Filmdienst 24 2015

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fIlM DIenst Das Magazin für Kino und Filmkultur

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26. nov. 2015 € 5,50 68. Jahrgang

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der katholischen Filmkritik

39 das brandneue testament Sanft-groteske Komödie, in der die „Schöpfungsgeschichte“ hintergründig umgeschrieben wird

28 religion und film

neu im kino + ALLE STARTTERmINE 45 4 Könige 3.12. 47 Alle Jahre wieder – Weihnachten mit den Coopers 3.12. 37 Arlo & Spot 26.11. 49 Aus dem Abseits 3.12. 49 Blacktape 3.12. 39 Das brandneue Testament 3.12. 40 Bridge of Spies – Der Unterhändler 26.11. 45 Economia Col-lectiva 26.11. 49 Electroboy 26.11. 51 Ephraim und das Lamm 26.11. 36 Ewige Jugend 26.11. 49 Foto: Ostkreuz 26.11. 45 Die Geschichte vom Astronauten 3.12. 47 Hasret – Sehnsucht 26.11. 45 Highway to Hellas 26.11. 38 Ich heiße Ki 26.11. 47 Im Rausch der Sterne 3.12. 45 Die Krone von Arkus 3.12. 50 Love 26.11. 49 Regina Jonas 15.11. 44 Schöne Jugend 3.12. 45 Sivas 3.12. 49 Stonewall 19.11. 47 The Duke of Burgundy 3.12. 42 The Gift 26.11. 47 The Perfect Guy 3.12. 43 Die Tribute von Panem – Mockingjay 2 19.11. 46 Wie auf Erden 3.12. 48 Zwischen Himmel und Eis 26.11.

10 tiere im film

32 brigitte desalm

34 magische momente

fernseh-tipps 56 Der 80. Geburtstag von Woody Allen wird auf mehreren Sendern mit Ausstrahlungen seiner Filme gewürdigt. Außerdem behandelt eine Doku-Serie auf arte die Rolle von Jesus im Islam.

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inhalt kino

akteure

filmkunst

16 star wars: der sound

20 peter strickland

27 e-mail aus hollywood

10 tiere im film

Von „Lassie“ bis „Leviathan“: Von Beginn an tummeln sich Tiere auf der Leinwand. Wehren kann sich die Fauna gegen menschliche Projektionen und Zuschreibungen schließlich nicht. Eine kleine Zoologie des Kinos. Von Esther Buss

27 e-mail aus hollywood

Der belgische Regisseur versetzt Gott in seiner absurden Satire „Das brandneue Testament“ nach Brüssel. Gespräch über Glauben, Skurrilität und Scheulosigkeit.

Der Independent-Film „99 Homes“ von Ramin Bahrani entreißt die Wirtschaftskrise der ideologischen Debatte. Von Franz Everschor

Von Margret Köhler

28 religion & film

20 peter strickland

Der Erfolg von „Star Wars“ basiert auch auf dem ausgefuchsten Sound-Design. Eine Würdigung der einprägsamen Geräuschkulisse als Teil II unserer „Star Wars“-Serie.

Der raffinierte britische Stilist („Berberian Sound Studio“) frönt in „The Duke of Burgundy“ einmal mehr der Vorliebe für 1970er-Exploitation-Kino. Gespräch über Einflüsse, Dominanz und Unterwerfung.

Von Jens Hinrichsen

Von Michael Ranze

18 kino-geschenk-basar

23 literatur

Wer für Weihnachten noch originelle Geschenke sucht: Tipps, womit sich Cineasten eine Freude machen lässt.

22 festivals

Notizen von den Filmfestivals in Leipzig und Cottbus. Von Josef Lederle und Holger Twele

Glaubenssysteme und religiöse Institutionen stehen im aktuellen Kino immer wieder am Pranger. Bestandsaufnahme des düsteren Bildes, das Religion derzeit oft im Film abgibt. Von Heidi Strobel

32 brigitte desalm

Neue Filmbücher über Ingrid Bergman sowie die Rezeption von Wagners „Tristan und Isolde“ im Kino.

Zentrale Texte der Filmkritikerin wurden neu veröffentlicht. Gelegenheit, die Arbeit einer wachsamen Komplizin des Kinos wiederzuentdecken.

Von Alexandra Wach und Thomas Brandlmeier

Von Wilfried Reichart

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34 magische momente

Der australische Schauspieler glänzte bislang vor allem in markanten Nebenrollen. Nun hinterlässt er als Schauspieler, Autor und Regisseur von „The Gift“ nachhaltigen Eindruck. Ein Porträt.

Bernhard Wicki weckt in „Die Brücke“ Sympathie für seine jugendlichen Figuren, bevor sie im Krieg verheizt werden. Von Rainer Gansera

Von Rüdiger Suchsland

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RUBRIKEn 3 EDIToRIAL 4 INHALT 6 mAGAZIN 52 DVD/BLU-RAy 55 DVD-PERLEN 56 TV-TIPPS 66 ABCINEmA 67 VoRSCHAU / ImPRESSUm

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Fotos: TITEL: NFP. S. 4/5: NFP, Camino, Warner, edition text + kritik, Kinowelt, Walt Disney, Fox Home, Salzgeber, Noruz Films

16 star wars: der sound

15 jaco van dormael

der autor sven von reden hat 2015 das siegfried-kracauer-stipendium gewonnen. der filmdienst veröffentlicht texte, die er im rahmen dieses stipendiums verfasst. in dieser ausgabe: seine kritik zu „love“ (s. 50). eine initiative zur förderung der filmkritik.

