Filmdienst 19 2015

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fIlM DIenST Das Magazin für Kino und Filmkultur

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www.filmdienst.de www.fi lmdienst.de

Seit »Ziemlich beste freunde« ist er in frankreich ein Star. Immer schon war er ein großartiger Schauspieler, dessen facettenreichtum sich nie vorhersagen lässt:

FRANÇOIS CLUZET 19

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STeRBeHIlfe

Des lebens überdrüssig? Immer mehr filme zum Thema Sterbehilfe denken in jüngster Zeit Krankheit und Selbstmord zusammen.

JAMeS DeAn

Roter Blouson, fluppe, lässige Haltung: James Dean führt auch 60 Jahre nach seinem Tod ein unsterbliches eigenleben.

SReBRenICA

Die Wahrheit verhandeln: Der Dokumentarfilm »Der serbische Anwalt« konfrontiert mit dem Grauen von Srebrenica.

17. Sept. 2015 € 5,50 68. Jahrgang

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filmdienst 19 | 2015 kinotipp

der katholischen Filmkritik

42 iraqi odyssey ein umwerfend witziges, buntes, aufwühlendes Porträt einer Großfamilie im exil

neu im kino Alle sTArTTermine

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am ende ein Fest 24.9. capital c 24.9. captive 17.9. everest 17.9. Fack ju göhte 2 10.9. ich und kaminski 17.9. iraqi odyssey 24.9. kleine graue wolke 24.9. die legende der weißen pferde 24.9. life 24.9. limbo 24.9. magie der moore 24.9. maze runner – die auserwählten in der brandwüste 24.9. moloch tropical 17.9. mord in pacot 17.9. schmidts katze 24.9. sinister 2 17.9. der sohn der anderen 17.9. stella 24.9. tango pasíon 17.9. the visit 24.9. der vater meiner besten Freundin 24.9. voll paula! 17.9. welcome back 4.9. wir können nicht den hellen himmel träumen 17.9. you and i 17.9.

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28 ikone james dean

52 dvd-tipps: olive kitteridge

fernseh-tipps 56 ein »lichtblick in der deutschen krimiserien-landschaft« ist »blochin« von matthias glasner, dessen fünf episoden das ZDf vom 25. bis 27. september ausstrahlt. Das erste zeigt die 3. staffel von »Weissensee« (29.9. – 1.10., jeweils ab 20.15), in der die nachwendezeit aus sicht zweier familien dargestellt wird.

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34 magische momente

fotos: TiTel: Weltkino. s. 4/5: nfP, Warner Home, Concorde, farbfilm, universum, square one.

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inhalt kino

akteure

filmkunst

10 sterbehilfe

24 interview samir

31 interview anton corbijn

10 Sterbehilfe

20 françoiS cluzet

Durch die fortschritte der modernen medizin rückt paradoxerweise auch das ende des lebens immer mehr in die Verantwortung des menschen. Darf man, soll man, muss man den Tod in die eigenen Hände nehmen? Das kino diskutiert dies zunehmend mit filmen, die krankheit und selbstmord zusammendenken. ein kritischer Durchgang durch aktuelle Beispiele. Von heidi strobel

16 Srebrenica

Der serbisch-stämmige regisseur Aleksandar nikolić hat einen eindringlichen Dokumentarfilm über einen der Anwälte des kriegsverbrechers radovan karadzić gedreht. sein film »Der serbische Anwalt — Verteidige das unfassbare!« wird zur intensiven forschungsreise ins ehemalige Jugoslawien. Von silke kettelhake

»monsieur Großaufnahme« ist seit gut zehn Jahren in frankreich die nummer eins, wenn es um anspruchsvolle rollen geht. mit großer intensität bringt er komplexe Persönlichkeiten zum leben und glänzt mit einem facettenreichtum, der jedes mal aufs neue überrascht. Von marius nobach

23 in memoriam

nachrufe auf den amerikanischen regisseur Wes Craven, der jeder Zeit ihren eigenen Horrorfilm zu geben versuchte. und auf den umtriebigen »Total filmmaker« Peter kern, der sich nicht nur selbst gerne in szene setzte, sondern stets die Belange der Zivilgesellschaft auch politisch vertrat. Von tim slagman und ulrich kriest

24 interview Samir

Der 1955 in Bagdad geborene schweizer filmemacher und Produzent rekapituliert in »iraqi odyssey« die verschlungenen Pfade seiner Großfamilie, deren mitglieder über den ganzen Globus verstreut sind. in 3D und epischem Atem. Von kay hoffmann

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rubriken eDiToriAl inHAlT mAGAZin DVD/Blu-rAy DVD-Perlen TV-TiPPs ABCinemA VorsCHAu / imPressum

27 e-mail auS hollywood

in Hollywood hat man m. night shyamalan von film zu film immer mehr abgeschrieben, weshalb der regisseur jetzt mit »Wayward Pines« seiner erste fernsehserie gedreht hat. und mit »The Visit« einen Horrorfilm, der er selbst finanzierte. Von Franz everschor

28 ikone JameS dean

Auch 60 Jahre nach seinem Tod ist James Dean eine aktuelle Pop-ikone. Dabei erzählen seine figuren weniger von Coolness als von sensibilität, von jugendlichen Ängsten und Gefühlverwirrungen. Vielleicht liegt darin seine Zeitlosigkeit begründet. Von thomas klein

31 interview anton corbiJn

Der ehemalige fotograf Anton Corbijn hat einen film über den fotografen Dennis stock gedreht, dessen James-DeanBilder unsterblich wurden. ein Gespräch über unterschiede und Gemeinsamkeiten zweier bildgebender medien. Von margret köhler

33 muSik & film

notizen zu »Blue Velvet revisited« von Tuxedomoon & Cult With no name, »Victoria« von nils frahm, »im Argen« von radare, »maelstrom« von ulrike Haage. Von ulrich kriest

34 magiSche momente

in »Vicky Cristina Barcelona« lässt Woody Allen die Tragik unglücklicher liebschaften unter der mediterranen sonne der spanischen metropole aufscheinen. Von rainer gansera

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kino sterbehilfe

Des Lebens überDrüssig Viele Filme setzen sich mit aktiVer sterbehilFe auseinander. und beziehen OFt eindeutig pOsitiOn. dOch nicht immer Überzeugen ihre argumente. eine reFlexiOn in kritischer absicht. Von heidi strobel

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sterbehilfe kino

ringt mit dem todeswunsch ihres mannes: senta berger in Âťsatte Farben vor schwarzÂŤ

