Kino beim Katholikentag 2016

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SCHWERPUNKTTHEMA

film dienst

Beilage Zusammengestellt Vom k i n o m ag a Z i n f i l m d i e n st Z u m 1 0 0. d e u ts C h e n kat h o l i k e n tag l e i PZ i g 2 5 . - 2 9. m a i 2 01 6


kultur auf dem katholikentag Leipzig und Kultur – das gehört einfach zusammen. Mehr als 300 Kulturveranstaltungen stehen auf dem 100. Deutschen Katholikentag zur Auswahl. Auch Künstlerinnen und Künstler aus der Region Leipzig sowie bekannte Leipziger Kulturinstitutionen sind im Angebot, z.B. Gerhard Schöne, die Gruppe Stilbruch und der Thomanerchor.

Das Kulturprogramm bietet die Schwerpunkte Ausstellungen

Bei der großen Ausstellung zeitgenössischer Kunst zum Leitwort des Katholikentags „SEHT, da ist DER MENSCH! (Baumwollspinnerei, Halle 12), bei der Fotografieausstellung „Credo – Kirche in der DDR“, zum religiösen Leben in einem atheistischen Umfeld (Museum der bildenden Künste) oder bei der „Straße der Moderne“ mit Kirchbauten des 20. und 21. Jahrhunderts (Propsteikirche St. Trinitatis).

Literatur

In der Buch- und Literaturstadt Leipzig darf ein ausgewähltes Literaturprogramm nicht fehlen. Lassen Sie sich von Autorinnen und Autoren mitnehmen auf eine Reise durch die Vielfalt der deutschen Literaturlandschaft. Lesungen, Gespräche, Interviews, thematische Stadtführungen und Kreativangebote laden zum Mitgehen, Zuhören und Nachdenken ein.

Musik

Was wäre Leipzig ohne Musik? In kaum einer Stadt ist die musikalische Hochkultur so präsent: Thomanerchor, Gewandhausorchester, Bach, Schumann, Mendelssohn. Doch auch Musik des 20. Jahrhunderts und zeitgenössische Werke dürfen hier nicht fehlen.

Theater und Tanz

Ob Musical, Theaterstück oder Tanzperformance – es sind auch gesellschaftsrelevante Themen, die im Tanz- und Theaterprogramm des Leipziger Katholikentags präsentiert werden und so eine ästhetisch-künstlerische Auseinandersetzung mit den aktuellen Fragen ermöglichen.

Kabarett

Katholikentag und Kabarett – geht das zusammen? Aber ja! Erleben Sie vom 26. bis 28. Mai ein kabarettistisches Feuerwerk. Kabarett-Größen aus ganz Deutschland nehmen kein Blatt vor den Mund und versorgen Sie spitzzüngig mit allerlei schrägen Erkenntnissen Das gesamte Kulturprogramm des Katholikentags finden Sie im Internet unter:

www.katholikentag.de/kultur


f i l m auf dem katholikentag

Das Filmprogramm: Empfohlen besonders für junge Leute! Themen, wie sie aktueller nicht sein könnten, sind im Programmangebot: Zivilcourage, der Alltag in Kriegsregionen, generationenübergreifendes Zusammenleben oder die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch. In den Kinos Schauburg, Cineding und Luru ist das Kinoprogramm zu finden. Begegnen Sie Fachleuten und Prominenten aus der Filmbranche im anschließenden Gespräch.

In meinem Kopf ein Universum 4 10 Milliarden Wie werden wir alle satt? 5

Seht: Film Auszüge aus einem Statement von Guido Erbrich, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises Kultur: Der Katholikentag findet in diesem Jahr zum 100. Mal statt. Dieses Jubiläum macht ihn zu etwas ganz Besonderem, und das wird auch im Kulturprogramm deutlich. (...) Das Leitwort des Katholikentags „Seht, da ist der Mensch“ ist eine wunderbare Steilvorlage für das Kulturprogramm. Der Mensch ist immer schon ein beliebtes Subjekt von Kunst und Kultur. Die Bezüge liegen also auf der Hand. Und so zieht sich wie ein roter Faden das Leitwort des Katholikentags auch durch das Kulturprogramm. Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler werden zum Ausdruck bringen, wie sie den Menschen heute sehen. (…) In einem umfangreichen Filmprogramm werden aktuelle gesellschaftlich relevante Fragen thematisiert: Zivilcourage, der Alltag in Kriegsregionen, generationenübergreifendes Zusammenleben oder die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch. Die Kinos Schauburg, Cineding und Luru werden während des Katholikentags zu Orten der Diskussion. Fachleute und Prominente aus der Filmbranche laden ein, im Anschluss an die Vorführungen über die Filme miteinander ins Gespräch zu kommen.“

Wir sind die Neuen 8 Von Menschen und Göttern 9 Halt auf freier Strecke 10 Pfarrer 11 Elser - Er hätte die Welt verändert 12 Cafe Waldlust 12 Zwischen Welten 12 Verfehlung 14 Freistatt 16 Gerdas Schweigen 16

Impressum

Das Filmprogramm des Katholikentags in Leipzig erscheint als Beilage des Filmmagazins FILMDIENST. Herausgeber: Katholische Filmkommission für Deutschland. Anschrift: dreipunktdrei mediengesellschaft mbH, Heinrich-Brüning-Straße 9, 53113 Bonn. Im Internet: www.filmdienst.de


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Donnerstag 26.5., 11.00–22.00

Kultur | Film

DU SoLLST – DU SoLLST NICHT

Das DEKALOG-Projekt: Neue Filme zu den Zehn Geboten Seit 2013 wird der DEKALOG-Filmpreis für filmische Arbeiten junger Regisseure vergeben, die sich direkt oder indirekt auf die Zehn Gebote beziehen. Filmvorführungen um 11.00, 13.00, 15.00, 17.00, 19.00 und 21.00 Uhr. Das jeweils aktuelle Tagesprogramm unter: www.guardini.de Guardini-Stiftung mit Stiftung St. Matthäus Schauburg, Kinosaal 3, Antonienstr. 21 Installation, 14.00-15.00

D 2011, Regie: Sonja Toepfer, 21 Min., FSK 12 Diese experimentelle Installation entstand anlässlich der Seligsprechung von Alojs Andritzki im Jahr 2011. Sonja Toepfer, Wiesbaden Gesprächsleitung: Birgit Ehret, Leipzig Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83 Kultur | Film und Gespräch

AUS QUELLEN SCHöPFEN

D 2015, 60 Min., FSK 0 Filmprojekt der ev. Gemeinden in Leipzig Knauthain/ Großzschocher Im Jahr 2015 feierte die Stadt Leipzig 1000 Jahre Ersterwähnung. Der Film beschreibt mit großem Aufwand und bemerkenswerter Perfektion 1000 Jahre Christentum im Gemeindegebiet. Karl Albani, Leipzig. Gesprächsleitung: Birgit Ehret, Leipzig Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83 Katholikentags-Stadtplan: 50 | C7 Donnerstag 26.5., 16.30–18.30

Kultur | Film und Gespräch

IN MEINEM KoPF EIN UNIVErSUM

PL 2013, Regie: Maciej Pieprzyca, 107 Min., FSK 6 Gesprächsleitung: Rainer Mende, Filmreferent des Polnischen Instituts Berlin, Filiale Leipzig Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Katholikentags-Stadtplan: 54 | B9 Donnerstag 26.5., 16.30–19.00 Freitag 27.5., 14.00–16.30

Eindringliches Plädoyer

Kultur | Film und Gespräch

ANDrITZKI. BEKENNTNIS

Donnerstag 26.5., 15.30–17.30

IN MEINEM KoPF EIN UNIVErSUM

Globale Verantwortung | Film und Gespräch

10 MILLIArDEN – WIE WErDEN WIr ALLE SATT?

D 2015, Regie: Valentin Thurn, 107 Min., FSK 0 Gespräch: Valentin Thurn, Regisseur, Köln Gesprächsleitung: Stefan Gransow, Berlin Misereor Schauburg, Kinosaal 2, Antonienstr. 21

