Filmdienst 02 2016

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FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur

02 2016

www.filmdienst.de

21. Januar 2016 € 5,50 69. Jahrgang

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NEUES AUS HOLLYWOOD Nein, das US-Kino kann nicht nur „Blockbuster“: Eine Vorschau auf die neuen anspruchsvollen Filmperlen.

LILITH STANGENBERG Demnächst flirtet sie in Nicolette Krebitz’ „Wild“ mit einem Wolf: Ein Porträt der deutschen Schauspielerin in unserer „Spielwütig“-Reihe.

MUSIK FÜR „DER MÜDE TOD“ Fritz Langs Stummfilm-Klassiker wird ein Highlight der „Berlinale“. Cornelius Schwehr hat ihn neu vertont. Ein Gespräch über das Miteinander von Bild & Klang.

Ihre Figuren stammen aus dem 3D-Drucker, wachsen einem aber ans Herz wie echte Menschen: Duke Johnson und Charlie Kaufman haben ein Meisterwerk der Puppen-Animation geschaffen.

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FILMDIENST 02 | 2016 DIE NEUEN KINOFILME NEU IM KINO

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ALLE STARTTERMINE Die 5. Welle 14.1. Alaaf you 21.1. Alvin und die Chipmunks: Road Chip 28.1. Anomalisa 21.1. Ein Atem 28.1. Bibi & Tina – Mädchen gegen Jungs 21.1. Boulevard 21.1. Brooklyn 21.1. Der Bunker 21.1. Creed – Rocky’s Legacy 14.1. Daddy’s Home 12.1. Delibal 31.12. Dilwale 7.1. Dirigenten - Jede Bewegung zählt! 28.1. Dope 28.1. Family Business 28.1. Hello, I am David – Eine Reise mit David Helfgott 21.1. Im Schatten der Frauen 28.1. Kocan Kadar Konus Dirilis 7.1. Match Me! 21.1. Passion for Planet 28.1. Point Break 21.1. Sebastian und die Feuerretter 28.1. Sumé – The Sound of a Revolution 21.1. The Hateful 8 28.1. The True Cost – Der Preis der Mode 21.1. Uns geht es gut 28.1. Valley of Love 21.1. Die Wahlkämpferin 21.1. Das Wetter in geschlossenen Räumen 28.1. Wie Brüder im Wind 28.1. Wintergast 21.1.

44 HELLO, I AM DAVID - EINE REISE MIT DAVID HELFGOTT

39 VALLEY OF LOVE

KINOTIPP  der katholischen Filmkritik

50 THE HATEFUL 8 36 ANOMALISA Außergewöhnlicher Puppen-Trickfilm über Entfremdung und die Macht der Liebe

FERNSEH-TIPPS 56 Das Erste zeigt einen herausragenden Fernsehfilm über die Arbeit einer NotfallSeelsorgerin. Viele Sender gedenken am 27.1. der Opfer des Nationalsozialismus.

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Fotos: TITEL: Paramount. S. 4/5: Paramount, Piffl, Concorde, Universum, Twentieth Century Fox, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

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02 | 2016 DIE ARTIKEL INHALT KINO

AKTEURE

FILMKUNST

16 ANOMALISA

22 IRISCHES DOPPELPORTRÄT

28 DER MÜDE TOD

10 NEUES AUS HOLLYWOOD

20 LILITH STANGENBERG

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

Von Franz Everschor

Von Alexandra Wach

Von Franz Everschor

16 ANOMALISA

22 SAOIRSE RONAN & DOMHNALL GLEESON

28 DER MÜDE TOD

Ende 2015 dominierten in den USA Blockbuster-Filme die Kinos. Und doch konnten sich ambitionierte Filme mit anspruchsvollen Themen behaupten. In den nächsten Monaten kommen sie auch in unsere Kinos.

Der virtuose Stop-Motion-Film von Charlie Kaufman und Duke Johnson erzählt witzig und tieftraurig zugleich von Einsamkeit und Liebe. Die Würdigung einer wunderbaren Anomalie in der Animationslandschaft. Von Rolf Giesen

Durch ihre flirrend-expressive Spielweise stieg die 27-Jährige schon früh zum Theater-Star auf. Im Kino glänzt sie mit eigenwilligen Auftritten wie in „Die Lügen der Sieger“. Ein „Spielwütig“-Porträt.

Die Neuauflage des „Star Wars“-Franchises legt den Wandel in der Philosophie der Walt Disney Company bloß. Das Unternehmen setzt inzwischen ausschließlich auf die Produktion vielseitig ausschlachtbarer Hits.

Auf der „Berlinale“ ist Fritz Langs Stummfilm von 1921 in einer restaurierten Fassung zu sehen. Der Komponist Cornelius Schwehr schrieb dafür eine neue Musik. Ein Gespräch über volksliedhafte Elemente, Kontrapunkte und Musik als Stilmittel.

Mit der zarten Saoirse Ronan und dem schlaksigen Domhnall Gleeson gehören derzeit gleich zwei irischstämmige Darsteller zu den interessantesten Stars im Hollywood-Nachwuchs. Ein Doppelporträt zum Start von „Brooklyn“.

Von Jens Hinrichsen

Von Michael Ranze und Jörg Gerle

26 IN MEMORIAM

32 VERBOTENE UTOPIEN

Der französische Schauspieler Michel Galabru glänzte als Komiker wie auch in subtilen Charakterstudien; US-Kameramann Haskell Wexler verlieh seinen Filmen einen dokumentarischen Look. Zwei Nachrufe.

1965/66 untersagte die Führung der DDR zwölf DEFA-Filmen eine Kinoauswertung. Die Werke verschwanden teilweise für Jahrzehnte in den Regalen. Ein neues Buch arbeitet zum 50. Jahrestag die kulturpolitischen Zusammenhänge auf.