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Ze'ev revach wechselt die Fronten: »Am ende ein Fest«

kino sterbehilfe

Yehezkel ist ein listiger alter bursche. er weiß, dass man manchmal zu außergewöhnlichen Mitteln greifen muss. erst recht, wenn jemand seines lebens überdrüssig ist. Dann tritt yehezkel als der schöpfer höchstpersönlich auf. er spricht gut zu und ermahnt. Denn nach jüdischorthodoxer religion ist das leben eine Pflicht. Wie Abraham alt und lebenssatt zu sterben, gilt als besonderes Vorrecht, auch als großes Glück. Deshalb muss man alles daransetzen, das leben zu verlängern. Aber weiterleben zu dürfen ist nicht nur ein Privileg, sondern manchmal auch eine last. Auf einem krankenhausbett liegt yehezkels freund max, der schreckliche schmerzen erdulden muss. Von diesen Qualen will ihn seine ehefrau erlösen. Auf ihr Drängen hin wechselt yehezkel die fronten: Der einstige fürsprecher des lebens erfindet einen Apparat, mit dem sich unheilbar kranke eine tödliche infusion verabreichen können. Der israelische film »Am ende ein fest« (kritik in dieser Ausgabe) führt vor, dass alte kranke men-

der bundestag debattiert über »assistierten selbstmord«: die politik will sterbehilfe erleichtern und dafür die beihilfe zum selbstmord gesetzlich regeln. im juli 2015 debattierte der bundestag über vier anträge. drei der entwürfe wollen dies über eine neuformulierung des paragraphen 217 im strafgesetzbuch regeln; der antrag von peter hintze hingegen möchte dafür einen passus im Zivilrecht aufnehmen. vertiefende informationen dazu sind der internet-ausgabe dieses artikels angefügt (www.filmdienst.de).

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schen ihr leiden nur allzu gern abkürzen würden, wenn ihnen die jüdische Gesellschaft dies erleichtern würde. im kontext der aktuellen deutschen Debatte um die sterbehilfe, die im november gesetzlich neu geregelt werden soll, nimmt der film von sharon maymon und Tal Granit eine eindeutige Position ein.

mit einem sehnsuchtslied musikalisch immer wieder unterstreicht. Der assistierte selbstmord erscheint als »letzter freundschaftsdienst«. [ wann endet die hoffnung? ] »Amour fou« (2014) von Jessica Hausner ist kein film über sterbehilfe. Doch er philosophiert über Prinzipien wie freiheit und Autonomie, die bei der rechtfertigung des assistierten selbstmords immer wieder bemüht werden. kann der »freitod« kranker menschen überhaupt selbstbestimmt sein? oder gibt man sich dabei nur einer fixen idee anheim? Wie kompliziert es ist, den selbstmord ethisch zu begründen, führt »Amour fou« in streng-stilisierten, statischen und durch farben sprechende einstellungen

[was macht das leben lebenswert?] yehezkels ehefrau levana kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Anfangs tritt sie als vehemente Gegnerin der sterbehilfe auf; sie trägt die bekannten Argumente vor, kritisiert die Beihilfe als mord aus eigennutz. Doch das ändert sich, als sie selbst an Alzheimer erkrankt, einer krankheit, die als besonders beängstigend empfunden wird. eine eindeutige Position. Anhand levanas entwicklung soll die kritische stimme im Zuschauer verstummen, nach dem Prinzip: man muss erst einmal selbst in die lage kommen! Der Zuschauer soll überdenken, was ein leben lebenswert macht und was nicht. Der film zeigt diese »läuterung« etwas linear und eindimensional: schritt für schritt verschärft sich levanas körperliches wie psychisches leid, zeitweise verliert sie ihr schamgefühl und brüskiert andere. ihr Besuch in einem trostlosen Pflegeheim endet desillusioniert. in den aseptisch weißen räumen ist alles leben erstarrt. Demente sitzen nebeneinander und bekommen nichts mehr mit. in einer solchen einrichtung möchte niemand enden! so behauptet »Am ende ein fest« eine einzige lösung, die der film

eindrücklich vor Augen. sie spiegeln zugleich das geistige korsett der figuren. Heinrich von kleist glaubt in Henriette Vogel eine Wesensverwandte gefunden zu haben, mit der er gemeinsam selbstmord begehen kann. in der zweckfreien Auflösung im nichts könnten sie beide autonom ihren Willen bekunden, echte Gefühle, liebe erleben und alle konventionen hinter sich lassen. Henriette verwahrt sich zunächst gegen seine idee. Doch sie entscheidet sich um, als sie erfährt, dass sie an einer unheilbaren krankheit leidet. Die stellt den sinn ihres bisherigen lebens radikal infrage. Depressiv verstimmt, willigt sie ein. Doch wie schnell können sich meinungen ändern! nochmals wendet sich das Blatt,

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als eine mögliche Heilung in frankreich in Aussicht steht. Wollte Henriette gestern noch sterben, lassen sie eine mögliche Therapie und menschlicher Beistand heute wieder Hoffnung schöpfen. Wenn man sich aber bereits festgelegt hat, steckt man in einem Dilemma. Am ende hat man, wie im film, unwiderruflich die freiheit der Wahl verspielt. so kann sich ein »freitod«, als autonomes Handeln verherrlicht, als lebens- und menschenfeindlich entpuppen. Was ein gewichtiges Gegenargument ist.

Keine Angst vor dem Tod: »Hin und weg«

sterbehilfe kino

[wie soll ein gutes sterben aussehen?] engagiert sich ein film für oder gegen die sterbehilfe, betreibt er dies stets auch aus bestimmten ethisch-philosophischen, auch aus politischen Überle-

Versuch über Freiheit & Autonomie: »Amour Fou«

weitere filme zum thema »bella addormentata« von marco bellocchio »exit – das recht zu sterben« von fernand melgar »der geschmack der kirsche« von abbas kiarostami »liebe« von michael haneke »das meer in mir« von alejandro amenábar »mondscheinkinder« von manuela stacke »ruhm« von isabel kleefeld

sucht gründe, um am Leben zu bleiben: senta berger in »ruhm«

»sprich mit ihr« von pedro almodóvar

gungen heraus. Deshalb muss man sich fragen: Welches menschenbild liegt ihm zugrunde? Was macht für den film ein gutes leben aus? Welche Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse finden darin Platz? und schließlich: Wie soll ein »gutes« sterben aussehen? Die Hauptfigur in »Hin und weg« (2014) von Christian Zübert wertet klar und macht dem Zuschauer deutlich: Jede Generation muss die frage nach der sterbehilfe neu für sich entscheiden. Die söhne urteilen dabei anders als ihre Väter. Hielten die ihren Qualen tapfer stand und wurden darin auch zumeist von ihren ehefrauen unterstützt, verhallt bei jungen männern heute jeglicher Durchhalteappell – im Teilen oder mitleiden sehen sie keinen sinn mehr. sie setzen sich auch nicht mehr in relation zu einem Gemeinwesen. für die nächste Generation bedeutet fürsorge Abhängigkeit, und die wertet sie als niederlage.