Jahrzehntelang muss der spastisch gelähmte Mateusz mit der fatalen Fehldiagnose leben, schwachsinnig zu sein. Seine schwere körperliche Behinderung macht es ihm unmöglich, sich zu artikulieren, dabei wünscht er sich nichts sehnlicher. Doch nur seine Eltern glauben an die Intelligenz ihres Sohns, auch wenn sie ihn nicht verstehen. Sie lehnen das freundlich gemeinte Angebot ab, ihn in einem Heim für geistig behinderte Menschen unterzubringen. Von ihnen gehalten und unterstützt, lernt Mateusz mühsam zu erkunden, wie der Alltag und soziale Beziehungen funktionieren. Mehr und mehr identifiziert er sich mit dem Selbstbehauptungswillen und Durchhaltevermögen des von ihm schwärmerisch verehrten Vaters, gerade auch dann, als er als junger Erwachsener nach einem Unfall der Mutter doch in ein Spezialheim eingewiesen wird. Regisseur Maciej Pieprzyca wurde zu seinem Film über die Nöte und die verzweifelte Selbstfindung eines in seinem Körper und seiner Innenwelt eingekerkerten Jungen durch reale Ereignisse angeregt. Indem er das Geschehen

zeitlich im noch kommunistischen Polen beginnen lässt, macht er solch abwertende Vorstellungen von Behinderung als ideologisches Erbe deutlich, das bis heute überdauert hat. Mit bleichen, pastellfarbenen Einstellungen markiert er, wie wenig Buntes, Kontrastreiches der Alltag eines schwerstbehinderten Menschen in dieser Gesellschaft aufzuweisen hat. Schafft dieser es nicht, den wissenschaftlich legitimierten Intelligenzmessungen, wonach eine Aufgabe in einer vorbestimmten Zeit zu lösen ist, zu entsprechen, wird er zu einem geistig Dahinvegetierenden erklärt, der keinerlei Anregung wert ist. Einem Tier gleich soll der behinderte Mensch lediglich von einem Reiz-Reaktion-Schema bestimmt sein. Solche Urteile will Pieprzyca entkräften und betont daher das Recht auf Selbstbestimmung. Gerade auch jungen Menschen macht er anschaulich, wie wichtig es ist, auch Menschen mit Behinderungen eine Bildung angedeihen zu lassen, mit der sie zur kommunikativen Teilhabe befähigt werden, wozu es äußerst engagierter Gleichaltriger und Erzieher bedarf. Heidi Strobel

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Ein spastisch gelähmter junger Mann, der von seinen Eltern mit großer Liebe und Hingabe aufgezogen wurde, soll vor einer Kommission sein Menschsein beweisen. Der von realen Ereignissen inspirierte Film über die Nöte und verzweifelte Selbstfindung eines in seiner Innenwelt eingekerkerten Jungen schildert extrem eindringlich dessen Kampf um Selbstbestimmung. Das klassisch strukturierte Entwicklungsdrama wird von zwei herausragenden Schauspielern getragen, die das ganze Ausmaß der Einschränkung, aber auch die Kraft und Willensstärke des Protagonisten sichtbar machen. Ein eindringliches Plädoyer auf das Recht behinderter Menschen an einer kommunikativen Teilhabe an der Gesellschaft. – Sehenswert ab 14


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„Es galt ja lange als Maxime: Man soll sich mit keiner Sache gemein machen, und sei sie noch so gut. Ich fand diese Maxime nie richtig, weil ich glaube, dass man, egal was man tut, nie objektiv sein kann. Allein schon durch die Auswahl meiner Geschichten bin ich subjektiv. Und dann ist es für den

10 MILLIArDEN – WIE WErDEN WIr ALLE SATT

Engagiert, herausfordernd

Foto: MFA+/Prokino

Um die Zahl kreist alles. Zehn Milliarden Menschen werden Mitte des Jahrhunderts auf der Erde leben – wie sollen sie satt werden? Mit dieser Frage konfrontiert der Bestsellerautor, Dokumentarfilmregisseur und Ernährungsaktivist Valentin Thurn seine Gesprächspartner. Zu Beginn streift er über einen thailändischen Markt. Der große Mann mit Glatze ragt auffällig über die Einheimischen hinaus. Dann schiebt sich Thurn genüsslich eine frittierte Heuschrecke in den Mund und referiert über Insekten als proteinreiche Kost der Zukunft. Die Szene legt nahe, dass nun eine selbsterfahrungsjournalistische Reise folgen wird, tatsächlich aber hält sich Thurn eher zurück. Er folgt recht sachlich der titelgebenden Frage, was allein schon deshalb gut ist, weil die komplexen globalen Zusammenhänge von versiegenden Ressourcen über Konzerne, Kleinbauern bis zum Konsumenten ansonsten möglicherweise allzu intuitiv zerfallen würden beziehungsweise weil der wenigstens gefühlte Zusammenhang dann maßgeblich von der Inszenierung der eigenen Person abhinge.

Mit Bedacht wählt er seine Gesprächspartner aus, die wahlweise auf der hellen oder der dunklen Seite der Macht stehen; denn neutral ist sein Film nicht. Auch wenn alle mit der gleichen Frage konfrontiert werden, macht Thurn keinen Hehl aus seiner Haltung. Platt provokativ geht er dabei allerdings auch nicht vor, Argumente, die etwa der Konzernsprecher von Bayer vorbringt, werden ernsthaft behandelt – und widerlegt. Das Loblied auf besonders hohe Erträge versprechendes Hybridsaatgut lässt Thurn in einem indischen Reisbaugebiet widerhallen: So ist dieses Saatgut nur bei der ersten Ernte so ertragreich und lässt sich nicht erneut aussähen – es zwingt also die Kleinbauern in eine Abhängigkeit von großen

Konzernen. Eine Kette von Zusammenhängen führt Thurn rund um die Welt: Vom Bio-Landgut Hermannsdorfer in Glonn bei München zum indischen Geflügelzüchter, dessen Masthühner dem Wiesenhof-Geschlecht entstammen, vom höchst unsympathischen Großgrundbesitzer in Mozambique zu japanischen Laborsalaten. „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“ ist eine Art Hybrid: Ein kritischer Dokumentarfilm, der nicht aufdeckt, aber komplexe Zusammenhänge erhellt, mit Lösungsansätzen, maßgeblich für den Einzelnen, überall auf der Welt. Die Internet-Plattform tasteofheimat.de, die Valentin Thurn mit initiiert hat, kann dabei für weitere Hinweise genutzt werden. Julia Teichmann

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Engagiertkritischer Dokumentarfilm, der sich auf eine Reise um die Welt begibt, um die Frage zu beantworten, wie die Ernährung der Menschheit noch möglich sein soll, wenn die Weltbevölkerung in absehbarer Zeit auf zehn Milliarden Menschen angestiegen sein wird. Dabei stellt er Konzerne und Großgrundbesitzer den Methoden von Klein- und Bio-Bauern gegenüber, denen seine Sympathie gilt. Indem er sein Plädoyer für eine regionale Vermarktung von Produkten mit überzeugenden Argumentationen untermauert, trägt er ebenso sachlich wie unterhaltsam zur Erhellung komplexer globaler Zusammenhänge bei. – Sehenswert ab 12.

Zuschauer doch besser, er weiß, wo ich stehe. Das bedeutet jetzt nicht manipulative Meinungsmache, ganz im Gegenteil. Ich glaube halt nicht an Objektivität, aber ich glaube an Fairness.“ (Valentin Thurn)


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Donnerstag 26.5., 16.30–18.00

Kultur | Podium

rELIGIoN IM FILM – rELIGIoN UND FILM EINE SPANNUNGSGESCHICHTE? Dr. Peter Hasenberg, Filmreferent der DBK, Bonn Dieter Kosslick, Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin Dr. Grit Lemke, Leiterin Dokumentarfilmprogramm DOK Leipzig Moderation: Dr. Thomas Kroll, Hamburg LURU Kino

BEGLEITArTIKEL ZUr WEITErFüHrUNG UND ANrEGUNG

Auferstanden

Bibelthemen, Wunder und Glauben: Aus Hollywood kommt ein Revival des Bibelfilms Von Franz Everschor In ihrem aktuellen Kinofilm „Hail, Caesar!“ haben die Coen-Brüder gerade ironisch die Bibelfilm-Welle der 1950er-Jahre herbeizitiert. Derweil feiert das Genre im zeitgenössischen Hollywood ein kleines Revival: Filme um Bibelthemen, Wunder und Glauben wie derzeit Kevin Reynolds’ „Auferstanden“ setzen darauf, dass diejenigen, die eifrig die Kirchen füllen, auch für volle Kinokassen sorgen werden.