Von Marius Nobach und Thomas Brandlmeier

Von Fabian Tietke

S I EG F R

KRACAUER S

TIP

ENDIUM

RUBRIKEN EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD-KLASSIK DVD/BLU-RAY TV-TIPPS P.S. VORSCHAU / IMPRESSUM

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Der Autor Sven von Reden hat 2015 das Siegfried-Kracauer-Stipendium gewonnen. Der FILMDIENST veröffentlicht Texte, die er im Rahmen dieses Stipendiums verfasst. In dieser Ausgabe: seine Kritik zu „The Hateful 8“ (S. 50). Eine Initiative zur Förderung der Filmkritik.

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smarter EINE BESTANDSAUFNAHME IN SACHEN AKTUELLES US-KINO ZUM JAHRESBEGINN

2015 war f端r Hollywood ein gutes Filmjahr. Manche sagen, es sei das beste Filmjahr seit langem gewesen. Es kommt auf die Perspektive an. Mit fa

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Behauptet sich mit anspruchsvoller Filmkunst gegen das Primat der Blockbuster: Todd Haynes’ „Carol“

r sehen

ive an. Mit fantastischen Franchise-Produktionen wie dem neuen „Star Wars“-Film wird in Hollywood immer noch am dicksten Kasse gemacht.

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KINO NEUES AUS HOLLYWOOD Trotzdem behaupten sich unter den neuen US-amerikanischen Kinospielfilmen hartnäckig ambitionierte Produktionen, die fest auf dem Boden der Realität stehen und sich mit anspruchsvollen Themen auseinandersetzen. Solche „Smart Movies“ sorgten zum Jahreswechsel 2015/16 vermehrt für Furore. In den nächsten Monaten drängen diese Filme dann auch auf die deutschen Kinoleinwände. Von Franz Everschor

Als alle Welt noch daran glaubte, der Immobilienmarkt sei die Hauptstütze der US-amerikanischen Wirtschaft, da wettete ein exzentrischer Arzt und Investor mit seinem und anderer Leute Geld darauf, dass der Markt und das hinter ihm stehende Bankensystem schon bald bankrott gehen würden. Jeder hielt ihn für einen Spinner – bis der Kollaps mit geschichtsträchtiger Explosivität tatsächlich eintrat und außer ein paar Hellsichtigen Millionen von Menschen Geld und Eigentum verloren. Der Film „The Big Short“ erzählt die Geschichte dieses Zusammenbruchs als geradezu surreal anmutende Farce mit

unglaublicher Energie und Verbitterung, die Absurdität der Ereignisse mit der gleichen sarkastischen Ungezügeltheit auskostend, die der Regisseur Adam McKay bisher in Filmen wie „Talladega Nights“ an den Tag gelegt hatte. Während sich „The Big Short“ in Bankenund Börsenkreisen bewegt, beleuchtet der wenige Wochen zuvor in den amerikanischen Kinos gestartete Film „99 Homes“ dieselbe Katastrophe aus der Perspektive der von dem Kollaps am härtesten betroffenen kleinen Hauseigentümer, nicht nur denen, die – wie „The Big Short“ genüsslich ans Licht bringt – Hypotheken sogar auf

den Namen ihres Hundes aufgenommen haben, sondern der ganzen ehrlichen, arbeitsamen, nichts ahnenden Bevölkerung (vgl. „E-Mail aus Hollywood“ in FD 24/2015). Dass gleich zwei diesem Themenkomplex gewidmete, sich perfekt ergänzende, wenn auch stilistisch unterschiedliche Filme von der amerikanischen Kritik als herausragende Beiträge zum Kinoangebot der überfüllten Weihnachts- und Neujahrstage wahrgenommen wurden, wirft nicht nur ein deutliches Licht auf die Qualität dieser Filme, sondern auch auf einen Trend, der zurzeit die Produktion anspruchsvollerer

Demnächst auch in deutschen Kinos. Gesichtet von Franz Everschor.

„Suffragette“ Regie: Sarah Gavron

Der Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen im sozialen Leben ist längst nicht zu Ende. Ein Blick auf die Anfänge der Bewegung tut gut, besonders wenn die Konzentration auf einige wenige Personen und die geschickte Dramatisierung historischer Ereignisse (London im Jahr 1912) den Film davor bewahren, zum Pamphlet zu werden. Dt. Kinostart: 4.2.

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Filme in den USA beherrscht: Es ist längst festmachen, ohne im sensationsheischenzur Marotte geworden, möglichst nur noch den Sumpf eines modischen Trends zu Themen aufzugreifen, die sich auf wahre versickern. Personen und Ereignisse berufen können. Der Spielplan der US-amerikanischen Kinos Die Regenbogenpresse und viele auf Atlieferte dafür zum Jahresende trefflitraktionen aller Art fixierte Internet-Seiten che Beispiele, die von Steven Spielbergs haben die Faszination des Publikums „Bridge of Spies“, der Dramatisierung eimit der scheinbaren Relevanz nes Austauschs westlicher und östalles Tatsächlichen bis zur licher Spione zur Zeit des Kalten „Based Lächerlichkeit gesteigert. Krieges, bis zur Biografie des on real events“: Profitieren tun davon Eine Hollywood-Mode, Apple-Gründers Steve Jobs allerdings nun auch die reichen. „Suffragette“ bedie neben Belanglosem fasst sich mit den Anfängen jahrzehntelang eher geauch würdige ringgeschätzten Dokumender Frauenrechtsbewegung „Oscar“-Kandidaten taristen, deren Filme bisher in England, „Spotlight“ mit kommerziell kaum ein Bein dem Missbrauchsskandal in der hervorbringt auf den Boden bekamen. InmitErzdiözese Boston, „Truth“ mit ten einer Flut von Belanglosigkeider fragwürdigen Entstehung eines ten, die der Tsunami „wahrer Geschichten“ Beitrags über den Wehrdienst von US-PräWoche für Woche in die Kinos spült, werfen sident George W. Bush in dem geschätzten jetzt mit schöner Regelmäßigkeit große TV-Magazin „60 Minutes“, „Trumbo“ mit und kleine Filme ihre Anker aus, die ihre dem Hollywood-Autor Dalton Trumbo und Handlung an relevanten Ereignissen von der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära, historischer oder gegenwärtiger Bedeutung „Brooklyn“ (Kritik in dieser Ausgabe) mit

