburn – einzig seine bescheidene Gage den Ausschlag gegeben hatte. Weil Eastwood vieles vom Pidgin-Englisch des Scripts nicht verstand, strich er eigenmächtig den Grossteil seines Textes. Zurück blieb jener grosse Schweiger, der zur Coolness-Ikone wurde. Der Leone-Stil ist also aus Not geboren und entsprach zunächst keineswegs den Vorstellungen des Römers von einem italienischen Western. Selbst Ennio Morricone, mit dem sich Leone später in einer «katholischen, also untrennbaren Ehe» verbunden sah, war lange Zeit nur zweite Wahl. Ursprüng-


21 lich favorisierte der Regisseur eine konventionelle Komposition. Das Revolutionäre an dem von Morricone aus Elementen mediterraner Volksmusik, harten Gitarrenriffs, gepfiffenen Leitmotiven, Maultrommeln und Kojotengeheul kompilierten Soundtrack ging ihm erst später auf. Kurosawas ritualisierte Schwertkämpfe übersetzte Leone in seine später legendär gewordenen endlos zerdehnten Pistolenduelle, was ihm archaischer erschien als jene Gefechte, mit denen Recht und Ordnung im US-Western durchgesetzt wurden. Das traf sich mit den Forderungen der Geldgeber, die ihn drängten, statt teurer Indianerschlachten billige Showdowns zu inszenieren. Der spanische Ersatz-Wildwest bot in seiner Öde und Abstraktion den idealen Hintergrund, vor dem Leones schmutzige Holzschnittfiguren ihr absurdes Endspiel aufführen konnten. Vom Kopisten zum Künstler Verhindert wurde so, dass sich der Italo-Western, nicht wie zuvor die naiven Winnetou-Filme, zu einer Kopie des US-Cowboyabenteuers entwickelte. Diese Bastardgeburt war etwas, das die Welt noch nicht gesehen hatte. Vorerst nahm die Kritik kaum Notiz, doch das Publikum liebte, was es sah, und wollte mehr. Bald zogen Legionen nach Almería, um dort Italo-Western zu drehen. Sie kopierten, fledderten und fanden bisweilen zu eigenem Stil und eigener Politik. Als dann zehn Jahre und 500 Filme später – inzwischen war das Genre als Komödienstadl auf den Hund gekommen – nichts mehr rauszupressen war, zog die Karawane weiter. Leone aber blieb, sieht man von Once Upon a Time in America (1984) ab, dem Western zeitlebens treu. Im Gegensatz zum bald stagnierenden Industrie-Italo-Western entwickelte und verfeinerte er die Stilelemente weiter. Zusehends selbstbewusster und ausgreifender zersägte er die Mythen des USWestern und verband die Trümmer mit populären Traditionssträngen, die von der Odyssee über den Pikaro-Roman, die Commedia dell’Arte und den Grand Guignol bis hin zur italienischen Oper reichten. Er popularisierte Erzählformen der Nouvelle Vague und flirtete gleichzeitig mit Politik, Kitsch, Camp und Comicstrip, bis sich die Elemente zum postmodernen «Gesamtkunstwerk» fügten, als welches es bis heute in Kunst und Kommerz weiterwirkt. Benedikt Eppenberger

Benedikt Eppenberger ist Filmredaktor beim Schweizer Radio und Fernsehen und arbeitet daneben als freischaffender Filmjournalist und Cartoonist.


> Duck, You Sucker!.

> Once Upon a Time in the West.

> Il colosso di Rodi.

> The Last Days of Pompeii.

> My Name is Nobody.

> The Good, the Bad and the Ugly.


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Sergio Leone.

THE LAST DAYS OF POMPEII (Gli ultimi giorni di Pompei) BRD/Italien/Spanien 1959 Pompeji, 79 n. Chr.: Bei einem Überfall, der den Christen zugeschrieben wird, verliert der Zenturio Glaucus seine Familie. Dennoch macht er es sich zur Aufgabe, verfolgte Christen vor dem sicheren Tod bei Zirkusspielen zu retten, da er Indizien für die Unschuld der neuen Glaubensgemeinschaft findet. Bis zum schicksalshaften Ausbruch des Vesuv, der sich auf das Leben aller auswirkt ... «Der Film hatte einen überwältigenden Erfolg: Er spielte 830 Millionen Lire ein, eine Summe, die fast an den Rekord von 900 Millionen heranreicht, der ein Jahr zuvor von Le fatiche di Ercole von Pietro Francisci aufgestellt wurde. Zwischen 1958 und 1964 wurden mehr als 150 dieser Ausstattungsfilme gedreht. Es waren billige Filme mit grossen Ambitionen in Bezug auf spektakuläre Szenen, die die Begrenztheit der Mittel durch die Zurschaustellung von Muskelmännern, die Erotik sapphischer Königinnen, sadistische Folterungen und Stilmischungen (Barock, Comic, Parodie, Science Fiction) auszugleichen versuchten, die häufig zu zaghaft und bisweilen zu waghalsig ­waren. (…) Noch eine Merkwürdigkeit: Die Equipe von The Last Days of Pompeii vereint die späteren Begründer des Italo-Western, nämlich Sergio Leone, Duccio Tessari, Sergio Corbucci, Enzo ­ Barboni.» (Oreste De Fornari: Sergio Leone, Bahia Verlag 1984) Nach der Erkrankung des damals fast 70-jährigen Mario Bonnard stellte Leone dessen Inszenierung alleine fertig. Die achte italienische Adaptation von Edward Bulwer-Lyttons Roman wurde so zu Leones inoffiziellem Regiedebüt. 93 Min / Farbe / Digital SD / E // REGIE Mario Bonnard, Sergio Leone // DREHBUCH Ennio de Concini, Sergio Leone, Duccio Tessari, Sergio Corbucci, nach einem Roman von Edward Bulwer-Lytton // KAMERA Antonio L. Ballesteros // MUSIK Angelo Francesco Lavagnino // SCHNITT Eraldo Da Roma, Julio Peña // MIT Steve Reeves (Glaucus), Christine Kaufmann (Elena), Barbara Carroll (Nydia), Annemarie Baumann (Julia), Fernando Rey (Hohepriester), Ángel Aranda (Antonius), Guillermo Marín (Ascanius).

IL COLOSSO DI RODI Frankreich/Italien/Spanien 1961 Seine Lebenslust treibt den jungen Athener ­Dareios nach Rhodos, mitten in die Feierlichkeiten zur Einweihung des Kolosses. Die gigantische Götterstatue, die die Mündung des Hafens be-

grenzt, ist Wahrzeichen, Leuchtfeuer und aus­ geklügelte Festungsanlage in einem. Dareios’ Festfreude währt nur kurz: Als Zeuge einer Verschwörung gerät er in erbitterte Auseinandersetzungen zwischen dem tyrannischen König, den rebellierenden Freiheitskämpfern und den Phöniziern, die heimlich die Vorherrschaft im Mittelmeer erobern wollen. Auch die verführerische Diala, Tochter des Gelehrten, der den Koloss entworfen hat, treibt ihr falsches Spiel mit ihm. «Il colosso di Rodi, mit dem Leone erstmalig der Credit als Regisseur zugestanden wurde, war nach Gli ultimi giorni di Pompei ein weiteres dieser farbenfrohen Breitwandspektakel, das die Franzosen auf den Namen ‹Peplum› getauft hatten. Es waren dann auch die französischen Kritiker, welche die hier zumindest im Ansatz schon vorhandenen Qualitäten des Regisseurs erkannten. Der junge Bertrand Tavernier zeigte sich in ‹Cinéma› von Leones ‹äusserst graziösem Werk› und seinem Umgang mit der Ausstattung begeistert, die ‹Cahiers du Cinéma› wagten in Bezug auf die ‹mise en scène› gar den Vergleich mit DeMilles Monumentalfilmen.» (Harald Steinwender, filmgazette.de) 143 Min / Farbe / Digital HD / I/d // REGIE Sergio Leone // DREHBUCH Ennio de Concini, Sergio Leone, Cesare Seccia, Luciano ­Martini // KAMERA Antonio L. Ballesteros // MUSIK Angelo Francesco Lavagnino // SCHNITT Eraldo Da Roma // MIT Rory Calhoun (Dareios), Léa Massari (Diala), Georges Marchal (Peliokles), Mimmo Palmara (Ares), Conrado San Martín (Thar), Angel Aranda (Koros), Mabel Karr (Mirte), Georges ­Rigaud (Lissipo).