„Der junge Messias“

Die Fastenzeit ist da und somit für die 200 Mio. Amerikaner, die sich als bekennende Christen bezeichnen, die Erwartung des Auferstehungsfestes. Seit ein paar Jahren ist das auch die Zeit, zu der US-amerikanische Kinos Filme wie „Den Himmel gibt’s echt“

und „Son of God“ spielen. Der Kollisionskurs, auf dem sich Religion und Hollywood häufig befinden, weicht dann der kommerziellen Einsicht, dass sich mit billig produzierten Bibel- und Bekenntnisfilmen wieder Geld verdienen lässt. Zum Beispiel, indem man aus dem Nahtod-Erlebnis eines zwölfjährigen Mädchens ein tränenreiches Wunder macht, wie in dem „christlichen Film“ (Werbung) „Miracles from Heaven“, der in Deutschland – etwas verspätet – im Juni unter dem Titel „Himmelskind“ anlaufen wird. Oder in „The Young Messiah“ nach dem Roman „Christ the Lord: Out of Egypt“ der vornehmlich durch ihre Vampir-Bücher bekannten Anne Rice (in deutschen Kinos ab dem 12. Mai als „Der junge Messias“). Aktuell gehört auch „Risen“ „Himmelskind“


„Auferstanden“

(„Auferstanden“) dazu, ein Film, der zehn Jahre in der Entwicklung war und letztlich bei dem Sony-Ableger Affirm Films gelandet ist, einer Produktionsfirma, die sich auf „Filme für Kirchgänger“ spezialisiert hat.

Foto: Sony/Concorde/

Ungewöhnlich an „Auferstanden“ ist, dass er die Perspektive verschiebt, aus der die Geschichte der Kreuzigung und Auferstehung Jesu erzählt wird. Die Hersteller versprechen sich viel davon, das biblische Geschehen nicht aus dem Blickwinkel eines Gläubigen, sondern aus dem eines Ungläubigen zu präsentieren. Clavius, ein römischer Centurio, wird von Pontius Pilatus mit „einer Menschenjagd beauftragt, die den Lauf der Geschichte verändert hat“, wie es auf dem amerikanischen Filmplakat heißt. Gemeint ist damit, dass Clavius den Leichnam des auferstandenen Jesus finden soll. Zum Kummer des Pilatus wird aus dem kampfgestählten Centurio aber ein Gläubiger, nachdem er auf Jesus und die Apostel gestoßen ist und ein paar Wundertaten beigewohnt hat. In Frage steht, ob sich die Anstrengung gelohnt hat, eine Mischung aus Bibeltreue und freier Fantasie zu kreie-

ren. Die Antwort der Hersteller ist einfach genug: Viermal haben sie den Film vor großem Publikum getestet und nach Aussage des Produzenten nichts als Begeisterung geerntet. „Was wir sogar von Nicht-Christen und Menschen, die nicht regelmäßig in die Kirche gehen, zu hören bekamen, ist vor allem, dass sie den Film nicht wie eine Predigt empfinden.“ Der Regisseur Kevin Reynolds wurde bekannt mit Filmen wie „Robin Hood: König der Diebe“ oder „Waterworld“ und er hat sich alle Mühe gegeben, „Auferstanden“ von übertriebener Ehrfurcht und Sentimentalität frei zu halten. Nachdem die Kreuzigungsgeschichte im Gegensatz zu Mel Gibsons Kassenerfolg „The Passion of the Christ“ ohne allzuviel Blutvergießen abgehakt ist, spult sich die Handlung eher wie ein in die Historie versetzter Fernsehkrimi ab: „Game of Thrones“ trifft „CSI – Crime Scene Investigation“. Der in letzter Zeit unterbeschäftigte Joseph Fiennes, der einst schon Martin Luther spielen durfte, vermeidet das Heldengebaren ähnlicher Figuren und entledigt sich seiner Aufgabe, eine schwer zu vermittelnde Wandlung glaubhaft zu machen, mit Respekt hei-

schender Zurückhaltung. Ein guter Film ist aus „Auferstanden“ deshalb aber auch nicht geworden. Wohl aber einer, der wenigstens nicht die anbiedernde Gefühlsklaviatur bedient, die man sonst von den hauptsächlich für evangelikale Gemeinden im amerikanischen Hinterland produzierten Filmen gewohnt ist. Dem anvisierten Publikum hat der Verleih vorab eigens auf sie zugeschnittenes Werbematerial geschickt und verbilligte Eintrittskarten angeboten. Empfehlende Worte aus Pastorenmund tun ebenfalls wieder ihre Wirkung: An den ersten drei Tagen seines Kinoeinsatzes spielte der für 20 Mio. Dollar produzierte Film schon 12 Mio. ein. Das Genre scheint sich in den USA zu etablieren. Waren es zunächst nur kleine unabhängige Herstellerfirmen, die sich auf solche „christlichen Filme“ einließen, so kamen inzwischen sogar HollywoodStudios wie Sony und Universal an Bord. •

DIE FILME „Auferstanden“ (Kinostart: 17.3.2016) „Der junge Messias“ (Kinostart: 12.5.2016) „Himmelskind“ (Kinostart: 9.6.2016)

„Der Kollisionskurs, auf dem sich Religion und Hollywood häufig befinden, weicht der kommerziellen Einsicht, dass sich mit billig produzierten Bibelund Bekenntnisfilmen wieder Geld verdienen lässt.“


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Donnerstag 26.5., 20.00–22.00

Kultur | Film

WIr SIND DIE NEUEN

D 2014, Regie: Paul Westhoff, 92 Min., FSK o.A. Gesprächsleitung: Dr. Thomas Kroll, Mitglied der Kath. Filmkommission, Hamburg Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Donnerstag 26.5., 20.00–22.00

Kultur | Film und Gespräch

IM ANGESICHT DEr DUNKELHEIT

D 2008, Regie: Christof Wolf, 60 Min., FSK o.A. Reihe: Gewissen und Zivilcourage Ein New Yorker Zen-Meister lädt Menschen unterschiedlicher Religionen und sozialer Herkunft nach Auschwitz ein. Gemeinsam treten sie in einen Dialog ein, der sich abseits der touristischen Besichtigungen der Gedenkstätte entwickelt. P. Christof Wolf SJ, Dramaturg, München Gesprächsleitung: Thomas Bohne OR, Leipzig Luru Kino in der Spinnerei, Kinosaal, Spinnereistr. 7 Katholikentags-Stadtplan: 53 | A8

ralf Westhoff schaut den Menschen beim Leben zu. Seine Filme sind geduldige „Lehrstücke“ in Sachen Liebe, Partnerschaft und Beziehung, in denen er seine Figuren reden und reden und reden lässt, um hinter die Fassaden ihrer vermeintlichen Selbstsicherheit zu schauen. Und um ihre wahren Bedürfnisse, ihre Sorgen, Ängste und Defizite sichtbar zu machen. Dann werden aus anfänglich oft oberflächlich oder auch arrogant wirkenden Menschen komplexe Charaktere, die man ins Herz schließt – gerade wegen ihrer Unvollkommenheit, die sie nahbar macht. Stets wählt Westhoff den vielleicht schwierigsten Weg des Inszenierens: Er entwirft keine akademisch-trockenen Sozialstudien, sondern inszeniert Komödien – amüsante, unterhaltsame Dialog-Komödien von spielerischer Eleganz, mit viel (Sprach-)Witz, getragen von vorzüglichen Darstellern, die souverän über etwaige (Genre-)Untiefen hinwegtragen. Die „Neuen“ im Filmtitel sind nun die „Alten“: Anne, Johannes und Eddi sind um die 60, lebten vor 35 Jahren in einer Studenten-Wohngemeinschaft, verloren sich danach aus den Augen. Jetzt bringt sie die Not wieder zusammen: Nach Höhen und Tiefen alleinstehend und finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet, verbünden sie sich erneut zur Zweckgemeinschaft. Doch die Zeiten haben sich geändert. Sie sind härter und ungemütlicher geworden, der Umgangston ist „zeitgemäß“ technisch und distanziert, rüde, auch zynisch. Das spüren die „Alten“ schnell, als sie eine

