Filmdienst 01 2016

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MIT DER UNTERSTÜTZUNG VON SØRFON D, WORLD CI N E MA FU N D, H U BE RT BALS FU N

FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur

01 2016

www.filmdienst.de

7. Januar 2016 € 5,50 69. Jahrgang

»BEST ACTRESS«

Mit der Regisseurin und Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel in der Berliner Ausstellung über »Oscars. Rollen. Bilder«

CROWDFUNDING

Eine neue Finanzierungsform für Kinofilme. Eine ernstzunehmende Alternative zur herkömmlichen Filmförderung?

JOACHIM TRIER

Zum Start von »Louder Than Bombs«: Der norwegische Filmemacher und seine intelligenten Kinofilme

die Filme des thailänders Apichatpong Weerasethakul entfalten ihre ganz eigene Kinomagie. sein neuer Film erzählt auf hypnotische Weise von soldaten, die an einer mysteriösen schlafkrankheit leiden.


FiLMDienst 01 | 2016 DIE NEUEN KINOFILME kinotiPP

der katholischen Filmkritik

49 IRAQI ODYSSEY Ein umwerfend witziges, buntes, aufwühlendes Porträt einer Großfamilie im Exil.

+

ALLE STARTTERMINE

38 Cemetery of Splendour 14.1. 51 Conducta – Wir werden sein wie Che 7.1. 46 Die dunkle Seite des Mondes 14.1. 49 Familie haben 7.1. 51 Feuerwehrmann Sam 7.1. 45 Das Floß! 14.1. 46 Gut zu Vögeln 14.1. 49 Holy Cow 14.1. 49 Iraqi Odyssey 14.1. 39 Janis: Little Girl Blue 14.1. 44 Je suis Charlie 7.1. 37 Legend 7.1. 49 Lichtgestalten 7.1. 36 Louder Than Bombs 7.1. 42 Mademoiselle Hanna und die Kunst Nein zu sagen 14.1. 47 My Talk with Florence 14.1. 51 Neukölln Wind 7.1. 43 Suite Française – Melodie der Liebe 14.1. 50 The Big Short 14.1. 41 The Danish Girl 7.1. 49 The President 14.1. 40 The Revenant – Der Rückkehrer 6.1. 48 Unfriend 7.1. 51 Die Winzlinge – Operation Zuckerdose 14.1.

40 THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER

42 MADEMOISELLE HANNA UND DIE KUNST NEIN ZU SAGEN

43 SUITE FRANÇAISE

FernseH-tiPPs 56 Ein neuer »Polizeiruf 110« führt Matthias Brandt als Kommissar Meuffels einmal mehr an seine Belastungsgrenzen. Außerdem wird Marcel Pagnols »Marseiller Trilogie« erstmals ungekürzt ausgestrahlt und die Sender zeigen anspruchsvolle Mehrteiler wie »Die Stadt und die Macht« und »Wölfe«. 4

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50 THE BIG SHORT

39 JANIS: LITTLE GIRL BLUE

Fotos: TITEL: Rapid Eye Movies. S. 4/5: NFP, Twentieth Century Fox, X-Verleih, Universum, Arsenal, Paramount, Random House, UPI

neU iM kino


01 | 2016 DIE ARTIKEL inHaLt kino

akteUre

FiLMkUnst

16 CROWDFUNDING

24 IRÈNE NÉMIROVSKY

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

10 »OSCAR«-FRAUEN

22 MARTIN LANDAU

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

Die Ausstellung »Best Actress« in Berlin stellt »Oscar«-Preisträgerinnen in den Fokus. Ein Rundgang mit der Regisseurin und Präsidentin der Akademie der Künste Jeanine Meerapfel. Und ein Gespräch über Darstellerinnen, Filmpreise und Glamour.

Seit der Fernsehserie »Kobra, übernehmen Sie!« gilt der US-Schauspieler als »Mann mit tausend Gesichtern«. Im Kino glänzte er als Hitchcock-Bösewicht ebenso wie als Bela Lugosi - und aktuell im Thriller »Remember«. Ein Porträt.

Wie fast jedes Jahr gibt es einen kleinen Independent-Film, der mit den Studioproduktionen um die »Oscars« konkurriert: »Room« erzählt von einer jahrelang eingesperrten Frau und ihrem Sohn – ein packendes klaustrophobisches Drama.

Von Wilfried Reichart

Von Jens Hinrichsen

Von Franz Everschor

16 CROWDFUNDING

24 IRÈNE NÉMIROVSKY

Als neue Form der Filmfinanzierung hat sich Crowdfunding in kürzester Zeit einen Namen gemacht. Doch ist die publikumsabhängige Finanzierung tatsächlich eine ernstzunehmende Alternative zur herkömmlichen Förderung? Ein Lagebericht und ein Interview mit Produzent Markus Brandmair. Von Thomas Klein

20 »JE SUIS CHARLIE«

Genau ein Jahr nach den Anschlägen auf die »Charlie Hebdo«-Redaktion in Paris startet ein Dokumentarfilm über das Satire-Magazin und die Auswirkungen des Terrors. Ein Gespräch mit den Regisseuren des Films. Von Wolfgang Hamdorf

28 JOACHIM TRIER

Die französisch-jüdische Schriftstellerin nahm sich in ihren Romanen wie dem gerade verfilmten »Suite française« auch die Filmsprache zum Vorbild. 1942 starb sie in Auschwitz. Eine Erinnerung an Irène Némirovsky.

Der norwegische Regisseur arbeitete für seinen neuen Film »Louder Than Bombs« erstmals in den USA. Stilistisch bleibt er sich jedoch treu, mit Anleihen bei der Nouvelle Vague wie bei der Pop-Kultur. Das Porträt eines eigenwilligen Filmemachers.

Von Silke Kettelhake

Von Ulrich Kriest

26 IN MEMORIAM

31 LITERATUR

Nachrufe u.a. auf den spanischen Regisseur Jaime Camino, dessen Werk von der Auseinandersetzung mit dem Spanischen Bürgerkrieg geprägt war.

