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DIenst

MensChen iM hotel

Das Magazin für Kino und Filmkultur

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Hommage an einen Kino-lieblingsschauplatz.

www filmdienst.de www.filmdie nst de

Das unfilMisChe Zeitalter

unser leben spielt sich immer mehr hinter Bildschirmen ab. Wie soll man darüber noch interessante Filme machen? ein essay.

Catherine Deneuve

... über liebe, Arbeit und Kino: ein Gespräch mit der französischen Grande Dame.

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23 12. november 2015 € 5,50 68. Jahrgang

»star Wars« ist nicht nur eine Filmreihe, sondern ein popkulturelles Phänomen. eine Artikel-serie anlässlich des Kinostarts von »Das erwachen der Macht« beleuchtet die Facetten des Mythos.

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der katholischen Filmkritik

42 mia madre Nanni Morettis Dramödie um eine Regisseurin, deren Mutter im Sterben liegt, bekam in Cannes den Preis der ökumenischen Jury.

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ALLE STARTTERMINE

47 8 sekunden – ein augenblick unendlichkeit 29.10. 45 a Man can make a difference 12.11. 45 alki alki 12.11. 49 Chuck norris und der Kommunismus 12.11. 44 Democracy – im Rausch der Daten 12.11. 41 Domian – interview mit dem tod 19.11. 40 eisenstein in guanajuato 12.11. 47 erinnerungen an Marnie 12.11. 49 expelled from Paradise 3.11. 47 Familienbande 19.11. 39 Hallohallo 19.11. 47 Happy Welcome 19.11. 37 Herr von Bohlen 19.11. 36 ich und earl und das Mädchen 19.11. 50 irrational Man 12.11. 41 Meeres stille 22.10. 42 Mia Madre 19.11. 41 My name is salt 12.11. 49 Paranormal activity: ghost Dimension 22.10. 41 Riverbanks 19.11. 49 scouts vs. Zombies 12.11. 49 shaandaar 22.10. 46 spectre 5.11. 38 steve jobs 12.11. 47 the Diary of a teenage girl 19.11. 47 todos están muertos 29.10. 45 Die trapp Familie – ein Leben für die Musik 12.11. 51 umrika 19.11. 48 unter der Haut 19.11. 43 Virgin Mountain 12.11.

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28 digitales kino

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34 magische momente

Fotos: TITEL: Walt Disney. S. 4/5: Koch, Sony, Studio Hamburg Enterprises, Kinowelt, Alamode, Twentieth Century Fox, NFP, Universal

neu im kino

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inhalt kino

akteure

filmkunst

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27 e-mail aus hollywood

20 catherine deneuve

27 e-mail aus hollywood

10 star wars

Ab dem 17. Dezember schreibt »Das Erwachen der Macht« die Weltraum-Saga fort. Aus diesem Anlass starten wir eine Artikel-Serie, die verschiedene Facetten des Kinophänomens auffächert. Zum Auftakt: Die Geburt des Sternenkriegs aus dem »New Age«-Zeitgeist. Von rüdiger suchsland

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Hotels sind in Filmen seit jeher ein gern verwendeter Schauplatz. Das Zusammentreffen unterschiedlicher Klassen lässt sich in ihnen ebenso darstellen wie das Gefühl von Entfremdung. Ein Streifzug durch Kino-Hotels. Von Peter strotmann

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RuBRiKen EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD/BLU-RAy DVD-PERLEN TV-TIPPS ABCINEMA VORSCHAU / IMPRESSUM

Die Grande Dame des Kinos erhielt im Oktober den »Douglas-Sirk-Preis« beim Filmfest in Hamburg. Ein Gespräch über Vergangenheit und Zukunft, die Liebe zur Arbeit und Dreharbeiten mit Gorillas. Von michael ranze

22 Festivals

Das Festival in Mannheim-Heidelberg punktete mit meditativem Kino aus Lateinamerika und gelungenen Genreexperimenten, die Hofer Filmtage überzeugten mit hochklassigen Dokumentarfilmen. Von martina schlenk und margret Köhler

24 aaron sorkin

Mit rasanten Dialogscharmützeln hat sich der amerikanische Drehbuchautor zum Star seiner Zunft hochgearbeitet. Ein Porträt des Mannes hinter Filmen wie »The Social Network« und »Steve Jobs«. Von Kathrin Häger

26 in memoriam

Derzeit vertrauen die Studios teure Filmprojekte wie »Jurassic World« gern Newcomern an. Dahinter steckt Kalkül: Noch unerfahrene Filmemacher beugen sich eher den Vorgaben der Produzenten und lassen sich bei einem Misserfolg leichter ausbooten. Von Franz everschor

28 digitales kino

Der digitale Alltag ist nicht sonderlich kinogemäß. So bleibt Regisseuren oft nur der Rückfall in Retro-Stile oder eigene Erfindungen sinnlicherer Pixel-Welten. Ein Essay im Rahmen des Siegfried-KracauerStipendiums über den Verlust der physischen Realität im Kino. Von sven von reden

34 magische momente

Jean Cocteau erweckt in seiner poetischen Version von »Die Schöne und die Bestie« das Untier auf ergreifende Art zum Leben. Von rainer Gansera

Nachrufe u.a. auf die Schauspielerin Maureen O’Hara, die als rothaariges Temperamentbündel Mannsbildern wie John Wayne souverän Paroli bot.

fernseh­tipps

KInDeR JuGenD

FIlM Korrespondenz

Z Zum vierten Mal erscheint der FILMDIENST zusammen mit der »Kinder & D JJugend Filmkorrespondenz« als Beilage. Thematisch wird es ernst: Es geht u.a. T um Jugendliche & Dystopien wie in der u »»Tribute von Panem«-Reihe.

