KJK 3 2016_Komplett

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Kinder jugend

Film

„Der beSonDere KinDerfiLm“ „Ente gut! – Mädchen allein zu Haus“ ist ein Kinderfilm dieser engagierten Initiative. Eine Bestandsaufnahme.

AnDreAS DreSen Der Regisseur verfilmte „Timm Thaler“ neu. Und leitete in München einen Kinderfilm-Workshop.

Korrespondenz

LUCAS für j U n g e f i L m fA n S Das Frankfurter Festival stellt sich neu auf. Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Cathy de Haan.

03 2016

Regelmäßige Beilage des FILMDIENST www.filmdienst.de

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Kuratorium junger deutscher Film Förderverein deutscher KinderFilm aKademie Für Kindermedien stiFtung lesen


STELL DIR VOR, DU BIST SO GROSS WIE DEIN VATER ...

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GEFÖRDERT UND ERST ERMÖGLICHT DURCH

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AB 15. SEPTEMBER IM KINO


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Editorial

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Junge filme: die Kraft der vielfalt

Foto: Susanne Duddeck

Foto: Concorde

Durch alle Zeiten Großer Bahnhof im prachtvollen Kölner Kinopalast „Cinedom“. Der ausgerollte Teppich ist ausnahmsweise nicht rot, sondern angemessen smaragdgrün, auf ihm schreitet das Team des letzten Teils der „Edelstein-Trilogie“ nach Kerstin Gier zur Filmpremiere, flankiert von zahllosen aufgekratzten jungen Fans. Es herrscht Vorfreude pur, lang anhaltender Beifall nach der Vorführung einschließlich Kreischalarm – ein tolles Kinogefühl. Und dabei handelt es sich bei „Smaragdgrün“ doch „nur“ um einen Unterhaltungsfilm für Jugendliche! Warum aber kann das nicht immer so sein? Warum will es nicht gelingen, dass auch ambitionierte Kinder- und Jugendfilme jenseits des Mainstreams die Herzen ihres Publikums ähnlich berühren und einen ähnlichen Stellenwert in ihrem Leben einnehmen? Es gilt, die Schere eines solchen Vorurteils und einer solchen Vorverurteilung zu verringern. Die fantastische Musik von Philipp Fabian Kölmel für „Smaragdgrün“ ebenso zu würdigen wie das vitale Plädoyer für mehr Toleranz in „Auf Augenhöhe“ – und beides nebeneinander zu genießen. Die Initiative „Der besondere Kinderfilm“, die wir in dieser Ausgabe vorstellen und diskutieren, kann dabei behilflich sein, indem sie Stoffe fördert, die nah am Leben des jungen Publikums angesiedelt sind, und das „Besondere“ im besten Fall zum Teil der „normalen“ Kinderkinokultur werden lässt.

Horst Peter Koll, Chefredakteur

/MollyMonsterTV /mollymonster.sandmaennchen

Gegründet 1980 von Christel und Hans Strobel. Die vorliegende Ausgabe ist Nr. 147-3/2016 im 37. Jahrgang.


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Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Inhalt

06 alpenbrennen

Debatte 6 Kinder begeistern Von Philipp Budweg In Kürze 8 Aktuelle Infos & Meldungen eIn fIlm, auf Den wIr uns freuen 24 „Die Mitte der Welt“ Im foKus thema: „Der besonDere KInDerfIlm“ 26 Der Stein kommt ins Rollen Von Stefan Stiletto/Horst Peter Koll 27 Arthouse für Kinder Von Kirsten Taylor 29 Gespräch mit Margret Albers Von Stefan Stiletto 30 Der schwierige Weg zum Publikum Von Reinhard Kleber 34 Move it! Neue Tanzfilme Von Michael Ranze 40 Akademie für Kindermedien Von Holger Twele festIval 37 Interview: Schülerfilmfestival NRW Von Reinhard Kleber 42 LUCAS: Interview mit Cathy de Haan Von Horst Peter Koll 44 Münchner Workshop mit Andreas Dresen Von Stefan Stiletto 45 Festival-Entdeckungen Von Stefan Stiletto, Holger Twele, Heidi Strobel

24 die Mitte der Welt

aKteure 33 Reihe: Der persönliche Klassiker (7) Von Volker Petzold 36 Reihe: Den kenn‘ ich doch! (7) Von Christian Exner 38 Porträt: Bahman Ghobadi Von Holger Twele brevIer 46 Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 48 Aktuelles Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. 50 stIftung lesen

34 Step up-MiaMi Heat

36 Hördur

KuratorIum junger Deutscher fIlm InformatIonen no. 75 53 Editorial Von Anna Schoeppe und Andreas Schardt 54 5 Filme Von Philipp Artus 56 Interview mit Undine Filter Von Kristina Rose 60 Der neue Film von Damian John Harper Von Reinhard Kleber 62 News 63 DVD-Tipps


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Inhalt

KrItIKen (KIno & DvD) vorschule 10 Molly Monster - Der Kinofilm Von Marguerite Seidel 11 Mullewapp - Eine schöne Schweinerei Von Sabine Kögel-Popp 6+ 12 13 14 15 16 17

König Laurin Von Thomas Lassonczyk Zafir – Der schwarze Hengst Von Natália Wiedmann Findet Dorie Von Stefan Stiletto BFG – Big Friendly Giant Von Kirsten Taylor Nellys Abenteuer Von Heidi Strobel Auf Augenhöhe Von Horst Peter Koll

10+ 18 Antboy – Superhelden hoch 3 Von Natália Wiedmann 19 Meine griechischen Ferien Von Kathrin Häger 20 Der Junge und das Biest Von Jörg Gerle 21 Smaragdgrün Von Horst Peter Koll 21 In Kürze

20 der JunGe und daS bieSt

10 MOllY MOnSter

14+ 22 Closet Monster Von Kathrin Häger 23 Streetdance: New York Von Michael Ranze 23 Vorschau

Die nächste KJK (4-2016) erscheint am 10.11.2016.

22 ClOSet MOnSter

ImPressum Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz (KJK)

dreipunktdrei mediengesellschaft mbH, Heinrich-brüning-Straße 9, 53113 bonn (0228) 26 000-163 (redaktion), (0228) 26 000-257 (anzeigen), (0228) 26 000-251 (Vertrieb) die KJK erscheint viermal im Jahr als ständige beilage des FilMdienSt Geschäftsführer: theo Mönch-tegeder Chefredakteur: Horst peter Koll redaktion: Stefan Stiletto layout: Wolfgang diemer, Frechen anzeigenverkaufsleitung/Verantwortlich für den inhalt der anzeigen: Martin Werker (werker@dreipunktdrei.de) Vertriebs- und Marketingleitung: urs erdle (erdle@dreipunktdrei.de) bestellungen und anfragen: vertrieb@filmdienst.de e-Mail: redaktion@filmdienst.de, internet: www.filmdienst.de

14 Findet dOrie

Gefördert durch:

21 SMaraGdGrÜn

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Ein emotionaler Kinderfilm für die große Kinoleinwand: „Alpenbrennen“ (mit Mia Kasalo und Samuel Girardi) ist eine deutsch-italienische Co-Produktion (Lieblingsfilm/helios sustainable films/rbb), gedreht in Berlin und Südtirol


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Debatte: Was ist Kinderfilm?

Debatte: Was ist KinDerfilm?

Kinder begeistern Ob realistisch oder fantastisch, originär oder adaptiert: Kinder lassen sich von ganz unterschiedlichen Geschichten mitreißen. Wichtig ist eine sorgfältige Auswahl der Schauspieler, die im besten Falle zu gefeierten Stars werden. Und ein Gespür dafür, ob ein Stoff wirklich ins Kino muss.

Foto: Martin Rattini, helios.bz

Von Philipp Budweg

Aktuell laufen der dritte „Rico & Oskar“-Film und „Smaragdgrün“, der Abschlussfilm der Edelsteintrilogie, im Kino. Damit endet für uns eine mehrjährige Arbeit an zwei Filmreihen. Ein geeigneter Zeitpunkt, um innezuhalten und die Erfahrungen auszuwerten. Mit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ war ich im Rahmen der Schulkinowochen von Vision Kino bundesweit viel unterwegs und hatte die Gelegenheit, mich nach den Vorführungen mit Schulklassen auszutauschen. Dabei habe ich immer wieder erlebt, dass zehn- bis zwölfjährige Mädchen begeistert waren vom Jungsfilm „Rico & Oskar“ und dass ich bei der Frage, was Lieblingsfilm denn sonst noch so produziert, mit der bloßen Erwähnung „Rubinrot“ entzücktes Aufkreischen provozieren konnte. Der Fantasyfilm über zwei zeitreisende Teenager war also bei derselben Zielgruppe genauso angesagt. Kinder lassen sich für ganz unterschiedliche Geschichten begeistern. Bei der „Rico & Oskar“-Reihe hat sich einmal mehr gezeigt, dass ein aufwändiges Casting für die Besetzung der

beiden Kinderhauptrollen notwendig ist, um am Ende „die Richtigen“ zu finden. Heute können wir uns Rico und Oskar nur noch verkörpert von Anton Petzold und Juri Winkler vorstellen. Welche Kinder einen ganzen Film tragen können und als Sympathieträger funktionieren, ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Laufe einer Kinderfilmproduktion. Und wenn sich bei den ersten Mustern bestätigt, dass diese Ausnahmetalente einfach großartig vor der Kamera sind, ist die Freude im Team jedes Mal wieder überwältigend. Der Moment der Wahrheit zeigt: „Es funktioniert.“ Wie bei der „Rico & Oskar“-Trilogie nach den Romanen von Andreas Steinhöfel haben auch die enormen Buchverkäufe der „Liebe geht durch alle Zeiten“-Romane von Kerstin Gier zur Bekanntheit beigetragen. Die erste Verfilmung mit den damals noch unbekannten Jungschauspielern Maria Ehrich und Jannis Niewöhner wurden von den Fans ungeduldig herbeigesehnt, bei der „Rubinrot“-Kinotour wurden sie wie Rockstars gefeiert. Dieses begeisterungsfähige Publikum führte zu den notwendigen Kinobesucherzahlen, um die Verfilmung der Trilogie fortsetzen zu können. Eine auflagenstarke Buchvorlage, vielleicht sogar eine Schullektüre, für eine Verfilmung heranzuziehen, ist sicherlich eine strategische Entscheidung, um gegenüber Verleihern und Förderern durch die Bekanntheit der „Marke“ ein potenzielles Publikum mitzubringen. Handelt es sich gar um ein Lieblingsbuch, das Kinder selbst lesen oder von den Eltern vorgelesen bekommen, dann gibt es aber durchaus eine Skepsis, ob die Verfilmung wirklich so gelungen ist, wie das eigene Kopfkino bereits die Bilder vorgegeben hat. Am Ende muss der Film in seiner besonderen Machart überzeugen und sein Publikum aufs Neue für die bereits gelesene Geschichte begeistern.

Kinderfilme nach einem originären Stoff zu entwickeln, wurde durch die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ innerhalb der Branche enorm in den Fokus gestellt. Auch ich habe für den ersten Aufruf mit Drehbuchautorin Natja Brunckhorst eine Geschichte entwickelt. Mit viel Humor erzählt der Abenteuerfilm „Alpenbrennen“ über den Aufstieg zum Gipfel und das Überwinden aller Hindernisse. Die Jury hatte sich gegen unseren Stoff entschieden. Eine Absage ist immer ärgerlich, weckt aber die „Jetzt erst recht“-Motivation. Bei der Südtiroler Filmförderung haben wir mit unserem Alpenstoff Unterstützung gefunden, am 6. Juli endeten die Dreharbeiten in Berlin und Südtirol. „Alpenbrennen“ lebt neben der emotionalen Geschichte zwischen zwei Jugendlichen von den imposanten Landschaftsaufnahmen und ist für die große Leinwand gemacht. Trotzdem muss nicht jedes Projekt unbedingt ins Kino. Manche Kindergeschichten eignen sich stattdessen ideal für einen Fernsehfilm oder sollten als Fernsehserie erzählt werden. Es ist an der Zeit, dass auch andere Formate und Geschichten als nur der Kinderkinofilm oder der Märchenfilm von den Sendern in Auftrag gegeben werden. Das Pitching der Absolventen der Akademie für Kindermedien, das jedes Jahr im Rahmen des Kinder-Medien-Festivals „Goldener Spatz“ stattfindet, zeigt, dass es einfach zu viele (ungenutzte) Talente gibt, die besondere Kinderfilme schreiben für ein junges Publikum, das offen ist für neue Geschichten. •

Philipp Budweg, Jahrgang 1972, ist Produzent der Lieblingsfilm GmbH und seit 2012 Mitglied der Deutschen und Europäischen Filmakademie. Seit 2001 hat er zahlreiche Stoffe für Kinder und Jugendliche produziert, darunter „Blöde Mütze“ (2006), „Wintertochter“ (2010), die Edelstein-Trilogie „Rubinrot“, „Saphirblau“ und „Smaragdgrün“ (2013-2016) sowie die „Rico & Oskar“-Trilogie (2014-2016). Der Kinderfilmstoff „Break the Ballet“ von Vera Kissel wurde soeben im Rahmen der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ für eine Drehbuchförderung ausgewählt.

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Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

In Kürze

zwei nAchruFe

Adolf Born 12.6.1930-22.5.2016 Im letzten Jahr wurde Adolf Born beim tschechischen Kinderfilmfestival in Zlín mit einem Preis für sein Lebenswerk geehrt. Damals stand der an der böhmisch-österreichischen Grenze Geborene kurz vor seinem 85. Geburtstag. Heuer nun mussten die Organisatoren in Zlín vermelden, dass der begnadete Zeichner und Karikaturist wenige Tage vor Beginn des Festivals verstarb. Vielleicht ist er ja auch nur in eines jener Universen entschlüpft, die er seit 1967 mit skurrilem Strich in seinen zahlreichen Trickfilmen und Kinderbüchern erschaffen hatte? In den turbulenten Zoo-Kosmos eines kleinen Affenmädchens, der Serienheldin Žofka („Sophie“) möglicherweise? Der „Mach und die Schebestova“ jedenfalls, die zwei aus der 3B (in Deutschland auch bekannt als „Paul und Brigitta“ oder „Max und Susi“), taten 2001 den umgekehrten Schritt. Damals gelangten die beiden beliebten Seriengestalten mit Hilfe ihres Zaubertelefons aus der Zeichentrickrealität in die „wirkliche Welt“ – die Filmwelt zumindest. Unterstützt hatten sie in dieser Kinderkomödie neben Adolf Born die Regisseure Jaroslav Doubrava und Václav Vorlíček sowie der Autor Miloš Macourek. Volker Petzold

Manfred Hobsch 1951-17.4.2016 „Bis auf weiteres: Out of order.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Manfred Hobsch Ende 2015 in seiner letzten Mail an die Redaktion der KJK, für die er viele Jahre als Autor tätig war. Mitte April starb er in Berlin. Hobsch, Verlagskaufmann bei der Berliner Zeitung „Der Abend“, Kritiker bei „Pro+Kontra“ und beim Wochenmagazin „Hobo“, war 1977 Mitbegründer des Berliner Stadtmagazins „Zitty“, 1988-1997 leitender Redakteur. Ebenso schrieb er Filmbücher, u.a. „Mach’s noch einmal. Das große Buch der Remakes“, „Liebe, Tanz und 1000 Schlagerfilme“, „Hitlerjunge Quex, Jud Süß und Kolberg“ (als Co-Autor). Zuletzt schrieb er mit Franz Stadler das zweibändige Werk „Die Kunst der Filmkomödie“. Besonders aber dem Kinder- und Jugendfilm gehörte seine Leidenschaft. Rolf Giesen schrieb im FILMDIENST: „Er war ein stiller, angenehmer, diplomatischer Mensch: nie laut, nie sarkastisch, versiert und filmbeschlagen, immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Und dann musste er erleben, wie nicht nur die Printmedien, denen er den größten Teil seines Lebens gewidmet hatte, in Auflösung, d.h. Digitalisierung begriffen waren, sondern auch die Filmbücher, die er unermüdlich, fast manisch schrieb, in Bedeutungslosigkeit versanken.“

„König Laurin“

Preise & Au sz e i c h n u n g e n

Königliche Ehren Eine unkonventionelle Rittergeschichte ist der große Gewinner beim Kinder-Medien-Festival „Goldener Spatz“. „König Laurin“ wurde von der 24-köpfigen Kinderjury Kino-TV zum „besten Kino-/Fernsehfilm“ gekürt, Volker Zack erhielt für seine Rolle den Preis als bester Darsteller. Mit dem Sonderpreis der Thüringer Staatskanzlei für die beste Regie wurde Matthias Lang für „König Laurin“ ausgezeichnet. Auch der Kinder-Medien-Preis „Der weiße Elefant“, verliehen im Rahmen des Filmfest München, ging in der Rubrik „Beste Kinoproduktion“ an „König Laurin“. Als beste Nachwuchsdarstellerin wurde Lynn Dortschack für ihre Rolle in „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ prämiert. Den Publikumspreis des Kinderfilmfest München erhielt „Auf Augenhöhe“. Mit dem mittlerweile fünften EFA Young Audience Award wurde im Mai „Jamais contente“ („Miss Impossible“/„Nie zufrieden“, Frankreich 2016) prämiert. Die schwungvoll-leichte Komödie von Emilie Deleuze war in Deutschland erstmals im diesjährigen Programm von „Berlinale Generation/Kplus“ zu sehen.

Filmbildung

Migration im Film Die globalen Migrationsbewegungen sind eines der brisantesten Themen der Gegenwart und bestimmen politische und gesellschaftliche Diskussionen in Europa. Besprechungen relevanter Filme zum Themenkomplex, die über Jugendliche erzählen oder sich für jugendliche Zuschauer eignen, hat das Deutsche Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) auf einer Website gebündelt. Die Microsite www.migration-im-film.de funktioniert als Empfehlungsliste und bietet neben 97 Filmkritiken, die auf Rezensionen aus dem KJF-Informationsportal www.top-videonews.de basieren, auch eine Gliederung nach thematischen Aspekten sowie Hinweise zu Projekten und Filmreihen, didaktischen Materialien und weiteren Informationsmöglichkeiten.

www.migration-im-film.de „Mediterranea“ von Jonas Carpignano


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In Kürze

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Termine STAR WARS IDEnTITIES (Ausstellung) München, 15.5.-17.10. www.starwarsidentities.de DIE KunST vOn AARDMAn (Ausstellung) Frankfurt/Main, 12.6.-30.10. www.deutsches-filminstitut.de

„LucAS“ Internationales Festival für junge Filmfans Frankfurt/Main, 18.9.-25.9. www.lucas-filmfestival.de

Kinderkino-Magie? KinderFilm-TrAiler. eine guTe idee miT mAKel Die Idee ist schön, das Anliegen wichtig: Ein aus starken Kinderfilm-Momenten montierter Trailer präsentiert sehenswerte Filme, soll in aller Kürze neugierig machen oder schöne Erinnerungen an Lieblingskinderfilme wecken. Der Trailer steht unter dem Motto „Starke Filme im Kino“. Und es geht gut los, mit prächtigen Bildern aus „Heidi“, in dem die Titelheldin über eine Almwiese läuft. Das Thema Freiheit wird gesetzt und mit einer Szene aus „Ostwind 2“ vertieft. Noch bevor man sich fragen kann, ob das wirklich ein typisches Kinderfilmthema ist, folgt nach drei weiteren willkürlichen Ausschnitten der erste Tiefpunkt: ein platter Kakawitz, den wir im guten Kinderkino weder brauchen noch sehen wollen (aus „Oooops! Die Arche ist weg ...“). Dann wird’s noch schlimmer: Szenen mit Moritz Bleibtreu als strohdummem Proll-Gangster aus dem zweiten „Rico & Oskar“-Film – eine der schlimmsten Darbietungen der Trilogie, die ihre Erwachsenenfiguren sonst doch so ernst nimmt! Schließlich: Schlechte CGI-Effekte aus „Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft“. Handwerklich souverän folgt der Trailer dem derzeit üblichen Rhythmus von schnell geschnittenen Bildfragmenten und Momenten

des Innehaltens, hat komische Punchlines und besitzt einige schöne Blickfänge. Doch auch wenn Themen wie Geschlechterrollen oder Zuversicht prägnant angerissen werden: Werden wirklich die Stärken des aktuellen deutschen Kinderfilms abgebildet, wenn sich prominent platzierte Pupsgags wiederholen oder erwachsene Darsteller in Kinderfilmen um die Wette grimassieren. Vor allem: Funktionieren sie als Aushängeschild? Es ist es ja keineswegs so, dass es kein gutes Material gibt. Allein „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ hätte mehr als genug „magische Momente“ geboten, um allein daraus einen Mood-Trailer zu schneiden. Mit ernsthaften Erwachsenen, tollen Kinderdarstellern, pupsfreier Komik und Bildern, die sich ins Gedächtnis einbrennen. Der deutsche Kinderfilm hat doch mehr zu bieten als Knallchargen und Klamauk! Genau für dieses „andere“ Kino setzt sich der Förderverein Deutscher Kinderfilm, der den Trailer initiiert hat, ja auch ein. Doch bei diesem Trailer fehlte am Schneidetisch allzu oft das Gespür für wirkliche KinderfilmMomente. Wie schade. Stefan Stiletto

www.starkefilmeimkino.d e

„ScHLInGEL“ Internationales Filmfestival für Kinder und junges Publikum Chemnitz, 26.9.-2.10 www.ff-schlingel.de

nORDIScHE FILMTAGE (Sektion „Kinderund Jugendfilme“) Lübeck, 2.11.-6.11. www.luebeck.de/filmtage

DOxS! dokumentarfilme für kinder und jugendliche Duisburg, 7.11.-13.11. www.do-xs.de


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Kritiken Vorschule

Molly Monster – Der Kinofilm Familie Monster bekommt Zuwachs, und das gleich im doppelten Sinne. Nachdem sich das Monstermädchen Molly Monster und seine liebenswert-schräge Familie beim „Sandmännchen“ als feste Größe etabliert haben, erhalten die inzwischen mehr als 50 Kurzfilme nun eine große Kino-Schwester. Dort dreht sich wiederum alles um die Frage, wann wohl das „Du-weißtschon-was“ endlich aus seinem Ei schlüpft. Molly ist ganz aufgeregt, als Mama Etna und Papa Popocatepetl alles für die große Reise zur Eierinsel zusammenpacken, wo alle Monster zur Welt kommen. Als Willkommensgeschenk hat Molly eine Pudelmütze gestrickt, damit es das Geschwisterchen gleich schön warm hat. Nur Mollys bester Freund Edison, eine winzige Aufziehpuppe, ist wenig begeistert von dem kommenden Ereignis. Was, wenn Molly künftig nur noch mit ihrem Bruder oder ihrer Schwester spielt? Mit diesem Plot zoomt der Schweizer „Molly Monster“-Erfinder Ted Sieger nun auch im Kino dicht an die Lebensrealität der Kleinsten heran. Zugleich nutzt er die große Leinwand, um in Co-Regie mit dem Schweden Michael Ekblad (Sluggerfilm) und dem Deutschen Matthias Bruhn (Trickstudio Lutterbeck) sein Monstermädchen auf eine längere Reise zu schicken. Zwar mag Edisons Eifersucht auf die drohende Konkurrenz durch das Geschwistermonster groß sein, noch größer aber ist Mollys Enttäuschung, weil sie nicht zur Eierinsel mitfahren darf: Dafür sei sie noch zu klein. Als die Eltern in der Eile überdies noch Mollys Pudelmützengeschenk liegen lassen, ab 5

fasst sie einen Entschluss: Sie packt die Mütze und den widerwilligen Edison und fährt schleunigst hinterher. Das Baby soll ja nicht frieren. Wer nun denkt, dass dies eine betuliche Geschichte für jüngste Kinogänger ist, die höchstens die Zielgruppe in Aufregung versetzt, der kennt „Molly Monster“ nicht. Herzensgut und anarchisch wie im Fernsehen, verspielt, chaotisch und beiläufig subversiv, hebelt der Film en passant Klischees und Rollenmuster aus und beweist, dass auch 2D-Animationen etwas zu bieten haben. Der bewährte Wimmelbildstil aus den Kurzfilmen, die übers ganze Bild verstreuten Details, kommt erst im Kino richtig zu Geltung: die unzähligen Aufziehschlüssel, die alle möglichen Gegenstände inklusive Edison zum Laufen bringen, der Krimskrams, der überall herumliegt und der unwirklichen Monsterwelt einen menschlichen Touch verleiht. Bunte Farben, irre Formen und die Animation von Kamerabewegungen sorgen zudem für die Tiefe in den zweidimensionalen Bildern. Obwohl Mollys abenteuerliche Reise durch die Wüsten Wilden Hügel auf dem Weg zur Eierinsel im Kern vorhersehbar ist – es geht freilich um all die aufkeimenden Konflikte und Emotionen, wenn ein Geschwisterkind geboren wird –, haben Drehbuchautor John Chambers („Molly Monster – Die Serie“) und das Regie-Trio die Handlung herrlich einfallsreich ausgemalt. Zwischen infantilen Pupswitzen, fantasievollen Gags wie einem laufenden Briefkasten oder Kitzelmonstern und dem pädagogischen Aha-Moment bei den zänkischen Brüdern Hick und Hack

bilden die unerschrockene, tatkräftige Molly und der skeptisch-ängstliche Edison ein ungleiches, aber effektives Team. Sie verkörpern und verhandeln untereinander all die widerstreitenden Gefühle, Gedanken und Ängste, denen nicht nur Kinder in unbekannten Situationen ausgesetzt sind. Helfen oder weitergehen, lautet etwa die Frage, als Molly und Edison tief in den Bergen ein unerklärliches Weinen hören. Sie führen vor, wie Empathie funktioniert, entscheiden sich fürs Helfen und treffen auf ein Riesenmonsterbaby, mit dem sie dann „gemeinsam allein“ sind. Mollys Eltern zeigen indes, wie selbstverständlich sich Geschlechterrollen verkehren lassen. Während es der Vater ist, der auf einem sehenswert zusammengeschusterten Autoanhänger das Ei ausbrütet, bringt die Mutter die Familie vorwärts. Wie erfrischend Filme sind, die Klischees aushöhlen, zeigt sich auch an Mollys Stimme. Nicht kindlich piepsig, sondern rauchig und charismatisch lässt die Schauspielerin Sophie Rois das süße Monstermädchen sprechen und macht das Hinhören zum Erlebnis. Besonders hörenswert: das Trostlied für das Riesenmonsterbaby. Überquellend vor Kreativität und mit viel Menschlichkeit beweist der Film, dass es sehr gut möglich ist, eine altbekannte Geschichte so aufzubereiten, dass sie weder abgedroschen noch bemüht wirkt. Im Gegenteil, die Ankunft eines Geschwisterchens wird so neu und frisch erzählt, wie junge Kinder sie erleben. Marguerite Seidel IM KIn0. MOLLY MONSTER – DER KINOFILM Deutschland/Schweiz/Schweden 2015. Produktion: Alexandra Schatz/Trickstudio Lutterbeck/Little Monster/ Sluggerfilm/Peacock Film/SRF/Teleclub/Senator Film Produktion. Regie: Ted Sieger, Michael Ekblad, Matthias Bruhn. Drehbuch: John Chambers. Musik: Annette Focks, Ted Sieger. Schnitt: Melanie Hartmann. Länge: 72 Min. FSK: ab 0. Start: 8.9.2016. Verleih: Wild Bunch. Empfohlen ab 5.


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Kritiken Vorschule

Mullewapp – Eine schöne Schweinerei „Ein guter Freund und jeder Tag wird schön ...“ Mit diesen Worten aus dem MullewappSong beginnt auch der neue Animationsfilm von Tony Loeser und Theresa Strozyk über Waldemar, das Schwein, Jonny Mauser und Franz von Hahn aus den Kinderbuchklassikern von Helme Heine. Doch diesmal wird es auf dem ansonsten so beschaulichen Bauernhof Mullewapp gar nicht so schön wie erwartet. Schuld daran sind das fiese Wildschwein Horst von Borst, eine hinterlistige kleine Fledermaus und Horsts Kumpane, die es auf Waldemars Geburtstagstorte abgesehen haben und das Hofleben so richtig aufmischen. „Mullewapp wird platt gemacht!“ Das ist der Schlachtruf der Wildschweinbande. Mit einem Trick gelingt es Horst, sich auf dem Bauernhof gemütlich einzurichten und sich an die Torte heranzupirschen, um ein Stück davon zu vertilgen. Natürlich wird das liebenswertgefräßige Geburtstagskind Waldemar von den Mullewapp-Bewohnern verdächtigt. Schon am nächsten Tag bringt Horst von Borst mit seinen Luftballontricks Waldemars Geburtstagssause in Schwung. In aufregende Abenteuer geraten Waldemar, Jonny ab 5

und Franz, nachdem auch ihr Fahrrad mit Luftballons geschmückt wird und mit den drei Freunden an Bord in die Luft steigt. Unterdessen nehmen Horsts Kumpel Mullewapp in Beschlag. Doch die Bösewichte haben nicht mit den Tricks der drei Freunde und der anderen Tiere des Bauernhofs gerechnet. Ein recht hässliches Wildschwein mit Zylinder, eine lilafarbene Fledermaus mit überlangen Ohren und die bekannten Figuren aus Mullewapp in cartoonartiger 3D-Technik werden zu einer episodenhaft angelegten, klamaukigen Geschichte mit viel Action und Slapstick-Einlagen verbunden. Während die einfach gestrickte Handlung dadurch künstlich in die Länge gezogen wird, sind auch die computeranimierten, sehr glatt wirkenden Figuren, denen die Ausdrucksstärke der gezeichneten Vorlagen fehlt, gewöhnungsbedürftig. Zudem kommen die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der drei Freunde im Gegensatz zu den Büchern und dem Vorgängerfilm „Mullewapp – Das große Kinoabenteuer der Freunde“ (2008) weit weniger zur Geltung. Die Hintergründe hingegen sind schön gestaltet, der Film lebt von vielen lustigen Momenten, etwa der Situati-

onskomik, als Hofhund Bello beim Niesen in der Badewanne das Gebiss aus dem Mund fällt. Den Sprechern macht es dabei hörbar Spaß, den Tieren ihre Stimme zu geben. Alles dreht sich darum, wie wichtig Freundschaft und Zusammenhalt in schwierigen Situationen sind. Doch diese Botschaft bleibt an der Oberfläche, weil Action und Klamauk den Film dominieren. Kinder werden sich dennoch in der Story wiederfinden, greift diese doch Erfahrungen aus ihrer Alltagswelt auf: Das nervige Warten auf die lang ersehnten Geschenke, das unerlaubte Naschen vom Kuchen und eine Geburtstagsfeier mit vielen Luftballons kennt jedes Kind. Bleibt zu hoffen, dass die Kindergeburtstagsparty nicht ganz so aufgedreht verläuft, wie es der Film vorführt mit „Eins, zwei, drei – Wildschwein-Keilerei“. Sabine Kögel-Popp IM KIn0. MULLEWAPP – EINE SCHÖNE SCHWEINEREI Deutschland 2016. Produktion: MotionWorks/Studiocanal Film/Melusine Productions. Regie: Tony Loeser, Theresa Strozyk. Buch: Jesper Møller, nach den Figuren von Helme Heine. Musik: Andreas Hoge. Sprecher: Axel Prahl (Waldemar), Ralf Schmitz (Jonny Mauser), Michael Kessler (Franz von Hahn), Carolin Kebekus (Marilyn), Christian Ulmen (Benny Blauholz). Länge: 79 Min. FSK: ab 0. Start: 14.7.2016. Verleih: Studiocanal. Empfohlen ab 5.

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Kritiken 6+

König Laurin Es gibt nur noch wenige Sagen und Märchen, die nicht für Film oder Fernsehen adaptiert wurden. Eine dieser Geschichten hat Regisseur Matthias Lang entdeckt und für seinen Abschlussfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film verwendet. Sie handelt vom Zwergenkönig Laurin, dem es einst gelungen sein soll, in den kargen, felsigen Dolomiten einen zauberhaften Rosengarten anzulegen. Lang gibt sich nicht damit zufrieden, diese Sage einfach nachzuerzählen. Er nimmt sie vielmehr zum Anlass für ein teils spannendes, teils komisches Fantasy-Abenteuer, das trotz des historischen Stoffs Bezüge zum Hier und Jetzt hat. Somit steht „König Laurin“ dem rockigen „Ritter aus Leidenschaft“ näher als einem „Herr der Ringe“-Spektakel für Kinder. Diese Zielgruppe behält Lang stets im Auge, wenn er seinen jugendlichen Antihelden Theo beim schwierigen Versuch, erwachsen zu werden, beobachtet. Theo leidet unter zwei Dingen: Der Königssohn ist kleinwüchsig und kann deshalb die hohen Erwartungen, die sein ebenso fürsorglicher wie strenger Vater Dietrich an ihn stellt, nicht erfüllen. Erst die Freundschaft zu König ab 6

Laurin, dessen Zwergenvolk einst von Dietrich wegen einer Missetat, die es nie begangen hat, verbannt wurde, bringt Theo auf den richtigen Weg. Nach und nach erkennt er, dass man auch als Kleiner große Taten vollbringen kann. Dabei kann das Fantasy-Märchen dank seiner vielen überraschenden Einfälle und witzigen Einschübe gut und gerne auch als Komödie durchgehen. So amüsiert der Regisseur etwa mit Anachronismen wie Mülltrennung im Mittelalter, einer originellen Version der Jahrmarkt-Attraktion „Hau den Lukas“ oder der gewagten Prognose, Latein sei die Sprache der Zukunft. Spaß bereiten auch Gadgets wie ein Zaubermantel, der unsichtbar macht, oder ein Zaubergürtel, der Stärke verleiht. Gleichzeitig liefert „König Laurin“ auch spannend-gruselige Momente wie jene auf einem mit Spinnweben übersäten Friedhof oder die Begegnung mit fiesen Söldnern, die sich als strohdumm herausstellen. Einige schöne Schwenks über die Südtiroler Alpenkulissen sorgen zudem für echte Kinobilder. Allerdings musste die Produktion, die ihr Budget zum Teil über Crowdfunding generierte, unter anderem Abstriche bei der Komparserie machen. Wenn etwa König Dietrich davon spricht, eine ganze Armee würde seine Burg angreifen, und man in der nächsten Szene lediglich ein gutes Dutzend

brüllender Berserker sieht, gerät die Glaubwürdigkeit kurz in Gefahr. Doch Lang kann sich auf seine hervorragenden Darsteller, zu denen neben Nachwuchstalent Florian Burgkart auch Rufus Beck in der Rolle von König Dietrich und Volker Zack als König Laurin zählen, ebenso verlassen wie auf sein kluges Drehbuch, das insbesondere auf Dialogebene punktet. Zudem gefällt die pazifistische Grundstimmung: Theo will lieber Gärtner als Eroberer werden – da zerstört man ja nur –, wütende Angreifer treibt man mit JuckpulverAttacken in die Flucht, zum glücklichen Ende werden Helme zu Blumentöpfen umfunktioniert. Der gelungene Mix aus leichter Unterhaltung und gehaltvoller Message wurde mit drei „Goldenen Spatzen“ beim Kinder-Medien-Festival in Gera und Erfurt sowie mit dem „Weißen Elefanten“ auf dem Kinderfilmfest München 2016 ausgezeichnet. Thomas Lassonczyk

IM KIn0. KÖNIG LAURIN Deutschland, Österreich 2016. Produktion: Sparkling Pictures/ZDF Enterprises. Regie und Drehbuch: Matthias Lang. Kamera: Kaspar Kaven. Musik: David Reichelt. Schnitt: Theo Strittmatter. Darsteller: Florian Burgkart (Theo), Volker Michalowski (König Laurin), Rufus Beck (König Dietrich), Patrick Mölleken (Wittich), Katharina Stark (Similde). Länge: 93 Min. FSK: ab 0. Start: 1.9.2016. Verleih: Zorro. Empfohlen ab 6.