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Betrachtungen zu der Beziehung zwischen Tier und Kino

Knuddelige beste Freunde oder personifizierte Naturgewalt, vermenschlichte Akteure oder wilde Bestien: Die Tierwelt im Kino ist so vielgestaltig wie die der Natur. Dabei ist die Zoologie des Films am Ende immer Menschenkunde: In den Filmtieren spiegelt sich, wie wir uns selbst sehen. Von Esther Buss

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Die ersten Plätze im Abspann ihres filmischen Essays „Heart of a Dog“ (2015) reservierte Laurie Anderson den Hunden: ihrem 2011 verstorbenen Fox-Terrier Lolabelle (und seinen diversen „Doubles“), einem Schäferhund, einem Pudel. „Heart of a Dog“ ist eine frei assoziierende Erzählung über den geliebten Hund, über Verlusterfahrungen, buddhistische Lehre, Familienerinnerungen und staatliche Überwachung nach dem Terror des 11. September – und damit sicherlich kein Tierfilm im eigentlichen Sinn. Aber er ist zumindest beispielhaft für einige unumstößliche Wahrheiten in der filmischen Beschäftigung mit dem Tier. Zu diesen gehören: So lange Filme von menschen gemacht werden, reflektieren Tierbilder mensch-Tier-Beziehungen und die Position von Tieren in der menschlichen Gesellschaft. Der Blick auf das Tier handelt unweigerlich vom menschen selbst, seinen Projektionen, Sehnsüchten, seinen ideologischen Annahmen und Überzeugungen. Tiere sind ideale Projektionsflächen für den menschen, da von ihnen kein Widerspruch zu erwarten ist. Tiere sind keine Illusionskünstler, „sie spielen nicht, sondern leben“ (Béla Balázs). Als Laurie Andersons Lolabelle erblindete, lernte der Hund das Klavierspiel, außerdem malte er Bilder und fertigte skurrile Tonskulpturen an. mit den gängigen Anthropozentrismen – boxende Kängurus, sprechende Schweine etc. – hat Andersons Kreativtraining freilich wenig zu tun. Die musikerin und Performance-Künstlerin versucht sich vielmehr an einer Begegnung mit dem Tier auf „Augenhöhe“ – symptomatisch dafür sind „subjektive“ Kamerablicke, aus der Boden- bzw. Schnüffelebene gefilmt.

das neue interesse am tier In den Kulturwissenschaften, aber auch im Film, ganz besonders jedoch in der zeitgenössischen Kunst, ist seit einigen Jahren ein verstärktes Interesse am Tier zu beobachten. Die im Rahmen der diesjährigen „Viennale“ veranstaltete Filmreihe „Animals. Eine kleine Zoologie des Kinos“ ließ sich als eine weitere Station in einem stetig wachsenden Forschungsfeld begreifen, dem zahlreiche Ausstellungen, Vorträge, Symposien und Filmreihen zum Thema vorangingen – da-

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grundverschiedene Zusammenschau von mensch und tier, natur und objekt: montage aus alfred hitchcocks »die vögel« (1963) und »leviathan« von lucien castaing-taylor und verena paravel (2012)

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kino tiere im film

animals – eine kleine zoologie des kinos die gemeinsam mit dem Österreichischen filmmuseum veranstaltete „viennale“-retrospektive „animals. eine kleine zoologie des kinos“ ist noch bis ende november 2015 zu sehen. das programm setzt sich aus 41 langfilmen und vier kurzfilmprogrammen zusammen. neben klassikern wie „king kong und die weiße frau“, robert bressons „Zum beispiel balthasar“, hitchcocks „die vögel“, david cronenbergs „die fliege“ und wes andersons „der fantastische mr. fox“ (bild oben) sind weniger bekannte werke zu sehen, darunter etwa das japanische fabelstück „the mad fox“ (uchida tomu, 1962) oder Jean eustaches „le cochon“ (1970).

tiere in aktuellen filmen Tiere sind aktuell auch jenseits der Sondersparte „Tierfilm“ auf der Leinwand stark vertreten: • In Pablo Larraíns „el club“ (kinostart: 5.11.) übernehmen windhunde eine entscheidende dramaturgische funktion. • In Peter Stricklands „the duke of burgundy“ (bild, kritik in dieser ausgabe) ist das universum der lepidoptera weit mehr als ein exotischer Schauwert. In den wiederkehrenden Aufnahmen der Schmetterlingssammlungen konkretisiert sich der beziehungsplot der beiden weiblichen hauptfiguren: seine ordnung, seine serielle Struktur, das sado-masochistische begehren. • Ron Howards „im herzen der see“ (3.12.) paraphrasiert melvilles „moby dick“. • In Grímur Hákonarsons Film über zwei als Schäfer arbeitende Brüder, die seit 40 Jahren nicht mehr miteinander gesprochen haben, ist der titel aussage genug: „sture böcke“ (31.12.).