56 arte setzt ein einwöchiges »Dokumentarfilmfestival« mit zwölf hochkarätigen Co-Produktionen des senders an. Historisch wird es im Ersten mit einem Luis-Trenker-Biopic und auf RTL mit der ambitionierten Serie »Deutschland 83«.

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das hotel im Film – ein streiFzug

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menschen im hotel kino

ein früher uFa-stummfilm: »grand Hotel…!« (1927) von johannes guter liefert einen Querschnitt durchs treiben in einem Luxushotel.

Menschen unterwegs, abseits ihrer gewohnten umgebung, mal ausgeliefert, mal verführt vom Status des hofierten Gastes: immer schon haben sich Bücher und Kinofilme vom Schauplatz »Hotel« fasziniert gezeigt. Hier begegnen sich Menschen unterschiedlichster sozialer und nationaler Herkunft, hier entwickeln sich Konflikte und Geschichten aus ganz besonderen Konstellationen – Erzählungen nicht zuletzt auch über einen gesellschaftlichen Mikrokosmos. Von Peter strotmann »grand hotel. always the same. People come, people go«, seufzt Doktor otternschlag, »nothing ever happens.« Womit er Recht und Unrecht hat, der alte Arzt in »Menschen im Hotel« (1932), der Dauergast, der selbst schon vor geraumer Zeit gekommen ist und nicht mehr vor hat, zu gehen. Ja, es ist ein unablässiges Kommen und Gehen in dem Berliner Luxus-Etablissement. Aber dass nichts passiert? Wenn nichts passieren würde in den Hotels dieser Welt, dann wäre das Kino um ein attraktives Setting ärmer. Hotel und Kino, das ist mehr als eine Zufallsverbindung. Beiden Orten ist etwas gemeinsam: Beides sind künstliche Räume, in denen das Leben inszeniert wird bzw. sich selbst inszeniert. Von daher ist es fast zwangsläufig, dass der Schauplatz Hotel schon im frühen Tonfilm zelebriert wurde.

wir wünschen ihnen einen angenehmen aufenthalt! »I want to be alone«, klagt Greta Garbo, ebenfalls in »Menschen im Hotel«, mit einer ihrer großen Gesten, die noch an Stummfilmzeiten gemahnen. Natürlich geht das nicht, in einem Grand

Windige, aber charmante Hotel-Bekanntschaft: Cary grant als Meisterdieb hat es in Hitchcocks »Über den Dächern von nizza« auf grace Kelly abgesehen.

Hotel ist man nie allein, besonders dann nicht, wenn man die Grusinskaya ist, die von allen umsorgte Ballerina. Man ist nie allein – nach außen. Innen bleibt man allein mit seinen Krisen und Zweifeln und Ängsten, mit seinen unerfüllten Träumen und verlorenen Illusionen. Allein und einsam. Und einsam sind sie irgendwie alle in Vicki Baums Geschichte. Das Hotel gibt die trügerische Hoffnung, dass sich daran etwas ändern möge. Schließlich ist es ein Ort ständiger Begegnung, ein UmeinanderKreisen im Dreivierteltakt des Walzers, der im Hintergrund läuft wie Fahrstuhlmusik. In einem plüschigen Ambiente, das nicht nur wegen des Champagners trunken macht, kommt man schnell ins Plaudern, ins Flirten, man spricht offen von seiner tödlichen Krankheit, man schließt Freundschaften. Freundschaften fürs Leben, wie man glaubt. Aber alles ist auf Widerruf, beliebig und unverbindlich. »There’s no real thing«, bemerkt Flämmchen zum Baron, der meint, die wahre Liebe gefunden zu haben. »It just doesn’t exist.« Und dann ist die Sekretärin fast die einzige, die diesen dramatischen Reigen mehr oder weniger unversehrt verlässt, weil sie pragmatisch genug ist und von den großen Träumen Abschied genommen hat. Das Hotel mag in den frühen 1930er-Jahren noch kein Ort der Massenabfertigung sein, aber seine Gäste zeigen schon die seelischen Schäden einer Massengesellschaft. Die äußere Opulenz steht in krassem Gegensatz zur inneren Leere. Für den Film bleibt das Hotel der Schauplatz der großen Auftritte und Abgänge, der Wechselfälle des Lebens im 20. Jahrhundert. »Das ist Hotelleben«, bilanziert Herbert Marshall in Ernst Lubitschs »Ärger im Paradies« (1932), »in einem Zimmer verliert ein Mann seine Brieftasche, in einem anderen verliert ein Mann seinen Kopf.« In »Tanz mit mir« (1934) begegnen sich Fred Astaire und Ginger Rogers in einem Hotel am See, woraufhin so viel passiert, dass womöglich sogar Doktor Otternschlag seine Meinung revidiert hätte. Ungleich bescheidener ist der Standard im »Hotel du Nord« (1938). Aber Lebenswege können sich überall verheddern, da spielt es keine Rolle, ob einer oder fünf Sterne am Eingang prangen, da unterscheidet sich die Absteige im Pariser Norden nicht von der feinen Adresse an der Côte d’Azur.