A FISTFUL OF DOLLARS (Per un pugno di dollari) Italien/Spanien/BRD 1964 Ein namenloser Pistolero kommt in ein abgelegenes Wildwest-Nest, das von zwei rivalisierenden Banditenfamilien terrorisiert wird. Der Fremde tut so, als wolle er an den unsauberen Geschäften beider Parteien partizipieren; erst der Schluss offenbart seine wahre Absicht. Mit der Western-Serie Rawhide (dt. Cowboys bzw. Tausend Meilen Staub) war Clint Eastwood ab 1959 zu einem bekannten Fernsehdarsteller geworden. Als die bis 1966 fortgeführte Serie bereits Verschleisserscheinungen zeigte und «man ihm die Hauptrolle in einem Spaghetti-Western offerierte, einer Low-Budget-Produktion, die unter primitivsten Bedingungen gedreht wurde, sagte Eastwood aus reiner Abenteuerlust zu. (...) ‹Ich spielte einfach so schmutzig und mürrisch, wie ich es als junger Spund vermochte›, erzählte Eastwood mit dem für ihn typischen Understatement. Tatsächlich verleiht Eastwoods brillantes


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Sergio Leone. Gespür Leones Dollar-Trilogie eine faszinierende Spannung, die sie zum Kassenschlager und Eastwood zum international bekannten Superstar machte.» (Peter Bogdanovich, Clint Eastwood: Bilder eines Lebens, Henschel 2008) «Es war die Blaupause des modernen, wortkargen Action-Helden von Arnold Schwarzenegger über Sylvester Stallone bis Jason Statham, die 1964 im Staub von Leones Dreharbeiten zu A Fistful of Dollars entstand. Es war jener Moment in der Filmgeschichte, erklärt der britische Historiker und Leone-Biograf Christopher Frayling, ‹als der Held aufhörte, ein Kreuzritter zu sein, und ein Modestatement wurde›.» (Eike Frenzel, Spiegel online, 12.3.2013) 99 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Sergio Leone [als Bob Robertson] // DREHBUCH Sergio Leone, Duccio Tessari, Victor Andrés Catena, Adriano Bolzoni, nach dem Film Yojimbo von Akira Kurosawa // KAMERA Massimo Dallamano (als Jack Dalmas], Federico Garcia Larraya // MUSIK Ennio Morricone (als Dan Savio] // SCHNITT Roberto Cinquini (als Bob Quintle), Alfonso Santacana // MIT Clint Eastwood (Joe), Marianne Koch (Marisol), Wolfgang Lukschy (John Baxter), José «Pepe» Calvo (Silvanito), Gian Maria Volonté [als John Wells] (Ramón Rojo), Sieghardt Rupp (Esteban Rojo), Antonio Prieto (Don Miguel Rojo), Margarita Lozano (Consuelo Baxter), Josef Egger (Piripero), Daniel Martin (Julián), Benito Stefanelli (Rubio).

FOR A FEW DOLLARS MORE (Per qualche dollaro in più) Italien/Spanien 1965 Im Nachfolgefilm zu A Fistful of Dollars tun sich zwei Kopfgeldjäger zusammen, um die Belohnung für die Ergreifung eines Desperados einzusacken. «Wie die grossen Kitsch-Western, die Hollywood früher gemacht hat, setzt sich For a Few Dollars More nicht aus Handlungsteilen, sondern aus einzelnen Situationen zusammen: der Mann mit dem schwarzen Hut, der an den Hosenträgern des harten Burschen an der Bar ein Streichholz anzündet; die beiden Revolverhelden, die sich in einer Gasse begegnen. For a Few Dollars More enthält reihenweise solches Zeug, bloss in einem grösseren, melodramatischeren Massstab. Die Duelle dauern nicht Minuten, sondern Ewigkeiten. Eastwood als der Mann ohne Namen ist gross­artig: Er kaut und spuckt Zigarren im Dutzend aus. Lee Van Cleef sieht aus wie ein unendlich müder Clark Gable. Der Rest des Films ist ein grosses Westernklischee nach dem andern: nicht gut gedreht, sondern gut überdreht.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 15.5.1967) 132 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Sergio Leone // DREHBUCH Luciano Vincenzoni, Sergio Leone // KAMERA Massimo Dallamano, Aldo Ricci // MUSIK Ennio Morricone //

SCHNITT Giorgio Serralonga, Eugenio Alabiso, Adriana ­Novelli // MIT Clint Eastwood (Monco), Lee Van Cleef (Douglas Mortimer), Klaus Kinski (Wild), Gian Maria Volonté (Indio), Mara Krup (Mary), Josef Egger (Prophet), Luigi Pistilli (Groggy), Kurt Zips (Hotelier, Marys Mann), Rosemarie ­Dexter (Mortimers Schwester), Werner Abrolat (Slim).

THE GOOD, THE BAD AND THE UGLY (Il buono, il brutto, il cattivo) Italien/USA 1966

Der mexikanische Bandit Tuco steckt mit seinem Partner Joe die unzähligen Kopfprämien, die auf ihn ausgesetzt sind, selber ein: Von Ort zu Ort ziehend, liefert Joe ihn dem Sheriff aus, kassiert die Prämie und rettet Tuco in letzter Sekunde vor dem Strick. Ihre lebenslange Rivalität ist besiegelt, als dies im einen Falle beinahe schief läuft. «In Leones wohl bestem Film – nicht Once Upon a Time in the West, sondern The Good, the Bad and the Ugly – führt er den geheiligten Showdown ad absurdum. Drei Kerle, ein ‹Guter›, ein ‹Böser› und ein ‹Hässlicher›, suchen einen Schatz, um sich – was wohl? – zu bereichern. Ihre Wege kreuzen sich ständig; und wie das so ist bei einer Dreierkonstellation, gibt es immer wieder sich wandelnde Kumpaneien. In Wahrheit freilich beutet jeder den anderen für die eigene Sache aus. Das Trio infernale gerät auch in die Revolu­ tionswirren und in gigantische Massenschlachten. ‹So ein Blödsinn›, sagt einer einmal, ‹die ­krepieren alle. Und für was?› Das sind Spuren­ elemen­te des freien Unternehmers. Am Ende gibt es in einem Amphitheater (!) einen Showdown zu dritt – da fällt kein Hoffnungsschimmer mehr ins irdische Inferno, da wird das gesalbte Duell zum monströsen Rebus vor antiker Kulisse.» (Wolfram Knorr, Die Weltwoche, Mai 1989) Für die vorliegende Digitalkopie griffen die Restauratoren von MGM auf die längere italienische Premierenfassung zurück: Einzelne Dialogpassagen, die in der US-Fassung fehlten, wurden von den – um vierzig Jahre gealterten – Schauspielern neu nachsynchronisiert. Der ursprüngliche MonoTon wurde für das digitale Surroundsystem Dolby 5.1 neu aufbereit, etliche Toneffekte wurden neu angelegt.

Überraschung als Konzept Filmeinführung DO, 3. APRIL | 20.00 UHR A Fistful of Dollars, dem ersten Italo-Western überhaupt, liess Sergio Leone bald zwei weitere Filme folgen, in denen Clint Eastwood den wortkargen Kopfgeldjäger mimte. Oswald Iten, ­ Animationsfilmer, Filmwissenschaftler und Kino­-


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Sergio Leone. betreiber, spricht einleitend über The Good, the Bad and the Ugly, den Höhepunkt von Leones Dollar-Trilogie, und geht dabei insbe­sondere auf den Einsatz der Musik von Ennio Morricone ein. Dauer ca. 25 Min. Tickets mit und ohne Einführung erhältlich. 180 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Sergio Leone // DREHBUCH Furio Scarpelli, Luciano Vincenzoni, Sergio Leone // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Ennio Morricone // SCHNITT Nino Baragli // MIT Clint Eastwood (Joe), Lee Van Cleef (Sentenza), Eli Wallach (Tuco Ramirez), Aldo Giuffrè (Nordstaaten-Offizier), Luigi Pistilli (Pater Ramirez), Mario Brega (Hauptmann Wallace), Rada Rassimov (Maria), Enzo Petito (Lagerverwalter), Claudio Scarchelli (Kopfgeldjäger), Livio Lorenzon (Bäcker), Antonio Casale (Jackson).

ONCE UPON A TIME IN THE WEST (C’era una volta il West) Italien/USA 1968 Eine Rachegeschichte im Wilden Westen: Die Frau eines ermordeten Siedlers und ein mysteriöser Fremder names Harmonica nehmen den Kampf gegen die Auftragskiller einer Eisenbahngesellschaft auf, die vom eiskalten Zyniker Frank angeführt werden. Für sein monumentales Westernepos «verpflichtete Sergio Leone zuerst Henry Fonda und liess ihm die Wahl, ob er Harmonica oder Frank spielen wollte: Dass Fonda sich für den Schurken entschied, machte dann beiden viel Spass.» (Joe Hembus: Das Western-Lexikon, Heyne 1976) «Leones Film erzeugt Atmosphäre nicht nur durch die geradezu mythisch wirkenden Einstellungen oder durch den Wechsel von urplötzlich hereinbrechenden Aktionen und quälendem Stillstand der stets auf irgendetwas wartenden Figuren. (…) In diesem Film liegt immer etwas Unausgesprochenes, Vergangenes, Unsichtbares in der Luft, und der Bote dieser sagen wir: metaphysischen Sphäre ist stets die Musik oder das Geräusch.» (Wolfgang Sandner, FAZ, 10.11.2008) 165 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Sergio Leone // DREHBUCH Sergio Leone, Sergio Donati, Mickey Knox, nach