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runter etwa „Ape Culture/Kultur der Affen“ (Haus der Kulturen der Welt, 2015) und „Das Kino der Tiere. Eine kurze Geschichte des Tierfilms“ (Internationale Kurzfilmtage oberhausen, 2011). Einen entscheidenden Perspektivwechsel erhielt das Thema 2012 durch die doCUmENTA(13), die das Tier – theoretischer Hintergrund sind Konzepte des „Posthumanen“ – als ort vielseitiger Spekulationen entdeckt. Die Ausstellung zeigte Kunst für Tiere, forderte das Wahlrecht für Bienen (und Erdbeeren) und stellte die Werke „nichtmenschlicher“ Produzenten heraus. Laurie Andersons „Heart of a Dog“ steht trotz der hyperpräsenten Autorinnenstimme solchen Ansätzen nah, auch wenn ihre Weltanschauung eher buddhistisch grundiert ist. Doch mit der punktuellen Verschiebung des anthropozentrischen Blicks öffnet der Film das Feld für posthumanistische Perspektiven. Und es scheint, als zeige sich von dort aus betrachtet das „Kino der Tiere“ doch noch einmal ganz anders.

die geburt der kinotiere Das Tier begleitet die Geschichte des Kinos von Beginn an, mehr noch: Tiere sind eine treibende Kraft in der Entwicklung der bewegten Bilder. In den wissenschaftlichen Bewegungsstudien Étienne-Jules mareys und Eadweard muybridges Ende des 19. Jahrhunderts hat die filmische Darstellung von Tieren ihren Ursprung: muybridge versucht mit einer aus Einzelbildern zusammengesetzten Fotoserie zu beweisen, dass sich beim galoppierenden Pferd zeitweise alle vier Beine in der Luft befinden. Das Primat des menschen ist in dieser Zeit noch gänzlich unhinterfragt – und so soll es auch noch mehr als ein Jahrhundert lang bleiben. Verschwinden die Tiere allmählich aus dem Lebensalltag und der Arbeit der menschen, so kehren sie in den Zoo-Anlagen und Lichtspieltheatern zurück. Bald sind sie in allen filmischen Gattungen, Genres und Subgenres vertreten – im Dokumentarfilm ebenso wie im Spielfilm, in den Werken der Avantgarde, dem Animations- und Wissenschaftsfilm. Das Tier ist objekt ästhetischer Betrachtung, Forschungsgegenstand, Allegorie, Gefährte und Feind des menschen, Accessoire oder bloßes material. Während das Hollywood-Kino mit dem Schäferhund Rin Tin Tin seinen ersten Hunde-Star ent-

deckt – und damit das Identifikations- und Affektpotenzial des Filmtiers mobilisiert –, werden Projektionen auf das Andere, Ursprüngliche und Ungezähmte in Filmen wie „Tarzan, der Affenmensch“ (W.S. Van Dyke, 1932) und „King Kong und die weiße Frau“ (merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack, 1933) verarbeitet. „King Kong“ steht dabei am Anfang einer ganzen Reihe von Filmen, die den Affen als Grenzfigur zwischen mensch und Tier erforschen. In Filmen wie David Cronenbergs „Die Fliege“ (1986) wird die Grenzüberschreitung indes zu einem unaufhaltsam fortschreitenden Prozess am eigenen Körper: Ein Wissenschaftler mutiert, nachdem sich seine DNA versehentlich mit der einer Fliege vermischt hat, zu einem Fliegenmenschenwesen, doch neben Angst und Ekel setzt diese Transformation durchaus auch befreiende Kräfte frei. Im Kulturfilm der Nationalsozialisten werden ambivalente Zugehörigkeiten mit sozialdarwinistischen Argumenten umso massiver bekämpft. Carl C. Hartmanns „Das Erbe“ (1935) instrumentalisiert den Kampf der Arten als Sinnbild für die Gesellschaft. In Form einer betont harmlosen Spielhandlung, in der ein Professor und ein blondes „Fräulein Volkmann“ einer wissenschaftlichen Filmvorführung beiwohnen, wird auf perfide Weise das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ legitimiert. „Dann treiben die Tiere ja eine regelrechte Rassenpolitik!“, ruft das Fräulein zustimmend aus. „Das Erbe“ gehört zweifellos zu den gruseligsten Beispielen aus dem Bereich des Tierfilms – und es lässt in den tiefen Abgrund blicken, den das „Genre“ neben all den emotionalisierenden und putzigen Darstellungen animalischen Lebens bereithält.

tierhorror man muss sich also keineswegs dem Genre des Horrors zuwenden, um erschreckende, beklemmende und Angst machende Tierdarstellungen auf der Leinwand zu finden. In „Primate“ (1974) beobachtet der Dokumentarfilmer Frederick Wiseman die täglichen Abläufe im yerkes Primate Research Center in Atlanta. Wenn am weißen Laborkittel eines durch die Gänge schreitenden Primatenforschers mehrere Affen wie niedliche Fellknäuel dranhängen, ist das so ziemlich der einzige moment für

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Wer ist das Monster: der weiße Wal oder sein obsessiver Jäger Kapitän Ahab? die »moby dick«-verfilmung von John huston (1956)

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literatur Ein Katalog zur „Viennale“-Retrospektive „Animals: Eine kleine Zoologie des Kinos“ liegt in diesem Jahr nicht vor, im Festivalkatalog wird das Thema eher kurz abgehandelt. Es existieren jedoch einige umfassende und wertvolle Publikationen: „der film und das tier: klassifizierungen, cinephilien, philosophien“, hrsg. von Sabine nessel und winfried pauleit, 2012. „zoo und kino: mit beiträgen zu bernhard und michael grzimeks film- und fernseharbeit“, hrsg. von Sabine Nessel und Heide Schlüpmann, 2012. eine der lesenswertesten publikationen zum thema liegt bisher nur auf englisch vor: Jonathan burt, „animals in film“, 2002. Weitere Veröffentlichungen zum größeren Feld der Tierphilosophie: markus wild, „tierphilosophie zur einführung“, 2013. Jacques derrida, „das tier, das ich also bin“, 2010. giorgio agamben, „das offene: der mensch und das tier“, 2003.