WIr SIND DIE NEUEN

Hintersinnige Komödie um Alt und Jung Wohnung unter den drei „Jungen“ finden: Katharina, Barbara und Thorsten stehen unter Dauerstress, klotzen bis zur Belastungsgrenze für ihr Studium, um im zukünftigen Arbeitsleben konkurrenz- und überlebensfähig zu sein. Sie leben zweckorientiert-sachlich zusammen, reagieren auf Annäherungsversuche der Alten abweisend und aggressiv: „Wir sind keine Gleichgesinnten. Wir sind die Ablösung. Und die wohnt über Euch!“ Bald sind die Fronten verhärtet, jeder hält den anderen für den eigentlichen Spießer, für „krass“ lebensuntauglich. Bis man sich dann doch annähert, einfach weil der seelische Druck zu groß ist. Während sich die Figuren ein Stück weit annähern, entwickeln sich griffige kleine Porträtstudien, souverän gespielt und im Rahmen einer Ensemble-Typen-

Komödie mit vitalem individuellem Temperament gefüllt. Auf dieser Klaviatur spielt Westhoff hintergründig, ironisch und doch liebenswürdig mit Generationen-Klischees, jongliert mit Wahrnehmungs- und Perspektivwechseln: eine reizvolle Gratwanderung zwischen Subtilitäten und durchaus auch handfesterer Komik. Besonders interessant ist die Geschichte, wenn die Sechs keine „runden“ (Kunst-)Figuren, sondern Menschen mit Brüchen sind, die längst noch nicht fertig sind mit der Welt. Und in denen die Einsicht reift, die Anne am Ende ausspricht: dass man im Leben vielleicht gar nicht zu endgültigen Resultaten kommen, sondern ein Stück weit offen und risikofreudig bleiben soll. Horst Peter Koll Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Eine Frau und zwei Männer, alle um die 60, ziehen 35 Jahre nach ihrer Zeit in einer Wohngemeinschaft erneut zusammen. Ihre kleine Zweckgemeinschaft kollidiert mit drei Studenten in der Wohnung über ihnen, die vom ständigen Leistungsdruck gestresst sind und zunächst aggressiv und ablehnend reagieren, dann aber ihre Schwächen und Empfindlichkeiten zu erkennen geben. Vorzüglich gespielte Komödie mit brillanten Dialogen, die auf dem schmalen Grat von subtiler Charakterbeschreibung und unterhaltsamem Genrefilm liebevoll von den Chancen und Grenzen eines Generationen übergreifenden Miteinanders erzählt. – Sehenswert ab 12.


9 film auf dem katholikentag, freitag 27.5.

Freitag 27.5., 11.00–22.00

Kultur | Film

DU SoLLST – DU SoLLST NICHT

Das DEKALOG-Projekt: Neue Filme zu den Zehn Geboten Seit 2013 wird der DEKALOG-Filmpreis für filmische Arbeiten junger Regisseure vergeben, die sich direkt oder indirekt auf die Zehn Gebote beziehen. Filmvorführungen um 11.00, 13.00, 15.00, 17.00, 19.00 und 21.00 Uhr. Das jeweils aktuelle Tagesprogramm unter: www.guardini.de Guardini-Stiftung mit Stiftung St. Matthäus Schauburg, Kinosaal 3, Antonienstr. 21 Freitag 27.5., 12.00–13.30

Kultur | Filmandacht

SUCHEN UND FrAGEN, LACHEN UND KLAGEN FACETTEN DES MENSCHSEINS

Im Mittelpunkt des Kinos: der Mensch. Im Fokus von Kirche: Gott. Kino und Kirche in Beziehung setzen: Filmandacht. »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst« erfahrbar machen, meditieren, beten und feiern. Dr. Thomas Kroll, Mitglied der Kath. Filmkommission, Hamburg Dr. Christoph Seidl, Seelsorger für Pflegeberufe, Regensburg Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Freitag 27.5., 13.45–15.50 Kultur | Film Themenbereich Christlich-jüdischer Dialog / Christlich-islamischer Dialog

VoN MENSCHEN UND GöTTErN

F 2010, Regie: Xavier Beauvois, 122 Min., FSK 12 Volkshochschule, 3. OG, Aula, Löhrstr. 3-7 Freitag 27.5., 14.00–16.00

AUGENBLICKE – KUrZFILME IM KINo

Foto: X-Verleih/NFP

D 2016, 92 Min., FSK o.A. „Filmrolle“ mit 10 Kurzfilmen, zusammengestellt im Auftrag der DBK Guido Erbrich, Magdeburg Luru Kino in der Spinnerei, Kinosaal, Spinnereistr. 7

Kultur | Film

VoN MENSCHEN UND GöTTErN

Spirituelles Drama

„Unsere ohnmacht und unsere totale Armut hinzunehmen, ist ein Aufruf, ein dringender Appell, mit den anderen eine Beziehung ohne Gewalt einzugehen“, heißt es bei Carlo Caretto. „Die Schwäche, die man in sich trägt, ist keine Tugend, sondern der Ausdruck eines grundlegenden Zuges in unserem Wesen“, notiert der italienische Mystiker in „Gott ist unterwegs zu uns“ (1971). Dies zu akzeptieren, erfordere viel Mut, sei aber die Bedingung dafür, „sich für Gerechtigkeit und Wahrheit“ einzusetzen, indem man „der trügerischen Verlockung der Stärke und der Macht widersteht“. Schon früh in Xavier Beauvois’ spirituellem Drama hören die Trappisten des kleinen Klosters Tibhirine im Atlasgebirge diese Sätze, als Lesung beim schweigend eingenommenen Essen. Die Gefahr, in der die Mönche schweben, zeichnet sich zu diesem Zeitpunkt bereits ab. Seitdem das algerische Militär 1992 die Machtübernahme durch die radikal-islamische Heilspartei (FIS) unterband, die aus den Parlamentswahlen als Sieger hervorging, schwillt der fundamentalistische Terror an und hat auch die Provinz erreicht. Nur wenige Tage zuvor waren befreundete kroatische Bauarbeiter unweit des Klosters barbarisch abgeschlachtet worden; das Ultimatum der „Groupes Islamiques Armés“ (GIA), das alle Ausländer zum Verlassen des Landes ausforderte, war bitter ernst. In dieser Situation klingt in Carettos Gedanken

deutlich an, was den Film im Zentrum bewegt: die Frage nach den inneren Gründen, warum die Trappisten weder vor den Islamisten noch vor den Drohungen der Armee, der die proislamische Haltung der Mönche ein Auge im Dorn war, beizeiten das Weite suchten. Die Antworten, auf die der Film stößt, lassen naheliegende Vermutungen hinter sich. Hier ist nichts malerisch oder archaisch, sondern alles schlicht, fast ärmlich. Die neun aus Frankreich stammenden Mönche sind knorrige Gestalten, die von ihrer handwerklichen Arbeit leben, dem Ackerbau und der Imkerei. Mit ihrer muslimischen Nachbarschaft pflegen sie freundschaftliche Beziehungen; einer von ihnen ist Arzt und kümmert sich um die Kranken der Region, ein anderer hilft der Landbevölkerung bei Briefen und dem Kontakt mit Behörden. Missionsabsichten oder religiöser Eifer sind den Trappisten fremd; im Mittelpunkt ihres stillen Leben steht das gesungene Stundengebet, zu dem sich die Mönche sieben Mal am Tag in ihrer Kapelle versammeln. Eindringlich zeichnet der Film das Ringen der Mönche nach, ob sie bleiben und ihren Tod riskieren oder fliehen und das Land und die Menschen im Stich lassen sollen. Immer wieder stellen sie sich der Frage, was der Augenblick gebietet, bis sie zu der Überzeugung gelangen, dass ihre Solidarität mit den Menschen und ihre Liebe zu Gott größer sind als alle Gefahren. Josef Lederle

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland : Im Jahr 1996 wurden im Altasgebirge in Algerien sieben Trappistenmönche ermordet, was den Islamisten zugeschrieben wurde, die das Land in den 1990er-Jahren mit fundamentalistischem Terror überzogen. Das spirituelle Drama zeichnet das Leben der Mönche und ihr intensives Ringen darum nach, ob sie ihr Kloster aufgeben und fliehen oder aus Solidarität mit den Menschen bleiben und damit ihren Tod riskieren sollen. Mit großem ästhetischem Gespür gedreht, ordnet sich die Filmsprache stets dem Rhythmus des klösterlichen Lebens unter und gewinnt dadurch den Raum, sich auf die christlich-theologischen Dimensionen der Entscheidungsfindung einzulassen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik; Ökumenischer Filmpreis Cannes 2010)


10 f i l m auf dem katholikentag, freitag 27.5.