nachdem in »Hin und weg« der 36-jährige Hannes wie sein Vater an Amyotropher lateralsklerose (Als) erkrankt, will er in Belgien aktive sterbehilfe in Anspruch nehmen, eine »Tötung auf Verlangen«, was in Deutschland strafbar ist. Hannes’ inszenierung seines endes offenbart eine auffällige selbstbezogenheit, eine geradezu orale Gier, bei der alle anderen zu statisten degradiert werden. so bricht er mit seinen freunden zur jährlichen radtour auf, ohne sie über sein eigentliches Ziel aufzuklären. Als sie dieses dann erfahren, wollen sie ein letztes mal gemeinsam »richtig auf die kacke hauen«. im leben scheinen sportliche leistungen, Bewegung, sex, Alkohol und Drogen den höchsten Genuss zu versprechen: nur wer lustvoll »im flow« ist, kann glücklich sein. Wer sich wie Hannes schwitzend und keuchend auf dem fahrrad abquält, aber schon lange nicht mehr die gewohnte kilometerzahl schafft, kann das offenbar nicht mehr. Bleibt die frage, wie mit der leidigen Todesangst umzugehen ist. »Hin und weg« findet dafür ein einfaches Bild: in einer der letzten einstellungen stürzt sich die ehefrau an einem Bungee-seil von einer Brücke in die Tiefe. Da hängt ein winzig kleiner mensch, der von irgendwelchen kräften hin- und hergezerrt wird. Angesichts der Größe des ihn umgebenden universums erscheint sein Tod keines Aufhebens wert. Der mensch wie-

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kino sterbehilfe derum hat sich nur mutig zu überwinden, muss nur kurz einen sprung wagen. Das zu vollbringen, scheint die Aufgabe eines jeden im leben zu sein. [ist selbsttötung ein »naturrecht«?]

[dürfen junge menschen nicht mehr gegen den tod wüten?] Dass es auch junge menschen geben könnte, die trotzig-beherzt ihrem leben ein ende setzen wollen, ist eine Vorstellung, die starke emotionen auslöst. mit »Jugend« verbindet die westliche Gesellschaft die Hoffnung auf Zukunft

die inszenierung, dass der »freitod« ein »naturrecht« des menschen sei, das ihm von keinem staat verboten werden dürfe. Als die Tochter wie Werther von der großen liebe enttäuscht wird, kann sie den Wunsch ihres Vaters nachvollziehen. Wenn sie den lebensmüden am ende mit seinem rollstuhl plakativ auf die Gleise schiebt, appelliert dieses Bild auch an den Gesetzgeber – er soll dem menschen zu seinem recht verhelfen und eine humanere sterbehilfe ermöglichen.

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und all das, was das leben normalerweise lebenswert macht. in »und morgen mittag bin ich tot« (2013) von frederik steiner leidet die 22-jährige lea an mukoviszidose. sie »hat die nase voll von der krankheit«. Deshalb fährt sie nach Zürich, um die sterbehilfe eines schweizer Vereins in Anspruch zu nehmen. lea ist sich ihrer sache sehr sicher. Die erwachsenen sind hier die kinder, denen geholfen werden muss. ihre mutter weiß nicht Bescheid, weil die »coole« lea sie vor schmerz und Trauer schützen will. lea übernimmt damit die rolle der beschwichtigenden, ein wenig altklugen Vernunft, anstatt als junger mensch genau diese rebellierend in frage zu stellen. Der film macht deutlich: es sind die erwachsenen, die das Thema sterbehilfe nicht bewältigen. und zwar deshalb, weil ihr Gefühlsmanagement versagt. makabererweise hat die Tochter ihren sterbetermin just auf ihren Geburtstag gelegt. Da wird sonst doch auf das Glück, auf neue Pläne

Horrorvision aus naher Zukunft: »Komm, schöner Tod«

Abschied in den Armen der Mutter: »Und morgen Mittag bin ich tot«

Die selbstmordabsicht eines nahestehenden menschen kann Angehörige zuweilen in arge konflikte stürzen. Zumal wenn es sich um Vater und Tochter handelt, wie in saskia Diesings film »nena« (2014): Die Protagonistin hat sich in den jungen Baseballspieler Carlo verliebt. Auch geschieht politisch gerade viel. Der film spielt 1989, der sozialismus wird bald kapitulieren. in dieser Phase des umbruchs setzt ihr der Vater mit seinem lebensüberdruss zu. Gelähmt am ganzen körper, denkt er nur an das ende seines leidens. er hat schon mehrere selbstmordversuche unternommen. Wobei man sich fragt, weshalb der film dem Vater keine psychologische unterstützung zuteil werden lässt, da er offensichtlich an einer schweren Depression leidet. stattdessen gibt »nena« als einzige lösung das sterberecht aus. mit Goethes Werther argumentiert

»nena« kehrt die Generationen-Verhältnisse um: nicht der Vater wird an seine fürsorgepflicht für die noch junge Tochter erinnert, sondern die Tochter wird in die Verantwortung für den Vater genommen. An dieser konstruktion treten die schwächen der aktuellen sterbehilfeDebatte deutlich zutage. Wenn in der Diskussion über den selbstmord aus anderer Hand immer wieder auf die Autonomie des Patienten rekurriert wird, dann bleibt darin die Position des Anderen und das in-Beziehung-sein zumeist unreflektiert: Wie verhält sich die Autonomie des sterbewilligen zu derjenigen des Helfers? Zumal wenn der sich als dessen kind in einer schwächeren, unterlegenen Position befindet?