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kino menschen im hotel

do not disturb! Zu den Stammgästen von Luxushotels zählt offensichtlich auch der Juwelendieb. John Robie in »Über den Dächern von Nizza« (1955) setzt insofern das Erbe des Barons von Gaigern aus »Menschen im Hotel« fort. Anders als diesem ist dem Glücksritter Cary Grant am Ende aber tatsächlich Glück beschieden. Fünf Jahre später, und der Aufenthalt im Hotel gerät – erneut bei Alfred Hitchcock – zum Albtraum. Und jetzt sind es nicht die Gäste, die ihn heraufbeschwören. Das Drama in »Psycho« (1960) ist schon da, es ist Teil des Ortes, Teil von Bates’ Motel. Ein Ort, der sich in die Erinnerung fräst. Der schmale düstere Bau auf dem Hügel hinter dem eigentlichen Motelgelände dürfte zu den berühmtesten Locations der Filmgeschichte gehören. Hotels sind Stätten der Begegnung. Allerdings nicht nur in der Gegenwart, die hier auf eine vielgestaltige Vergangenheit trifft. Der Empfang, die Bar, jedes Zimmer hat tausend Geschichten zu erzählen. Einige sind bekannt und nachzulesen in den offiziellen Jubiläumsschriften, andere werden verdrängt, viele bleiben unerzählt. Aber sie hinterlassen ihre Spuren, sie setzen sich in den Räumen fest. Ein Hotel ist nie leer – auch wenn es leer steht. Darauf basiert der Schrecken von »Shining« (1980). In Stanley Kubricks Stephen-King-Verfilmung erweckt das seelische Drama des erfolglosen Autors und unglücklichen Familienvaters Jack Torrance ein äußeres Drama, eine Jahre zurückliegende Bluttat in Zimmer 237, wieder zum Leben. Oder ist es umgekehrt? Jedenfalls: die Geister erwachen. Hatte der Schrecken in »Psycho« noch etwas Reales, Greifbares, in Gestalt einer mumifizierten Leiche, so ist er hier imaginiert. Das Overlook-Hotel erscheint mehr und mehr als ein Gefängnis der Gedanken. Die weiten Hallen, die geschlossenen Zimmer, die endlosen Flure, die immer wieder zum Anfang zurückführen, sie wirken wie Windungen und Sektoren eines Gehirns, das zunehmend dem Fieberwahn verfällt und dabei niemanden verschont. Zuerst sucht die blutige Vergangenheit den für das Übersinnliche ohnehin anfälligen Sohn heim, dann den Vater und am Ende sogar Wendy, die mental lange Zeit gesunde Mutter. Gegen das Horrorszenario, das sich schließlich in den Hotelmauern abspielt, wirkt das verschneite Labyrinth im Park fast schon

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ein Hotelportier wird degradiert zum toiletten-Mann und steigt dank eines plötzlichen geldsegens zum reichen Hotelgast auf: Murnaus »Der letzte Mann«.

heimelig. Und wenn Jack, die Axt in der Hand und ein teuflisches Grinsen im Gesicht, ruft: »Wendy, I’m home!«, dann ist das der blanke Hohn auf das Branchenversprechen, dass jedes Hotel ein zweites Zuhause sein will.

endstation hotel Kubrick drehte an einem Originalschauplatz. 1937 in den Bergen Oregons erbaut, wird die Timberline Lodge noch heute als Berghotel betrieben. Dabei erschien das aus Holz und Natursteinen errichtete Gebäude schon vor 35 Jahren fast wie ein Relikt. In der Welt der wirklichen Hotels war für das Handgemachte immer weniger Platz, und der Prunk des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der Grand Hotels, hatte sich weitgehend verabschiedet. Das neue Zauberwort hieß »funktional«, auf einem Markt, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs zunehmend von Hotelketten dominiert wurde. Neonröhren statt Kronleuchtern, in leb- und lieblosen Betonklötzen, mit Angeboten, die jede Nachfrage bedienten – aber vom Fließband. Das Hotelleben war unpersönlicher, anonymer geworden. Was bleibt, sind die Absteigen. In einer solchen schießen sich 1972 Steve McQueen und Ali MacGraw den Weg in die Freiheit, in »Laughlin’s Hotel« in El Paso. Am Ende des Shoot-Outs von »Getaway« ist ein guter Teil des Interieurs ramponiert, samt Aufzug. Im »Hotel Arcade« in Jim Jarmuschs »Mystery Train« (1989) kostet das Doppelzimmer 22 Dollar die Nacht, und so sieht es dann auch aus. »Kein Fernseher«, wie der japanische Neuankömmling sofort bemerkt. Für die modernen Nomaden werden auch die Hotel-Oasen immer unwirtlicher. Und die Unwirtlichkeit ist nicht unbedingt an der Ausstattung abzulesen. In Bill Murrays Hotel in »Lost in Translation« gibt es einen Fernseher, natürlich. Die Langeweile ist trotzdem ebenso allgegenwärtig wie die Schlaflosigkeit. Murray und Scarlett Johansson treiben in ihrer Einsamkeit umher, schließlich aufeinander zu, und im kühlen, sterilen Hotelklima entfaltet sich die Wärme einer Freundschaft. Aber wieder ist es nur eine Verbindung auf Zeit, bis zum Auschecken. Da schlägt die Regisseurin Sofia Coppola einen weiten Bogen zurück zu den suchenden Seelen der

Fotos: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen; Twentieth Century Fox Home Ent.; Paramount, Warner Home Ent.