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Zafir – Der schwarze Hengst Genau ein Jahr ist vergangen, seit Annas große Schwester Lena einen Reitunfall hatte und starb. Noch immer sind Annas Eltern unschlüssig, was mit Lenas ehemaligem Pferd Zafir geschehen soll – jedenfalls wollen sie auf keinen Fall, dass Anna auf dem Hengst reitet, den sie für zu gefährlich und unberechenbar halten. Doch Anna ist sich sicher, dass Zafir an dem Unfall keine Schuld trug, und würde ihn am liebsten schon beim Wettrennen reiten, das in wenigen Tagen ansteht. „Wir würden es der ganzen Welt zeigen“, flüstert sie dem Pferd zu. Könnte sie doch bloß auch so gut mit dem Hengst umgehen wie das Flüchtlingskind Sharbat! Schon mehrmals hat Sharbat, der in einem nahegelegenen Kinderheim untergebracht ist, das Pferd heimlich nachts aus seinem Stall geholt und auf der Wiese mit ihm trainiert. Erst ist Anna stinksauer, doch Sharbat scheint der Einzige zu sein, der wie Anna daran glaubt, dass Zafir ein ganz besonderes Pferd ist. Anna kann Sharbat überreden, heimlich mit ihr zu üben – aber nur eine Nacht lang, denn Sharbat will aus dem Heim ab 8

abhauen und in sein Land zurückreisen. Welches Land das sein mag? Die etwa elfjährige Anna fragt nicht. Auch nicht danach, wo Sharbats Eltern jetzt sind oder weshalb genau Sharbat geflohen ist. Freilich, die pädagogische Botschaft des Films könnte trotz vieler Leerstellen klarer nicht sein: Anna merkt, dass sie von diesem fremden Kind, dem sie erst so ablehnend gegenübersteht, eine Menge lernen kann und viel mit ihm gemeinsam hat. Aber es bleibt ein fader Beigeschmack, da die Figur des geflüchteten Kinds so konfektioniert ist, dass es die konventionelle Pferdefilme-Geschichte nicht aufbricht. Sharbats Rolle fügt sich perfekt in diese ein und ist ganz darauf zugeschneidert, für die Protagonistin die Rolle eines pferdeflüsternden Mentors (oder eigentlich, wie sich schließlich herausstellt: einer Mentorin) einzunehmen und Anna zu ihrem Ziel und Erkenntnisgewinn zu führen. Die Figur bleibt dabei so grob gezeichnet wie die vorhersehbare Geschichte selbst. Dass ein scheinbar schwieriges Pferd vor dem Verkauf bewahrt werden muss, dass die Tiergeschichte mit einem Tod in

der Familie verknüpft ist, unerwartete Hilfe beim Training erfolgt oder ein Rennen das große Finale bildet, diese Motive kennt man schon zur Genüge aus anderen Pferdefilmen für ein junges Publikum. Überraschend ist höchstens das Fehlen sonnendurchfluteter Bilder. Stattdessen dominiert schmuddeliges Herbstwetter. Aber genau wie die Figur des Flüchtlingskinds geben die kargen Bilder dem Film nur den Anstrich besonderer Realitätsnähe. Denn wie seine Protagonistin Anna, die offenbar nur ihr Pferd im Kopf hat, versäumt es der Film, einen genauen Blick auf seine verschiedenen Figuren zu werfen, und verspielt damit die Möglichkeit, seinem Publikum eine differenzierte und psychologisch stimmige Geschichte zuzutrauen. Natália Wiedmann AuF dvd. ZAFIR Dänemark 2003. Produktion: Zentropa. Regie: Malene Vilstrup. Buch: Hans Hansen, Malene Vistrup. Kamera: Lars Beyer. Musik: Hans-Erik Philip. Schnitt: Miriam Nǿrgaard. Darsteller: Rose Marie Hermannsen (Anna), Katrine Schnoor (Sharbat), Henrik Lykkegaard (Jens), Claus Bue (Niels), Charlotte Munksgaard (Bente). Länge: 71 Min. (DVD). FSK: ab 0. Veröffentlichung: 13.5.2016. Anbieter: MFA+. Empfohlen ab 8.

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Findet Dory! noch einmal Fische also. Ausgerechnet jene Tiere, die Animatoren so wenig Spielraum lassen. Sie können nicht laufen und stolpern, nicht mit den Armen rudern, nichts greifen, kaum gestikulieren. Sie haben keine Haare, keine Kleider, auch die mimische Ausdrucksfähigkeit scheint eher beschränkt zu sein. Aber Pixar hat schon einmal gezeigt, dass man daraus trotzdem einen beeindruckenden CGI-Film machen kann: „Findet Nemo“ (2003) führte mitten hinein in den Ozean und erzählte als Unterwasser-Road-Movie von einem Clownfisch, der nach seinem verschwundenen Sohn sucht und dabei über sich hinauswächst. „Findet Dorie“ ist keine Fortsetzung im engeren Sinne – so etwas macht Pixar ohnehin selten –, vielmehr ein Spin-off. Marlin, der seit dem tragischen Tod seiner Fischdame überängstliche Vater von Clownfisch Nemo und „Held“ des ersten Films, taucht nun zwar auch noch auf, wird jedoch eher zur Nebenfigur. Die Hauptrolle gehört stattdessen Dorie, dem ehemals tragikomischen Sidekick. Als Paletten-Doktorfisch mit massiver Störung des Kurzzeitgedächtnisses sorgte Dorie in „Findet Nemo“ für den Comic Relief. Jetzt widmet man sich ihrer Hintergrundgeschichte und fragt sich, wie so ein Fisch eigentlich leben kann. Dieser Ansatzpunkt ist zunächst einmal überraschend, sind Sidekicks doch vor allem auf den schnellen Gag angelegt und keineswegs Figuren mit Tiefe. Andrew Stanton aber, der kreative Kopf hinter beiden Unterwasserfilmen, der in „WALL-E“ (2008) auch schon einen Roboter feinfühlig beseelt hat, vollzieht genau diese Kehrtwendung. Und das Überraschende ist, wie gut dieses Konzept aufgeht. In den Mittelpunkt rückt nun Dories Suche nach ihren Eltern, die sie unter ungeklärten Umständen aus den Augen verloren hat. Begleitet von Marlin und Nemo macht Dorie sich auf den Weg nach vorn, um ihre Vergangenheit zu finden. Wie in „Findet Nemo“ kommen die Fische bei ihrer Suche in Kontakt ab 9

mit der Welt der Menschen, wenn die Reise sie von Australien in ein meeresbiologisches Institut an der Westküste der USA führt. Echte Gegenspieler gibt es dennoch nicht. Dorie ist eine schöne Figur, weil sie so spontan und unbedarft ist, auf liebenswerte Art chaotisch und naiv. Das Unperfekte macht sie so sympathisch. „Was würde Dorie tun?“, wird zu einer häufig aufgegriffenen Leitfrage – und das heißt hier nichts anderes als: Hör auf nachzudenken! Handle einfach! Allerdings, und da kommt die Anlage als Sidekick am deutlichsten zur Erscheinung, ist Dorie auch eine Quasselstrippe, die ihresgleichen sucht. Die Hektik, die sie damit als Nebenfigur verbreiten konnte, war eine angenehme Ablenkung. Als Titelheldin allerdings wird der Film dadurch oft sehr hektisch. Es ist schon bemerkenswert, wie es einem derartigen CGI-Blockbuster gelingt, ganz unterschiedliche Behinderungen zu thematisieren, ohne dabei in irgendeiner Weise aufdringlich oder bemüht zu wirken. War es in „Findet Nemo“ schon der Clownfisch, dessen Flosse etwas zu klein geraten war, so leidet nun Dorie unter ihrer mentalen Einschränkung. Auch der neue Sidekick und Verbündete Hank, ein Oktopus aus dem Institut, ist nicht unversehrt: Ihm fehlt ein Arm – weshalb er die Aussicht, irgendwann wieder im offenen Meer ausgesetzt zu werden, überhaupt nicht erstrebens-

wert findet und sich viel lieber nach der Sicherheit eines Aquariums sehnt. Ängste zu überwinden, sich selbstbewusst dem Leben zu stellen mit den Fähigkeiten, die man hat – das wird so zum Hauptthema der beiden Filme. Erneut sind es die emotionalen Szenen, durch die sich die Pixar-Produktion von vielen anderen aktuellen Computeranimationen abhebt. Da mag es vor allem zum Ende hin noch so albern werden. Zurückgeführt wird die Geschichte immer auf die Gefühle der Figuren, an die Zuschauer unterschiedlichsten Alters andocken können. Zugleich kann Stanton mit „Findet Dorie“ trotz der technischen Perfektion – mit jedem weiteren Film verblüffen die Pixar-Animatoren durch eine neue Detailtreue und ungemein echt wirkende Texturen – nicht an den Ideenreichtum von „Alles steht Kopf“ oder auch den Bildwitz von „WALL-E“ anschließen. Rückwirkend freilich verändert sich der Blick auf „Findet Nemo“: Wer sich diesen heute noch einmal ansieht, wird die vergessliche Dorie mit anderen Augen sehen. Aus dem Sidekick ist ein Charakter geworden. Stefan Stiletto IM KIn0. FINDING DORY 3D. USA 2016. Produktion: Pixar Animation Studios/Walt Disney Pictures. Regie: Andrew Stanton, Angus MacLane. Buch: Andrew Stanton, Victoria Strouse. Kamera: Jeremy Lasky. Musik: Thomas Newman. Schnitt: Axel Geddes. Länge: 97 Min. FSK: n.n. Start: 29.9.2016. Verleih: Walt Disney. Empfohlen ab 9.


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BFG – Big Friendly Giant

Es ist nicht immer einfach, ein Kind zu sein. Ständig wird einem gesagt, was man tun oder lassen soll, man wird unterschätzt oder nicht ernst genommen. Auch die Waise Sophie glaubt, dass sie nur „ein wertloses Kind“ ist. Deshalb kümmert es auch niemanden, als sie eines Nachts von einer gewaltigen Hand aus ihrem Bett gehoben und in ein fernes Land entführt wird. Doch zum Glück hat sich Roald Dahl ihre Geschichte ausgedacht, der sich in seinen Kinderbüchern immer auf die Seite seiner jungen Helden und Heldinnen stellt. Denn sie sind zumeist noch nicht verbogen und verdorben, allein deshalb meist liebenswerter, weiser und mutiger als viele Erwachsene. Und: Sie glauben noch an Wunder. So bekommt Sophie einen Gefährten, der nicht nur so groß wie ein zweistöckiges Haus, sondern auch mit einem entsprechenden Herzen ausgestattet ist: einen BFG, einen „Big Friendly Giant“. Gemeinsam wollen sie die Welt von neun scheußlichen Riesen mit Namen wie Mädchenmanscher oder Kinderkauer sowie einem unstillbaren Appetit auf Menschenfleisch befreien, die bald auch Sophies Witterung aufnehmen. „Wer nicht an Magie glaubt, wird sie niemals finden“, hat Dahl einmal gesagt, dessen Kinderbuch „The BFG“ (dt. „Sophiechen und der Riese“) 1982 erschien. „Je schlimmer die Welt wird, umso mehr müssen wir an Magie glauben, weil sie uns Hoffnung gibt“, hat wiederum Steven Spielberg betont. ab 9

Dahls Geschichte scheint wie gemacht für den US-Regisseur, dessen Herz stets für Außenseiter schlägt. Denn nicht nur Sophie hat es schwer, sondern auch der BFG. Im Land der Riesen wird er verachtet, weil er lieber schleimige Kotzgurken isst als knusprige Schulkinder. Zwei einsame Seelen also, die sich finden und einander helfen – ein typisches Spielberg-Sujet und folglich kein Zufall, dass die 2015 verstorbene Drehbuchautorin Melissa Mathison engagiert wurde, die sich bereits für „E.T. – Der Außerirdische“ (1982) bewährt hatte. Die Erinnerung an diesen Erfolgsfilm wird heftig wachgerüttelt, wenn sich der Riese und das Mädchen zum Score von John Williams zart an den Fingerspitzen berühren. Doch das Zitat ist nicht ganz stimmig, denn in der Welt des durchaus abgründigen Roald Dahl gibt es – wie im echten Leben – das Dunkle, Böse und Absonderliche, existieren sogar Kannibalen oder Rieseninsekten, aber ganz gewiss keine niedlichen Aliens, die nach Hause telefonieren wollen. Spielberg ist kein Regisseur, der das große Gefühl scheut, auch nicht auf die Gefahr hin kitschig zu werden. Eine Gratwanderung, die ihm bei „BFG“ durchaus gelingt – auch wenn der Film mitunter gerade da sentimental und gefällig wirkt, wo Dahls Vorlage eckig und grantig ist. Spielberg verlegt das dörfliche Waisenhaus in ein Harry-Potter-London, was bildlich mehr hergibt, dem Setting aber seine Alltäglichkeit nimmt. Dabei bietet die Geschichte genügend Anlässe für allerlei Bildzau-

ber. Allein der Größenunterschied im Stil von „Gullivers Reisen“ hat seinen eigenen Reiz. Die Welt der Riesen ist für Sophie so unermesslich groß, dass sie sich in einer der schleimigen Gurken verstecken kann, und ihre „Nicholas Nickleby“-Ausgabe wird in den Händen des BFG zum Büchlein. Staunend sieht man zu, wie sich der Riese durch das nächtliche London bewegt, zum Baum wird oder mit Mauern verschmilzt, um bloß nicht entdeckt zu werden, wenn er nachts den Menschen bunt irrlichternde Träume in die Schlafzimmer bläst. Das alles funktioniert dank einer gelungen Kombination von realem Schauspiel und digitalem Motion-Capturing so hervorragend, dass man den ungeheuren technischen Aufwand hinter jedem einfallsreichen Bild meist vergisst. Getragen wird der Film von den beiden Hauptdarstellern. Die mittlerweile zwölfjährige Ruby Barnhill spielt ihre Sophie mit großer Natürlichkeit und kann neben Mark Rylance als BFG bestehen, der nach „Bridge of Spies“ (2015) zum zweiten Mal für Spielberg vor der Kamera stand. Obwohl er hinter der digitalen Maske fast verschwindet, sind sein melancholischer Blick und (im englischen Original) seine sanfte Stimme unverkennbar, mit der er die Worte knetet und zu der ganz eigenen Sprache „Gobblefunk“ modelliert, die Dahl seinem Riesen angedichtet hat. Insgesamt also ist „BFG“ ein bildgewaltiger Spaß voller Poesie und Humor. Nur um das Ende kann es einem ein wenig leidtun: Im Buch lässt die Queen Sophie und den Riesen Domizile im königlichen Park von Windsor bauen, und der BFG entpuppt sich als Erzähler seiner Geschichte. Spielberg dagegen beschwört eine heile Familienwelt herauf – und bügelt damit den verspielt-anarchischen Humor von Roald Dahl glatt. Kirsten Taylor IM KIn0. THE BFG Großbritannien/Kanada/USA 2016. Produktion: Amblin Entertainment/Walt Disney Pictures/Walden Media/Reliance Entertainment/Kennedy-Marshall Company. Regie: Steven Spielberg. Buch: Melissa Mathison, nach dem Kinderbuch „Sophiechen und der Riese“ von Roald Dahl. Kamera: Janusz Kaminski. Musik: John Williams. Schnitt: Michael Kahn. Darsteller: Mark Rylance (BFG), Ruby Barnhill (Sophie), Penelope Wilton (Queen), Rebecca Hall (Maria), Rafe Spall (Mr. Tibbs). Länge: 117 Min. FSK: ab 0. Start: 21.7.2016. Verleih: Constantin Film. Empfohlen ab 9.

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Nellys Abenteuer die Sommerferien haben begonnen, und die 13-jährige nelly ist völlig genervt. Während ihre Freunde ans Meer oder ins raue Norwegen fahren, muss sie mit ihren Eltern ins unbekannte Siebenbürgen fliegen, auch Transsilvanien genannt. Außer den zahlreichen Vampir-Geschichten kann sie mit Rumänien nichts Spannendes verbinden. Aber es kommt natürlich anders. Nelly muss nicht nur an der Beziehung zu ihren Eltern zweifeln, weil diese ihr verheimlicht haben, dass der Vater in Rumänien ein alternatives Stromnetz aus Windmühlen errichten soll und die Familie deshalb einen Umzug dorthin plant. Sondern sie wird auch noch von einem kapitalistischen Schurken, dem Staudamm-Unternehmer Wagner, gekidnappt, der die ungeliebte Konkurrenz ausschalten will. Nellys Entführung gestaltet sich schwieriger als gedacht und ist ein ewiges Jagen, Entkommen und Fangen. Dabei erfährt Nelly Hilfe des 14-jährigen Roma-Jungen Tibi und seiner 15-jährigen Schwester Roxana, während ihre Eltern sie vergeblich suchen. „Nellys Abenteuer“ ist Dominik Wesselys Spielfilmdebüt. Bislang hat sich der Regisseur als Dokumentarfilmer einen Namen gemacht, wie auch seine versierten Drehbuchautoren Jens Becker und Uta Kolano vor allem in der Non-Fiction-Sparte beheimatet sind. Das merkt man dem Film an. Die fiktionale Handlung dient dazu, das junge Publikum mit dem Land und ab 9

dessen Minderheiten, den Siebenbürger Sachsen und Roma, bekannt zu machen. Dabei möchte der Film nicht nur unterhaltsam und bildend sein, sondern auch eine pädagogische Botschaft vermitteln. So wird Nelly von den zwei Gehilfen des Bösewichts in ein Roma-Dorf verschleppt. Dieser Aufenthalt versetzt das Mädchen in die Lage einer Fremden. Am eigenen Leib muss es erfahren, wie bedrohlich und unbehaglich es sich anfühlt, wenn man als Einzelne durch unvorhersehbare Vorkommnisse in eine anders organisierte Gesellschaft gelangt. Der Film hat dafür ein sprechendes Bild gewählt. Aus Versehen wird Nelly mit einem Eimer Wasser übergossen und steht unter dem Gelächter des Dorfes beschämt wie ein nasser Pudel da. Aber Nelly erfährt auch Gastfreundschaft und Unterstützung. Sie beobachtet, was um sie herum geschieht, und lernt ein unmoderneres Leben kennen, wird mit dem Alltag, den Sitten und Gebräuchen der Roma vertraut gemacht. Die Bilder inszenieren trefflich den Gegensatz dieser Welten. Nellys Siedlung wird in ihrer sachlich-nüchternen Architektur mit geometrisch-strengen Bildkompositionen und hellen Farben eingefangen. Im Roma-Dorf dagegen leuchten Rot-, Grün- und Blautöne kräftig, die Stoffe sind bunt gemustert. Die Aufnahmen werden dynamisiert, indem das Bild mit unterschiedlichen Elementen bevölkert wird. Der Film lässt dem Mädchen Zeit, sich mit dem

Roma-Jungen bekannt zu machen und in ihm einen treuen Freund zu finden. Dabei führt er die Protagonisten und den Zuschauer durch malerische Landschaften und erlaubt ihnen, manch Ungehöriges zu tun, und sei es nur, an einer Zigarette zu ziehen. Für die Verfolgungsjagd setzt er sämtliche Fortbewegungsmittel wie ein Pferd, ein Auto, einen Zug oder einen Fesselballon ein, die man aus der Abenteuerliteratur kennt. Bei der Gestaltung des größenwahnsinnigen reichen Bösewichts standen offenbar James-Bond-Filme Pate. Wenn Wagner an seiner Pool-Landschaft gierig schnappenden Fischen das Futter hinwirft, lässt „Man lebt nur zweimal“ (1966) und „Leben und sterben lassen“ (1972) grüßen. Mitunter geht der Bildungswille auf Kosten der Abenteuer- und Freundschaftsgeschichte. Dann gelingt es dem Film nicht durchgängig, die Gefühlsspannung aufrechtzuerhalten, auch deshalb, weil die Schurken nicht furchteinflößend genug sind und die Balance nicht rhythmisch zwischen Schrecken und Komik gehalten wird. Auch findet der Film keine unverbrauchten Bilder für die kindliche Lust am Abenteuer. So wird der Kampf gegen das Böse auf Dauer doch zu langatmig. Heidi Strobel

IM KIn0. NELLYS ABENTEUER Deutschland 2016. Produktion: Indi Film/Bastei Media/ Rommel Film/SWR/SR. Regie: Dominik Wessely. Buch: Jens Becker und Uta Kolano. Kamera: Knut Schmitz. Musik: Franziska Henke. Schnitt: Anja Pohl. Darsteller: Flora Li Thiemann (Nelly), Julia Richter (Mutter), Kai Lentrodt (Vater), Hagi Lăcătuş (Tibi), Raisa Milhai (Roxana). Länge: 97 Min. FSK: ab 6. Start: 8.9.2016. Verleih: Farbfilm. Empfohlen ab 9.


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Auf Augenhöhe Für Howard Hawks war es eine grundlegende voraussetzung seiner Regiearbeit: „Ich drehe ohne umwege. Gewöhnlich steht die Kamera in Augenhöhe. die Zuschauer sehen das, was ich auch sehe.“ Dabei sah er sich weniger als Künstler denn als Geschichtenerzähler, er brauche schlicht eine gute Geschichte, die er erzählen könne. Heute vergisst man oft, dass im Prinzip immer noch nicht mehr dazu gehört, das Publikum in Bann zu ziehen, auch ein junges Publikum: eine gute Geschichte ohne Umwege, keine Kameratricks. Über all dies verfügt der erste Kinderfilm von Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf, dessen Titel sowohl narratives Programm als auch Verweis auf die konkrete Handlung ist. In der Tat ist der zehnjährige Michi auf Augenhöhe mit seinem gerade erst entdeckten Vater Tom, denn der ist kleinwüchsig und sogar etwas kleiner als der selbstbewusste Waisenjunge. Was Michi überhaupt nicht gefällt, will er doch aufschauen zu einem lange vermissten Vorbild, einem „idealen“ Vater, dem er sich anvertrauen und auf den er sich verlassen kann. Dass dies „auf Augenhöhe“ ziemlich schmerzhaft und kompliziert ist, freilich auch erkenntnisreich und gewinnbringend sein kann, das erkennt Michi nur schrittweise: Sehen, was man sieht, nicht, was man sehen möchte. Mit Luis Vorbach als Michi hat der Film einen Glücksgriff getan: Der temperamentvolle, ungemein körperbetont agierende junge Darsteller vermittelt nachdrücklich die ganze Impulsivität „seines“ ab 9

Michi, der sich im Waisenhaus so gut wie möglich eingerichtet hat, Freunde und Erzieher als Ersatzfamilie annimmt und sich selbstbewusst gegenüber den älteren Jungs durchzusetzen weiß. Dass Luis Vorbach ebenfalls in der Lage ist, nuancenreich Michis empfindsame Seiten zu vermitteln, seine Entbehrungen und Enttäuschungen, vor allem auch seine Hoffnungen und Sehnsüchte, zeigt sich, als Michi aus einem Brief seiner toten Mutter von der Existenz seines Vaters erfährt. Michi verlässt optimistisch und vorfreudig das Heim, nimmt die Eifersucht und den sich handfest in Hänseleien und üblem Spott entladenden Neid der Anderen in Kauf, um seinen Traum zu leben. Erst aus diesem starken Gefühl heraus wird die Fallhöhe der vielen Enttäuschungen, Anfeindungen und auch Aggressionen einsichtig, mit denen Michi auf Tom reagiert: Ein Zwerg als Vater – wie, so schreit es ihm heraus, kann man vom Leben nur so verarscht werden? In den besten Szenen lebt der Film von seiner impulsiven Direktheit, mit der er sein alles andere als leichtes Thema angeht. Lieber mal Luft ablassen, heißt dann die Devise, statt alles in sich hineinfressen und Konflikte pietätvoll zu umgehen. In solchen Momenten mutet der Film seinem jungen Publikum einiges zu, wenn geschrien, gerungen und Mobiliar zerschlagen wird, oder wenn er die üblen Gemeinheiten ausspielt, die Michi und Tom, jeder auf seine Weise, erdulden müssen. Zugleich wird manche Szene, in denen die Umwelt rat-

los und unsicher auf Toms Kleinwüchsigkeit reagiert, zur befreienden parodistischen Volte, bei der sich Tom und Michi immer näherkommen. Mal dramatisch, mal komisch spielt der Film mit Michis sich verändernden Blick- und Sichtweisen, seinen Ausweichmanövern und Lügengebilden, mit denen er sich vor Gleichaltrigen besser machen will, aber alles nur noch komplizierter macht. Während er Tom damit immer wieder verletzt und ihn gegenüber seiner neuen Freundin Katja gar zum Hausmeister degradiert, wird sein Blick auf den (Ersatz-)Vater doch immer wacher, verständnis- und respektvoller. So ist es nur konsequent, dass der Film immer wieder mal Michi verlässt, um auch Toms Lebenssituation und Gefühlslagen einzufangen. Das alles entwickelt sich weder als düsteres Sozialdrama noch als (pseudo-)dokumentarisches Wirklichkeitsabbild, vielmehr als temperamentvolle, optimistisch-lebensbejahende Dramödie um Toleranz, Aufrichtigkeit und Offenheit. Gegen Frust und Aggressivität wehrt sich der Film vehement mit dem Appell, man möge ohne Furcht, Vorurteile und Berührungsängste aufeinander zugehen. Wobei er mit gutem Beispiel vorangeht, indem er auch mal eine spontane Umarmung oder ein aufrichtiges Wort zulässt – und sich sogar an etwas heranwagt, um das das Kino gerne einen Bogen macht: um jene als Gutmenschen bekrittelten Menschen, die bereit sind zu helfen und umzudenken, wenn sie einsehen, dass sie etwas falsch gemacht haben. Gewiss gibt es so manches, was man an dem Film, seiner Dramaturgie und Inszenierung kritisch sehen kann. Was aber nicht den Respekt vor ihm schmälert: „Auf Augenhöhe“ bringt ein eigenständiges Temperament ins (Kinder-)Kino, er unterhält und berührt. Ohne Umwege. Auf Augenhöhe. Horst Peter Koll IM KIn0. AUF AUGENHÖHE Deutschland 2016. Produktion: Rat Pack/Westside/Martin Richter Filmprod.. Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf. Buch: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf, Nicole Armbruster. Kamera: Jürgen Jürges. Musik: David Ossa. Schnitt: Maja Stieghorst. Darsteller: Luis Vorbach (Michi), Jordan Prentice (Tom), Ella Frey (Katja), Mira Bartuschek (Astrid), Anica Dobra (Frau Gonsalves). Länge: 97 Min. FSK: ab 6. Start: 15.9.16. Verleih: Farbfilm. Empfohlen ab 9.

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Antboy – Superhelden hoch 3 drei Jahre ist es her, dass Pelle nach dem Biss einer mutierten Ameise Superkräfte entwickelte und Albert Gæmelkrå alias Superschurke „der Floh“ hinter Schloss und Riegel brachte. Die Verbrechensrate in seiner Heimatstadt Middellund hat Pelle als „Antboy“ mittlerweile nahezu auf null gebracht. Eigentlich könnte er nun guten Gewissens mit seiner Freundin Ida den Wechsel auf eine andere Schule planen, zumal mit dem Skateboard fahrenden „Held ohne Namen“ wie aus dem Nichts ein neuer Hüter für Recht und Ordnung in Middellund auftaucht. Doch statt sich über die unerwartete Unterstützung zu freuen, ist Pelle misstrauisch – und zugegebenermaßen ein wenig in seiner SuperheldenEhre gekränkt, da plötzlich nur noch von diesem coolen neuen Helden die Rede ist. Trotz seines gesteigerten Geruchssinns kann Pelle den maskierten Unbekannten nicht aufspüren. Wer sich noch an die beiden ersten „Antboy“-Filme erinnert, riecht auch ohne Superkraft zehn Meilen gegen den Wind, um wen es sich bei diesem namenlosen Unbekannten handelt. Das schmälert ein wenig die Spannung, ist aber nichtsdestotrotz eine Stärke des Films, der ab 10

hier konsequent eine Figurenentwicklung zu Ende erzählt, die seine Vorgänger bereits angelegt hatten. Auch „Der Floh“ kehrt zurück: Begleitet von Protesten der örtlichen Bevölkerung wird Dr. Gæmelkrå in die Freiheit entlassen und sogar wieder bei seinem ehemaligen Arbeitgeber eingestellt, der Firma Exofarm. Unter Leitung der neuen Chefin Alice Dufort (gewohnt großartig gespielt von Paprika Steen) entwickelt Exofarm einen Exoskelett-Anzug, angeblich zu humanitären Zwecken. Doch schon bald erfährt Albert Gæmelkrå, dass Frau Dufort ganz andere Ziele verfolgt – auch mit dem von ihm entwickelten „Herkules-Serum“. Antboy aber schenkt Gæmelkrå keinen Glauben, als dieser beteuert, sich geändert zu haben und in diesem Konflikt auf der Seite „der Guten“ zu stehen. In ihren Grundzügen bleibt der Abschluss der Trilogie dem Ausgangskonzept der „Origin Story“ treu: Geschickt verknüpfte „Antboy – Der Biss der Ameise“ (2013) klassische Motive und Standardsituationen des Superhelden-Genres mit typischen Kinderfilm-Themen wie Außenseitertum und Mobbing, dem Wunsch nach Anerkennung und der Bedeutung von Freundschaft. Zahlreiche Verweise auf den großen Korpus an

Superhelden(filmen) eröffneten für Erwachsene eine weitere Ebene des Sehvergnügens und luden Kinder dazu ein, vermittelt durch die Figur des Comic-Nerds Wilhelm, nach und nach die Konventionen des Genres kennenzulernen. Kleinere Schwächen in der Figurenentwicklung und Handlungslogik machte Ask Hasselbalchs Spielfilmdebüt mit viel Charme und Witz wett – und mit atmosphärisch dichten Bildern, die in der Fortsetzung „Antboy – Die Rache der Red Fury“ (2014) noch einen Tick düsterer ausfielen. Da überrascht es, wie weit das dritte Filmabenteuer des Ameisenjungen ästhetisch hinter seine Vorgänger zurückfällt. Über weite Strecken dominiert ein betont heller, kinderfreundlicher Look, in dem die Bilder häufig überstrahlt wirken, und statt Informationen visuell zu übermitteln, verlässt sich „Antboy – Superhelden hoch 3“ allzu sehr auf seine Dialoge. Auch Montage, Szenografie und selbst die Stunts lassen die Prägnanz des Erstlings vermissen. Wenn schließlich die neue Exofarm-Chefin inkognito die Kräfte des Exoskeletts auf die Probe stellt, ist ihre Kostümierung womöglich als Hommage an „The Invisible Man“ (1933) gedacht, wirkt aber genauso lächerlich wie etwa der Auftritt des fiktiven Superhelden „Commander Combat“. Schade, dass ausgerechnet der Abschluss der Reihe sein junges Publikum inszenatorisch nicht mehr so richtig ernst zu nehmen scheint und damit das Filmvergnügen beträchtlich mindert. Denn damit, nicht nur einen neuen Gegenspieler einzuführen, sondern mit seinen Themen Verknüpfungen zu den Vorgängern herzustellen und seine bereits etablierten Figuren weiterzuentwickeln, macht der dritte „Antboy“-Film eigentlich vieles richtig. Natália Wiedmann

IM KIn0. ANTBOY 3 Dänemark, Deutschland 2016. Produktion: Nimbus Film/ Junafilm. Regie: Ask Hasselbalch. Buch: Anders Ølholm, nach den Romanen von Kenneth Bøgh Andersen. Kamera: Niels Reedtz Johansen. Musik: Peter Peter. Schnitt: Anders Albjerg, Peter Brandt. Darsteller: Oscar Dietz (Pelle Nøhrmann/Antboy), Samuel Ting Graf (Wilhelm), Amalie Kruse Jensen (Ida), Nicolas Bro (Gæmelkrå/Der Floh), Paprika Steen (Alicia Dufort). Länge: 87 Min. FSK: ab 6. Start: 6.10.2016. Verleih: MFA+. Empfohlen ab 10.