Neue Veröffentlichungen würdigen die Kino-Texte von Joseph Roth, 50 spirituell inspirierende Filmmomente und die Werke von Charlie Chaplin. Von Thomas Brandlmeier und Felicitas Kleiner

32 MUSIK & FILM

Notizen zu Godards »One Plus One«, den Soundtracks der Filme von Zbynek Brynych, einer Neuvertonung des Stummfilms »Ein Sechstel Erde« von Dziga Vertov und dem Komponisten Mikael Tariverdiev. Von Ulrich Kriest

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RUBRIKEN EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD-KLASSIK DVD/BLU-RAY TV-TIPPS ABCINEMA VORSCHAU / IMPRESSUM

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IM MUSEUM MIT JEANINE MEERAPFEL KINO

N E U A R F N E A N S Ö N H U C S H E N M MIT EL: IE U APF E E D NG S S H U R C IM MNE MEE E DUR TELLU S D I S A N U JEA OMEN AR«-A SS« R E C P R S T E E I N N E R » O S T AC E I L B » BER

Jeanine Meerapfel, Filmemacherin und Präsidentin der Akademie der Künste, flaniert durch die Ausstellung »Best Actress« im Berliner Museum für Film und Fernsehen. Und lässt sich von den Exponaten anregen: zum Gespräch über die Stofflichkeit der Dinge, über Rollen und Schauspielerinnen, die Bedeutung und Funktion der »Oscars« und ihre frühen Vorstellungen von Glück und Glamour. Von Wilfried Reichart

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KINO IM MUSEUM MIT JEANINE MEERAPFEL

EIN KLEID ERWACHT ZUM LEBEN Gleich im Eingangsbereich der Ausstellung wird Jeanine Meerapfels Blick nicht vom Gesicht einer schönen Frau angezogen, sondern von einem Kostüm, das unter Glas liegt. Es ist Luise Rainers Kleid, das sie 1936 in Robert Z. Leonards »The Great Ziegfeld« trug. Es ist rot, aus einem wunderschönen Taft mit kleinen Steinchen. Was sagt uns dieses Ausstellungsstück? Für mich passiert etwas ganz Einfaches. Es geht um Gewerke. Es geht um Arbeit. Wenn ich das sehe, weiß ich, wer da alles dran gearbeitet hat. Wer das gezeichnet hat, wer das genäht hat, wer das angepasst hat. Ich weiß, wie das beim Filmemachen funktioniert. Ich sehe da die kleine Armee von Menschen, die drumherum ist und die Schauspielerinnen kleidet. Da spricht die Filmemacherin... ... ich finde das so interessant, die Arbeit der Kostümbildnerinnen genauer anzuschauen, weil die zeichnen ja das Gesicht eines Films, geben die Stimmung eines Films wider. Wenn sie historisch sind, noch stärker. So ein Kleid erinnert mich an die großen Melodramen der 1930er-Jahre. Ich liebe Melodramen. 1940 wird Vivien Leigh als Scarlett O’Hara in Victor Flemings »Gone With The Wind« mit einem »Oscar« ausgezeichnet. Und hier liegt ihr Kleid, in dem sie mit Clark Gable über ihre Ländereien spazierte.

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Es ist interessant, dass das Kleid an sich so schrecklich blass aussieht, während es im Film so lebendig wirkt. Dieses Kleid wirkt eigentlich erst durch die Ausleuchtung im Film. So da liegend, erzählt uns das Kleid gar nichts. Während das kleine Foto, auf dem ich sie in diesem Kleid sehe, da lebt es wieder. Da hat es wieder einen Zusammenhang mit der Geschichte des Films. Bei diesem Ausstellungsstück, das mir am besten gefällt, ertappe ich mich bei meinem – ich nenne es mal – männlichen Blick. Oh ja, das Unterkleid, das Elizabeth Taylor in Daniel Manns »Butterfield 8« trägt, etwas, was wir heute nicht mehr tragen. Ich habe das als junge Frau getragen und finde es unglaublich anmutig, weiblich. Damals in Argentinien? Ja, während die Frauen in Europa schon keinen Büstenhalter mehr trugen, haben wir in Argentinien immer noch einen getragen. Also sehr viel prüder. Das ist ja ein prüdes Stück, das Unterkleid, das verstecken sollte, dass unter dem Kleid noch ein Körper ist. Finde ich überhaupt nicht. Ich finde es sehr aufreizend, denn Erotik hat sehr viel mit Kleidern zu tun. Auch Gewalt. Wie zum Beispiel Louise Fletchers weißer Schwesterkittel aus »One Flew Over The Cuckoo’s Nest« von Milos Forman. Das ist sehr witzig, weil ich habe vorhin einen Ausschnitt aus der »Oscar«-Verleihung 1976 gesehen, da sagte Louise Fletcher: »You surely gave it to me because you hated me so much.« Das strahlt dieses Kleid auch aus.

»OSCARS« FÜR FRAUEN Einige dieser 73 schönen Frauen, die in den vergangenen 86 Jahren mit dem »Oscar« für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet wurden, können auch mörderisch und boshaft sein, misstrauisch, kaltblütig, sadistisch, kämpferisch, eigenwillig. Diese Rollen haben sie gespielt - und haben dann bei der Preisverleihung wieder ihre Schönheit und Eleganz gezeigt. Diese weiblichen Stars sind von Männern erfunden, inszeniert, produziert, angezogen. Die erste Filmregisseurin, deren Protagonistin mit einem »Oscar« für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde, war Randa Haines. Das war 1987. Die gehörlose Schauspielerin Marlee Matlin verkörperte in »Children of a Lesser God« eine gehörlose Frau, die die Liebe findet. Erst sieben Jahre

später gab es wieder einen Best-Actress»Oscar« für den Film einer Frau: »The Piano« von Jane Campion. Diesmal – und was sagt das nun über die Altherrenriege der Academy of Motion Picture Arts and Sciences aus, die die »Oscars« vergibt? – steht eine stumme Frau im Mittelpunkt, der Holly Hunter eine tragische Größe verleiht. Im Jahr 2000 war es wieder soweit. Hilary Swank gewann den »Oscar« für die Darstellung eines Transsexuellen in Kimberly Peirces »Boys Don’t Cry«, der am Ende ermordet wird. Lesbisch, Prostituierte, Mörderin, die durch die Giftspritze hingerichtet wird: Das ist Charlize Theron in ihrer »Oscar«-prämierten Rolle 2004 in Patty Jenkins’ »Monster«. Der fünfte »Oscar« in der 86-jährigen »Oscar«-Geschichte, der an eine Schauspielerin in einem Film verliehen wurde, den eine Regisseurin inszenierte, ging 2012 an Meryl Streep, die weder gehörlos noch stumm ist, keine Transsexuelle, keine Mörderin darstellt, sondern eine reale Person: Margaret Thatcher, »The Iron Lady« von Phyllida Lloyd. Nebenbei: Der erste Regie-»Oscar« für eine Regisseurin ging 2010 an Kathryn Bigelow für »The Hurt Locker«, einen Actionfilm über eine Einheit des US-Kampfmittelräumdienstes im Irak-Krieg – einen Film ohne Frauen.