„comic relief“. Ansonsten drängt sich nach unzähligen Tierversuchen – von sexueller Stimulation über Vivisektion bis hin zur Implantation von messgeräten – zunehmend das Bild einer Folterkammer auf. Vor dem Hintergrund dieser Experimente ist die Umkehrung des asymmetrischen machtverhältnisses von mensch und Tier – etwa in „Planet der Affen“ (Franklin J. Schaffner, 1968) – eine nur naheliegende Vision. Auch in „Die Vögel“ (1963) lässt sich der Vogelangriff als groß angelegter Rachefeldzug gegen die menschen deuten, wobei Alfred Hitchcock auf kluge Weise weitere Bedeutungsebenen in die Erzählung einzieht. Für den Philosophen und psychoanalytischen Theoretiker Slavoj Žižek etwa verkörpern die Vogelattacken explosive Ausbrüche des mütterlichen Super-Egos („the birds are raw incestuous energy“). Fragen des Begehrens, des Geschlechterkampfs und der Paarbildung werden auch von Howard Hawks in „Leoparden küsst man nicht“ (1938) durchexerziert – und zwar entlang eines ganzen Arsenals unterschiedlichster Tierspezies, das sich bis zu den Figurennamen ausdehnt (mrs. Swallow, Don Swan). Um das Tier „an sich“ geht es hier nicht, es ist vielmehr ein Kommunikationsmittel für metatexte.

der mensch hinter dem posthumanistischen blick

kinotiere 2016 mit der disney-produktion „zoomania“ (bild) startet am 3. März 2016 der nächste große Tieranimationsfilm in den deutschen kinos. „Zoomania“ ist eine „multikulturelle“ tierfiktion: ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Tierarten aus aller welt. wüstenbewohner leben in Sahara-Wolkenkratzern neben Eisbären in IgluAppartements, Spitzmäuse neben Elefanten. das interessantere disney-tierfilmprojekt ist von alex ross perry zu erwarten: derzeit arbeitet der US-amerikanische Indie-Regisseur an einer adaption des kinderbuch-klassikers „winnie-the-pooh“. auch eine neue dschungelbuch-verfilmung ist für 2016 angekündigt – wie auch ein erster „angry birds“-film. und von den „minions“machern wird mit „pets“ bald ein film über haustiere zu sehen sein, die ein appartement in manhattan bewohnen.

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Das Tier im Film weist also unweigerlich auf den menschen zurück – ob man es nun mit Bedeutungsüberschuss belegt, vermenschlicht oder in seinem vermeintlich „reinen“ Tier-Sein betrachtet. Das achtminütige Safari-Amateurvideo „Battle at Kruger“ (David Budzinski & Jason Schlosberg, 2004/07), das durch youtube zu einem viralen Hit avancierte, zeigt einen hochspektakulären Kampf zwischen einer Büffelherde, einigen Löwen und einem Krokodil. Doch allein die Kameraführung und die begleitenden, zwischen Faszination und Entsetzen schwankenden Kommentare machen die Beobachtung eines „natürlichen“ Vorgangs zu einem veritablen Wildlife-Thriller.

spannendste Projekt in diese Richtung ist „Leviathan“ (2012), ein aquatischer Horrorfilm, in dem sich Einflüsse von direct cinema und experimentellem Kino zu einem viszeralen Erlebnistrip verdichten. Die beiden Filmemacher und Anthropologen Lucien Castaing-Taylor und Verena Paravel gehören dem „Sensory Ethnography Lab“ an, einem 2006 gegründeten, Disziplinübergreifenden Labor an der Harvard University, das die Grenzen des ethnografischen Films durch körperlich-sensuelle und ästhetische Erfahrungen auszuweiten sucht. „Leviathan“ wurde mit einer Vielzahl von GoPro’s gedreht, Castaing-Taylor/Paravel haben sie an Helme, Arme und Beine der Fischer geheftet, an Netze und Leinen gebunden, in den toten oder sterbenden Fang hineingeworfen und in den aufgewühlten ozean getaucht. Diese multiplen, radikalen Point-of-View-Einstellungen, inmitten von Wasser, Tier, mensch und maschine, bringen neben einem gewaltigen Soundmix aus kinetischem Lärm und Naturgeräuschen ebenso monströse wie desorientierende Bilder hervor – mitunter ist der Blick schlichtweg nicht mehr an ein Subjekt oder objekt zurückzubinden. Doch die Gewalt, mit der die Filmemacher das Sujet dem menschlichen Standpunkt entreißen und in eine Kollaboration mit Natur und Ding zwingen, fällt am Ende umso stärker auf ihre Autorschaft zurück. So lange Tiere nicht selbst zur Kamera greifen, wird sich an dieser ungleichen Allianz nichts ändern. Aber warum sollten Tiere das tun? •

Fotos: arsenal institut/FD-Archiv/Walt Disney/Österreichisches Filmmuseum/Salzgeber

kino tiere im film

Auch die jüngeren experimentellen Versuche eines posthumanistischen Blicks kommen am menschen nicht vorbei. Das

