Filmdienst 10 15

Page 1

fIlM DIenST

DER AUSTRALISCHE REGISSEUR GEORGE MILLER BELEBT MIT „MAD MAX: FURY ROAD“ SEIN ERFOLGSFRANCHISE: EINE MOTIVISCHE SPURENSUCHE IM AUSTRALISCHEN GENREKINO

Das Magazin für Kino und Filmkultur

10 2015

www.filmdienst.de

S TA S I I M F I LM

Das vergangene ist nicht tot, schon gar nicht im kino: wie sich filme an stasi-aktivitäten abarbeiten

R A I N E R S I M O N sein klassiker „Die besteigung des chimborazo“ erscheint i n d e r f i l m D i e n s t- e d i t i o n auf DvD: ein interview rund um die Dreharbeiten

H ITLE R - PA RO D I E N von„Der fuehrer’s face“ bis zu „haul hitler“: sinn und unsinn parodistischer hitler-kurzfilme

10 4 194963 605504

01_Titel 10.indd 1

14. Mai 2015 € 5,50 68. Jahrgang

06.05.15 13:43


FILMDIENST 10 | 2015 KINOTIPP

der katholischen Filmkritik

10 VERRAT & VERRATEN 36 MEIN HERZ TANZT Eran Riklis’ Coming-of-Age-Drama um einen palästinensischen Israeli

NEU IM KINO

66 ABCINEMA

34 MAGISCHE MOMENTE

FERNSEH-TIPPS 56 Im Mai begleitet das Fernsehen diverse Geburtstage mit sehenswerten Ausstrahlungen: Rainer Werner Fassbinder würde 70 Jahre alt, Doris Dörrie wird 60. Und auch eine fiktive Figur, Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, kann auf 70 „Lebensjahre“ zurückblicken. Arte zelebriert das mit einer Lindgren-Dokumentation am 24.5.

4

Filmdienst 10 | 2015

04-05_Inhalt_10_2015.indd 4-5

52 DVD-KRITIKEN

18 HITLER-PARODIEN

Fotos: TITEL: Warner. S. 4/5: NFP/Touchstone/Salzgeber/Concorde/Walt Disney/Universal/absolut MEDIEN/Warner,

+ ALLE STARTTERMINE 45 Abschussfahrt 21.5. 50 Appropriate Behavior, einfach ungezogen 14.5. 38 Die Augen des Engels 21.5. 48 B-Movie 21.5. 51 Café Ta’amon – King George Street, Jerusalem 14.5. 40 Dora – Oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern 21.5. 51 Eksik 23.4. 51 Das Gelände 21.5. 51 Güeros 20.5. 45 Der Knastcoach 7.5. 41 La Buena Vida – Das gute Leben 14.5. 49 Mädchen im Eis 21.5. 36 Mein Herz tanzt 21.5. 39 Melodys Baby 14.5. 45 Ostwind 2 14.5. 37 Pitch Perfect 2 14.5. 44 Reuber 7.5. 45 Sam O’Cool 21.5. 51 Senden Bana Kalan 9.5. 47 She’s Lost Control 14.5. 43 Silentium – Vom Leben im Kloster 14.5. 42 Une Jeunesse allemande – Eine deutsche Jugend 21.5. 51 Welcome to Karastan 21.5. 46 Zweite Chance 14.5.


INHALT KINO

AKTEURE

FILMKUNST

16 FEEN

24 RAINER SIMON & J.J. LIEFERS

28 GENRE-KINO DOWN UNDER

10 VERRAT & VERRATEN

20 FILMEMACHER AUS ÖSTERREICH

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

Bei der Grazer „Diagonale“ waren spannende Filme sowohl von etablierten Regisseuren als auch von Debütanten zu entdecken. Würdigung einer Filmkultur, die sich ertragreich an den Sollbruchstellen der österreichischen Gesellschaft abarbeitet.

Auf der „CinemaCon“ in Las Vegas haben sich Kinobesitzer und Studiochefs in Optimismus geübt. Nach den niedrigen Einnahmen des letzten Jahres setzen sie ihr Vertrauen in die Blockbuster der nächsten Monate, die weltweit einen Umsatz von mehr als 40 Milliarden Dollar versprechen.

Von Claus Löser

Von Ralf Schenk

Von Franz Everschor

16 FEEN

24 RAINER SIMON

28 GENRE-KINO DOWN UNDER

Von Peter Strotmann

Von Ralf Schenk

Von Thomas Klein

18 HITLER-PARODIEN

26 LITERATUR

32 FESTIVALS

Der DDR-Sicherheitsapparat speiste sich in hohem Maße aus den Denunziationen geheimer Spitzel. Aktuelle Filme wie „Striche ziehen“ erzählen von den Folgen dieser unverarbeiteten Last für Opfer wie Täter. Ein Essay über den Umgang des Kinos mit der Stasi-Vergangenheit.

Die zierlichen Zauberwesen sind im Kino nach wie vor gern gesehen, seien es Jungfeen in der Ausbildung wie in der „TinkerBell“-Reihe, seien es komplizierte Charaktere wie die dunkle Fee „Maleficent“. Eine kleine Hommage.

Satirische Auseinandersetzungen mit Hitler gab es schon in den 1940er-Jahren. Heute quillt das Internet von gespielten und gezeichneten Hitler-Parodien über. Ein Überblick über Spielformen zwischen Demontage und politischem Kasperletheater.

Der DEFA-Regisseur verhalf 1989 in dem jetzt auf DVD erschienenen Film „Die Besteigung des Chimborazo“ Jan Josef Liefers zum Filmdebüt. Ein Gespräch über die Dreharbeiten in Südamerika und die Entdeckung eines eigenwilligen Schauspielers.

Neue Filmbücher dokumentieren das Arbeitsverständnis von Aki Kaurismäki und bezeugen eine Begegnung von Michael Degen und Oskar Werner. Von Thomas Brandlmeier & Jochen Kürten

Die Neubelebung der „Mad Max“-Reihe ist der jüngste Vertreter eines spezifisch australischen Genrekinos. Das Niemandsland des Outback lädt im Gewand von Westernoder Horrorfilmen immer wieder zu Reflexionen über zivilisatorische Grenzen ein.