den historischen Wurzeln der Immigration, „Concussion“ mit den Gehirnschäden von Footballspielern: Alles Filme, die bald auch in deutsche Kinos kommen. Die Aufzählung ernsthaft realitätsorientierter Kinofilme ist notwendigerweise unvollständig, demonstriert aber wohl zur Genüge das anschwellende Interesse sowohl von Produzenten und Filmemachern als auch des Publikums an dem einst unterrepräsentierten Genre, das es inzwischen weit weniger schwer hat, einen Platz in den Kinos zu finden. Dass dies zu einer Zeit passiert, in der fantastischer Action verschriebene, aber einem nüchtern berechnenden Geschäftsmodell folgende Franchise-Filme den Markt bis hart an die Grenze zur Exklusivität beherrschen, ist umso bemerkenswerter. Wer in den letzten Tagen des Jahres 2015 nur auf Besucherzahlen und Einspielergebnisse schaute, musste in den USA den Eindruck gewinnen, dass außer „Star Wars: The Force Awakens“ und „The Hunger Games: Mockingjay Part

„Spotlight“

„Trumbo“

Regie: Tom McCarthy

Regie: Jay Roach

Zeitungsdrama, Aufklärungsarbeit und Detektivgeschichte in einem, erzählt der Film ebenso sachlich wie sachkundig von dem „Bostoner Kirchenskandal“, der Vertuschung zahlreicher Missbrauchsfälle durch katholische Priester. Obwohl als DokuDrama inszeniert, erweckt „Spotlight“ oft beinahe den Eindruck eines Dokumentarfilms. Das fortwirkende Leid der Opfer wird allerdings nur am Rand behandelt.

Vom Regisseur der „Austin Powers“- und „Meet the Parents“Filme kommt diese Biografie des Hollywood-Autors Dalton Trumbo, der während der Kommunistenjagd der 1940er- und 1950er-Jahre in Ungnade fiel. Die historischen Ereignisse verbergen sich großenteils hinter einer Parade lustvoll karikierter Persönlichkeiten. Eine unterhaltsame, kleine Lektion in Film- und politischer Geschichte.

Dt. Kinostart: 25.2.

Dt. Kinostart: 10.3.

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KINO NEUES AUS HOLLYWOOD

2“ im Kino kaum etwas stattfand. Doch mit Beharrlichkeit hielt sich die Welle realitätsbezogener Filme in einer Menge von Kinos, obwohl deren freie Kapazitäten durch die übermächtigen Franchise-Angebote stark reduziert waren. Das interessierte Publikum hat sich daran gewöhnt, auf die kleingedruckten Titel zu achten und sich nicht durch klotzige Werbung für die angeblichen Sternstunden der Filmgeschichte irritieren zu lassen. Zwar sind „Kannibalisierung“ und „Kollisionskurs“ bevorzugte Vokabeln der einschlägigen Presse, doch anspruchsvolle Filme, die das Fachblatt „Variety“ nicht zu Unrecht „Smart Movies“ getauft hat, halten sich heute oft länger am Rande der Spielpläne als in früheren Jahrzehnten. Und das trotz Netflix und Video-Streaming. Woran man sich ebenfalls erst gewöhnen musste, waren die vielen Filme, in denen Frauen die Hauptrollen spielen. Kolumnisten spekulierten, ob wohl Charlize Therons

Alternative

beherrschende Rolle in behaupten konnten, sondern Frauenfilme: „Mad Max: Fury Road“ ein auch breitenwirksame ProWeibliche letzter Anstoß gewesen duktionen wie „The Lady in sein könnte, sich von der the Van“ (mit Maggie Smith), Hauptrollen Vorstellung zu trennen, „The Danish Girl“ (mit Alicia im Rampenlicht Frauen seien nicht in der Vikander), „Joy“ (mit Jennifer Lage, einen Film zum Erfolg Lawrence) und „Grandma“ (mit zu führen. Freilich hing die Lily Tomlin). Die wandlungsfähige vermehrte Beschäftigung weiblicher Cate Blanchett erschien sogar gleich in Darsteller auch damit zusammen, dass zwei Filmen: In „Truth“ spielte sie die für die zum Jahresende gestarteten Filme eine umstrittene Fernsehreportage über überwiegend Frauenthemen behandelten: George W. Bushs Wehrdienst verantwortliFilme wie „Suffragette“, „Carol“, „Brookche Produzentin, in „Carol“ eine Lesbe zur lyn“ und „Freeheld“ hätten es noch vor Zeit der frühen 1950er-Jahre. Die „Oscar“wenigen Jahren schwer gehabt, einen Platz Juroren werden es schwer haben, sich für im Kinoprogramm der Multiplexe zu finden. eine der vielen herausragenden SchauspieDieses Jahr passten sie sich nahtlos in eine lerinnen zu entscheiden. wagemutige Umgebung ein und wurden An Tagen wie Weihnachten und Neujahr, an vom Publikum als attraktive Alternative denen in den USA auch viele Leute ins Kino zu „Star Wars“, „The Revenant“ und „The gehen, die sonst ihren bequemen Platz vor Hateful Eight“ empfunden. dem Bildschirm nicht verlassen, ließ sich Es waren nicht nur Filme für Minoritäten, deutlich beobachten, dass „Binge Viewing“, in denen sich weibliche Stars an der Spitze die Inhalation ganzer Fernsehserien am

„Room“ „Raum“ Regie: Lenny Abrahamson

Eine Stunde lang sieht sich der Zuschauer mit der Leidensgeschichte einer jungen Frau und deren fünfjährigem Kind konfrontiert, die von einem gewalttätigen Entführer in eine enge, verwahrloste Hütte ohne Zugang zur Außenwelt eingesperrt wurden. Der auf Tatsachen beruhende Film nutzt die Beschränkung der Szenerie zur intimen Beschreibung einer auf das Minimum reduzierten menschlichen Ausnahmesituation. Ein ungewöhnlicher, irritierender Film. (Siehe „E-Mail aus Hollywood“ in FD 1/2016) Dt. Kinostart: 17.3.