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kritiken neue filme

„I’m falling to pieces“, singt die Sängerin Sia zu den aus dem Fernseher dröhnenden Beats von David Guetta. Dazu tanzt ein vom Bildschirm erleuchtetes und vom Fenster gerahmtes mädchen eine nur ihm bekannte Choreografie, wobei sie den schmalen oberkörper so voller Kraft nach links und rechts schmeißt, dass ihr hinter den Segelohren mitwippender Zopf kaum nachkommt. Die Hotelgäste, deren faltige Haut die junge masseurin tagsüber durchwalkt, sitzen abends lieber um eine erleuchtete Drehbühne herum, auf der eine Band zu Beginn des Films eine treibende Version von „you Got the Love“ performt. In dem an Thomas manns „Der Zauberberg“-Refugium erinnernden Wellnesshotel inmitten der Schweizer Alpen sind die Gäste nur noch Zuschauer. Ihnen bietet die musik keinen ekstatischen moment der Teilhabe mehr – und mit der Jugend scheint ihnen auch die Liebe abhandengekommen zu sein. Wenn hier noch um etwas gekämpft wird, dann sind das Erinnerungen an das, was einst war und woran man vielleicht wieder anknüpfen könnte. Das trifft ebenso auf den US- Schauspieler Jimmy zu, der in dem Ressort an einer neuen Rolle tüftelt, wie auf den „Frauen“-Regisseur mick, der am Drehbuch für sein filmisches Vermächtnis feilt. Die Vergangenheit droht aber auch micks besten Freund, den Komponisten Fred Ballinger, einzuholen. Der will in den Bergen mit seiner Tochter Lena eigentlich eine Art Auszeit vom Ruhezustand nehmen, als ihn ein Attaché von Queen Elizabeth bittet, seine bekannteste Komposition bei der Geburtstagsfeier für Prinz Philip zu dirigieren. Doch Fred weigert sich, die „Simple Songs“ noch einmal aufzufüh-

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ewige Jugend Rauschhaft: Paolo Sorrentino schickt Michael Caine und Harvey Keitel auf den „Zauberberg“ ren, weil seine Frau, für die er die Stücke einst schrieb und die er seit Ewigkeiten nicht mehr besucht hat, sie nicht mehr singen kann. Warum sie das nicht mehr kann, enthüllt Regisseur Paolo Sorrentino erst spät, trifft damit aber ins mark des Films. Genauso wie die Schönheit der scheinbar einfachen Stücke, die ein Violinanfänger im Hotel einstudiert, auch erst ganz am Ende, wenn die Credits über die Bilder laufen, mitten ins Herz trifft. musik ist einfach, sie braucht keine erklärenden Worte, versucht sich Fred einmal hilflos zu rechtfertigen, als ihn Lena wegen seiner permanenten Abwesenheit und der Untreue gegenüber ihrer mutter anklagt. Dabei wurde Lena gerade selbst von ihrem mann mit einem Pop-Sternchen betrogen. „Ewige Jugend“ wäre allerdings kein Sorrentino-Film und wie „La Grande Bellezza“ eine Hommage an Federico Fellini, wenn der meister der skurrilen Untertöne aus den tragischen Niederlagen nicht ganz viel

Aberwitziges und zutiefst menschliches herausholen würde. Sorrentinos kongenialer Kameramann Luca Bigazzi schöpft dabei das opulenz-Potential der Leinwand in den schwebenden Fahrten durch Liegebecken, Saunen und Alpenhängen einmal mehr vollständig aus. Sie unterfüttern die „Kur“hafte Verbeugung vor Fellinis „Achteinhalb“, während sich in früheren Sorrentino-Filmen eher schlummernde Irrealität deutlicher Bahn bricht, etwa in Lenas fieberhaftem Traum einer rasanten, clip-artigen Autofahrt ihres Ex-mannes mit der „I can’t rely on you“ schmetternden Popsängerin, hyperrealistisch, in grelle Farben getunkt, wie eine geronnene Version von Britney Spears’ „Toxic“. oder in einer Vision von Fred, als ihm auf einem schmalen Steg eines Palazzos miss Universe entgegenschreitet, während das sie umgebende Wasser immer weiter ansteigt. Noch kann die Jugend verächtlich über das Wasser wandeln, doch entkommen kann sie ihm nicht.

Der Zahn der Zeit knabbert an allen, vor allem aber auch an den Erinnerungen. Dass auch die Ära der ins Alter gekommenen Star-Persona vorbei ist, verdeutlichen die selbstironischen Auftritte von Popstar Paloma Faith oder von Jane Fonda als exzentrischer Diva, die micks Schaffenskrise vertieft. Die künstlerischen Ambitionen der Figuren gehen mit dem, was das massenpublikum will, nicht mehr konform, krass konterkariert in dem von Fans umringten Diego-maradona-Verschnitt, der sich und sein Sauerstoffgerät durch die Hotelanlage schiebt, mit Karl-marx-Tattoo auf dem Rücken und einer gigantischen Plauze vorne dran. Anders als in „Il Divo“ oder „Cheyenne“ gibt es in „Ewige Jugend“ keine männlichen Einzelgänger mehr, die Sorrentino in ihrer Schrulligkeit ins Zentrum der Geschichte und ihrer stilisierten Bilder stellen könnte. Dies lässt den Stoff etwas ausfransen, eröffnet ihm aber auch die Chance, den heiligen Gral der Jugend aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dass dabei ausgerechnet die weibliche Hauptrolle im exaltierten Spiel von Rachel Weisz nicht immer ganz lebensecht wirkt, lässt den Film dennoch zu einem in viele Dimensionen aufgefächerten Stethoskop werden. Die Not, den Puls der