Beim Festival in Nyon waren internationale Dokumentarfilme zu entdecken. Oberhausen bot auserlesene Kurzfilme, während sich in Wiesbaden das mittel- und osteuropäische Kino präsentierte („goEast“). Von Irene Genhart, Kathrin Häger & Wolfgang Hamdorf

Von Wolfgang Hamdorf

34 MAGISCHE MOMENTE

3 4 6 52 55 56 66 67

RUBRIKEN EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD/BLU-RAY DVD-PERLEN TV-TIPPS ABCINEMA VORSCHAU / IMPRESSUM

Werner Schroeter adaptierte Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ als große Gefühlsoper - mit einem feurigen Auftritt von Isabelle Huppert. Von Rainer Gansera

Filmdienst 10 | 2015

5

06.05.15 13:45


kino xxx

Ăœber

den

umg

ang

mit g

ehei

s a D 10

mdie

n ste

n un

d De

nunz

iatio

g r e V

nen

in fi

lmen

Ăźber

g n a

die D

e n e Dr

Filmdienst 10 | 2015

10-15_Verrat_10-15.indd 10

06.05.15 13:55


h ein xxxht ekino infac rfilm

h nic enta sst sic er Dokum ) lä it e o d h . in n .a e K ählt u rgang .4. im si-Ve Davon erz e (seit 23 a t S en. r die rosk Unte trich zieh n Gerd K s o s v s « Schlu ziehen iche »str

e n

n t is

t h c i

t to

„Hört da S o f ra s d e n n n i ea ge filmis n einige a uf ? Gibt e ch sd ng A k t u e n B e s c h ä e s i c h t s d e n n ke i n e ell er nic fti ht en aktuellen d e n K l ä u f t G e rd g u n g m i t den w P ro b der ino Kr Beha s – und w oskes Dok DDR und ollenden leme?“ ndl um ih ec u n d K u n g e i n e s k t H o f f n u e n t a r f i l m re m S i c h e n r ompl T ex i t ä h e m a s , d g a u f e i n e „ S t r i c h e z h e i t s a p p a t höh i ra t . e re r S a s d u rc h s d i f f e re n z e h e n “ i n ie e o rg f a l t b e d i n e W i d e r r t e re s arf al p s and rüchlichk e re h e i s to r i i t sche S to f f e. Vo n Cla u s Lö ser

Filmdienst 10 | 2015

10-15_Verrat_10-15.indd 11

11

06.05.15 13:55


kino verrat & verraten

Gerd Kroske rekonstruiert den Fall eines jugendlichen Freundeskreises aus Weimar in den 1980er-Jahren. Die aufmüpfige Gruppe hatte sich dem Punk als Lebensstil und Frustventil verschrieben, geriet damit in Konflikt mit der Staatsmacht und siedelte notgedrungen nach West­Berlin über. Hier igelten sich die jungen Mitglieder aber nicht in ihrer neu gewonnenen Freiheit ein: Sie wollten vielmehr ein deutliches politisches Zeichen setzen und mit einer wahrhaft grenzübergreifenden Performance auf die deutsche Teilung hinweisen. 1986 began­ nen sie, mit Farbe einen durchgehenden weißen Strich auf der Mauer zu ziehen. Da der „antifaschistische Schutzwall“ auf DDR­Gebiet stand, stellte ihre Aktion eine permanente Grenzverletzung dar. Einer der jungen Männer wurde von DDR­Militärs ergriffen und durch eine Pforte in der Mauer auf die andere Seite gezerrt. Er wanderte für Monate ins Gefängnis, schließlich wurde er von der Bundesregierung freigekauft. Erst 30 Jahre später kamen die Hintergründe ans Tageslicht: Einer der Rebellen hatte seit 1981 für das Ministerium für Staatssicher­ heit (MfS) gespitzelt und diese „Arbeit“ im Westen fortgesetzt. Sowohl die politischen Schwierigkeiten der Weimarer Jugendlichen als auch der fatale Ausgang der Kunstaktion in West­Berlin waren maßgeblich mit diesem Verrat verknüpft. Die Stasi war quasi die ganze Zeit mit von der Partie. Kroske konfrontiert in „Striche ziehen“ die damals an der Aktion Beteiligten mit diesen Enthüllungen. Ihre Reaktionen auf das Un­ geheuerliche sind Teil des Dokumentarfilms. Gerade dieses drastische Beispiel zeigt, wie wichtig es bleibt, eben keinen „Schluss­ strich“ zu ziehen: Ohne Kroskes Recherche wären falsche Verdächtigungen weiter am Leben geblieben, wären eine individuel­ le Lebenslüge und die Machtspiele eines menschenverachtenden Systems konserviert worden. Denn „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen“, wie Christa Wolf mit einem William­Faulkner­Zitat ihren Roman „Kindheitsmuster“ begann. In seiner Autobiografie „Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen“ (1992) mutmaßte Heiner Müller, dass es nun wohl zu einem Ende der Shakespeare­Rezeption in Deutschland kommen würde. Denn in der DDR lieferte die Wirklichkeit ständig Material

12

für zugespitzte dramatische Situationen. Intrigen, Verrat und Gewalt gehörten zur Tagesordnung und schrieben sich in Theater und Literatur ein. Müller prägte dafür die Formel „Mehr Staat = mehr Shakespeare“ und verwies damit auf den Umstand, dass ein bestimmtes Maß an politischer Repres­ sion durchaus „gut“ für die Kunstproduk­ tion sei, da sie verstärkte künstlerische Kreativität hervorrufe. Abgesehen davon, dass Diktaturen wie unter Hitler, Stalin oder Ceauşescu das kulturelle Leben großflächig abwürgten, enthüllt das im Nachgang eine doppelte Ironie: Denn nicht die Shakes­ peare­, sondern die Müller­Rezeption ist na­ hezu zum Erliegen gekommen. Zum anderen scheint die DDR selbst zu einem unerschöpf­ lichen Ersatzteilelager für literarische und filmische Sujets geworden zu sein. Da sich in bundesdeutschen Biografien vergleichsweise weniger dramatische Situationen im Spannungsfeld zwischen Individuen und Politik finden, wird gern auf die DDR zurückgegriffen. Diese führt in Romanen, Fernsehserien und auf der Leinwand inzwischen ein fast zombiehaf­ tes Nachleben. Die Stasi gehört dabei zum unumgänglichen Repertoire. Der Verrat im Familien­ oder Freundeskreis ist zur will­ kommenen dramaturgischen Ressource des Geschichtenerzählens geworden. Über die Qualität der Auseinandersetzung mit dem MfS ist damit noch nichts gesagt. Doch der Blick auf die Metamorphosen dieses Themas im Film lohnt.