Wandeln auf immer durch die Flure des »overlook Hotel«: Die geisterhaften Zwillinge aus Kubricks »the shining«

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menschen im hotel kino Vicki Baum. Ihre Protagonisten verlassen das Park Hyatt in Tokio getrennt, und wieder allein. Victoria, die Heldin von Sebastian Schippers gleichnamiger Tour de Force durch Berlin (2015), hat immerhin die Beute aus einem Bankraub in der Tasche, als sie das ebenso große wie menschenleere Hotel hinter sich lässt, in das sie erst kurz zuvor geflüchtet war. Dafür bleibt ein Toter zurück: der junge Desperado mit dem sprechenden Namen Sonne, den die spanische Austauschstudentin erst Stunden vorher kennen und vielleicht lieben gelernt hat. Das Hotelzimmer als Endstation – vielleicht passend für Existenzen, die schon vorher ziellos durch die Nacht der Metropole geirrt sind.

stets zu diensten Der Tod checkt auch im »Best Exotic Marigold Hotel« (2011) mit ein. Eine der sechs Seniorinnen und Senioren, die die beschwerliche Reise ins indische Jaipur auf sich nehmen, ist frisch verwitwet; ein weiterer wird während des Aufenthalts sterben, allerdings versöhnt mit seiner Vergangenheit. Ohnehin bricht die britische Komödie mit der Hotelfilm-»Tradition« der enttäuschten Hoffnungen. Alle Gäste des Best Exotic Marigold habe ihre Wunden und Probleme im Gepäck – Krankheit, Einsamkeit, eine Ehe mit Ermüdungsbrüchen –, aber sie finden tatsächlich Lösungen und Neuanfänge; wenn auch nicht immer die, auf die sie gehofft haben. »Wir können die Vergangenheit nicht zurückbringen, so sehr wir uns nach ihr sehnen«, stellt einer der Old Ager fest. Es gilt, den Blick nach vorne zu richten. Und das ausgerechnet an einem Ort, der nur Vergangenheit ist. Doch auch das völlig heruntergekommene Best Exotic Marigold hat am Ende wieder eine Zukunftsperspektive – und bietet als Hotel plötzlich nicht nur eine zweite, vorübergehende Heimat. Es wird »das« Zuhause. Dem jungen Betreiber soll es nur recht sein. Überhaupt, das Personal. In den Kino-Hotels bleibt es eher unauffällig und im Hintergrund, sieht man mal von einem Norman Bates oder Jack Torrance ab – und die sind wahrlich keine Vorzeigevertreter ihrer Zunft. Höchste Zeit, den Bediensteten ein Denkmal zu errichten. Und es gibt im Grunde nichts, worum sich Monsieur Gustave, der Concierge des »Grand Budapest Hotel« (2014), nicht kümmert, vom Anlernen des neuen Lobby Boy bis zu den leiblichen Bedürfnissen weiblicher Gäste, die von der Speisekarte nicht abgedeckt werden. Aber um dieses Denkmal zu setzen, begibt sich Wes Anderson weit in die Vergangenheit, in die 1930er-Jahre, und er schafft eine höchst artifizielle Welt, die sich manchmal ausnimmt wie eine Kulisse der Augsburger Puppenkiste, nur mit Kino-Budget. Das Grand Budapest liegt in einem nebulösen Kurort namens Nebelbad in der ebenso fiktiven Republik Zubrowka, irgendwo in den Karpaten – möglicherweise. Nichts ist mehr real, würde Flämmchen sagen; nicht das Hotel, der Ort, das Land, auch nicht die Kontinente umspannende geheime Bruderschaft der Concierges, die »Society of the Crossed Keys«. (Eine ähnliche, aber vertikal durch die Jahrzehnte laufende Linie offenbart sich am Ende auch in »Shining«: Jack Torrance »ist« Delbert Grady, der familienmordende Hausmeister.) Wahrscheinlich kann ein Idealtyp wie Monsieur Gustave nur in einer solch irrealen Welt existieren und agieren. Das erste Hohelied auf den Hotelbediensteten, der ohne seine Arbeit, seinen Betrieb kaum leben kann, ist sein Film allerdings nicht. Es wurde schon einmal gesungen, vor 90 Jahren, in F.W. Murnaus »Der letzte Mann«.

Läuft während des »cinefest« in der »Menschen im Hotel«-Reihe: »atlantic« (1929) um eine schwimmende Luxus-Herberge, angelehnt an die »titanic«

melancholisches hotelmärchen: »anomalisa« bei den filmfestspielen von venedig wurde der puppenanimationsfilm von charlie kaufman und duke Johnson mit dem großen preis der Jury geehrt; am 21.1.2016 kommt er in die deutschen kinos. schauplatz des tragikomischen puppenspiels ist ein großes hotel: einer jener anonymen kästen einer großen kette, die zwar komfort, aber keinen charakter haben. der passende schauplatz für die midlife-krisen eines erfolgreichen autors, der hier für einen vortrag eincheckt, sich dabei aber kreuzunglücklich fühlt: alles in seinem leben erscheint ihm qualvoll eintönig und gleichförmig. bis das hotel, wie so oft im kino, zum ort einer magischen begegnung wird: der autor trifft lisa, die zwar eher ein tollpatsch als eine traumfrau, aber ebenso eigenartig wie einzigartig ist – ein wahres lebenselixier für den deprimierten schreiberling. Zwischen hotelzimmern, fluren, hotelbar und fahrstuhl inszenieren die beiden filmemacher mit hilfe ihrer animierten, aber zutiefst menschlichen figuren eine ebenso komische wie hintersinnig-melancholische studie über die liebe als »anomalie« im tristen, durchnormierten und egozentrischen alltag – ein Juwel!