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und Wünsche angestoßen. für lea jedoch soll an dem Tag alles zu ende sein. Daraus spricht eine große, unterdrückte Aggression gegen sich und die Angehörigen. Diese Aggression darf sich offenbar nicht mehr auf das eigentliche richten. Junge menschen dürfen derzeit nicht mehr laut gegen den Tod wüten, gegen die ungerechtigkeit, nicht mehr all das erleben zu dürfen, was Gleichaltrige ganz selbstverständlich tun. Tapfer stirbt lea in den Armen ihrer mutter. Das in diesen filmen wiederkehrende Bild vom sterben im trauten familien- und freundeskreis verrät eine große not: Vom assistierten selbstmord scheint sich mancher zu versprechen, dass solch ein sterben kein einsames sein wird.

fotos: euroVideo, neue Visionen, nfP, majestic, universum, Ziegler film, keyfilm

[»und nun fällen sie ihr urteil!«] Die Philosophin Petra Gehring hat die Debatte über den assistierten selbstmord als »gestaltende sozialpolitik in sachen Tod« bezeichnet. Dabei erinnert sie an die Anfänge des »liberalen sterbehilfe-Diskurses« ende des 19. Jahrhunderts, der mit namen wie Georg simmel, Adolf Jost und ernst Haeckel verbunden ist. sie bemaßen den Wert eines menschen an dem, was er für die Gesellschaft leiste, und empfanden es bei einer schlechten »Wertbilanz« als folgerichtig, wenn ein solcher mensch freiwillig aus dem leben scheidet. Gehring hält »das motiv der Tötung der biomedizinisch bzw. bioökonomisch Wertlosen und die autonome sterbehilfe für zwei

seiten ein und derselben lebenspolitischen medaille«. Der sterbehilfe-Tod sei unlösbar mit der »idee der Gabe des Todes von fremder Hand« verbunden. Die fremde Hand könne man als »Dienstleister« deuten, »der alles angenehmer macht«, oder als »staatlich autorisierter Vollstrecker«. Auf diese Weise hätte der sterbehilfe-Diskurs »eugenik und sozialhygiene« als »mitmach-Projekt« realisiert. Gehrings Überlegungen werfen ein kriti-

worten wird. und doch spielen bei der individuellen Abwägung, was ein leben lebenswert macht, die Wertsetzungen des Gemeinwesens eine enorme rolle, wie die aktuellen filme deutlich belegen. Da sie den Wunsch nach sterbehilfe nicht nur für die endphase einer »krankheit zum Tode« ausmalen, scheint die Bereitschaft, sich mental einer gesellschaftlichen kostenschmerzen-Abwägung zu fügen, deutlich im Wachsen begriffen.

sches licht auf die aktuelle Debatte, die sich ja gerade bemüht, jeden Anflug von eugenischem Gedankengut zu vermeiden. Dass sich eine einzelperson, wenn sie keinen Wert mehr für die Gesellschaft besitzt, Gift einflößen lässt und damit gemäß der eugenischen Vorgaben des systems handelt, also bei der »systematischen Tötung unwerten lebens« mitmacht, hatte bereits Wolfgang liebeneiner 1941 in dem berüchtigten ns-Propagandafilm »ich klage an« propagiert. Dieser entstand im Auftrag Hitlers und thematisiert Paragraph 216, die »Tötung auf Verlangen«: ein mediziner tötet seine an multipler sklerose erkrankte ehefrau auf deren Verlangen hin. ihr Tod wird als »Gnadentod«, als erlösung von schmerzen dargestellt. Vor dem schwurgericht, in dem seine Tat am ende als eine aus »liebe« und »sorge« geadelt wird, klagt der Täter einen Paragraphen an, »der Ärzte und richter an der erfüllung ihrer Aufgaben hindert, dem Volke zu dienen«. »ich klage an« mündete in den schlussappell: »und nun fällen sie ihr urteil!«, was heute niemand mehr im sinne der nationalsozialistischen eugenik beant-

literaturhinweise

rosa & ramón und ein sehnlicher Wunsch: »Das Meer in mir«

Vater und Tochter verbünden sich: »nena«

sterbehilfe kino

gerd albrecht: Arbeitsmaterialien zum Nationalsozialistischen Propagandafilm »Ich klage an«. wiesbaden 2010 gian domenico borasio: Selbstbestimmt sterben. Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können. münchen 2014 petra gehring u.a.: Ambivalenzen des Todes. Wirklichkeit des Sterbens und Todestheorien heute. darmstadt 2007 annekatrin habicht. Sterbehilfe – Wandel in der Terminologie. Eine integrative Betrachtung aus der Sicht von Medizin, Ethik und Recht. frankfurt 2009 oliver tolmein: Keiner stirbt für sich allein. Sterbehilfe, Pflegenotstand und das Recht auf Selbstbestimmung. münchen 2006

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kritiken neue filme

everest

Ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk der Qual Über den berg, schon dieser singular ist bedeutsam, gibt es jede menge geschichten: Fabeln, die den menschen bescheidenheit lehren sollen, die ehrfurcht gebieten, ans esoterische grenzen. Der Berg ist in diesem film der höchste von allen, der mount everest, aber das spielt eigentlich nur eine untergeordnete rolle. Auch wenn der isländische regisseur Baltasar kormákur nach wahren Begebenheiten aus dem Jahr 1996 erzählt, so überlagert das exemplarische seiner Bilder doch alle einzelnen schicksale der Bergsteiger, die sich dem Berg ausliefern: dem gewaltigsten, dem gefährlichsten, dem, der alles leben auf dessen lächerliches maß zurechtstutzt. sicherlich lauert genau hier auch das ideologisch Bedenkliche jeder Überwältigungsästhetik und der raunenden Warnungen vor der Allmacht des Berges, und es ist wohl nur ein kurzer Weg von der Bescheidenheit zur unterwerfung. Wie um dem zu begegnen, verengen und erweitern sich die Bilder immer wieder, die salvatore Totino parallel zur regulären kinoauswertung auch für das gigantomanische, fast nur noch bei Dokumentarfilmen verwendete imAX-format