„Truth“ „Der Moment der Wahrheit“ Regie: James Vanderbilt

Der Film dramatisiert einen Skandal in der US-Fernsehgeschichte: Die CBS-Reihe „60 Minutes“ strahlte während des Präsidentschaftswahlkampfs 2004 eine Reportage aus, die George W. Bush beschuldigte, seine Einberufung zum Vietnamkriegs dank bevorzugter Behandlung vermieden zu haben. Nach der Ausstrahlung stellte sich heraus, dass einige der benutzten Quellen nicht verlässlich waren. Das führte zur Entlassung der Produzentin Mary Mapes (Cate Blanchett) und des Moderators Dan Rather (Robert Redford). „Truth“ ist eine spannende Nachinszenierung der Ereignisse, leider aber auch eine fragwürdige Reinwaschung der Beteiligten. Dt. Kinostart: 2.6.

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Stück, keineswegs die einzige BeschäftiTodd Haynes’ “Carol“, fraglos einer der gung filmhungriger Amerikaner ist. Quentin schönsten und stilistisch beeindruckendsTarantino scheute sich nicht, seinen neuen, ten Filme des ganzen Jahres, aber ein als in der Originalfassung über drei Stunden „period film“ und als Lesbengeschichte von langen Western „The Hateful Eight“ der vornherein schwierig zu vermarktender „Star Wars“-Attacke entgegenzustelFilm, konnte die Aufmerksamkeit finden, len – und fand durchaus die erhoffte die ihm zukommt. Ob das typisch ist für Resonanz. Ähnlich verhielt es die Auswertung im weiten Land sich mit Alejandro G. Iñárritus muss allerdings bezweifelt Das interessierte „The Revenant“, der wohl werden. Publikum verhilft nur in diesem überbesetz2015 war ein gutes Filmjahr. den „Smart Movies“ ten Umfeld programmiert Manche sagen, es sei das wurde, um sich für einen beste Filmjahr seit langem trotz der Dominanz „Oscar“ qualifizieren zu gewesen. Es kommt auf die der Blockbuster können, aber von Presse und Perspektive an. Die Kinozum Erfolg Publikum sehr wohl als außerindustrie schwelgt in einem gewöhnliche, spirituell unterhistorischen Kassenrekord, das fütterte Abenteuergeschichte wahrAngebot war vielseitiger und reigenommen wurde. Im Foyer des „Arclight“, cher an Überraschungen als in den Vorjahdes größten Premierenkinos in Hollywood, ren und die Qualität oft erstaunlich hoch. hörte man die Besucher mehr über diese Man muss allerdings genau hinsehen, um Filme diskutieren als über „Star Wars“. die Perlen in dem Überangebot an Tinnef Sogar eine so intime Frauengeschichte wie zu finden. Aber es gibt sie. Die zahllosen

Jurys, die nun bei Kritikerpreisen, „Golden Globes“ und „Oscars“ zu entscheiden haben, ob „Mad Max: Fury Road“ oder „Carol“ (wie unvergleichbar!), „Spotlight“ oder „The Revenant“ (wie meilenweit entfernt!) der beste Film des Jahres war, werden nicht daran vorbeikommen, ungewollt die Fragwürdigkeit solcher Preisverleihungen zu demonstrieren. Das Positivste, das sich über die JahresendFilme sagen lässt, gilt der bemerkenswerten Diversifikation des Angebots, die hinter dem lautstarken Ansturm der FranchiseFilme zu entdecken war. Das Negativste ist die immer auffälligere Konzentration der großen Studios auf ein Produktionsmodell, das weniger dem Kino als dem Wohl multilateraler Industrieunternehmen verpflichtet ist. Ohne die lebhafte Aktivität unabhängiger Filmemacher sähe die Sache ganz anders aus. Auch das ist eine Erkenntnis, die sich zum Ende des Filmjahrs 2015 in aller Deutlichkeit bestätigte. •

„99 Homes“

Fotos: S. 10-11: DCM. 12-13: Concorde, Paramount. S. 14-15: Universal, Universum, Sony

Regie: Ramin Bahrani

„99 Homes“ ist so etwas wie die Vorgeschichte des ebenfalls gerade in die Kinos gekommenen Films „The Big Short“ (Kritik in FD 1/2016). Beide Filme setzen sich – auf stilistisch höchst verschiedene Weise – mit der Hypothekenkrise der jüngsten Rezessionszeit in den USA auseinander, „The Big Short“ mit dem Kollaps der Großbanken, „99 Homes“ mit den Konsequenzen für den kleinen Hauseigentümer. Im Mittelpunkt von „99 Homes“ steht ein junger Bauarbeiter, der in seiner finanziellen Notlage unter dem Einfluss eines skrupellosen Immobilienmaklers zu einer Art Faust-Figur wird. Beide Filme gehören zu den besten, die das amerikanische Kino zurzeit zu bieten hat. (Siehe „E-Mail aus Hollywood“ in FD 24/2015) Noch ohne deutschen Starttermin

„Concussion“ „Erschütternde Wahrheit“ Regie: Peter Landesman

Das Thema von „Concussion“ ist ein wichtiges und umstrittenes: die wachsende Zahl von Gehirnschäden, die durch heftige Kollisionen beim Footballspielen hervorgerufen werden. Der Film, dessen Hauptfigur ein junger Neuropathologe ist, lässt keinen Zweifel daran, auf welcher Seite er steht. Aber er erzählt seine Story mit so wenig Nachdruck, dass sich die Verantwortlichen der National Football League beruhigt schlafen legen können. Der Zorn, den ihre Machenschaften und Verschleierungstechniken entzünden sollten, ist nur in wenigen Szenen zu spüren. Michael Moore hätte daraus wohl einen ganz anderen Film gemacht. Dt. Kinostart: 18.2.