»menschen im hotel« »menschen im hotel. filmische begegnungen in begrenzten räumen«: unter diesem titel zeigt »cinefest 2015« während des Xii. internationalen festivals des deutschen film-erbes in hamburg (14.–22.11.) zahlreiche »hotel-filme« aus den anfängen des kinos bis zur gegenwart, die das gleiche thema eint: menschen treffen zufällig aufeinander, interagieren in einem relativ geschlossenen raum und gehen wieder auseinander. gleichzeitig bilden die filme den Zeitgeist wie durch ein vergrößerungsglas gesehen ab und bieten die möglichkeit (film-)historischer reflexionen. festival und internationaler filmhistorischer kongress geben erstmalig eine übersicht über die formen und mittel, mit denen diese geschichten erzählt werden und stellen sie in einen kulturhistorischen Zusammenhang. programm und weitere infos: www.cinefest.de

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kritiken neue filme

ich und earl und das mädchen Unorthodoxes Drama übers Erwachsenwerden selten hat ein Film bereits mit seinem (original-)titel so deutlich angekündigt, was den Zuschauer erwartet. In »Me and Earl and the Dying Girl« wird die Story erkennbar in die Nähe von Filmen wie »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« (2014) gerückt, in denen eine todkranke Heldin und ihre Umwelt mit dem unvermeidlichen Ende des Lebens konfrontiert werden. Andererseits kündet die spielerische Formulierung an, dass es hier wohl etwas weniger tränenreich zugeht. Die Hauptperson ist nicht das sterbende Mädchen, sondern der noch nicht ganz der Pubertät entwachsene Teenager Greg, der die Geschichte seiner Freundschaft mit der an Leukämie erkrankten Rachel erzählt. Der Film muss sich mit existenziellen Situationen auseinandersetzen wie Rachels Furcht vor dem Sterben und Gregs ungewisser Zukunft nach dem Schulabschluss. Aber das geschieht mit erstaunlicher Leichtigkeit und einem buntscheckigen visuellen Vokabular, das auch hinter traurigen Begebenheiten noch erlösende Hei-

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terkeit entdeckt, ohne die Ereignisse zu verniedlichen. Greg hat die Klippen seiner Schulzeit hauptsächlich dadurch bewältigt, dass er gemeinsam mit seinem einzigen Freund Earl ein Faible für Filme entwickelte. Seit Kindertagen imitieren die beiden mit einer alten BolexKamera und jener Unbekümmertheit, die ihrem Alter eigen ist, was sie im Kino gesehen haben. Sie können sich für Powell und Pressburger begeistern, für Truffaut, Kubrick oder Werner Herzog und geben ihren kleinen, selbstproduzierten Parodien Titel wie »The 400 Bros« und »Eyes Wide Butt«. Greg hat es auf diese Art geschafft, seine Individualität zu bewahren, unbeschädigt von allen Cliquen und Blessuren des High-SchoolDaseins. Als ihn seine Mutter eines Tages anhält, Zeit mit seiner kranken Klassenkameradin Rachel zu verbringen, tut er das zunächst eher widerwillig. Auch im Umgang mit Rachel bleibt er der unangepasste, kuriose, keinem Risiko ausweichende Einzelgänger, der er immer schon war und vermutlich sein Leben

lang bleiben wird. Regisseur Alfonso Gomez-Rejon und sein Drehbuchautor Jesse Andrews, auf dessen Buch der Film beruht, beschreiben ihren Helden und dessen Erwachsenwerden ebenso sehr mit Hilfe der ausgelassenen Amateurfilmchen, von denen Greg und Earl nicht lassen können, wie mit Szenen der sich entwickelnden Freundschaft. Ihr Stil ist scheinbar unorganisiert (wie in den filmischen Gehversuchen der beiden Möchtegern-Regisseure), spontan und immer ein bisschen zur Verrücktheit neigend, am ehesten mit Wes Anderson vergleichbar, aber weniger rational ausgefuchst. Sie ziehen die in ihrem Kern tieftraurige Geschichte nie ins Lächerliche, obwohl es mehr zu lachen als zu weinen gibt. Sentimentalität und Melodramatik, wie sie thematisch ähnlichen Filmen meist im Übermaß anhaften, finden sich hier nirgends; Ernsthaftigkeit lugt dafür hinter jeder noch so komischen Situation mit bewegender Scheu hervor, was genau dem Charakter des Protagonisten entspricht: eine lange Gratwanderung, die gestandenen Regisseuren nicht überzeugender hätte gelingen können.

Die wackeligen Amateurfilmchen, allesamt integrale Bestandteile der Geschichte, sind voller komischer Einfälle und kommentieren die Handlung mit ausgelassenen Aperçus voller ungehemmter Offenherzigkeit. Man hätte es kaum für möglich gehalten, dass ein so ernstes Thema mit so viel Unbekümmertheit und Leichtigkeit, gleichzeitig aber auch mit solcher Karikaturlaune auf die Leinwand gebracht wird. Den jungen Darstellern passen ihre Rollen wie maßgeschneidert. Nur Olivia Cooke muss achtgeben, dass sie nicht auf den Topos des todkranken Mädchens festgelegt wird, das sie auch schon in der erfolgreichen Fernsehserie »Bates Motel« spielt. Franz everschor

bewertung der filmkommission

ein einzelgängerischer teenager und hobby-regisseur freundet sich mit einer an leukämie erkrankten klassenkameradin an. das aus zahllosen melodramen vertraute thema wird auf einer parallelen ebene mit ausgelassen karikierfreudigen amateurfilmen angereichert und somit ebenso spontan wie unsentimental abgewandelt. heiterkeit und betroffenheit wechseln sich angesichts des unorthodoxen stils des films ständig ab. eine frische, optimistische komödie über das erwachsenwerden und den tod. – sehenswert ab 14.

me and earl and the dying girl. scope. usa 2015 regie: alfonso gomez-rejon darsteller: thomas mann (greg), rJ cyler (earl), olivia cooke (rachel), nick offerman (gregs dad), connie britton (gregs mom), molly shannon (denise), Jon bernthal, katherine c. hughes länge:106 min. | kinostart: 19.11.2015 verleih: fox | fsk: ab 6; f fd­kritik: 43 478