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Meine griechischen Ferien Elegant schweift die Kamera immer wieder nach oben, erfasst im Gegenlicht des Sonnenuntergangs die weißen Häuserdächer, die sich hinter der sauberen Strandpromenade und den schmuck bepflanzten Küstenstraßen in Richtung Berge strecken. Kos ist schön, daran will der Film keine Zweifel aufkommen lassen. Ihm vorzuwerfen, dass die werbenden Bilder finanziert wurden, um sich von den herben Tourismus-Rückschlägen als „Flüchtlings-Knotenpunkt“ des letzten Jahres zu erholen, ist angesichts der Fertigstellung 2014 gewagt. Die ersten „Flüchtlingswellen“, wie man die erschöpft an die Strände geschwemmten Menschen ein Jahr später bezeichnen würde, kamen jedoch schon damals an. Flüchtlinge sind denn auch konsequent kein Thema des tourismusfreundlichen Kinderfilms, der sich weniger gen Land und in die Höhe, sondern in die andere Richtung begibt: Träumerisch wandert bereits die Anfangsszene durch ein von Korallen umwuchertes Wrack bis zur verbuddelten Amphore voller Goldmünzen, in einem friedlich vor sich hin glitzernden Meer, in dem es für die kleinen Helden keine Menschen, sondern Schätze zu bergen gilt. Der 14-jährige Toni muss mit seinem Vater, dessen neuer Frau und deren ab 10

zwei Söhnen Veeti und Aleksi den Sommerurlaub auf Kos verbringen. Patchwork in Reinform: Die freundlichen Annäherungsversuche nerven genauso wie die lästigen Unternehmungen, da taucht die hübsche Tauchbegleiterin Adriana vor den Strandliegen auf. Toni, der gerade „Per Anhalter durch die Galaxis“ mit dem aussagekräftigen „Don’t Panic!“ auf dem Cover liest, hat eigentlich panische Angst vor dem Meer, seitdem er miterleben musste, wie seine Mutter in einen zugefrorenen See einbrach und das Leben verlor. Toni hingegen konnte noch rechtzeitig herausgefischt werden. Dennoch stürzt er sich an der Seite von Adriana, der Apnoe-Tauchmeisterin des Ortes, ins erfrischende Nass und somit in eine wenig coole, veritable Panikattacke. Als sich die beiden Teenager kurz darauf trotzdem in weiß-blauer Außengastronomie bei einem Eis annähern, wird Adriana entführt. Toni nimmt die Verfolgung auf und muss entdecken, dass Sicherheitspersonal, Polizei, Archäologen und Räuber auf der Insel unter einer Decke stecken. Veeti und Aleksi belauschen unterdessen, wie der anrüchige Kunsthändler der TV-Nachrichten und der Archäologe, den sie auf einer Bootstour kennengelernt haben, in einer kleinen Kapelle über die Legende des Athanasios reden. Ein in einer Unter-

wasserhöhle versteckter Schatz wartet auf den, der viel Platz in den Lungen und wenig Speck auf den Rippen hat: Adriana. Dass hier in der Tradition von „Fünf Freunde“, altmodisch und jeglicher Aktualität enthoben, während eines Familienurlaubs die Jagd nach einer Bande Kunsträuber eingeläutet wird, ist durchaus legitim. Wie faul sie vom Drehbuch vorangetrieben wird, durch zufällige Begegnungen und das glückliche Aufschnappen konspirativer Gespräche, enttäuscht allerdings. Zudem unterschätzt es die Lust jüngerer Zuschauer an unsicheren Freund-Feind-Linien und ausgefuchster Detektivarbeit, die aus mehr besteht, als nur die Lauscher aufzusperren und sich für rasante Verfolgungsjagden auf Quads und Jet-Skis zu schwingen. Zumal sich das ganz persönliche, höchst tragische Schicksal der Hauptfigur zugunsten der Verbrecherjagd einfach in Luft, oder besser in Wasser auflöst, Kos seine Kulissenhaftigkeit nicht abschütteln kann und die Elternfiguren dabei immerhin schlüssig ihren Status als etwas dämlich agierende Staffage nie verlieren. Da wird eine fast schon karnevaleske Kostümierung angelegt, um das umstellte Hotel zu verlassen. Tonis Vater küsst seine Frau in leidenschaftlicher Rosenkavaliers-Beuge neben den schwerbewaffneten Einsatzkräften. Dabei gelten ihre Kinder nicht nur als vermisst, sondern als entführt und vom Tode bedroht! Kleine Albernheiten sollen wohl den Ernst der Lage abfedern. Da verwundert es auch kaum, dass „Meine griechischen Ferien“ gerade dort am spannendsten wird, wo Stille herrscht und die Luft angehalten werden muss: beim Apnoe-Tauchen in der dunklen Unterwasserhöhle. Kathrin Häger

IM KIn0. LOMASANKARIT Finnland/Griechenland 2014. Produktion: Yellow Film & TV/Inkas Film/Ote tv. Regie: Taavi Vartia. Buch: Taavi Vartia, Karoliina Lindgren, Niklas Lindgren. Kamera: Mika Orasmaa. Musik: Panu Aaltio. Schnitt: Benjamin Mercer. Darsteller: Nuutti Konttinen (Toni), Emil Auno (Veeti), Veikka Vainikka (Aleksi), Ifigeneia Tzola (Adriana), Ville Myllyrinne (Markku Oksala). Länge: 86 Min. FSK: ab 6. Start: 14.7.2016. Verleih: Barnsteiner. Empfohlen ab 10.

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Der Junge und das Biest Für den neunjährigen Ren ist eine Welt zusammengebrochen. Seine Mutter kam bei einem Autounfall ums Leben, vom Vater sind seit der Scheidung allenfalls Fotografien übrig. Und vom reichen Vormund will Ren partout nichts wissen. Lieber flüchtet er in die Anonymität der Straßen Tokios. „Nun gut, dann erzählen wir euch also die Geschichte…“, klingt es ebenso fordernd wie ungeduldig aus dem Off. Wir befinden uns im Prolog eines wahrhaft ungewöhnlichen Abenteuers. Der Geschichte eines rebellischen Jungen und eines ebensolchen Tiermonsters. Ein Märchen also? Ja und nein! Auch wenn alles im heutigen geschäftigen Treiben der höchst irdischen Megametropole spielt, kann man in Japan nie sicher sein, ob sich im Gewirr aus Gassen und Häuserwinkeln nicht doch eine zweite Welt auftut, die mit der unseren nichts gemein hat. In diese stolpert Ren ganz unvermittelt. Eben ist er noch im Halbschlaf vom mürrischen Brummen eines zotteligen Hünen aufgeschreckt, schon irrt er aus den auch nachts noch belebten Straßen des In-Viertels Shibuya in etwas, was ebenso hektisch, aber gänzlich fremd ist. Eine verborgene Stadt innerhalb Tokios: Jutengai, das Königreich der Tiermonster, soll weit über 100.000 Geschöpfe beherbergen, die von weitem den Menschen ab 12

ähneln, aus der Nähe betrachtet jedoch Züge von Hunden, Hirschen, Katzen, Schweinen oder anderen Vierbeinern tragen. Der verwirrte Ren stößt gerade zur Unzeit ins geheime Reich der Fabelwesen, kündigen sich doch politische Veränderungen an. Großmeister Soshi will sich als Gott zur Ruhe setzen und sucht einen Nachfolger für die Führung des Landes. Infrage kommen nur starke und edle Wesen – so wie Ioze, der sich nicht nur als guter Kämpfer, sondern auch als Familienvater auszeichnet. Um als Konkurrent in den Ring zu steigen, müsste der bärige Hüne Kumatetsu zumindest einen Schüler sein eigen nennen sowie ein wenig von seiner kaum liebreizenden Schnodderigkeit und tumben Aggressivität ablegen. Der verschreckte Ren kommt ihm als Schüler ziemlich gelegen, zumal Ren dem polternden Tiermonster zumindest verbal mehr als Paroli bieten kann. Gesucht, gefunden. Und so kann das Abenteuer beginnen. Regisseur Mamoru Hosoda hat sich bereits in seinen Animes „Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“ (2006), „Summer Wars“ (2009) und „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“ (2012) mit dem Wandern zwischen der rationalen und irrationalen Welt beschäftigt; mit seinem klassischen 2D-Trickfilm „Der Junge und das Biest“ bestätigt er sich nun einmal mehr virtuos

als Grenzgänger. Wie im Märchen üblich und im Shintoismus, Japans tragender religiöser Säule, nicht ungewöhnlich, durchdringen sich die Welt des Übersinnlichen und des Hier und Jetzt wie selbstverständlich. Haben sich die eigentlich inkompatiblen Protagonisten erst einmal aneinander gewöhnt, sind unterschiedliche Herkünfte kein Problem mehr. Es kann sich fortan vergnüglich gekabbelt werden. Dabei geht es ebenso herzlich wie rau zu in der väterlich-freundschaftlichen Partnerschaft zwischen Ren, der als Schüler nun Kyuta heißt, und Kumatetsu; eine Partnerschaft, die gut ein Jahrzehnt harter Lehre beinhaltet und an der Lehrer wie Schüler reifen werden. Hosodas Originaldrehbuch mäandert immer wieder zwischen Tokio und Jutengai; denn während Kumatetsu versucht, seinen Schüler beim Erwachsenwerden zu unterstützen und sich selbst für den finalen Kampf gegen Iozen zu qualifizieren, entdeckt Kyuta in Tokio die Liebe zur Gymnasiastin Kaede, die dem ruppigen Kämpfer die menschliche Zivilisation näher bringt. Es ist ein unmögliches Unterfangen, den Anime auf ein Genre oder eine Gattung festzulegen. Furios und respektlos bedient er sich bei westlichen Fabeln, Literaturklassikern wie „Moby Dick“, fernöstlichen Parabeln, Science-Fiction, Fantasy und Martial Arts. „Der Junge und das Biest“ ist an der Oberfläche brachiale Komödie, gleichsam aber auch intensives Seelendrama, wenn es um die Identitätsfindung eines Kindes und später eines Jugendlichen mit einer abenteuerlichen Sozialisationsgeschichte geht – in der am Ende auch dem wahren Vater eine würdige Rolle zugestanden wird. Zudem ist er eines der originellsten BuddyMovies überhaupt: Denn wo sonst finden sich ein zweibeiniger Wolfsbär und ein am Ende 17-jähriger Junge, um gemeinsam die Welt – welche auch immer – zu meistern? Jörg Gerle AuF dvd/BLu-RAy. BAKEMONO NO KO/THE BOY AND THE BEAST Japan 2015. Produktion: Studio Chizu. Regie und Buch: Mamoru Hosoda. Musik: Masakatsu Takagi. Länge: 114 Min. (DVD)/119 Min. (Blu-ray). FSK: ab 12. Veröffentlichung: 29.7.2016. Anbieter: Universum. Empfohlen ab 12.


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Smaragdgrün Zu Beginn fehlt das vertraute ab 12 „Was bisher geschah“, das einem im turbulent mäandernden Kosmos des seriellen Erzählens üblicherweise die Orientierung erleichtert. Stattdessen plumpst man unvorbereitet mitten hinein ins Geschehen, das nahtlos an „Saphirblau“ (2014) anschließt und sich somit vorrangig an Eingeweihte und Fans wendet. Wer also „Rubinrot“ (2012) und „Saphirblau“, die ersten beiden Filme nach der „Edelstein“-Romantrilogie von Kerstin Gier, nicht kennt, der wird sich schwer tun, die Geschichte um Zeitreisen, Weltverschwörung und Teenagerliebe jetzt noch nachzuvollziehen. „Smaragdgrün“ setzt als Intro selbstbewusst auf ein emotionales Moment: das der tief enttäuschten, unerwiderten Liebe, die die junge Gwendolyn Shepherd aus London durchleidet, verletzt durch Gideon, ihren gleichaltrigen Begleiter durch Zeit und Raum. Empfindet Gideon denn gar nichts für sie? Ist er entgegen aller anderen Signale doch nur willfähriger Handlanger jener Geheimloge der Wächter, deren Gründer, der sinistere Graf von Saint Germain, eine neue Weltordnung anstrebt? Es dürften vertraute Empfindungen der jungen (überwiegend weiblichen) Zielgruppe sein, die sich hinter dem unterhaltsamen Trubel um Zeit- und Ortsprünge, Kostümierungen, Intrigen und Gegenintrigen offenbaren: Da geht es um Schwärmereien und Sehnsüchte, ebenso um die Suche nach Stärke und Identität, auch um Verletzbarkeit, Verunsicherung, das Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Solidarität. Auf der äußeren Handlungsebene findet „Smaragdgrün“ zu einer noch rasanteren, aktionsreicheren Gangart, jede Logik wird nahezu endgültig außer Kraft gesetzt, geht es doch vor allem um die

dramatische Zuspitzung des Vertrauten. Dieses gipfelt final gar im Überwinden von Tod und endgültigem Abschied, wenn das geschieht, was gar nicht geschehen darf: die Beeinflussung der Vergangenheit, um die Gegenwart wieder „heil“ zu machen. Dafür lässt Gwendolyn ihre zeitgenössische Schulkluft wie auch die Kostüme früherer Epochen hinter sich und wird zur entschlossen kämpfenden Amazone im Latex-Anzug, ein wenig Black Widow von den „Avengers“, etwas mehr Katniss Everdeen aus „Die Tribute von Panem“, versehen mit einem Tupfer asiatischer Weisheit, der Gwendolyn zu Einsicht und innerer Ruhe führen soll – bis zur Unsterblichkeit und noch viel weiter. Visuell ist das alles mehr als vertraut, ein Gebräu aus gängigen GenrefilmChiffren, verblüffend sorglos zitiert (etwa nach „Harry Potter und der Feuerkelch“, 2005), bar jeder Berührungsangst vor möglichen Kopien und Plagiaten. Ohnehin hätte das Budget kaum ausgereicht, um tatsächlich mit einschlägigen Blockbuster-Vorbildern zu konkurrieren. Da muss die wackelnde (Hand-)Kamera oft eine Bewegtheit vortäuschen, die ansonsten nicht vorhanden ist, kumuliert der Schnitt in frei fabulierter „Logik“, um Action- und Kampfszenen zu beschleunigen, kommt besonders der Musik eine tragende Aufgabe zu, die sie souverän einlöst: Während sie sich immer mehr in epische Dimensionen aufschwingt, kommentiert sie stilsicher und ironisch 1920er-Jahre-Swing wie auch Gegenwartspop – und schafft, quasi nebenbei, sogar eine klanglich überzeugende Gesamtdramaturgie der Trilogie. Womöglich würde das alles noch nicht ausreichen, um die Fangemeinde bei der Stange zu halten, bleibt es doch eine Gratwanderung, zentrale Handlungsfäden der Romane so deutlich zu verändern. Dass dies am Ende gelingt, dürfte der Chemie zwischen den jungen Hauptdarstellern Maria Ehrich und Jan-

nis Niewöhner zu verdanken sein. Vor allem Maria Ehrich gelingt es, der Heldin mit dem Zeitreise-Gen Vitalität und Kraft einzuflößen, wobei sie mit ihrem lakonischen Witz wirkungssvoll den überbordenden Humor der Buchvorlagen einfängt. Und doch zugleich immer eines bleibt: eine junge Heranwachsende. Horst Peter Koll IM KIn0. SMARAGDGRÜN Deutschland 2016. Produktion: Tele München/mem-film/ Lieblingsfilm/Geißendörfer Film- und Fernsehprod. Regie: Felix Fuchssteiner, Katharina Schöde. Buch: Felix Fuchssteiner, Katharina Schöde, Barry Thomson. Kamera: Ralf Schlotter, Florian Emmerich. Musik: Philipp Fabian Kölmel. Schnitt: Nicole Kortlüke. Darsteller: Maria Ehrich (Gwendolyn), Jannis Niewöhner (Gideon), Peter Simonischek (Graf von St. Germain), Josefine Preuß (Lucy Montrose), Kostja Ullmann (James). Länge: 97 Min. FSK: ab 6. Start: 8.9.2016. Verleih: Farbfilm. Empfohlen ab 9.

In Kürze 10+

Der Junge mit den Goldhosen Ein Junge aus armen verhältnissen findet eine unscheinbare Hose und stellt fest, dass aus ihren Taschen ein schier unerschöpflicher Geldschatz sprudelt. Glücklich erkennt er, dass er nun anderen Zukurzgekommenen Gutes tun kann. Bald aber melden auch andere ihren Anspruch auf die „Goldhosen“ an, mit denen nicht gut Kirschen essen ist. Sein Vater wird entführt, und auch die Polizei macht Jagd auf ihn. Auf ebenso spielerische wie nachvollziehbare Weise wird in der abenteuerlichen Verfilmung des gleichnamigen Jugendbuchs von Max Lundgren die Macht des Geldes in ein angenehm immaterielles rechtes Licht gerückt. In Begleitung der Eltern empfehlenswert ab 10. ab 10

Veröffentlichung: 10.6.2016, DVD und Blu-ray, Release Company, FSK: ab 12

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Kritiken 14+

Closet Monster Körnige Aufnahmen zeigen zwei frisch geborene Lebewesen, ein Menschenbaby und ein zitterndes Hamsterjunges. Ein kleiner Junge stößt seinem lachenden Vater im Spiel einen Holzpflock gegen die Brust. Wie Erinnerungen muten diese Anfangsbilder an. „Kann ich noch einen Traum haben?“, bettelt Oscar kurz darauf seinen Vater vorm Schlafengehen an. Und der Vater erzählt: Von einem Friedhof voller Vampire, super gefährlich, und von Frauen, super sexy, die Oscar umgeben sollen. Dabei bläst er einen Luftballon auf, stülpt die kleine Öffnung auf die Stirn seines Sohns und lässt langsam die Luft entweichen. Als flöße er das Traummaterial direkt in Oscars Gehirn. Kurz darauf verlässt die Mutter die kleine Familie, und Oscar, der sich nur seiner sprechenden Hamsterdame Buffy (Stimme: Isabella Rossellini) anvertrauen kann, wird Zeuge einer furchtbaren Gewalttat: Regungslos vor Angst muss er auf einem Friedhof beobachten, wie eine Gruppe Jungen einen Schwächeren zusammentritt, mit einem Eisenrohr vergewaltigt und schwer verletzt. „Weil er homosexuell ist“, entgegnet der Vater abends Oscars Frage nach dem Warum. „Und deine langen Haare müssten auch mal geschnitten werden.“ Wie ein Albtraum muten diese Erlebab 16

nisse einer zunächst so behütet erscheinenden Kindheit an, in einem Haus, das ständig im Schatten zu liegen scheint. An die zehn Jahre später ist es an Oscar, endlich aufzuwachen. Pendelnd zwischen den getrennten Eltern, weiß der junge Mann auch sexuell nicht genau, wohin mit sich. Nur der Traum von einem MaskenbildStudium in New York, für den er seine beste Freundin mit Monster-Hörnchen beklebt und ablichtet, stellt eine Konstante in seinem Leben dar. Da taucht im Baumarkt, in dem Oscar jobbt, der attraktive Wilder auf. Doch so einfach, wie Oscars Gefühle in einer sich als aufgeklärt empfindenden Umwelt sein könnten, sind sie nicht ist: Urplötzliche Bauchkrämpfe, horreske Erinnerungen, eine Art Stange, die seinen Bauch zu durchbohren scheint, suchen Oscar heim, vor allem in Verbindung mit seinem Begehren von Wilder. Oscar ist in sich gefangen, und daran scheint sein Vater nicht ganz unschuldig. Wer in Kanada einen Gay-Stoff mit jungen Figuren im Clinch mit sich und ihren Eltern anpackt, sollte einen Vergleich mit Xavier Dolans Filmen nicht scheuen – und das braucht Stephen Dunn nicht. Kleine Referenzen, etwa Oscars angeekelter Blick auf den essenden Mund des Erzeugers, wie ihn Hubert in „I Killed My Mother“ (2009)

unternahm, weichen einer ganz eigenen, schnörkelloseren und doch kraftvollen Handschrift, in dem sich schön hintergründig die schädlichen Ressentiments eines Vaters entfalten. „Coming out“ stammt von „Coming out of the closet“, das sich bei Oscar darin offenbart, dass er seinen Vater erst einmal in einen Kleiderschrank treten muss, um auf „diese Schwuchtelparty“ gehen zu können. Das Monster im Schrank, das daraufhin so unreif und impulsiv reagieren wird wie die Jugendlichen des Anfangs, ist am Ende ein Erwachsener. Wie selbstverständlich bespielt Dunns Debütfilm dabei Saiten, die sich andere Jugenddramen selten anzuzupfen trauen: Beiläufig machen Zigaretten, aber auch ein Joint oder eine Pille die Runde. Oscar muss sein erstes Mal wenig romantisch auf einer Toilette mit einem Fremden erleben, da sich Wilder als sexueller Hasardeur entpuppt, der auf beiden Seiten operiert. Ein von Wilder in Oscars Mund laufendes Wasserrinnsal erscheint Oscar wie ein Wasserfall in seinem ausgedörrten Begehren. Fantasie mischt sich mit Realität, schöne, aber auch schreckliche Bilder entspringen Oscars Einbildung, ohne dass sie sofort als imaginiert ausgestellt werden. Durchaus blutig, mal humorvoll, dann wieder todtraurig und immer wieder fantastisch bleibt „Closet Monster“ dennoch authentisch – nicht zuletzt durch die Musik von Austra oder Nils Frahm, die Oscar über seine Kopfhörer auf die Ohren gelegt werden. Oscars Gefühle, seine Wut und Traurigkeit, alles wird so klar, zu einem Zeitpunkt, an dem er das eigene Leben in die Hand nehmen muss. Coming out im Coming of Age – oder wie es Buffy am Ende ausdrückt: Es wird Zeit für einen eigenen Traum. Kathrin Häger

IM KIn0. CLOSET MONSTER Kanada 2015. Produktion: Rhombus Media/Best Boy Productions. Regie und Buch: Stephen Dunn. Kamera: Bobby Shore. Musik: Maya Postepski, Todor Kobakov. Schnitt: Bryan Atkinson. Darsteller: Connor Jessup (Oscar), Aaron Abrams (Oscars Vater), Joanna Kelly (Brin), Aliocha Schneider (Wilder), Isabella Rossellini (Stimme von Buffy). Länge: 90 Min. FSK: n.n. Start: 6.10.2016. Verleih: Pro-Fun. Empfohlen ab 16.


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Kritiken 14+

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Schauplatz New York City gewinnt der Film wenig ab. Die Stadt wirkt wie eine leblose, stilisierte Fantasy-Version des Big Apple, missbraucht als Folie, vor der sich Romanzen und Konkurrenzkämpfe abspielen. In New York werden Träume wahr. Aber auch das ist nur ein Klischee. Michael Ranze IM KIn0.

Streetdance: New York vorsicht, Etikettenschwindel! „High Strung“ heißt diese amerikanisch-rumänische Produktion im Original. Mit den englischen Filmen „StreetDance 3D“ (2010) und „StreetDance 2“ (2012) hat sie nichts zu tun. Der deutsche Verleiher aber wollte sich wohl an den Erfolg einer etablierten Marke hängen. Die Faszination junger Zuschauer für Tanzfilme ist nämlich ungebrochen. Thematisch knüpft „High Strung“ an „StreetDance 3D“ an, in dem Charlotte Rampling eine Ballettschule leitete. Auch hier werden die Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Tanzstilen, Klassik und Moderne, griffig behauptet und die Kluft zwischen Uund E-Musik, die es so eigentlich nicht mehr gibt, weiter vertieft. „Schwanensee“ meets Pop, Bildungsdünkel trifft Coolness, weshalb die Konflikte bereits vorprogrammiert sind. Ruby ist soeben nach New York City gekommen, um mit Hilfe eines Stipendiums Balletttänzerin zu werden. Johnnie ist ein britischer Teufelsgeiger, der sein Geld als Straßenmusiker verdient. Bei einem HipHop-Battle lernen sie sich kennen. Johnnie könnte eigentlich mehr, doch er hat keine Greencard und lebt darum immer in Furcht vor Polizei und Ausweisung. Zu dumm, dass er einem betrügerischen Anwalt auf den Leim geht und diesem all sein Geld für eine Aufenthaltsgenehmigung gibt. Überdies wird ihm auch noch seine wertvolle Violine gestohlen. Ruby muss sich derweil, wie weiland Natalie Portman in „Black Swan“ (2008) gegen eine fiese Konkurrentin behaupten und ab 14

wegen schlechter Noten in anderen Fächern um ihr Stipendium fürchten. Die einzige Hoffnung ist ein Wettbewerb, bei dem ein veritables Preisgeld ausgelobt wird. Ruby und Johnnie schließen sich der Tanzgruppe The SwitchSteps an und arbeiten an einer besonders ausgefallenen Nummer. Wär’ doch gelacht, wenn sich HipHop und klassischer Tanz nicht miteinander verbinden ließen. Die Handlung spielt dabei aber nur die zweite Geige. Es geht um Ruhm und Erfolg, um Wettbewerbe, die es zu gewinnen gilt, um Rückschläge, die verkraftet werden müssen, um den amerikanischen Traum, der stets durch Neider gefährdet ist. Nicht von ungefähr werden ganz ähnliche Diskussionen wie in Alan Parkers „Fame“ (1979) geführt. Doch hier sind die Konflikte viel zu aufgesetzt und stereotyp, als dass man sie als lebensecht und wirklichkeitsnah ernst nehmen könnte. So gerät Johnnie in eine Bredouille, aus der er sich, vom Drehbuch nur unzureichend erläutert, nicht helfen lassen will; seine schlechte Laune verhindert überdies die Identifikation des Zuschauers mit ihm, zumal ihn ein Violin-Duell mit einem missgünstigen Konkurrenten als eitlen und unbedachten Macho ausweist. Das A und O sind auch hier die Tanzszenen. Vor allem am Schluss sind sie detailfreudig ausgearbeitet, fantasievoll choreografiert und fesselnd inszeniert. Der Hip-Hop-Battle zu Beginn erinnert sogar an die erstaunlichen Flashmob-Szenen in „Step up: Miami Heat“ (2012), bleibt als einzelne Attraktion aber isoliert. Auch dem

HIGH STRUNG USA/Rumänien 2016. Produktion: Riviera Films/Sforzando Prod./Castel Film Studio. Regie: Michael Damian. Buch: Janeen Damian, Michael Damian. Kamera: Viorel Sergovici. Musik: Nathan Lanier. Schnitt: Michael Damian, Janeen Damian, Peter CabadaHagan, Byron Speight. Darsteller: Keenan Kampa (Ruby), Nicholas Galitzine (Johnnie), Sonoya Mizuno (Jazzy), Jane Seymour (Oksana), Richard Southgate (Kyle). Länge: 97 Min. FSK: ab 0. Start: 14.7.2016. Verleih: SquareOne. Empfohlen ab 14.

Kinostarts von Kinderund Jugendfilmen „Tschick“

Pets

28.7.2016, Universal

Conni & Co

18.8.2016, Warner

Elliot, der Drache Enclave

25.8.2016, Disney

15.9.2016, Barnsteiner

Dragonball Z: Resurrection F Tschick

8.9.2016, AV Visionen

15.9.2016, Studiocanal

LenaLove

22.9.2016, Alpenrepublik

Allein gegen die Zeit Nebel im August

6.10.2016, X Verleih

6.10.2016, Studiocanal

Die Insel der besonderen Kinder

6.10.2016, Fox

Burg Schreckenstein 20.10.2016, Concorde Kubo – Der tapfere Samurai 27.10.2016, Universal Pettersson und Findus – Das schönste Weihnachten überhaupt

3.11., Wild Bunch


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Ein Film, auf den wir uns freuen

Ein film, auf dEn wir uns frEuEn: „diE mittE dEr wElt“

Eins, zwei, drei Als „ein bisschen schwuler als andere“ bezeichnet sich Phil. Und damit ist eigentlich schon alles gesagt. Die Richtung ist klar, nur die Gefühle von Liebe und auch Schmerz wollen erst mal verstanden und verarbeitet werden. Für die Verfilmung des gleichnamigen Jugendromans von Andreas Steinhöfel hat Jakob M. Erwa sich vor allem auf die Geschichte von Phils erster Liebe konzentriert. Ausgerechnet sein neuer Klassenkamerad Nicholas hat es Phil angetan, und ausgerechnet die Schmetterlinge im Bauch gefährden die enge Beziehung und das Vertrauen zu seiner besten Freundin Kat. Die Bilder versprechen tief empfundene Gefühle und sommerliche Euphorie – und können so vielleicht ein wenig Wärme in den Herbst bringen, wenn der Coming-of-Age-Film mit dem stets sehenswerten Louis Hofmann in der Hauptrolle am 10.11.2016 bei Universum Film anläuft.

Fotos: Universum Film

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Thema: „Der besondere Kinderfilm“

Der Stein kommt ins Rollen Im Jahrgang 2013/14 wurden erstmals sechs Projekte im Rahmen des Fördermodells „Der besondere Kinderfilm“ auf den Weg gebracht. Es war der Startschuss für eine wichtige, in der Tat ganz besondere Initiative, die Beachtung, viel Respekt und jede Art der engagierten Unterstützung verdient. Und vor allem: eine konstruktive kritische Begleitung – auf Augenhöhe, damit die „besonderen Filme“ so viel Erfolg

Foto: Ratpack/Westside Film © Wolfgang Ennenbach

wie eben nur möglich feiern können. Jahrelang wurde lamentiert: Es fehlt an qualitativ hochwertiger Unterhaltung für Kinder! Es gibt zu viele einfallslose Kinderbuchverfilmungen und zu wenige originäre Stoffe! Wo sind die Instrumente, um auch unkonventionelle und sogar schwierigere Stoffe jenseits etablierter Marken zu produzieren? Unter der Federführung des Fördervereins Deutscher Kinderfilm, unterstützt durch öffentlich-rechtliche

Fernsehsender, die Filmwirtschaft, Filmpolitik und Filmförderungsanstalten, wurde schließlich das Heft in die Hand genommen: Mit der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ schuf man den notwendigen Rahmen, um solche „anderen“ Kinderfilme nicht nur lautstark einzufordern, sondern sie auch auf den Weg zu bringen. Und zwar dorthin, wo sie hingehören: auf die große Kinoleinwand.

In einem mehrstufigen Verfahren werden seitdem dazu geeignete Stoffe gesucht. Jedes Jahr entscheidet sich eine Jury zunächst für bis zu sechs Treatments, die gemeinsam von Autoren und Produzenten eingereicht wurden und die nun bei der Entwicklung einer ersten Drehbuchfassung unterstützt werden. Eine Auswahl der fertig gestellten Drehbücher erhält in einer zweiten Stufe dann eine Produktions-


Während der Drehbarbeiten zu „Auf Augenhöhe“, das Team mit Hauptdarsteller Luis Vorbach. Rechts: Filmszene „Auf Augenhöhe“ mit Luis Vorbach und Jordan Prentice

Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Thema: „Der besondere Kinderfilm“

förderung und soll schließlich – unter Beteiligung von Fernsehsendern – für eine Kinoauswertung produziert werden. Bemerkenswert zielstrebig wurde im Lauf von drei Jahren eine Vielzahl an Projekten angestoßen. Allein die geförderten Stoffe, die bislang noch nicht in Entwicklung gegangen sind, vermitteln einen Eindruck davon, wie vielfältig Kinderfilmgeschichten sein können. Der Stein ist also ins Rollen gekommen. Freilich wird nach drei fertiggestellten Kinderfilmen nun auch deutlich, dass – und wo – es noch hakt. Deshalb ziehen wir nachfolgend ein Zwischenresümee und werfen einen Blick darauf, wie die bislang produzierten „besonderen Kinderfilme“ die Ausschreibungskriterien inhaltlich und ästhetisch eingelöst haben. Insbesondere stellen wir dabei die Frage, wie diese „Independent-Kinderfilme“ von den Verleihern am Markt platziert, wie sie also zu ihrem Publikum gebracht werden. Lobenswert ist vor allem, dass diese außergewöhnliche und uneingeschränkt wichtige Förderinitiative in den konstruktiv-kreativen Diskurs tritt und ihre Regularien und Kriterien nicht als in Stein gemeißelt versteht. Diese bleiben auch in Zukunft offen für Veränderungen – wie sie ja bereits in der Vergangenheit verändert wurden. Mit einem jedoch wird die Initiative wohl auf Dauer zu kämpfen haben: Ein Label, das das „Besondere“ so offensiv betont, ist zwangsläufig hohen Erwartungshaltungen unterworfen, also gewissermaßen in Zugzwang. Dem interessierten Publikum muss dabei immer wieder deutlich gemacht werden, dass nicht nur die „besonderen Kinderfilme“ allein für ein gehobenes Kinderkino stehen – und es erst recht nicht um ein Ausspielen von „besonderen“ und „nicht-besonderen“ Kinderfilmen geht. •

Arthouse für Kinder Drei „besondere Kinderfilme“ wurden bisher fertiggestellt. Sie erzählen Geschichten aus dem Alltag, nehmen ihr Publikum ernst und trauen ihm etwas zu. Und trotzdem müssen sie sich an Unterhaltungsfilmen messen lassen. Von Kirsten Taylor

Die Initiative im Web: www.der-besondere-kinderfilm.de

Foto: Tobis

Horst Peter Koll und Stefan Stiletto

Manche Kinder wünschen sich eine XBox, das Heimkind Michi möchte dagegen endlich seinen Vater kennenlernen. Als der Zehnjährige in einem Brief seiner verstorbenen Mutter von einem gewissen Tom erfährt, glaubt er, seinen Papa gefunden zu haben, den er sich als strahlenden Helden ausmalt. Doch die erste Begegnung ist ein Schock: Michis vermeintlicher Vater ist genauso groß wie er selbst, was allerdings nicht bedeutet, dass sich die beiden „auf Augenhöhe“ begegnen würden. Einen kleinwüchsigen Vater will der Junge nämlich nicht, obwohl er sich nach Zugehörigkeit sehnt. Und so beginnt ein langsamer, oft schmerzhafter Annäherungsprozess, bei dem sowohl das Kind als auch der Erwachsene viel über sich selbst erfahren. Der Kinderfilm „Auf Augenhöhe“ (2016) mutet seinen jungen Zuschauern einiges zu, nicht nur Themen wie Ausgrenzung und körperliche Anders-

artigkeit, sondern auch ein Wechselbad der Gefühle, bei dem sie auch eigene Positionen hinterfragen müssen. Ganz aus der kindlichen Perspektive erzählt, kann man die Enttäuschung des Jungen nachvollziehen, der altersgemäß in seinem Vater einen Mann sucht, zu dem er in jeder Hinsicht aufblicken kann. Zugleich wird das Publikum auch mit der Situation von Menschen konfrontiert, die mit körperlichen Behinderungen leben.