PROPAGANDA FÜR EINEN LEBENSSTIL Die Ausstellung ist chronologisch angeordnet. Wir gehen an den Bildern vorbei, die an den Wänden hängen, mit einem Blick wie ein Kameraschwenk. Ich bleibe nicht überall stehen, mich interessiert nicht alles. Aber hier bleibe ich stehen, bei Susan Sarandon. Was liebst du an ihr? Ihre Authentizität, ihre Direktheit, ihre Nacktheit, nicht im Sinne von keine Kleider anhaben, sondern im Sinne von direkt. Sie versteckt sich nicht, sie hat auch etwas Proletarisches, sie hat eine enorme Präsenz, sie ist nicht hübsch, sie ist schön. Als Janet Gaynor 1929 die Trophäe zum ersten Mal entgegennahm, dauerte die Veranstaltung im Festsaal des Hollywood Roosevelt Hotels ganze 15 Minuten. Anwesend waren 270 Vertreter der amerikanischen Filmindustrie. Die Verleihungszeremonie 2015, bei der Julianne Moore ausgezeichnet wurde, dauerte dreieinhalb Stunden und

Foto Jeanine Meerapfel: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Frauen – nichts als Frauen. Schöne Frauen sehen uns an: nachdenklich Bette Davis, tragisch Vivien Leigh, anmutig Audrey Hepburn, majestätisch Grace Kelly, dramatisch Susan Hayward, selbstbewusst Katharine Hepburn, herausfordernd Elizabeth Taylor, elegant Simone Signoret, frech Jane Fonda, rätselhaft Nicole Kidman, intellektuell Jodie Foster, sanft Ingrid Bergman, extrovertiert Liza Minnelli, souverän Julia Roberts. 73 Frauen schauen uns an – von Janet Gaynor (1929) und Mary Pickford (1930) bis zu Cate Blanchett (2014) und Julianne Moore (2015). Alle sind »Oscar«-Preisträgerinnen, die einen in der Ausstellung »Best Actress. Oscars. Rollen. Bilder« in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen ansehen und an unvergessliche Stunden im Kino erinnern, jenem Ort, der die Zeit konserviert und Gesichtern die ewige Jugend schenkt. 73 Stars »forever young«.


IM MUSEUM MIT JEANINE MEERAPFEL KINO JEANINE MEERAPFEL Regisseurin, Drehbuchautorin, Dozentin. Geb. am 14.6.1943 in Buenos Aires als Tochter deutsch-jüdischer Flüchtlinge vor dem Holocaust. In den 1960er-Jahren arbeitet sie als Journalistin und Redakteurin, bevor sie nach Deutschland geht, um in Ulm Filmgestaltung an der Hochschule für Gestaltung zu studieren. Nach Drehbüchern, Kurz- und Dokumentarfilmen entsteht 1981 ihr erster Spielfilm »Malou«. 1990 erhält sie eine Professur an der KHM Kunsthochschule für Medien, Köln (Schwerpunkt Regie Dokumentar- und Spielfilm). Seit Mai 2015 ist sie Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin. 2015 wird »Confusion/Diffusion«, ein audiovisuelles Essay mit Live-Performance, uraufgeführt (Regie/Produktion mit Floros Floridis) FILME (AUSWAHL) – MALOU (1980) – IM LAND MEINER ELTERN (1981) – DIE KÜMMELTÜRKIN GEHT (1985) – DESEMBARCOS – ES GIBT KEIN VERGESSEN (1986-88) – LA AMIGA – DIE FREUNDIN (1987/88) – ANNAS SOMMER (2001) – WER SICH NICHT WEHRT KANN NICHT GEWINNEN (2008) – DER DEUTSCHE FREUND (2012)

wurde weltweit von einer Milliarde Menschen am Bildschirm verfolgt. Komm, ich zeig’ dir, was ich interessanter finde. Hier: Dieser Text, der beschreibt, was der »Oscar« ist. Was seine Popularität ausmacht, dass er eine Werbung für den Hollywood-Film war, und dann kommt der Satz, der mir wichtig ist: Gleichzeitig wirbt der »Oscar« für den amerikanischen Lebensstil und die Segnungen des Kapitalismus. Und dann haben Modehäuser und Kosmetikunternehmen den »Oscar« als Werbeplattform entdeckt. Man hätte das als Richtlinie nehmen können, zum Beispiel eine Analyse dessen, was es bedeutet, einen Star aufzubauen, einen Star zu benutzen. Wenn man das etwas stärker in den Vorder-

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Film drehte. Ava Gardner war immer das leuchtende Beispiel. Da sieht man, wie diese »Oscar«-Verleihung von Zufällen abhängig ist … …das wollte ich sagen, das müsste man auch ein bisschen herausstellen, die Zufälligkeit. Warum die Eine einen Preis bekommt und die Andere nicht. Wie stark ist die Lobby? Wer gibt die meisten guten Abendessen in Hollywood? Arthur Cohn vielleicht? Als mein Film »La Amiga – Die Freundin« von Argentinien für den »Oscar« nominiert wurde, sagte der argentinische Produzent: Wir haben das Geld nicht, um da wirklich eine Chance zu haben. Und der deutsche Produzent sagte dasselbe, also 40.000 Euro

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grund gestellt hätte, das wäre nicht schlecht gewesen. Wie hätte man das machen können? Indem man auch erzählt, wie Casting funktioniert, welche Schauspielerinnen gar keine Chance haben. Was die Rolle der Agenten in Hollywood ist. Alle diese Dinge, die dahinter sind, ein bisschen den Mechanismus zeigen, wie ein Star gemacht wird.

EINE FRAGE DES ZUFALLS Wer hat denn keinen »Oscar« bekommen? Spontan fallen mir Marilyn Monroe und Marlene Dietrich ein... … und Ava Gardner, mein absoluter Liebling, für »Die barfüßige Gräfin«. Ein großer Film, der mich unglaublich beeinflusst hat, den ich mindestens zehnmal gesehen habe, den ich auch mit meinen Schauspielerinnen angeschaut habe, bevor ich meinen ersten

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kann ich einsetzen, aber mehr nicht. Du brauchst aber mindestens 300.000.

LIV ULLMANN Jeanine Meerapfel hat mit zwei »Oscar«Kandidatinnen gearbeitet, mit Liv Ullmann (»La Amiga – Die Freundin«, 1987), die zweimal für einen »Oscar« nominiert wurde, 1973 für »Emigranten« von Jan Troell (der »Oscar« ging dann an Liza Minnelli in »Cabaret«) und 1977 für Ingmar Bergmans »Von Angesicht zu Angesicht« (der »Oscar« ging in dem Jahr an Faye Dunaway in »Network«). Angela Molina (»Annas Sommer«, 2001) spielte 1977 in Luis Buñuels »Dieses obskure Objekt der Begierde«, der als bester fremdsprachiger Film nominiert war (ausgezeichnet wurde Moshé Mizrahis »Madame Rosa«). Hat Liv Ullmann jemals über ihre »Oscar«-Erfahrungen und, vielleicht, ihre Enttäuschungen geredet?