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neue filme kritiken

herr von bohlen

Fotos S. 36-51: Jeweilige Filmverleihe

Illustres Doku-Drama über den »letzten Krupp« sein urgroßvater Fritz, das berichtet arndt von Bohlen und Halbach nicht ohne stolz, habe sich in den letzten Lebensjahren auf Capri mit italienischen jünglingen verlustiert. Das Ausschweifende und ja, auch das Homosexuelle, liege also doch irgendwie in der Familie der ach so preußischen Familie Krupp – aus der er, Arndt von Bohlen, verstoßen wurde. Von Bohlen war eine schillernde Figur der Nachkriegszeit, an der sich viel über diese Zeit, das Wirtschaftswunder, deutsche Tugenden und den Bruch mit der Generation der Väter ablesen lässt. Da sich gerade dieses Schillern in einer rein dokumentarischen Erzählung nur schwer einfangen lässt, hat Regisseur André Schäfer zu einem Trick gegriffen und die »Hauptrolle« mit dem Schauspieler Arnd Klawitter besetzt. Schäfer macht sein Vorgehen eingangs in einer Art »Making of«-Sequenz sogleich transparent. Der Zuschauer wird Zeuge einer Casting-Situation und entscheidet gewis-

sermaßen mit, nachdem er zuvor den echten Arndt von Bohlen in einem Archiv-Ausschnitt gesehen hat: Ja, Klawitter scheint der richtige Kandidat zu sein; er hüllt sich ganz selbstverständlich in den ausufernden Pelzmantel, spielt nicht zu wenig und nicht zu viel. Klawitter führt als 40-jähriger Arndt von Bohlen sodann einen fiktiven Reporter durch das Jahr 1978. Er spricht den Reporter dabei direkt an, blickt in die Kamera und kokettiert mit ihr. In diesem Vexierspiel irritiert – vermutlich vor allem deshalb, weil die Ausgangslage bekannt ist – die ironisch-sarkastische Distanz, die Süffisanz, mit der Klawitter die Originalzitate gelegentlich ausstattet. Man fragt sich unwillkürlich, ob dies die Distanz Arndt von Bohlens zur Kamera, respektive zur Gesellschaft ist, die der Schauspieler spielt, oder ob nicht vielmehr der Schauspieler auf Distanz zur Figur, zur Rolle geht? Doch abgesehen von diesem Irritationsmoment, funktioniert

die Mischform – origineller Weise vor allem deshalb, weil der Zuschauer zuvor zum Komplizen der Form gemacht wurde. Er hat ja sogar bei der Auswahl der Schauspieler »mitentschieden« – und weiß genau, bei welchen Sequenzen es sich um Fiktion und wo es sich um Dokument handelt. Virtuos kombiniert Schäfer zu den inszenierten Szenen Interviews mit Wegbegleitern – wie zuvorderst mit dem treuen Nachlassverwalter Holger Lippert – und echtes Archivmaterial. Das oft an Originalschauplätzen re-inszenierte Material imitiert dabei den Look des authentischen Materials. Die Presse machte damals Stimmung gegen Arndt von Bohlen als »jüngsten Frührentner Deutschlands«. Tatsächlich bekam er zwei Millionen D-Mark im Jahr und diverse Besitztümer der Familie: die Villa in Marrakesch, Wohnungen in München und New york, Residenzen in Essen und auf Sylt, Schloss Blühnbach im Salzburger Land, auf dem er zeitweilig residierte. Eine »Rente« war das deshalb, weil Arndt von Bohlen, »der letzte Krupp«, auf sein Erbe verzichtete. Sein Vater Alfred Krupp von Bohlen und Halbach konnte auf diese Weise das kriselnde Unternehmen in eine Stiftung umwandeln – und nebenbei die Erbschaftssteuer umgehen. Auf 3,5 Milliarden D-Mark und den Firmenvorsitz hätte sich das Erbe belaufen – und den Namen Krupp hätte Arndt ebenfalls führen dürfen, ein kaiserliches Privileg. Der Vater Alfred hatte den Sohn einst wohl durchaus für die Führung des Konzerns vorgesehen, dann aber seine Meinung geändert, vermutlich auch unter dem Einfluss des charismatischen Generalbevollmächtigten Bert-hold Beitz. Vor diesem – der zunächst wie

ein zweiter Vater für ihn war – floh Arndt von Bohlen dann zeitlebens. Anschaulich berichtet das Wirtsehepaar der »Grünen Gans«, seines Münchner Promi-Restaurants, wie er sich durch die Hintertür davonmachte, wenn Beitz das Lokal betrat. Die Münchner Schickeria, der internationale Jet-Set, Industriegeschichte, familiäre Verwerfungen, die Heirat mit einer verarmten Adligen, ein offen homosexuelles Leben im Luxus: Dokument und Fiktion, leidenschaftlich ausgestattet und kostümiert, bereichern sich hier gegenseitig. Selbst für diejenigen, die gar nicht mehr wissen, wer Arndt von Bohlen war, gibt der Film einen Blick auf ein – schillerndes – Zeitbild frei. Julia Teichmann

bewertung der filmkommission

arndt von bohlen und halbach (1938-1986) war der einzige erbe des krupp-konzerns, der als schillernder paradiesvogel die regenbogenpresse der nachkriegszeit beschäftigte. in einer höchst unterhaltsamen mischung aus fiktion und dokument zeichnet der film das eindringliche porträt des bekennenden homosexuellen. interviews mit weggefährten und rudimentäres archivmaterial werden in einer fiktiven handlung von schauspielern, die szenen aus von bohlens Jet-set-leben nachstellen, mit viel spiellaune nach originalzitaten zum leben erweckt. – ab 14.