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KRITIKEN NEUE FILME

Anomalisa Michael Stone ist Motivationstrainer, seine Ratgeber verkaufen sich gut. Aktuell befindet er sich auf einer Vortragsreise durch Amerika und hat soeben im „Al Fregoli“, einem BusinessHotel in Cincinnati, eingecheckt. Sein schleppender Gang und sein hängender Kopf deuten auf eine große Erschöpfung hin. Stone steckt in der Krise. Er motiviert andere und weiß sich selbst keinen Rat. Ein kurzer Anruf nach Hause zeugt von einem unglücklichen Familienleben mit entfremdeter Ehefrau und gleichgültigen Kindern. In seiner Einsamkeit kommt Stone auf die Idee, wo er doch schon einmal in Cincinnati ist, eine hier lebende Ex-Freundin anzurufen: Bella. Das Treffen in der Hotelbar endet in einer Katastrophe – Bella hat die Trennung nie verwunden: Warum hat er sie damals, vor zehn Jahren, bloß verlassen? Das Bedauern über eine verpasste Lebenschance

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teilt sich dem Zuschauer unmittelbar mit. Später lernt Stone zwei Frauen kennen, weibliche Fans, die nur seines Vortrages wegen von weit her angereist sind. Intuitiv fühlt er sich zu der schüchternen Lisa hingezogen. In einer Welt, in der buchstäblich jeder gleich aussieht, ist Lisa einfach anders als die anderen. Gemeinsam verbringen sie die Nacht miteinander. Lisa könnte die Lösung für all seine Probleme sein. Ein Neubeginn? Die bloße Inhaltsangabe verschweigt etwas Wesentliches: Hier sind keine Schauspieler am Werk, wie man vielleicht zunächst meinen könnte, sondern Puppen, hochmodern im 3DDrucker entstanden und ganz altmodisch mit Stop Motion zum Leben erweckt. Neue und alte Technik gehen eine geglückte Verbindung ein, ebenso wie Stil und Inhalt, wie Form und Funktion. Die Wirkung ist verblüffend – diese Menschen

wirken „echt“, und wäre da nicht jene feine Naht, die ein großes Quadrat im Gesicht hinterlässt, könnte man fast von Realismus sprechen. „Anomalisa“ heißt der neue Film von Charlie Kaufman. Er liebt es, die Fäden in der Hand zu halten, explizit als Marionettenspieler in „Being John Malkovich“ oder übertragen als Autor in „Adaption“. Ursprünglich war der Film als Hörspiel konzipiert und wurde bereits 2005 bei Carter Burwells „Theater of the New Ear“-Projekt auf Bühnen in New York und Los Angeles uraufgeführt. Für die Kinofassung versicherte sich Kaufman der Hilfe des Stop-Motion-Experten Duke Johnson. Mehr als 5.000 Kaufman-Fans steuerten auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter.com über 400.000 Dollar bei, doppelt so viel wie erhofft. Kaufman beschäftigt nur drei Schauspieler: David Thewlis spricht Michael Stone, Jennifer

Jason Leigh spricht Lisa, Tom Noonan leiht seine Stimme allen anderen Figuren. Dahinter steckt natürlich Methode, ein erster Hinweis darauf ist der Name des Hotels: „Al Fregoli“. „Fregoli“ heißt auch eine psychische Erkrankung, bei der Patienten davon überzeugt sind, dass sich Mitmenschen äußerlich verändert haben oder andere sind, obwohl sie gleich aussehen. Auch Stone leidet an diesem „Fregoli-Syndrom“: Egal, ob im Flugzeug, im Taxi, an der HotelRezeption, in der Bar, auf dem Flur oder im kafkaesk großen Büro des Hotelmanagers, wo zahlreiche Sekretärinnen Dienst tun: Hier sieht jeder gleich aus und hört sich gleich an. Was zunächst noch komisch wirkt, wandelt sich allmählich zum klaustrophobischen Albtraum. Das Hotel wird so zum Ort existenzieller Leere. Von Individualität, von Einzigartigkeit, kann in dieser hermetisch geschlos-

Fotos S. 36-51: Jeweilige Filmverleihe

Grandioser Puppen-Animationsfilm von Charlie Kaufman

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NEUE FILME KRITIKEN senen Welt keine Rede sein. Die Menschen sind gewöhnlich, die Welt ist langweilig; wenn einem in diesem Setting jemand völlig anderes begegnet, ist dies eine Offenbarung. Sich zu verlieben heißt in Charlie Kaufmans Universum, einen Menschen zu finden, der sich aus allen anderen heraushebt. Das führt hier zu einer der schönsten Liebesszenen, weil sie so zärtlich, schlicht und echt ist. Die Tatsache, dass es sich dabei um animierte Puppen handelt, macht diesen Moment nur noch kraftvoller. „Anomalisa“ ragt aus dem gegenwärtigen Kinoschaffen mindestens genauso heraus wie Lisa unter den Gästen im Hotel. Mit anderen Worten: Charlie Kaufman hat einen eigentümlich schönen, in jeder Hinsicht besonderen Film inszeniert.© Michael Ranze BEWERTUNG DER FILMKOMMISSION