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kino interview Je suis charlie

»Das Leben ist stärker aLs Der toD.« Gespräch mit emmanuel ihren dokumentarfilm »Je suis charlie« Mit dem französischen Dokumentarfilm »Je suis Charlie« kommt genau ein Jahr nach dem islamistisch motivierten Anschlag auf die Redaktionsräume des Satire-Magazins »Charlie Hebdo« am 7. Januar 2015 eine analytische Bestandsaufnahme der Ereignisse in die Kinos. »Je suis Charlie« ist eine Zusammenarbeit des französischen Journalisten und Dokumentaristen Daniel Leconte mit seinem Sohn, dem Schauspieler Emmanuel Leconte. Das Gespräch führte Wolfgang Hamdorf Sie haben bereits 2007 einen Dokumentarfilm über »Charlie Hebdo« gedreht: »C’est dur d’être aimé par des cons« (»Es ist hart von Idioten geliebt zu werden«). Der Titel bezog sich auf eine der Mohammed-Karikaturen, die die Zeitschrift 2006 publizierte. Mohammed schlägt zornig die Hände vor dem Kopf zusammen und sagt: »Es ist so hart, von Idioten geliebt zu werden!« Knapp zwei Jahre später hält der Prophet ein Schild mit »Je suis Charlie« in der Hand, und darunter steht: »Alles ist vergeben.« Ist »L’humour à mort (Je suis Charlie«)« ein Sequel? Emmanuel Leconte: Ja, es ist eine tragische Fortsetzung des Films, den mein Vater über den Prozess gemacht hat. Und wir sagen immer: Wir wären froh gewesen, wenn wir diesen zweiten Film nicht hätten machen müssen.

Daniel Leconte: Ich habe damals den Prozess begleitet, als der Nationalrat der französischen Muslime »Charlie Hebdo« verklagte. Mir ging es darum, die Argumentationsstruktur der Redaktion zu erklären. Sie haben die Mohammed-Karikaturen der dänischen »Jyllands Posten« nicht veröffentlicht, weil sie ihnen so gut gefallen haben, sondern um ein Zeichen für die Meinungsfreiheit zu setzen. Es war eine sehr spannende Auseinandersetzung vor Gericht, auf hohem philosophischem Niveau. Am Ende haben die Richter »Charlie Hebdo« freigesprochen und ihnen Recht gegeben, weil Meinungsfreiheit ein ganz wertvolles öffentliches Gut ist. Damals dachten wir, dass die Auseinandersetzung mit dem Freispruch abgeschlossen sei. Aber dann gab es eine Kampagne von Intellektuellen und Künstlern, wonach die Zeitschrift rassistisch und islamfeindlich sei. Und natürlich die Aktionen fanatischer Islamisten: Über Charb, den Chefredakteur, verhängte Al Qaida 2011 die Fatwa, das Todesurteil. Dann gab es den Bombenanschlag, und Ende 2014 stand »Charlie Hebdo« völlig allein da, mit nur noch 30.000 verkauften Exemplaren. Die Position mancher französischer Intellektueller erinnert mich an die 1930erJahre, an die Versuche, Hitler und die Nazis zu rechtfertigen. Da wurde immer die große Demütigung angeführt, der Vertrag von Versailles habe zur Radikalisierung Deutschlands geführt, was am Ende heißt, dass Frankreich, die USA und Großbritannien eigentlich verantwortlich für den Nazi-Terror waren: Die Opfer sind die Täter, und die Mörder sind die Opfer. Deswegen ist jetzt mit dem islamistischen Terror die Aufarbeitung des Ganzen so wichtig. Es gibt genügend intellektuelle Positionen, die den islamistischen Terror ablehnen, aber die Karikaturen von »Charlie Hebdo« trotzdem als verletzende Grenzüberschreitung empfinden. Daniel Leconte: Das ist ihr gutes Recht. Demokratie bedeutet immer Streit, Auseinandersetzung, das Ausloten von Grenzen. Aber eine nicht zulässige Grenzüberschreitung ist die Ermordung des Gegners. Keiner hat das Recht, jemanden körperlich anzugreifen, nur weil er geschockt ist von einer Meinungsäußerung oder vom Verhalten des Anderen. In unserer Gesellschaft ist immer jemand geschockt, der Politiker über den Journalisten und umgekehrt, mein Nachbar, weil ich schlecht koche und der Dunst in seine Küche zieht. Im Original heißt Ihr Film »L’humour à mort«: der Humor bis zum Tod. Was bedeutet dieser Humor, was dieser Tod? Emmanuel Leconte: Es bezieht sich zunächst auf den Spiefilm »L’amour à mort« von Alain Resnais, aber unser Titel ist vielschichtig: Sind der Humor und das Lachen in den Tod getrieben worden? Oder ist Humor stärker als der Tod? Sie haben viele unserer Freunde, bekannte Protagonisten der französischen Kultur getötet, aber der Humor bleibt, jenseits des Todes, und sie werden es nie schaffen, diesen freien Geist zu töten.

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Fotos: Temperclayfilm

und daniel leconte über


interview Je suis charlie kino Es ist anrührend zu sehen, wie die Überlebenden, die eigentlich weinen und trauern möchten, unmittelbar nach dem Massaker eine neue Ausgabe herausbringen … Emmanuel Leconte: Unser Film sollte kein Requiem werden. Wir wollten Geist, Humor und lachende Gesichter, wir wollten zeigen, wie es weitergeht. Darum haben wir die Aufnahmen aus dem Jahr 2007 integriert, weil wir unsere Freunde so in Erinnerung behalten wollten, mit dieser Energie, die sie uns gegeben haben. Natürlich waren wir traurig, tief betrübt. Ja, sie haben sie getötet, aber in unserer Erinnerung werden sie immer lebendig bleiben. Daniel Leconte: Als die Killer das Gebäude verließen, sagte einer, »Wir haben Charlie getötet.« Als die Redaktion dann entschied, weiterzumachen, eine neue Nummer herauszubringen, war das auch eine Art zu sagen: »Wir leben noch!« Nach dem 13. November gab es auf den französischen Straßen die gleiche Reaktion: Sie haben getötet, wir wollen leben! Das ist die wichtigste Hinterlassenschaft der Toten: Das Leben ist stärker als der Tod. Wie haben die Ereignisse vom 7. Januar und vom 13. November 2015 die französische Gesellschaft verändert? Daniel Leconte: Sie haben versucht, Angst und Panik zu verbreiten. Angst ist der Beginn der gesellschaftlichen Unterwerfung. Nur so verbreiten sie ihre Ideologie. Sie wollen Schweigen, keine Kritik, sie stellen sich gegen alle unsere Werte. Denn die Kritik, die Auseinandersetzung ist ein ganz wichtiger Wert unserer Demokratie. Du hast das Recht, nicht übereinzustimmen, das Recht zu kritisieren. Das Gute kann nur über die Auseinandersetzung verschiedener Standpunkte entstehen. Aber sie akzeptieren nur ihre Weltsicht. Es ist sehr einfach. Wenn ein totalitäres System ein demokratisches System überfällt, dann müssen wir gerade die Freiheit hochhalten, die Freiheit des Lebens gegen den Krieg für den Tod. Emmanuel Leconte: Wenn so etwas Schockierendes passiert, versucht eine Gesellschaft, sich zu orientieren. Es ist unheimlich, was in der ersten Runde der Regionalwahlen passiert ist, aber das ist vielleicht eine erste Reaktion der Enttäuschung. Wenn der Schock und die Trauer tiefer sinken, wird den Menschen klar, dass die französische Gesellschaft nicht untergeht, weil einige Terroristen sich dafür entschieden haben, Menschen zu töten. Wir müssen den Schock verarbeiten, wir können nicht so tun, als sei nichts passiert. Es war erschütternd, schlimm und schrecklich, aber ich persönlich habe Vertrauen darauf, dass unsere Gesellschaft, unsere Demokratie alles langfristig überwinden kann. Welche Bedeutung hat für Sie der muslimische Lehrer im Film, der sich zu einem moderaten Islam bekennt?