DUCK, YOU SUCKER! (Giù la testa) Italien 1970

Der Bandit Juan Miranda plant während der politischen Wirren der mexikanischen Revolution 1913 die Bank von Mesa Verde auszurauben. Die Chance auf einen erfolgreichen Coup steigt, als er dem irischen Sprengstoffexperten Sean Mallory begegnet. Der freigesprengte Weg in die Bank führt aber nicht nur wie erwartet zu Geld – eine politische Kettenreaktion wird in Gang gesetzt. «Hier trifft der sardonische Witz der DollarTrilogie auf die Melancholie von Leones Spätwerk und über allem schwebt der Geist der gerechten Empörung. Leone selbst hat explizite Parallelen zwischen der mexikanischen Revolution und dem italienischen Widerstand gegen Mussolini gezogen (...): ‹Politik zerstört Freundschaft›, so der Regisseur. Mit Duck, You Sucker! schreibt er dieser Aussage ein zweieinhalbstündiges Requiem. Vielen gilt Duck, You Sucker! als misslungen – zu gross sei die Diskrepanz zwischen der Komik und dem Schrecken (...). Doch gerade dieser tief gespaltene Grundton lässt Duck, You Sucker! einzigartig dastehen in Leones Schaffen. Peter Bogdanovich war ursprünglich als Regisseur für den Film vorgesehen – als der absagte, sprang Leone selbst ein. Das Resultat trägt dann durch und durch seinen Stempel: Die Breitwandkompositionen, typisch eigenwillig rhythmisierten Schnitte und langgezogenen Kamerabewegungen, selbst die Subtilität von James Coburns Darstellung (der in den Rückblenden vielleicht zum einzigen Mal in seiner Karriere frei von der ironischen Skepsis ist, die sonst so charakteristisch für die Coolness seiner Darstellungen war) zeigen Leones Handschrift. Und mit der letzten Konsequenz verbleibt er oft minutenlang auf Explosionsbildern: Nachdem er in seinen Vorgängern die Schüsse des Westerns völlig überhöht hatte, ist dies das letzte Monument der Verzweiflung. Am Ende zeichnet diesen Film eine überwältigende Traurigkeit: In Grossaufnahme blickt der zurückgebliebene Steiger in dunkler Nacht in die Kamera. ‹Und ich?›» (Christoph Huber, filmzentrale.com, 20.6.2000)

der Story von Dario Argento, Bernardo Bertolucci, Sergio ­Leone // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Ennio Morricone

157 Min / Farbe / Digital HD / E // REGIE Sergio Leone //

// SCHNITT Nino Baragli // MIT Henry Fonda (Frank), Claudia

DREHBUCH Sergio Leone, Sergio Donati, Luciano Vincenzoni

Cardinale (Jill McBain), Charles Bronson (Harmonica), Jason

// KAMERA Giuseppe Ruzzolini // MUSIK Ennio Morricone //

Robards (Cheyenne), Gabriele Ferzetti (Morton), Paolo Stoppa

SCHNITT Nino Baragli // MIT Rod Steiger (Juan Miranda),

(Sam), Frank Wolff (Brett McBain), Keenan Wynn (Sheriff),

James Coburn (Sean Mallory), Maria Monti (Adelita), Romolo

Jack Elam (Snaky), Woody Strode (Stony), Lionel Stander

Valli (Dr. Villega), Antoine Domingo (Colonel Gutierrez/Gun-

(Barkeeper), Marco Zuanelli (Wobbles).

ther Reza), Franco Graziosi (Don Jaime), Rik Battaglia (Sanderna), Goffredo Pistoni (Nino), Roy Bossier (Landbesitzer).


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Sergio Leone. 115 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Tonino Valerii,

MY NAME IS NOBODY

Sergio ­Leone // DREHBUCH Sergio Leone, Ernesto Gastaldi //

(Il mio nome è Nessuno) BRD/Frankreich/Italien 1973

KAMERA A ­ rmando Nannuzzi, Giuseppe Ruzzolini // MUSIK

«Der gefürchtete, doch amtsmüde Revolverheld Jack Beauregard will sich in Europa zur Ruhe setzen. Vorher aber provoziert sein Fan ‹Nobody› noch den ultimativen Showdown: Beauregard allein gegen 150 Männer der Wilden Bande. Das ist wahre Meisterschaft: erst mit Once Upon a Time in the West den Italowestern zur ­Apotheose erheben, um ihn dann in einer selbstironischen Parodie zu Grabe zu tragen. (...) Die Persiflage auf Leones eigene Werke wie auf Hollywood-Western-Klassiker (The Wild Bunch) ist gleichzeitig ein Abgesang auf den Wildwestfilm. In My Name Is Nobody verquickt Leone Action, Slapstick und Spannung zu einer würdigen Be­ erdigung des Spaghetti-Western.» (Regula Freuler, NZZ, 10.4.2005)

­(Sullivan), Remus Peets (Big Gun), Piero Lulli (Sheriff), Mario

> The Good, the Bad and the Ugly.

Ennio Morricone // SCHNITT Nino Baragli // MIT Terence Hill (Nobody), Henry Fonda (Jack Beauregard), Jean Martin ­ Brega (Honest John), Alexander Allerson (Rex), Ulrich Müller (Dirty Joe), Claus Schmidt (Squirrel), Leo Gordon (Red).

Die Filmpodium-Hommage an Sergio Leone hätte in einer Aufführung der restaurierten Fassung seines Mafia-Epos Once Upon a Time in America gipfeln sollen. Leider aber hat dessen Rechte­ inhaber beschlossen, die Lancierung der Restauration erst im kommenden Herbst am New York Film Festival vorzunehmen, und jegliche Vorführungen des Films bis dahin gesperrt.


27 Das erste Jahrhundert des Films

1944: Skrupellosigkeit und Humanität Krieg total – 1944 war nicht nur Europa, sondern die ganze Welt vom Strudel der Kriegsereignisse erfasst und die USA, Grossbritannien und die Sowjetunion setzten alles daran, den nationalsozialistischen deutschen Staat zur Kapitulation zu zwingen. Auf der Leinwand zeigt Billy Wilder in diesem Jahr seinen archetypischen Film noir Double Indemnity, eine ausweglose Reise in die menschlichen Abgründe. Barbara Stanwyck spielt darin eine der fesselndsten aller Femmes fatales des Film-noir-Genres – sexy, zielstrebig, manipulativ und skrupellos. Als Gegenstück dazu erstrahlt Judy Garland in Meet Me in St. Louis: In brillanten Technicolor-Farben setzt Vincente Minnelli sie in Szene, doch finden sich in seinem Porträt eines bewusst idealisierten Amerika auch düstere Untertöne. In England gab derweil Laurence Olivier sein Regiedebüt: Sein farbenfroher Henry V war ein bahnbrechendes Kino-Theater-Spektakel und begeisterte ein Massenpublikum beidseits des Atlantiks. Einen Tyrannen von Shakespeare’scher Tragik zeigte indes Sergej M. Eisenstein in Iwan der Schreckliche – ein monumentales Werk, das selbst Stalin begeisterte. Direkt zur Aktualität Stellung nahm schliesslich die Schweiz, die mit Leopold Lindtbergs Marie-Louise erstmals die bis anhin tabuisierte Figur des Flüchtlings auf die Leinwand brachte. Marie-Louise lockte eine Million Zuschauer in die Schweizer Kinos und gewann den Oscar für das beste Drehbuch. (th)

Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2014 sind Filme von 1914, 1924, 1934 usw. zu sehen, im Jahr 2015 dann Filme von 1915, 1925, 1935 usw.

Weitere wichtige Filme von 1944 A Canterbury Tale Michael Powell/Emeric Pressburger, GB Arsenic and Old Lace Frank Capra, USA Bluebeard Edgar G. Ulmer, USA Die Feuerzangenbowle Helmut Weiss, D Gaslight George Cukor, USA Going My Way Leo McCarey, USA Grosse Freiheit Nr. 7 Helmut Käutner, D Hets (Torment) Alf Sjöberg, Schweden I bambini ci guardano Vittorio De Sica, I Laura Otto Preminger, USA

Le ciel est à vous Jean Grémillon, F Lifeboat Alfred Hitchcock, USA María Candelaria Emilio Fernández, Mexiko Ministry of Fear Fritz Lang, USA Murder, My Sweet Edward Dmytryk, USA The Miracle of Morgan’s Creek Preston Sturges, USA The Uninvited Lewis Allen, USA The Woman in the Window Fritz Lang, USA This Happy Breed David Lean, GB To Have and Have Not Howard Hawks, USA


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Das erste Jahrhundert des Films: 1944.

DIE SCHWEIZER FILMWOCHENSCHAU Schweiz 1924–1975 Vor dem Fernsehzeitalter informierte bei jedem Kinobesuch eine Filmwochenschau in Form von thematisch gemischten Kurzberichten über Aktualitäten. Dieses Format entstand noch vor dem Ersten Weltkrieg in Frankreich und fand rasch internationale Verbreitung. Ab 1923 waren in der Schweiz nicht nur ausländische Wochenschauen, sondern auch das in Lausanne produzierte CinéJournal zu sehen. Mit dem aufkommenden Ton und den damit verbundenen Kosten wurde das Unternehmen defizitär und musste 1936 seinen Betrieb einstellen. Zur gleichen Zeit entstand auf Bundesebene ein politischer Konsens – die Geistige Landesverteidigung –, der eine institutionelle Stärkung der Kultur anstrebte; aus ihm ging 1938 eine erste Kulturbotschaft des Bundesrates hervor. Diese ist Ausgangspunkt unterschiedlicher Institutionen wie der Pro Helvetia und der Schweizer Filmwochenschau. Am 1. August 1940 kam die erste Schweizer Filmwochenschau zur Aufführung. Die Kinobe­ sitzer waren gesetzlich verpflichtet, die neu geschaffene Filmwochenschau vor jeder Vorstellung zu präsentieren. Gezeigt wurde eine sonn­tägliche Schweiz, Feste, Brauchtum, ein funktio-

nierendes Staatswesen. Nach dem Krieg war die Vorführung der Filmwochenschau in den Kinos nicht mehr obligatorisch, worauf zuerst die ­Westschweiz und dann auch andere Landesteile zunehmend darauf verzichteten. Die Filmwochenschau versuchte sich zögerlich neu zu positionieren; das war mit dem Aufkommen des Fernsehens unumgänglich geworden. 1975 wurde die Schweizer Filmwochenschau eingestellt, etwas später als die meisten ausländischen Wochenschauen. Auf Anregung aus dem Kreis unseres Fördervereins Lumière zeigen wir ab sofort vor den Filmen aus den «Filmwochenschau-Dekaden» (d. h. aus den vierziger bis siebziger Jahren) gelegentlich zeitgenössische Beispiele der Schweizer Filmwochenschau und stellen die Filme damit in den Kontext des damaligen Publikums. Zum Einstieg führt Severin Rüegg mit Beispielen aus mehreren Jahrzehnten in die «Institution» der Schweizer Filmwochenschau ein. Der Historiker und Filmwissenschaftler betreut Ausstellungsund Vermittlungsprojekte und leitet die Inventarisierung eines kleineren Filmarchives. H Mo, 7. April, 18.30 Uhr: Referat von Severin Rüegg mit Filmausschnitten ca. 65 Min / sw + Farbe / Digital SD / D+Dial


Das erste Jahrhundert des Films: 1944.