Freitag 27.5., 14.00–16.30

Kultur | Film und Gespräch

HALT AUF FrEIEr STrECKE

D 2012, Regie: Andreas Dresen, 109 Min., FSK 6 Gast: Dr. Martin Kamprad, Palliativstation Elisabethkrankenhaus, Leipzig Gesprächsleitung: Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom, Frankfurt/Main, Mitglied Katholische Filmkommission Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83 Freitag 27.5., 16.30–19.00

Kultur | Film und Gespräch

PFArrEr

D 2014, Regie: Chris Wright und Stefan Kolbe, 90 Min., FSK o.A. Chris Wright, Regisseur, Berlin Dr. Wolf-Jürgen Grabner, Protagonist im Film, Leipzig Gesprächsleitung: P. Christof Wolf SJ, Dramaturg, München Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Freitag 27.5., 17.30–19.00

Kultur | Film und Gespräch

WIr WoLLEN FrEIE MENSCHEN SEIN! – VoLKSAUFSTAND 1953

D 2013, Regie: Freya Klier, 45 Min., FSK o.A. Reihe: Gewissen und Zivilcourage Auf der Grundlage von historischen Bild- und Tondokumenten, Gesprächen mit Beteiligten des Aufstandes und den Familienangehörigen eines Opfers schildert die Regisseurin die tragischen Ereignisse, die auch zum Tod von Paul Ochsenbauer führten – dem jüngsten Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Brigitte Dienst, Schwester von Paul Ochsenbauer, Leipzig Freya Klier, Regisseurin und Schriftstellerin, Berlin Gesprächsleitung: Birgit Ehret, Leipzig Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83

HALT AUF FrEIEr STrECKE

Die Tatsache des Sterbens Schneller kann man wohl nicht auf den Punkt kommen. Gleich das erste Bild zeigt in einer langen Einstellung ein Wartezimmer im Krankenhaus. Die Körper haben auf den Stühlen eine gebückte Haltung angenommen, als könnten sie den Launen des Zufalls durch Unscheinbarkeit entkommen. Einen Schnitt weiter ist das Urteil bereits gefallen. Ein Arzt erklärt einem Paar entlang von Röntgenbildern mit schamhaftem Taktgefühl die Diagnose. Ein bösartiger Tumor im vorderen Hirnabschnitt, unoperierbar. Chemotherapie und Bestrahlung so gut wie wirkungslos. Es bleibt eine Lebenserwartung von wenigen Monaten. „Man weiß nicht, warum jemand so eine Krankheit bekommt“, sagt er zu dem Familienvater mit leiser Stimme, „es ist Schicksal.“ Das bedrückend wortlose Gespräch wirkt so echt, wie es zurzeit nur Andreas Dresen inszenieren kann. Das mag auch daran liegen, dass der Mediziner weiß, wovon er spricht. Er ist ein Klinikarzt in seinem authentischen Empfangszimmer, so wie die PalliativTherapeutin, die den 45-Jährigen in seinen letzten Wochen begleiten wird, in ihrem realen Leben sterbende Menschen betreut. Das Zusammenspiel von professionellen Helfern und Schauspielern ist meisterlich abgestimmt und sorgt neben der auf Realismus getrimmten Handkamera für den verlässlich dokumentarisch anmutenden Ton. Während die Tränen auf dem um Fassung ringenden Gesicht der Ehefrau

fließen, sackt das Blut vom puren Zuschauen in die Beine, zumal die Prognose unausweichlich hart ausfällt: Es wird einem nichts erspart. Am Anfang scheint die Beibehaltung der Normalität noch möglich. Das DamoklesSchwert der ablaufenden Zeit drückt aber auf Franks Stimmung, er bekommt Wutausbrüche und den manischen Drang, der Handy-Kamera wie in einem Tagebuch seine hilflos springenden Gedanken anzuvertrauen. Das Arbeiterpaar, das in ein verschuldetes Reihenhaus mit Ausblick auf eine winterliche Wiesenlandschaft gezogen ist, sucht Halt bei der Alternativmedizin. Es sind erschreckend hoffnungslose und fast komische Begegnungen. Statt auf die individuellen Sorgen des Todkranken einzugehen, meint manch eine Psychologin, nach den Ursachen für den Krebs suchen zu müssen und sie in einer gestörten Harmonie zwischen Psyche und Körperenergie zu verorten. Dresen filmt die Etappen mit entwaffnender Sachlichkeit. Er neutralisiert das Grauen von Sprachrückgang, Verwirrtheit und Inkontinenz in kleinen Schritten durch langsam sich aufbauende Akzeptanz bei den Außenstehenden. Der Film ähnelt zunehmend einer allergischen Desensibilisierung, er möchte Angst vor dem Unausweichlichen nehmen, und er schafft es auch, nicht nur bei der Familie, die allmählich über sich hinaus wächst und die letzten Momente zu einer intensiven Annäherung nutzt. Alexandra Wach

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Ein Familienvater erkrankt unheilbar an einem Hirntumor und hat nur noch wenige Wochen zu leben. Zunächst kann der Kranke noch seinen Alltag fortführen, bald aber macht sich die zerstörerische Wirkung des Geschwürs bemerkbar. Eindringlicher Film über die körperlichen und emotionalen Auswirkungen eines Krankheitsverlaufs und Sterbeprozesses, dem mit mobiler Handkamera und einem aus Schauspielern und Laien bestehenden Ensemble eine realistische Annäherung an sein Thema gelingt. Ohne Beschönigung und Rührseligkeit wird der Zuschauer mit den Tatsachen dieses Sterbens konfrontiert, wobei dessen Ungeheuerlichkeit Schritt für Schritt abgebaut wird. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) – Sehenswert ab 16.


11 f i l m auf dem katholikentag, freitag 27.5.

„Zwei Dinge muss ein

PFArrEr

jeglicher für sich selbst

Foto: Pandora/Edition Salzgeber

Intime Annäherungen „Zwei Dinge muss ein jeglicher für sich selbst schaffen – sein Glauben und sein Sterben“, schicken die Dokumentaristen Chris Wright und Stefan Kolbe ihrem Film über evangelische Pfarrer in der Ausbildung voraus. Das Luther-Wort ist wie so vieles in diesem erstaunlichen Film ein Glücksgriff: präzise und offen zugleich, da es nicht nur auf zentrale Themen voraus weist, sondern neben der protestantischen Grundhaltung auch die der Filmemacher anklingen lässt. Denn die verstehen sich dezidiert als atheistisch und bringen das auch aktiv ein, was den sensiblen Porträts eine konstruktivneugierige, wohltuend moderne Distanz verleiht. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe junger ostdeutscher Vikare und Vikarinnen Ende 20, die nach Abschluss ihres Theologiestudiums erste Erfahrungen in der Praxis sammeln. Parallel zum Einsatz in den Gemeinden treffen sie sich im Predigerseminar in Wittenberg, um über ihre Erlebnisse zu reflektieren, an ihren praktischen Fähigkeiten wie Gesang und Rhetorik zu arbeiten – und um „mit sich selbst ins Reine zu kommen“, was nicht nur die Klärung offener