Daniel Leconte: Es ist eine Antwort auf die Kritiker der Bewegung »Nicht in meinem Namen«, etwa in Großbritannien, die fragen: »Warum muss sich der Moslem von den radikalen Fundamentalisten distanzieren?« Ja, wenn nicht der Moslem, wer denn dann? Wir? Die Atheisten? Die Christen? Protestanten? Juden? Sollen sie das an Stelle der Moslems sagen? Nein, die Moslems müssen das sagen. Es wäre so, als würde man heute sagen, ein Katholik müsse nicht die Inquisition kritisieren. Die Moslems haben ein Problem mit ihren Extremisten, und das sollten sie kritisieren, denn sonst würde es bedeuten, dass die islamische Gemeinschaft mit diesen Extremisten einverstanden ist. Als Moslems und Franzosen müssen sie sich entscheiden, wer ihr Freund und wer ihr Feind ist. Stehen sie auf der Seite derer, die sagen: »Nicht in meinem Namen!«, oder auf der der Terroristen, die im Namen Mohammeds töten? Das ist die entscheidende Frage. Sie haben direkt in der ersten Betroffenheit nach den Anschlägen gedreht. Plötzlich ist die Zeitschrift zum patriotischen Symbol geworden. Haben Sie auch Bitterkeit bei den Überlebenden gespürt? Emmanuel Leconte: Eine Zeitschrift wie »Charlie Hebdo« wollte niemals Liebling der Massen sein, und bei dem ganzen Medienrummel fragen sich natürlich die Überlebenden: Warum sind sie jetzt alle da, wo waren sie vorher? Wir wurden bedroht, wurden beleidigt, uns wurde eine Bombe ins Haus gelegt, eine Fatwa über uns verhängt. Wo wart ihr da? Da ist auf der einen Seite diese Bitterkeit, aber auf der anderen Seite sagen sie auch: »Okay, besser spät als gar nicht.« Dass vier Millionen Franzosen auf die Straße gehen und ihren Namen rufen, hat sie schon beeindruckt. Vier Millionen, die sich mit einer kleinen Zeitschrift solidarisieren, war in den Momenten von Schock und Trauer eine großartige Unterstützung.

Daniel Leconte. der französische Journalist, regisseur und filmproduzent (geb. 7.1.1949) stellte zahlreiche fernsehdokumentationen zu historischen und politischen sujets her. arte strahlte 2012/13 die von ihm produzierte geopolitische dokumentationsreihe »i love democracy« aus. als filmproduzent war er an der herstellung von filmen wie »marie und freud« (2004) von benoît Jacquot, »monsieur max« (2006) von Gabriel aghion und »carlos – der schakal« (2010) von olivier assayas beteiligt. Emmanuel Leconte. der sohn von daniel leconte ist schauspieler und dokumentarist (geb. 11.10.1982). populär wurde er durch die fernsehserie »die tudors«, ebenso spielte er in »monsieur max«, »la ravisseuse« (2005) und »a tout de suite« (2004). parallel dazu dreht er eigene dokumentationen, u.a. »eine frage der Gene« (2011) und »die menschheitssaga« (2014).

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kritiken neue Filme

Louder than bombs Es beginnt mit dem Leben. Aber eigentlich dreht sich alles zunächst um den Tod. Kurz nach der Geburt seines Sohnes verlässt Jonah seine Familie, um ein paar Tage bei seinem Vater Gene und seinem 15-jährigen Bruder Conrad zu verbringen. Eine Ausstellung mit Arbeiten seiner verstorbenen Mutter, einer renommierten Kriegsfotografin, ist der offizielle Anlass für die Reise. Doch es ist nicht zu übersehen, dass Jonah in Wirklichkeit auch vor seiner neuen Rolle als Vater und der damit verbundenen großen Verantwortung flieht. Eine heile Familienwelt aber findet Jonah auch zu Hause nicht vor. Der tödliche Autounfall der Mutter vor drei Jahren hat tiefe Narben hinterlassen und das Verhältnis zwischen Gene und seinen Kindern nachhaltig gestört. An den verschlossenen Conrad kommt Gene seither nicht mehr heran, so sehr er sich auch bemüht, Vater- und Mutterrolle zugleich zu übernehmen. Als ein ehemaliger Kollege dann

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auch noch eröffnet, dass er in einem begleitenden Artikel zur Ausstellung auch die wahren, bislang öffentlich nicht bekannten Umstände des Unfalls erwähnen will, brechen neue Konflikte aus. Denn vor Conrad haben Jonah und sein Vater diese immer geheim gehalten. Die dramaturgische Bedeutung dieses Geheimnisses ist das größte Problem des Dramas von Joachim Trier, wird dieses dadurch doch vollkommen überbewertet. Die emotionale Wucht, die den Todesumständen zugeschrieben wird, stellt sich nämlich nicht ein; die vermeintliche Enthüllung entpuppt sich nicht als Sturm, sondern als vergleichsweise harmloser Windstoß. Dadurch gerät das Konstrukt, auf dem »Louder Than Bombs« basiert, ins Wanken – und lässt zu Unrecht das in den Hintergrund treten, was die eigentliche große Stärke des Films ausmacht: sein Blick auf die Figuren, sein Gespür für Atmosphäre und die Kontrastierung von oberflächlichen und tie-

feren Wahrheiten, die auf mehreren Ebenen durchgespielt wird. In eher beiläufigen und leisen Momenten erzählt der Film mehr über die Figuren und die Last, an der sie tragen, als in den groß angelegten Szenen. Wenn Conrad seinem älteren Bruder eine rührend-peinliche Szene aus einer Arzt-Serie zeigt, in der ihr Vater einst mitgespielt hatte und auf die er im Internet gestoßen ist, dann spiegelt sich dessen gegenwärtige Situation als perspektivloser High-SchoolLehrer aus einem ganz anderen Blickwinkel. Auch Jonah erhält ein neues Bild von seinem Bruder, als er ihn dabei beobachtet, wie er selbstvergessen in seinem Zimmer tanzt – ausgerechnet der Junge, der sich sonst hinter Ego-Shootern versteckt und eine seltsame Vorliebe für Verwesungs-Videos hegt. Und für Gene endet ein virtuelles Treffen mit Conrad abrupt und desaströs. Vermittelt über einen Avatar, sucht Gene in einem Online-Rollenspiel den