i n d e r ku n st e n tw ic sich ein codierun kelte g ss voller mf s-anspie ystem lungen naturgemäß gab es bis 1989 keine offiziellen ostdeutschen Filme, in denen die zersetzende Energie des MfS behandelt worden wäre. Die Genossen vom Geheimdienst kamen zwar in Ausnahmefällen vor, aber ausschließlich in positiven Kontexten. So verarbeitete Regis­ seur János Veiczi in „For Eyes Only“ (1963) einen spektakulären Fall von Auslandsspio­ nage in der Bundesrepublik Deutschland, bei dem ein „Kundschafter des Friedens“ nichts weniger als den Ausbruch des Dritten Weltkriegs verhindert. In Kurt Maetzigs „Septemberliebe“ (1960) meldet eine junge Frau, dass sich ihr Freund mit Fluchtabsich­

ten trägt, worauf dieser verhaftet wird und die Chance erhält, sich im „sozialistischen Strafvollzug“ zu bessern. In­ und Auslands­ geheimdienst werden in diesen Filmen als „normale“ Institutionen dargestellt, derer sich ein souveräner Staat bedient. Dies än­ derte sich später. In den 1970er­Jahren, vor allem nach der Biermann­Affäre 1976, wurde der Sicherheitsapparat enorm vergrößert. Seine Struktur wurde modernisiert, die Belegschaft aufgestockt, vor allem das Netz der „inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM) ausge­ baut. Die Präsenz der „Behörde“ in den staatlichen Medien stand hingegen in einem umgekehr­ ten Verhältnis. Die gegen die eigene Bevöl­ kerung gerichtete Tätigkeit wurde nicht wie in Maetzigs Spielfilm länger verharmlost. Auf der Leinwand gab es das MfS faktisch nicht mehr; im Fernsehen blieb der im Westen tätige Arm der Stasi durch eine populäre Se­ rie wie „Das unsichtbare Visier“ aber weiter präsent. Da die permanente Überwachung für jeden Bürger der DDR zur Alltagserfahrung wurde, entwickelte sich neben der offiziellen Spra­ che in Bildender Kunst, Literatur und Film ein Codierungssystem, das nur wenige Zeichen benötigte, um als MfS­Anspielung verstan­ den zu werden. Ohne dass erklärende Worte hätten fallen müssen, luden sich scheinbar harmlose Konstellationen oder auch histori­ sche Stoffe plötzlich mit aktuell­politischer Brisanz auf. Ein im 18. Jahrhundert spielen­ der Film wie Frank Vogels „Die Gänse von Bützow“ (1985) konnte problemlos als DDR­ Gleichnis gelesen werden, inklusive Zensur und Überwachung. Auch in Andreas Dresens kabarettistisch an­ gehauchtem Studentenfilm „Der Zug in die Ferne“ (1989) wusste jeder sofort, wer und was sich hinter dem zeitungslesenden Mann auf dem Bahnsteig verbarg. Besonders mu­ tig ging Ulrich Weiß mit „Dein unbekannter Bruder“ (1981) vor. Er griff auf einen Roman des kommunistischen Autors Willi Bredel zurück, um die Universalität totalitärer Sys­ teme – und damit eben auch der DDR – zu beschreiben. Anhand eines Gestapo­Spitzels innerhalb einer Widerstandsgruppe enthüllt der Film die Mechanismen von Verrat und Zersetzung; durch die offenkundigen Analo­ gien von National­ und Realsozialismus zog sich Weiß den Zorn der Kulturfunktionäre zu.

Filmdienst 10 | 2015

10-15_Verrat_10-15.indd 12

06.05.15 13:55


ompl emenk

m f s -t h m u z e ) film m e R 1960, R: Kurt Mr)aetzig l i f l e i p S eye (D D

ex

A u sw a

hl

e b e“ Frank B mberli 9 91 , R : 1 . ) t arow) D „ S e p te ( wisdek einer C ch t “ a H : d r R k) e , V 2 ichael G 9 M 9 : 1 . R rsmarc „ Der t , D D onn e ng “ ( n) t . 199 4 y n D lu z ( o h r v e “ ) l w f s n r e a an n ck „Ve Agne a rd W rian He h K a uf m ied von 994, R: Lienh , R: Flo & Judit 5 s 1 0 „ A b sch a . 0 a t 2 M D . rg ln) (D t laue“ ( H ebbe , R: Geo deren“ „ Der B de 2012 ke Constantin der An n n la e r b e e d ie R: To „ Da s L (Dt./N . 2012, w) Leben“ e r “ (D t e wocho M h c s „ Zwei f S u n a ia n t e is ollt : Chr „Wir w 2013, R n “ (D t . e t s e „W

verrat & verraten kino

Als die DDR und ihr undurch­ sichtiges Zensursystem im Herbst 1989 kollabierten, hatten sich bei den DEFA­Regisseuren und ­Drehbuchautoren viele un­ erzählte Geschichten angehäuft. Die Tabus waren zahlreich: Neben Alter, Tod, Sucht oder missliebigen Jugendkulturen gehörte auch der MfS­Komplex zu den ausgesparten Themen. Einige namhafte Filmemacher, die selbst im Visier des Sicher­ heitsapparats gestanden hatten, machten sich sofort an die Arbeit. Heiner Carow drehte 1991 „Verfehlung“ – eine Ost­West­ Liebesgeschichte, die an Miss­ gunst, provinziellem Kleingeist sowie offenen und verdeckten „staatlichen Maßnahmen“ zer­ bricht. Auch Frank Beyer rechne­ te in „Der Verdacht“ (1991) auf der Basis einer bedrohten Liebe mit der von Misstrauen und Bespitzelung durchsetzten DDR­ Gesellschaft ab. Beide Filme wa­ ren vom ehrlichen Wunsch nach einer kritischen Gesellschaftsbi­ lanz getragen, krankten aber an ihrem übergroßen Sendungsbe­ wusstsein, das einer adäquaten Form im Weg stand.

t i c h ke i l r e u e geh D i e u n b te n le d e s e r t e n e rg i e n e e n t fa l t

Von oben links nach unten rechts: »abschied von agnes«, »Zwei leben«, »barbara«, »verfehlung«, »Das leben der anderen«, »wir wollten aufs meer«

Dokumentaristen fanden hingegen zu wirksameren Lösungen. Was sich im Fiktiven als schwerfällig erwies, entfaltete hier unmit­ telbare und sehr nachhaltige Energie. Die Ungeheuerlichkeit der eben erlebten Geschichte benötigte keine erzählstrategi­ schen Umwege, vollzog sich fak­ tisch als Operation am offenen Herzen. In ihren Filmen formu­ lierte sich zunächst der Wunsch, zu einer Bestandsaufnahme des Ungeheuerlichen zu gelangen –