Fragen meint, sondern existenzielle Dimensionen ins Spiel bringt. Die acht mal zwei Wochen dauernden Kurse, so der Ausbilder, dienen sowohl der persönlichen Selbstklärung als auch der Artikulation des individuellen Glaubens; am Ende des Vikariats sollen „reife“ Persönlichkeiten ordiniert werden. Dezente Inserts, die liturgische Formen („Segen“, „Abendmahl“, „Morgenlob“) identifizieren, vermitteln eine Art Rahmen, innerhalb dessen es dann sehr zielstrebig zu Sache geht: „Warum bist Du hier?“, fragt Wright, „Was ist Abendmahl“?, will er wissen, „Hat mein Leben auch dann einen Sinn, wenn ich ihn nicht spüre?“ Die Art der Antworten auf solche Interventionen und ihre filmische Form verraten viel über die außergewöhnliche dokumentarische

schaffen – sein Glauben und Kunst des Regie-Duos: Es gibt kaum gestanzte Theologensätze, eher stammelnde Versuche, Pausen, intime Nachdenklichkeit. „Pfarrer“ ist ein extrem reicher, vielgestaltiger und zugleich äußerst kurzweiliger Film, der sich mit bewundernswerter Gelassenheit auf seine Protagonisten einlässt und die großen Themen Schuld & Versöhnung, Tod & Vergänglichkeit über die Gespräche hinaus zum Klingen bringt. Weltanschaulich-kritische Exkurse über den Gottesglauben oder die konkrete Gestalten von Religion bleiben außen vor; statt dessen begegnet man einem inspirierten, geradezu swingenden Versuch, das Tun und die individuelle Selbstdeutung der angehenden Pfarrer quasi von innen heraus zu verstehen. Josef Lederle

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Außergewöhnlicher Dokumentarfilm über Erlebnisse und Erfahrungen ostdeutscher Vikare während eines berufsbegleitenden Kurses am Predigerseminar in Wittenberg. Mittels eines mosaikartigen Geflechts aus Bildern und Tönen werden die Menschen wie der Ort zum Sprechen gebracht. Eine extrem reiche, äußerst kurzweilige Annäherung, die auf intime Weise ein differenziertes Bild der angehenden Pfarrer zeichnet und zugleich die großen religiösen Themen von Schuld und Versöhnung, Tod und Vergänglichkeit zum Klingen bringt. - Sehenswert ab 14.

sein Sterben.“ Dieses LutherWort ist ein Glücksgriff für den Film: präzise und offen zugleich.


12 f i l m auf dem katholikentag, freitag 27.5.

Freitag 27.5., 20.00–22.00

Kultur | Film und Gespräch

ZWISCHEN WELTEN

D 2014, Regie: Feo Aladag, 103 Min., FSK 12 Gesprächsleitung: Thomas Bohne OR, Mitglied der Kath. Filmkommission, Leipzig Oberst. Leitgen, Verantwortlicher der Bundeswehr bei den Dreharbeiten in Afghanistan Abuzar Ghaffari, ehem. Sprachmittler in Afghanistan Angefragt: Reservisten-Verband + Bundeswehr: Patenschaftsprogramm der Bundeswehr für afghanische Ortskräfte Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Freitag 27.5., 20.30–23.30

Kultur | Film und Gespräch

ELSEr

D 2015, Regie: Oliver Hirschbiegel, 113 Min., FSK 12. Reihe: Gewissen und Zivilcourage Gesprächsleitung: Prof. Dr. Joachim Valentin, Mitglied der Kath. Filmkommission, Frankfurt/Main Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83 Freitag 27.5., 21.00–22.30

Film und Gespräch

CAFé WALDLUFT

D 2015, Regie: Matthias Koßmehl, 79 Min., FSK o.A. Helene Bosold, Markkleeberg Matthias Koßmehl, Regisseur, München Flora Kurz, Berchtesgaden Teresa Radig, Leonard Schwarz, Eva Zimmermann, Leipzig Themenbereich Jugend | Film und Gespräch Luru Kino in der Spinnerei, Open Air Kino, Spinnereistr.

CAFé WALDLUFT

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Ein Berchtesgadener Traditionshotel beherbergt Menschen aus Syrien, Afghanistan und Sierra Leone, die in Deutschland Asyl suchen. Mit einem grundoptimistischen Blick beobachtet der Dokumentarfilm das interkulturelle Miteinander unter Leitung der Inhaberin, wobei er vor allem auf das Zusammenleben unter den Bedingungen des Wartens abhebt und die Vorstellungen von Heimat als höchst subjektives Konzept enthüllt. Ein angenehm »bescheidener« Beitrag zur Debatte um Asyl und Integration fern von jeder Empörungsrhetorik, aber auch ohne Welterklärungsdrang. – Sehenswert ab 12.

ELSEr – Er HÄTTE DIE WELT VErÄNDErT

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Nach seinem missglückten Attentat auf Adolf Hitler am 8.11.1939 im Münchner Bürgerbräukeller wird der junge Georg Elser an der Schweizer Grenze verhaftet, von der Gestapo gefoltert, um etwaige Mittäter preiszugeben, und schließlich ins KZ Dachau eingeliefert. Das detailreich recherchierte, brillant gespielte Drama blendet immer wieder in die Lebensgeschichte des zunächst sinnes- und lebensfrohen, dann immer stärker zweifelnden Handwerkers von der Schwäbischen Alb zurück, der durch seine Tat den begonnenen Weltkrieg beenden will. In die exemplarische Biografie des Widerstandskämpfers fließen eindrucksvoll Fragen nach der Verantwortlichkeit des Einzelnen gegenüber politischem Unrecht, aber auch nach Schuld und der Bedeutung des Glaubens ein. – Sehenswert ab 14.

ZWISCHEN WELTEN

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Ein deutscher ISAF-Soldat soll mit seiner Einheit ein abgelegenes Dorf in Afghanistan vor den Taliban beschützen, wobei ein junger Afghane als Dolmetscher dient. Der Einheimische gerät wegen dieser Zusammenarbeit ins Fadenkreuz der Taliban, zumal seine Schwester ein Studium begonnen hat. Ein überzeugend inszenierter, in der Hauptrolle eindringlich gespielter Film, fesselnd durch lichtdurchflutete Bilder einer kargen Landschaft, in der ständig Gefahren zu lauern scheinen. In seinem durchaus nachvollziehbaren Bemühen, alle Seiten gerecht auszuloten, greift er auch zu Klischees, Genre-Konventionen und Überdeutlichkeiten. – Ab 16.


13 f i l m auf dem katholikentag, freitag 27.5.

Interview

»Elser hätte die Welt völlig verändert« Gespräch mit Drehbuchautor und Produzent Fred Breinersdorfer über »Elser« Woher kommt es, dass Elser in den offiziellen Geschichten lange Zeit nicht vorkam? Breinersdorfer: Man braucht für Anerkennung und öffentliche Wahrnehmung Fürsprecher, und die hatte er nicht. Er war Einzelkämpfer, hatte keine Gruppe. Und er war Kommunist, was nach dem Krieg auch nicht einfach war. Er hatte deswegen keine Lobby, niemand, der ihn rehabilitierte. Bis sich in Heidenheim ein Arbeitskreis gebildet hat, bis Rolf Hochhuth dann ein »Denkzeichen« aufstellen ließ. Er ist in Vergessenheit geraten, unter anderem weil die Diffamierungen der Nazis inhaltlich nach Ende des Kriegs über Jahrzehnte fortgesetzt worden sind. Maßgeblich auch von Martin Niemöller, der ihn als einen SS-Mann diffamiert hat, der im Auftrag von Himmler die Bombe gelegt hat, um zu beweisen, dass »die Vorsehung« die Hand über Hitler hält. Was historisch absoluter Stuss ist.

Foto: NFP/déjà-vu film /Majestic /Lucky Bird Pictures_Bernd Schuller

Wie kam Niemöller zu so einer Behauptung? Breinersdorfer: Das weiß ich nicht. Da kann ich nur vermuten, dass es viele Gerüchte gab, auch viele Intrigen im KZ. Elser war ein Vorzugshäftling, er hatte zwei Zellen, eine Werkbank, Musikinstrumente. Wie kamen Sie selbst zu Elser? Davon abgesehen, dass Sie ein Spezialist für das Rekonstruieren von historischen Fällen aus Aktenlage sind? Breinersdorfer: Elser ist mir zum ersten Mal im Jura-Studium in Tübingen begegnet, im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Frage des Widerstandsrechts. Er war das Beispiel für den modernen Tyrannenmörder, der für sich in Anspruch nimmt, den Lauf der Geschichte zu kennen und zu ändern. Das fand ich unglaublich anma-

weiter, das war kein Friedensplan. Wenn man fragt, wer wirklich massiv die Weltgeschichte geändert hätte: Es wäre Elser gewesen.

ßend und zugleich faszinierend, es war sehr interessant zu fragen, wie jemand zu so einer Haltung kommt. Seit 2008 arbeiten wir dran...