Kontakt zu Conrad, der ihm in Wirklichkeit nicht gelingt – und wird prompt von diesem umgebracht. Zugleich aber überladen Trier und sein Co-Drehbuchautor Eskil Vogt die Figuren. Thesenhaft bleibt der Konflikt der Mutter, die hin- und hergerissen ist zwischen ihrem aufreibenden Beruf und ihrer Familie, wie überhaupt der Handlungsstrang um deren Arbeit als Kriegsfotografin sich nicht recht in die Geschichte um eine misslungene Trauerarbeit einzufügen vermag. Nur in Momentaufnahmen gestreift werden auch die Probleme von Gene und Jonah, so dass Conrad, dargestellt von Devin Druid, zur interessantesten Figur wird und am besten zeigt, wie der Weg von der Trauer zurück ins Leben führen kann. Die assoziative Bildgestaltung und Montage erinnert nicht selten an die jüngeren Filme von Terrence Malick, vom Betrachten des Babyhändchens, das Jonah zum ersten Mal berührt, bis hin zu einer

Fotos S. 36-51: Jeweilige Filmverleihe

Formal außergewöhnliches Familiendrama von Joachim Trier


neue Filme kritiken

suggestiven Bildfolge eines Kompilationsvideos, mit dem Conrad einem Mädchen aus seiner Klasse seine Zuneigung offenbart, aber auch seine Gefühle und Gedanken auf eine sehr poetische Art zum Ausdruck bringt. Auf dieser emotionalen Ebene funktioniert »Louder Than Bombs« wunderbar, weil hier eine Wahrheit in Bildern gesucht wird, ohne viel zu erklären. Lauter als Bomben sind die Erschütterungen im Inneren der Figuren. Je konkreter der Film jedoch versucht, diese in klare Worte zu fassen, desto banaler wird er. Stefan Stiletto bewertUnG Der FiLMkoMMission

Als die Arbeiten einer tödlich verunglückten Kriegsfotografin ausgestellt werden, kehrt ihr ältester Sohn in seine Heimatstadt zurück. Das zerrüttete Familiengefüge zwischen ihm, seinem Vater und dem jüngeren Bruder wird erschüttert, als ein Journalist die bislang verschwiegenen umstände des unfalls veröffentlichen möchte. ein stilles, feinnerviges Drama zwischen (melo-)Drama und Comingof-Age-Geschichte. Auch wenn das Drehbuch die Figuren bisweilen überfrachtet, überzeugt der multiperspektivisch erzählte Film durch seine assoziative Bildgestaltung und montage als psychologische momentaufnahme und sensibles Familienporträt. – Sehenswert ab 16.

LoUDer tHan boMbs. norwegen/ Frankreich/Dänemark 2015 regie: Joachim Trier Darsteller: Jesse eisenberg (Jonah), Devin Druid (Conrad), Gabriel Byrne (Gene), isabelle Huppert (isabelle), Amy Ryan (Hannah), Rachel Brosnahan (erin), David Strathairn, Harry Ford Länge: 109 min. | kinostart: 7.1.2016 Verleih: mFA+ | Fsk: ab 12; f FD-kritik: 43 603

Legend

Tom Hardy glänzt als die »Kray«-Gangster Die Gangster Ronnie und Reggie Kray haben es in ihrem Heimatland England zur andauernden Berühmtheit gebracht, die amerikanischen Gangstern durchaus gleichkommt. Ob sie es verdienen, wird aus »Legend« allerdings ebenso wenig klar wie aus Peter Medaks vorangehendem Film »Die Krays« (1990). Was sie von anderen Gangsterfiguren unterscheidet, ist vor allem die Tatsache, dass sie eineiige Zwillinge sind und damit einem talentierten Schauspieler wie Tom Hardy reichlich Gelegenheit bieten, in einer Doppelrolle dem Affen Zucker zu geben. Nicht nur wegen seines Titels merkt man dem Film an, dass sich eine Menge Legenden um die Krays gewoben haben, und Brian Helgeland fügt als Autor und Regisseur noch ein paar mehr hinzu. Er lässt Frances, die puppenhaft zarte Freundin und spätere Ehefrau von Reggie, die Geschichte erzählen, allerdings ohne dass der Story dadurch eine typisch weibliche Perspektive zuwachsen würde. Eine amerikanische Kritikerin hat sehr zutreffend geschrieben, es sei, als ob ein Sperling ins Maul eines Löwen flattere. Immerhin dient Frances dazu, die handgreifliche Brutalität, die Helge-

land genüsslich ausstellt, ein bisschen zu relativieren. Was an »Legend« am meisten überrascht, ist der Mangel an originellen Ereignissen. Die Kamera folgt den Brüdern auf Schritt und Tritt, aber der Zuschauer wird nur mit einer Folge gleichförmiger Gangsterszenen abgespeist, wie man sie aus Dutzenden ähnlicher Filme kennt. Die Handlung spielt in den 1960er-Jahren, aber Originalität bricht nur einmal durch, wenn Ronnie einem verblüfften amerikanischen Gangster mit entwaffnender Offenheit gesteht, dass ihn keine Mädchen, sondern nur junge Männer interessieren. Weitaus erfolgreicher ist Helgeland in der Ausmalung von Lokalitäten und Atmosphären. Jedesmal, wenn sich der Zigarrenqualm ein wenig lichtet, tauchen aus dem Dämmerlicht enge Wohnungen mit geblümten Tapeten, aufgetakelte Unterhaltungsetablissements voller Kitsch, kleine Kneipen mit dem Flair von Whitechapel und Scharen von bunt gekleideten Statisten auf, die das Auge des Zuschauers mehr beschäftigen als die gleichbleibenden Ausschweifungen der in den Vordergrund gedrängten Gangsterbrüder. Nun muss man zugeben, dass

Tom Hardy die ihm anvertrauten Gauner mit großem Genuss und viel Energie verkörpert. Besonders die stets kurz vor der Explosion stehende Brutalität des schizophrenen Ronnie lässt jeden Augenblick Schlimmes befürchten und macht die Geschichte spannender, als sie von ihrer Handlung her ist. Bezeichnend ist, dass sich nach dem Verlassen des Kinos kaum Einzelheiten der Story, sondern nur Gesichter und Szenenbilder ins Gedächtnis schieben. Für das Produkt eines Autors und Regisseurs, der einst einen »Oscar« für das Drehbuch zu »L.A. Confidential« (1997) erhalten hat, ist Helgelands »Legend« eine enttäuschende Angelegenheit. Franz Everschor bewertUnG Der FiLMkoMMission

in den »Swinging Sixties« etablieren sich die Kray-Zwillinge im londoner east als skrupelloses Gangster-Duo. Während der besonnenere Reggie die Geschäfte managt, sorgt der psychotische Ron für ihren reibungslosen Verlauf. Als Reggie für ein halbes Jahr ins Gefängnis muss, gerät das Geschäftsmodell aus der Balance. Die Kamera folgt den Brüdern auf Schritt und Tritt, wobei sich die inszenierung um lokalitäten und Atmosphären bemüht. Zwar fasziniert der atmosphärisch dichte Film als Parforce-Akt für den Schauspieler Tom Hardy in einer nach allen Regeln der Kunst ausgekosteten Doppelrolle, ist aber im Kern nur eine Ansammlung brutaler Genreszenen.