KEInE Angst Vor scHWErEn tHEMEn

Die Initiative „Der besondere Kinderfilm“, in deren Rahmen „Auf Augenhöhe“ entstand, will anspruchsvolle und originäre Kinderfilme fördern und damit die Vielfalt des Kinderfilmprogramms, das bislang von Buch- und Hörspieladaptionen wie „Bibi & Tina“ oder „Die wilden Kerle“ dominiert wird, mit Arthouse-Filmen für Acht- bis Zwölfjährige erweitern. Wichtig ist den

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Kinder mit Träumen, Sehnsüchten und Konflikten: „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ und „Winnetous Sohn“

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Thema: „Der besondere Kinderfilm“

Initiatoren dabei, dass sich die Filme mit der gesellschaftlichen Gegenwart auseinandersetzen. Junge Zuschauer sollen ihre Lebenssituation und -themen wiedererkennen und sich mit dem Gezeigten identifizieren können. Dabei sind schwierige Themen kein Tabu, sofern sie „originell, heiter und letztendlich positiv“ aufgefangen werden. Im Mittelpunkt stehen stets der kindliche Protagonist und seine Perspektive. Humor, positive Erkenntnisse und Entwicklungen der Kindercharaktere und „ein befreiendes, lebensbejahendes Ende“, das mit einem Mehrwert entlässt, sind weitere Kriterien. „Auf Augenhöhe“ ist die dritte Produktion, die mit Hilfe von „Der besondere Kinderfilm“ gedreht wurde. 2015 kam „Winnetous Sohn“ von André Erkau ins Kino, in diesem Jahr folgte Norbert Lechners „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“. Die Geschichten dieser drei Filme sind denkbar verschieden. In „Winnetous Sohn“ geht es um den zehnjährigen pummeligen Max, der ein Faible für Indianer hat und davon überzeugt ist, dass er die Beziehung seiner Eltern retten kann, wenn er das Casting für die Rolle von Winnetous Sohn bei den örtlichen Karl-May-Spielen gewinnt. Verfolgt André Erkau eher die private Selbstbehauptungsgeschichte eines Kindes, eröffnet „Ente gut!“ – ähnlich wie „Auf Augenhöhe“ zum Thema „Inklusion“ – eine gesellschaftliche Ebene, indem er sich mit dem Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft Deutschlands beschäftigt. Die elfjährige Linh und ihre jüngere Schwester Tien sind auf sich allein gestellt, als ihre Mutter zur Pflege der kranken Großmutter nach Vietnam reisen muss. Was für

das Nachbarsmädchen Pauline eine traumhafte Vorstellung ist: „Ihr könnt machen, was ihr wollt!“ Linh aber ist überfordert, weil sie alles auf einmal sein muss: Schülerin, Schwester, Ersatzmutter und Chefin des Asia-Imbisses der Mutter. Der Druck ist umso größer, weil niemand von der Abwesenheit der Mutter erfahren darf, droht ihr in diesem Fall doch die Abschiebung.

gEWöHnlIcHE KInDEr, VErtrAUtE ProBlEME

Alle drei Geschichten sind in authentisch wirkenden Lebenswelten angesiedelt. Erzählt wird aus der Perspektive gewöhnlicher Kinder: Sie leben in Reihenhäusern oder Plattenbausiedlungen, gehen zur Schule, suchen und finden Freunde, haben Träume, Sehnsüchte und Konflikte, die vielen jungen Zuschauern vertraut sein dürften. Linh möchte ein Gymnasium besuchen, doch ihre Mutter braucht sie als Unterstützung im Laden. Pauline merkt, dass man eine Freundschaft nicht erpressen kann, und entdeckt durch Linh eine bislang unbekannte Kultur und Lebenswelt. Wenn sich Max verloren fühlt, tröstet er sich mit Chips und Schokolade. Und Michi sucht als Halbwaise nach Anerkennung und macht anderen ständig etwas vor. Die Welt dieser Kinder ist keine heile Welt, aber auch keine heillos zerrüttete. Sie haben ernste Probleme, aber zerbrechen nicht daran. Sie erleben Momente großer Einsamkeit, spüren aber auch immer wieder, dass sie nicht allein sind. Und sie erweisen sich als kompetente Fürsprecher ihrer eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Sie versuchen aktiv, ihr eigenes Leben in die

Hand zu nehmen und werden dafür am Ende belohnt. Manchmal fehlt ihnen die Erfahrung, um die Wirksamkeit oder Konsequenzen ihrer Handlungen richtig einschätzen zu können. So muss Max lernen, dass sein persönlicher Erfolg nicht die Eltern zusammenbringen kann. Und Linh und Pauline können das Lügengerüst, das die Familie schützen soll, irgendwann nicht mehr aufrechterhalten. Doch wenn es darauf ankommt, sind Erwachsene zur Stelle, auch wenn sie sich zuvor nicht immer als verlässliche Ansprechpartner erwiesen haben, weil sie mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt sind und die Bedürfnisse ihrer Kinder aus den Augen verlieren. Wie in vielen Kinderfilmen, auch denen „von der Stange“, geht es also um Freundschaft und Familie, Identitätssuche, Außenseiter und Anerkennung, werden die Belange von Menschen mit Behinderungen oder aus anderen Kulturen in den Mittelpunkt gestellt. Was also macht diese drei Kinderfilme nun „besonders“? Vor allem wohl die Tatsache, dass sie auf Originalstoffen basieren und im Hier und Jetzt angesiedelt sind – und das bekommt man in dieser Kombination nur selten im Kino zu sehen. Zwar spielen die Geschichten um „Rico & Oskar“ (2014-16) oder „Rettet Raffi!“ (2015) ebenfalls in der Gegenwart, aber dies sind Literaturverfilmungen – teilweise sehr gelungene, an denen sich die „besonderen Kinderfilme“ durchaus messen lassen müssen. „Winnetous Sohn“, „Ente gut!“ und „Auf Augenhöhe“ sind solide gemachte und ambitionierte Kinderfilme, die lobenswerter Weise (fast) ohne Pferde, junge Detektive und süße


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Thema: „Der besondere Kinderfilm“

Boys auskommen. Natürlich kann man manchen arg naseweisen Dialog daneben finden, Unschlüssigkeiten in der Geschichten monieren, die konventionelle Dramaturgie und filmische Umsetzung beklagen und sich – sehr zu Recht – in „Winnetous Sohn“ darüber ärgern, dass die Erwachsenen überwiegend als Karikaturen, nicht aber als vielschichtige Charaktere gezeichnet sind und damit nicht als glaubwürdige Gegenparts der Kinder taugen. Doch was schwerer wiegt: Sie machen einfach weniger Spaß als beispielsweise „Rico, Oskar und die Tieferschatten“. Verführt der Anspruch, die Gegenwart abzubilden und Botschaften zu vermitteln dazu, sich nur gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen zuzuwenden?

„Es geht um Relevanz“ Gespräch mit Margret Albers, Sprecherin des Vorstands des Förderverein Deutscher Kinderfilm

Ohne Frage ist es schön, wenn Kinderfilme nicht nur unterhaltsam, sondern im besten Sinne auch bildend sind – ästhetisch wie auch in Bezug auf die individuelle Entwicklung oder das soziale Umfeld. Doch die gute pädagogische Absicht ist vor allem „Auf Augenhöhe“ deutlich anzumerken, der durch eine unvorhergesehenen Wendung seine Grundidee – ein Junge mit einem kleinwüchsigen Vater – untergräbt. Auch die mitunter drastisch ausgetragenen Konflikte zwischen Michi und anderen Heimkindern lösen sich am Ende im Nu in Wohlgefallen auf, weil Michi gelernt hat, dass es im Leben auf innere Werte ankommt. So einfach ist das. Und so pädagogisch. Begrüßenswert ist die Initiative dennoch. Denn je mehr originäre Filmstoffe für Kinder jenseits etablierter „Marken“ und kommerzieller Unterhaltungsware im Kino zu sehen sind, desto besser. Kinder verdienen es, dass man sie mit anspruchsvollen Geschichten herausfordert und ihnen Filme präsentiert, die sie emotional wie auch kognitiv und ästhetisch ansprechen. Ein erster Anfang ist gemacht, und die Erfahrungen wachsen mit jedem neuen Film. Man darf gespannt sein, was die Reihe „Der besondere Kinderfilm“ ihrem Publikum in Zukunft noch alles bieten wird. •

Fotos: Weltkino/Förderverein Deuitscher Kinderfilm

IM HIEr UnD JEtZt, ABEr MIt WEnIgEr sPAss

Ein Kriterium in der Ausgroße Häufung. Wir überschreibung zum „Besonlegen, wie die Ausschreideren Kinderfilm“ ist bung für den nächsten die Beschränkung der Durchgang überarbeitet Zielgruppe auf Acht- bis werden kann. Dieses SegZwölfjährige. ment wurde so lange verAlbers: Das hat auch etwas nachlässigt, dass man sich mit dem Sendeplatz beim dem Thema Kindheit und Margret Albers (r) und Karola Kinderkanal zu tun. Die der Frage, was für Kinder Wille, Intendantin des MDR erste Free-TV-Auswertung relevant ist, erst wieder findet in der „Lollywood“-Reihe am Frei- annähern und da ein bisschen ausprotagabend statt. Zudem sind die Achtbieren muss, damit nach den Geschichbis Zwölfjährigen im Filmbereich die ten über schwerkranke Mütter oder verKernzielgruppe. Filme für Kinder unter loren gegangene Väter auch andere acht Jahren sind ein schmales Segment, Themen kommen. Bei den Stoffen, die das sich auch im Kino sehr schwer tut. jetzt in der Entwicklung sind, spielt das Gleichwohl könnte man überlegen, Thema „Familie“ eine wichtige Rolle. Es inwieweit es in Zukunft eine Ausschreigeht häufig dramatisch zu, gleichwohl bung für Jüngere geben könnte. ist das Thema für die jungen Protagonisten und auch die Zielgruppe sehr Ein weiteres Kriterium ist, dass die relevant. Und darum geht es ja: dass geschichten „im Hier und Jetzt“ spie- man Geschichten erzählt, an die junge len. Historische stoffe werden expliZuschauer andocken können, die sie zu zit ausgeschlossen. Warum? ihrer eigenen Lebenswelt in Beziehung Albers: Bislang gab es nur wenige setzen und die ihnen vielleicht in Gegenwartsgeschichten, und es hat schwierigen Situationen, in denen sie sehr lange gedauert, bis ein Film wie gerade sind, auch behilflich sein können. „Kopfüber“ von Bernd Sahling produziert werden konnte, weil er extrem In Entwicklung sind nun auch unterbudgetiert war. Es ging um die Projekte, in denen es um Frage, welche Themen Kinder heutzufantastische geschichten geht. tage umtreiben, was mit ihrem Alltag Albers: In der aktuellen Ausschreibung zu tun hat und was für Kinder heute wurde ergänzt, dass Filme verschierelevant ist – auch vor dem Hinterdene Genres bedienen können. Es grund, dass Kindheit eine Altersphase muss also nicht nur in Richtung Sozialist, die meist verklärt wird, weil jeder drama gehen. Wir haben mit „Break Kind war und in der Regel gute Erinthe Ballet“ jetzt auch einen Tanzfilm nerungen an seine Kindheit hat. dabei, die Superheldengeschichte „Die Unsichtbaren“ und in „Die Geister aus Hat sich diese Engführung bewährt? dem dritten Stock“ wird das Thema Albers: Es ist schon interessant, was „Tod“ über Geister behandelt. Das Autoren und Produzenten einfällt, wenn Großartige ist ja, dass man Themen man nach dem „Hier und Jetzt“ fragt – aus dem Hier und Jetzt über verschieund dann auch noch nach ernsten Thedene Genres erzählen und diesen men. Häufig ist das sehr, sehr dramamanchmal so auch etwas von ihrer tisch. Die Anzahl an Todesfällen, schweSchwere nehmen kann. Das Gespräch führte Stefan Stiletto. ren Krankheiten und Ähnlichem hat eine

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Thema: „Der besondere Kinderfilm“

Der schwierige Weg zum Publikum „Der besondere Kinderfilm“ hat sich recht schnell zu einer Marke entwickelt. Trotz weitgehend positiver Resonanz haben es die bislang produzierten Filme aber immer noch schwer, ihr Publikum zu finden. Ein Blick auf die Sicht der Verleiher und die Auswertungsmöglichkeiten der Filme. Es ist ein beachtlicher output: seit dem start der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ im März 2013 sind mit „Winnetous sohn“ und „Ente gut! – Mädchen allein zu Haus“ bereits zwei Filme aus der reihe in den deutschen Kinos angelaufen, der dritte, „Auf Augenhöhe“, startet im Herbst. Die Projekte „Die Geister aus dem dritten Stock“ von Fatih Akin und „Die Unsichtbaren“ von Markus Dietrich werden zum Dreh vorbereitet. 2017 beginnen die Dreharbeiten zu „Unheimlich perfekte Freunde“ von Marcus H. Rosenmüller, einer Produktion der Firma Viafilm mit MDF, KiKA, BR und WDR mit einem Budget von drei Millionen Euro. Im vierten Jahrgang fördert die Initiative die Drehbuchentwicklung von vier Projekten mit je 25.000 Euro. „Wir wollen spannende, lebensbejahende und auch mit künstlerischen Ambitionen ausgestattete Filme machen, die das heutige Lebensgefühl von Kindern beschreiben“, betont Cornelius Conrad von der BR-Redaktion Kinderspielfilm.

Foto: Weltkino

„Der besondere Kinderfilm“ durchbricht die KinderkinoMonokultur aus deutschen Bestselleradaptionen und Us-Mainstream-Produktionen. Somit hat „Der besondere Kinderfilm“ ein zentrales Ziel erreicht: Er durchbricht die Kinderkino-Monokultur aus deutschen Bestseller-Adaptionen und US-amerikanischen Mainstream-Produktionen. Die Marke hat sich etabliert, auch dank namhafter Regisseure, und sorgt für regelmäßigen

Von Reinhard Kleber

Die Schwestern Linh und Tien in „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“


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Thema: „Der besondere Kinderfilm“

Programmnachschub und wachsende Aufmerksamkeit in der Branche. Der Publikumszuspruch hält sich jedoch bisher in engen Grenzen. „Winnetous Sohn“ (2015) von Regisseur André Erkau, eine Produktion der Kinderfilm GmbH mit ZDF/KiKA, gewann den „Emil“ der Zeitschrift „TV Spielfilm“ und startete am 9. April 2015 im Verleih von Weltkino. „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ (2016) von Norbert Lechner, eine Produktion der Kevin Lee Filmgesellschaft mit MDR, BR und KiKA, erhielt auf dem Kinderfilmfestival FIFEM in Montreal den Publikumspreis und lief am 26. Mai 2016 im selben Verleih aus Leipzig an. Beide Filme kosteten je etwa 2,4 Mio. Euro. Für den ersten Film wurden bisher 40.300 Tickets gelöst, für den zweiten 10.900. Allerdings ist „Winnetous Sohn“ noch immer in Schulvorstellungen zu sehen. Und für Lechners Film erwartet Verleihgeschäftsführer Dietmar Güntsche, dass „der Film ebenfalls über mindestens ein Jahr in den Kinos laufen wird, sodass die Gesamtzahlen noch erheblich steigen werden“. Wie kommt es, dass gerade Weltkino den Verleih der ersten beiden „besonderen Kinderfilme“ übernommen hat? „Wir fanden den Ansatz der Initiative wichtig und unterstützenswert“, so Güntsche. „Es gibt in Deutschland einen Mangel an gehaltvollen guten Kinderfilmen. Für uns als Verleih boten die Filme außerdem die Möglichkeit, das Segment Kinderfilm zu verstärken, das uns sehr am Herzen liegt. Aus diesen Gründen haben wir uns direkt zu Beginn als Verleih angeboten.“ Auch für Güntsche sind die Einspielergebnisse, gemessen am Marketingund Promotion-Aufwand, „enttäuschend“. „Zwar war uns bewusst, dass es die beiden mit äußerst geringem Produktionsbudget entstandenen Filme angesichts der Konkurrenz etablierter US-Marken nicht leicht haben würden, wir haben jedoch gehofft, durch intensives Marketing deutlich mehr Interesse generieren zu können.“ Beide Filme waren im Markt sehr präsent. „Für ‚Winnetous Sohn‘ gab es unter anderem Merchandise-Artikel,

Plakatierungen, Kooperationen mit hochkarätigen Industriepartnern, Werbung in sämtlichen Medienformaten bis hin zu TV-Spots, eine umfangreiche Pressekampagne und vieles mehr.“ Bei „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ habe man ähnliche Maßnahmen ergriffen. Nach den Erfahrungen mit „Winnetous Sohn“ habe sich der Fokus der Kampagne hier aber vermehrt auf den Bildungssektor, sprich Schulaufführungen, verschoben.

„Die Filme der Initiative sollen nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich gegenseitig helfen und mitziehen.“ Dietmar Güntsche Beim Marketing für beide Filme hat das Label „Der besondere Kinderfilm“ laut Güntsche eine größere Rolle gespielt. „Wir haben beide Filme intensiv als die ‚Gewinnerfilme‘ der Initiative kommuniziert und darüber hinaus die Initiative vorgestellt und ihr Anliegen erklärt, ans Publikum und an die Branche und das bis hin zur Home Entertainment-Auswertung. Außerdem arbeiten wir eng mit Tobis Film zusammen, der ‚Auf Augenhöhe‘, den dritten Film der Initiative, vermarktet. Die Filme sollen nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich gegenseitig helfen und mitziehen.“ Der Verleih hat nach eigenen Angaben das Label in seinen Werbematerialien deutlich hervorgehoben. „Das gilt für jegliche Außenkommunikation, angefangen beim Plakat über Presseheft, Flyer, Website, Pressemeldungen bis hin zu Facebook.“ Zum Kinostart von „Winnetous Sohn“ habe es allerdings noch kein Logo gegeben, dieses sei erst beim zweiten Film zum Einsatz gekommen, so Güntsche. „Daher hatten wir anfangs einen eigenen auffälligen ‚Störer‘ entwickelt.“

Eine herausfordernde Kombination: Pädagogischer Anspruch und hoher Unterhaltungswert Neben den genannten Instrumenten lässt sich nach Ansicht des Verleihchefs die größte Aufmerksamkeit mit

vielen begeisterten Kinozuschauern und deren Weiterempfehlungen erzielen. „Wir glauben nach wie vor, dass sich auch problembehafteter Kontext beziehungsweise pädagogisch wertvolle Inhalte mit hohem Unterhaltungswert und somit größerem Vermarktungspotenzial umsetzen lassen. Für diese herausfordernde Kombination wären allerdings deutlich höhere Budgets für die Stoffentwicklung und für die Produktionen wünschenswert. Bei der Entwicklung und Auswahl zukünftiger Filme sollte noch mehr Fokus auf die Lebenswelten, Wünsche und Sehgewohnheiten der Kinder gelegt werden.“ Für beide Filme wurde Weltkino Verleihförderung zugesprochen. „Bei ‚Winnetous Sohn‘ erhielten wir 100.000 Euro von der MDM, 40.000 Euro vom FFF Bayern, 150.000 Euro von der FFA und 40.000 Euro von der FFHSH. Bei ‚Ente gut!‘ hat uns die MDM mit 50.000 Euro, die FFA mit 75.000 Euro und der FFF Bayern mit 40.000 Euro bedacht.“ An mangelnder medialer Aufmerksamkeit lag es nicht, wenn die Einspielergebnisse bescheiden bis dürftig ausgefallen sind. „Beide Filme waren sehr präsent in der Presse. Die Kritiken waren gemischt, überwogen haben die positiven, wenn auch mit Einschränkungen“, konstatiert Güntsche. Die Filmjournalisten hätten das Etikett „Der besondere Kinderfilm“ wahrgenommen und weiter kommuniziert. „Bei ‚Winnetous Sohn‘ als erstem Film ist die Initiative zum Teil sogar ausführlich vorgestellt worden, in den meisten Fällen wurde ihr Anliegen gelobt.“ Insgesamt glaubt Güntsche gleichwohl, dass das Label beim Kinoabspiel hilft, „wenn es sich als Qualitätssiegel etabliert, so weit sind wir aber noch nicht“. „Winnetous Sohn“ ist seit Oktober 2015 auch als DVD und Blu-ray erhältlich. „Die Auswertung ist analog zum Kinoergebnis angelaufen, wir sind also nicht zufrieden“, resümiert Güntsche. Der zweite Film ist noch nicht im Home Entertainment angekommen. Als dritter Film der Reihe wird am 15. September 2016 „Auf Augenhöhe“ in den Kinos anlaufen. Die Produktions-

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Thema: „Der besondere Kinderfilm“

firmen Rat Pack, Westside und Martin Richter Filmproduktion haben die Sender ZDF und KiKA an Bord. Der Film von Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf über die Freundschaft zwischen einem kleinwüchsigen Mann und einem elternlosen Jungen gewann gerade den Publikumspreis des Kinderfilmfests München. Der Tobis-Filmverleih kennt das Projekt schon aus der Drehbuchphase, wie Markus Vortmeyer, Leitung Marketing/Presse erläutert. „Spannend fanden wir vor allem, dass der Stoff auf einem originären Drehbuch basiert und die Grundprämisse der Geschichte sehr originell ist. Dabei ist ‚Auf Augenhöhe‘ nicht nur unterhaltsam erzählt und emotional mitreißend, sondern vermittelt auch wichtige Botschaften: Er fordert Toleranz, Offenheit und Empathie für Menschen, die anders sind.“ Auch das Thema „Mobbing“, das die Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen gerade im Zeitalter von Social Media immer mehr bestimme, werde behandelt. „Dass der kleinwüchsige Jordan Prentice ein großer Schauspieler ist, wissen wir spätestens seit unserem Film ‚Brügge sehen und sterben‘. Und der junge Hauptdarsteller Luis Vorbach ist eine echte Entdeckung“, unterstreicht Vortmeyer.

„Das label ist ein türöffner für Festivals.“ Markus Vortmeyer Der Verleih wird das Label „Der besondere Kinderfilm“ beim Kinoeinsatz auch werblich nutzen. „Nicht nur wir verstehen es als Prädikat und Qualitätssiegel. Es ist ein Türöffner für Festivals, prädestiniert für Schulvorstellungen und ist auch ein gutes Argument für die Entscheidung des Publikums vor Ort in den Kinos“, betont Vortmeyer. Dementsprechend will Tobis das Label auch auf allen werblichen Materialien wie Plakat, Flyer, Anzeigen und Trailern abbilden. Doch nützt das Etikett auch, um Aufmerksamkeit zu generieren? „Für Kinder ist das Label wahrscheinlich kein entscheidendes Kriterium“, so Vortmeyer, „da hilft die überaus positive

Fertiggestellt

Beurteilung der Jugend-Film-Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) sicher mehr, denn der Film hat die Höchstwertung 5 von 5 Sternen erhalten, was nicht besonders häufig vorkommt. Für Eltern und Lehrer dürfte das Label aber sicherlich ein nützlicher Hinweis auf die pädagogischen Inhalte und Aussagen des Films sein und somit die Entscheidung für einen Kinobesuch begünstigen.“ Tobis hat für Kinoeinsatz Verleihförderung beim FFF Bayern, der Filmstiftung NRW und der FFA beantragt. Die Entscheidungen über die Fördersummen stehen aber noch aus. Voraussichtlich Anfang 2017 soll der Film dann auch auf DVD, Blu-ray und Video on Demand erscheinen.

„WInnEtoUs soHn“

Kinostart: 9.4.2015. Verleih & Anbieter DVD/Blu-ray: Weltkino.

„EntE gUt! MäDcHEn AllEIn ZU HAUs“ 2016 Regie: Norbert Lechner. Drehbuch: Katrin Milhahn, Antonia Rothe-Liermann. Produzent: Norbert Lechner. Produktion: Kevin Lee Film/KiKA/MDR/BR. Kinostart: 26.5.2016. Verleih: Weltkino.

„AUF AUgEnHöHE“

2016

Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf. Drehbuch: Nicole Armbruster, Evi Goldbrunner. Produzenten: Martin Richter, Christian Becker. Produktion: Rat Pack/Martin Richter Filmprod/ Westside/ZDF/KiKA.

Vielversprechende Ansätze, reichlich Defizite Das Konzept ist stichhaltig, aber ausbaubedürftig. Die „besonderen Kinderfilme“ brauchen höhere Budgets, um bei den Schauwerten mitzuhalten, mehr Verleihförderung, um sich gegen die starke Konkurrenz zu behaupten. Zudem muss die Marke intensiver beworben werden, um sie als Qualitätssiegel bekannter zu machen. Inhaltlich fehlt es noch an Mut zu spannenderen Themen und innovativen Ansätzen. Hier hat die Runde der Trägerinstitutionen schon nachgebessert, als sie 2015 auch Animationsprojekte zuließ. Und soeben hat sie die Einführung einer zusätzlichen Förderstufe angekündigt, um den Produzenten mehr Zeit zur Entwicklung der Stoffe zu geben. Offenkundig wäre es in der Vergangenheit besser gewesen, Projekte zu einer höheren Stufe der Drehreife zu bringen. Bei den Auswahlkriterien ist jedoch eine weitere Nachjustierung überfällig: Bisher sind nur Gegenwartsstoffe förderfähig. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum Kinder keine ambitionierten Historienfilme sehen sollen. Wo bleiben etwa die besonderen Kinderfilme über die Zeit des so genannten Dritten Reichs oder die DDR? Zum Sendeauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten gehören sie jedenfalls. •

2015

Regie: André Erkau. Drehbuch: Anja Kömmerling, Thomas Brinx. Produzentin: Ingelore König. Produktion: Kinderfilm/ZDF/KiKA.

Kinostart: 15.9.2016. Verleih: Tobis

In DEr EntWIcKlUng Auf die realistischen Familiengeschichten der ersten drei „besonderen Kinderfilme“ folgen Filme über Geister, Unsichtbare und Doppelgänger. Unter der Regie von Fatih Akin und nach einem Drehbuch von Ruth Toma beginnen 2017 die Dreharbeiten zu „Die Geister aus dem 3. Stock“, in dem ein Junge mit einer Geisterfamilie und damit auch mit dem Tod konfrontiert wird. Ebenfalls 2017 verfilmt Markus Dietrich („Sputnik“) nach seinem eigenen Buch „Die Unsichtbaren“, einen fantastischen Thriller mit Superhelden-Anleihen über ein Mädchen, das sich nach dem Kontakt mit einer eigenartigen Flüssigkeit unsichtbar machen kann und mit seinen Freunden den dunklen Machenschaften eines Energiekonzerns auf die Spur kommt. Um übersteigerte Erwartungshaltungen der Eltern und erschreckend perfekte Kopien ihrer selbst geht es in „Unheimlich perfekte Freunde“ nach einem Drehbuch von Simone Höft und Nora Lämmermann. Marcus H. Rosenmüller verfilmt den Stoff über zwei Jungen, die ihre zum Leben erwachten Doppelgänger nach einem Besuch im Spiegelkabinett nicht mehr loswerden.

Foto: VIAfilm

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Mit der Förderung dieser drei Projekte in der zweiten Stufe beweist die Initiative, dass es ihr um eine möglichst große Vielfalt im Kinderfilmbereich geht. Und vielleicht bieten genau die Genreversatzstücke und fantastischen Stoffe der neuen Projekte jenen erzählerischen und ästhetischen Freiraum, der im deutschen Kinderfilm bislang vernachlässigt wurde.


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Reihe: Der persönliche Klassiker

„Wohin soll denn die Reise gehn …“ Konrad Petzold erzählt in „Die Fahrt nach Bamsdorf“ von einer Zugfahrt,

Fotos: DEFA-Stiftung/Icestorm

die zum Ferienabenteuer gerät. Ein DEFA-Road Movie mit Kindern. Ich müsste lügen, wenn ich, befragt nach meinem Lieblingskinderfilm der DEFA, auf „Das kalte Herz“ (1950) oder „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (1953) verweisen würde. Auch andere Märchenfilme sorgten bei mir in meinen Lederhosentagen nicht sonderlich für Aufregung. Ich hielt es da lieber mit einem kleinen Road Movie, das mich sehr viel mehr bewegte als irgendwelche Fantasiegeschichten: Konrad Petzolds „Die Fahrt nach Bamsdorf“ (1956). Noch heute stockt mir beim Anschauen der Atem, wenn während der Fahrt zur Großmutter der „größere“ Toni seine kleine Schwester Rita auf dem Bahnhof von Borgersdorf, eine Station vor Bamsdorf, auf dem Perron des letzten Waggons zurücklässt, um nach einigen selbst verursachten Pannen nach dem Rechten zu sehen – und plötzlich der Zug losdampft. Dabei hatte der zehnjährige Naseweis seiner Mutter keine zwei Stunden zuvor mit „Ehrenwort“ versprochen, nie mehr schusselig zu sein. Mich zog die spannende und zeitweise aussichtslos scheinende Suche des beherzten Jungen nach seiner Schwester enorm in ihren Bann. Irgendwie konnte ich mich mit dem nahezu Gleichaltrigen identifizieren – auch ich galt als schusselig, auch ich fuhr nicht nur einmal im Zug allein zur Oma (etwa 30 Kilometer von Halle nach Weißenfels). Wenn auch ohne Schwester, so verfolgte mich nicht minder das Trauma, allein auf einem Bahnsteig zurückgelassen zu werden und einsam in der Gegend umherzuirren.

Dass der Regisseur ein Namensvetter von mir war, interessierte mich herzlich wenig (er war ohnehin nicht mit mir verwandt). Der 26-jährige Konrad Petzold realisierte dieses keine Dreiviertelstunde lange Werk bei der DEFA nach seinem Regiestudium an der Prager Filmhochschule FAMU. Es geriet zu einem beachtlichen Erfolg, sodass das Studio ein Jahr darauf – man musste sich beeilen, denn die beiden kleinen Darsteller wurden nicht jünger – mit einer Fortsetzung aufwartete und sogar Farbe spendierte. „Abenteuer in Bamsdorf“ hieß der Anschlusstitel, in dem nun auch die Großmutter ihren Auftritt hatte, die im ersten Teil quasi nur „virtuell“ präsent war, und die Kinder in ein gefährliches Höhlenabenteuer gerieten. Merkwürdigerweise habe ich diesen zweiten Film zu DDR-Zeiten nie gesehen. Wesentlich zum Erfolg des ersten Teils beigetragen haben dürfte das dominierende Lied „Wohin soll denn die Reise gehn …“, bei dem ich selbst heute noch sentimental werde. Friedel-Heinz Heddenhausen hatte für diesen Ohrwurm nach einem schönen, sich nach Ferne sehnenden Text von Erika Engel kongenial die Töne gesetzt. Heddenhausen war eigentlich ein „West-Komponist“, der seinerzeit ziemlich viel für die DEFA (auch für das Dresdner Trickfilmstudio) arbeitete. In den Endfünfzigern – noch vor dem Bau der Berliner Mauer – wurde dieser in Westberlin lebenden Mitarbeiter-Spezies der DEFA unter dem Zwang, sich im Osten sesshaft zu machen, lang-

Von Volker Petzold

sam die Arbeitsbasis entzogen. Für Heddenhausen jedenfalls war die Filmmusik zu „Abenteuer in Bamsdorf“ der letzte größere DEFA-Auftrag. Die Handlung beider Teile blieb mit ihren fiktiven Ortsnamen in ihrer Verortung abstrakt, oder wie man damals eher abwertend zu sagen pflegte: „unverbindlich“. Der Zuschauer musste die blauen Wimpel der Pionierorganisation ebenso vermissen wie die Floskeln von der „schönen Heimat“ oder dem „Vaterland DDR“. Die Filme waren seinerzeit offenbar deshalb auch offiziell nicht wohl gelitten und wurden kritisiert. Völlig normal hingegen schien es zu sein, dass sich zwei Stöpsel im wahren Sinne „mutterseelenallein“ auf eine Eisenbahnfahrt begeben. Die alleinerziehende, voll im Beruf stehende Mutter – einen Vater gibt es nicht – bringt sie nicht einmal zum Bahnhof: Sie müssen die Fahrkarten selbst kaufen und den Zug finden. Und keiner der Erwachsenen im Film thematisiert das AlleinReisen der beiden, der FahrkartenKnipser am Bahnhof ebenso wenig wie der Kontrolleur oder die ältere Dame im Zug. • Die Fahrt nach Bamsdorf DDR 1956. Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme, Produktionsgruppe für Kinderund Jugendfilme. Regie: Konrad Petzold. Buch: Gerhard Baumert, Konrad Petzold nach einer Idee von Heinz Fiedler. Kamera: Erich Gusko. Musik: Friedel-Heinz Heddenhausen. Liedtext: Erika Engel. Schnitt: Ursula Kahlbaum. Darsteller: Erika Müller-Fürstenau (Mutter), Petra Kyburg (Rita), Bernd Kuss (Toni), Rolf Ripperger (Knipser). Länge: 39 Min. FSK: ab 0. Anbieter DVD: Icestorm. Empfohlen ab 6.

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Im Fokus: Tanzfilme

Eine ganz normale U-Bahn-Station in New York. Zahlreiche Passanten, die nach draußen streben oder auf ihre U-Bahn warten. Mittendrin Handwerker mit Blaumännern und Helmen, die klopfen, bohren und sägen, eigentümlich im Takt, so als würde der Rhythmus der Arbeit sie gleichschalten. Dann läuft eine U-Bahn ein, eine Gruppe Schwarzer steigt aus, die auf dicke Hose machen. „Look who’s here – the Village People!“, rufen sie den Handwerkern hämisch entgegen, und dann geht alles sehr schnell. Ein rotes Arbeitspult entpuppt sich nach einigen Handgriffen als Lautsprecher, jemand dreht die Musik auf, lauter HipHop ertönt. „Move it! Move it!“, ruft der Sänger, und schon ist der Battle zwischen „Arbeitern“ und Schwarzen in vollem Gang. Die Bewegungen sind energiegeladen und raumgreifend, so als sollte ein Territorium abgesteckt werden, aber auch abgehackt wie bei Robotern. Immer wieder fügen sich die Tänzer zu einem Gebilde aus einem Guss und wiegen wie ein Schilf im Wind. Plötzlich verschwinden die Tänzer mit der nächsten U-Bahn – nach drei Minuten ist alles vorbei.

die neuen tanzfilme

Move it! Nicht zuletzt der 3D-Boom hat dem Tanzfilm neues Leben eingehaucht. Aber die typischen Themen von Tanzfilmen waren schon immer Teil der Jugendkultur. Es geht um Selbstinszenierung und Identität, um Körperlichkeit, um Abgrenzung und Auflehnung. Und um den Traum vom Ruhm.