MARIE-LOUISE Schweiz 1944 Zusammen mit 300 anderen Kindern aus Frankreich darf Marie-Louise für drei Monate in die Schweiz reisen. Pflegeeltern empfangen die schwachen, unterernährten Kinder, nur MarieLouise wird nicht abgeholt. Eine Rotkreuzhelferin nimmt das Mädchen kurzentschlossen mit in das Haus ihres mürrischen Vaters. Nach anfänglichem Widerstand entsteht zwischen dem Vater und Marie-Louise eine herzliche Zuneigung. In einfachen, klaren Bildern und ohne Pathos schilderte Lindtberg einen Fall von praktizierter Nächstenliebe in einer Zeit, in der alle abendländischen Werte zugunsten eines allumfassenden, menschenverachtenden Nihilismus aufgegeben zu sein schienen. Die Geschichte basiert auf Schweizer Kriegserfahrungen: Von 1940 bis 1944 erhielten etwa 60 000 ausländische Kinder bei Schweizer Familien ein zeitweiliges Asyl von drei Monaten.

«Marie-Louise, 1946 mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnet, markiert eine wichtige Wende: Als er herauskommt, hat der Film einen ähnlichen Widerhall wie Füsilier Wipf – 50 000 Eintritte in drei Wochen in Zürich, eine Million Zuschauer im ganzen Land –, was nicht nur dem Anliegen des Films dient, sondern es auch erlaubt, ein nationales Filmschaffen aufrechtzuerhalten. (…) Eine Figur, die bis anhin ‹tabu› war, erscheint zum ersten Mal auf der Leinwand: der Flüchtling.» (Hervé Dumont: Geschichte des Schweizer Films, 1987) 103 Min / sw / 35 mm / Dial + F // REGIE Leopold Lindtberg // DREHBUCH Richard Schweizer // KAMERA Emil Berna // MUSIK Robert Blum // SCHNITT Hermann Haller // MIT Josiane Hegg (Marie-Louise Fleury), Heinrich Gretler (Direktor Rüegg), Anne-Marie Blanc (Heidi Rüegg), Margrit Winter (Anna Rüegg), Armin Schweizer (Lehrer Bänninger), Mathilde Danegger (Päuli), Fred Tanner (Robert Scheibli), Emil Gerber (Ernst Schwarzenbach), Bernard Ammon (André), Pauline Carton (Frau Gilles), Germaine Tournier (Frau Fleury), Jean Hort (Vater Deschamps).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1944.

DOUBLE INDEMNITY USA 1944 Die schöne Phyllis Dietrichson überredet den arglosen Versicherungsvertreter Walter Neff, erst eine hohe Lebensversicherung mit ihrem Gatten abzuschliessen und ihn dann gemeinsam zu töten. Die Versicherung wird jedoch misstrauisch und beauftragt Neffs besten Freund Barton Keyes mit der Aufklärung des Falls. Das Geld, eine Frau, ein Mord und die Vergeblichkeit all dessen, eine Voice-over-Stimme, eine mit wenig Licht und starken Kontrasten arbeitende Kamera und unkonventionelle Blickwinkel – Billy Wilder versammelte in Double Indemnity die Grundelemente des Film noir: Der Film war stilprägend und hat unzählige Nachfolgefilme inspiriert. Wilder wagte sich in die tiefsten Abgründe einer Figur – Barbara Stanwyck, die schon damals zu den erfolgreichsten Stars in Hollywood zählte, hatte zunächst grosse Bedenken, eine solche Rolle anzunehmen. Doch zeigte der Erfolg des Films, dass sich die Zuschauer ihrem Charisma selbst dann nicht entziehen konnten, wenn sie eine eiskalte Mörderin spielte.

«Stanwycks Platinblondine Phyllis ist vielleicht die am besten gespielte und fesselndste von all den luderhaften, kaltblütigen Femmes fatales des Film-noir-Genres. Mit ihrem herausfordernden Blick, ihrem verächtlich lächelnden überschminkten Mund und ihren strategisch platzierten Beinen ist sie eine lebende Falle.» (Pauline Kael, 5001 Nights at the Movies) 106 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE Billy Wilder // DREHBUCH Billy Wilder, Raymond Chandler, nach dem Roman von James M. Cain // KAMERA John F. Seitz // MUSIK Miklos Rozsa // SCHNITT Doane Harrison // MIT Barbara Stanwyck (Phyllis Dietrichson), Fred MacMurray (Walter Neff), Edward G. Robinson (Barton Keyes), Porter Hall (Mr. Jackson), Jean Heather (Lola Dietrichson), Tom Powers (Mr. Dietrichson), Byron Barr (Nino Zachetti), Richard Gaines (Edward S. Norton jr.), Fortunio Bonanova (Sam Garlopis), John Philliber (Joe Pete).


Das erste Jahrhundert des Films: 1944.

MEET ME IN ST. LOUIS USA 1944 St. Louis, 1903. Familie Smith gerät in die Krise, als der Vater nach New York umziehen will. Alle haben sie ihre eigenen Gründe, in St. Louis bleiben zu wollen – ausserdem steht die Weltausstellung vor der Tür. Im Musical-Genre läuteten Vincente Minnellis Filme Mitte der vierziger Jahre eine neue Ära ein. «Eines der ersten Musicals, das die Gesangs- und Tanznummern vollständig in den Plot integrierte, brillant im Einsatz der Technicolor-Farben (Meet Me in St. Louis war Minnellis erster Farbfilm), exquisit in den Kompositionen, annähernd feministisch in der Haltung und mit düsteren Unterströmungen in seinem Porträt eines bewusst idealisierten Amerika – ein Werk von überwältigender, beglückender Zartheit und Ausgewogenheit.» (Christoph Huber, Österreich. Filmmuseum Wien, 3/2007) «In The Wizard of Oz trompetete die rosige Judy Garland das typisch amerikanische ‹There’s no place like home› heraus – fünf Jahre später bekräftigte sie diese Worte in Minnellis musikalischem Meisterwerk Meet Me in St. Louis, dieser Technicolor-Ode an die Freuden und Spannungen

des Familienlebens. St. Louis wird uns wie in ­einer Schneekugel gezeigt – der Film hat nur ­einen Hauch von einem Plot, er häuft stattdessen die einfachen Freuden des Lebens (nachbarschaft­ licher Flirt, Weltausstellung, Weihnachten) zu einer einzigen romantischen Vision von einer ­ perfekten Gesellschaft zusammen. Minnellis ­ ­panoramaartige Stadtsymphonie untersucht die Bedeutung von Nostalgie und Erinnerung und bietet gleichzeitig eine süss-ironische Darstellung von amerikanischem Konservatismus: Sex ist tabu, das Abendessen wird um halb sieben serviert und der Vater weiss immer noch alles am besten. Ein himmlisches Stück unverschämter Hollywood-Romantik.» (David Jenkins, Time Out Film Guide) 113 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Vincente Minnelli // DREHBUCH Irving Brecher, Fred F. Finklehoffe, nach den Kurzgeschichten aus «The New Yorker» von Sally Benson // KAMERA George J. Folsey jr. // MUSIK George Stoll, Roger Edens // SCHNITT Albert Akst // MIT Judy Garland (Esther Smith), Margaret O’Brien (Tootie Smith), Lucille Bremer (Rose Smith), Mary Astor (Mrs. Anne Smith), Leon Ames (Mr. Alonzo Smith), Tom Drake (John Truett), Henry H. Daniels (Lon Smith jr.), Joan Carroll (Agnes Smith), Harry Davenport (Grossvater), Marjorie Main (Katie, das Hausmädchen), June Lockhart (Lucille Ballard).

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Das erste Jahrhundert des Films: 1944.