LeGenD. Scope. uSA 2015 regie: Brian Helgeland Darsteller: Tom Hardy (Ronald Kray / Reggie Kray), Colin morgan (Frank Shea), Christopher eccleston (nipper Read), Joshua Hill (Scott), emily Browning (Frances), mel Raido (ian), millie Brady Länge: 132 min. | kinostart: 7.1.2016 Verleih: StudioCanal | Fsk: ab 16; f FD-kritik: 43 604

Filmdienst 01 | 2016

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KRITIKEN FERNSEH-TIPPS

14.15 – 16.00 WDR Fernsehen Der Fluch der Ahnen R: David Hickson Engagiertes Drama gegen AIDSVerbreitung Südafrika/USA 2003 Ab 16 14.40 – 16.20 einsfestival Der Geschmack von Schnee – Snow Cake R: Marc Evans Einzelgänger knüpft Bande zu Autistin GB/Kanada 2006 Ab 14 20.15 – 22.35 zdf_neo Unterwegs nach Cold Mountain R: Anthony Minghella US-Konföderierter desertiert aus Liebe USA 2003 Ab 16 22.20 – 00.15 Servus TV Shadow Dancer R: James Marsh IRA-Aktivistin muss für britischen Geheimdienst arbeiten GB/Irland 2012 Sehenswert ab 14 23.20 – 01.35 mdr Thirteen Days R: Roger Donaldson Politdrama um die Kubakrise USA 2000 Sehenswert ab 16

9. Januar, 23.20 – 01.35

Thirteen Days

SAMSTAG 09. JANUAR 23.35 – 01.05 rbb Fernsehen Zwei Leben R: Georg Maas Kunstvolles DDR-Thriller-Drama D/Norwegen 2013 Ab 14 23.40 – 01.30 BR FERNSEHEN Tiger & Dragon R: Ang Lee Martial-Arts-Film von zeitloser Schönheit HK/Taiwan 2000 Sehenswert ab 14 00.10 – 01.45 zdf_neo Die üblichen Verdächtigen R: Bryan Singer Raffiniert konstruierter Kriminalfilm USA 1995 Ab 16 00.15 – 01.55 Servus TV Die Faust im Nacken R: Elia Kazan Sozial-realistischer Klassiker mit Marlon Brando USA 1954 Sehenswert ab 14 01.05 – 02.55 rbb Fernsehen Wir wollten aufs Meer R: Tobe Constantin Hebbeln Junge Männer geraten ins Netz der Stasi Deutschland 2012 Ab 14

mdr

Im Oktober 1962 entdecken US-Aufklärungsflugzeuge, dass auf Kuba sowjetische Raketen installiert werden sollen, und reagieren mit einer Seeblockade. Insgesamt 13 Tage dauert die sogenannte Kubakrise, während derer die Welt am Rand eines Atomkriegs stand. Die dramatische Zuspitzung der damaligen Ereignisse wurde in ihrem vollen Umfang erst in den folgenden Jahrzehnten bekannt, als Details von den Debatten an die Öffentlichkeit drangen, die damals in den USA und der Sowjetunion hinter verschlossenen Türen stattfanden. Roger Donaldsons »Thirteen Days« greift auf diesen Kenntnisstand zurück und zeigt die Bemühungen des Stabs um Präsident Kennedy (Bruce Greenwood), insbesondere seines Beraters Kenneth O’Donnell (Kevin Costner), die Angriffslust des Militärs zu bändigen und zuerst auf Verhandlungen zu setzen. Donaldson gelingt das Kunststück, eine Politik, die in erster Linie von der Sprache bestimmt wird, durch eine stimmige dramaturgische Form überzeugend und spannend darzustellen.

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Filmdienst 01 | 2016

ERSTAUSSTRAHLUNG: 10. Januar, 21.45 – 23.15

Das Erste

Der gute Göring

Den Namen des NS-Kriegsverbrechers Hermann Göring kennt jeder. An seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Albert Göring (1895 – 1966) aber erinnert sich kaum jemand, obwohl es seit längerem Versuche gibt, ihn in Yad Vashem in die Reihe der »Gerechten unter den Völkern« aufzunehmen. Albert Göring war ein erbitterter Gegner der Nazis und rettete während des Dritten Reiches zahlreiche Menschen, indem er ihnen Pässe besorgte oder mit Geld weiterhalf. Das Doku-Drama von Kai Christiansen rekonstruiert in einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm (mit Barnaby Metschurat und Francis Fulton-Smith als Brüderpaar) eine spannungsvolle Familiengeschichte, die ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Geschichte wirft. »Der ganze Wahnsinn des Dritten Reiches spiegelt sich in diesem Brüderpaar.« (Gerhard Spörl) 10. Januar, 20.15 – 22.40

arte

Filmgeschichte eines Hutes: Der Borsalino

Marlon Brandos Unterhemd, James Deans rote Windjacke: Manchmal schreibt Männermode Filmgeschichte – oder Film Männermode-Geschichte? Dass die eleganten Fedora-Hüte des italienischen Herrenhut-Herstellers Borsalino so zeitlos cool wirken, hängt jedenfalls auch mit all den illustren FilmstarKöpfen zusammen, auf denen sie schon gesessen haben. Anlass für arte, der stylischen Kopfbedeckung einen kleinen Themenabend zu widmen. Um 20.15 zeigt der Sender Jean-Paul Belmondo, wohl »behütet« von seinem Borsalino, als »Le Magnifique«, in dem sich ein geplagter Serienautor eine glamouröse Existenz als eine Art James Bond zusammenträumt. Im Anschluss um 21.45 läuft die Dokumentation »Borsalino – Ein Hut erobert Hollywood« (Frankreich 2015), die der Erfolgsgeschichte des schon Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Hut-Unternehmens in der Traumfabrik nachspürt. 9. Januar, 02.05 – 03.45

mdr

Zum 100. Geburtstag von Bernard Blier: Eine Frage der Ehre

Bernard Blier (1916 – 1989) war Frankreichs Charakterdarsteller par excellence. Mit seinem teigigen Gesicht, der Knollennase, den dichten Augenbrauen und seiner schon früh einsetzenden Kahlheit war er beileibe keine Schönheit, nutzte seine einprägsame Physiognomie jedoch instinktsicher zu seinem Vorteil aus. Als häufiger Gegenspieler seines Freundes Jean Gabin, bemitleidenswerter Mann weitaus attraktiverer Partnerinnen, Kleinbürger oder sich humorlos gebender Kontrahent von Komikern schuf sich Blier ein breit angelegtes Darstellerprofil. Zu seinem 100. Geburtstag zeigt der mdr die bissige italienische Komödie »Eine Frage der Ehre« von Luigi Zampa, in der ein sardischer Bauer (Ugo Tognazzi) aus Furcht vor Blutrache in Mailand untertaucht; Blier spielt einen Intriganten, der den Flüchtigen zu einem riskanten Handel überreden will. Einen weiteren herausragenden Auftritt bietet am 25.1. auf arte (20.15–21.45) die makabre Komödie »Den Mörder trifft man am Buffet«, inszeniert von seinem Sohn Bertrand, in der Blier, Gérard Depardieu und Jean Carmet ohne dies zu wollen ihr Gewissen mit zahlreichen Morden belasten.

Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

SA


FERNSEH-TIPPS KRITIKEN

SO

MO

SONNTAG 10. JANUAR

15.20 – 17.00 ZDF Vater der Braut R: Charles Shyer Neuverfilmung mit Steve Martin USA 1991 Ab 8 20.15 – 22.00 3sat Elegy oder die Kunst zu lieben R: Isabel Coixet Drama nach einem Roman von Philip Roth USA 2008 Ab 16 20.15 – 21.45 arte Le Magnifique R: Philippe de Broca Frustrierter Autor träumt sich in Agentenromane Frankreich/Italien 1973 Ab 16 20.15 – 22.35 ProSieben Looper R: Rian Johnson Zeitreise-SciFi-Thriller mit Bruce Willis USA/VR China 2012 Ab 16 20.15 – 21.40 zdf.kultur Patong Girl R: Susanne Salonen Urlauber verliebt sich in »Ladyboy« Deutschland/Thailand 2014 Ab 14 22.35 – 01.05 ProSieben World War Z R: Marc Forster Brad Pitt stoppt Zombieseuche USA/Malta 2013 Ab 16 23.15 – 00.50 NDR fernsehen Arbitrage – Der Preis der Macht R: Nicholas Jarecki Bankrotter Geschäftsmann vertuscht Unfall USA 2012 Sehenswert ab 14 01.00 – 02.30 hr fernsehen Anderson – Anatomie des Verrats R: Annekatrin Hendel Porträt eines Literaten-Stars und Stasi-Spitzels Deutschland 2014 Sehenswert ab 14 02.25 – 03.55 Das Erste The Fountain – Quell des Lebens R: Darren Aronofsky Suche nach dem Lebenssinn auf drei Zeitebenen USA 2006 Sehenswert ab 16

Gefahr und Begierde

3sat

Ab 10. Januar

Amour fou

Vom 10. bis zum 22. Januar durchleuchtet die 3sat-Reihe »Amour fou« in zwölf Spielfilmen alle Facetten zwischenmenschlicher Beziehungen.

10.1., 20.15–22.00 10.1., 22.00–23.30 10.1., 23.30–01.15 12.1., 22.25–23.45 13.1., 22.25–00.00 14.1., 22.25–01.05 15.1., 22.35–00.50 16.1., 21.35–23.00 19.1., 22.25–23.50 20.1., 22.25–23.50 21.1., 22.25–00.20 22.1., 22.35–01.00

In seiner fiktiven Autobiografie blickt der Schweizer Dokumentarist Thomas Imbach mit der Kamera unentwegt aus seinem Züricher Atelierfenster. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei Wind und Wetter, mehrere Jahre lang. Draußen kreuzen Flugzeuge am Himmel, unten rasen Züge vorbei, in Sichtweite spuckt ein Fabrikschlot dicke Wolken in die Luft. Auf dem Anrufbeantworter hört man Nachrichten, Grüße, Glückwünsche. Aus all diesen Fragmenten entspinnt sich allmählich eine melancholische Geschichte voller Sehnsüchte und Veränderungen. Der Vater stirbt, ein Kind wird geboren, eine junge Familie zerbricht. Mehr und mehr verwandelt sich die (Stadt-)Landschaft vor dem Fenster in das innere Bild des Mannes hinter der Kamera. Frei von aller Larmoyanz, dafür mit einer den Wechselfällen des Schicksals angemessenen Heiterkeit entwirft der vergnügliche Film das Porträt eines Künstlers, der mit wachen Sinnen sich und die Stadt Zürich beäugt. 11. Januar, 23.25 – 00.50

20.15 – 22.20 Servus TV Prime Suspect – Heißer Verdacht R: Christopher Menaul Pilotfilm der Krimiserie – Teil 1 Großbritannien 1991

00.00 – 01.45 arte Day Is Done R: Thomas Imbach Veränderungen in Zürich über 15 Jahre Schweiz 2011 Sehenswert ab 14

arte

Day Is Done

20.15 – 22.15 arte Mord im Orient-Express R: Sidney Lumet Agatha-Christie-Adaption mit Starbesetzung Großbritannien 1974 Ab 16

23.25 – 00.50 WDR Fernsehen The Future R: Miranda July Spielerisch-surreale Tragikomödie USA/Dt. 2011 Sehenswert ab 16

Elegy oder die Kunst zu lieben Liebe mich! Eine Karte der Klänge von Tokio Die Affäre Concussion – Leichte Erschütterung Die Treue der Frauen Bitter Moon Chloe Love Steaks Last Night – Nur eine Nacht Meine Heldin Gefahr und Begierde

11. Januar, 00.00 – 01.45

MONTAG 11. JANUAR

00.45 – 02.20 hr fernsehen Atemlos R: Jim McBride »Außer Atem« auf Amerikanisch USA 1982 01.35 – 03.05 mdr Hallam Foe R: David Mackenzie Junger Außenseiter in Glasgow GB 2007 Sehenswert ab 16

WDR Fernsehen

The Future

Früher bekamen Pärchen vor der Geburt ihres ersten Babys kalte Füße. Im tragikomischen Generationsporträt der Schriftstellerin, Performance- und Videokünstlerin Miranda July ist es die Anschaffung einer Katze, die mit ihrer kratzigen Stimme in die Handlung einführt und ein Paar um die Dreißig mit »der Zukunft« konfrontiert. Ein Monat bleibt bis zum Einzug des vierbeinigen Mitbewohners und der dazugehörigen Verantwortlichkeit, woraufhin Sophie und Jason ihre Jobs kündigen, um ihre lang gehegten Träume zu verwirklichen, und damit schnurstracks in die Krise schlittern. July, die wie schon in ihrem Erstling »Ich und Du und Alle, die wir kennen« die weibliche Hauptrolle spielt, wirft hier in einer zauberhaft verspielten Inszenierung einen klugen Blick auf das Ringen der Thirtysomethings um ein erfülltes Leben und ihre Ängste vor dem Scheitern.

Filmdienst 01 | 2016

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