Filmdienst 10 | 2015

10-15_Verrat_10-15.indd 13

13

06.05.15 13:55


ohne vom gesamten Umfang der Tatsachen und ihrer Konsequenzen wirklich zu wissen. Tamara Trampe und Johann Feindt porträ­ tierten in „Der schwarze Kasten“ (1991) einen Stasi­Offizier, der als Hochschullehrer „Ope­ rative Psychologie“ unterrichtet hatte und damit unmittelbar für die Vermittlung von Verhör­ und Überwachungsmethoden ver­ antwortlich war. Einen ebenfalls strukturellen Blick auf den Sicherheitsapparat versuchte Ralf Marschalleck in „Streng vertraulich oder Die innere Verfassung“ (1990), verlor sich dabei aber bisweilen in pathetischen Verall­ gemeinerungen, anstatt analytisch­streng am Gegenstand zu bleiben. Den stärksten und auch persönlichsten Beitrag zu diesen frühen Versuchen, die Dimensionen von Entmündigung und Re­ pression zu verstehen, lieferte Sibylle Schö­ nemann mit „Verriegelte Zeit“. Die Anfang der 1980er­Jahre für fast ein Jahr inhaftierte Regisseurin begab sich unmittelbar nach dem Fall der Mauer an jene Orte, an denen ihr politische Willkür widerfahren war: ins DEFA­Spielfilmstudio, Gericht und Strafvoll­ zug. Sie stößt dort auf die von den jüngsten Ereignissen noch irritierten Entscheidungs­ träger, die sich mehr oder weniger gekonnt aus der Affäre ziehen wollen. Kurze Zeit spä­ ter wären diese Konfrontationen schon nicht mehr möglich gewesen, da Schönemann dann nur noch mit Rechtsanwälten, nicht aber mit den Tätern selbst hätte sprechen können. „Verriegelte Zeit“ ist deshalb ein einmaliges Dokument des politisch­juristi­ schen, aber auch moralischen Umbruchs, wobei gleichzeitig die opportunistischen Kontinuitäten deutscher Geschichte bloß­ gelegt werden. Überdies lebt der Film von starken ästhetischen Spannungsräumen (Kamera: Thomas Plenert). Nur wenige zeitgeschichtliche Filme erreichten für die Zäsur der Jahre 1989/90 eine vergleichbare Übereinstimmung von Inhalt und Form. Wie Jean­Luc Godard in „Nouvelle Vague“ oder Marcel Ophüls in „November Days“ (beide 1990) schafft es Schönemann, aus dem scheinbaren Stillstand im Übergang zweier historischer Phasen und der damit verbun­ denen Sprachlosigkeit Funken zu schlagen. Im Dezember 1991 trat das „Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der ehemaligen Deutschen Demokratischen

14

Republik“ (kurz: Stasi­Unterlagen­Gesetz) in Kraft. Damit stand ein in der deutschen Geschichte einmaliges und für den ganzen einstigen Ostblock vorbildliches Instrument zur Verfügung. Wissenschaftler und Journa­ listen, vor allem aber betroffene Privatperso­ nen konnten sich damit einen Einblick in den gegen sie oder andere gerichteten Apparat verschaffen. Für die vom DDR­Sozialismus geprägten Menschen bedeutete dies einen enormen Phasensprung in der Wahrnehmung und Reflexion von Geschichte. Was bislang nur als Gerücht sein Gift verbreitete, bot sich nun schonungslos dem Licht der öffentlich­ keit dar. Die perfiden „Maßnahmenpläne“ des MfS zur gezielten „Zersetzung“ und „Liquidie­ rung“ von Verdächtigen sowie das Ausmaße der Durchdringung von Freundeskreisen und der Verrat innerhalb von Familien war bislang nur Gegenstand von Ahnungen. Jetzt lagen die Tatsachen auf dem Tisch. Schön war das nicht – aber notwendig.

nach den g meldung rellen boulevard en biete td sachlich e recher as kino chen

Zu den unangenehmen Begleiterscheinungen jener Zeit zählte der sensationelle Grundton vieler Enthüllungen. Nach den grellen Meldungen in der Boulevardpresse und im Fernsehen fanden bald auch sachliche Recherchen den Weg in die öffentlichkeit. Kinofilme benötigten, produktionstechnisch bedingt, dafür etwas länger. Das interessan­ te Beispiel einer frühen Beschäftigung mit dem Thema nach der öffnung der Akten ist Michael Gwisdeks Spielfilm „Abschied von Agnes“ (1994). Den auf einem Roman von Hans Löffler basierenden Film sollte ursprünglich Ulrich Weiß inszenieren; Weiß stieg jedoch unmittelbar vor Beginn der Dreharbeiten aus, sodass der Hauptdarstel­ ler kurzerhand auch die Regie übernahm. Gwisdek spielt einen arbeitslosen Wissen­ schaftler der Nachwendezeit, der von einem unheimlichen Gast heimgesucht wird, der buchstäblich alles über ihn weiß. Der Film ist eine tragikomische Studie über die Verqui­ ckung von Opfer­ und Täterkonstellationen und harrt seiner Wiederentdeckung. Ein wichtiger Dokumentarfilm entstand be­

reits 1993: „Förräderi“ („Verrat“) von Björn Cederberg und Fredrik von Krusenstjerna, der sich einem der spektakulärsten Verrats­ fälle innerhalb der Ost­Berliner Künstlersze­ ne widmet: dem des Autors und Kulturma­ nagers Alexander („Sascha“) Anderson, alias IM „David Menzer“, „Fritz Müller“ und „Peters“. Co­Autor und ­Regisseur Ceder­ berg fährt mit dem Zug nach Deutschland, um dort Anderson zu treffen und zu den skandalösen Vorwürfen zu befragen. Als Journalist war er früher öfters in die DDR und hatte zu Anderson ein Vertrauensver­ hältnis, fast eine Freundschaft, aufgebaut. Nach der eingehenden Beschäftigung mit der Aktenlage suchte er die Begegnung und das Gespräch über die Vergangenheit. Der Film basiert auf gründlichen Recherchen, nimmt aber eine konsequent subjektive Perspektive ein. Aus dem Off stellt sich der Filmemacher immer wieder Fragen, die eigentlich nicht zu beantworten sind. Neben den eindringlichen Texten (gesprochen von John Hurt) trägt die Musik von Astor Piazzol­ la wesentlich zur Abrundung des Essays bei. Ohne die Faktenlage außer Acht zu lassen, bleibt die Bilanz der Vorgänge offen. Das moralische Versagen des Dichters bedarf indes keiner weiteren Kommentare. Spätestens mit Beginn des neuen Jahrtau­ sends hätten der zeitliche Abstand und der wissenschaftlich erarbeitete Kenntnisstand eigentlich eine gute Grundlage für reife filmische Auseinandersetzungen mit dem Stasi­Komplex und den damit verbundenen seelischen Verheerungen bieten können. Stattdessen bemächtigte sich 2005 der erfolgreiche Unterhaltungsfilm „Das Leben der Anderen“ des Themas und schuf eine Art neuer Deutungshoheit. Absurderweise stand dabei kein Opfer im Zentrum der Handlung, sondern ein MfS­Offizier, der sich nach einem religiös­musikalischen Offenbarungserlebnis zum Gutmenschen wandelt. Dieser märchen­ hafte Plot hatte wenig mit der DDR­Realität, aber umso mehr mit den Konventionen Hollywoods zu tun – und wurde dafür mit den bekannten Ehrungen und vollen Kinokassen belohnt. Der Film schuf durch seinen Erfolg neue Schemata im Umgang mit dem MfS. Die tatsächlichen Gegebenheiten rückten aus Gründen der besseren Erzählbarkeit in den Hintergrund. Baukastenartige „Emotionalisie­ rung“ trat zunehmend an die Stelle genauer