Wenn Hitler dort gewesen wäre: Wäre er sicher gestorben? Breinersdorfer: Es wären alle gestorben. Goebbels, Heydrich, Himmler, Ley, Frank, die ganze Garde mit Ausnahme von Hermann Göring. Wir haben für den Film im Stuttgarter »Haus des Dokumentarfilms« das Originalmaterial der Wochenschau entdeckt. Da sieht man, was die Wochenschau nicht gezeigt hat: Die Bude war total kaputt. Selbst in der Wochenschau sagt der Kommentar: Es lagen drei Meter Schutt auf der Stelle, wo Hitler geredet hat. Es hätte Hunderte von Toten gegeben, und die ganze Gangstertruppe hätte unter Schutt und Asche gelegen.

Wie fällt für Sie der Vergleich zwischen Elser und anderen Widerständlern aus? Breinersdorfer: Was ich an Elser so schätze, ist, dass er keinerlei eigennützige Motive hatte. Er hat nur und ausschließlich das Blutvergießen verhindern wollen. Das war sein Thema. Er war ein Handwerker und Pragmatiker, dem es ganz praktisch darum ging: Führung weg! Der Widerstand der »Weißen Rose« war intellektuell geprägt und völlig gewaltlos. Mit den Mitteln des Wortes gegen ein terroristisches Regime, das konnte eigentlich nicht gutgehen: Das war eine reine Illusion in so einer verblendeten Gesellschaft. Die Leute um Stauffenberg waren keine in der Wolle gewaschenen Demokraten. Das waren Antibolschewisten, die wollten einen Separatfrieden mit dem Westen und dann gemeinsam gegen die Sowjetunion losziehen. Hitler abservieren – und dann

Wie würde man heute über Hitler und über Elser reden, wenn das Attentat geglückt wäre? Breinersdorfer: Eine hochinteressante Frage. Man kann unglaubliche Möglichkeiten hochrechnen. Ich bin kein Fachhistoriker, aber was klar, ist: Der einzige, der überlebt hätte, wäre Hermann Göring gewesen. Göring war kein Fantast, sondern in seiner sanguinischen Art eher pragmatisch. Er hätte versucht, den Krieg mit Frankreich und England zu beenden. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Nazis konsolidiert hätten, es perspektivisch ein hochgerüstetes, rassistisches Deutschland gegeben hätte, ein Apartheidregime mit Arbeitssklaven. Wie lange sich so ein System in der Mitte Europas gehalten hätte, ist schwer zu sagen. Ein hochgefährliches Deutschland wäre stabilisiert worden. Aber Elsers Plan wäre aufgegangen, und mittelfristig hätte es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben.

Fred Breinersdorfer, geb. 6.12.1946, tätig u.a. als Rechtsanwalt, Drehbuchautor, Schriftsteller und Filmproduzent. Seit den 1980er-Jahren entstanden Kriminalromane, Theaterstücke, Hörspiele sowie zahlreiche Filmdrehbücher, darunter »Sophie Scholl – Die letzten Tage« (2005, Regie: Marc Rothemund). »Elser« entwickelte und produzierte Fred Breinersdorfer mit Oliver Schündler und Boris Ausserer, das Drehbuch verfasste er gemeinsam mit seiner Tochter Léonie-Claire Breinersdorfer.


14 f i l m auf dem katholikentag, sa m stag 28.5.

Kultur | Film

DU SoLLST – DU SoLLST NICHT

Das DEKALOG-Projekt (siehe Freitag, Seite 9) Das jeweils aktuelle Tagesprogramm unter: www.guardini.de Guardini-Stiftung mit Stiftung St. Matthäus Schauburg, Kinosaal 3, Antonienstr. 21 Samstag, 28.5., 12.00–13.30

Kultur | Filmandacht

SUCHEN UND FrAGEN, LACHEN UND KLAGEN

Facetten des Menschseins Im Mittelpunkt des Kinos: der Mensch. Im Fokus von Kirche: Gott. Kino und Kirche in Beziehung setzen: Filmandacht. »Freude und Hoffnung, Trauer und Angst« erfahrbar machen, meditieren, beten und feiern. Dr. Thomas Kroll, Mitglied der Kath. Filmkommission, Hamburg Dr. Christoph Seidl, Seelsorger für Pflegeberufe, Regensburg Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Samstag, 28.5., 14.00–16.00

Kultur | Film und Gespräch

VErFEHLUNG

D 2014, Regie: Gerd Schneider, 95 Min., FSK 12. Reihe: Gewissen und Zivilcourage Bischof Dr. Gebhard Fürst, Geistlicher Assistent des ZdK, Rottenburg/Neckar; Gerd Schneider, Stuttgart; Gesprächsleitung: Dr. Peter Hasenberg, Vorstand der Kath. Filmkommission, Bonn Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83 Katholikentags-Stadtplan: 50 | C7 Ort auf Google Maps | Veranstaltungen an diesem Ort Samstag, 14.00–15.30 Biblisch-Geistlicher Themenbereich | Werkstatt

FILMExErZITIEN

Mit Filmen meiner Sehnsucht auf der Spur P. Christof Wolf SJ, Dramaturg, München Anton-Philipp-Reclam-Schule, 2. OG, Raum 02.206, Tarostr. 4 Samstag, 16.30–18.30

Kultur | Film und Gespräch

FrEISTATT

D 2015, Regie: Marc Brummund, 104 Min., FSK 12 Marc Brummund, Regisseur, Hamburg Wolfgang Rosenkötter, Hauptperson des Films, Hamburg Rüdiger Scholz, Bethel Kinder- und Jugendhilfe, Diepholz Gesprächsleitung: Michael Jäger OR, Leipzig Schauburg, Kinosaal 1, Antonienstr. 21 Samstag, 16.30–18.30

GErDAS SCHWEIGEN

Kultur | Film

D 2008, Regie: Britta Wauer, 92 Min., FSK 6 Einführung: Thomas Bohne, OR, Mitglied der Katholischen Filmkommission. Cineding, Kinosaal, Karl-Heine-Str. 83

VErFEHLUNG

Aus dem Inneren „Verfehlung“ ist ein Film aus dem Inneren – dem des Protagonisten, der katholischen Kirche, des SpielfilmDebütanten Gerd Schneider, der vor dem regiehandwerk selbst Priesteramtskandidat war. Noch vor allen Bildern hört man den Protagonisten aus dem Off beim Stundengebet, das sich, fragmentarisch gebrochen, immer wieder hörbar in den Lauf der Handlung schiebt. Erst dann öffnet sich in der schwarzen Leinwand eine schmale Spindtür, durch die man den Priester Jakob sieht, wie er sich für ein Fußballspiel mit seinen Freunden Dominik und Oliver umkleidet. Die beiden sind ebenfalls Priester; der eine macht gerade Karriere in der Bistumsverwaltung, der andere leitet eine Gemeinde in einer Hochhaussiedlung, Jakob ist Gefängnispfarrer. Drei sympathische, umgängliche Männer, die sich Gott und den Menschen, aber auch der katholischen Kirche zutiefst verbunden fühlen. Bis die Polizei Dominik verhaftet; er soll einen Jungen sexuell missbraucht haben. Beeindruckend konsequent skizziert der Film die Handlung zunächst aus der Sicht von Jakobs Verdacht, ohne darüber in eine reine IchPerspektive abzugleiten. Denn es geht dem Regisseur in gewisser Weise um alle drei Figuren und über sie um das System Kirche, in das sie eingebunden sind. Als sich der Anfangsverdacht nicht weiter bestätigt, Dominik freigelassen wird und an seine alte Wirkungsstätte

zurückkehrt, will Jakob nicht so tun, als sei nichts gewesen. Er kommt anderen Missbrauchsfällen auf die Spur und erkennt, dass Dominik auch früher schon sexuell übergriffig war. Doch Oliver und der Kardinal speisen ihn mit dem Verweis auf das Ansehen der Kirche ab und versuchen, den Skandal mit Geld unter den Tisch zu kehren. Jakob aber stellen seine Erkenntnisse vor eine einsame Entscheidung. Sebastian Blomberg verleiht diesem zwischen Freundschaft, Loyalität und moralischer Aufrichtigkeit Hin- und Hergerissenen eine gequält-grüblerische Dimension, wie es auch den beiden anderen Darstellern, Jan Messutat und Kai Schumann, überzeugend gelingt, ihre Figuren jenseits aller Schablonen aus Fleisch und Blut zu konturieren. Die Vertrautheit des Regisseurs mit dem Stoff spielt hier sicherlich eine große Rolle, wie auch das Fehlen kirchentypischer Klischees und „genre“immanenter Elemente sehr positiv auffällt. Die große Stärke des Films bedingt in gewisser Weise allerdings auch seine Schwäche. Im Bemühen, die Eigenart der kirchlichen „Schweigespirale“ darzustellen, die interne Missstände oder Vergehen so lange es geht ignoriert oder schlimmstenfalls so kanalisiert, dass nichts nach außen dringt, verliert sich das anfangs so stringente Drama zunehmend in Nebenfiguren und -schauplätzen, die Jakobs Ringen um ein angemessenes Verhalten zu einem Thema unter vielen machen. Josef Lederle