DiE WElt alS BühNE

Der HipHop-Battle aus „Streetdance: New York“ (2016) verdeutlicht gleich zu Beginn wesentliche Elemente des modernen Tanzfilms: Da ist die akrobatische Athletik, die selbstbewusst ausgestellte Körperlichkeit, die Synchronität der Körper, die den einzelnen Tänzer in einem Gefüge verschwinden lassen, die freche Aneignung des öffentlichen Raums, der zur Bühne wird, die Lust an der Bewegung, vor allem aber auch das Messen mit anderen, der Wettbewerb, der über Sieg und Niederlage und somit über Ruhm und Erfolg entscheidet. Konflikte, die junge Menschen aus ihrem Viertel oder der Schule kennen, werden spielerisch ausgetragen, auch der Leistungsgedanke mit Druck und Konkurrenz ist ihnen nicht fremd. Längst ist auch noch ein anderer Aspekt hinzugekommen: Der Act wird aufgenommen und auf YouTube hoch-

Von Michael Ranze

Fotos: Capelight

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„We Love to Dance“ (2015) von Tammy Davis


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Im Fokus: Tanzfilme

geladen. Die Flüchtigkeit des Ereignisses, das wie schon in „Step Up: Miami Heat“ (2012) als Flash Mob in Szene gesetzt wird, wandelt sich so zum festgehaltenen Moment, der überall auf der Welt sofort angeschaut werden kann – die öffentliche Aufmerksamkeit kann so jeder selbst einleiten, vielleicht sogar steuern. Bis zum Videoclip und dessen Werbefunktion ist es dann nicht mehr weit. Trotz (oder gerade wegen) zahlreicher Castingshows, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo, oder Promi-Wettbewerben wie „Let’s Dance“ liegt das rhythmische Verrenken der Gliedmaßen, am besten im Verein mit anderen, also noch immer voll im Trend. Dem Ekstatischen der Körperbewegungen kommt, zusammen mit figurbetonter, manchmal auch uniformer Kleidung, auch etwas Erotisches und damit Verbotenes zu. Tanzende Jugendliche begehren auch immer auf, gegen Lehrer, gegen Vorgesetzte, gegen die Eltern. Nicht von ungefähr wurde „Footloose“, 1984 entstanden, 2011 noch einmal neu aufgelegt und für eine neue Generation von Tanzliebhabern angepasst. Das Tanzverbot eines Reverends wird in einer US-amerikanischen Kleinstadt von einem rebellischen Teenager unterlaufen, der körperliche Überschwang prallt vehement auf strenge Regeln, die dem Tanz den Reiz des Verbotenen verleihen. Tanzen befreit. Noch ein anderer Tanzfilm aus den 1980er-Jahren wurde erst 2009 wieder neu verfilmt, nämlich „Fame“ von Alan Parker. „Der Weg zum Ruhm“ lautete 1979 der handlungsstiftende deutsche Untertitel. Junge Tänzer strebten darin nach Höherem, und weil die Tanz- und Musiknummern so ansprechend verpackt waren, wurde der Film zu einem bahnbrechenden Erfolg. Warum das alles gerade mal 30 Jahre später noch einmal erzählt wurde, in einer Zeit, in der Castingshows den Willen zur Berühmtheit bis zum Äußersten treiben – diese Frage können die Filmemacher nicht beantworten. Den Stand der Dinge im Jahr 2009, wo Ruhm nichts mehr mit Talent zu tun hat und noch nie so vergänglich war, reflektieren sie nicht.

U gEgEN E, JUNg gEgEN alt

Angefangen hat der HipHop-Tanzfilm um das Jahr 2001, mit Thomas Carters „Save the Last Dance“. Julia Stiles spielt darin eine Balletttänzerin, die sich zunächst von ihrem Vater, einem Jazz-Musiker, lösen muss, um dann die befreiende Kraft des HipHop-Tanzes kennen zu lernen. Dieser Konflikt zwischen den Stilen, häufig vor allem zwischen U- und E-Musik, und zwischen den Generationen zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch die modernen Musicals und findet in den StepUp- und StreetDance-Reihen ihren griffigen Höhepunkt. Ein anderer Film, „Honey“ (2003), lebt vor allem vom Charisma von Jessica Alba, die eigentlich Tänzerin werden will, sich dann aber um Kinder in einem Jugendzentrum kümmert. „Versucht einfach mitzutanzen“, lautet Honeys Rat an die Kids der Tanzschule. Erlaubt ist, was Spaß macht, jeder so, wie er kann, es braucht nur Selbstbewusstsein und Optimismus – das ist die ebenso schlichte wie einleuchtende Botschaft dieses Films. Mit „Stomp the Yard“ (2007) begann jene Variante des Tanzfilms um das Messen mit anderen, um den Wettstreit, in dem nur das Siegen zählt. Erfolg, Misserfolg, Platzierung innerhalb einer Hierarchie – ein sehr amerikanisches Phänomen, in dem Ruhm und Ehre Bildung und Wissen zwar nicht verdrängen, aber zumindest den Rang ablaufen. „Battle of the Year” (2013) trägt dieses Prinzip sogar schon im Titel. Doch zuvor haben „Step Up“ (2006) und „StreetDance 3D“ (2010) es perfektioniert, mit schweißtreibendem Training, perfekten Choreografien und verbissen gegeneinander antretenden Gruppen, die sich nichts schenken. In „StreetDance 3D“ will Carly, eine hübsche und versierte Breakdancerin, auf den Straßen Londons mit ihrer Crew an den englischen Meisterschaften teilnehmen. Der Übungsraum findet sich ausgerechnet an der königlichen Ballettschule, die von keiner Geringeren als Charlotte Rampling alias Helene geleitet wird. Einzige Auflage: Carly

soll Helenes Eleven ein wenig flottere Flötentöne beibringen. Klassik meets HipHop – eine konfliktträchtige Melange. Trotzdem kommen sich Carly und der schmucke Ballettschüler Tomas näher. Und auch die anderen Tänzer raufen sich zusammen. Die Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Tanzstilen wirken glaubwürdig, ebenso die Kluft zwischen U- und E-Musik. Mehr noch: Die Tanzszenen, die die Räumlichkeit und Tiefe von 3D geschickt nutzen, machen einfach Spaß.

ChorEografiSChE SPiElPlätZE

„Invincible“, unbesiegbar also, nennt sich selbstbewusst und arrogant eine Gruppe in „StreetDance 2“ (2012). Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. In „Step Up: All In“ (2014), der nicht von ungefähr in Las Vegas spielt, finden die abschließenden Finals erst in einem Boxring, dann in einer Arena statt, die an den Käfig in „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“ (1985) erinnert. Auch wenn sich die üblichen Konflikte um Konkurrenz und Eifersucht, um Liebe und Missverständnisse stets zu wiederholen scheinen, überzeugen die Tanzszenen zumeist durch ihre Perfektion, im Fall von „Step Up: Miami Heat“ durch ihre schiere Genialität, bedingt durch detailfreudige Ausarbeitung und eine mitreißenden Darbietung, die zusätzlich von der Räumlichkeit und Tiefe profitiert, die 3D ermöglicht. Fliegendes Popcorn, fallende Federn und schwingende Beine, und schon glaubt man sich in „StreetDance 2“ mittendrin statt nur dabei. Der Tanzfilm wird so zur körperlichen Erfahrung, die Nähe signalisiert. Ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. „We Love to Dance” (2015) hieß erst kürzlich ein Tanzfilm, der die Liebe zum Tanz bereits im Titel betont. Natürlich geht es auch hier wieder um den Traum, dass man es schaffen kann, wenn man nur hart genug an sich arbeitet. Und um die Utopie, dass Tanzen das Leben leichter macht. •

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Reihe: Den kenn’ ich doch! (7)

Pferdemädchen

Das Kino ist (k)ein Ponyhof In Tierfreundschaftsfilmen nimmt die Beziehung zwischen Mädchen und Pferden eine besondere Rolle ein. Ein Ausritt durch Kinder- und Jugendfilme, die von Reifungsprozessen oder Tagträumereien der Pferdemädchen erzählen.

Foto aus „Hördur - Zwischen den Welten“, NFP

Von Christian Exner

Es gibt so viele Pferdemädchen, dass die meisten Filme über Ross und Reiterin keine Mühe haben, ihr Publikum zu finden. Egal ob „Bibi & Tina“ (2014-16), „Ostwind“ (2012) oder „Hördur“ (2015): Sobald ein Pferd auf der Leinwand erscheint, ist das Interesse junger Reitsport-Enthusiastinnen geweckt. „Pferdemädchen“ klingt etwas despektierlich nach romantischen Ponyhof-Fantasien mit Ausritten im schönsten Sonnenuntergang, nach rosa Schleifchen in wallenden Mähnen oder der perfekten Harmonie mit sanften Vierbeinern. Aber auf jeden Fall klingt es auch nach dem typischsten aller Mädchen-Hobbys. „Das Pferdemädchen“ war zugleich der Titel von Egon Schlegels Film aus dem Jahr 1979. Dieser Film markierte die Abkehr von Tierfreundschaftsillusionen durch ein alltagsnahes Dilemma. Die blinde Stute der Protagonistin Irka erwartet ein Fohlen. Doch dem Mädchen und seinem Vater ist es unmöglich, für beide Tiere zu sorgen. Irka muss eine Entscheidung treffen und Verantwortung übernehmen. Um Verantwortung und Persönlichkeitswachstum drehen sich auch die Reiterfahrungen von Aylin im aktuelleren Film „Hördur“ (2015). Das Islandpony Hördur kann wegen Seuchenschutzes niemals in sein Stammland zurück. Wie symbolisch! „Zurück in die Türkei“ ist nämlich die Devise von Aylins Vater, nachdem er beruflich das Handtuch geschmissen hat. Aber das kommt für Aylin nicht in Frage. Beim Reiten entwickelt sie ein neues Selbstbewusstsein und findet zu mehr Selbstständigkeit. Manche sagen, „Hördur“ sei kein Pferdefilm. Aber was ist er dann? Vielleicht sind ja die anderen Schmonzetten à la „Ostwind“ oder „Bibi &Tina“ keine Pferdefilme. Kritische Leserinnen der Internet-Seite Kinderfilmwelt.de monieren, dass die Darstellung

des Reitens in „Ostwind“ von vorne und bis hinten nicht stimme. Das beginne beim Satteln, das wirklich nur im Film eine Sache von Sekunden sei. Dem Blick der Kennerin sticht auch ins Auge, dass es bei der „Anlehnung“ hapert. Was echten Pferdemädchen da aufgetischt wird, ist also Schmu. Dabei gibt sich der Film doch so verständig. Der Hengst Ostwind ist ein wildes Monster, mit dem keiner klarkommt. Der Pferdeflüsterer in uns sagt sich gleich: Er wird einfach nur falsch verstanden. Das kann natürlich niemand besser nachempfinden als Mika, die gerade in einer sehr rebellischen Phase ihrer Pubertät steckt, was wiederum nichts anderes bedeutet, als dass sie falsch verstanden wird. Zwei Wesensverwandte finden sich, gemeinsam sind sie stark. Das reimt sich zusammen, wie es sich in einem Epos mit FeelGood-Ambitionen zusammenreimen muss. Wer aber erfahren hat, dass der Reiterhof kein „Leben auf dem Ponyhof“ zu bieten hat, der wächst heraus aus solchen küchenpsychologischen Interpretationen der Pferde- und Teenager-Seele. Andererseits gibt es auch eine Lust an der extremen Stilisierung bei „Bibi & Tina“. Das ist Camp, es ist Musical, Westernromantik, Liebesgeplänkel – es ist große Freundschaft mit ganz dickem Goldrand. „Bibi & Tina“ ist das Produkt einer perfektionierten Filmraffinerie. Man nimmt fuchsbraunen Rohrzucker und bekommt am Ende des Prozesses geklärte weiße Kristalle. Das macht auf seine Art Spaß. Von Folge zu Folge mehr. Denn da werden Reitfantasien bedient, die frei sind von Nebenwirkungen wie Staub in den Kleidern oder Verspannungen in den Muskeln. Süße Träume für diejenigen, die mit Reiten nicht wirklich etwas am Cowboyhut haben oder haben wollen. •


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

Im Fokus: Schülerfilmfestival NRW

Schülerfilmfestival NRW in Marl

Filmbegeistert, experimentierfreudig 1998 gründete der Filmproduzent Detlef Ziegert im Rahmen des Internationalen Kinder- und Jugendfilmfests Marl das Schülerfilmfestival NRW, das Filmarbeiten von Schülern an Rhein und Ruhr zeigt. Nach seinem Rückzug gab es eine zweijährige Pause. 2015 übernahm der damals 18-jährige Schüler Jan Hendrik Blanke aus Essen die Leitung. Derzeit bereitet er die nächste Festivalausgabe im Dezember vor. Das Gespräch führte Reinhard Kleber

Wie entstand der Kontakt zum Schülerfilmfestival? Blanke: 2012 hat mich Detlef Ziegert in die Jury berufen. Über meinen Vater Gerd Blanke, der lange für die Kinderfilmtage Ruhr gearbeitet hat, hatte er erfahren, dass ich recht filmbegeistert bin. Als er seinen Rückzug bekannt gab, habe ich gesagt, dass es einfach nicht geht, dass so ein schönes Festival ausläuft. Nach zwei Jahren Pause konnte ich 2015, als ich alt genug war, die Leitung übernehmen.

Foto: klappe-die-erste.net

Woher kommt der Mut, so jung ein Festival zu leiten? Blanke: Der kommt aus meiner Filmbegeisterung und Experimentierfreude. Ich probiere gerne etwas Neues aus, selbst wenn ich mal auf die

Detlef Ziegert und Jan Hendrik Blanke (r.)

Schnauze fliege. Das ist zum Glück nicht passiert. Das Festival war erfolgreich. Und es macht Spaß, Schüler dafür zu begeistern, Filme zu drehen. Hat Ihnen Ihre Erfahrung als Schulsprecher geholfen? Blanke: Ja. Dadurch sind mir viele organisatorische Abläufe nicht fremd. Ich war schon auf meiner alten Realschule Schulsprecher und bin es jetzt noch in der UNESCO-Schule in Essen. Das Festival soll zum Modellprojekt zur praktischen Vermittlung von Medienkompetenz ausgebaut werden. Wie? Blanke: Zum einen möchten wir 2017 einen Wettbewerb anbieten, für den Schüler Videospiele einreichen, die sie selbst programmiert haben. Videospiele bilden einen wichtigen Teil der Medienwelt von Schülern. Man darf die nicht einfach außer Acht lassen. Ein solcher Wettbewerb wäre international einzigartig. Zum anderen wollen wir Schülerfilme aus anderen Bundesländern und dem Ausland zeigen. In diesem Jahr kuratiere ich ein Programm, bei dem eine israelische Filmemacherin Schülerfilme vorstellt.

Wie war die Beteiligung der Schüler im Vorjahr? Blanke: Mit dem Wiedereinstieg war ich zufrieden. Einige Schulen hatten nach der Pause das Festival vergessen, deshalb war die Zahl der Einreichungen geringer als 2012. Auch macht sich bemerkbar, dass die Schüler wegen des Abiturs in acht Jahren weniger Freizeit haben. Hier muss man gegensteuern, denn auch kulturelle Bildung in Form von Filmbildung und Medienkompetenz ist wichtig. Wer sitzt in der Fachjury? Blanke: Die Gewinner aus den Vorjahren, Medienexperten wie unser langjähriger Jury-Vorsitzender Ulrich Spieß und junge Menschen mit Filmfaible. Zuletzt war auch eine 18-jährige Schauspielerin dabei. Dazu kommen Vertreter der Preissponsoren, also der GEW und des Bischofs von Münster. Was beinhaltet der Hauptpreis „Marl goes Babelsberg“? Blanke: Da sind die Gewinner vier Tage nach Babelsberg und Berlin gefahren und haben den Filmpark Babelsberg und TV-Studios des RBB besucht. In der Filmuniversität hat man uns erklärt, wie man eine Bewerbungsmappe für einen Studiengang zusammenstellt. Im Berliner Museum für Film und Fernsehen hat die Gruppe den Stummfilm „Der letzte Mann“ angeschaut. Das Programm ist sehr gut angekommen, vor allem die praktischen Komponenten. In diesem Jahr soll es erstmals den Preis „Marl goes Köln“ geben. Was steckt dahinter? Blanke: Bei der jüngsten Preisfahrt konnte ich sehen, wie viel an Erkenntnissen die Teilnehmer mitnehmen. Deshalb möchte ich das Konzept in kleinerem Rahmen als Tagesfahrt nach Köln ausprobieren. Dort sollen die Schüler hinter die Kulissen des WDR und der Kunsthochschule für Medien Köln schauen. • Das Schülerfilmfestival NRW in Marl findet am 3. Dezember 2016 zum 17. Mal statt. Eingereicht werden können Filmarbeiten mit bis zu 30 Minuten Laufzeit, die von Schülern selbst hergestellt wurden, wobei Hilfe von Lehrern erlaubt ist. Bislang sind nur Einreichungen von Schulen aus Nordrhein-Westfalen zulässig. Einreichungsschluss: 10.10.2016.

www.schuelerfilmfestival-nrw.de

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Im Fokus: Bahman Ghobadi

Der iranisch-kurdische Regisseur Bahman Ghobadi und seine Filme

Kinder, Kurden, Kriege Ungeschönt, aber nicht ohne Hoffnung erzählt Bahman Ghobadi in seinen Filmen über das Leben in den kurdischen Gebieten – und beweist dabei seine besondere Sensibilität für die Situation der Kinder und Jugendlichen, deren Schicksale er immer wieder in den Mittelpunkt rückt.

Von Holger Twele

Selbst bei großzügiger Auslegung lassen sich die Filme des iranisch-kurdischen Regisseurs Bahman Ghobadi, dem das Filmfest München 2016 eine Retrospektive widmete, nicht als Kinderfilme bezeichnen. Und doch stehen in vielen seiner Werke Kinder im Mittelpunkt: als Handlungsträger einer Geschichte, als Subjekte der dokumentarischen Beobachtung, als Hauptleidtragende kriegerischer Auseinandersetzungen und neuerdings auch als Filmschaffende, die ihren eigenen Film mit Ghobadi als Produzent drehen. Fast ausschließlich handelt es sich um kurdische Kinder, deren Leben untrennbar mit der Geschichte ihres über vier Staaten verteilten Volkes verbunden ist. Manchmal durch unüberwindbare Grenzen getrennt und der Willkür der Machthabenden ausgesetzt, ist dieses seit nahezu 100 Jahren nicht zur Ruhe gekommen.

Die KAMeRA AlS WAFFe

Die wechselvolle Geschichte des kurdischen Volkes mag einer der Gründe sein, warum der 1969 im iranischen Baneh nahe der Grenze zum Irak geborene Autor und Regisseur für seine Filme so starke Geschichten und beeindruckende Bilder findet, etwa von unberührten, kargen oder mit Schnee bedeckten Berglandschaften, in denen das reine Überleben zur Herausforderung wird und kahle Bäume wie stumme Mahnmale gen Himmel ragen. Selbst in der fiktionalen Umsetzung wirken seine Filme oft dokumentarisch, scheinen den beschwerlichen Alltag der Menschen beobachtend einzufangen und nicht

zu inszenieren. Ghobadi zufolge ist Kurdistan, also das Siedlungsgebiet der Kurden im Iran und Irak, in Syrien und der Türkei, zwar reich an Geschichten, aber nicht reich genug, um sie alle auch selbst verfilmen zu können. Es gibt tausende solcher Geschichten, und zu einigen hat er bislang unrealisierte Drehbuchentwürfe geschrieben. Für eine bessere Zukunft seines Volks kämpft er nicht mit der Waffe, stattdessen ist die Kamera sein Gewehr. Als Autodidakt und als erster Filmemacher überhaupt realisierte er mit „Zeit der trunkenen Pferde“ (2000) einen iranisch-kurdischen Spielfilm, bevor er seine eigene Produktionsfirma gründete. Der internationale Erfolg dieses Films über das Schicksal von vier Kindern an der Grenze zum Irak in einem Dorf von Schmugglern, in dem der Waisenjunge Ayoub für seine beiden Schwestern und den kleinwüchsigen behinderten Madi sorgt, ermöglichte ihm den nächsten Film. So ging es von Film zu Film weiter, immer unter geschickter Umgehung der iranischen Zensurbestimmungen.

ein Kino ohne SpRAche WäRe GhoBADi AM lieBSten Der andere Grund für seine kraftvollen künstlerischen Filmwerke, die das größte Leid und menschliche Tragik immer auch mit Empathie und Humor zeigen, liegt vermutlich in der eigenen Kindheit, die er positiv in Erinnerung behalten möchte, obwohl er unter seinem strengen Vater litt, der als Polizist den Schah verehrte. Dieser verließ die Familie, als Ghobadi 18 Jahre alt war. Durch viele leidvolle Erfahrungen als


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Fotos: Fotos: mîtosfilm/Kool/Mij Film Co.

Bahman Ghobadi (l.) und die Filme „Life on the Border“ (2015), „Auch Schildkröten können fliegen“ (2004) und „Zeit der trunkenen Pferde“ (2000)

Heranwachsender lernte Ghobadi, die Dunkelheit in Licht zu verwandeln, und durch seinen Vater, gut zu lügen. Beides kam ihm zugute, als er beschloss, im Iran eigene Filme drehen zu wollen. Den Wunsch dazu verspürte er nicht von Anfang an. Ihm zufolge hat das Kino ihn gewählt, wobei ihm in Anbetracht vierer verschiedener Sprachen in den kurdischen Gebieten ein Kino ohne Sprache am liebsten wäre, also eines, das seine Geschichten über die Bilder, Töne und Musik erzählt. Die Musik als handlungstragendes Element und als Ausdruck der kurdischen Kultur durchzieht sein gesamtes Filmschaffen. In „Half Moon“ (2006) macht sich ein alter iranisch-kurdischer Komponist zusammen mit seinen erwachsenen Söhnen auf den beschwerlichen Weg Richtung Irak, um dort ein Jubiläumskonzert zu geben. Auch eine Sängerin ist mit von der Partie, was die für den Komponisten tödlich endende Reise über die tief verschneiten Berge an zahlreichen Grenzposten vorbei zusätzlich erschwert, denn im Iran ist es Frauen verboten, in Gegenwart von Männern solo zu singen. Für „Niemand kennt die Persian Cats“ (2009) drehte Ghobadi ohne Genehmigung in der Teheraner Underground-Musikszene, wobei die jungen Musiker Negar und Ashkan im Mittelpunkt stehen, die versuchen, mit gefälschten Pässen das Land zu verlassen. Sie wollen in England ihren Traum von einer Musik verwirklichen, die nicht durch Verbote geprägt ist. In seinem neuesten Film „A Flag Without a Country“ (2015) porträtiert er den Pop-Star Helly Luv, die mit syrischen Flüchtlingskindern ein schräges Musikvideo drehen

Im Fokus: Bahman Ghobadi

möchte, und den auf Krücken angewiesenen Piloten Narimar, der überall im Land nach Kindern sucht, denen er in seiner Pilotenschule das Fliegen beibringen kann.

ihrer Eltern. Eindringliche Stimmungsbilder aus einem Kriegsgebiet, die es in dieser unaufdringlichen Direktheit und Intensität zuvor im Kino noch kaum zu sehen gab.

ein AnDeReS BilD DeR KinDheit

BeWunDeRunG unD ReSpeKt FüR Die StäRKe DeR KinDeR

Kindheit bedeutet in den kurdischen Gebieten etwas völlig anderes als hier in Deutschland. Schon früh werden die Kinder zur Arbeit herangezogen, um das Überleben der Familie zu sichern, und oft sehen sie sich mit Situationen konfrontiert, die sie überfordern, denen sie aber auch nicht ausweichen können. Das reicht von der arrangierten Kinderheirat über den Schmuggel von Waren auf Pferden über tief verschneite Berge bis hin zum Sammeln von Kriegsmunition und dem Räumen von Minenfeldern wie in seinem Film „Schildkröten können fliegen“ (2004), der an der irakisch-türkischen Grenze unmittelbar vor Beginn des dritten Golfkriegs im März 2003 spielt. Ganz aus der Perspektive der Kinder gedreht, geht es in diesem Film um Hoffnung und Verzweiflung bis hin zum Selbstmord. Der technisch und organisatorisch besonders begabte Junge Satellite verkörpert das Prinzip Hoffnung, denn er ist der Anführer aller Kinder im Flüchtlingslager, besorgt ihnen Arbeit und verhandelt mit den Erwachsenen. Schwer traumatisiert und verzweifelt sind dagegen das Mädchen Agrine und ihr auf Krücken gehender älterer Bruder, die nach dem gewaltsamen Tod ihrer Eltern gerade im Flüchtlingslager angekommen sind. Begleitet werden sie von dem kleinen Sohn des Mörders

Eine konsequente Fortsetzung dieser Arbeit ist der Dokumentarfilm „Life on the Border“ (2015), für den Ghobadi als Produzent verantwortlich zeichnete. Gedreht wurde dieser von acht kurdischen Kindern und Jugendlichen aus den Flüchtlingslagern von Kobane und Shengal, die zuvor in die Filmarbeit eingewiesen wurden und in dem Film ihre eigenen traumatischen Erfahrungen mit dem Krieg in Syrien filmisch reflektieren und den Alltag in den Flüchtlingslagern aus ihrer Perspektive zeigen. Nicht immer resultieren das Leid, aber auch der Mut und der Überlebenswille der Kinder aus traumatischen Kriegserfahrungen. In seinem 40-minütigen Dokumentarfilm „Daf“ (2004) begleitet Ghobadi eine kurdische Familie von Trommelbauern bei der Herstellung einer Daf, vom Einkaufen der benötigten Rohwaren Holz und Ziegenfell bis zum Verkauf des fertigen Produkts und dem Spielen dieser Trommeln. Fasziniert allein schon dieser Prozess, erzeugt der Film Staunen und Bewunderung für die fünf Kinder der Familie, die alle blind sind und doch vollkommen selbstständig arbeiten und zugleich unwahrscheinlich liebevoll miteinander umgehen. • Hinweis: Ein Interview mit dem Produktionsteam von „Life on the Border“ findet sich in KJK 2/2016.

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Im Fokus: Akademie für Kindermedien

wieder in Vergessenheit geraten. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild.

EinE zuvERLäSSigE unD KoMpEtEntE AnLAuFStELLE

Die Akademie für Kindermedien in Erfurt

Talentschmiede für Kindermedienstoffe Das Pitching der Absolventen der Akademie für Kindermedien ist einer der wichtigsten Branchentermine während des Kinder-Medien-Festivals „Goldener Spatz“. Mehrere Stoffe wurden bereits verfilmt, teils jedoch erst nach mehreren Jahren. Gedanken zur Leistung der Akademie und den dort entwickelten Drehbüchern.

Von Holger Twele

Sie heißen Michael Demuth („Wer küsst schon einen Leguan“), Michaela Hinnenthal („Wintertochter“), Bernd Sahling („Kopfüber“), Claudia Schaefer („Weil ich schöner bin“), Hannes Klug („Ricky – normal war gestern“), Roland Fauser („Der Lehrjunge“) und Steffen Weinert („Finn und der Weg zum Himmel“). Mit knapp 200 weiteren Autoren sind sie Alumni der heutigen Akademie für Kindermedien in Erfurt. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre an der Akademie entwickelten Filmstoffe später auch realisiert wurden

und das Licht der Kinoleinwand erblickten. Ein Selbstläufer ist das freilich nicht. Oft genug dauerte es sechs, acht oder sogar mehr als zehn Jahre von der Drehbuchentwicklung bis zur Filmproduktion. Da entsteht leicht der Verdacht, es könne an der nötigen Effizienz mangeln, zumal die jährlich zwölf Teilnehmenden der Akademie, die ihre Stoffe im Rahmen des Kinder-MedienFestivals „Goldener Spatz“ mit großem Elan und sehr überzeugend pitchen, nach einigen Jahren schnell

Ein erster Vergleich mit anderen deutschen Drehbuchwerkstätten (etwa mit der Drehbuchwerkstatt München, aber auch mit internationalen Spielfilmprojekten) zeigt, dass auch dort meistens mehrere Jahre vergehen, bis ein Drehbuch zum fertigen Film wird. Vor allem aber hatte die Akademie ohnehin nie den Anspruch, dass alle ihre Alumni später ein fertiges Produkt auf dem Markt vorweisen können. Am ehesten gelingt das noch im Bereich Buch, denn ist es erst mal geschrieben, muss „nur“ noch ein geeigneter Verleger gefunden werden. Für die Realisierung eines Filmprojekts dagegen sind viele weitere Produktionsschritte und vor allem eine größere Geldsumme erforderlich. Was die Akademie leisten kann und leistet, ist eine zuverlässige und kompetente Anlaufstelle für die Autoren zu sein, die ihre Projekte erst noch entwickeln wollen. Zudem schafft sie Kontakte im kommerziellen Medienbereich und vernetzt optimal die Community der Alumni, die sich in den Workshops persönlich weiterentwickeln und wichtige berufliche Kontakte knüpfen können. Freilich muss die Frage erlaubt sein, ob bei der strengen Auswahl der zahlreichen Bewerber nicht nur diejenigen Autoren ausgesucht werden, die sich in den Gruppenprozess besonders gut einordnen können und sich dann untereinander zwar neue Impulse geben, aber auch akzeptieren müssen, dass ihre Ideen geschliffen und womöglich sogar glatt gebügelt werden.

Ein gutES DREHBuCH iSt niCHt üBER nACHt gESCHRiEBEn Sieht man sich die entstandenen und geförderten Drehbuchprojekte der letzten Jahre genauer an, fällt auf, dass es überwiegend Stoffe und Geschichten sind, die das persönliche Lebensumfeld der Kinder betreffen, insbesondere ihre Familie und das


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Im Fokus: Akademie für Kindermedien

Fotos: Zorro/Filmgalerie 451

„Wintertochter“ (l.) und „Weil ich schöner bin“ basieren auf Filmstoffen, die in der Akademie für Kindermedien entwickelt wurden

Thema Freundschaft und Selbstbehauptung. Zweifellos sind das die großen Themen für diese Zielgruppe, was allerdings die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und brennenden Problemen unserer Gegenwart nicht ausschließen muss, wie Kinderfilme etwa aus den Niederlanden, aus Belgien oder Frankreich wiederholt beweisen. Es bleibt im Bereich der Spekulation, ob diese Themen an den persönlichen Interessen der ausgewählten Autoren vorbeigehen oder ihnen in der heutigen deutschen Medienlandschaft von Anfang an keine Chancen auf Realisierung eingeräumt werden. Was den häufig geäußerten Vorwurf einer viel zu langen Zeit zwischen Drehbuchentwurf und Film betrifft, hat sich durch die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ (die ebenfalls vom Förderverein Deutscher Kinderfilm initiiert wurde) zumindest eine belebende Konkurrenz entwickelt. Da haben sich die Medienanstalten endlich einmal zusammengeschlossen, und plötzlich ist es möglich, einen Kinderfilm von der Stoffentwicklung bis zum Kinofilm in der Rekordzeit von ein bis zwei Jahren zu entwickeln, statt nach endlosen Umarbeitungen und Finanzierungsbemühungen erst in zehn oder mehr Jahren. Es geht also, wenn man will, auch wenn ein gutes Drehbuch nicht über Nacht geschrieben ist und durch eine längerfristige

gute dramaturgische Betreuung oft noch an Qualität gewinnt.

DiE AKADEMiE FüR KinDERMEDiEn Im Sommer 2000 wurde vom Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. eine Sommerakademie zur Förderung von Drehbuchautoren im Kinderlangfilmbereich aus der Taufe gehoben – zu einer Zeit, in der Literaturverfilmungen von Kinderbüchern gerade ihre ersten kommerziellen Erfolge feierten, es aber nach wie vor an originären Filmstoffen mangelte. Aufgrund des großen Andrangs wurde sie schnell um eine Winterakademie erweitert. In den ersten drei Jahren entstanden 51 Filmkonzepte, von denen 14 optioniert wurden, sieben eine weitere Drehbuchförderung durch andere Fördereinrichtungen erhielten und drei Autoren Verträge zur Umsetzung ihrer Filme unterzeichneten, darunter Michael Demuth für den später mehrfach preisgekrönten Film „Wer küsst schon einen Leguan?“ (2003). Vor dem Hintergrund einer sich verändernden Medienlandschaft, in der die Vernetzung zwischen Kino, Fernsehen und Computer immer enger wurde, nahm die Akademie 2006 gleichberechtigt neben der Gruppe mit Spielfilmstoffen die Gruppen TV-Serie und Interaktive Medien auf und benannte sich in „Akademie für Kindermedien“ um. 2009 wurde eine neue Gruppe ins

Leben gerufen, die sich der Animationsserie für Kinder und Jugendliche widmet, und den interaktiven und crossmedialen Inhalten ein besonderes Gewicht verliehen. Heute ist die Akademie für Kindermedien ein Weiterbildungsworkshop für professionelle Autoren und Nachwuchstalente der Bereiche Film, Serie und Buch und damit die zentrale Anlaufstelle für Stoffentwicklung in der deutschen Kindermedienlandschaft. Nach einer mehrtägigen Einführungsund Qualifizierungswoche findet der Workshop jährlich in vier einwöchigen Modulen statt. Pro Jahr nehmen zwölf Autoren – also vier je Gruppe – an diesem Workshop teil, um ihre eigenen Kindermedienprojekte für die Zielgruppe zwischen drei und 13 Jahren unter Betreuung eines erfahrenen Mentoren- und Tutorenteams bis zur Marktreife zu entwickeln. Darüber hinaus nehmen die Autoren und Autorinnen inzwischen auch an einem Kooperationsprojekt mit einem Medienpartner teil, bei dem sie im geschützten Raum in den konkreten Produktionsprozess einer Fernsehserie eingebunden sind. Zum Abschluss eines Akademiejahrgangs werden die eigenen Projekte der Alumni im Rahmen des Deutschen Kinder-Medien-Festivals „Goldener Spatz“ einem eingeladenen Fachpublikum präsentiert. •

Die vorgestellten projekte der Alumni des Jahrgangs 2016 im Bereich Film „Rudy“ von Thomas Barthelmeus Rudys Eltern arbeiten zu viel, und seine Freunde sind seine Bücher. Als er ein magisches Glöckchen findet, entdeckt er, dass das Christkind und der Weihnachtsmann echt sind. Ein spannender Weihnachtsfilm für die ganze Familie.