Ein ausgebrannter Motivationstrainer nimmt seine Umwelt nur noch als zähen Brei und die Mitmenschen als gleichförmige Masse wahr. Während einer Vortragsreise lernt er in einem Hotel eine schüchterne Frau kennen, die sich von den anderen unterscheidet. Der außergewöhnliche Puppenfilm entwirft mit im 3D-Drucker produzierten Figuren und altmodischer Stop-Motion-Animation einen Albtraum, in dem alle Menschen identisch aussehen und gleich sprechen. Das Hotel wird zum Ort existenzieller Leere, bei dem Individualität keine Rolle spielt, während der Liebe eine besondere Bedeutung zukommt. Ein eigenwillig schöner, in jeder Hinsicht besonderer Film. – Sehenswert ab 14.

ANOMALISA. Scope. USA 2015 Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson Länge: 91 Min. | Kinostart: 21.1.2016 Verleih: Paramount | FSK: ab 12; f FD-Kritik: 43 631

Point Break Spektakuläres Action-Feuerwerk Mit Kathryn Bigelows Original „Gefährliche Brandung“ von 1991 hat der aktuelle „Point Break“ nur die Grundsituation gemeinsam. Utah, ein angehender FBI-Agent, wird als Undercover-Mann eingesetzt. Er soll eine Gruppe von sportiven Kriminellen infiltrieren, weil er, nur das befähigt ihn zu dem Einsatz, früher selbst zu den Besten im Feld des Extremsports gehörte. Die Surf-Hippies von Bigelow werden hier durch Hippies anderer Art ersetzt. Es sind wortkarge, gefährlich tätowierte Jungs, die allenthalben schwere Geschütze auffahren: Sie wollen das Ökosystem des Planeten retten, indem sie verrückte Raubüberfälle begehen und das Geld dann den Armen überlassen. Sie wollen gleichzeitig zu persönlicher Erleuchtung finden, indem sie acht Mutproben bestehen, die vor ihnen noch kein Extremsportler meistern konnte. Klingt nicht unbedingt einleuchtend, wird aber schnell egal, weil sich Protagonisten wie Zuschauer in besagten Mutproben verlieren, die tatsächlich atemberaubend gedreht sind. Dabei geht es um das Reiten riesiger Wellen, um Dirtbiking durch Wüsteneien, Basejumping im Flügelanzug, Fallschirmspringen, Snow-

boarding, Freeclimbing, solche Sachen. Regisseur Ericson Core zeigt reines Körperkino ohne Maschinen, Tricks oder Illusion und beweist bei den Stunts ein beeindruckendes Verständnis für Dramatik. Menschen fahren Wellen hinauf oder Steilhänge hinunter, sie stürzen sich von Klippen ins Leere, und die Kamera präsentiert sie wie Könige. Was sie dann vorführen, sieht auf der großen Leinwand so gut aus, dass man jedes YoutubeVideo zum selben Thema sofort vergisst. Inhaltlich kommt bald die alte Problematik des UndercoverFilms zum Vorschein: Utah wird von seiner Zielgruppe aufgenommen. Er findet bei ihr nicht nur Wertschätzung, sondern auch Verständnis für seine tiefe Liebe zum Risiko. Das FBI hingegen hält solche Gefahrensuche bloß für exzentrisch. Man sieht die Nachteile auf der Seite von Recht und Gesetz, das macht dieses Genre immer zweischneidig, trotzdem darf die Seite nicht gewechselt werden. Es müssen also Argumente her, hier leider ziemlich hanebüchene, warum Utah nicht loyal zu seinen neuen Freunden steht, sondern doch zum FBI. Zwischendurch erholen sich die Sportler in „bondesk“ ausgestatteten Unterkünften; Liebe

wird schick in Iglus gemacht, Parties toben auf Yachten so groß wie Vergnügungsparks. Besonders viel Spaß allerdings haben die Jungs dabei nicht, zu schwer lastet das Streben nach Erleuchtung auf ihnen. Das schlägt sich auch in ihren Dialogen nieder, die mit genug Pathos ausgestattet sind, dass immerhin die Zuschauer sich amüsieren. So markiert „Point Break“ von Ericson Core keinen neuen Höhepunkt für den Genrefilm, aber bestimmt für jene Art von Actionfilm, dem nicht bloß CGI zugrunde liegt, sondern Adrenalin. Die Idee, das Nirwana könne durch Wagemut und Training erreicht werden, wird jeder Sportler mögen – schade, dass es wieder nicht klappt.  Doris Kuhn

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Eine Gruppe ökologisch orientierter Extremsportler begeht spektakuläre Raubüberfälle, um auf das gefährdete Gleichgewicht der Erde hinzuweisen. Die USamerikanische Justiz schleust einen FBI-Agenten unter die Hipster, die in ihren Mutproben überdies Erleuchtung suchen. Dabei gerät er in Loyalitätskonflikte zwischen seinen neuen Freunden und seinem Dienstgeber. Ein spektakulär-vergnügliches Action-Feuerwerk, dem pures Adrenalin zugrunde liegt, dessen Inszenierung sich aber zu wenig um den hanebüchenen Plot bemüht und mitunter arg pathetische Dialoge liefert. – Ab 14.