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neue filme kritiken

Zeit noch zu vernehmen und in kreativer Hinsicht nicht abgehängt zu werden, lässt Jimmy und mick verzweifelt nach Gesten und Worten für die Gefühle ihrer Figuren suchen. Die junge masseurin aber zieht tänzerisch den Techno der Cover-Version vor und zwischenmenschlich die Berührung den Worten, wie sie Fred einmal gesteht. manchmal drängt einen die Jugend nicht vom Steg, sondern hilft vielmehr wieder hinauf. Und auch die Schönheit liegt längst nicht mehr nur im Auge des Betrachters, sondern vielmehr im Herzen des Betrachteten – egal, wie oft es schon geschlagen hat. Kathrin Häger

bewertung der filmkommission

Fotos S. 36-51: Jeweilige Filmverleihe

ein alternder komponist hat sich mit seiner tochter und seinem besten freund in einen schweizer wellnesstempel zurückgezogen. als er vor der englischen königin sein berühmtestes stück dirigieren soll, weigert er sich, auf die bühne zurückzukehren. in opulenten bildern fächert der multiperspektivisch erzählte film die handlung in erlesenen schlaglichtern auf das altern und die akzeptanz des vergänglichen auf. in die schaffens-, beziehungs- und lebenskrisen mischen sich irrwitzige (alb-)träume und zutiefst menschliche realitäten, wobei der szenisch mäandernde, barock ausladende erzählbogen stets souverän die balance zwischen genialität, genie und kitsch wahrt. – sehenswert ab 14.

youth. scope. italien/frankreich/ schweiz 2015 regie: paolo sorrentino darsteller: michael caine (fred ballinger), harvey keitel (mick boyle), rachel weisz, paul dano, Jane fonda länge: 124 min. | kinostart: 26.11.2015 verleih: wild bunch | fsk: ab 6; f fd-kritik: 43 519

arlo & spot Pixar entdeckt kultivierte Dinosaurier

In der Dino-Phase, die jedes Kind irgendwann durchlebt, haben wir es alle wohl schon vermutet: Hätten die Riesenechsen ein paar Millionen Jahre länger existiert, wären sie wahrscheinlich in der Lage gewesen, sich kulturell und gesellschaftlich weiterzuentwickeln. Diese Ausgangsüberlegung steckt auch hinter dem Pixar-Film „Arlo & Spot“. Der fatale meteorit ist hier knapp an der Erde vorbeigerauscht, und die Dinosaurier haben die Chance nicht ungenutzt gelassen. So wie eine Familie von Apatosauriern, die auf ihrer kleinen Farm ihre Nahrung selbst anpflanzt, mit den kräftigen mäulern die Erde durchpflügt und für feinere Arbeiten wie das Aussäen praktische Hilfsmittel entwickelt hat. Um von der Frucht ihres Ackers leben zu können, müssen allerdings alle mit anpacken, und genau da hakt es. Das kleinste Familienmitglied, Arlo, hat zu viel Angst vor der Welt, um seinen Beitrag leisten zu können, sodass es an seinem geduldigen Vater ist, ihm mut zuzusprechen: „manchmal muss man die Angst hinter sich lassen, um zu sehen, was Wunderbares vor einem liegt.“ Die enge Vater-Sohn-Beziehung weckt manche Erinnerung an „Der König der Löwen“ und andere Zeichentrickfilme,

und auch die Story läuft sehr geradlinig, wenngleich recht unterhaltsam, darauf hinaus, dass Arlo seine Ängste überwinden lernt. Hinzu kommt der gerade in Disney-Filmen vertraute Verlust des Vaters, der daraus folgende Schock und die Entfernung der Hauptfigur aus ihrer natürlichen Umgebung. Bei der Rückkehr nach Hause findet der junge Dino einen Begleiter: einen menschenjungen, der Arlo wie ein treuer Hund folgt, knurrt und bellt statt zu sprechen, und ihn mit Bissen gegen Gefahren verteidigt. Das lässt auch den Saurier Zuneigung zu dem Kind fassen, das er Spot nennt; in einer rührenden nächtlichen Szene finden die beiden im Austausch ihrer Verlusterfahrungen endgültig zusammen. Sind schon Story und Botschaften für einen Pixar-Film eher konventionell gehalten, entfalten auch die Hauptfiguren nicht den Zauber von BuddyPaaren wie Woody und Buzz aus der „Toy Story“-Reihe oder zuletzt Freude und Kummer in „Alles steht Kopf“. Doch das fällt hier wenig ins Gewicht, denn der Star des Films ist eindeutig die Landschaft. mit deutlicher orientierung an den großen Nationalparks der USA entfaltet sich das Schicksal der Dinosaurier vor hohen Bergen, dichten Wäldern, weiten Prärien

und reißenden Gewässern – eine gewaltige 3D-Naturkulisse, wie sie an visuellem Reichtum, Detailgenauigkeit und Fotorealismus im Animationsfilm so noch nie zu sehen war. Hierzu passt auch, dass die unberechenbare Natur zum Hauptgegner der beiden Protagonisten wird. mit heftigen Gewitter- und Flutszenen erzeugt der Film eine Bedrohlichkeit, die kleinere Kinder durchaus herausfordern dürfte, ebenso wie die Auftritte einer Gruppe von bösartigen Flugsauriern. Auf der anderen Seite hat Pixar aber auch seinen Anspruch ans Unerwartete nicht aufgegeben: Der ewige UrzeitBösewicht Tyrannosaurus tritt hier in Gestalt einer gutmütigen Familie von Büffelzüchtern auf, die Arlo und Spot unter ihre Fittiche nimmt – ein herrlicher erzählerischer Einfall. Hätte der Film mehr davon, könnte er ein wirkliches meisterwerk sein. Marius Nobach bewertung der filmkommission

in einer welt, in der die dinosaurier nicht ausgestorben sind, haben die echsen ihren lebensstil über Jahrmillionen verfeinert und eine kulturelle evolution durchlaufen. der kleinste spross einer saurierfamilie aus farmern hat schwierigkeiten, seinen platz in der welt zu finden, und muss sich nach dem verlust seines vaters durch die bedrohliche wildnis nach hause durchschlagen. hilfe erwächst ihm in einem anhänglichen menschenkind. temporeicher, höchst unterhaltsamer animationsfilm mit kindgerechten botschaften. die eher konventionelle handlung und figurenzeichnung werden durch zauberhafte einfälle sowie ein überwältigend fotorealistisches design ausgeglichen. – sehenswert ab 8.