HENRY V GB 1944 «Henry V wurde von der britischen Regierung zu Kriegszeiten als ideale patriotische Propaganda betrachtet. Laurence Olivier, der in der Luftwaffe der Seestreitkräfte diente, wurde vom Dienst befreit, um die Hauptrolle darin zu spielen und – nach der Absage von William Wyler – auch Regie zu führen. Olivier fand ein Mittel, Shakespeares Theater mit dem breiten Spektrum der filmischen Möglichkeiten zu kombinieren: Den Rahmen des Films bildet eine Theateraufführung in Shakespeares Globe Theatre. Am Anfang gleitet die Kamera über ein wunderbar detailliertes elisabethanisches Miniatur-London, hinunter ins ausgelassene Gewühl des Globe-Publikums, und hinein in eine prächtige Bühnenvorstellung. (...) Der Film spielt die ganze Zeit mit verschiedenen Ebenen der Stilisierung: von den Szenen am französischen Hof, in herrlichen Farben und naiv-verzerrten Perspektiven mittelalterlicher Miniaturen, zum Realismus der Schlachtszenen, in ihrer ungeheuren Dynamik von Sergej M. Eisensteins Alexander Newski inspiriert.» (Philip Kemp, in: 1001 Filme, Ed. Olms 2012) «Dies ist eine umwerfende Adaptation von Shakespeares Stück. Dass der Film auch ein finanzieller Erfolg war – er gefiel einem Massenpu-

blikum auf beiden Seiten des Atlantiks – war so aussergewöhnlich wie unerwartet. (…) Oliviers Tapferkeit mag einem heutigen Publikum veraltet vorkommen; wir hüten uns natürlich davor, Krieg und Kampf zu verherrlichen; Kenneth Branaghs dunkle, ironische Annäherung aus dem Jahr 1989 scheint passender. Doch Oliviers Henry V war eine Erschaffung aus dem Jahr 1944 – in einer Zeit, in der mehrere Millionen Soldaten in Europa kämpften, war es schlicht unmöglich, Henrys dunklere, zynischere Motivationen darzustellen. (…) Es war die erste wirklich grosse Shakespeare-Verfilmung und legte einen Massstab fest, an dem sich nachfolgende Adaptationen immerfort messen mussten: Oliviers Henry V bewies, dass Shakespeare auf der Leinwand und an der Kinokasse funktionierte.» (Bruce Eder, criterion.com) 137 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Laurence Olivier // DREHBUCH Alan Dent, Laurence Olivier, nach dem Theaterstück von William Shakespeare // KAMERA Robert Krasker // MUSIK William Walton // SCHNITT Reginald Beck // MIT Laurence Olivier (König Heinrich V. von England), Leslie Banks (Chorus), Robert Newton (Fahnenträger Pistol), Renée Asherson (Prinzessin Katharina, Tochter Karls VI.), Leo Genn (Konstabler von Frankreich), Felix Aylmer (Erzbischof von Canterbury), Esmond Knight (Fluellen), Harcourt Williams (Karl VI., König von Frankreich), Max Adrian (Dauphin), Nicholas Hannen (Herzog von Exeter), Ralph Truman (Montjoye, französischer Herold), George Robey (Sir John Falstaff).


Das erste Jahrhundert des Films: 1944.

IWAN DER SCHRECKLICHE (Iwan Grosny) UdSSR 1944

Der 17-jährige Grossfürst Iwan wird gewaltsam auf den Thron gesetzt und entwickelt sich bald zum autoritären Machthaber, der seine zahlreichen inneren Gegner brutal und erfolgreich bekämpft. Als erster russischer Herrscher bezeichnet er sich selbst als Zar und es scheint, als könne ihn nichts aufhalten. Doch die Ermordung seiner Frau lässt seinen Ehrgeiz abflauen. «Ein später Triumph. Was sich in Alexander Newski zwitterhaft ankündigt, hat sich hier gross­ artig vollendet: die vollkommene Umwandlung der filmischen Ausdrucksweise. Macht, Terror und Einsamkeit des Zaren Iwan IV. Vom strahlenden jungen Mann der Thronbesteigung zum diabolisch lauernden Greis: Iwan, Zar aller Russen, Reichsgründer Russlands, der die gewonnene, vermehrte Macht seiner selbst und des Landes mit dem Preis despotischen Alleinseins bezahlen muss. Ein Tyrann von Shakespeare’scher Tragik, ausgeliefert ans Zentrums seines Reichs, das ein Gefängnis ist. (…) Chaplin nennt Iwan der Schreckliche schlicht den besten je gedrehten histori-

schen Film. (…) Stalin war vom ersten Teil noch sehr begeistert, lehnte aber die zunehmend vielschichtige und zwiespältige Darstellung des Tyrannenherrschers im zweiten Teil (der erst 1958 in die Kinos kam) ab. Eisenstein selbst erlitt nach Beendigung der Montage einen Herzanfall, von dem er sich nie mehr erholte. Das Abschiedswerk bleibt – auch ohne dritten Teil – eine singuläre Errungenschaft. In seiner extremen, an Ikonen-Malerei und am Kabuki-Theater geschulten Stilisierung und der für Eisenstein gänzlich neuartigen Erzählweise ist der Film ein Vermächtnis dessen, was der Kino-Revolutionär Sergej M. Eisenstein noch zu leisten imstande gewesen wäre.» (Österreich. Filmmuseum Wien, 6/2006) 99 Min / sw / 35 mm / Russ/d/f // DREHBUCH UND REGIE Sergej M. Eisenstein // KAMERA Eduard Tissé, Andrej Moskwin // MUSIK Sergej Prokofjew // SCHNITT Sergej M. ­Eisenstein, Esfir Tobak // MIT Nikolai Tscherkassow (Zar Iwan IV.), Michail Sharow (Maljuta Skuratow), Serafima ­Birman (Jefrossina, Tante des Zaren), Andrej Abrikossow (Bojar Fjodor Kolitschow, später Metropolit Philipp), Ludmila Tselikowskaja (Zarin Anastasia Romanowna), Pawel Kadotschnikow (Fürst Wladimir, Jefrossinas Sohn), Michail Naswanow (Prinz Kurbski), Wsewolod Pudowkin (Nikola).

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34 Premiere: Tanja – Life in Movement von Bryan Mason & Sophie Hyde

Tod einer Traum-Tänzerin Die deutschstämmige Tänzerin und Choreografin Tanja Liedtke verlieh in Australien dem modernen Tanz neue Impulse und war im Begriff, die Leitung der Sydney Dance Company zu übernehmen, als sie mit 29 Jahren einem Unfall zum Opfer fiel. Bryan Mason und Sophie Hyde zeigen, wie Liedtkes Truppe mit ihren Choreografien auf Tournee geht und der früh verstorbenen Tänzerin so die Ehre zu erweisen versucht. Eine Frau hüpft mit riesigem Jutebeutel über dem Kopf quer durch ihr nächtliches Schlafzimmer, die Videokamera vor der Nase, das Panoramafenster mit der erleuchteten Skyline von Sydney im Rücken. Weitere grisselige Aufnahmen zeigen, wie sie als junges Mädchen mit schlaksigen Gliedmassen und expressiven Grimassen sich aus einem Schulspind windet. Tanja Liedtke heisst die junge Tänzerin und Choreografin, die dieser frühe Befreiungsakt zu ihrem ersten Tanzstück «Twelfth Floor» über Menschen in engen Räumen inspirierte. Ausdrucksstark versuchte Tanja seitdem, ihre Gefühle und Erfahrungen in Bewegung zu übersetzen und diese in Videoaufnahmen festzuhalten. Doch die Aufnahmen sind ein Zeugnis der Vergänglichkeit, beigesteuert von Kollegen und Tanjas Partner, denn die Künstlerin kam 2007 mit nur 29 Jahren durch einen Verkehrsunfall ums Leben. Ein Müllwagen fuhr die muskulös schlanke und doch zerbrechliche Passantin an. Drei Monate zuvor hatte sie die Welt des Modern Dance in Aufruhr versetzt, als sie zur künstlerischen Leiterin der Sydney Dance Company berufen wurde. Liedtke, die in Stuttgart geboren und in London ausgebildet worden war, galt als Ausnahmetalent, das Menschen mitriss und zu Höchstleistungen motivierte. Sie war aber auch eine Perfektionistin, die am Druck, den sie sich selber machte, und am Erfolg, der diesen Druck graduell verstärkte, litt. Ihr Tod riss tiefe Wunden in die Dance Company, die die Wunden dort zu kitten versucht, wo sich Liedtke wahrscheinlich am wohlsten fühlte: auf den Bühnen der Welt. Für eine Abschiedstournee wählt das Team Liedtkes Erstling «Twelfth Floor». Der Film von Bryan Mason und Sophie Hyde folgt den vom Verlust überschatteten Proben und den Aufführungen des Stücks. Elegant, eindringlich, aber nie rührselig erzählen sie mit Hilfe der Tänzer trotz des traurigen Themas von Tanjas Lebenslust, die ansteckend und inspirierend war – und führen damit nicht nur ein abwechslungsreiches Leben vor Augen, sondern konzipieren das Porträt genauso aufregend: Gegenwart und Vergangenheit, die Menschen aus ihrem privaten wie familiären Umfeld, Liedtke selbst und ihre Stücke, in wild, aber klug zusammengewürfelten Interviews, Auftritten und Videoaufnahmen.


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TANJA – LIFE IN MOVEMENT / Australien 2011 79 Min / Farbe / DCP / E/d // DREHBUCH UND REGIE Bryan Mason, Sophie Hyde // KAMERA Bryan Mason // MUSIK DJ Tr!P // SCHNITT Bryan Mason // MIT Tanja Liedtke, Solon Ulbrich, Kristina Chan, Paul White, Julian Crotti.