POINT BREAK. Scope. USA Regie: Ericson Core Darsteller: Édgar Ramírez (Bodhi), Luke Bracey (Johnny Utah), Teresa Palmer (Samsara), Delroy Lindo (Hall), Ray Winstone (Pappas), Clemens Schick (Roach) Länge: 113 Min. | Kinostart: 21.1.2016 Verleih: Concorde | FD-Kritik: 43 632

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KRITIKEN FERNSEH-TIPPS

20.15-21.50 BR FERNSEHEN Das große Geheimnis R: Dennis Bots Herausragender Jugendfilm Niederlande 2014 Sehenswert ab 12 20.15-22.10 The Sixth Sense R: M. Night Shyamalan Subtiler Mystery-Thriller USA 1999

Servus TV

Ab 16

22.05-23.45 BR FERNSEHEN Saiten des Lebens R: Yaron Zilberman Drama um ein Streichquartett vor dem Aus USA 2012 Ab 14 22.10-00.05 Servus TV The Hunter R: Daniel Nettheim Melancholisches Porträt eines verschlossenen Jägers Australien 2011 Sehenswert ab 14

23.45-01.05 BR FERNSEHEN Jack in Love R: Philip Seymour Hoffman Zurückhaltender Chauffeur wirbt um scheue Frau USA 2010 Ab 14 01.10-03.05 zdf_neo Ein einfacher Plan R: Sam Raimi Drama um Schuld und Sühne USA 1998 Sehenswert 02.40-04.20 Ich kämpfe niemals wieder R: Richard T. Heffron Indianerstamm flieht vor Zwangsumsiedlung USA 1975

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SO

SAMSTAG 23. JANUAR

ERSTAUSSTRAHLUNG: 23. Januar, 20.15-21.50

BR FERNSEHEN

Das große Geheimnis In den Wirren des Zweiten Weltkriegs hat sich die Freundschaft von zwei Teenagern nur noch mehr verfestigt. Doch ihre Eltern stehen in den Niederlanden des Jahre 1943 in unterschiedlichen politischen Lagern. Die einen engagieren sich im Widerstand, die anderen kollaborieren mit den Besatzern. Als die Jungs ein scheinbar neu zugezogenes Mädchen kennenlernen, trüben zudem Eifersüchteleien das Verhältnis der beiden, bis sie hinter das Geheimnis der jüdischen Abstammung des Mädchens kommen. Ein nicht nur aufgrund des gesellschaftspolitisch bedeutsamen Themas herausragender Jugendfilm: Er versteht es zudem, sein Sujet in eine spannende, souverän erzählte Abenteuergeschichte zu kleiden, in der sich Form und Botschaft auf Augenhöhe bewegen. 23. Januar, ab 20.15

Servus TV/zdf_neo

23. Januar, 22.05-01.05

BR FERNSEHEN

Bruce Willis

Philip Seymour Hoffman

Es gibt aussichtslose Probleme und es gibt (zumindest im Kinofilm) Probleme für Bruce Willis. Wenn der Mann mit der spärlich bis nicht vorhandenen Haarpracht die Sache in die Hand nimmt, kann man getrost von einem guten Ende ausgehen. Dabei brauchen Willis’ Figuren gar nicht immer Waffen oder Körperkraft, um sich durchzusetzen: In „The Sixth Sense“ (20.15-22.15, Servus TV) etwa zeigt er sich als einfühlsamer Psychologe und steht einem achtjährigen Jungen mit der übernatürlichen Gabe bei, Tote zu sehen. Richtig in Action ist er dagegen in einem Double Feature auf zdf_neo zu sehen: In „16 Blocks“ (22.00-23.30) muss er sich als aufrechter Polizist mit einem Gefangenen zu Fuß zum Gericht durchschlagen, in „Hostage – Entführt” (23.30-01.10) ziehen Entführer ihn in einen hinterlistigen Plan hinein.

Ein Film-Doppelpack zu Ehren des vor rund zwei Jahren am 2.2.2014 verstorbenen Ausnahme-Schauspielers Philip Seymour-Hoffman: In „Saiten des Lebens“ (2012) von Yaron Zilberman verkörpert er einen Violinisten, der an der Seite seiner Frau in einem Streichquartett mitspielt; die Musiker schlittern in eine existenzielle Krise, weil eine Krankheit, Eifersüchteleien und diverse zwischenmenschliche Spannungen für schwere Dissonanzen sorgen. Ein klug austariertes Drama, dessen ruhige Inszenierung den Schauspielern Raum lässt, um ihren Figuren Tiefe zu geben. „Jack in Love“, ein unprätentiöser Film über eine sich scheu anbahnende Liebe, bietet nicht nur die Möglichkeit, Hoffmans schauspielerisches Talent in der Titelrolle zu bewundern, sondern auch seine Fähigkeiten beim Inszenieren: der Film war Hoffmans Regiedebüt.

SONNTAG 24. JANUAR

09.05-10.15 BR FERNSEHEN Mein Freund Knerten R: Åsleik Engmark Ein Junge und sein lebendiger Ast Norwegen 2009 Sehenswert ab 6 11.00-12.35 mdr Die drei Welten des Gulliver R: Jack Sher Reizvolle Klassikeradaption USA 1960 Ab 10 20.15-23.25 ProSieben Verblendung R: David Fincher US-Remake des Schweden-Krimis USA/Schw./GB 2011 Sehenswert ab 16 20.15-21.45 zdf.kultur Davon willst du nichts wissen R: Tim Trachte Drama über Fahrerflucht und Erpressung Deutschland 2011 Ab 14 21.45-23.15 3sat Population Boom R: Werner Boote Doku über Bevölkerungsexplosion Österreich 2013 Ab 14 23.15-01.10 BR FERNSEHEN Der Millionenraub R: Richard Brooks Perfekt inszenierte Bankraub-Komödie USA 1971 Ab 14 00.05-01.58 Das Erste In einer besseren Welt R: Susanne Bier Drama um die Legitimität von Gewalt Dänem./Schw. 2010 Sehenswert ab 16 00.05-01.30 NDR fernsehen Fluchtpunkt Nizza R: Jérôme Salle Verzwickte Verschwörungsgeschichte Frankreich 2005 Ab 16