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Die Freundschaft dreier katholischer Priester gerät unter extremen Druck, als einer von ihnen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch inhaftiert wird. Als sich die Vorwürfe erhärten, will der eine Freund die Angelegenheit unter den Tisch kehren, während der andere mit einer Strafanzeige ringt. Das visuell und inszenatorisch sehr ambitionierte Drama fokussiert auf den Zwiespalt zwischen Freundschaft, Loyalität und moralischer Integrität, lässt aber auch die Opfer und ihre Angehörigen nicht außen vor. Hervorragend gespielt und recherchiert, überzeugt der Film durch seinen differenzierten Blick auf den kirchlichen Umgang mit dem Missbrauchsskandal. – Sehenswert ab 14.

Foto: Camino

Samstag, 28.5., 11.00–22.00


15 f i l m auf dem katholikentag, sam stag 28.5.

Statement

An den Grenzen von Glauben, Moral und Ethik Gerd Schneider über seinen Film „Verfehlung“

6 x FILMDIENST

Gert Schneider im Interview über seiner Film „Verfehlung“: Ich wollte keinen Film machen, bei dem man plötzlich entdeckt: Huch, hier ist ein „fauler Apfel“, was machen wir denn jetzt? Das Thema ist bekannt, nicht erst seit gestern. Ich wollte vielmehr den Umgang oder besser: den Nicht-Umgang oder auch den unterschiedlichen Umgang innerhalb der katholischen Kirche zeigen. Ich wollte keinen Film über Täter oder Opfer oder über den Missbrauch an sich. Der ist schlimm, ganz klar – aber das passiert, ehrlich gesagt, in Familien viel häufiger. Auch in geschlossenen Systemen wie Schule, Internat, ob die jetzt christlich geführt sind oder nicht, auch in Kasernen, bei Sportvereinen, beim Fußball. Mittlerweile wird Gott sei Dank viel darüber diskutiert. Mich hat die Kluft interessiert zwischen dem Anspruch der katholischen Kirche an Glauben, Moral und Ethik und der Erkenntnis, dass so etwas in den eigenen Reihen stattgefunden hat. Mir ging es darum, zu zeigen, dass jemand, der innerhalb des katholischen Systems als Priester tätig ist, einer, der eigentlich das moralische Rüstzeug hat, in die Situation gerät, dass sein enger Freund und Kollege betroffen ist.


16 f i l m auf dem katholikentag, sa m stag 28.5.

FrEISTATT

Gewalt und Demütigungen GErDAS SCHWEIGEN

kriegen lassen wie die anderen. Doch als er später gerettet zu sein scheint, merkt er, wie ihn die Erfahrungen des Internats geprägt und aus ihm einen Menschen gemacht haben, der er nie sein wollte. „Freistatt“ wählt den größtmöglichen Kontrast, um über die katastrophale Lage der Jugendlichen zu erzählen. Während in der Welt jenseits der Diakonie Aufbruchsstimmung herrscht, persönlich wie politisch, indem überall die Wahlkampagne von Willy Brandt zitiert wird, ist in dem Internat von dem Freiheitsgedanken nur ein schwacher, verzweifelter Widerhall zu spüren. Die Inszenierung tut gut daran, die Rolle der Religion nicht künstlich überzubewerten. Zwar tauchen immer wieder Kreuze auf, und auch die zahlreichen Gegenlichtaufnahmen tragen etwas von einer mystischen Stimmung in sich, aber als Kirchenschelte taugt der Film nur bedingt. Vielmehr klagt er allgemein an, dass in der ehemaligen Bundesrepublik bis in die 1960er-Jahre tatsächlich 300.000 Jugendliche in dieser und ähnlichen kirchlichen oder staatlichen Einrichtungen unter dem Deckmantel der so genannten Jugendfürsorge „erzogen“ wurden. Stefan Stiletto Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Ein aufmüpfiger 14-Jähriger wird 1968 in ein diakonisches Fürsorgeheim südlich von Bremen gesteckt, in dem arbeitslagerähnliche Zustände herrschen. Als er gegen die physische wie psychische Misshandlung aufbegehrt, verschlimmert sich seine Lage. Das wuchtige, mitunter recht drastische Drama macht die Erziehungsmethoden der Schwarzen Pädagogik intensiv spürbar und verdeutlicht, wie Schläge und Demütigungen neue Gewalt erzeugen und autoritäre Strukturen den Sinn und die Befähigung für Freundschaft und Loyalität zersetzen. Der wichtige Zeitbezug vor dem Hintergrund der Studentenunruhen tritt dabei etwas zu sehr in den Hintergrund. – Sehenswert ab 14.

Stellungnahme der Katholischen Filmkommission für Deutschland: Die Biografie einer Frau, deren uneheliche Tochter in Auschwitz verhungerte, weil sie sie nicht Stillen konnte, und die deren Existenz beinahe 40 Jahre verschwieg. Der Dokumentarfilm nähert sich der exemplarischen Opfergeschichte mit einer Vielzahl von Archivmaterial und Privataufnahmen und schafft ein filmisch wie auch musikalisch eindrucksvolles Äquivalent zur psychologischen Komplexität der Geschichte seiner Protagonistin, auch wenn er dabei Brüche und einige offene Fragen in Kauf nimmt. – Ab 16.

Fotos: Edition Salzgeber/Piffl Medien

Ein leuchtend rotes Mofa, ein Teenager ohne Helm, mit schnittiger Frisur und etwas längeren Haaren, dazu ein heulender markanter Gitarrenriff – die ersten Takte von Status Quos „Pictures of Madstick Men“. Die Bilder sind gelbstichig und erinnern durch ihre Unschärfen an alte Fotos. Mal tobt Wolfgang mit seiner Mutter ausgelassen am Strand, mal fährt er durch die Straßen. Ein Hauch von Freiheit liegt über der Szene, von Glück und Rebellion. Es ist das Jahr 1968. Kurze Zeit später wird Wolfgang von seinem Stiefvater erst brutal verprügelt und dann in ein Internat für schwer erziehbare Jugendliche gesteckt. Von einem freiheitlichen Geist ist in der Diakonie Freistatt nichts zu spüren. Die Einrichtung ist vielmehr ein Relikt faschistischer Erziehungsprinzipien. Auch das ist noch Realität in der Bundesrepublik der späten 1960er-Jahre. „House of the Rising Sun“, singt Wolfgang dem Hausvater der Diakonie vor. Zu Beginn scheint der alte Hobbygärtner ganz nett zu sein. Das Dossier über Wolfgangs Fehlverhalten in den vergangenen Monaten – Erziehungsheim, aggressives Verhalten, Lügen – verwirft er sofort. Das Leben in Freistatt wird einen neuen Menschen aus ihm machen. Wie sich schnell zeigt, jedoch nicht durch Einfühlungsvermögen, sondern durch harte Arbeit beim Torfstechen im niedersächsischen Moor, durch Schikanen, Demütigungen und körperliche Gewalt. In prägnanten Szenen macht Marc Brummund die Mechanismen der Macht und die perverse Logik der Schwarzen Pädagogik sichtbar, die das Strafen nicht als Sadismus erscheinen lassen soll, sondern als notwendige Aufgabe, die dem Zögling trotz aller Schmerzen und Demütigungen hilft und auch für den Strafenden eine Qual ist. Werte wie Freundschaft und Solidarität haben in diesem autoritären System keinen Platz und werden konsequent zersetzt. Bei Wolfgang allerdings weckt dies zunächst nur noch mehr Aggressionen. Er bäumt sich auf, er kämpft und will sich nicht unter-


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