Modern Dance schien für Liedtke nicht nur eine Ausdrucksform, sondern auch ein überlebenswichtiger Verarbeitungsmechanismus gewesen zu sein – eine Variation des Atmens sozusagen, dem mit einer letzten jähen Bewegung so tragisch die Luft abgeschnitten wurde. Tanja – Life in Movement ist mit all seinen grossartigen Tanz-Impressionen, der tiefen Trauer und den verwaisten Strassenzügen Sydneys ein Abschied nehmender Film über das Abschiednehmen. Und das sehr persönliche Porträt einer Künstlerin, die ihr Leben so stark in ihre Kreativität einfliessen liess, dass der Einblick in ihr Werk und in die Erinnerungen der Kollegen sehr viel über ihre kraftvolle Persönlichkeit verrät. Wie ruft Liedtke in einer der letzten Aufnahmen doch so humorvoll gedämpft aus dem Jutebeutel heraus? «Hello! So this is all about baggage. I’m wearing mine at the moment. I’m right inside it ... in fact. I’m consumed by it. But I have hope!» Kathrin Häger Dieser Text erschien erstmals in film-dienst, 4/2014. Gerlinde und Kurt Liedtke, die Eltern von Tanja Liedtke, haben nach dem Tod ihrer Tochter ­zusammen mit ihren Söhnen die Tanja-Liedtke-Stiftung ins Leben gerufen. Die Stiftung ­widmet sich der Förderung von Nachwuchstalenten im modernen Tanz. Jährlich findet ein Solo-Tanz-Wettbewerb statt, an dem Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt teilnehmen ­können. Bei der Premiere des Films am 2. Mai anlässlich von ZÜRICH TANZT sind Gerlinde und Kurt Liedtke anwesend. www.zuerichtanzt.ch


36 Reedition: Iwans Kindheit von Andrej Tarkowskij

Das bewahrte Geheimnis Ob wir uns noch an Iwans Kindheit erinnern würden, wäre darauf nicht das (vergleichsweise schmale) gewaltige weitere Werk Andrej Tarkowskijs gefolgt? Die Frage ist akademisch, gewiss, mag aber helfen, den Rang dieses ersten Langspielfilms des damals Dreissig­jährigen zu bestimmen, für den er 1962 den Goldenen Löwen des Filmfestivals Venedig erhielt.

IWANS KINDHEIT (Iwanowo djetstwo) / UdSSR 1962 95 Min / sw / DCP / Russ/d // REGIE Andrej Tarkowskij // DREHBUCH Wladimir O. Bogomolow, Michail Papawa, nach einer Kurzgeschichte von Wladimir O. Bogomolow // KAMERA Wadim Jussow // MUSIK Wjatscheslaw Owtschinnikow // SCHNITT ­Ljudmila Fejginowa // MIT Kolja Burljajew (Iwan), Walentin Subkow (Cholin), Jewgeni Sharikow (Galzew), Sergej Krylow ­(Katassonow), Nikolaj Grinko (Grjasnow), Walentina Maljawina (Mascha), Irma Tarkowskaja (Iwans Mutter).

Bemerkenswert ist, wie ungebrochen das Potenzial der Verstörung erscheint, das dieser Film fast mehr noch dadurch, wie er erzählt, als was er erzählt, offenbart. Nach wie vor revolutionär mutet ein Zeitverständnis an, das herkömmliche Hierarchien in der Codierung von Vergangenem und Gegenwärtigem einfach ausser Kraft setzt. «Tief ist der Brunnen der Vergangenheit», heisst es in «Joseph und seine Brüder». Andrej Tarkowskij, der grosse Vereh-


37 rer Thomas Manns, der diesen Roman «ein fast überirdisches Buch» nannte (und trotz der völligen Unwahrscheinlichkeit einer Verfilmung daraus ein Drehbuch geschöpft hatte), steigt in einer zentralen Sequenz in eben diesen Brunnen. In dessen Tiefe und aus ihr heraus schiessen kosmische Vergangenheit, Schönheit und Schrecken erinnerter Gegenwart als Amalgam jener Zukunft zusammen, in der der vielleicht elf-, zwölfjährige Iwan furchtlos seine Kundschafterdienste für die Rote Armee betreiben wird – im endlosen Schwemmland des Dnjepr, einer diffus-amphibischen Zone zwischen Tag und Nacht, Leben und Tod. Mit dem kurzfristig übernommenen Auftrag, «einen verpatzten Kinderfilm zur Kriegsthematik zu retten», sagt die Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa, breche Tarkowskij radikal «mit der Tradition sowjetischer Kriegsfilme, in denen Kinder als tapfere kleine Zinnsoldaten» auftraten. Von einem Titel wie Boris Barnets Heldentaten eines Kundschafters (1947) ist Iwans Kindheit in der Tat Welten entfernt. Es mag der Krieg sein, der Iwans Kindheit zerstört hat. Das Leben genommen, wie wir zuletzt beiläufig erfahren, haben ihm jene deutschen Schlächter, die er – in einer etwas aufgesetzten und dennoch schrecklichen Szene – in einer Kunstmappe mit Dürers Holzschnitten wiedererkennt: «Genau so einen» hat er leibhaftig auf einem Motorrad gesehen, jenen grauenvollsten der vier apokalyptischen Reiter – den Tod. Gewiss finden sich im Film auch jene «symbolistischen» Bildelemente, die ihm Attacken der italienischen Kommunisten und Linken eintrugen, und zwar keineswegs bloss wegen «Formalismus», wie Sartre meinte, der zu Tarkowskijs Verteidigung antrat; der Regisseur hat sich später selber davon distanziert. Überholt wirken heute auch die «spätavantgardistischen» Experimente mit Negativmaterial. Wenn wir uns weiterhin an Iwans Kindheit erinnern werden, und damit wäre die eingangs gestellte Frage beantwortet, dann der unvergleich­ lichen, geradezu traumwandlerischen Imagination wegen, mit der hier Träume die Elemente der Wirklichkeit – Wasser in all seinen Erscheinungsformen, ­zumal als Regen; Äpfel; Pferde; die schöne, junge Mutter – verschlüsseln, gerade so, wie Iwan nachrichtendienstliche Erkenntnisse mit Früchten des Waldes codiert: Zeichen einer Natur, die uns als Geheimnis zu bewahren aufgetragen ist. Christoph Egger

Christoph Egger ist ehemaliger Filmredaktor der NZZ.


38 Filmpodium für Kinder

Leon und die magischen worte Ein kleiner Junge muss seine Märchenhelden vor dem Vergessen retten – ein hinreissender französischer Animationsfilm, der uns mit viel Fantasie in ein etwas anderes Wunderland entführt. Was machen Alice, Peter Pan, Pinocchio und der menschenfressende Oger alle zusammen in ein und derselben Geschichte? Mit unzähligen weiteren Märchenhelden warten sie in einem riesigen Zimmer voller Bücher auf ihren Helden, der dringend einen Zauberspruch entziffern sollte, damit ihre Geschichten nicht in Vergessenheit geraten. Ihr Held ist der siebenjährige Leon, ein begeisterter Märchen-Fan. Jeden Sommer verbrachte er mit seiner Familie bei

LEON UND DIE MAGISCHEN WORTE (Kérity, la maison des contes) / Frankreich/Italien 2009 77 Min / Farbe / DCP / D / ab 6 Jahren // REGIE Dominique Monféry // DREHBUCH Anik Leray, Alexandre Reverend // MUSIK Christophe ­Héral // SCHNITT Cédric Chauveau.


39 seiner geliebten Grosstante Eleanor, die ihm stundenlang aus ihrem reichen Bücherschatz vorgelesen hat. Doch dieses Jahr ist alles anders: Eleanor ist ­gestorben, die Familie hat ihr hübsches, aber baufälliges Haus am Meer geerbt – und Leon ihre Büchersammlung. Da er aber immer noch nicht lesen kann, weiss er zunächst nicht, was er mit all den Büchern anstellen soll, und als ein geldgieriger Antiquitätenhändler die Sammlung aufkaufen möchte, stimmt Leon zu. Kurz darauf entdeckt er, dass all seine Märchenfiguren ­quicklebendig sind, ihre Bücher sich aufzulösen und damit ihre Geschichten für immer zu verschwinden drohen – sein grosses Abenteuer zur Rettung der Bücher beginnt. Dominique Monféry, zuvor Animator bei Disney, hat mit den atmosphärischen Zeichnungen der berühmten Illustratorin Rébecca Dautremer eine faszinierend schöne Welt geschaffen, die den Zauber beliebter Märchen mit der Abenteuerlust verbindet, die in jedem von uns steckt und die nicht nur das Kinderpublikum fesselt. Leon und die magischen Worte ist eine wunderbare Hommage an die Fantasiewelt der Literatur – und ein leidenschaftliches Plädoyer für die Macht des Lesens. Tanja Hanhart

PRODUCER

WRITER

SARAH POLLEY

DIRECTOR

ACTOR

APRIL 2014 Bus 32 und Tram 8 bis Helvetiaplatz Tram 2 und 3 bis Bezirksgebäude Telefonische Reservation: 044 242 04 11

www.xenix.ch


40 BÜCHNER-AUSSTELLUNG

FRAGMENTE DER FREIHEIT Georg Büchner, 1813 in Hessen geboren

psychische Wechselbäder zwischen läh-

und mit 23 Jahren in Zürich verstorben, hat

mender Angst und beflügelnder Euphorie

ein schmales und bruchstückhaftes, aber

finden sich in seinen Dramen und Erzählun-

im besten Sinne zeitloses Werk hinterlas-

gen in hochkonzentrierter Form.

sen. Als Ergänzung zur Ausstellung im Mu-

Wie unterschiedlich Filmemacher mit

seum Strauhof (www.strauhof.ch) zeigt das

Büchners Vorlagen umgehen, belegen die

Filmpodium zwei gegensätzliche filmische

beiden

Adaptationen.