„Keine Angst vorm kleinen tod!“ von Anne Gröger Samuel leidet unter einer Immunerkrankung und geht deshalb nie raus. Da begegnet er dem Mädchen Frieda, das sich als kleiner Tod auf ihre große Aufgabe vorbereitet. Dafür möchte sie mit Samuels Hilfe das Leben kennenlernen. Eine Komödie über das Leben und den Tod für Kinder ab 8 Jahre.

„Madison“ von Kim Strobl Als die ehrgeizige Rennradfahrerin Madison gezwungen ist, auf ein Mountainbike umzusteigen, entdeckt sie ihr Leben vollkommen neu und kann sich mit Hilfe ihrer Freunde von ihrem Vater lösen, einem Radprofi, der ihr zum Idol wurde. Ein sportlicher Coming-of-Age-Film für Kinder ab 10 Jahre.

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Im Fokus: Lucas

Die 39. Ausgabe des Frankfurter Festivals LUCAS hat ein neues Konzept. Und eine neue künstlerische Leiterin. Gespräch mit Dr. Cathy de Haan

(Fast) alles neu Bereits 1974 wurde Lucas ins Leben gerufen und ist damit nicht nur das älteste deutsche Kinderfilmfestival, sondern auch fester Bestandteil des Filmangebots des Deutschen Filminstituts DIF sowie des Kulturangebots der stadt Frankfurt/Main. ab diesem Jahr firmiert es als „Lucas – Internationales Festival für junge Filmfans“ (18.-25.9.). Das Gespräch führte Horst Peter Koll.

Sie haben in anderem Zusammenhang einmal gesagt: Die Filmszene ändert sich! Jetzt scheint dies auch auf die Kinderfilmszene zuzutreffen. Ändert sie sich? Oder haben Sie den Mut, etwas an ihr zu ändern? De Haan: Ich gehe zunächst einmal von meiner Zielgruppe aus. Wobei ich denke, dass Kinder und Jugendliche heute oft ganz anders unterwegs sind als es sich die Industrie denkt. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben ihren eigenen Kopf und auch ihre persönliche, emanzipierte Sichtweise. Sie wollen selbst aussuchen, was für sie interessant ist. Vom Markt her betrachtet verstehe ich, dass man Produkte zu konzipieren und zu entwickeln versucht, die auf eine Zielgrup-pe passen, aber wenn ich die „Filmszene“ nicht als Industriebetrieb verstehe, sondern als etwas, das das junge Publikum anspricht, dann denke ich, dass ei-niges im Gange ist. Das Kino ist ja überwiegend ein industrieller Betrieb, der auch Kindern und Jugendlichen vorgibt, welche Produkte sie sehen sollen… De Haan: Gut funktionierende Kinderfilmee finden immer ihren Weg ins Kino und dort ihre Zielgruppe, was mich aber unter dem Festivalaspekt eher weniger interessiert. Wir wollen unser Festival verstärkt dafür nutzen, Filmkultur zu fördern, was auch heißt: Kinder und Jugendliche an eine andere Ästhetik heranführen. Dabei meinen wir es sehr ernst mit der Teilhabe, der Partizipation, was bereits damit beginnt, Kindern und Jugendlichen zuzuhören, um herauszubekommen, was sie wirklich interessiert. Haben Sie den Eindruck, dass Kinderfilmfestivals bisher noch zu bevormundend agieren? De Haan: Natürlich nimmt jeder, der in der Szene unterwegs ist, seine Zielgruppe ernst und möchte ein gutes Programm machen. Es gibt aber unterschiedliche Schwerpunkte und je nach Finanzierungspartner auch Kompromisse in der Festivalgestaltung und

Programmauswahl. Letztlich ist es doch wichtig, ein klares Festivalprofil zu entwickeln und kontinuierlich kritisch zu überprüfen. Dafür sollte man sich – gerade als Kinder- und Jugendfilmfestival auf Augenhöhe mit seiner Zielgruppe begeben, um zu sehen, wo diese steht. Die ist nämlich unheimlich lebendig und bewegt sich rasant... Nun reden Sie nicht mehr explizit von Kindern und Jugendlichen: Lucas heißt ab sofort: Festival für junge Filmfans. De Haan: Ja, in der englischen Sprache funktioniert das noch besser, weil „Film Lovers“ viel leidenschaftlicher klingt. „Filmfans“ kommt unserem Anliegen im Deutschen am nächsten. Worum es uns geht: die Begeisterung fürs Kino zu entfachen! Eine zentrale Chance dafür liegt darin, dass wir die Zielgruppe aktiv mitmischen lassen, und das bereits bei der Programmauswahl. Hinzu kommt, Kinokultur und Medienästhetik sinnlich zu vermitteln, also die Film- und Medienkompetenz von jungen Menschen auch ästhetisch zu stärken. Wir wollen mit ihnen nicht nur darüber sprechen, ob sie den Film verstanden haben, sondern auch welche Erzählformen jenseits des klassischen Kinos ihnen gefallen. Filme, die eine anspruchsvolle Ästhetik haben, die etwa nonlinear erzählen, die experimentelle Elemente oder hybride Formen mit realen und fiktionalen Anteilen einbeziehen. Solche Filme kommen klassischerweise bislang in Kinderprogrammen nicht vor, erst recht nicht im Fernsehen, aber als Festival kann ich das machen. Dabei soll die „Jagd“ auf Filmpremieren keine große Rolle mehr spielen. De Haan: Das gilt für unser Langfilmprogramm, während wir im Kurz- und Mittellangfilmprogramm weiter vorrangig deutsche Premieren präsentieren wollen. Ich glaube, dass die Menge an Filmen, die international für unser Zielpublikum produziert wird, unter der Vorgabe der Qualität einfach nicht ausreicht, um jedem Festival eine Erst-


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Im Fokus: Lucas

Fotos: Marjorie Brunet Plaza/Lucas Internationales Festival für junge Filmfans

aufführung zu ermöglichen. Deshalb geht es mir vorrangig um Qualität: Wenn ich auf der „Berlinale“ einen wunderbaren peruanischen Film sehe, der hierzulande nie in den Verleih kommt, dann habe ich kein Problem damit, ihn noch einmal bei LUCAS zu präsentieren und ihn damit dem Publikum vor Ort zugänglich zu machen. Für die Auswahl der Filme haben wir seit diesem Jahr eine Auswahlkommission einberufen, in der die Filmexperten und -expertinnen Pamela Fischer BJF, Annette Friedmann (u.a. Kuratorium junger deutscher Film), Dr. Martin Ganguly (u.a. Berlinale Generation/ Schulprojekt) und Dr. Ursula Vossen (Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen) vertreten sind. Was heißt es, dass Kinder und Jugendliche das Festival mitgestalten, etwa bei der Filmauswahl? De Haan: LUCAS ist nun in der Abteilung für Filmbildung und -vermittlung im Deutschen Filminstitut angesiedelt, was einen klaren, strategischen Hintergrund hat. Das Deutsche Filminstitut hat eine gewachsene Expertise, auch im internationalen Kontext, so gibt es Projekte mit internationalen Partnern wie ABCinema. Von der Leiterin der Abteilung, meiner Kollegin Christine Kopf, kommen auch zahlreiche inhaltliche Impulse: so findet zum Beispiel zum ersten Mal in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung zu dem Thema „Film, Flucht und Interkultur“ eine dreitägige Zukunftswerkstatt - im Rahmen von LUCAS 2016 statt. Und aus ABCinema entstand die neue Programmschiene „Young European Cinephiles“, bei der europäische Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren das Programm selbst kuratieren: Jeweils zwei junge Erwachsene aus vier europäischen Ländern stellen ein Double Feature zusammen, wobei wir ihnen völlig freie Wahl gelassen haben – wenn sie uns dann ihre Auswahl präsentieren, müssen sie diese auch dem Publikum vorstellen. Wobei wir nicht ganz im Trüben fischen, weil die jungen Leute über unsere Partner zu uns

kommen, sie also bereits über eine gewisse Vorbildung verfügen. Sie gehen aber ein gewisses Risiko ein, wollen nicht lenken, sondern präsentieren. De Haan: Ja, ich sehe dem aber ganz entspannt entgegen und freue mich drauf. Ebenso wie auf unsere Festivalzeitung, an der wir unter verschiedenen Aspekten mit mehreren Schulen zusammen arbeiten. Wobei sie in verschiedenen Sprachen veröffentlicht wird, grundsätzlich zwar auf Deutsch, angereichert aber beispielsweise mit Kommentaren auf Türkisch oder Englisch oder auch Arabisch. Sie möchten „vom geflüchteten Jugendlichen bis zur Schülerin einer fremdsprachig geführten Privatschule“ jeden erreichen. De Haan: Wir haben hier einen klaren Arbeitsauftrag. LUCAS hat sich schon immer mit gesellschaftspolitischen und sozialen Themen beschäftigt, aber jetzt rücken diese noch mehr in den Vordergrund. Es gibt in Frankfurt die spannende Situation, dass die Stadt überproportional divers in Bezug auf Herkunftsländer und soziale Schichten ist, was sich stärker noch als bisher im Programm und in den Aktionen spiegeln wird. So planen wir zusammen mit Vision Kino das Projekt einer Stummfilmvertonung mit einer „Intensivklasse“; nach einer Woche Workshop wird dann das Ergebnis uraufgeführt. Wo noch wollen Sie junge Filmfans ernster nehmen? De Haan: Wir zeigen für Jugendliche ab 13 Jahren fast alle Filme im Original mit englischen Untertiteln. Die deutsche Übersetzung wird am Spielort Deutsches Filmmuseum erstmalig über Kopfhörer angeboten und nicht mehr im Saal eingesprochen. Gegen das Einsprechen haben wir uns entschieden, weil dabei nicht nur die Originalsprache, sondern der gesamte Ton zurückgefahren wird, auch die Musik, sodass die Einsprechstimme dominiert, die fünf oder gar sechs verschiedene Rol-

len spricht. Da passiert etwas Unglückliches mit dem Film, was womöglich an der Konzentration auf das Filmgeschehen mehr zerrt, als würde man ihn im Original mit deutschen Untertiteln zeigen. In diesem Jahr werden wir bei den Filmen für die acht- bis zwölfjährigen Zuschauer noch mit dem Einsprechen arbeiten. Wir wollen uns während des Festivals aber mit dieser Altersgruppe über die Möglichkeit der Untertitelung austauschen. Womöglich unterschätzen wir diese in dieser Hinsicht. Je nach Feedback werden wir daraus unsere Schlüsse ziehen. Wie ist es mit der Nachhaltigkeit des Festivals über die Veranstaltungstage hinaus? Wie wirken Sie auf die festivalfreie Zeit ein? De Haan: Wir haben eine langjährige erfolgreiche Kooperation mit dem Hamburger Kinderfilmfest „Michel“, mit dem wir diverse Filme austauschen. Dazu kommt in diesem Jahr zum ersten Mal das Sonderprogramm „Bunt und Wild!“, das wir als Kooperation mit der AG Animationsfilm und DOK Leipzig präsentieren. Auch hier freuen wir uns auf die weiteren Perspektiven dieser Kooperation. Neben zahlreichen Sonderveranstaltungen während des Jahres gibt es jeden Freitag und Sonntag das Kinderkino im Kino des Deutschen Filmmuseums. Hier arbeiten wir bei der Programmierung eng mit, zeigen auch Filme, die nicht bei LUCAS gelaufen sind, sprechen Empfehlungen aus, schaffen Synergien zum Festivalprogramm. Zudem planen wir mit einem neuen Partner wieder eine DVD-Edition, erstellen weiterhin pädagogisches Begleitmaterial, das man sich downloaden kann und das dann auch mit der DVD-Edition kompatibel ist. Mit unseren internationalen Partnern denken wir über ganzjährige interaktive Internetangebote für junges Publikum nach und im kommenden Jahr – zu unserem 40jährigen Jubiläum – planen wir weitere, nachhaltige Programme, die von LUCAS initiiert werden. •

www.lucas-filmfestival.de

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Foto: Filmfest München/Kurt Kister

Im Fokus: Festival

Der Zauber hinter den Kulissen Im Rahmen des 34. Kinderfilmfests München (23.6.-2.7.) leitete Andreas Dresen einen eintägigen Workshop für junge Filmbegeisterte – und gab exklusiv Einblicke in den Entstehungsprozess seiner neuen „Timm Thaler“-Adaption. Von Stefan Stiletto

„Ich bin Andreas. Ich bin Regisseur und mache schon seit ein paar Jahren Filme. Jetzt habe ich meinen ersten Kinderfilm gedreht.“ Mit diesen Worten stellt sich der Workshop-Leiter den neun Mädchen und fünf Jungen im Alter von neun bis 14 Jahren vor, die nun einen Tag lang die Möglichkeit haben, einen exklusiven Einblick in die Produktion eines Kinofilms zu bekommen. Ein gehöriges Understatement liegt in diesen Sätzen. Schließlich ist derjenige, der da über sein Filmprojekt erzählen wird, Andreas Dresen. Aber genau diese Zurückhaltung macht ihn

so sympathisch: Dresen stellt sich nicht in den Vordergrund, sondern will erzählen und begeistern. Und das gelingt ihm aufs Beste. Workshops zählen zum festen Bestandteil des von Katrin Hoffmann geleiteten Kinderfilmfests München. Bereits vor zwei Jahren konnte mit Caroline Link eine renommierte Filmemacherin gewonnen werden, um mit den jungen Teilnehmenden einen kurzen Film zu drehen. Bei Dresen geht es nun nicht um eigene praktische Erfahrungen, wohl aber um Einblicke in die reale Praxis, anhand von hochspannenden Mustern und Ausschnitten aus Dresens Adaption des James-KrüssKlassikers „Timm Thaler“, die sich derzeit in Postproduktion befindet. Dresen geht didaktisch geschickt vor, wenn er seine Zuhörer zunächst danach fragt, welche Szenen ihnen im Roman am besten gefallen und was sie ihren Freunden über den Roman erzählen würden. En passant führt er vor, wie ein Adaptionsprozess in Gang kommt und das eigentlich Bedeutsame aus einer Literaturvorlage herausgefiltert wird. Auf ähnliche Art gelingt es Dresen im Lauf des Tages immer wieder, an konkreten Aussagen oder Beobachtungen anzuknüpfen und diese dann zu vertiefen. Dabei überwältigt er sein Publikum geradezu mit Fotos vom Set, mit Kostümentwürfen (auch solchen, die verworfen wurden), mit Casting-Aufnahmen und Spielproben, die direkt danach mit der entsprechenden Filmszene kontrastiert werden), mit CGI-Effekten in unterschiedlichsten Entwicklungssta-

dien, mit mehreren Takes einer Szene, anhand derer er erläutert, was gut oder nicht so gut war. Immer wieder wird deutlich, wie viele Menschen an einem Film arbeiten – und dass Film Teamwork ist. Das „Gemachte“ eines Films rückt dabei in den Vordergrund. Aber Dresen entzaubert nicht. Im Gegenteil: Indem er voller Begeisterung und Leidenschaft offenlegt und erklärt, mit welcher Akribie, mit welchen Fehlversuchen, mit welchen Experimenten, in welchen Varianten ein Film nach und nach entsteht, verstärkt er den Zauber noch mehr. Durch den Blick hinter die Kulissen will er den Blick auf Filme verändern und zum genauen Hinsehen anregen. In den jungen Workshop-Teilnehmenden findet er ein gutes Publikum. Über sechs Stunden hinweg hören sie aufmerksam zu und fragen interessiert nach. Natürlich sind Standardfragen dabei, etwa wie lange es dauert, einen Film zu drehen, wie viel das kostet und was ein Regisseur und die Schauspieler dabei verdienen. Insgesamt aber erweisen sich die Teilnehmenden als extrem medienkompetent. Sie haben Erfahrungen mit eigenen Filmprojekten oder als Schauspieler, interessieren sich für Filmschnitt und Drehbücher und gehen bemerkenswert souverän mit filmsprachlichen Fachbegriffen um. Dass die meisten noch nie einen Film von Andreas Dresen gesehen haben (was angesichts der Zielgruppen von diesen keineswegs überrascht), spielt keine Rolle. Veranstaltungen wie diese sind es, die das Angebot des Kinderfilmfests bereichern, weil sie auf ganz andere Art und Weise Film begreifbar machen. Sind es im regulären Festivalprogramm die unterschiedlichen Geschichten, Stile und Ausdrucksformen, so ist es hier der Einblick hinter die Kulissen, durch die sich der Blick verändert. Die Bereitschaft namhafter Filmemacher, ihre Arbeit einem jungen Publikum derart umfangreich und intensiv vorzustellen, hat einen unschätzbaren Wert für die Filmbildung. • „Timm Thaler“ startet am 22.12.2016 bei Constantin Film.


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Im Fokus: Festival-Entdeckungen

Abulele

Fannys Reise

Divines

Israel 2015. Regie: Jonathan Geva. Entdeckt auf dem Filmfest München 2016 (Reihe: Kinderfilmfest).

Le voyage de Fanny. Frankreich 2016. Regie: Lola Doillon. Entdeckt auf dem Filmfest München 2016 (Reihe: Kinderfilmfest).

Frankreich/Katar 2016. Regie: Houda Benyamina. Entdeckt auf dem Filmfest München 2016 (Reihe: CineVision).

Übermenschlich groß, schwarzes zotteliges Fell und riesige Augen: Auf den ersten Blick sieht das Wesen, dem Adam im Luftschutzraum begegnet, extrem bedrohlich aus. Bald aber erkannt Adam, wie freundlich und sanft die Kreatur, die ein Faible für schrecklich schmeckende rote Limonade hat, in Wirklichkeit ist. Für den zehnjährigen Jungen wird sie zu einem heimlichen (und starken) Freund, der ihn unterstützt und ihm Halt gibt. Und den hat Adam besonders nötig, seitdem sein großer Bruder vor einem Jahr tödlich verunglückt ist und in seiner Familie niemand mehr Zeit für ihn hat. Aber auch Adam beschützt das „Abulele“, auf das schwer bewaffnete Einsatzkräfte Jagd machen. „Abulele“ spielt mit dem Klischee des Monsters, das in der Dunkelheit lauert, und macht aus dem schrecklichen Wesen einen Seelentröster, an dem Adam wachsen kann. Freilich führt das Monster den Jungen vor allem zurück zu sich selbst und zu den Gefühlen, die ihn belasten. Aber auf wunderbare Weise gelingt es Jonathan Geva, Fantasie und Wirklichkeit in seinem angenehm unaufgeregten Kinderfilm zu vermischen. Dabei findet er eine schöne Balance zwischen sorgsam eingesetzten Spezialeffekten, Dramatik und Ruhe. Abstrakte Gefühlswelten werden in einprägsame Bilder gekleidet – und somit greifbar. – Ab 9. Stefan Stiletto

Elf jüdische Kinder auf der Flucht vor der deutschen Besatzungsmacht im Frankreich des Jahres 1943. Nach einer wahren Begebenheit erzählt Lola Doillon (Tochter des Regisseurs Jacques Doillon), wie diese Kinder im Alter zwischen elf und 17 Jahren in einer lebensbedrohlichen Situation über sich selbst hinauswachsen und auf ihrer Reise quer durch Frankreich den rettenden Ausweg über die Schweizer Grenze finden. Die zwölfjährige Fanny, überzeugend verkörpert von Léonie Souchaud in ihrem Filmdebüt, wird dank ihrer großen Sensibilität und Willensstärke zur Anführerin der Kinder und bringt sie nach dem Ausfall erwachsener Helfer sicher über die Berge. Ihre jüdische Mutter hatte sie und ihre beiden jüngeren Geschwister in ein Waisenheim gesteckt, um ihnen ein Überleben zu sichern. Doch schon bald sind die Kinder vor den Nazis und den französischen Kollaborateuren nicht mehr sicher und müssen fliehen. Bis zum hochdramatischen Finale geraten sie immer wieder in aussichtslos scheinende Situationen. Fluchtgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus wurden schon mehrfach fürs Kino verfilmt, kaum aber mit Kindern als Protagonisten. Es ist eine große Leistung der Regisseurin, das bunt zusammengewürfelte Kinderensemble zusammenzuhalten, wobei sie im Spiel auch mal Kinder bleiben dürfen, ohne die latente Gefahr jemals zu vergessen. – Ab 10. Holger Twele

Nach den Terroranschlägen beschäftigt sich die französische Öffentlichkeit einmal mehr mit den Lebensverhältnissen in den Banlieues. Wie tragen diese zur Radikalisierung bei? Weshalb flüchten sich viele junge Menschen aus diesen in Fundamentalismus oder beschreiten kriminelle Wege? Houda Benyaminas kraftvoller, beim Festival in Cannes preisgekrönter Debütfilm inszeniert die Kampfansage dieser Jugend. Ihre Protagonistin Dounia hält das klassische Ideal, sich durch Bildung, Kultur und Arbeit gesellschaftlich zu integrieren und teilzuhaben, für veraltet. Sie dagegen will lediglich viel Geld verdienen, und das kann sie in diesen Verhältnissen nur, wenn sie klaut und dealt. Benyamina hat starke Mädchen der Banlieues in den Mittelpunkt gerückt. Doch anders als Céline Sciammas „Bande de filles“ will sie nicht die Bevormundung durch patriarchale Familien und Gesellschaftsstrukturen präzise durchleuchten oder bebildern, wie man deren Fängen entkommt. Ihre Heldin wird von dem kriminellen Milieu, von Macht, Action und Abenteuer, angezogen und fühlt sich „Manns genug“, es für ihr Ziel zu nutzen. Die Kameraarbeit fängt dessen Faszination wirkungsvoll ein. Gleichwohl trägt der staatsferne Lebensentwurf religiöse Züge, wie ausgewählte Barockmusik unterstreicht. Und er fordert schließlich einen hohen Preis. – Ab 16. Heidi Strobel

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Förderverein Deutscher Kinderfim e.V. Info Nr. 3/2016

Aus der TäTigkeiT unserer MiTglieder Vom 14. Juni bis 7. Juli fanden in Potsdam-Babelsberg, Berlin und im Harz die Dreharbeiten zu DAS SINGENDE, KLINGENDE BÄUMCHEN nach Motiven der Brüder Grimm für die ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“ statt. Das Märchen wird von Studio. TV.Film (Produzentin: Milena Maitz, Producer: Fabian Pöhlmann) im Auftrag der ARD unter Federführung des rbb und des SR produziert. Die Redaktion haben Anja Hagemeier (rbb), Anke Sperl (rbb) und Andrea Etspüler (SR). Es ist bereits die vierte Märchenverfilmung für das Team um Regisseur Wolfgang Eißler und Autorin Gabriele Kreis. Im Rahmen des 23. Internationalen Trickfilm-Festivals Stuttgart (ITFS) hat John Chambers für DIE OLCHIS – DER KINOFILM den Deutschen Animationsdrehbuchpreis in Höhe von 2.500 Euro erhalten. Der erste CGI-Kinofilm und eine TV-Serie zu DIE OLCHIS befinden sich derzeit in Entwicklung. Darüber hinaus startet am 8. September Ted Siegers MOLLY MONSTER nach seinem Drehbuch im Kino. Dramaturgisch betreut wurde der Film von Nicole Kellerhals. Maite Woköck hat den ersten Teil des Kinderbuchbestsellers PETRONELLA APFELMUS von Sabine Städing für einen Kino-Animationsfilm optioniert. Aktuell hat PETRONELLA APFELMUS – VERHEXT UND FESTGEKLEBT eine Drehbuchförderung von der FFA in Höhe von 25.000 EUR für die Drehbuchautorin Katja Grübel erhalten. Unter dem Titel JETTE ODER NIE erscheint am 25. August der zweite Teil der JETTE-Bücher von Fee Krämer. Das Projekt entstand während

der AKM-Kooperation mit dem Boje Verlag unter Linde Mueller-Siepen. Das ebenso in der AKM entwickelte Serienprojekt OSKAR UND HUU von Christophe Erbes, basierend auf dem Bestseller OSCAR AND HOO (2002, HarperCollins UK), geht nun in Produktion. Die Abenteuer um die neugierige Wolke Hoo und ihres besten Freundes, dem optimistischen Tagträumer Oscar, werden in 52 x 11‘ Episoden für 4-7 Jährige von NORMAAL produziert. Eine Erstausstrahlung ist für Ende 2017 geplant. Produzentin Ewa Karlström ist mit den Vorbereitungen zum dritten OSTWIND-Kinofilm beschäftigt. Am 31. Oktober erscheint zudem der Roman OSTWIND – AUF DER SUCHE NACH MORGEN, abermals von Lea Schmidbauer geschrieben. Katharina Reschke ist erneut zu Gast beim International Children‘s Film Festival in Tel Aviv. Sie wird Mitglied der Wettbewerbsjury sowie der Jury zur Vergabe einer Drehbuchförderung sein. Auch tritt sie im Rahmen verschiedener Veranstaltungen in Austausch mit ihren israelischen KollegInnen über deren Filmprojekte. Mit dem Deutschlandradio Kultur ist erstmals ein Hörfunksender als Partner der doku.klasse beim 15. doxs!-Festival vom 7. bis 13. November unter der Leitung von Gudrun Sommer mit im Boot. Damit haben Stoffe, die an der ZDF/3sat-Ausschreibung „Ab 18!“ teilnehmen, die Chance, als künstlerisches Radiofeature umgesetzt zu werden. Den Auftakt bestreiten zwei Filmemacher. Darunter ist Bernd Sahling, der den 22-jährigen Kei, der als ‚Juyujin’ (freier Mensch) in Japan auf der Straße lebt, porträtiert. Dazu arbeitet er mit ProtagonistInnen seines Films UNTER

SEHENDEN (D 2005) an einem Radiofeature. Ein Sendetermin ist für September 2016 geplant. Im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele in Cannes wurden erstmalig MEDIA Showcases im Creative Europe Pavillon des International Village organisiert. Initiiert vom Creative Europe Desk Turin und in Zusammenarbeit mit KIDS Regio fand die Veranstaltung CONNECTING TO THE YOUNG AUDIENCES statt, bei der Produzentin Carlotta Calori von THE INVISIBLE BOY (INDIGO Film, Italien) und Viola Gabrielli von KIDS Regio in Erfahrungsaustausch traten. Am 25. November erscheint Steffen Weinerts Roman DIE NETTEN SCHLAFEN ALLEIN im Rowohlt Verlag. Das Buch kann bereits jetzt vorbestellt werden. Von Susanne Kornblum (Bergmann) gibt es vom 10. bis 15. Oktober die Geschichten DAMIT EMMI GUT SCHLAFEN KANN, gesprochen von Antje von der Ahe, in der Kinderradiosendung Ohrenbär vom rbb zu hören. Die Sendung wird parallel von NDR Info und WDR 5 übernommen. DIE SACHE MIT OLE, eine Kindergeschichte von Angela Bernhardt, wird am 11. September um 7.30 Uhr im Deutschlandradio Kultur/KAKADU „Erzähltag“ gesendet. Das Projekt BAYALA von Ulysses Filmproduktion rund um die beliebten Schleich-Figuren hat 500.000 Euro Produktionsförderung von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein bekommen. Produktionsstart ist im Januar 2017. Der Film soll in Koproduktion mit Fabrique d’Images aus Luxembourg realisiert werden. Der Verleih ist Universum und den Weltvertrieb übernimmt Global Screen.


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Der Abenteuerfilm KÖNIG LAURIN, bei dem Iris Fedrizzi die Dramaturgie und Drehbuchbearbeitung verantwortet, ist im Juni mehrfach ausgezeichnet worden. So hat er u.a. beim 24. Festival GOLDENER SPATZ in der Kategorie Kino-/Fernsehfilm gewonnen. Ferner konnte als bester Darsteller Volker Zack Michalowski einen GOLDENEN SPATZ mit nach Hause nehmen. Auf dem Filmfest München gab es zudem den Kinder-Medien-Preis „Der weiße Elefant“. Der Film startet am 1. September im Kino. Das Kinofilmprojekt DER KLEINE RABE SOCKE – DIE SUCHE NACH DEM VERLORENEN SCHATZ der Akkord Film Produktion GmbH hat 550.000 Euro Produktionsförderung der MFG Filmförderung Baden-Württemberg erhalten. Darüber hinaus ist das Animationsfilmprojekt DIE RÜCKKEHR DER HEINZELMÄNNCHEN in Vorbereitung. Regie führt Ute von Münchow-Pohl. Das Drehbuch stammt aus der Feder von Jan Strathmann. Von Andreas Völlinger erscheinen im August zwei Kinderbücher: So am 1. August im Südpol Verlag DINOALARM als erster Band der Reihe LEOS WILDE ABENTEUER, mit Illustrationen von Pascal Nöldner. Dazu wird das zweisprachige Kinderbuch RITTER WINZIG, illustriert von Franziska Kalch, am 15. August in sieben verschiedenen Versionen (jeweils Deutsch und eine andere Sprache) in der Edition bi:libri herausgebracht. Ferner adaptiert er mit Armin Prediger die Kinderbuchreihe MINUS DREI von Ute Krause für eine Animationsserie, produziert von M.A.R.K.13 und TRIKK17, gefördert von MFG Filmförderung Baden-Württemberg. Das Katholische Filmwerk unter der Geschäftsführung von Harald Hackenberg bietet mit ABOUT A GIRL, COCONUT HERO, STELLA – KLEINE GROßE SCHWESTER, HÖRDUR und WIE BRÜDER IM WIND neue Filmtitel für die Kinderund Jugendarbeit. Aktuelle Block-

buster wie ZOOMANIA, ALLES STEHT KOPF und ER IST WIEDER DA ergänzen den Katalog. Zur kfw-DVD HOMEVIDEO, der das Thema Cybermobbing behandelt, ist aktuell das Buch im Carlsen Verlag erschienen. Bernd Sahling arbeitet derzeit das erste Mal für Deutschlandradio Kultur. Es entsteht die Langzeitdokumentation IN IHRER WELT über 4 ehemalige Integrationsschüler am Fichtenberg Gymnasium Berlin. Die Sendung läuft am 10. September um 18.05 Uhr. Anja Schneider wurde im Mai mit dem 4. Zonta-Kulturpreis 2016 in der Sparte Literatur/Kurzprosa ausgezeichnet. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen und hat weltweit die Verbesserung der Lebenssituation von Frauen in rechtlicher, politischer, wirtschaftlicher, beruflicher und gesundheitlicher Hinsicht im Fokus. Nach einem Drehbuch von Vanessa Walder haben am 5. Juli die Dreharbeiten zum Kinofilm CONNI & CO 2 unter der Regie von Til Schweiger begonnen. CONNI & CO Teil I unter der Regie von Franziska Buch startet am 18. August im Verleih von Warner Bros. Deutschland in den Kinos. Der KiKA bietet ein abwechslungsreiches Ferienprogramm, u.a. mit Formaten wie KRASS NASS! DIE TIGERENTEN CLUB SOMMERSPIELE (SWR), die Live-Action-Surfserie LOCKIE LEONARD (BR) und Filmen wie KIDNAP – BOS AUFREGENDSTE FERIEN (NDR) oder FRECHE MÄDCHEN (ZDF). Darüber hinaus laufen u.a. folgende Premieren: PIKKULI/ MDR (ab 09.08.): Animationsserie nach Buchvorlage der finnischen Künstlerin Elli Vuorinen; der Themenschwerpunkt RESPEKT FÜR MEINE RECHTE! – UMWELT SCHÜTZEN JETZT (12.09. – 02.10.), WISSPER/ZDF (ab 05.09.): Wissper, die Tierflüsterin, hilft mit ihren Tierfreunden, deren Probleme zu bewältigen; HOBBYMANIA/ MDR (ab 17.09.): Zwei Kids tauschen jeweils ihr Hobby und müssen eine Challenge bestehen; „Der besondere

Kinderfilm“ WINNETOUS SOHN/ ZDF/ KiKA (14.10., LOLLYWOOD); BERLIN UND WIR/ZDF (ab 17.10.): Vier Kinder, die das eigene Land verlassen mussten, treffen auf vier Berliner Kinder; DAS ERSTE MAL… USA!/ZDF (ab 31.10.): Die Reporter Louisa (17) und Philipp (18) reisen durch die USA und berichten aus einer sehr persönlichen Perspektive. LOLA AUF DER ERBSE beendet nach 2 Jahren, über 50 Festival-Einladungen, 30 Wettbewerben und zehn internationalen Preisen die Welttournee. Doch zuvor eröffnet er im Juli noch das International Kids & Youth Filmfestival (BIKY) in Busan, Südkorea, in Anwesenheit des Regisseurs Thomas Heinemann. Ferner befindet sich der nächste Kinderfilm von superNeun DIE NACHT IM PAPIERGEBIRGE (AT) in Entwicklung. Im 1. Quartal 2017 ist Drehbeginn. Esther Kaufmann schreibt für die Firma Wise Crack eine Episode ihrer medienwissenschaftlich-philosophischen Animations-Comedyreihe DEPPER MEANING IN YOUR FAVOURITE STUFF über Tyler Durden. Ferner entwickelt sie mit Steffen Schmidt einen Kinder-Kurzfilm zum Thema Autismus. In Sheffield hat sie auf der Childrens Media Conference einen Vortrag bei der Newcomers Reception gehalten.

neue MiTglieder Als Mitglieder begrüßen wir sehr herzlich die Drehbuchautorin Anne Gröger sowie den Produzenten von grusnickfilm Sebastian Grusnick.

TerMin MiTgliederversAMMlung Die nächste Mitgliederversammlung findet am 24. September im Rahmen des LUCAS in Frankfurt a.M. statt.