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und in 3D entworfen hat. es gibt die gemächlichen HelikopterPanoramen, die den Gipfel in so scheinbar unschuldigem sonnenbeschienenen Weiß abfahren, eine vorgebliche feier von dessen schönheit, die sich aber immer wieder mit dem leisen bedrohlichen summen der streicher in Dario marianellis score mischt. und es gibt eben auch die Gesichter und Geschichten der menschlein, die sich anschicken, dem Berg ameisenhaft ein wenig an der hohen nase zu kratzen. rob Hall und scott fischer, gespielt von Jason Clarke und Jake Gyllenhaal, haben dies schon mehrere male getan, sie gehörten zu den ersten Anbietern kommerzieller expeditionen auf den everest. in diesem Jahr nimmt der Texaner Beck Weathers teil, den daheim Depressionen plagen, der aber glaubt, dass auf dem Berg sein Geist frei sei. Weiter mit dabei ist einer, der im Jahr davor kurz vor dem Gipfel umkehren musste, eine Japanerin, der nur noch der everest in ihrer 8000er-sammlung fehlt, und der Autor Jon krakauer, der seine erfahrungen auf der expedition in dem Buch »in eisige Höhen« verarbeitete. Der Blick auf alle diese menschen

flackert, und das nicht nur deshalb, weil die Geschichte dieser unternehmung nicht als Porträt eines einzelnen Helden taugt und daher die Perspektive immer wieder von einem Abenteurer zum anderen und wieder zurück springt. Die erhabenheit des Gipfels findet ihre ästhetische kehrseite vielmehr in der schilderung der mühsal, dorthin zu kommen. selten wehten die schneeflocken so dicht über den leinwandraum, selten kreischte der Wind so erbarmungslos aus den Boxen. ein Gesamtkunstwerk der Qual hat kormákur hier erschaffen, der sich so oft aufs meer gewagt hat für filme wie »Contraband« (2011) oder »The Deep« (2012), wo der Tod genauso lauern mag, aber: leiser. leise ist bei kormákur nur das sterben der menschen, die wortlos von schmalen Pfaden rutschen und so aus dem Bild, dem leben und der Geschichte verschwinden. Als sich der sturm gelegt hat und die sonne wieder aufgegangen ist über dem everest, als sei der natur alles ganz gleichgültig, schlittert die erzählung ein wenig ins sentimentale. und es wird deutlich, wie sehr dieser film nach wahren Begebenheiten ein film über männer ist, die ihr leben riskieren, und über

frauen, die im Basislager am funkgerät, daheim am Telefon, als mutter des Camps und als medizinerin auf ihre rollen als Behüterinnen und nestpflegerinnen zurückgeworfen bleiben. Andererseits ist es die wichtigste und einzige Aufgabe in dieser katastrophischen erzählung, das Allerschlimmste zu verhindern. Bei kormákur sterben nicht zuletzt auch das Pathos und die Heimattümelei, mit dem das sujet in seiner kinogeschichte, zumal im deutschen film, so unangenehm zu protzen wusste. Der Berg bleibt unbewegt, doch seine stärke ist nicht zu bewundern. tim slagman bewertung der filmkommission

mitte der 1990er-jahre will sich eine bunt zusammengewürfelte gruppe von einem erfahrenen bergsteigerteam auf den höchsten berg der erde führen lassen. trotz eingehender vorbereitung gerät die expedition aber in lebensgefahr, als sie von einem schneesturm überrascht wird. die inszenierung der auf einer wahren geschichte beruhenden mount-everest-tour betont ohne pathos die Übermacht des berges wie auch die mühsal des aufstiegs, wobei sie die überwältigende kulisse immer wieder an der mosaikhaften beschreibung der einzelschicksale bricht. trotz sterotyper geschlechterrollen überzeugt das spektakel als beeindruckendes gesamtkunstwerk der qual. ein visuell überwältigendes bergdrama, das überdies die heimattümelei des genres heilsam aufbricht. – ab 14.

everest scope. großbritannien/usa 2015 regie: baltasar kormákur darsteller: jason clarke (rob hall), jake gyllenhaal (scott fischer), josh brolin, john hawkes, sam worthington, robin wright, michael kelly, keira knightley länge: 122 min. | kinostart: 17.9.2015 verleih: universal | fsk: ab 12; f fd-kritik: 43 350

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neue filme kritiken

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fotos s. 36-51: Jeweilige filmverleihe

Dennis Stock fotografiert James Dean

James dean ist längst zum klischee verkommen. es gibt wohl keine deutsche kleinstadt, in der nicht in irgendeinem Café, einer kneipe oder eisdiele ein billiges Poster des Hollywoodstars hängt. Dem Plakatmotiv von »… denn sie wissen nicht, was sie tun« (1955) sowie einem guten Dutzend fotos, die seit Deans Tod im Jahre 1955 ständig reproduziert werden, verdankt der schauspieler seinen nachruhm. Daher kennt jeder sein ikonisches Gesicht, auch wenn man vielleicht keinen der drei filme gesehen hat, in denen Dean während seiner kurzen karriere Hauptrollen spielte. Das biografische Drama »life« rekonstruiert nun die entstehungsgeschichte der berühmtesten Dean-fotos nach, indem der film eine Bekanntschaft nachzeichnet, die sich im Todesjahr des Jungstars zwischen ihm und dem fotografen Dennis stock entspann. Was den regisseur Anton Corbijn an diesem stoff reizte, liegt auf der Hand. Corbijn ist von Hause aus selbst fotograf und hat seine karriere mit dem Ablichten von stars begonnen. folgerichtig ist sein vierter spielfilm eine reflexion auf die Beziehung von fotografen zu ihren modellen sowie auf die Zweischneidigkeit von starruhm. »life« beginnt und endet mit kurzen szenen in einer Dunkelkammer, die die zur Belichtung analoger negative erforderliche konzentration geradezu fetischisieren. Dazwischen bestimmt die figur von stock konsequent die erzählperspektive.

man lernt den fotografen kennen, während er in Hollywood um Aufträge für standfotos buhlt und den stars lustlos auf dem Premierenteppich auflauert. Als er auf einer Party von nicholas ray zufällig Dean begegnet, ahnt stock, dass der junge schauspieler etwas neues verkörpert. Was diese neue Qualität ist, vermittelt sich allerdings nur im kontrast. Das Drehbuch von luke Davies lässt nebenbei den legendären studioboss Jack Warner auftreten, der in der deftigen Darstellung Ben kingsleys ein ruppiges Charisma verströmt, dessen steife Aufgeblasenheit aber zugleich antiquiert wirkt. Dem entsprechen auch ein paar schwerfällige, vom Art déco inspirierte möbel und Dekorstücke, mit denen Production Designer Anastasio masaro den altmodisch gewordenen Geschmack der Hochphase des »klassischen Hollywood« anklingen lässt. Demgegenüber erscheint Dean, während er in seiner studentenbude herumlümmelt oder durch new yorker Jazzkneipen zieht, als ungezwungener lebenskünstler. Der schauspieler Dane DeHaan verleiht der rolle eine schläfrige Verschmitztheit, die umso charmanter wirkt, weil sie in auffälligem kontrast zu dem Pathos steht, das sich in Deans filmen oft aus dessen »method acting« ergab. Diese subtile irritation ist jedoch entscheidend im Hinblick