deutschland 2015 regie: andré schäfer darsteller: arnd klawitter (arndt von bohlen und halbach), arne gottschling länge: 90 min. | kinostart: 19.11.2015 verleih: salzgeber | fsk: ab 0; f fd­kritik: 43 479

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kritiken fernseh-tipps

10.03 – 11.30 das erste lola auf der erbse r: thomas heinemann märchenhaft-poetischer kinderfilm deutschland 2014 sehenswert ab 8 15.15 – 16.50 wdr fernsehen männer im wasser r: måns herngren männer in midlife-krise werden synchronschwimmer schweden/deutschland 2008 ab 12 20.15 – 22.00 disney channel pinocchio r: ben sharpsteen, hamilton luske berauschendes Zeichentrickmeisterwerk usa 1940 sehenswert ab 6 20.15 – 23.20 sat.1 harry potter und der halbblutprinz r: david yates sechster teil der fantasysaga usa/gb 2009 ab 12 20.15 – 22.30 servus tv abbitte r: Joe wright fantasiebegabtes mädchen löst katastrophe aus gb/f 2007 ab 16

samstag 14. november 21.55 – 23.15 3sat arteholic – udo kiers kunst­trip r: hermann vaske kunstsinniges porträt des schauspielers deutschland 2013 ab 14 23.00 – 00.25 zdf_neo darkman r: sam raimi maskierter wissenschaftler rächt sich an peinigern usa 1989 ab 16 23.30 – 01.05 br fernsehen das schwein von gaza r: sylvain estibal fischer aus gaza findet ein schwein f/belgien 2011 sehenswert ab 12 00.15 – 02.25 wdr fernsehen kurz und schön 2015 lange kurzfilmnacht 00.25 – 02.05 zdf_neo the oxford murders r: alex de la iglesia philosophischer mystery-thriller vor oxford-hintergrund spanien/großbritannien 2008 ab 16

20.15 – 23.00 zdf_neo rendezvous mit joe black r: martin brest der tod verliebt sich in hübsche frau usa 1998 sehenswert ab 16

00.40 – 02.18 das erste tödliche versprechen – eastern promises r: david cronenberg melancholisches noir-drama in russenmafia-kreisen usa/kanada/gb 2007 sehenswert

21.50 – 23.30 br fernsehen zaytoun r: eran riklis eindrückliches porträt einer Jugend im krieg israel/gb/frankreich 2012 ab 14

02.30 – 04.20 zdf ein fressen für die geier r: don siegel shirley maclaine als prostituierte in nonnenkleidern usa 1968 ab 16

14. november, 21.55 – 23.15

arteholic – udo kiers kunst­trip

udo kier ist ein »arteholic« – ein mensch also, der sich, auch wenn seine gesundheit in mitleidenschaft gezogen wird, den schönen künsten widmet wie ein workaholic seiner arbeit. schließlich wurde der 1944 in köln geborene schauspieler einst mit zwei filmen aus andy warhols »factory« bekannt, drehte mit christoph schlingensief 1991 die mockumentary »tod eines weltstars« und bewies in vielen internationalen produktionen seinen ruf als extravaganter exzentriker. für regisseur hermann vaske begibt sich kier auf eine reise durch berühmte europäische museen von kopenhagens louisiana museum bis zum centre pompidou in paris und begegnet in anekdotischer manier künstlern wie rosemarie trockel, Jonathan meese oder guy maddin. daraus ergibt sich »ein vergnügliches flanieren durch die kunsttempel europas, das dem erhabenen immer mit ironie begegnet und durch die präsenz kiers stets ein trash-moment in petto hat.« (ulrich kriest)

14. november, 00.25 – 02.05 14. november, 00.15 – 02.25

kurz und schön 2015

wdr fernsehen

der nachwuchswettbewerb »kurzundschön« für filmstudierende aus deutschland, österreich und der schweiz ist eine etablierte marke, die 2015 bereits zum 18. mal ausgerichtet wird. als partner des wettbewerbs zeigt wdr fernsehen deshalb am 14.11. eine auswahl aus den eingereichten kurzfilmen der letzten Jahre, die durch die gewinner des aktuellen Jahrgangs ergänzt werden. bei der preisverleihung am 28.10. in köln wurden u.a. »die Jacke« (patrick vollrath, filmakademie wien) als bester kurzspielfilm und »approaching the puddle« (sebastian gimmel, khm köln) als bester experimentalfilm geehrt. einsfestival wiederholt die kurzfilmnacht am 20.11. (23.20 – 01.35).

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3sat

zdf_neo

the oxford murders

regisseur alex de la iglesia, der filme wie »aktion mutante«, »mad circus« und »witching and bitching« gemacht hat, kehrt gerne mal das körper­ innere nach außen. sein us-krimi »the oxford murders« zielt jedoch eher auf gepflegte suspense denn auf splattrigen kunstblutverbrauch ab, auch wenn es um eine handfeste mordserie geht: ein amerikanischer student (elijah wood), der in oxford einige auslandssemester absolviert, nähert sich über eine mysteriöse mordserie seinem verehrten doktorvater (John hurt) an, der die theorie wittgensteins vertritt, dass alle angenommenen wahrheiten gegebenenfalls auch in frage gestellt werden müssen. de la iglesia liefert hier einen amosphärisch dichten, an stimmungsvollen originalschauplätzen gedrehten, philosophisch und erkenntnistheoretisch unterfütterten mystery-thriller, der spannend und klug unterhält.

Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

sa

Filmdienst 23 | 2015

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fernseh-tipps kritiken

so ab sonntag, 15.11., 22.00 – 23.30

Zdf

neue serie: the fall – tod in belfast

als kritische fbi­ermittlerin hat gillian anderson in »akte x« in den 1990er­ jahren fernsehgeschichte geschrieben; seitdem ist es zwar stiller geworden um die 1968 geborene schauspielerin, jedoch begeistert sie immer wieder durch starke auftritte sowohl in (arthouse-)filmen, auf der bühne als auch im fernsehen. nicht zuletzt für die britische bbc hat sie sehenswerte arbeiten abgeliefert. Zu ihnen gehört auch die krimiserie »the fall«, in der anderson als detective superintendent stella gibson in nordirland ermittelt. von london nach belfast beordert, um den örtlichen behörden zu helfen, einen serienkiller dingfest zu machen, wird sie mit einem kniffligen fall konfrontiert: ein familientherapeut ( »50 shades of grey«-star Jamie dornan) steht in verdacht, mehrere frauen auf dem gewissen zu haben. eine aufreibende Jagd beginnt. das Zdf strahlt die sechs folgen der mehrfach preisgekrönten, düsteren krimiserie immer sonntags um 22:00 uhr aus. achtung: der sender zeigt eine gegenüber dem original leicht gekürzte fassung. uncut erscheint die erste serienstaffel am 4.12. auf dvd/bd. 15. – 20. november, 00.25 – 02.05

arte­dokumentarfilmfestival

arte

arte ist einer der großen ermöglicher des internationalen dokumentarfilm­ schaffens. ohne das engagement des senders wären filme wie die beiden meisterwerke von Joshua oppenheimer, »the act of killing« (19.11., 23.30 – 01.05) und »the look of silence« (19.11., 21.45 – 23.30) überhaupt nicht möglich. in der woche vom 15. – 20. november sind 12 besonders prägnante co-produktionen zu einem »arte-dokumentarfilmfestival« gebündelt, darunter auch viele hochkarätige film-premieren, die es in deutschland nicht ins kino geschafft haben. unter anderem ist auch »behemoth – der schwarze drache« (18.11., 23.05 – 00.30) von Zhao liang zu sehen, den die katholische Jury beim diesjährigen filmfestival in venedig mit dem signis-preis ausgezeichnete (siehe s. 59). ein kinogeschichtliches highlight der reihe ist »hitchcock-truffaut« (16.11., 20.15 – 21.35) über die berühmte begegnung der beiden regisseure, während »austerlitz« (17.11., 23.35 – 01.05) sich auf die spannende suche auf den spuren des fiktiven helden von w.g. sebalds »austerlitz«-roman begibt. 15.11., 16.11., 16.11., 17.11., 17.11., 17.11., 18.11., 18.11., 19.11., 19.11., 20.11., 20.11.,

22.25 – 23.40: 20.15 – 21.35: 23.30 – 00.45: 20.15 – 21.55: 21.55 – 23.35: 23.35 – 01.05: 21.35 – 23.05: 23.05 – 00.30: 21.45 – 23.30: 23.30 – 01.05: 21.45 – 23.15: 23.15 – 00.50:

18 kühe zwischen zwei fronten hitchcock­truffaut domino effekt bonne nuit papa la maison de la radio austerlitz im wartesaal des krieges behemoth – der schwarze drache the look of silence the act of killing sleepless in new york breathing earth – susumu shingus traum

sonntag 15. november

08.10 – 09.35 br fernsehen finn und die magie der musik r: frans weisz alter geiger hilft trauerndem Jungen niederlande/belgien 2013 ab 10

22.25 – 23.40 arte 18 kühe zwischen zwei fronten r: amer shomali milchkühe geraten in intifada frankreich 2011 ab 16

10.15 – 10.45 3sat leidenschaft und wahnsinn r: florian kummert sebastian schipper und seine filme deutschland 2015 ab 14

22.30 – 00.00 rbb fernsehen 600 kilo pures gold! r: eric besnard sechs goldräuber müssen sich durch dschungel kämpfen frankreich 2010 ab 16

10.45 – 12.25 3sat bal – honig r: semih kaplanoglu ein Junge verliert seinen vater türkei 2009 sehenswert ab 14 11.00 – 12.45 mdr die eiserne maske r: henri decoin beschwingter abenteuerfilm mit Jean marais frankreich/italien 1962 ab 14 12.00 – 13.15 kika das singende, klingende bäumchen r: francesco stefani fantasiereicher märchenfilm in studiokulissen ddr 1957 ab 6 20.15 – 22.35 rtl rush – alles für den sieg r: ron howard James hunt gegen niki lauda usa/dt./gb 2013 ab 14 21.45 – 23.05 3sat wastecooking – kochen statt verschwenden r: georg misch sternekoch verwertet abgelaufene lebensmittel Österreich 2015 ab 14

22.50 – 01.40 prosieben terminator 2 – tag der abrechnung r: James cameron bisher bester teil des franchises usa 1990 ab 16 23.00 – 00.30 br fernsehen die uhr läuft ab r: Jean delannoy solider actionkrimi großbritannien 1974 ab 16 00.10 – 01.45 action man – bankraub fast perfekt r: Jean delannoy intelligenter psycho-krimi frankreich/italien 1966

3sat

ab 16

00.20 – 02.03 das erste boy a r: John crowley Jugendlicher mörder ringt mit schuld und neuanfang gb 2007 sehenswert ab 14 01.00 – 02.30 hr fernsehen auf die nacht folgt der tag r: tomás kudrna, Jirí menzel berührende doku über drei zwangsverschleppte frauen tschechien/deutschland 2011 ab 14

hitchcock-truffaut

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