Fotos: S. 10­11: Edition Salzgeber. S. 12­13: Progress/Arsenal/Farbfilm/Piffl/Touchstone/Wild Bunch. S. 14­15: ex picturis/Salzgeber

kino verrat & verraten

Filmdienst 10 | 2015

10-15_Verrat_10-15.indd 14

06.05.15 13:55


mpl o k n e em

ex

A u sw a

hl

verrat & verraten kino

f s -t h m m u filme z ntarfilme e nemann) nstjerna) ibylle Schö k von Kruse Dokum R 1990, R: S erg, Fredri

) . Lorenzen “ (DD Cederb ke & Jan N lte Zeit 4, R: Björn m e 9 le g 19 K n n ie e ia r d r st e „Ve 2, Chri ark/Schw Heise) “ (Dt. 200 “ (Dänem R: Thomas ) e h örd e n 7, B n 9 a „Verrat r 19 m e t. e n (D in ö e s Sch schke“ – Alltag , R : Ha n n e „Barlu “ (Dt. 1998 herheit n ic h s a s t W a ta „ Julias m für S ise) inisteriu 2005, R: Thomas He rt) „ Da s M t. (D fan Weine “ e r St e : ru d t. 2008, R (D “ d „Mein B n a r) ht zur W 09, R: Marc Thümmle „Gesic 20 t. Bachelier) e (D ke) ik “ e r H : e hr pop) Dörte Fran t. 2010, R (D “ „ Ra d fa g orsten Trim 06, R: Marc Bauder & n u Th : r R h , 5 ü 0 r 0 t. 2 be t. 20 ) „Feind Rest “ (D rem“ (D arschalleck tionale as ande in Hendel) a r w t ir e r 0, R: Ralf M e n 9 o 19 tr v „D t. ka t e (D n ig n “ g , R: A schwe r fa s s u n “ (Dt. 2011 „ Jeder nere Ve , Johann Feindt) e r rä te r in v s ie d n D r e la ode Tramp „Vater aulich R: Tamara g vertr “ (Dt. 1991, n e t s „ St r e n a K endel) hw a r z e nekatrin H „ D e r sc 2014, R: An t. (D roske) K “ n rd rso , R : Ge „ Ande “ (Dt. 2015 n e h ie ez „ Strich

Recherchen. Dieser Vorwurf ist auch Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „Anderson“ zu machen. Alle bereits geleistete Vorarbeit ignorierend (auch Cederbergs Film), wird hier von einer angeblichen Tabula rasa ausgegangen, um so zu einer geschmeidigeren Dramaturgie zu finden. Die subjektive Perspekti­ ve dient nicht wie in „Förräderi“ der Wahrheitsfindung, sondern bleibt bloße Behauptung der Inszenierung. Infolgedessen durchläuft der Antiheld des Films auch keine Dekonstruktion, son­ dern darf einmal mehr im Dienste der eigenen Mythenbildung tätig werden.

eingriffe in lebenslä uf »Das ve e: rg a n g e n e ist nicht to t « Gerd Kroskes „Striche ziehen“ weckt die Hoffnung auf eine differenziertere Behand­ lung eines Themas, das durch seine Widersprüchlichkeit und Komplexität prinzipiell höhe­ rer Sorgfalt bedarf als andere historische Stoffe. Noch gehören die Erfahrungen mit dem Re­ pressionsapparat der DDR zum biografischen Gut von Millionen Menschen. Haft, Flucht, Eingriffe in Lebensläufe, Selbstmord sowie die Folgen von Überwachung und Denunziation sind präsent, denn „Das Vergangene ist nicht tot“, es arbeitet weiter, bewusst und unbewusst. Deshalb sind dramatische Ereignisse aus der DDR­Zeit eben keine herkömmli­ chen Ressourcen für spannende Plot­Konstruktionen im Spiel­und Dokumentarfilm. Sie setzen auch weiterhin eine besondere Sensibilität bei der filmischen Transformation voraus. • unte e Zeit«, erriegelt oben: »v

erson«

n: »and

Filmdienst 10 | 2015

10-15_Verrat_10-15.indd 15

15

06.05.15 13:55


kritiken neue filme

mein herz tanzt Ein israelischer Palästinenser verliebt sich in eine Jüdin Liebe macht Leiden. Doch was macht die Liebe so schmerzhaft? Was reißt Menschen wieder auseinander, obwohl die Anziehungskraft weiter be­ steht? Wohnt die Verzweiflung der Liebe unweigerlich inne? Und schwingt dieses Wissen als leiser, trauriger Ton nicht bei jeder neu eingegangenen Beziehung mit? So jedenfalls suggeriert es der melancholi­ sche „Joy Division“­Song, den Eyad zum ersten Mal hört, als er seinen Mitschüler Yonatan zu Hause besucht. Dem soll er zur Hand gehen. Yonatan hat mul­ tiple Sklerose und sitzt schwer gehandikapt im Rollstuhl. Aber wie so oft ist es gerade der Kranke, der den Gesunden stützt, dessen Blick weitet und ihm zu einem unverzichtbaren Freund wird. Denn auch Eyad hat kein leichtes Schicksal. Der Hochbegabte lebt in Jerusalem, fern von seiner Familie, wie auf einem schwer erreichbaren Stern. Als erster Araber hat er es an eine israelische Elite­

36

Oberschule geschafft und muss jetzt lernen, mit den Vorurteilen seiner neuen Umgebung und manchen Schikanen zurechtzu­ kommen. Sein Vater erwar­ tet natürlich, dass der Sohn solche Schwierigkeiten spielend meistert. Er ist mächtig stolz auf seinen Nachwuchs, der ihn in allem übertreffen soll. Doch dieser ehrgeizige Plan gerät in Gefahr, als Eyad sich in Naomi verliebt. Wie werden deren Eltern reagieren, wenn ihre Tochter ihnen ihre Liebe zu einem palästinensischen Israeli offenbart? Eran Riklis hat mit „Mein Herz tanzt“ nicht nur einen vorzügli­ chen Adoleszenzfilm über eine scheiternde erste Liebe und das Bewusstwerden der Endlichkeit des Lebens gedreht. Sondern er hat darüber hinaus auch ein dichtes Zeitbild geschaffen, das sich aus kurzen, zugespitzten Alltagserfahrungen des Helden zusammensetzt. Riklis erzählt die Identitätssuche retrospektiv aus der Perspektive des jetzt

erwachsenen Palästinensers. Der junge Mann reflektiert seine Veränderung und die seiner Umwelt bereits aus der Distanz. Es ist eine erstaunliche Selbst­ findung, welche der Film für Eyad ersinnt. Die Inszenierung nutzt sie, um die vertrackte Ko­ existenz zweier Völker innerhalb des israelischen Staates und deren Ringen um eine gemein­ same Identität zu beleuchten. Virtuos fängt der Film die Stim­ mungen des Jugendalters ein und wirft dabei auch Schlag­ lichter auf die Gemütsverfas­ sungen der israelischen wie der palästinensischen Gesellschaft. Der Regisseur bedient ein gro­ ßes Register, das leichtfüßig da­ hinperlende, humorvolle Töne, aber auch düstere, trostlose, wehmütige Klänge umspannt. Hinsichtlich seiner Mittel sind insbesondere der Einsatz der Musik und die Art der Montage hervorzuheben. Der Film arbei­ tet meisterlich mit Ellipsen. Sie stellen Raum zur Imagination bereit und lassen damit sicher­