ZDF

Ab 16

00.15-01.45 3sat Bronson R: Nicolas Winding Refn Tom Hardy als Gangster-Legende Großbritannien 2008

Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

SA

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FERNSEH-TIPPS KRITIKEN

MO 24. Januar, 00.15-01.45

3sat

Bronson Der Brite Michael Peterson, der seinen „Künstlernamen“ von US-Filmstar Charles Bronson ableitete, erkämpfte sich einen ganz eigenen, höchst dubiosen Ruhm – als extrem aggressiver Schwerverbrecher, der immer wieder mit Gewaltausbrüchen von sich reden machte und einen Großteil seines Lebens hinter Gittern verbrachte. Aufgewachsen war Bronson in normalen kleinbürgerlichen Verhältnissen; was genau ihn auf die schiefe Bahn brachte und dafür sorgte, dass er als „gewalttätigster Mann Englands“ in die Geschichte einging, gab Psychologen und Soziologen Rätsel auf. Genau dieses Rätsel und das Faszinosum, das Bronson für die britische Öffentlichkeit bedeutete, umkreisen Regisseur Nicolas Winding Refn und sein furioser Hauptdarsteller Tom Hardy in ihrem beklemmend intensiven Porträt, das zwischen Milieustudie, gewalttätigem Knastdrama und exaltiert-surrealer Comedy oszilliert.

24. Januar, 20.15-23.25

ProSieben

Verblendung Die schwedische „Millennium“-Trilogie war noch nicht richtig verarbeitet, da lieferte Hollywood schon das Remake des ersten Films. Mit viel Aufwand bleibt David Fincher inhaltlich dicht am Original, sodass die Geschichte um den Journalisten Mikael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander, Mordserien und Intrigen ultraböser Menschen inklusive der Auflösung wenig überrascht. Dafür setzt Fincher aber eindrückliche visuelle Akzente, die die düstere Stimmung des Stoffs kongenial untermalen. Durch die kluge Gewichtung der Erzählstränge entsteht so eine vielschichtige Reise in die Untiefen der bürgerlichen Gesellschaft. Und wer Rooney Mara gerade erst in „Carol“ als zarte Liebende erlebt hat, kann angesichts ihrer Interpretation der abgemagerten, gepiercten Punk-Hackerin nur über ihre Bandbreite staunen.

MONTAG 25. JANUAR

20.15-21.45 arte Den Mörder trifft man am Buffet R: Bertrand Blier Absurde Mörderkomödie Frankreich 1979 20.15-21.50 einsfestival A Serious Man R: Joel & Ethan Coen Schwarze Hiob-Paraphrase USA/GB/F 2009 Sehenswert ab 16 20.15-22.55 Space Cowboys R: Clint Eastwood Altstars auf All-Mission USA 2000

kabeleins ERSTAUSSTRAHLUNG: 25. Januar, 23.35-01.05

Ab 12

21.45-23.35 arte Der Bulle von Paris R: Maurice Pialat Außergewöhnlicher Polizeifilm mit Gérard Depardieu Frankreich 1985 Sehenswert ab 16 23.15-00.55 Servus TV Auf kurze Distanz R: James Foley Verbrecher-Sohn eifert Vater nach USA 1985 Ab 16 23.25-01.00 WDR Fernsehen Die unerschütterliche Liebe der Suzanne R: Katell Quillévéré 25 Jahre aus dem Leben einer jungen Französin Frankreich 2013 Sehenswert ab 14 23.45-01.30 NDR fernsehen Die verlorene Zeit R: Anna Justice Holocaust-Überlebende sucht Totgeglaubten Deutschland 2009 Ab 14 23.55-01.35 mdr Ehe im Schatten R: Kurt Maetzig Schauspieler-Ehepaar wird von Nazis diffamiert DDR 1947 Sehenswert ab 16

arte

With or Without You – Nicht mit dir, nicht ohne dich Seit 45 Jahren leben die beiden Südkoreanerinnen Magg-i (89) und Chun-hee (68) schon unter einem Dach zusammen. Zwei blind aufeinander eingespielte (Ehe-)Frauen, die mit demselben, längst gestorbenen Mann verheiratet waren. Da Magg-i keine Kinder bekam, wurde Chun-hee hinzugeheiratet, die prompt einer Tochter das Leben schenkte. Mit unaufdringlichen, aber intensiven Bildern nimmt der südkoreanische Filmemacher Hyuck-jee Park den mühseligen Alltag der Alten in den Blick, die sich allmählich darauf vorbereiten, irgendwann nicht mehr füreinander da zu sein. Die immerzu rauchende Magg-i wacht mit müdem, aber scharfem Blick über die jüngere Chun-hee, die als geistig behindert gilt. Doch dann bringt der stille Film diese scheinbar so klare Konstellation durch geschickt gesetzte Bilder ins Wanken. ERSTAUSSTRAHLUNG: 25. Januar, 23.25-01.00

WDR Fernsehen

Die unerschütterliche Liebe der Suzanne Suzanne (Sara Forestier) wächst zusammen mit ihrer Schwester (Adèle Haenel) bei ihrem verwitweten Vater auf. Die kleine Familie verkraftet trotz schwieriger Bedingungen alle Herausforderungen, auch die ungeplante Schwangerschaft Suzannes. Als diese sich in einen Kleinkriminellen verliebt und ihren Sohn sowie ihre Familie verlässt, wird dies für alle zur emotionalen Zerreißprobe. Mit zahlreichen Ellipsen umspannt das faszinierend brüchige Werk von Regisseurin Katell Quillévéré rund 25 Jahre aus dem Leben der Hauptfigur. Vorzüglich gespielt, beschreibt der zwischen Soap Opera und realistischem Kino pendelnde Film in suggestiven Szenen die Kollateralschäden einer großen Liebe.

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