the good dinosaur. scope. usa 2015 regie: peter sohn länge: 100 min. | kinostart: 26.11.2015 verleih: disney | fd-kritik: 43 520

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kritiken fernseh-tipps

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samstag 28. november

09.40-11.45 rtl ii now is good – Jede minute zählt r: ol parker unprätentiöser Jugendfilm großbritannien 2012 ab 14 20.15-22.25 servus tv der eissturm r: ang lee dichtes familiendrama usa 1997 sehenswert ab 14 20.15-22.35 zdf_neo gladiator r: ridley scott monumentales römer-epos usa 2000 ab 14 22.00-23.45 einsfestival leaving las vegas r: mike figgis kompromissloses trinkerdrama usa 1995 sehenswert ab 16 22.25-00.40 servus tv pollock r: ed harris porträt des us-malers Jackson pollock usa 2000 sehenswert ab 16 23.45-01.30 einsfestival halt auf freier strecke r: andreas dresen studie eines sterbeprozesses deutschland 2011 sehenswert ab 16 00.15-03.15 zdf_neo spartacus r: stanley kubrick kirk douglas als aufständischer gladiator usa 1959 ab 16 00.30-02.40 rtl rocky r: John g. avildsen gut konturierte aufsteiger-story usa 1976 01.05-03.05 wdr fernsehen lola r: brillante mendoza die folgen einer bluttat philippinen/f 2009 sehenswert ab 16

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sonntag 29. november

11.00-12.40 mdr der gejagte – ritter der nacht r: andré hunebelle humorvoller mantel-und-degen-film frankreich/italien 1959 ab 14

28. november, 22.25-00.40

servus tv

pollock zehn Jahre bereitete der us-schauspieler ed harris sein regiedebüt über den drip-painter Jackson pollock (1912-1956) vor: er las mehrere pollock-biografien, studierte ausgiebig dessen bilder und beschäftigte sich so lange mit dessen maltechnik, bis er sie im film selbst praktizieren konnte. das porträt springt von pollocks durchbruch 1950, als ihn das „life“-magazin zum star der amerikanischen gegenwartsmalerei machte, zurück zu seinen anfängen in den 1940ern und seine letzte, vom alkoholismus geprägte lebensphase bis zum autounfall-tod 1956. dabei entsteht das bild eines zwiespältigen künstlers mit selbstzerstörerischen tendenzen, der seinen erfolg gerade auch seiner lebensgefährtin lee krasner (marcia gay harden) verdankt, die für ihn die eigene karriere vernachlässigt. harris gelingt über die intensive charakterstudie hinaus auch ein unterhaltsamer einblick in die us-kunstgeschichte der Zeit und die mechanismen der kunstszene.

28. november, ab 20.15

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gladiator & spartacus das römische reich im monumentalkino hollywoods: oft ist es ein topos für dekadenz, für die moralischen verschleißerscheinungen einer von der eigenen größe betrunkenen gesellschaft – egal, ob es um die verfolgung unschuldiger christen durch römische tyrannen geht („Quo vadis“) oder direkt um den „untergang des römischen reiches“. wobei nicht immer das antike rom gemeint sein muss, sondern sich mitunter parallelen in die gegenwart ziehen lassen sollen. wie z.b. in ridley scotts „gladiator“ (20.15-22.35): da geht es um eine gesellschaft, in der das volk die politischen mitgestaltungsmöglichkeiten zu verlieren droht. während sich die massen mit dumpfen spektakeln abspeisen lassen, reißt ein skrupelloser despot die macht an sich, und der aufrechte soldat, den kaiser marc aurel eigentlich dazu ausersehen hatte, die macht wieder ans volk zu übergeben, landet als todgeweihter in der arena. während scotts gladiatorengeschichte konsequent pessimistisch bleibt, schlug einst stanley kubrick in „spartacus“ (00.15-03.15) optimistischere töne an: Zwar ist auch sein film um einen gladiator, der die macht roms herausfordert, eine märtyrergeschichte. doch lässt kubrick die aussicht offen, dass das freiheitsideal, für das spartacus einsteht, letztlich doch stärker sein könnte als die brutalität egoistischer machtinteressen, die ihm entgegenstehen.

11.30-13.00 3sat nanuk, der eskimo r: robert J. flaherty stummer dokumentarfilm-klassiker usa 1921 sehenswert ab 10 13.35-15.20 br fernsehen hannah und ihre schwestern r: woody allen unterhaltsame sinnsuche usa 1985 sehenswert ab 16 16.30-18.30 3sat der große diktator r: charles chaplin traurige farce im kampf gegen hitler usa 1940 sehenswert ab 12 18.10-20.15 zdf_neo tatsächlich… liebe r: richard curtis weihnachtlicher liebesreigen england/usa 2003 ab 14 20.15-22.25 arte der talentierte mr. ripley r: anthony minghella highsmith-adaption mit matt damon usa 1999 ab 16 20.15-23.35 prosieben django unchained r: Quentin tarantino furioser western um sklaven-befreier usa 2012 ab 16 20.15-22.25 tele 5 the good german r: steven soderbergh clooney im nachkriegsdeutschland usa 2006 sehenswert ab 14 20.15-21.35 zdf.kultur millionen r: fabian möhrke tragikomödie über das glück deutschland 2013 sehenswert ab 14