lich viel Unüberbrückbares aus, auf das beispielsweise aktuell Lizzie Dorons Roman „Who the fuck is Kafka“ hinweist. Aber sie unterlaufen auch Stereotype und schaffen zeichenhaft Ver­ bindungen zwischen zwei sich befehdenden Gruppen. So sieht Eyad die Mutter seines Freun­ des ihn traurig erwartend hinter der Scheibe eines Cafés stehen. Schon fürchtet man, dass ihr schwerkranker Sohn gestor­ ben ist. Doch dann schneidet der Film auf Eyads Mutter in Trauerkleidung: Es ist Eyads Großmutter, die gestorben ist. In der Trauer und Sorge um ihre Liebsten sind sich die Menschen gleich. Es ist also ganz und gar nicht die Liebe, welche das Lie­ bespaar, die beiden Freunde, Mutter und Sohn auseinander­ reißt. Riklis’ Film benennt die Ursachen hierfür genau und deutet sie als aktuelles Problem der israelischen Gesellschaft. Eyad wird von Naomi gezwun­ gen, die Beziehung zu beenden,

Filmdienst 10 | 2015

36-51_Kritiken_10_2015.indd 36

06.05.15 15:05


neue filme kritiken

nicht etwa, weil sie ihn nicht mehr lieben würde. Nein, es ge­ schieht um der Selbstverwirk­ lichung im Beruf willen, wegen ihrer Ausbildung beim Militär, welches höchste Sicherheits­ vorkehrungen verlangt. Und es ist diese Gesellschaft, die auch dem todkranken Freund sein schweres Leiden nicht ersparen will. Sie ist es, die einen Teil der Bevölkerung diskriminiert und klein hält – und letztlich sogar dazu zwingt, seine Identität auf­ zugeben. Nur so kann Eyad sein Glück machen. Heidi Strobel

bewertung Der filmkommission

ein israelischer palästinenser wird als erster araber an einer eliteschule in Jerusalem akzeptiert, wo er sich gegen vorurteile und schikanen behaupten muss. als er sich in eine jüdische mitschülerin verliebt, nimmt seine hoffnungsvolle schulkarriere eine entscheidende Wende. die berührende, mitunter auch humorvolle parabel nutzt das erzählmuster der selbstfindung eines jugendlichen helden, um mit großem engagement, viel feingefühl und einer kritischen perspektive von der vertrackten koexistenz der verfeindeten völker zu erzählen. die virtuose inszenierung bedient ein großes register von leichtfüßig dahinperlenden tönen bis zu düster-wehmütigen klängen, wobei vor allem der meisterliche umgang mit ellipsen hervorsticht, die mit zeichenhaften verweisen die gängigen stereotype überbrücken. – sehenswert ab 12.

dancing arabs Fotos S. 36­51: Jeweilige Filmverleihe

scope. israel/deutschland 2014 regie: eran riklis Darsteller: tawfeek barhom (eyad), razi gabareen (eyad als Junge), yaël abecassis (edna), michael moshonov (yonathan), ali suliman länge: 104 min. | kinostart: 21.5.2015 verleih: nfp | fsk: ab 6; f fD-kritik: 43 089

Pitch Perfect 2 Schwungvolle Musical-Fortsetzung Der Weg zum Ruhm ist steinig, und mit einem einzigen Fehler kann alles vorbei sein. Drei Jahre, nachdem die jungen A­Cappella­Sängerinnen der College­Gruppe „Barden Bellas“ amerikanischer Meister wurden und ihren Titel schon zwei Mal verteidigten, stehen sie mit einem Auftritt im Kennedy Cen­ ter vor der nächsten Erfolgs­ stufe. Doch dann missglückt ihre Choreografie vor den Augen des US­Präsidenten aufs Peinlichste, und die Bellas werden vom Magazin­ und Fernsehboulevard als „Schande der Nation“ ange­ prangert. Ihr College verbietet alle Auftritte und auch die Wer­ bung für neue Mitglieder; einzig die Teilnahme an der Weltmei­ sterschaft in Dänemark steht noch aus, da sie durch ihren nationalen Titel automatisch qualifiziert sind. Doch angesichts von Übergegnern wie der hoch­ professionellen deutschen For­ mation „Das Sound Machine“ glauben die US­Mädels jedoch selbst kaum an ihre Chancen, zumal auch der Zusammenhalt der Gruppe gefährdet ist. So kann sich die inoffizielle Leiterin Beca allen Ernstes ein Leben nach den Bellas vorstellen und leitet mit einem Praktikum bei einem Musikproduzenten erste konkrete Schritte ein. Der erste Teil von „Pitch Perfect“ (2012) war ein bemerkenswerter Vorstoß Hollywoods, sich wieder einmal an der selten gewor­ denen Kunst eines originalen Leinwand­Musicals zu versu­

chen. Überzeugende Darsteller und ein ehrliches Einlassen auf die Ausdrucksmöglichkeiten des A­Cappella­Gesangs sorgten dafür, dass der Film trotz seiner klischeehaften Handlung, einiger ungelenker Choreografien und des oft recht platten Humors doch einen eigenwilligen Charme entfaltete. Das gilt durchaus auch für die Fortset­ zung, mit der die Schauspielerin Elizabeth Banks ein solides Regiedebüt gibt: Ohne je in den Verdacht einer allzu großen Wirklichkeitsnähe zu geraten, beschränkt sich „Pitch Perfect 2“ auf eine unterhaltsame Variation der bekannten Story von den Underdogs, die sich nach ihrem unerwarteten Triumph im ersten Teil noch einmal neu erfinden und nach oben kämpfen müs­ sen. Inhaltlich überschreitet der neue Film indes immer wieder die Grenze zur Banalität und hinter­ lässt im Zusammenfügen der Handlungsstränge einen recht diffusen Eindruck. Originelle Töne schlägt die Inszenierung dafür auf anderen Ebenen an, indem etwa den besten Akteuren gekonnt Momente ein­ geräumt werden, in denen ihre speziellen Talente zur Geltung kommen: das charmante Spiel von Beca­Darstellerin Anna Kendrick zwischen Sarkasmus und mädchenhafter Unsicherheit oder die brachiale Komik von Rebel Wilson und Adam Devine bei der Entfaltung einer schrä­ gen, aber herzlichen Liebesbe­