auf das zentrale Thema, das der filmtitel benennt. mit »life« ist die gleichnamige illustrierte gemeint, in der stocks fotoreportage über Dean erschien; zugleich aber bezieht sich der Titel natürlich auch auf das leben, auf die kunst, richtig zu leben. Wie »life« suggeriert, spürte Dean intuitiv, dass die mechanismen des starbetriebs seine Vitalität zu ersticken drohen. Also sträubt er sich hier kurz vor der Premiere von »Jenseits von eden« (1955) gegen die Vorgaben des Warner-studios. und er lässt sich von stock nur widerwillig zu einer fotosession überreden, ganz so, als ahnte er, dass vor allem ein Bild – mit hochgezogenem mantelkragen am verregneten Times square – zum klischee werden würde. stock ringt derweil in anderer Hinsicht mit dem leben. er will kunst schaffen, während er der von ihm getrennten ehefrau und dem gemeinsamen sohn mit Auftragsarbeiten den lebensunterhalt finanzieren muss. Dieser innere konflikt führt in robert Pattinsons Darstellung zu einer Verkniffenheit, die die sanfte schnoddrigkeit von DeHaans Dean-interpretation umso mehr als lebenskunst erscheinen lässt. Wenn man diesem leisen film glaubt, dann hat stock zur magie jener Bilder, die außer in new york auch an James Deans Heimatort in indiana entstanden,

kaum etwas beigetragen. Das lässt den eigentlichen Protagonisten von »life« ziemlich blass wirken. Aber für einen spielfilm, der von einem hauptberuflichen fotografen gedreht wurde, ist das eine sehr interessante Bilanz. holger römers bewertung der filmkommission

1955 lernt der standfotograf dennis stock auf einer party bei nicholas ray den jungen schauspieler james dean kennen und überredet ihn zu einer fotosession, deren aufnahmen nach dem tod des stars ikonischen charakter erlangten. der leise film erzählt die entstehung der berühmtesten bilder nach, wobei das neue an deans lässiger ausstrahlung nur vor dem hintergrund des arrivierten hollywoodstils der 1950er-jahre verständlich wird. die spannung zwischen deans schläfriger verschmitzheit und der starren mechanik des starbetriebs verweist auf die fragen nach dem richtigen leben. – ab 14.

life. scope. großbritannien 2015 regie: anton corbijn darsteller: robert pattinson (dennis stock), dane dehaan (james dean), ben kingsley (jack l. warner), joel edgerton, alessandra mastronardi länge: 112 min. | kinostart: 24.9.2015 verleih: square one | fsk: ab 0; f fd-kritik: 43 351

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kritiken fernseh-tipps

sa 07.30 – 08.50 mdr der kleine zappelphilipp r: anna van der heide aufgeweckter junge bekommt probleme mit lehrer niederlande 2012 ab 8

00.20 – 01.50 servus tv die halbstarken r: georg tressler jugendliche contra wirtschaftswunder-gesellschaft brd 1956 ab 16

20.15 – 00.15 sat.1 titanic r: james cameron schiffsuntergang vs. unsterbliche liebe usa 1997 ab 14

00.30 – 02.00 wdr fernsehen brudermord r: yilmaz arslan Zwei kurden verzweifeln an deutschland deutschland/luxemburg 2005 ab 16

20.15 – 22.45 servus tv mud – kein ausweg r: jeff nichols meisterhaftes drama aus der mississippi-region usa 2012 sehenswert ab 14 20.15 – 23.10 zdf_neo the green mile r: frank darabont episches drama um todesstrafe usa 1999 ab 16 22.45 – 00.20 servus tv nothing personal r: urszula antoniak präzise inszenierte annäherung zweier einzelgänger niederlande/irland 2009 ab 16 23.40 – 01.20 das erste willkommen bei den sch’tis r: dany boon sympathische komödie um vorurteile gegen nordfrankreich frankreich 2008 ab 12

19. september

so

samstag 19. september

00.35 – 02.00 the i inside – im auge des todes r: roland suso richter komplexer psychothriller usa/deutschland 2003

zdf_neo

ab 16

01.05 – 02.25 rbb fernsehen berlin – ecke schönhauser r: gerhard klein ostdeutsches »halbstarken«-drama ddr 1957 ab 14 01.25 – 03.23 das erste das fünfte element r: luc besson virtuoser science-fiction-camp frankreich 1997 ab 14 04.10 – 06.00 swingers r: doug liman semidokumentarischer low-budget-film usa 1996

3sat

ab 16

erstausstrahlung: 19. september, 20.15 –22.45 servus tv

mud – kein ausweg

der geist der geschichten von mark twain schwebt über diesem film: Zwei 14-jährige jungen streunen tag für tag durch die menschenfreien wälder auf den unbewohnten inseln in ihrer heimatlichen mississippi-gegend. eines tages entdecken sie ein boot in den Ästen eines baums, vermutlich ein Überbleibsel eines hochwassers, und darin einen heruntergekommenen mann (matthew mcconaughey), der sich mud nennt. da er für die beiden das langersehnte abenteuer darstellt, versorgen sie ihn heimlich mit essen. nach und nach enthüllt sich, dass er sich vor polizei und kopfgeldjägern versteckt und nicht fliehen will, weil er noch immer an eine Zukunft mit seiner freundin (reese witherspoon) glaubt. das außergewöhnlich dichte drehbuch und seine großartigen darsteller machen den von großer liebe zu den charakteren und dem handlungsort der verarmten mississippi-region getragenen film von jeff nichols zum erzählerischen meisterwerk. nachdem ihm in deutschland ein kinostart verwehrt blieb, läuft der film heute erstmals im deutschen fernsehen.

sonntag 20. september

10.50 – 12.25 prosieben planet 51 r: jorge blanco sci-fi-animationskomödie gb/spanien 2009 ab 10 20.15 – 21.50 arte inspektor lavardin oder die gerechtigkeit r: claude chabrol polizist ermittelt in großbürgerkreisen frankreich/schweiz 1986 ab 16 20.15 – 23.30 the dark knight rises r: christopher nolan bildgewaltige fantasy-action usa/gb 2012

rtl

ab 16

20.15 – 21.45 zdf.kultur nichts geht mehr r: florian mischa böder Zwei brüder geraten unter terrorismus-verdacht deutschland 2008 ab 16 00.05 – 01.58 das erste die lebenden r: barbara albert studentin forscht nazi-verstrickung des opas nach Österreich/dt. 2012 sehenswert ab 14 00.45 – 02.20 trespass r: walter hill spannender kriminalfilm usa 1992