gramm: Während Werner Herzog bei Woy-

Beispiele

im

Filmpodium-Pro-

zeck seinen Leibschauspieler Klaus Kinski Büchner warf als Schriftsteller, Revolutio-

an die kurze Leine nimmt und der fragmen-

när und Naturwissenschaftler Fragen auf,

tarischen Struktur der Vorlage Rechnung

die uns heute noch beschäftigen, und er-

trägt, verwendet Thomas Imbach die Erzäh-

weiterte die Möglichkeiten der deutschen

lung Lenz als Sprungbrett für eine Büchner-

Literatur. Das Spannungsverhältnis zwi-

gerechte Erkundung zeitgenössischer Fi-

schen nüchterner Wissenschaft und speku-

guren und Formen zum Themenkreis

lativer Philosophie, die Hoffnung auf Frei-

Mensch, Natur und Kunst.

heit in einem repressiven System sowie

WOYZECK / BRD 1979 77 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Werner Herzog // DREHBUCH Werner Herzog, nach dem Fragment von Georg Büchner // KAMERA Jörg Schmidt-Reitwein // MUSIK Fiedelquartett Telc // SCHNITT Beate Mainka-Jellinghaus // MIT Klaus Kinski (Woyzeck), Eva Mattes (Marie), Wolfgang Reichmann (Hauptmann), Willy Semmelrogge (Arzt), Josef Bierbichler (Tambourmajor), Volker Prechtel (Handwerksbursche). Büchners vieldeutige Fabel von Woyzeck, dem kleinen Soldaten mit den grossen Ahnungen vom Weltende, der von seinem Hauptmann und einem Arzt für Versuchszwecke missbraucht wird und als Mörder endet, ist mehrmals fürs Kino adaptiert worden. «Georg Büchners Woyzeck ist das Beste, was in unserer Sprache je geschrieben wurde. Der Stoff hat nie seine Aktualität verloren», sagt Werner Herzog, der das Fragment 1978 verfilmte, gleich nach Abschluss der Dreharbeiten zu Nosferatu – Phantom der Nacht, mit dessen abgekämpftem Hauptdarsteller Klaus Kinski. «Immerhin wird die gespenstische Ruhe dieses Films, die stummfilmhafte Schlichtheit, mit der Woyzecks Tragödie passiert, dem zornigen Drama Georg Büchners gerechter als jeder expressive Mummenschanz. Erst aus den Versteinerungen einer satten, selbstgerechten, fanatisch wissenschaftsgläubigen Kleinstadtgesellschaft (der Arzt und der Hauptmann könnten auch Figuren aus dem Kaspar-HauserFilm sein) lässt sich Woyzecks Wahnsinnstat erklären. Es gibt durchaus auch Verbindungslinien zu anderen Herzog-

Filmen (Eva Mattes variiert ihre Rolle der warmherzigen, schwachen Hure aus Stroszeck), und man hätte sich als­ ­Woyzeck leicht den Kaspar-Hauser-Darsteller Bruno S. vorstellen können. ‹Ja, mir kommt es vor, dass mein Erscheinen auf dieser Welt ein harter Sturz gewesen ist›, sagt ­Kaspar Hauser in Jeder für sich und Gott gegen alle: ein Satz, der, wie andere von Herzog auch, aus Woyzeck stammen könnte.» (Hans C. Blumenberg, Die Zeit, 1.6.1979)


41 LENZ / Schweiz/Deutschland 2006 96 Min / Farbe / 35 mm / Dial + D // REGIE Thomas Imbach // DREHBUCH Thomas Imbach, nach der Erzählung von Georg Büchner // KAMERA Jürg Hassler // MUSIK Balz Bachmann, Peter Bräker // SCHNITT Thomas Imbach, Jürg Hassler // MIT Barbara Maurer-Terpoorten (Natalie), Milan Peschel (Lenz), Noah Gsell (Noah), Barbara Heynen (Kindermädchen). Der Berliner Filmemacher Lenz will in den Vogesen die Hintergründe von Georg Büchners Erzählung Lenz erfor-

moderne Nacherzählung, sondern eine Aktualisierung des Stoffs, die mindestens in doppelter Hinsicht auf die Gegenwart setzt (…). Das gemeinsame Thema bei Büchner und Imbach ist der Streit um die Distanz, die Kunst – also Literatur, Malerei, Film – zu ihrem Gegenstand einnehmen darf. Nicht Realismus ist die Antwort auf die idealistische Ästhetik der ­Distanz, sondern: Menschlichkeit und Distanzlosigkeit.» (Silvia Henke, Professorin für Kulturtheorie, Pressemappe zu Lenz)

schen. Doch bald schon zieht es ihn in höhere Lagen und emotionaleres Gelände: Vom Wunsch getrieben, seinen kleinen Sohn Noah zu sehen, macht er sich auf in den Wintersportort Zermatt. Dort arrangiert er mit Noahs Hilfe ein Treffen mit seiner Exfrau Natalie, die er immer noch liebt. Eine kleine Idylle erblüht, doch die Illusion eines glücklichen Familienlebens währt nicht lange, denn Lenz driftet zusehends in abseitige Gefilde. «Wie Büchner verzichtet Imbachs Kamera auf die Distanz zur Figur und folgt ihrem Blick – auch wenn dieser Blick nur am Blick von Lenz auf sich selber hängen bleibt, wo er in unsichtbaren Spiegeln, vor unsicherer Kamera in sich wühlt und dabei vom Horror Vacui erfasst wird – ‹er war sich selbst ein Traum›, aber kein süsser, müsste man ergänzen. Natürlich ist Imbachs Film keine historische Verfilmung wie jene von George Moorse (1970) und auch keine

s . 14 . 5 5. 14 che s 8 i sb l .– 1 . 1 lle .4 30 9 . – w u s t i va h c h ld s mfe c i r fe Fil Zü uen a Fr

17.

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42 PINK APPLE

PETER VON HERMANN KOSTERLITZ Zur Einstimmung auf das schwullesbische

chigen Films der dreissiger Jahre in einer

Filmfestival Pink Apple (30. April – 8. Mai)

wunderbaren Hosenrolle als Protagonistin

steigt das Filmpodium wiederum in die

wirkte. Franziska Gaal, die ihrerseits jü-

Hosen(rollen): Franziska Gaal als flotter

disch-ungarische Wurzeln hat, drehte meh-

«Tomboy» ist eine späte Wiederentdeckung

rere Filme mit Hermann Kosterlitz, der

und Peter eine der charmantesten Kino­

später als Henry Koster bei Universal und

komödien der dreissiger Jahre, die erst im

MGM Karriere machen sollte.

vergangenen Jahr an der Berlinale ihre Deutschlandpremiere feiern konnte.

H am So, 27. April, 18.15 Uhr: Einführung von Erika Wottrich (Cinefest Hamburg)

Eva (Franziska Gaal) und ihr Grossvater

In Zusammenarbeit mit Pink Apple

werden obdachlos, weil sie die Miete nicht

(www.pinkapple.ch)

bezahlen können. Die junge Frau versucht sich daraufhin erfolglos als Strassenmusikantin, bis ein flüchtiger Dieb sie zum Kleidertausch zwingt. Auf diese Weise zum jungen Mann gemacht, landet Eva, die sich nun Peter nennt, nach einem Verkehrsunfall vor Gericht. Das Unfallopfer, der Arzt Robert Bandler, verschafft Eva/Peter aus Mitleid Arbeit bei einem Garagenbesitzer. Sie weiss nicht, wem sie die Anstellung zu verdanken hat, aber da sie sich zu Robert hingezogen fühlt, sorgt ihre Maskerade nun für zahlreiche Verwicklungen. So treibt das freche Lustspiel mit zwei sich küssenden Frackträgern das geschlechtlich Doppeldeutige zu einem neuen Höhepunkt und lässt die «Depressionskomödie» unmittelbar in eine Genderkomödie übergehen. Der Kinofilm, der in Berlin spielt, musste aufgrund der jüdischen Herkunft des Regisseurs Hermann Kosterlitz im Exil in Ungarn gedreht werden und wurde weder im Deut-

PETER / Österreich/Ungarn 1934 83 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Hermann Kosterlitz // DREHBUCH Felix Joachimson, Johann von Vásáry, nach dem

schen Reich noch in der späteren BRD auf-

Roman von Johann von Vásáry // KAMERA Stefan Eiben //

geführt (die Filmkopien lagerten in den Ar-

Franziska Gaal (Eva/Peter), Hans Jaray (Dr. Robert Bandler),

chiven der DDR). Und das, obwohl mit Franziska Gaal der vielleicht bedeutendste weibliche Komödienstar des deutschspra-

MUSIK Nicholas Brodszky // SCHNITT Viktor Gertler // MIT Felix Bressart (Evas Grossvater), Anton Pointner (Steffani), Hans Richter (Lehrling Hobby), Etha von Storm (Mary), Imre Ráday (flüchtiger Dieb), Otto Wallburg (Herr Zöllner), Sigurd Lohde (Polizeirat).


43 IOIC-SOIRÉE

FR, 25. APRIL | 20 UHR

DIE KÜNSTE IM STUMMFILM Das «Institute of Incoherent Cinematogra-

Geprägt von einer Ästhetik des Mechani-

phy» (IOIC) mit seinen innovativen Stumm-

schen, einer ins Abstrakte führenden Mon-

film-Live-Musikprojekten widmet diese

tage, einer Fragmentierung der Objekte und

Saison den Künsten im Stummfilm. Den Ab-

vom Traum einer panoptischen Vision, legt

schluss bildet ein grosses Mosaik der mo-

der Film nicht nur beredtes Zeugnis darüber

dernen Künste.

ab, wie sich diese bedeutende Schar von Künstlern aller Disziplinen die Vereinigung von Moderne und Technologie vorstellt, sondern auch wie der französische Universalismus der 1920er Jahre die Kategorien des Menschlichen und Unmenschlichen inszeniert. So findet die Verkörperung der Unmenschlichkeit, die Operndiva Claire Lescot, erst zur Menschlichkeit zurück, als sie vom Wissenschaftler Einar Norsen in die fantasti-

L’INHUMAINE / Frankreich 1923

sche Welt der neuesten Technologie einge-

ca. 130 Min / sw / 35 mm / Stummfilm, frz. Zw’titel // REGIE

führt und schliesslich wortwörtlich zu neuem

Marcel L’Herbier // DREHBUCH Marcel L’Herbier, Pierre

Leben erweckt wird.