ziehung. Am meisten jedoch überzeugt der Film dort, wo er sich ganz auf den Reiz der Gesangsnummern verlässt, ins­ besondere bei einer Party, bei der sich verschiedene A­Cap­ pella­Gruppen kreative Battles liefern. Hier treffen die Bellas das erste Mal auch auf ihren deutschen Gegner, ein bizarres, aber schlüssiges Konglomerat aus dem, was Amerikaner mit Musik aus dem deutschspra­ chigen Raum verbinden (Carl Orff, Kraftwerk, Nena, Falco und Rammstein). Rein musikalisch kreuzen sie hier hitzig und haut­ nah ihre stimmlichen Waffen: der Höhepunkt des Films. Im Vergleich dazu sticht die Brav­ heit des Finales mit dem erwart­ baren Ausgang nur umso deut­ licher ins Auge. Marius Nobach

bewertung Der filmkommission

eine erfolgreiche a-cappella-college-gruppe steht nach einem blamablen auftritt vor dem aus. als es um die teilnahme an der Weltmeisterschaft geht, besinnen sich die jungen sängerinnen auf ihren Zusammenhalt und treten gegen eine selbstgefällige deutsche formation an. Zwar vorhersehbare, dennoch recht unterhaltsame fortsetzung eines erfolgreichen musicalfilms, in der die banale handlung sowie die mitunter platten Witze durch schwungvoll interpretierte musiksequenzen ausgeglichen werden. Überzeugend sind vor allem die charismatischen darstellerinnen. – ab 14.

pitch perfect 2. usa 2015 regie: elizabeth banks Darsteller: anna kendrick (beca), skylar astin (Jesse), rebel Wilson (fat amy), adam devine (bumper allen), anna camp (aubrey) länge: 105 min. | kinostart: 14.5.2015 verleih: universal | fsk: ab 6; f fD-kritik: 43 090

Filmdienst 10 | 2015

36-51_Kritiken_10_2015.indd 37

37

06.05.15 15:05


kritiken fernseh-tipps

07.25-08.55 mdr verzauberte emma r: oliver dommenget turbulenter körpertausch-fantasyfilm deutschland 2000 sehenswert ab 10

21.45-23.10 3sat rückkehr ans meer r: françois ozon eine heroinsüchtige wird schwanger frankreich 2009 sehenswert ab 16

13.15-14.53 servus tv miss austen regrets r: Jeremy lovering liebevoll inszenierte biografie von Jane austen großbritannien/usa 2008 ab 14

22.00-23.35 br fernsehen angels’ share – ein schluck für die engel r: ken loach erfrischend zupackende schottlandkomödie großbritannien/frankreich 2012 ab 14

15.00-16.15 kika Die kleinen bankräuber r: armands Zvirbulis kinderfilm-abenteuer mit spannung und humor lettland/Österreich 2009 ab 8

22.00-23.25 zdf_neo la linea – Deal mit dem feind r: James cotten ambitionierter drogenthriller usa/mexiko 2008 ab 16

20.15-21.25 disney channel Dumbo, der fliegende elefant r: ben sharpsteen disney-trickfilm als sternstunde an leichtigkeit usa 1941 sehenswert ab 6

22.40-00.55 servus tv Der marathon-mann r: John schlesinger spionagethriller mit dustin hoffman und laurence olivier usa 1976 ab 16

20.15-23.35 sat.1 Pirates of the caribbean – am ende der welt r: gore verbinski 3. teil des piraten-fantasy-franchises usa 2007 ab 14

23.35-01.50 br fernsehen babel r: alejandro gonzalez iñárritu viermal interkulturelle fehlkommunikation usa/mexiko 2006 sehenswert ab 16

20.15-22.40 Zeit der Zärtlichkeit r: James l. brooks mutter-tochter-drama usa 1983

01.10-02.38 das erste inhale – um jeden atemzug r: baltasar kormákur engagierter, spannender thriller usa 2009 ab 16

servus tv

ab 16

16. mai, 15.00-16.15

kika

Die kleinen bankräuber banker haben spätestens seit der finanzkrise 2007/2008 nicht gerade ein gutes image – selbst im kinderfilm: die lettisch-österreichische produktion von armands Zvirbulis lässt zwei kinder auf ziemlich unorthodoxe Weise gegen den raubtierkapitalismus zu felde ziehen. um ihren eltern zu helfen, denen die bank einen kredit verweigerte, wollen die geschwister robby und luise das geldinstitut überfallen. der coup gelingt, doch nun sind den kindern zwei Wachmänner und der korrupte bankdirektor auf den fersen, der ein schmutziges geheimnis bewahren will. das mit wohldosierter spannung und humor inszenierte kinderfilm-abenteuer nimmt vor allem durch die gelungene figurenzeichnung für sich ein.

56

so

samstag 16. mai

sonntag 17. mai

11.00-12.00 das erste till eulenspiegel (2) r: christian theede die erlebnisse der sagengestalt deutschland 2014 sehenswert ab 10

16. mai, 20.15-22.40

servus tv

Zeit der Zärtlichkeit Der grundstein für das heutige amerikanische „Qualitätsfernsehen“ wurde bereits in den 1970ern gelegt und der junge Produzent, regisseur und Drehbuchautor James l. brooks war ganz vorne mit dabei. er kreierte die bahnbrechenden sitcoms „the mary tyler moore show“ und „taxi“ sowie die Zeitungsreporter-serie „lou grant“, erhielt jeden erdenklichen fernsehpreis und hatte sich so bereits einen ehrenplatz in der fernseh-ruhmeshalle verdient, bevor er sich ab 1989 als produzent der „simpsons“ endgültig unsterblich machte. Zwischenzeitlich hatte brooks, der am 9. mai seinen 75. geburtstag feierte, auch im kino reüssiert: bereits mit seinem debütfilm „Zeit der Zärtlichkeit“ nach einem roman von larry mcmurtry triumphierte er bei publikum wie kritik, der film gewann u.a. fünf „oscars“. die geschichte einer schwierigen beziehung zwischen mutter (shirley maclaine) und tochter (debra Winger) entfaltet sich über viele Jahre hinweg, zeigt die späte liebesgeschichte der Älteren mit einem trinkfreudigen ex-astronauten (Jack nicholson) und das schicksal der Jüngeren mit einer unglücklichen ehe und einer unheilbaren krebserkrankung. Wie zuvor schon bei seinen fernsehserien gelang brooks eine fein ausbalancierte mischung aus burschikosem humor und geschickt eingestreuten gefühlsmomenten, mit glaubhaften figuren und hervorragenden darstellern.