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fernseh-tipps kritiken

mo ab 29. november

»lola rennt«

woody allen zum 80. geburtstag auch nach annähernd 50 regiearbeiten in ebenso vielen Jahren kann bei woody allen von ruhestand keine rede sein. seine jüngste arbeit „irrational man“ läuft seit dem 12.11. in den deutschen kinos. und auch für das Jahr 2016 ist ein neues, noch unbetiteltes kino-projekt angekündigt, während er mit einer sechsteiligen serie für amazon noch einmal neuland betritt. Zum 80. geburtstag am 1.12. lassen die fernsehsender noch mal woody allens Œuvre revue passieren, wobei schwerpunkte auf seinen klassischen arbeiten der 1970er- und 1980er-Jahre sowie auf neueren filmen liegen. dadurch werden zwar etliche interessante aspekte des gesamtwerks unterschlagen, wie seine versuche mit dramatischen arbeiten oder seine frühen, teilweise noch sehr überzogenen komödien, in der summe ergibt sich jedoch ein guter Querschnitt. Zudem beleuchtet das porträt „woody, a documentary“ (30.11., 21.45-23.35, arte) liebevoll das vielfältige schaffen und den arbeitsprozess des filmemachers und lässt ihn, schauspieler, kollegen und kritiker zu wort kommen. alle termine: 29.11., 13.35-15.20, br fernsehen: hannah und ihre schwestern 30.11., 20.15-21.45, arte: der stadtneurotiker 30.11., 21.45-23.35, arte: woody, a documentary 1.12., 20.15-21.45, 3sat: midnight in paris 1.12., 21.45-22.15, 3sat: kennwort kino: woody allen 1.12., 22.15-23.50, 3sat: manhattan 1.12., 00.20-01.53, das erste: ich sehe den mann deiner träume 1.12., 01.55-03.20, das erste: whatever works – liebe sich wer kann 2.12., 22.25-00.03, 3sat: alle sagen: i love You 3.12., 22.25-23.55, 3sat: geliebte aphrodite 6.12., 18.35-20.15, tele 5: the purple rose of cairo 6.12., 20.15-22.10, tele 5: scoop – der knüller

29. november, 22.25-23.50

montag 30. november

20.15-21.45 arte der stadtneurotiker r: woody allen klassiker der modernen filmkomik usa 1977 sehenswert 20.15-23.15 kabeleins minority report r: steven spielberg dystopische auswüchse der verbrechensbekämpfung usa 2002 sehenswert ab 16

23.35-01.05 zwei Jahre auf see r: ben rivers schwarz-weiß-film über einen seltsamen aussteiger großbritannien 2011

der große traum von hollywood sie heißen shannah, megan, Julia, ryan oder Joey und mieten sich mit ihren eltern während der „pilot season“ im „oakwood complex“ in los angeles ein, um sich für eine rolle in einer us-fernsehserie zu bewerben. die dokumentaristen dylan nelson und dan sturman begleiten einige von ihnen zum ersten vorsprechen, für das sich die familien in enorme unkosten gestürzt haben, in der hoffnung auf eine steile karriere der sprösslinge. das große geld machen allerdings zumeist die anderen: die agenten, fotografen und schauspieltrainer; für das gros der kinder bleibt es beim großen traum. der von einer latenten traurigkeit durchzogene film erzählt so weniger von kleinen erfolgen als von großen enttäuschungen und uneingelösten hoffnungen.

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planet der affen: prevolution ein wissenschaftler (James franco) testet an schimpansen ein mittel, das die regenerierung von gehirnzellen ermöglichen soll. ein affe, dem die genveränderung bereits angeboren ist, wird von ihm großgezogen, entwickelt sich zum rebellen gegen menschliche misshandlungen und führt andere primaten in die revolte. die spannende vorgeschichte der ende der 1960erJahre begonnenen kinofilmserie bietet eine interessante neuinterpretation des sujets. geschickt verbinden sich anrührendes familiendrama und eine spannende, auf primaten gespiegelte „spartacus“-geschichte mit anleihen beim katastrophenfilm.

22.15-23.50 Zdf planet der affen: prevolution r: rupert wyatt prequel der science-fiction-saga usa 2011 ab 14 23.15-01.35 kabeleins 28 days later r: danny boyle england, von Zombies entvölkert gb/usa/f 2002

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30. november, 22.15-23.50

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23.45-01.15 ndr fernsehen zwei leben r: georg maas agententhriller auf den spuren von ns- und ddr-unrecht deutschland/norwegen 2013 ab 14 00.05-01.15 lola rennt r: tom tykwer dreimal 100.000 mark in 20 minuten auftreiben deutschland 1998

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ab 16

erstausstrahlung: 30. november, 23.35-01.05

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zwei Jahre auf see der alte Jake williams lebt mitten im wald. ein bärtiger einsiedler, auf dessen gesicht sich glück und gelassenheit spiegeln. in seinem experimentellen dokumentarfilm folgt der bildende künstler ben rivers dem stillen protagonisten bei dessen streifzügen durch die wildnis. der auf grobkörnigem 16mm-material gedrehte film setzt ganz auf die kraft der bilder, deren wirkung durch geräusche wie das knistern des feuers, vogelgesang oder ein aufziehendes gewitter kunstvoll gesteigert wird. in rückblenden kommt überdies Jakes vergangenheit ins spiel, der einige Jahre zur see gefahren ist. ein kunstvoller dokumentarfilm, der davon erzählt, wie sich ein mensch der Zeit und der natur unterwirft und gerade darin ein höchstmaß an freiheit findet.

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