Redaktion: Katja Imhof-Staßny Haus Dacheröden, Anger 37, 99084 Erfurt Tel. 0361-66386-0; Fax 0361-66386-29; E-Mail fdk@kinderfilm-online.de Geraer Bank: Konto-Nr. 4122852, BLZ 83064568

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Neuigkeiten aus dem Förderverein Moodtrailer „Starke Filme im Kino“ deutschlandweit auf über 660 Leinwänden zu sehen Der 99sekündige Moodtrailer für deutsche Kinderfilme wird seit seiner Premiere auf dem

Initiative „Der besondere Kinderfilm“ Am 29. Juni wurden auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Filmfest München die aktuell geförderten Projekte bekannt gegeben. Mit UNHEIMLICH PERFEKTE FREUNDE von Simone Höft und Nora Lämmermann (Produzenten: Benedikt Böllhoff, Max Frauenknecht; VIAFILM GmbH & Co. KG, Grünwald) wird eine Kinderfilmproduktion aus dem dritten Jahrgang mit einem Budget von rund 3 Millionen Euro (Fördermittel, Beteiligung der Sender und Eigenmittel der Produzenten) auf den Weg gebracht. Die Dreharbeiten werden 2017 unter der Regie von Markus H. Rosenmüller starten. Beteiligt sind: MDR (federführend), KiKA, BR und WDR sowie FFF, FFA, BKM und MDM. In den geförderten Filmstoffen des vierten Jahrgangs der Initiative stellen sich die jungen

Produktionsinitiative „Fernsehen aus Thüringen“ „Fernsehen aus Thüringen“ hat eine vierte Ausschreibungsrunde gestartet: Produzenten klein- und mittelständischer Unternehmen können sich mit einem Exposé zu einer liveaction Kinder- oder Jugendserie bewerben. Dabei spielt das Format der Serie keine Rolle. Ob Magazin, Doku-Serie oder Spielshow bis zur Miniserie, Sitcom oder Soap – alles ist

Filmtheaterkongress KINO 2016 kontinuierlich gebucht. Von Mai bis September wird er auch in allen Häusern von UCI KINOWELT (in allen Vorführungen vor 18.00 Uhr) und CineStar (Vorprogramm zu Kinderfilmen) eingesetzt. Zusammengenommen mit den kommunalen

und Arthouse-Kinos läuft „Starke Filme im Kino“ damit bereits auf über 660 Leinwänden – Tendenz steigend. Als Kinotrailer und als Fernsehfassung (45 und 30 Sekunden) wird er kostenfrei zur Verfügung gestellt. www.starkefilmeimkino.de

Protagonisten sehr unterschiedlichen Familienkonstellationen mit all ihren Herausforderungen. Eine Jury wählte aus 50 Bewerbungen vier Projekte aus. Zur Erarbeitung einer ersten Drehbuchfassung erhalten die Autoren je 20.000 Euro und die Produzenten je 5.000 Euro: BREAK THE BALLET von Vera Kissel (Produzent: Philipp Budweg, Lieblingsfilm GmbH, München); CHERRY von Michaela Hinnenthal (Produzent: Boris Schönfelder, Neue Schönhauser Filmproduktion GmbH, Berlin); LUCY IST JETZT GANGSTER von Till Endemann und Andreas Cordes (Produzenten: Arek Gielnik und Dietmar Ratsch, INDI FILM GmbH, Stuttgart/Berlin) sowie WEIHNACHTEN OHNE WEIHNACHT von Claudia Matschulla und Sibylle Tafel (Produzent: Markus Brunnemann, UFA Fiction GmbH). www.der-besondere-kinderfilm.de

Einführung einer zusätzlichen Förderstufe: Bis Januar 2017 entwickeln die Produzentenund Autorenteams des 4. Jahrgangs ein Drehbuch. Um weiterhin die hohe Qualität der Projekte sichern zu können, hat sich die Initiative für die Einführung einer zusätzlichen Förderstufe ausgesprochen. Der Prozess zeige, dass es notwendig sei, bei Bedarf mehr Zeit für die Entwicklung der Stoffe geben zu können. Ab dem 4. Jahrgang wird deshalb im Anschluss an die Stoffentwicklung neben dem Einstieg in die Produktion die Möglichkeit einer einjährigen, finanzierten Projektentwicklungsphase bestehen, bevor über die Realisierung entschieden wird. Für die Umsetzung der Filmprojekte bekennen sich die 24 teilnehmenden Institutionen weiterhin zu einer finanziellen Förderung in Millionenhöhe.

erlaubt, was den Zielgruppen Unterhaltung und Mehrwert bietet. Einsendeschluss ist der 26. August. Wünschenswert ist die gemeinsame Einreichung mit einem/einer AutorIn.

des dritten Jahrgangs ausgezeichnet. Die Fachjury entschied sich für zwei Serienkonzeptionen, die zur Realisierung eines Serienpiloten ein Preisgeld in der Gesamthöhe von 100.000 Euro erhalten. An die Mini-Serie ALLEIN IN SÖMMERDA von Georg Bussek und Alexander Freisberg (E+U TV Film- und Fernsehproduktion, Köln) gehen 50.000 Euro, ebenso an die Webserie FÜR IMMER von Thomas Möller und Sebastian Grusnick (grusnickfilm, Hamburg). www.fat-tv.de

Die besten Ideen erhalten Preisgelder im Wert von insgesamt 190.000 Euro, die an eine Produktion in Thüringen gebunden sind. Am 8. Juni wurden auf der Preisverleihung der Initiative im Rahmen des 24. Festivals GOLDENER SPATZ in Erfurt die Gewinnerprojekte


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Preisträger der Akademie für Kindermedien 2015/16 sind gekürt Am 9. Juni wurden die Preisträger des diesjährigen Akademiejahrgangs in Erfurt gekürt. Alle elf Stipendiaten präsentierten ihre Ideen im Rahmen des 24. Festivals GOLDENER SPATZ im Erfurter CineStar erstmals vor rund 230 Fachgästen. Gewinnerin des Förderpreises der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) in Höhe von 15.000 Euro ist Viola Lippmann mit ihrem Serienkonzept ERNA RÄUMT AUF. Der mit 2.500 Euro dotierte Baumhaus/Boje-Medienpreis wurde an das Projekt MADISON, das Kim Strobl in der Gruppe Film entwickelte, vergeben.

Die Projekte Der Absolventen 2015/16 FilM

rUDY von Thomas Barthelmeus Rudys Eltern arbeiten zu viel, seine Freunde sind seine Bücher. Als er ein magisches Glöckchen findet, entdeckt er, dass die Weihnachtlichen echt sind. Aber die haben ihr Gedächtnis verloren, und ein dicker Geschäftsmann lässt sie nach und nach verschwinden. Ein Weihnachtsfilm für die ganze Familie. keine AnGst vorM kleinen toD! von Anne Gröger

Samuel geht nie raus. Nie! Viel zu gefährlich! Doch eines Tages bekommt er Besuch: Vom kleinen Tod, der noch in Ausbildung ist und mit Samuels Hilfe das Leben kennenlernen muss. Eine Komödie über das Leben – mit dem kleinen Tod, für Kinder ab 8 Jahre.

MADison von Kim Strobl

Als die ehrgeizige Rennradfahrerin Madison gezwungen ist, auf ein Mountainbike umzusteigen, kommt ihr Leben ins Schleudern. Mit Hilfe ihrer neuen Freunde kann sie sich schließlich von ihrem Vater lösen und in den Bergen von Tirol nach ihren eigenen Zielen suchen. Sportlicher Coming-of-Age-Film, ab 10 Jahre.

bUCH

Milo, Der kleine MUs

von Valentina Brüning Auf Henriette Musemanns Fensterbank steht ein kleines Haus. Darin wohnt Milo, der kleine

Mus. Wenn er mit seinem Klangkescher nicht gerade auf der Jagd nach Tönen ist, bewirft er Henris Familie mit Musenküssen – bis alle zusammen auf dem Küchentisch tanzen. Ein Roman für Kinder ab 6 Jahre.

vivi UnD DAs leUCHten Der GliMMerinGe von Kerstin Hau

Eigentlich könnte Vivi glücklich sein: Sie hat einen besten Freund und lustige Großeltern, die Möbel mit Geheimnissen verkaufen. Doch zuhause dreht sich alles nur um ihre Schwester. Als ein böser Gedanke wahr wird, reist Vivi in eine fantastische Welt. Erster Band einer Romanreihe ab 9 Jahre.

lUCA UnD Die PYjAMAPArtY

von Martin Mehner „Ich will einfach nur bei euch mitmachen, als wäre ich auch ein Mädchen.“ „Echt?“ Celina kicherte und sah zu Katja. „Wobei willst du mitmachen? Beim Schminken?“ „Bei allem“, sagte Luca. Ein Roman für Kinder ab 7 Jahre mit Potenzial für Film, Musical und Hörspiel.

MArlie WolkentÄnZerin

von Linda Proch Marlie ist ein besonderes Mädchen. Auch ihre Angst vor Gewitter ist besonders: besonders riesengroß! Als ihr Wetterfrosch Hubertus verschwindet, entwickelt sie ungeahnte Kräfte... Ein fantasievolles Kinderbuch, ab 6 Jahre.

serie

kinDer Der Zeit

von Agnes Gerstenberg Auf der Suche nach seinem verschwundenen Cousin findet Micha eine Uhr, mit der er die Zeit anhalten kann. So kommt er einem Bösewicht auf die Spur, der sich von Zeit ernährt und den er besiegen muss, um die Welt zu retten. Horizontal erzählte Realserie, Format 13 x 26 min, für junge Helden ab 10 Jahre.

AlYAH UnD Die trAUMWAnDler von Margarita Käfer

Drei Freunde treffen sich in ihren gemeinsamen Träumen, um hier Welten zu erschaffen. Als sie eine Lichtprinzessin in die Realität holen, verwandelt sich ihr Bruder in ein Monster, das die Welt ins Chaos stürzt. Real- oder Animationsserie, 26 x 22 min, 9 bis 12 Jahre.

Die silenCios – lAUtlos AUF Der sPUr von Julie Kamprath

Die erste deutsche Detektivcrew mit Gebärdensprache als Geheimcode. „Wir haben die beste Waffe überhaupt: Eine Geheimsprache, die keiner hört!“, ruft Finn. Anina blickt konzentriert auf seine Lippen. Er meint ihre Sprache – die Gebärdensprache. „Ich muss sie nur noch lernen“, fügt er hinzu. Anina hebt ihre Hände, schaut ihm in die Augen und zeichnet: „Na, dann mal los!“ Detektivserie, 6 x 25 min mit begleitender Webplattform.

ernA rÄUMt AUF von Viola Lippmann Die Gummiente Quietscher, die Plastiktüte Susi Unsichtbar und Kolo, ein riesiger Müllberg, sind neu im Meer. Ungeniert breiten sie sich aus und nerven mächtig. Zum Glück hat das erfinderische Forschungsschiff Erna ihre selbstgebaute Ausrüstung und ihre Freunde an Bord. 2D-Animationsserie, 52 x 7 min, für Kinder ab 4 Jahre. Autoren mit Film-, buch- oder serienprojekten für kinder gesucht: Bis 26. August bewerben und

Stipendiat werden. Seit 16 Jahren ist die Akademie für Kindermedien die zentrale Anlaufstelle für Stoffentwicklung in der deutschen Kindermedienlandschaft. Pro Jahr durchlaufen bis zu zwölf Stipendiaten das vielschichtige Programm. Gesucht werden Autoren für Film, Fernsehen, Literatur und/oder Transmedia aus dem deutschsprachigen Raum, die sich mit einer Projektidee bzw. einem Exposé bewerben. Ziel des Akademie Stipendien-Programms ist es, eigene Ideen zur Marktreife zu entwickeln. Dafür sind vier einwöchige Workshops im Zeitraum von November 2016 bis Juni 2017 geplant. Zuvor werden 20 Bewerber zu einer Einführungs- und Qualifizierungswoche nach Erfurt eingeladen, davon werden 12 zu den neuen Stipendiaten der Akademie für Kindermedien. Zum Abschluss wird ein herausragendes Projekt mit dem MDM Förderpreis in Höhe von 15.000 Euro ausgezeichnet. Zudem wird der Baumhaus/Boje-Medienpreis vergeben. Bewerbungsschluss: 26. August Bewerbungsmodalitäten: www.akademie-kindermedien.de/bewerbung

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Stiftung Lesen

Vom Buch zum Film

„Tschick“

„Lesefreude wecken, Lesekompetenz stärken“ – seit mehr als 25 Jahren steht die Stiftung Lesen für erfolgreiche Leseförderung in Deutschland. In jeder KJKAusgabe gibt die Stiftung Lesen Lektüreund Kinotipps sowie Empfehlungen für kreative und erkenntnisreiche Entdeckungen an der Schnittstelle von Buch und Film. www.stiftunglesen.de

Die Coming-of-Age-Geschichte „Tschick“ ist einer der größten Bucherfolge der letzten Jahre – von Kritik und Leserschaft gleichermaßen gefeiert. Kein Wunder, denn der Inhalt des literarischen Roadmovies ist ebenso lustig wie berührend, und der mitunter aufkommende Kloß im Hals lässt sich wunderbar mit Lachtränen herunterspülen. Der 14-jährige Maik hat zwei Ferienwochen ohne Eltern vor sich, weil seine Mutter mal wieder in der Entzugsklinik eincheckt und der Vater mit seiner gefühlt 19-jährigen Assistentin auf „Dienstreise“ entschwindet. Irgendwie wird Maik am heimischen Pool schon die trübseligen Gedanken an Tatjana, die ihn nicht zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen hat, aus dem Kopf kriegen. Doch dann steht Tschick, der andere Außenseiter der Klasse und lupenreiner Vollassi, vor seiner Tür. Mit einem geklauten Lada und einer ziemlich verrückten Idee. Und so starten die beiden Richtung Walachei – quer durch die ostdeutsche Pampa und mitten hinein in ein haarsträubendes Abenteuer. Mehr als zwei Millionen Mal ging das Buch von Wolfgang Herrndorf allein in Deutschland über den Ladentisch und wurde in über 30 Länder verkauft. Auch für die Bühne wurde „Tschick“ entdeckt und zu einem der meistgespielten Stücke an deutschen Theatern. Entsprechend begehrt waren die Verfilmungsrechte, die schließlich an den Produzenten Marco Mehlitz gingen. Noch vor seinem Tod im Jahr 2013 bestimmte Herrndorf seinen Freund Lars Hubrich zum Drehbuchautor. Nachdem der eigentlich verpflichtete Regisseur David Wnendt („Feuchtgebiete“, „Er ist wieder da!“) ausstieg, übernahm Fatih Akin („The Cut“, „Gegen die Wand“): „Es war ein Angebot, was ich, um es mit den Worten Don Corleones auszudrücken, nicht ablehnen konnte.“ Nun startet das literarische Roadmovie, das durch die Wahrhaftigkeit seiner Figuren besticht und den slapstickartigen Witz, der nie zum Klamauk verkommt, als cineastisches durch. Getragen wird es durch die beiden Hauptdarsteller Anand Batbileg – der Sohn eines mongolischen Diplomaten ist eine Neuentdeckung – als Tschick und Tristan Göbel („Winnetous Sohn“) als Maik. • Wolfgang Herrndorf: „Tschick“, Rowohlt Verlag, Hamburg 2014, 256 Seiten, EUR 8,99, ab ca. 14 Jahren. Im Kino ab 15.9.2016.

Jetzt auf der Leinwand:

„Conni & Co.“ Huch, was ist denn jetzt passiert? Eigentlich sind Conni und ihr bester Freund Paul doch unzertrennlich, und dann scheint sie ihm plötzlich nicht mehr cool genug? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Aber anscheinend will er jetzt lieber mit seinen Freunden Abenteuer erleben. Na dann, bitteschön. Aber als schließlich der Schuldirektor auch noch durchdreht und sich in den Kopf setzt, dass ausgerechnet Connis Hund Frodo ihn reich machen soll, ist’s irgendwann auch mal genug! Ein ganz klarer Fall für die coolste Oma der Welt. Gut, dass Connis Großmutter Marianne vom Gnadenhof Alltiersheim tatsächlich zur Stelle ist. Viele Kinder sind bereits mit Connis Alltagsabenteuern groß geworden – die beliebte Kinderbuchfigur im rot-weißen Ringelpullover ist mittlerweile Kult. Nun entern „Conni & Co.“ am 11.8.2016 auch die große Kinoleinwand. • Dagmar Hoßfeldt: „Conni & Co. Das Buch zum Film“, Carlsen Verlag, Hamburg 2016, 240 Seiten, 11,99 EUR, ab ca. 8 Jahren.

Ab auf die Leinwand! Ein Buch, das unbedingt verfilmt werden sollte:

„Milchmädchen“ Wahrscheinlich hat Gemmas Oma nicht gerade an diese Art von Aktivitäten gedacht, als sie mal wieder ihren Spruch losgelassen hat: „Wenn man keine Beschäftigung hat, geht man ein und stirbt!“ Aber eines steht definitiv fest: An Beschäftigung fehlt es aktuell weder ihr noch Gemma noch ihrem nervigen Bruder Darren noch einem Großteil der Bewohner der – vorsichtig formuliert – Problemsiedlung Bryn Mawr. Waren bislang hauptsächlich Diebstähle und andere Übergriffe das gemeinsame Thema, so sind es jetzt plötzlich ... Kühe! Und das alles nur, weil Gemma bei ihrem Sturz vom Fahrrad ausgerechnet Cowgirl vor die Füße geplumpst ist, dem großen, unerschrockenen und sehr eigenwilligen Mädchen, das so ganz andere Prioritäten im Leben hat als Gemma. Oder zumindest hatte. Denn jetzt steht eine gemeinsame Kuh-Rettungsaktion auf dem Programm, die die beiden Mädchen, Gemmas ganz und gar nicht heile Familie, Mr. Banerjee mit seinem höchst attraktiven Enkel Karuma und sogar Außenseiter wie den verrückten Morris zusammenbringt ... Walisische Landidylle? Von wegen! Eine schräge Geschichte mit einem sehr optimistischen Ausklang, die aber dennoch Problemthemen nicht links liegen lässt. Schwierige soziale Verhältnisse, Perspektivlosigkeit, familiäre Konflikte auf der einen Seite; Mut zu ungewöhnlichen Maßnahmen, neue Freundschaften und unerwartete Solidarität auf der anderen. Aufgrund der großartigen, z. T. höchst skurrilen Charaktere, der herrlich absurden Wendungen und eines Spritzers Romantik bietet sich die originelle Kuh-Aktivisten-Story nachdrücklich als Filmvorlage an. • G.R. Gemin: „Milchmädchen“. Königskinder, Hamburg 2016, 272 Seiten, 16,95 EUR, ab ca. 12 Jahren.


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Informationen No. 75

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„Ocean Twist“ von Phlipp Artus

5 Filme ... von John Chambers

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Editorial „Ocean Twist“ von Philipp Artus 5 Filme ... von John Chambers Interview mit der Produzentin Undine Filter 60 Der neue Film von Damian John Harper 62 News & Meldungen

56 Gespräch mit Undine Filter 60

Damian John Harper

KURATORIUM JUNGER DEUTSCHER FILM Schloss Biebrich, Rheingaustraße 140, 65203 Wiesbaden Internet: www.kuratorium-junger-film.de

Foto: C. Henry

Das Kuratorium junger deutscher Film ist eine öffentliche Stiftung und die einzige von den Ländern gemeinsam getragene Filmförderinstitution. Seine Aufgabe ist es, den filmkünstlerischen Nachwuchs zu fördern, zur künstlerischen Entwicklung des deutschen Films beizutragen und diese anzuregen.

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Kuratorium junger deutscher Film

Editorial: Neue Internetseite

Liebe Freunde des Kuratoriums, der Sommer lässt uns freudig nach vorne blicken: Der Mai war mit dem großen – wenn auch preislosen, dadurch aber nicht weniger spektakulären – Erfolg von Maren Ades „Toni Erdmann“ in Cannes für den deutschen Film ein guter Monat. Und das gilt auch für das Kuratorium! Eine Förderung mit kleinem Budget, die ausschließlich Kinder- und Talentfilme fördert, ist an den ganz großen Erfolgen bei Festivals und Filmpreisen oder (wünschenswert wäre natürlich und) beim Publikum nur ganz selten beteiligt. Umso schöner ist es natürlich, wenn das wie beim Erfolg des Boxerdramas „Herbert“ von Thomas Stuber beim Deutschen Filmpreis doch der Fall ist (dazu mehr auf S. 56). An Maren Ades Cannes-Erfolg war das Kuratorium nicht beteiligt, die Regisseurin ist der

Nachwuchssparte entwachsen. Dafür freut sich das Kuratorium umso mehr, dass es vor neun Jahren bereits „Alle Anderen“, Maren Ades ersten Film nach der Filmhochschule mit Produktionsförderung unterstützt hat. So hat das Kuratorium frühzeitig eine Regisseurin gefördert, die heute als Aushängeschild des deutschen Films im In- und Ausland gilt und deren aktuelles Projekt dem deutschen Film ein kleines Sommerwunder beschert hat. Ein solcher Erfolg ist ohne die frühe Unterstützung von RegisseurInnen nicht möglich. Dort sieht das Kuratorium seine zentrale Aufgabe, seine Mittel gezielt einzusetzen. Talentierte RegisseurInnen und herausragende Kinderfilmprojekte zu finden, das ist auch in Zukunft das Ziel des Kuratoriums. Dabei ist der persönliche Austausch und Kontakt mit den

AntragstellerInnen besonders wichtig und soll in den kommenden Monaten und Jahren noch weiter intensiviert werden. Dafür steht die neue Internetseite des Kuratoriums, die am 8. August online gehen wird. Sie soll die zentralen Fragen der AntragstellerInnen schneller und übersichtlicher beantworten. Außerdem soll sie dazu einladen und motivieren, sich mit Fragen zu den Projekten sowie den Regularien des Kuratoriums an die Geschäftsstelle des Kuratoriums sowie die beiden Projektbetreuerinnen Gabriele Brunnenmeyer und Annette Friedmann zu wenden. Wir freuen uns auf die neue Seite und den so lange überfälligen frischeren Außenauftritt und sind gespannt auf das Feedback unserer AntragstellerInnen! Einen schönen Sommer wünschen Anna Schoeppe und Andreas Schardt

Foto: MollyMonster©2011 Sieger/Little Monster /Alexandra Schatz Filmprod/Trickstudio Lutterbeck/Slugger Film

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Kuratorium junger deutscher Film

„Ocean Twist“. Animationsfilm von Philipp Artus

In Bewegung Nach seinem erfolgreichen Kurzfilm „Snail Trail“ ist ein neuer, visuell ungewöhnlicher Experimentalkurzfilm von Philipp Artus in Entwicklung. Das Kuratorium junger deutscher Film hat das Projekt „Ocean Twist“ im Frühjahr 2015 gefördert. Es sind die Naturgewalten und die Wellen, welche die Welt in „Ocean Twist“ bestimmen. Unaufhörlich kreist das Geschehen um seine eigene Achse und die traumähnliche Narration verflicht die mythischen Figuren in Turbulenzen und kontemplativer Ruhe. Fragmenthafte Szenen wirbeln mit spektakulären Bildern und Klängen umher, um sie in eine ruhige, surrealistische Poesie zu verwandeln.

Philipp Artus (*1982 in Bremen) absolvierte ein Kunststudium an der École supérieure des Beaux Arts in Nantes, bevor er sich einem autodidaktischen Studium der Charakteranimation und Musiktheorie widmete. 2012 schloss er sein postgraduales Studium mit Schwerpunkt Experimentalfilm und Lichtinstallation an der Kunsthochschule Köln ab. Im Rahmen dieses Studiums entstand auch „Snail Trail“. Für „Ocean Twist“ wird er wieder mit digitaler Computeranimation und analogem Laserverfahren arbeiten und diese Technik zudem mit der Partikelanimation kombinieren. Auch Geräusche und Soundeffekte werden in der Animationsarbeit direkt mit dem entstehenden Bild verwoben – die Klangwelt wird sichtbar.

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Kuratorium junger deutscher Film

5 Filme, die John Chambers begleiten Was heißt „begleiten“? Nach welchen Kriterien kann man fünf von den tausenden schönen und unschönen Filmen auserwählen, die man im Laufe eines Lebens

1. BLADE RUNNER USA 1982. Regie: Ridley Scott. Drehbuch: Hampton Fancher, David Webb Peoples.

Ein Traum von einem Film. Der Film, den ich am meisten geschaut habe, allerdings seit vielen Jahren nicht mehr. Ein Rausch von Zeit und Liebe und Regen und Off-Planet Geschehnissen, die stellvertretend für den modernen mittelalterlichen Himmel stehen. Mit Daryl Hannah als Engel. Ich bevorzuge nicht den Director’s Cut, sondern die erste alte Fassung mit Voiceover und der Stelle, wo Harrison Ford den Ladenbesitzer bedroht und offensichtlich das nicht sagt, was wir hören – ein Beweis, dachte ich damals, für die Unberechenbarkeit seiner Welt, und wer weiß, von unserer auch. Vielleicht ist „Blade Runner“ ein Film wie bestimmte Romane, die man jung lesen muss, damit sie ihre volle Wucht entfalten. Später geht’s dann nicht. Ein Freund, der den Film in seinen 40 Jahren verpasst hat, war leicht enttäuscht. Ich habe seine Enttäuschung als Warnung verstanden. Meine Kinder sollten so jung wie möglich den Film anschauen. Und ich gucke mit.

und einer oft verschwänzten Schulkarriere gesehen hat? Wo fängt man überhaupt an? Tatsache ist: Lieblingsfilme kann man genau so wenig aussuchen wie Lieblingskinder. Aber wer hat was von Lieblingsfilmen gesagt? Wir sind doch beim „Begleiten“. Ich habe mich für fünf Filme entschieden, die ich (damals) gesehen habe und danach sofort wiedersehen wollte. Das ist mein Kriterium. Vielleicht sind es daher eher Filme, die ich in jüngeren Jahren gesehen habe, wo das Herz etwas weicher ist und das Sitzfleisch härter. Die Wahl habe ich spontan vorgenommen, ohne viel nachzudenken, wahrscheinlich weil die Filme sowieso immer da sind, zugleich tief in meinem Gehirn verankert und kurz unter der Oberfläche.

2. GANDHI Großbritannien/USA/Indien 1981/82. Regie: Richard Attenborough. Drehbuch: John Briley.

Mein erster dreistündiger Film. Ich hatte die Schule geschwänzt und saß in der Matinée in „The Screen Cinema“, College Green, Dublin. Damals konnte man einmal zahlen und einfach im Kino sitzen bleiben. „Ghandi“ hat mich an diesem Tag wie kaum ein anderer Film seitdem gefesselt und zwar neun Stunden lang. Ich blieb dreimal sitzen und torkelte beseelt und betroffen nach Hause. Die potente epische Mischung aus Story, fremder Welt und Charakteren hat mich fasziniert, und wer weiß, vielleicht spielte im Unterbewusstsein auch die koloniale Geschichte zwischen Irland und Großbritannien eine kleine Rolle. Obwohl anders und fremd, kam mir vieles bekannt und vertraut vor. Jahre später, in London, kaufte ich in einem Zweitehandbuchladen das Drehbuch zum Film von John Briley und war überrascht wie eins zu eins alles war. Das Buch war auch nicht angepasst. Im Vorwort schrieb Sir Richard Attenborough, dass es das perfekteste Drehbuch war, das er je gelesen hatte. Er hat nichts, aber auch gar nichts, geändert.


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5. DAS DSCHUNGELBUCH The Jungle Book. USA 1967. Regie: Wolfgang Reitherman

3. MY FAIR LADY USA 1963. Regie George Cukor. Drehbuch: Alan Jay Lerner.

Ein Film, der zum Glück immer im Fernsehen über Weihnachten zu sehen war. In IrIand gab es damals wenige Sender (2), und in der Vor-Videorekorder-Zeit waren sie die einzige Quelle. Zudem war es ein Film, von dem ich die Schallplatte besaß und alle Lieder auswendig kannte (und immer noch kenne). Gesungen hat eine andere als Audrey Hepburn, aber man merkte es nicht. Noch weniger störte, dass Rex Harrison gar nicht singen konnte. Die Lieder sind fantastisch. Die Texte und Dialoge sind witzig und fein poliert. Die Damen tragen bessere Hüte als der Papst und seine Kardinäle. Irgendwie „oddly satisfying“ in einem Film, in dem sprachliche Korrektheit eine oberwichtige Rolle spielt, enthält er eine grammatikalische Ungereimtheit an einer Stelle, als Professor Higgins ein Klagelied über falsches Englisch und die „Kriminellen“ singt, die die Sprache ermordet haben. Sie gehören erhängt, singt der milde Professor, „hung, for the cold-blooded murder of the English tongue“. Aber Menschen werden „hanged“ not „hung“. Ein Schönheitsfehler in einem sonst perfekten Film.

4. DER MANN, DER KÖNIG SEIN WOLLTE The Man Who Would Be King. Großbritannien 1975. Regie: John Huston. Drehbuch: John Huston, Gladys Hill.

Ein Film, den ich vielleicht zuerst mit zehn gesehen habe und sofort wiedersehen wollte. Aber die Chancen waren noch geringer als bei „My Fair Lady“. Lange danach noch faltete ich abends hoffnungsvoll die Zeitung auf, um das mickrige Fernsehprogramm anzuschauen und irgendwann, ich weiß es noch, stand der Film tatsächlich da. An diesem Abend gab es dann einen Stromausfall, und ich war nicht zu trösten. Ich musste mich dann noch ein paar Jahre gedulden, und daher ist der Film im meinem Kopf zum Erwartungsmaßstab geworden. Aber die Erwartungen wurden erfüllt. Tolle Regie, feine Besetzung, unglaubliche Landschaften (kein CGI) und nicht mal ein Hauch an politischer Korrektheit. Alles was ich als Kind komplett übersehen durfte. Und der Film hat eine Sterbeszene mit einem singenden Sean Connery, die nicht zu toppen ist. Und ein Abenteuer mit britischen Söldnern unterwegs mit Regime-Umsturzgedanken in der Nähe von Afghanistan! Und eine spannende Geschichte erzählt von „einem, der dabei war“, Michael Caine. Ein Lehrstück an Kino als große Geschichte.

Ich merke, dass ich unbeabsichtigt immer wieder im Sub-Kontinent lande. Was hat denn das zu bedeuten? Ist es etwa das Traumland meiner Kindheit? Im echten Leben war ich nie dort, vielleicht sollte ich das bald ändern. Und zufällig bin ich wieder bei einer Rudyard-Kipling-Erzählung, nur diesmal von Walt Disney adaptiert und mit Liedern und Bildern beglückt. Wie toll die Songs, wie packend die Geschichte des jungen Mowgli, wie unvergesslich die Charaktere. Das muss man erstmal schaffen. Und wer hat es öfter hinbekommen als Disney und sein Team, und besser als in seinem Dschungelbuch? Es ist ein Meis-terwerk an Animations-, Erzähl- und Zeichenkunst. In Bildern liegt Verständnis, schrieb Aquinas, und in der gezeichneten Linie entdecken wir den Anfang und den Umfang von Bildern. Film ist eine Bildsprache. Animation heißt Leben einhauchen und ist die Wurzel und der Anfang der ersten bewegten Bilder. Klar und einfach, sprechen sie nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene an. Kinder von Kindern sind wir. Wie kann es anders sein?

John Chambers kam 1968 in Irland auf die Welt und landete nach einem Umweg über New York in Berlin, wo er heute mit seiner Familie lebt. Er ist Zeichner und Autor, schreibt Comics und Animationsserien, u.a. „Ted Sieger’s Molly Monster“. Außerdem entwickelt er Konzepte, schreibt und illustriert Kinderbücher, u.a. die „Granny Samurai“-Bücher und „Helene und Alannah Geschichten aus dem Kindergarten“ (mit Bildern von Katja Gehrmann). Für seine Kinodrehbücher „Der Letzte Neanderthaler“, „Molly Monster der Film“ und „Die Olchis – der Film“ hat er dreimal den Deutschen AnimationsDrehbuchpreis gewonnen. Wenn er nicht schreibt und zeichnet, unterrichtet er, was weder er noch seine alten Lehrer je erwartet hätten. „Molly Monster“ wurde bereits in der Projektentwicklung und später in der Produktion durch den gemeinsamen Ausschuss des Kuratoriums mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. Der Film feierte Weltpremiere auf der diesjährigen „Berlinale“ und läuft ab 8.9.2016 in den deutschen Kinos.


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Peter Kurth in „Herbert“

Verständnis für andere Kulturen. Gespräch mit Undine Filter

Über Herbert, Cannes und Frauen Undine Filter ist eine deutsche Filmproduzentin und Mitgründerin der Leipziger Produktionsfirma DEPARTURES Film. Sechs Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme haben sie und Thomas Král seit 2010 bei DEPARTURES Film hergestellt. „Herbert“ des Regisseurs Thomas Stuber, mit dem sie zuvor schon seinen mit dem Studenten-Oscar prämierten Abschlussfilm „Von Hunden und Pferden“ realisierten, war beim Deutschen Filmpreis 2016 in fünf Kategorien nominiert und konnte drei Preise mit nach Hause nehmen. Das u.a. vom Kuratorium junger deutscher Film geförderte Langfilmdebüt handelt von dem Ex-Profiboxer und Geldeintreiber Herbert Stamm, der an ALS erkrankt und erkennt, dass er alte Fehler wieder gut machen muss – bevor es zu spät ist. Die dichte Milieu- und Charakterstudie konnte auf zahlreichen internationalen Festivals überzeugen, die Autoren Thomas Stuber und Clemens Meyer waren auch für den Deutschen Drehbuchpreis 2014 nominiert. In diesem Jahr war Undine Filter Teil des Programms „Producers on the Move“ der European Film Promotion, welches jährlich im Rahmen der Film-

festspiele in Cannes stattfindet. 20 vielversprechende europäische Nachwuchsproduzenten werden eingeladen, um Kontakte zu knüpfen und anstehende Projekte zu pitchen. Wir haben Undine Filter gefragt, wie sie die aufregende erste Jahreshälfte 2016 erlebt hat. Frau Filter, herzlichen Glückwunsch zum Erfolg von „Herbert“ beim Deutschen Filmpreis. Nachdem der Film bereits im Frühjahr in den Kinos lief, erwarten Sie nun noch einmal einen Aufschwung in der Auswertung? Filter: Der Deutsche Filmpreis ist die renommierteste Auszeichnung für deutsche Filme, und die drei Lolas für „Herbert“ sind eine großartige Bestätigung – nicht nur für uns als Produzenten und den Regisseur Thomas Stuber, sondern für alle Beteiligten. In der Auswertung konnten wir tatsächlich

nochmal einen kleinen Aufschwung verzeichnen, aber der Deutsche Filmpreis ist beim Publikum nicht mit den Oscars zu vergleichen. Zudem drängen jede Woche zahlreiche neue Filme in die Kinos, die den Platz für die Lolaprämierten Filme besetzen. Das muss man realistisch sehen. Der Deutsche Filmpreis wird sehr stark von der Branche, aber weniger stark vom Publikum wahrgenommen. Ich wünsche mir für die Lolas eine ähnliche Präsenz in Deutschland wie die Oscars, und da sind wir auch als Mitglieder der Deutschen Filmakademie gefragt, den Filmpreis attraktiver und publikumswirksamer zu gestalten. Er muss in den Hauptnachrichten präsent sein und eine größere Außenwirkung erlangen. Sie haben gesagt, „Herbert“ sei kein einfacher Film. Was hat Sie an dem Stoff überzeugt, ihn zu produzieren?