17.55-20.15 tele 5 the birdcage – ein Paradies für schrille vögel r: mike nichols kurzweilige neuverfilmung der boulevardkomödie usa 1995 sehenswert ab 16 20.15-21.45 arte fargo r: Joel coen spannend-absurder thriller usa 1996 sehenswert 20.15-21.45 das erste tatort: kälter als der tod r: florian schwarz nuanciert gezeichneter tatort-krimi deutschland 2015 ab 14 20.15-22.15 lost and Delirious – verrückt nach liebe r: léa pool anspruchsvoller Jugendfilm kanada 2001

tele 5

ab 16

21.45-23.40 arte barton fink r: Joel coen rabenschwarz: die leiden eines autors in hollywood usa 1991 sehenswert ab 16 22.10-01.25 7maxx heat r: michael mann thriller-gipfeltreffen zwischen al pacino und robert de niro usa 1995 sehenswert 22.55-01.15 br fernsehen mephisto r: istván szabó vielschichtiges psychogramm eines nazi-opportunisten ungarn/brd1980 sehenswert

Fotos S. 56–65: Jeweilige Sender.

sa

Filmdienst 10 | 2015

56-65_TV_10_2015.indd 56

06.05.15 14:29


mo erstausstrahlung: 17. mai, 20.15-21.45

Das erste

tatort: kälter als der tod wer eine ähnlich verrückte, grandiose, die „tatort“-formeln zerschreddernde extravaganz erwartet, wie sie florian schwarz (regie) und michael Proehl (buch) mit „tatort – im schmerz geboren“ aufgetischt haben, der wird von ihrem neuen frankfurt-„tatort“ enttäuscht sein. hier, bei der einführung des neuen ermittler-duos, bleiben die genre-standards gewahrt: leichen, spurensuche, eine galerie von verdächtigen, der blick aus ermittlerperspektive. ein familiäres blutbad setzt die bisweilen etwas mutwillig ausufernde geschichte in gang, thematisch geht es um die sehnsucht nach familiärer geborgenheit – ein thema, das in deutschen tv-krimis gerade sehr beliebt ist – und um die seelischen abgründe von menschen, die als kinder vernachlässigt und verstoßen wurden. in der nuancierten Zeichnung von stimmungen und charakteren aber entfaltet florian schwarz seine besonderen talente: brillante darsteller, sensible porträts, fantasiereich und psychologisch präzise. mit inszenatorischen capriccios präsentiert er nächtliche szenerien mit mondhimmel, zart angedeutete liebesgeschichten und menschenfreundliche ermittler, hauptkommissar brix (Wolfram koch) und seine kollegin Janneke (margarita broich), die sich einmal nicht als neurotiker oder Zyniker entpuppen. Zauberische imagination und ironisches spiel sind die elemente, mit denen schwarz am besten jonglieren kann. so verleiht er der ermittlungsarbeit etwas von traumartiger intuition, wenn er imaginierte bilder des tathergangs wie gedankenblitze auftauchen lässt. so macht er den duft eines frisch gebackenen kuchens zum ereignis. und so formt er mit emily cox eine engelsgleiche gestalt, deren schönheit zum faszinierenden geheimnis der geschichte wird. rainer gansera

17. mai, 11.25-12.00/20.15-23.40 arte

cannes & die coens seitdem ethan und Joel coen 1991 mit „barton fink“ fast alle wichtigen auszeichnungen abräumten, zählen sie zum festen stamm der cannes„regulars“. beim diesjährigen 66. festival (13.-23.5.) haben es die brüder als Jury-präsidenten sogar in der hand, ihre favoriten zu küren. arte strahlt aus dem anlass zwei „coen“-klassiker aus: „barton fink“ (21.45-23.40) und „fargo“ (20.15-21.45). spannend ist auch die heutige „abgedreht!“-folge (11.25-12.00), die u.a. das geheimnis der „idioten-trilogie“ („o brother, Where art thou?“, „ein (un)möglicher härtefall“, „burn after reading“) erforscht.

montag 18. mai

20.15-22.20 arte tod in venedig r: luchino visconti großartige, morbide thomas-mann-adaption italien 1970 sehenswert ab 16 22.15-23.50 Zdf shame r: steve mcQueen drama um einen sexsüchtigen großbritannien 2011 ab 16 23.15-00.40 schöner als akazienholz r: pablo giorgelli Wortkarges roadmovie argentinien/spanien 2011

arte

23.40-01.00 mdr karbid und sauerampfer r: frank beyer pointenreiche odyssee nach dem Zweiten Weltkrieg ddr 1963 sehenswert ab 16 00.40-02.05 Die stadt der millionen. ein lebensbild berlins r: adolf trotz stummfilm-stadtporträt deutschland 1925

arte

01.20-02.55 rbb fernsehen kinshasa symphony r: claus Wischmann, martin baer doku über orchestermusiker im kongo deutschland 2010 sehenswert ab 12

ab 18. mai, 22.00

7maxx

24: live another Day Die action-serie „24“ hat fernsehgeschichte geschrieben – mit ihrem ambitionierten formalen rahmen, in echtzeit zu erzählen und pro staffel jeweils 24 stunden des einsatzes eines anti-terror-agenten (kiefer sutherland) einzufangen, aber auch aus Zeitgeist-gründen: die ausstrahlung der serie begann 2001; im selben Jahr waren die terroranschläge von 9/11; „24“ reflektierte mit seiner „war on terror“-thematik in den folgenden Jahren auch das politische klima in den usa. die serie lief bis 2010, stolze acht staffeln lang. dass der sender fox 2014 eine neunte staffel nachgeschoben hat, die nur 12 folgen umfasst und von dem echtzeit-prinzip abweicht, klingt nach verzweifeltem bemühen, den eigenen erfolg nochmal aufzuwärmen, tatsächlich ist diese „verzweiflungstat“ aber ganz gut gelungen und liefert das, was das format verspricht: rasante action-unterhaltung um eine mittlerweile zur tv-ikone gewordene agentenfigur. die neue staffel spielt vier Jahre nach staffel 8 und begleitet Jack bauer zu neuen abenteuern nach london. 7maxx strahlt die 12 folgen als free-tv-premiere kompakt in einer Woche aus, von montag bis freitag je ab 22.00/22.15.

18. mai, 22.20-23.15

arte

neue reihe: kinogeschichten arte startet heute ein neues filmhistorisches format des französischen filmjournalisten frédéric bonnaud, das sich in loser folge mit unterschiedlichen aspekten des kinos beschäftigen soll. die erste sendung dreht sich um romanverfilmungen und beleuchtet anhand von berühmten beispielen wie viscontis „tod in venedig“ (läuft zuvor um 20.15-22.20), kubricks „lolita“ oder pascale ferrans „lady chatterley“ herausforderungen und chancen bei der adaption. so geht es um die ungebrochene attraktivität großer literarischer Werke auf filmemacher, obwohl gerade anspruchsvolle stoffe stets auch das risiko einer blamage in sich bergen. filmausschnitte, archivaufnahmen und interviews ergänzen sich zu einer aufschlussreichen erkundung der geschichte der romanverfilmungen.

Filmdienst 10 | 2015

56-65_TV_10_2015.indd 57

57

06.05.15 14:29


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.