3sat

ab 16

01.30 – 03.00 arte lawinen der erinnerung r: dominik graf Über den regisseur oliver storz deutschland 2012 ab 16

servus tv/rbb fernsehen

halbstarke in west & ost

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»berlin - ecke schönhauser«

»die halbstarken«

fotos s. 56 – 65: Jeweilige sender.

in den extrem konservativ ausgerichteten 1950er-Jahren war es wenig überraschend, dass eltern- und kindergeneration aneinandergerieten. Überraschend war hingegen die heftigkeit des aufbegehrens der jugendlichen, die in großbritannien bald als »zornige junge männer« und in amerika als »rebellen ohne grund« auch in romanen, theaterstücken und filmen auftauchten. in deutschland prägte georg tresslers film »die halbstarken« 1956 eine neue bezeichnung für das phänomen. horst buchholz wurde mit seiner rolle als jugendlicher rebell zur deutschen version von montgomery clift und james dean; karin baal als seine junge freundin, die ihn zur kriminalität anstachelt, gibt eines der bemerkenswertesten mädchen-porträts des frühen bundesrepublikanischen kinos. servus tv zeigt »die halbstarken« heute am 75. geburtstag von karin baal (00.20 – 01.50), während parallel auf rbb fernsehen mit »berlin – ecke schönhauser« (01.05 – 02.25) das ostdeutsche pendant des films ausgestrahlt wird. der zeitgleich entstandene film von gerhard klein nach einem drehbuch von wolfgang kohlhaase stellt verschiedene jugendliche in den mittelpunkt, deren treffpunkt der titelgebende u-bahnhof ist. einer erhofft sich auf der straße die freiheit, ein anderer flüchtet vor seinem ständig betrunkenen vater, ein dritter ist schon auf der schiefen bahn. beide filme gehen in ihrem moralischen impetus, das halbstarken-problem in den griff bekommen zu wollen, ein wenig weit; interessant sind sie jedoch vor allem durch ihre authentische darstellung.

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fernseh-tipps kritiken

mo

montag 21. september

20.15 – 21.40 arte der alte mann und das kind r: claude berri jüdischer junge schlüpft bei antisemitischem bauern unter frankreich 1967 ab 12

20. september, 20.15 –21.50

20.15 – 22.45 kabeleins déja vu – wettlauf gegen die zeit r: tony scott thriller mit mystery-einschlag usa 2006 ab 16

arte

inspektor lavardin oder die gerechtigkeit

»schwein«, steht mit rotem lippenstift auf dem leichnam des schriftstellers geschrieben, dessen tod der polizeiinspektor lavardin (jean poiret) aufklären soll. regisseur claude chabrol schickt den etwas wunderlichen beamten nach »hühnchen in essig« (1984; läuft am 12.10., 20.15–22.00) hier ein zweites mal auf verbrecherjagd, die den Zyniker in die provinz und einen nachtclub führt. wie immer bei chabrol geht es auch hier um die unmoral hinter anständigen fassaden, was auch für den polizisten gilt. denn als sich ihm die schäbige wahrheit hinter der biederen wohlanständigkeit offenbart, will sich lavardin damit nicht zufriedengeben. denn ganz so genau nimmt es lavardin mit der wahrheit keineswegs, wenn er sie erst einmal herausgefunden hat. 20. september, 21.50 –22.50

cocteau marais – ein mythisches paar

arte

er selbst sah sich in erster linie als dichter, doch jean cocteau (1889 – 1963) setzte auch als maler und nicht zuletzt als experimentierfreudiger filmemacher Zeichen. untrennbar verbunden war mit seinem namen ab 1937 auch der des schauspielers jean marais (1913 – 1998), der cocteaus protegé, muse und lebensgefährte wurde. der künstlerischen und privaten verbundenheit entsprangen filmische meisterwerke wie »es war einmal« (1946) und »orphée« (1949), mit denen marais zum kinostar wurde. die dokumentation der franzosen yves riou und philippe pouchain von 2013 spürt dem ungewöhnlichen verhältnis der beiden künstler mit archivmaterial nach und hat zudem mit dem dramatiker pierre barillet und der schriftstellerin carole weisweiller, der verfasserin mehrerer bücher über cocteau, zwei wertvolle Zeitzeugen zu bieten.

22.05 – 02.05 house of cards: staffel 3 start des serienmarathons usa 2015

21. – 24. september, ab 22.05

house of cards: staffel 3

7maXX

der gipfel der macht ist erklommen. nun aber zeigt sich, dass regieren alles andere als leicht ist. seine intrigen haben francis underwood bis ins weiße haus gebracht, doch als frisch gebackener us-präsident geht es nun darum, am eigenen vermächtnis zu arbeiten und unangenehme realitäten wie die nächsten wahlen ins auge zu fassen. die dritte, für 11 emmys nominierte staffel der politserie »house of cards« mit kevin spacey lässt den großen manipulator etwas milder ans werk gehen und gibt dafür anderen figuren wie seiner ehrgeizigen frau (robin wright) oder seinem wichtigsten berater doug stamper mehr raum. 7maXX zeigt die 13 folgen der 3. staffel an vier aufeinanderfolgenden tagen, jeweils ab 22.05. 21./22. september

7maxx

22.45 – 00.50 kabeleins out of time – sein gegner ist die zeit r: carl franklin stilsichere krimikomödie mit denzel washington usa 2003 ab 14 00.05 – 01.35 servus tv enduring love – liebeswahn r: roger michell eine rettungsaktion und ihre folgen großbritannien 2004 ab 14 00.40 – 02.19 ndr fernsehen welcome – grenze der hoffnung r: philippe lioret berührendes freundschafts- und migrationsdrama frankreich 2009 sehenswert ab 14

mdr

rolf römer

die wichtigste rolle im leben des defa-schauspielers rolf römer (1935 – 2000) lag 24 Jahre lang auf eis. in »jahrgang 45« (21.9., 23.40–01.10), dem einzigen spielfilm des dokumentaristen jürgen böttcher, spielt römer, der am 20.9. 80 jahre alt geworden wäre, einen jungen autoschlosser, der sich von seiner freundin trennt, weil er um seine freiheit fürchtet. römer wirkt hier jungenhaft verträumt; seine freundliche Ziellosigkeit entspricht dem wie getupft wirkenden film. einem Zensor des ministeriums für kultur gefiel das allerdings nicht. er glaubte, ein gesellschaftliches milieu »weit ab von den charakteristischen merkmalen unserer sozialistischen wirklichkeit« entdeckt zu haben. so wanderte das vielleicht freieste stück kino, das je in der ddr entstand, in den giftschrank. später wich römer auf unpolitische unterhaltung aus und spielte in einer reihe von indianerfilmen mit, u.a. in »chingachgook« und »tecumseh«. daneben schrieb er an drehbüchern mit und versuchte sich mehrfach als regisseur, auch in dem umstrittenen »polizeiruf 110: schuldig« aus dem jahr 1978 (22.9., 22.50–00.20), in dem er für regie, buch und eine hauptrolle verantwortlich zeichnete. da der ddr-bürokratie überdies römers kritische haltung zur ausbürgerung von wolf biermann nicht gefiel, wurde er ab den 1980er-jahren weitgehend kaltgestellt.