Foto: Departures Film/Filmakademie Baden-Württemberg

Kuratorium junger deutscher Film

Thomas Stubers Abschlussfilm „Von Hunden und Pferden“

Filter: „Herbert“ will man nachts nicht auf der Straße begegnen. Der ExBoxer und Schuldeneintreiber hat sich immer über seine Muskeln definiert, er hat so einiges in seinem Leben falsch gemacht. Sympathieträger ist er keiner. Es ist nicht einfach, ihn zu mögen, und immer, wenn man ihm doch näherkommt, verbockt er erneut etwas, obgleich guter Absichten. „Herbert“ ist derart körperlich erfahrbar, dass es oft weh tut, er erinnert an die eigene Vergänglichkeit. Sobald man sich auf die Figur eingelassen hat, lässt sie einen nicht mehr los. Das macht es dem Zuschauer anscheinend nicht leicht, in der Entscheidung ein Ticket für den Film zu lösen, wie das Kinoergebnis gezeigt hat. Das ist aber genau das, was mich an dem Film gereizt hat. Die deutsche Filmlandschaft braucht neben dem Mainstream auch künstlerisch und thematisch anspruchsvolle Filme, um vielfältig und lebendig zu bleiben. „Herbert“ spielt in Leipzig, Thomas Stuber wurde dort geboren, DEPARTURES Film hat dort ihren Sitz. Was reizt Sie an der Stadt? Filter: Leipzig ist jung und lebendig und verzeichnet jährlich mit die höchsten Einwohnerzuwächse. Ich wohne seit sechs Jahren hier, das Stadtbild verändert sich gefühlt täglich. Neue Cafés, Restaurants, Galerien, Läden eröffnen, es gibt eine lebendige Musikszene, viele neue Unternehmen siedeln sich hier an. In anderen Groß-

städten, auch in Berlin, ist es schwer geworden, seine Nische zu finden. In Leipzig ist vieles möglich, weil noch nicht alles seit Jahrzehnten festgeklopft ist. Mit der Mitteldeutschen Medienförderung haben wir hier als Produktionsfirma einen starken, zuverlässigen Partner, der „Herbert“ von Anfang an bereits in der Stoffentwicklung und später mit einem großen Förderbetrag in der Produktion unterstützt hat. Bei anderen Projekten konnten wir ebenfalls auf die MDM zählen. Zudem verfügen wir über gute Produktionsbedingungen, professionelle Teammitglieder und vielfältige Locations, und das bezieht sich nicht nur auf Leipzig, sondern auf ganz Mitteldeutschland. Nun geht es für Sie gleich zum nächsten Projekt: Sie nehmen an Producers on the Move teil. Wie sieht das Auswahlverfahren für das Programm aus? Filter: German Films unterbreitet einen Vorschlag, und die European Film Promotion wählt dann nach einem Punktesystem aus. Zu den Richtlinien gehört, dass man maximal 45 Jahre alt sein darf, mindestens eine, maximal drei internationale Koproduktionen realisiert und auf Festivals und auf dem internationalen Markt erfolgreich ausgewertet hat. Wir haben uns mit einer Projektbeschreibung beworben, die dann auch die anderen Producer bekommen haben. In dieser sind neben der Inhaltsangabe und dem

Finanzierungskonzept Partnerwünsche und Filmografie enthalten. So kann man ein Gespür dafür bekommen, ob der Produzent oder die Produzentin als Partner in Frage kommt. Was bedeutet das Programm für Sie? Filter: Der Titel ist eine Auszeichnung, dafür bin ich der European Film Promotion und German Films sehr dankbar. Er richtet ein Spotlight auf unsere Firma. Die internationale Fachpresse hat darüber berichtet, sehr viele Kollegen, auch internationale, haben mich in Cannes darauf angesprochen. Und ganz konkret schafft das Programm eine ruhige Insel in Cannes zum Networken, wo man ansonsten nur von einem Termin zum nächsten eilt. Das bietet eine tolle Chance, weil man sich sowohl mit den anderen Teilnehmern inhaltlich als auch persönlich intensiver austauschen kann. Haben sich interessante Projekte für eine Koproduktion ergeben? Filter: Mit einigen Teilnehmern spreche ich derzeit über eine mögliche gemeinsame Zusammenarbeit. Ob die Zusammenarbeit dann de facto stattfindet, hängt – wie bei anderen Projekten auch – davon ab, wie die weitere Entwicklung des Drehbuchs voranschreitet oder ob die majoritären Produzenten aus ihrem Land Gelder bekommen usw. Oft – so ist meine Erfahrung – ist es nicht das erste Projekt, über das man sich austauscht,

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„Herbert“: Allein Peter Kurths Gesicht erzählt erschütternde Epen...

was man dann schlussendlich gemeinsam produziert, sondern das zweite oder gar dritte Projekt, wo man dann zusammenfindet. Producers on the Move bietet einen tollen Rahmen fürs gegenseitige Kennenlernen, man darf es aber nicht an kurzfristigen Ergebnissen messen, sondern muss die Langzeitwirkung betrachten. Ich bin sicher, dass sich langfristig unter uns mehrere Koproduktionen entwickeln. Innerhalb weniger Tage hat sich eine tolle Gemeinschaft europäischer Nachwuchsproduzenten gebildet. Wir sind weiterhin miteinander vernetzt, halten uns über zukünftige Projekte auf dem Laufenden, verfolgen unser Schaffen und supporten uns. Auf welchen der eingeladenen Produzenten haben sie sich am meisten gefreut? Filter: Natürlich war ich auf alle sehr gespannt, insbesondere aber auf die weiblichen Repräsentanten, etwa die polnische Kollegin Klaudia Smieja und die litauische Kollegin Dagne Vildžiunaite, die ich beide bereits kannte. Ich fand es toll, dass unter den 20 ausgewählten Teilnehmern acht Frauen waren. Das Filmgeschäft braucht die weibliche Perspektive, und da ist es wichtig, dass wir untereinander verstärkt networken, unsere Erfahrungen austauschen und uns gegenseitig unterstützen. Können Frauen im Produktionsbereich leichter Fuß fassen als im Regie- oder Technikdepartment? Filter: Wir Frauen werden oft als die besten Assistenten gesehen, und als solche können wir in jedem Department gut Fuß fassen. Der Sprung aber

zu Positionen wie Produzentin, Regisseurin, Kamerafrau, wo man größere Verantwortung trägt, Entscheidungen fällen und dafür einstehen muss, gelingt Männern einfacher. Es gibt nicht so viel mehr Produzentinnen als Regisseurinnen. Vielleicht scheuen Frauen diese Verantwortung manchmal mehr – das ist eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass Frauen weniger zugetraut wird. Ich finde es wichtig, dass das Thema Gleichberechtigung im Filmgeschäft – vor und hinter der Kamera – endlich umfassender betrachtet wird und nicht nur von der Branche selbst, sondern auch von der Politik wahrgenommen wird. Studien hierzu, Panels, Aufmerksamkeit in den Medien – das alles ist enorm wichtig. Aber auch wir Frauen können konkret was tun, um unsere Chancengleichheit zu erlangen: untereinander verstärkt networken, Verantwortung übernehmen, Präsenz zeigen und uns gegenseitig supporten. Was verbirgt sich hinter dem Namen Ihrer Produktionsfirma DEPARTURES Film?

Filter: Wir haben das Element des Aufbruchs in unseren Namen verankert, weil wir als Produktionspartner unseren Autoren und Regisseuren zu dem Aufbruch verhelfen wollen, ihre Visionen umzusetzen. Und Filme entführen wie Reisen in fremde Welten und können zu neuen Sichtweisen verhelfen. Da passt DEPARTURES Film für uns genau. Welche Ziele haben Sie sich als Produzentin gesteckt? Filter: Natürlich wollen wir als Firma wachsen, was immer mit höheren Finanzierungsanteilen bzw. Budgets oder mehr Projekten einhergeht. Genauso wollen wir – ganz im Sinne unseres Firmennamens – zu einem Aufbruch und einem Verständnis für andere Kulturen beitragen. Europäische Koproduktionen sind ja auch Ausdruck der europäischen Idee als Ganzes, und die ist in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. „Herbert“ ist der erste Film, den Sie mit Unterstützung des Kuratoriums realisiert haben. Wie sehen Sie den Stellenwert dieser Förderung?

Undine Filter


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... wobei sich die Gefühle auf dem Weg in den sicheren Tod nicht abschütteln lassen.

Filter: Das Kuratorium ist eine großartige Förderinstitution, weil sie explizit für den Filmnachwuchs zuständig ist. Gerade mit Debüt- und zweiten Filmen gestaltet sich die Finanzierung nie einfach. Die finanzielle Unterstützung des Kuratoriums stellt – obgleich nur ein geringer Anteil auf das Gesamtbudget gesehen – eine echte Initialzündung für weitere Finanzierungspartner dar. Ein Großteil der Länderförderer kann da die Stoffe bereits lesen, bevor man an deren Tür klopft.

Für das Kuratorium sprach Kristina Rose mit Undine Filter.

Sieg nach Punkten Beim Deutschen Filmpreis 2016 konnte

„Herbert“, der Debütfilm von Thomas Stuber, bei fünf Nominierungen drei Trophäen mit nach Hause nehmen. Was für ein Abend! Dreimal kann sich das Team von „Herbert“ am 27. Mai bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises freuen. Hanna Hackbeil erhält die Auszeichnung für ihre herausragenden Leistungen beim Maskenbild, Peter Kurth für seine intensive Darstellung des Herbert und Undine Filter, Thomas Král sowie Anatol Nitschke bekommen die Silberne Lola in der Kategorie Bester Spielfilm. Thomas Stubers Debütfilm wird auch von den Kritikern gelobt, oft fällt der Vergleich zu Fassbinders „Männermelodramen aus den 70er Jahren“ (epd), es wird vom Kitsch dieser „grandios sentimentalen Geschichte“ (ZEIT online) gesprochen. Da ist einmal der harte Kerl: Ex-Boxer, einst der „Stolz von Leipzig“, heute Geldeintreiber mit kurzrasierten Haaren und Tattoos, die teilweise aus seiner Knastvergangenheit stammen. Auf der anderen Seite ist da Herbert, der Mann, der immer mehr die Kontrolle verliert und nicht will, dass seine Freundin Marlene ihn pflegen muss, während Körper und Stimme versagen. Nur noch selten verlässt er seine schützende Wohnung. Diesen Kampf mit dem Körper, der nicht mehr das tut, was Herbert will, wird von Peter Kurth bis ins Detail dargestellt. „In Hollywood würde es dafür einen Oscar geben“, schreibt der NDR. Fotos „Herbert“: Wild Bunch

Wie sehen Ihre nächsten Projekte aus? In diesem Jahr stellen wir „Sie nannten ihn Spencer“, einen Dokumentarfilm in Form eines Roadmovies über und mit Bud Spencer, fertig. Regie führt der Österreicher Karl-Martin Pold. Bei dem Projekt handelt es sich um eine internationale Koproduktion zwischen DEPARTURES Film und EPO Film, Österreich. Dann sind wir in der Finanzierung des Sozialdramas „Passed By Censor“ des kurdischen Regisseurs Serhat Karaaslan, einer Koproduktion mit der Türkei und Frankreich. Der Stoff behandelt als zentrales Thema Überwachung, wurde im Rahmen der Cannes Cinéfondation Résidence entwickelt und 2015 beim Berlinale CoProduction Market präsentiert. Und dann wagen wir uns mit „Magic Quill“, einer majoritär tschechischen Produktion, erstmals in den Bereich Family Entertainment. Außerdem möchten wir unbedingt weiter mit Thomas Stuber zusammenarbeiten und sprechen gerade über mögliche neue Projekte. •

„Herbert“. Erfolgreich im Rennen um die Lolas


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Kuratorium junger deutscher Film

Ein Kriegsveteran kehrt heim. „In the Middle of the River“

Gegen die Fluten Damian John Harper drehte in New Mexico „In the Middle of the River“. Nach „Los Ángeles“ fördert das Kuratorium nun auch den zweiten langen Spielfilm von Damian John Harper. Reinhard Kleber hat mit den Produzenten Jakob D. und Jonas Weydemann über Entwicklung, Produktion und Finanzierung des Projekts gesprochen.

Vor zwei Jahren zeigte der US-Amerikaner Damian John Harper, der seit 2002 in Deutschland lebt, sein Langfilmdebüt „Los Ángeles“ auf der Berlinale und gewann dafür später den First Steps Award. Das Drama über junge Mexikaner, die illegal in die USA ausreisen wollen, entstand nicht zuletzt dank der Förderung durch das Kuratorium junger deutscher Film. Jetzt hat der 1978 in Boulder in Colorado geborene Filmemacher, der an der Hochschule für Film und Fernsehen München Filmregie studierte, in den USA seinen zweiten Langfilm gedreht. „In der Mitte des Flusses“ handelt vom 26-jährigen Irak-Kriegsveteranen Gabriel, der nach dem Tod seiner Schwester ins ländliche New Mexico heimkehrt. Weil er glaubt, dass der gewalttätige Großvater für ihren Tod verantwortlich ist, will er ihn töten. Doch im Moment der Wahrheit wird das Vorhaben durch einen Passanten vereitelt. Aufgrund besonderer Umstände müssen Gabriel und der Großvater, der ebenfalls Kriegsveteran ist, den Tag gemeinsam verbringen und beginnen, sich über ihre traumatischen Erfahrungen auszutauschen. Dabei reift in Gabriel allmählich eine Erkenntnis. Wie Harpers Regiedebüt wurde auch sein zweites Werk von der jungen Firma Weydemann Bros. mit Sitz in Köln, Berlin und Hamburg produziert. ARTE und ZDF/Das kleine Fernseh-

spiel wirken als Koproduzenten mit. Förderungen gewährten die Film- und Medienstiftung NRW, Mitteldeutsche Medienförderung, Kuratorium junger deutscher Film und Deutscher Filmförderfonds. Die Weydemanns zählen bereits zu den Produktions-Senkrechtstartern der Branche. „Uns leitet die Vision eines gleichermaßen politischen und unterhaltsamen Kinos“, sagen Jakob und Jonas Weydemann. „Für uns ist Film immer kritische Beobachtung der Zeit und der Welt, in der wir leben.“ Binnen weniger Jahre haben die Brüder eine Reihe sehenswerter Projekte realisiert und etliche weitere im Köcher. „Bei der Projektauswahl muss uns zuallererst die Geschichte, die Idee, begeistern“, sagt Jakob Weydemann. „Es geht uns um das Erzählen mitreißender und besonderer Geschichten, egal in welcher Form, ob als Spielfilm mit Laien in Mexiko (‚Los Ángeles‘) oder Moldawien (‚Anishoara‘), als Komödie fürs Kino (‚Sex & Crime‘) oder Fernsehen (‚Vorstadtrocker‘), als Dokumentarfilm (‚…und die Suche nach Glück‘) oder Serie (‚Ph4nt0m Jäger‘).“ Sehr wichtig sei vor allem „die enge Zusammenarbeit mit Regisseuren und Autoren, meist jungen Talenten, mit denen wir gemeinsam wachsen“. Wo und wie lange wurde der Film gedreht? Jonas Weydemann: Wir haben in den USA 28 Drehtage im Bundesstaat New

Mexico durchgeführt. Die Locations waren alle in und um die Stadt Farmington herum angesiedelt. Dazu kam ein Drehtag in Köln. War das Projekt schwierig zu finanzieren? Jonas: Zum Glück war es vergleichsweise einfach, obwohl die Struktur ja schwierig war, weil das Projekt größtenteils außerhalb Deutschlands realisiert werden sollte. Unerlässlich dafür war, dass alle Partner die bereits bei „Los Ángeles“ dabei waren, sehr an das Projekt geglaubt haben und relativ schnell überzeugt werden konnten, auch bei „In der Mitte des Flusses“ wieder dabei zu sein. Wie hoch ist das Budget? Jonas: Es beträgt 1,3 Millionen Euro. Welche Förderung hat am höchsten gefördert? Jonas: Den größten Förderanteil haben wir von der Film- und Medienstiftung NRW erhalten, die 420.000 Euro bereitgestellt hat. Welche Rolle spielt das Kuratorium für das Schnüren des Gesamtpakets? Jonas: Das Kuratorium spielt eine sehr wichtige Rolle. Sowohl bei „Los Ángeles“ als auch bei „In der Mitte des Flusses“ war es die erste Förderung, die an Bord gekommen ist. Dadurch trägt das Kuratorium das höchste Risiko, dass das Projekt eventuell nie vollständig


finanziert wird. Damit gibt es einen sehr wichtigen Anschub. Darüber hinaus lag das Projekt im Gremium des Kuratoriums zum ersten Mal bereits allen später hinzugekommen Förderern vor und hat somit hier den ersten positiven Bescheid auch der anderen beteiligten Förderungen erhalten. Inwiefern hat die Cinéfondation in Cannes geholfen, das Sujet zur Drehreife zu bringen? Jakob: Die Cinéfondation hat einen tollen Rahmen geboten als Ort, an dem man sich sowohl zum Schreiben zurückziehen als auch in Austausch mit anderen internationalen Filmemachern treten kann. Hier hat Damian das Drehbuch entscheidend weiterentwickelt. Gab es bei der Drehvorbereitung in den USA Hindernisse, etwa bei erforderlichen Drehbedingungen? Jonas: In jedem Land gibt es besondere Herausforderungen. In diesem Fall gab es zum Beispiel Schwierigkeiten mit den Arbeitsvisa. Wir haben einen Teil des Teams mit deutschen Kollegen besetzt, mit denen Damian John Harper unbedingt zusammen arbeiten wollte. Zusätzlich kam das Kamerateam aus Polen. Für alle diese Personen mussten wir Arbeitsvisa beantragen, was sich als sehr teuer, langwierig und arbeitsintensiv erwiesen hat. Aber am Ende hat es geklappt, und wir konnten die gewünschten Kollegen zum Dreh nach Amerika einfliegen lassen. Darüber

hinaus wurden in New Mexico in den letzten Jahren vor allem große Serien wie „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ mit großen Budgets und immensem Erfolg gedreht. Da es sich bei „In der Mitte des Flusses“ im Gegensatz dazu um ein Low Budget Projekt handelt war es für uns anfangs schwer Teammitglieder für den Dreh zu gewinnen. Aber am Ende konnten wir mit einem spannenden Projekt überzeugen und haben ein sehr engagiertes und kreatives Team zusammenstellen können.

Jakob: Wie schon beim Debütfilm ist Damian die Authentizität seiner Geschichte sehr wichtig. Entsprechend legt er vor allem bei der Besetzung Wert darauf, mit Laien oder Schauspielern zu arbeiten, die eigene persönliche Erfahrungen mitbringen, die denen der Figuren nahe kommen, und die sich so in die Filmgeschichte und die Emotionen der Filmfigur hineinfühlen können.

Hat der Filmtitel eine tiefere Bedeutung? Jakob: Einerseits ist der Fluss die Grenze zwischen dem Bundesstaat New Mexiko und dem Native American Reservat Navajo Nation, dem Gebiet auf dem die Native Americans viele Rechte der Selbstverwaltung haben. Andererseits steht der Fluss im übertragenden Sinne für all die Fluten, die die Hauptfigur des Films, Gabriel, wegreißen und gegen die er sich stemmen muss.

Welche Figuren spielen Eric Hunter, Max Thayer, Nikki Lowe, Matt Metzler? Jakob: Eric Hunter spielt die Hauptfigur Gabriel, der über ein Wochenende zu seiner Familie zurückkehrt. Max Thayer spielt die Rolle des Großvaters von Gabriel, Laurence. Nikki Lowe spielt die Rolle der Dana, sie ist die ehemalige Freundin von Gabriel. Und Matt Metzler spielt die Rolle des Trigger Finger, der der Antagonist ist.

Warum hat sich der Regisseur entschieden, für seinen zweiten Film einen Stoff zu realisieren, der in den USA angesiedelt ist? Jakob: Damian selbst ist in den USA geboren und aufgewachsen und hat in der Gegend, in der der Film gedreht wurde – im Vier-Länder-Eck Colorado, New Mexiko, Utah, Arizona – eine Zeit seines Studiums verbracht. Es ist eine sehr persönliche Geschichte, in die neben der Thematik des Ortes und der Situation der Native Americans auch sehr viele Geschichten seines Vaters hineinspielen, der selbst Veteran ist. Warum gerade dieser Stoff? Jakob: Damian hat eine Zeit lang in der Gegend Anthropologie studiert, an einer Universität, in der Native Americans kostenlos studieren konnten. So hatte er sehr viele Kontakte und hat die Situation auf den Reservations sehr persönlich kennengelernt. Wie ist die Besetzung zustande gekommen?

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Ist es ein rein amerikanischer Cast? Jakob: Bis auf zwei Ausnahmen ist es ein amerikanischer Cast.

Gibt es bereits einen Weltvertrieb? Jonas: Nein. Wir haben von Beginn an mit Farbfilm einen deutschen Verleih, mit dem wir auch bei „Los Ángeles“ zusammengearbeitet haben. Mit Weltvertrieben wollen wir erst zum Zeitpunkt des fertigen Rohschnitts in den konkreteren Dialog starten. Wann und wo dürfte der Film erstmals zu sehen sein? Jonas: „Los Ángeles“ konnte seine Premiere auf der Berlinale feiern, was sehr schön war. Das Drehbuch von „In der Mitte des Flusses“ ist in der Cannes Cinéfondation Résidence geschrieben worden, es bestehen also auch hier Kontakte. • Foto: André Jenchen

Foto: Weydemann Bros.

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Das Produzenten-Duo Jakob D. und Jonas Weydemann (r.)


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Kuratorium junger deutscher Film

NEWS Juli 2016 KINOSTARTS 01.09.16: „König Laurin“ Regie: Matthias Lang, Prod.: Sparkling Pictures GmbH & Co. KG, Verleih: Zorro Filmverleih/24 Bilder

In einem Königreich, in dem Pflanzen verboten sind, freundet sich der kleingewachsene Sohn des Königs ausgerechnet mit Laurin, dem Herrscher der Zwerge an, einem großen Pflanzenliebhaber. Doch als er dessen magischen Kraftgürtel stiehlt, um ein Ritterturnier zu gewinnen, gerät alles außer Kontrolle. Ein Film über Freundschaft, den eigenen Weg und den Mut, an Träume zu glauben.

08.09.16: „Molly Monster“ Regie: Matthias Bruhn, Michael Ekbladh, Ted Sieger, Prod.: TrickStudio Lutterbeck, Verleih: Wild Bunch/Central

Molly, die einzige Tochter von Mama Etna und Papa Popocatapetel, wächst umsorgt und geliebt als Kleinste der Monster-Familie in ihrer vertrauten Umgebung, dem Monsterland, auf. Alles scheint wie gewohnt, bis Mama Etna ein Ei gebiert und sich gemeinsam mit Papa Popocatapetel zur Eierinsel aufmacht – denn dort schlüpfen die Monster-Babys. Während die Eltern unterwegs zur Eierinsel sind, soll Molly in der Obhut von Onkel Alfredo und Onkel Santiago zuhause bleiben und warten. Doch sie überredet ihren Freund Edison dazu, gemeinsam Mama und Papa zu folgen, denn die haben Mollys Geschenk für das Monster-Baby vergessen. „Molly Monster“ wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ der Deutschen Film- und Medienbewertung ausgezeichnet: „TED SIEGERS MOLLY MONSTER ist ein liebevoll gezeichneter und bezaubernd inszenierter Kinderfilm, der schon kleinste Kinogänger monstermäßig glücklich machen wird.“

15.09.16: „Auf Augenhöhe“ Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf, Prod.: Westside/RatPack/Martin Richter Filmproduktion, Verleih: Tobis Film

Michi ist 11 und lebt seit er denken kann in einem Kinderheim. Als ihm eines Tages die Adresse seines unbekannten Vaters in die Hände fällt, erwartet ihn eine große Überraschung: Tom ist kleinwüchsig und stellt damit Michis Bild einer Vaterfigur total auf den Kopf. Der Weg der beiden zueinander ist steinig. Als sich die beiden schließlich annähern, bringt ein unerwartetes Ereignis noch einmal alles durcheinander …

„Auf Augenhöhe“ bekam die Bestnote von fünf Sternen der Jugend Filmjury der Deutschen Film- und Medienbewertung: „Es ist sehr spannend, wie sich die Beziehung der beiden im Laufe des Films verändert. Sie sind fast gleich groß, aber erst mit der Zeit und vielen Gefühlen wie Ablehnung, Wut und Hass begegnen sie sich auf Augenhöhe.“

22.09.16: „LenaLove“ Regie: Florian Gaag, Prod.: Rafkin Filmproduktion, Verleih: Alpenrepublik Filmverleih

Die 16-jährige Lena ist enttäuscht von ihrer Mutter, die keine Zeit für sie hat und auch noch mit dem Vater ihrer Freundin Nicole anbandelt. Mit Nicole versteht sie sich allerdings auch nicht mehr so gut und als diese ihr augenscheinlich Tim, ihren Schwarm, ausspannt und Lena von ihren Mitschülern gemobbt wird, zieht sie sich immer mehr zurück. Es bleibt ihr nur noch ihr neuer Chatfreund Noah, dem sie alles anvertraut … Der Film hat das Prädikat „besonders wertvoll“ der Deutschen film- und Medienbewertung erhalten: „Klug verknüpft der Film die reale Welt im Film mit Träumen, Einbildungen und Angstfantasien, sodass der Zuschauer, genau wie Lena, nie genau weiß, was wahr ist und was nicht.“

17.11.16 „National Bird“ Regie: Sonia Kennebeck, Prod.: Ten Forward Films, Verleih: NFP/Filmwelt

Es ist keine Utopie, dass aus sicherer Entfernung über Afghanistan und anderen Ländern Drohnen gesteuert werden, die menschliche Ziele für ihre Attacken ins Visier nehmen. Der Dokumentarfilm NATIONAL BIRD beschreibt die dramatischen Erfahrungen dreier ehemaliger Analysten der US Air Force, die sich entschieden haben, ihr Schweigen über den geheimen Einsatz dieser Kampfdrohnen zu brechen. Gequält von der Erkenntnis, wahrscheinlich am Tod von unschuldigen Opfern beteiligt gewesen zu sein, gehen sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit, ungeachtet möglicher Konsequenzen.

Alle Prädikate der FBW sowie ausführliche Bewertungen und Informationen sind zu finden auf der Internet-Seite: www.fbw-filmbewertung.com

FESTIVALS (Auswahl) Auf Augenhöhe, Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf; Prod.: Westside/RatPack/ Martin Richter Filmproduktion Kinderfilmfest München; Goldener Spatz König Laurin, Regie: Matthias Lang Prod.: Sparkling Pictures Kinderfilmfest München; Goldener Spatz Eine Kleine Dickmadam, Regie: Alla Churikova Prod.: allanimation. Goldener Spatz Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor, Regie: Christian Asmussen, Matthias Bruhn Prod.: Trickstudio Lutterbeck Internationales Kurzfilmfestival Hamburg; Festival international du film d’animation d’Annecy Ente gut! Mädchen allein zu Haus , Regie: Norbert Lechner, Prod.: Kevin Lee Film Festival des deutschen Films (Kinderfilmfest) Ludwigshafen; Goldener Spatz; Zlín Film Festival Ted Sieger’s Molly Monster – Der Kinofilm, Regie: Matthias Bruhn, Michael Ekbladh, Ted Sieger, Prod.: Trickstudio Lutterbeck Kinderfilmfest München; Goldener Spatz National Bird, Regie: Sonia Kennebeck Prod.: Ten Forward Films Sydney International Film Festival Happy Hour, Regie: Franz Müller Prod.: Gringo Films Festival des deutschen Films Ludwigshafen Herbert, Regie: Thomas Stuber Prod.: Departures Film, Deutschfilm Festival des deutschen Films Ludwigshafen LenaLove, Regie: Florian Gaag, Prod.: Rafkin Filmproduktion Goldener Spatz; Internationales Filmfestival Moskau

Auszeichnungen / Nominierungen „Ein Aus Weg“ Regie: Simon Steinhorst, Hannah Stragholz 62. Kurzfilmtage Oberhausen: Publikumspreis der WestART-Zuschauerjury „Herbert“ Regie: Thomas Stuber Deutscher Filmpreis 2016: Bester Film - Silber, Bester männlicher Hauptdarsteller (Peter Kurth), Bestes Maskenbild (Hanna Hackbeil) „König Laurin“ Regie: Matthias Lang Goldener Spatz 2016 der Kinderjury Kino-TV in den Kategorien: Bester Darsteller an Volker Zack Michalowski und Kino-/Fernsehfilm sowie Sonderpreis der Thüringer Staatskanzlei für den Regisseur Matthias Lang Filmfest München: Kinder-Medien-Preis Weißer Elefant für die Beste Kinoproduktion „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ Regie: Norbert Lechner. Filmfest München: Kinder-Medien-Preis Weißer Elefant Beste Nachwuchsdarstellerin Lynn Dortschack „Auf Augenhöhe“ Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf. Publikumspreis des Kinderfilmfest München beim Filmfest München

Einreich-/Sitzungstermine 65. Auswahlverfahren Einreichtermin: 6. September 2016 Sitzung der Auswahlausschüsse: 1. Dezember 2016: Kinderfilm 2. Dezember 2016: Talentfilm Aktuelle Informationen finden Sie unter www.kuratoriumjunger-film.de oder https://www.facebook.com/KuratoriumJungerDeutscherFilm


Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz_03/2016

DVD-Tipps

Die langen großen Ferien Les grandes grandes vacances. Frankreich 2015. Regie: Paul Leluc. DVD. 250 Min. FSK: ab 6. Anbieter: Polyband. Veröffentlichung: 26.6.2016

Wie mutig Fernsehen doch sein kann! Die zehnteilige Animationsserie aus dem französischen Studio Les Armateurs geht das Wagnis ein, aus Kindersicht und für Kinder über den Zweiten Weltkrieg zu erzählen – und verzichtet dabei auf Kompromisse. Von 1939 bis 1944 folgt die Geschichte zwei Geschwistern und deren Freunden, die in einem Dorf in der Normandie bei ihren Großeltern den Ausbruch und Verlauf des Kriegs, die deutsche Besatzung sowie die Résistance hautnah erleben. Dabei blendet die Serie die Gräuel des Kriegs nicht aus, von Enteignungen und Fliegerangriffen bis hin zu Verrat und Minenopfern. Durch Klassenkameraden erfahren die Kinder zudem auf Augenhöhe, wie die Juden verfolgt und ermordet werden – und können nicht verstehen, welches Unrecht da vor sich geht. Gerade weil nicht alles auserzählt wird, regt die ansprechend animierte Serie mit ihrer Mischung aus Ernst, aber auch Leichtigkeit Kinder zum Nachfragen an. Qualitätsfernsehen für Kinder mit Bildungspotenzial, das man nicht hoch genug loben kann – und das für Kinderfernsehproduzenten Vorbildcharakter haben sollte. – Ab 10.

Trudes Tier DVD 1. Deutschland 2014. Regie: Klaus Morschheuser, Johannes Weiland, Michael Bohnenstingl. DVD. 63 Min. FSK: ab 0. Anbieter: Release Company. Veröffentlichung: 13.5.2016

Fotos: Polyband/ WDR & Studio Soi

Trudes neuer Mitbewohner ist ein großes Wesen mit schwarzem Fell und sanfter Stimme. Irgendwie monsterähnlich. Aber vor allem sehr liebenswert und so gar nicht gefährlich. In der Animationsserie, die seit 2014 im Rahmen der „Sendung mit der Maus“ ausgestrahlt wird und deren Episoden etwa sieben Minuten dauern, ist es dieses Wesen, dass kleine Kinder zur Identifikation einlädt und als Anker für diese funktioniert. Denn das „Tier“ – dem Bernhard Hoëcker seine Stimme leiht – hat Angst vor dem Dunkeln, ist neugierig auf Geschenke, manchmal einfach sehr wütend, kann weder verlieren noch sich für Fehler entschuldigen und will stets im Mittelpunkt stehen. Die meisten der neun Episoden auf der DVD erzählen humorvoll von der Gegenüberstellung von „Da, wo ich herkomme ...“ und den Regeln, die Trude einfordert, einzelne beschäftigen sich sogar mit schwierigen Themen wie dem Tod eines Haustiers – oder drehen den Spieß um und beweisen einen guten Blick für die seltsamen Verhaltensweisen von Erwachsenen. Dabei lässt das flächige Design, für das die Comicautorin und -illustratorin Sandra Brandstätter („Paula: Liebesbrief des Schreckens“) verantwortlich zeichnet, die zurückhaltende Computeranimation der Figuren vor handgezeichneten Hintergrundbildern angenehm altmodisch wirken, während die Pastellfarben und fließenden Konturen den Bildern eine schöne Wärme und Offenheit verleihen. Eine überaus gelungene Serie aus dem kinderfilmerfahrenen Studio Soi („Der Grüffelo“, „Der Kleine und das Biest“). Fantastisch. Und doch ganz nah am Alltag. – Ab 4.

Nach »Winnetous Sohn« ein weiterer Film aus der Reihe »Der besondere Kinderfilm«:

Ente gut! Mädchen allein zu Haus Ein Film von Norbert Lechner („Tom und Hacke“) (D 2016 • 95 Min. • FSK: frei o.A. • empfohlen ab 8)

Ab 7. August in der FILMPALETTE Köln Lübecker Str. 15, 50668 Köln Infos: Tel. 0221 – 12 21 12 www.filmpalette-koeln.de

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