Mac Orlan // KAMERA Georges Specht // MIT Georgette Leblanc (Claire Lescot), Marcelle Pradot (die Unschuldige),

Das IOIC zeigt den Film mit einer neuen

Philippe Hériat (Djorah de Manilha), Jaque Catelain (Nor-

Vertonung unter der Leitung von Simon Berz.

sen), Léonid Walter (Kranine).

Ein zehnköpfiges Orchester improvisierender Musikerinnen und Musiker wird mit traditio-

Ein Jahr vor der «Exposition internationale des

nellen, modernen und futuristischen Instru-

arts décoratifs et industriels modernes» von

menten die beiden Leitthemen des Films, also

1925, die den Begriff des Art déco ins Leben ru-

Moderne und Technologie, sowie Menschlich-

fen wird, setzt Marcel L’Herbier zu einem

keit und Unmenschlichkeit musikalisch um-

grossen Wurf an. Mit L’inhumaine erschafft er

setzen.

gemeinsam mit herausragenden Künstlern seiner Generation eine Synthese aller Künste, wie sie der Theoretiker Ricciotto Canudo vom Kino gefordert hatte. Sein Manifest für die moderne französische Kunst und Technologie vereint Design von Alberto Cavalcanti, Claude Autant-Lara und Fernand Léger, Architektur von Robert Mallet-Stevens, Kostüme von Paul Poiret, Möbel von Pierre Chareau und Michel Dufet, Ballett von Jean Börlin und (unterdessen verschollene) Musik von Darius Milhaud zu einem grossen Gesamtkunstwerk.

Neue Live-Vertonung durch das IOIC Impro-Orchester 2014 unter der Leitung von Simon Berz Simon Berz (Konzept und Conduction), Isa Wiss (Stimme) Hilaria Kramer (Trompete), Steve Buchanan (Altsaxofon) Linda Vogel (Harfe, Stimme), Filomena Felley (Viola) Julien Kilchenmann (Cello), Florian Stoffner (E-Gitarre) Tom Verbruggen (E-Bass, DIY-Elektronik) Vincent Membrez (Keys), Lionel Friedli (Schlagzeug) Eine Koproduktion des Filmpodiums und des IOIC − Institute of Incoherent Cinematography, mit freundlicher Unterstützung von Pro Helvetia, Kanton Zürich Fachstelle Kultur und Stadt Zürich Kultur.


44 SÉLECTION LUMIÈRE

HÔTEL TERMINUS VON MARCEL OPHÜLS Als «Vergangenheitsbewältigung mit Zu-

Regie führt, deutlich wahrnehmbar, sar-

kunft» hatte ein Kritiker Marcel Ophüls’

kastisch, optimistisch. Er ist der Meister,

monumentalen Dokumentarfilm bei seiner

nicht mehr der Verbrecher Barbie. Ophüls

Erstaufführung charakterisiert. Auch ein

verhört jetzt die Verhörer, die sich winden

Vierteljahrhundert später hat der Film

und in Sprüche retten und denen die Lüge

nichts von seiner Kraft und seiner Relevanz

ins Gesicht geschrieben steht. (…)

verloren.

Hôtel Terminus ist ein Abenteuerfilm, ein Krimi, und mit ihm wird spät, aber endlich klar, warum bei uns die Vergangenheitsbewältigung zum Schlagwort und zur moralischen Pflichtübung verkommen ist. Weil es falsch war, die Vergangenheit der Objektivität der professionellen Bewältiger zu überlassen. Weil die Frage falsch gestellt war. Weil nicht ein historisches Problem der Lösung bedarf, sondern weil wir selbst, unsere nackte, schiere Gegenwart, betroffen sind.» (Dietrich Kuhlbrodt, epd Film, 4/89)

HÔTEL TERMINUS / USA/BRD/Frankreich 1988

«Es ist der Film eines Mannes, der ganz

267 Min / Farbe / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE

mit uns einig geht, dass die Nazis Monster

­Marcel Ophüls // KAMERA Michael Davis, Pierre Boffety,

waren, aber anfügt, er hoffe, wir hätten

Reuben Aaronson // SCHNITT Albert Jurgenson, Anne Weil.

nichts dagegen, wenn er ein paar weitere Details aufklärt, so zum Beispiel die äus-

Anhand von Interviews mit Zeitzeugen

serst peinliche Nachkriegsgeschichte von

zeichnet Marcel Ophüls das Leben, den

Barbie. Hôtel Terminus ist der Film eines

Werdegang und die Flucht des «Schläch-

Mannes, der das Gespräch weiterführt,

ters von Lyon» Klaus Barbie nach.

wenn andere schon längst zu höflicheren

«Auf vertrackte Weise stimmt dieser

Themen übergehen würden; es ist ein stör-

Film, der von der Vergangenheit handelt,

rischer, wütender, nörglerischer, sarkasti-

zuversichtlich. Das Hôtel Terminus, in dem

scher Angriff auf die guten Sitten, und ich

Klaus Barbie, Gestapochef von Lyon, vor

bin froh, dass Ophüls übellaunig genug war,

bald einem halben Jahrhundert residierte,

um ihn zu drehen.» (Roger Ebert, Chicago

ist ein altmodischer Bau, und Greise sind

Sun-Times, 11.11.1988)

die meisten der achtzig Leute, die im Film vor die Kamera treten und ihr Statement

H am So, 4. Mai, 17.00 Uhr: Einführung von

aufsagen. Und doch ist Hôtel Terminus ein

Martin Walder

junger Film, voller Elan und Aktivität, und es ist zu sehen und zu hören, wie einer an die Zukunft glaubt. Marcel Ophüls ist es, der


45 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm) // SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 212 13 77 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Agora Films, Carouge; Barney Production, Paris; Mohcine Besri, Genf; Bizibi, Paris; Catharsis Lebanese Centre for Drama Therapy, Beirut; Cinetelefilms, Tunis; Cineworx, Basel; Deutsches Filminstitut – DIF, Wiesbaden; Exit Film Production, Beirut; Filmarchiv Austria, Wien; Les Films de demain, Casa­ blanca; Les Films de l’Étranger, Paris; Heimatfilm, Köln; Werner Herzog, Wien; Hollywood Classics, London; Pieter van ­Huystee Films, Amsterdam; Karin Kaper, Berlin; Peter Langs/Universal Studios Film Archive, Los Angeles; Lobster Film, Paris; mec film (middle eastern cinemas), Berlin; Mathieu Mullier-Griffiths, Paris; Noujaim Films, New York; Other Angle Pictures, Paris; ­Paprika Films, Tunis; Park Circus, Glasgow; Pathé Films, Zürich; Praesens Film, Zürich; Rialto Film, Berlin; SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich; Studiocanal, Berlin; Trigon-Film, Ennetbaden; WIKA Production and Distribution, Kairo; Khalil Dreifus Zaarour, Beirut; Zad Communication & Production, Kairo. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS & Partner, Zürich // KORREKTORAT N. Haueter, D. Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 7000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

VORSCHAU Japan im Spiegel seiner Filmklassiker

San Francisco

Das japanische Kino hat gleich mehrere

Seit zehn Jahren sind Zürich und San Fran-

Hochblüten erlebt. Dies zeigt eindrücklich

cisco verschwistert. Beide Städte sind welt-

die Retrospektive mit Klassikern des japani-

offene Kulturzentren, in denen auch das

schen Films seit den 1930er Jahren, die das

Kino einen hohen Stellenwert geniesst.

Filmpodium in Zusammenarbeit mit der

Letzten Herbst hat San Francisco eine Aus-

­japanischen Botschaft und anderen Part-

wahl von Zürich-Filmen gezeigt; nun ent-

nern aus Anlass von 150 Jahren diplomati-

führt das Filmpodium das hiesige Publikum

schen Beziehungen zwischen Japan und der

in die Bay Area, wo zahlreiche Klassiker der

Schweiz zeigt. Ein Highlight wird dabei

Kino- und TV-Geschichte gedreht worden

sicher der Stummfilmabend mit Benshi ­

sind. Das Spektrum ist breit, denn San Fran-

(Live-Filmkommentator). Über die cineasti-

cisco verfügt nicht nur über eine psychede-

schen Aspekte hinaus ist die Filmreihe, die

lische Hippie-Vergangenheit, eine exotische

neben legendären Namen wie Ozu und

Chinatown und eine legendäre Schwulen-

­Mizoguchi auch weniger bekannte umfasst,

szene; es ist auch die Heimatstadt von Kino-

ein faszinierender Spiegel japanischer Zeit-

Mackern wie Bullitt und Dirty Harry.

und Kulturgeschichte.


RUSSELL

JENNIFER

RAY

EMMA

LOGAN

AND

ANTHONY

CROWE CONNELLY WINSTONE WATSON LERMAN HOPKINS

APRIL 3

Noah-Film.ch


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