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kritiken fernseh-tipps

di

mi

dienstag 22. september

20.15 – 21.55 zdf.kultur die schönen wilden r: jean-paul rappeneau einfallsreiche liebeskomödie frankreich 1975 ab 16

20.15 – 21.45 das erste meister des todes r: daniel harrich waffenhändler wird whistleblower deutschland 2015

22.05 – 00.10 zdf.kultur rebellion r: mathieu kassovitz politisch engagiertes drama frankreich 2011 ab 16

22.25 – 00.05 3sat lemon tree r: eran riklis melancholische satire über ein zerrissenes land israel/deutschland 2007 ab 14

22.25 – 01.35 3sat das venedig prinzip r: andreas pichler das leiden der venezianer am tourismus Österreich 2012 ab 14 23.15 – 01.00 wdr fernsehen betrogen r: don siegel soldat versteckt sich in mädchenpensionat usa 1970 23.30 – 01.00 rbb fernsehen kennzeichen kohl r: jean boué doku über namensvettern von helmut kohl deutschland 2009 ab 14 01.05 – 02.43 das erste hesher – der rebell r: spencer susser trauernder junge erhält mysteriösen rüpel zum freund usa 2010 ab 16 01.10 – 02.50 br fernsehen der einzig richtige r: susanne bier witzig-intelligente paarkomödie dänemark/schweden 1998

22. september, 23.30 –01.00

rbb fernsehen

kennzeichen kohl

helmut kohl kennt man als den großen mann, der deutschland die einheit gebracht hat. was aber hat die einheit helmut kohl gebracht? Zum beispiel dem helmut kohl in wolfen: der hat alles verloren, aber es hätte auch noch schlimmer kommen können. der ddr-rentner nimmt abschied von seiner alten heimat. oder in crimmitschau: für den gastwirt helmut kohl ist es seit der wende nicht schlecht, aber früher war alles besser. helmut kohl aus lorscheid meint: alles okay, aber eigentlich könnte alles besser sein. für helmut kohl aus duisburg lief im anderen deutschland zuletzt was schief. der namensvetter aus heidelberg sieht für die Zukunft schwarz. fünf männer, fünf perspektiven, mit viel sympathie von der kamera festgehalten. herausgekommen sind dabei nicht unbedingt repräsentative, aber aufschlussreiche momentaufnahmen des lebens 20 jahre nach der wiedervereinigung. 22. september, 01.10 –02.50

br fernsehen

der einzig richtige

in den filmen der dänischen regisseurin susanne bier spielt das schicksal eine wichtige rolle. in der regel werden die tragischen wendungen aber vom drehbuch mit überraschenden wendungen aufgefangen, die das leben nach der katastrophe in eine gänzlich unerwartete richtung leiten. in ihrem frühen spielfilm »der einzig richtige« (1998) lassen sich zwei paare aus kopenhagen darauf ein, jeweils eine familie zu gründen. sus gibt dem drängen ihres partners nach und wird schwanger. doch dann geht ihr schlimmster albtraum in erfüllung: er betrügt sie. das andere paar ist nicht verheiratet und kann überdies keine kinder bekommen; als es nach vielen hindernissen ein adoptivkind zu sich nach hause holt, wird die frau bei einem verkehrsunfall getötet. die tragischen Zuspitzungen sind allerdings nur die ausgangsbasis einer unterhaltsamen boulevardkomödie, in der beide handlungsstränge parallel geführt werden und alle paar sekunden wechseln. das aufeinandertreffen der figuren wirbelt dann aber die erzählfäden gehörig durcheinander, ohne dass die komödie darüber ihren sanften, augenzwinkernden humor verlieren würde. ein wunderbar berührender film, der in dänemark zum Überraschungshit wurde und biers karriere nachhaltig förderte.

23. september, 22.40 –00.10

nargis – als die zeit aufhörte zu atmen

zdf.kultur

der gewaltige tsunami von dezember 2004, der rund eine viertelmillion menschen mit sich riss, war nicht die letzte naturkatastrophe, die an den asiatischen küsten wütete. im mai 2008 fegt der Zyklon nargis über das irrawaddy-delta in myanmar und tötete mehr als 140.000 menschen. die regierung weigerte sich jedoch, in den staatlichen massenmedien darüber zu berichten. deshalb machten sich junge burmesische filmemacher auf, um das chaos nach dem sturm zu dokumentieren. sie hielten erschütternde szenen fest, aus denen ein kollektiver film entstand, in dem es auch um die frage geht, woher die Überlebenden die kraft und den mut zum neuanfang nehmen. die virtuos montierte dokumentation stellt inmitten all der monströsen Zerstörung immer wieder menschen ins Zentrum und erzählt von ihren gedanken, gefühlen und hoffnungen.

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mittwoch 23. september

22.40 – 00.10 zdf.kultur nargis – als die zeit aufhörte zu atmen r: kyaw kyaw oo myanmar nach dem verheerenden Zyklon nargis myanmar 2009 ab 16 22.45 – 23.00 br fernsehen kino kino – filmmagazin 22.45 – 00.40 rbb fernsehen mütter und töchter r: rodrigo garcia fein beobachtete frauenschicksale usa/spanien 2009 sehenswert ab 14 23.00 – 00.35 arte mystery r: lou ye gesellschaftskritischer kunstthriller china/frankreich 2012 ab 16 23.10 – 01.40 br fernsehen insider r: michael mann Zwei mann gegen die tabaklobby usa 1999 sehenswert ab 16 23.15 – 01.05 hr fernsehen taking woodstock r: ang lee nostalgische komödie über das legendäre festival usa 2009 sehenswert ab 14 00.40 – 01.55 rbb fernsehen small town murder songs r: ed gass-donnelly raffinierter kleinstadt-thriller kanada 2010 ab 16 01.05 – 02.10 hr fernsehen »frischfilm« neue hessische hochschulfilme

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