Die Presse: Produktversprechen kritisch betrachten

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MITTWOCH, 19. OKTOBER 2022

COMPLIANCE

„Produktversprechen kritisch betrachten“ Im Gespräch. Der für Compliance zuständige fwp Partner Stefan Adametz und fwp Rechtsanwalt Peter Blaschke über Produkt-Compliance, Whistleblower und die Auswirkungen der Russland-Sanktionen auf Unternehmen. Was werden in den kommenden Monaten beziehungsweise im kommenden Jahr die größten Herausforderungen für Unternehmen in Sachen Compliance?

Stefan Adametz: Zunächst muss man sagen, dass die ComplianceErfordernisse und die Anforderungen an die Unternehmen von Branche zu Branche unterschiedlich sind, so dass manche Branchen in den kommenden Monaten mit größeren Herausforderungen zu kämpfen haben werden als andere. Ganz generell werden natürlich weiterhin Kartellrecht, Antikorruption oder Datenschutz zu den vorrangigen Compliance-Themen gehören. Mit der Umsetzung der europäischen Whistleblowing-Richtlinie in österreichisches Recht – Stichwort HinweisgeberInnenschutzgesetz – sowie mit der europäischen Lieferkettenrichtlinie und den verschiedenen nationalen Lieferkettengesetzen kommen auf die österreichischen Unternehmen jedoch aus meiner Sicht große (wenn nicht sogar die größten) Herausforderungen zu. Aber auch die Sanktionen beispielsweise gegen Russland oder den Iran werden die Unternehmen in den nächsten Monaten beziehungsweise Jahren wohl noch begleiten. Darüber hinaus wird jener Bereich, welcher als Produkt Compliance bezeichnet werden kann, nämlich die Einhaltung produktbezogener Vorschriften, über die gesamte Lebensdauer eines Produkts allgemein noch mehr an Bedeutung gewinnen. Innerbetrieblich werden die Unternehmen natürlich ihre Prozesse beziehungsweise ihr Compliance-Management anpassen und überarbeiten müssen.

Welche Anforderungen stellen die EU-Sanktionen gegen Russland an eine Compliance-Abteilung?

Peter Blaschke: Grundsätzlich ist das Thema Sanktionen nicht neu. Sanktionen gab es schon immer. Seit der Annexion der Krim gab es auch bereits Sanktionen gegen Russland. Seit der Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 hat das Thema aber einen bis dato ungeahnten Umfang angenommen. Wir halten nunmehr bereits beim achten Sanktionspaket. Die Sanktionspakete wurden zu Beginn fast im Tagestakt und danach im Wochentakt verabschiedet. Das war eine rasante Entwicklung, in der sich vor allem auch die Komplexität der Sanktionen massiv erhöht hat. Man kann sagen, dass man einen weitgehend neuen Rechtsbereich vor sich hat, der sich dadurch auszeichnet, dass es mit Ausnahmen der FAQs der Kommission kaum Literatur dazu gibt, geschweige denn Judikatur. Der Rechtsanwender ist daher weitestgehend auf sich alleine gestellt. Hält man sich vor Augen, dass ein Verstoß gegen Sanktionen mit zum Teil drastischen Strafdrohungen verbunden ist, ergibt das eine explosive Mischung. Die Compliance-Abteilung hat hier eine besondere Verantwortung, durch diesen Dschungel zu navigieren. Für Compliance-Abteilungen bedeutet das daher, dass sie alles daran setzen müssen, bei diesen Entwicklungen nicht den Anschluss zu verlieren. Es ist de facto unabdingbar, wenn nicht täglich, so doch zumindest wöchentlich zu prüfen, ob weitere Sanktionen erlassen wurden und welche Personen und Unternehmen von den Sanktionen erfasst sind. Dies kann zum Beispiel durch Einsicht in das elektronische Amtsblatt der EU erfolgen. Keinesfalls darf man sich darauf verlas-

Peter Blaschke (l.) ist Wirtschaftsanwalt bei fwp mit einem starken Fokus auf M&A, Übernahmerecht und Schiedsverfahren. Equity Partner Stefan Adametz ist auf die Bereiche Compliance, Produktlebenszyklus/E-Commerce sowie Life Science und Health Care spezialisiert. [ Daniel Nowotny ]

sen, dass ohnehin alle Sanktionen auch medial breit publik gemacht werden. Erforderlich ist auch, dass die Compliance Abteilungen ihren Blick für mögliche Sanktionsverstöße schärfen. Diese lauern oft versteckt. So kann es etwa schon ausreichen, wenn eine Transaktion mit einem Unternehmen vorliegt an dem in letzter Konsequenz der russische Staat oder eine sanktionierte Person beteiligt ist. Dazu kommt, dass seit dem achten Sanktionspaket auch Personen, die Sanktionen verletzen, selbst zu sanktionierten Personen werden können. Soweit es sich daher nicht bereits um bekannte Vertragsparteien handelt, ist es nun erforderlich, für jeden Neukunden eine Art KYC-Prüfung (Know Your Customer) durchzuführen, die sich mit diesen Fragen beschäftigt.

Stichwort Whistleblowing-Richtlinie: Was kommt nach der Umsetzung auf die österreichischen Unternehmen zu?

Blaschke: Betonen muss man zu Beginn, dass das die Richtlinie umsetzende HinweisgeberInnenschutzgesetz in Österreich im Sommer erst in der Begutachtung war und jetzt die entsprechenden Stellungnahmen ausgewertet werden. Also, dass das Gesetz noch nicht beschlossen ist. Vermutlich wird sich aber an den grundsätzlichen Eckpunkten des Entwurfs nicht mehr viel ändern. Das bedeutet, dass – nach derzeitigem Stand – beispielsweise Unternehmen sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts mit mindestens 50 Mitarbeitern eine interne Meldestelle für Hinweisgeber einrichten müssen. Eine solche Meldestelle müssen unabhängig von der Mitarbeiteranzahl auch juristische Personen einrichten, die beispielsweise im Bereich Finanzdienstleistungen, Verkehrssicherheit oder Umweltschutz tätig sind. Meldungen müssen schriftlich oder mündlich möglich sein. Die Bearbeitung von Meldungen muss nach einem transparenten Verfahren erfolgen (also zum Beispiel festgelegter Zeitraum, innerhalb dessen eine Bestätigung des Erhalts oder eine

Bearbeitung erfolgen muss). Die Identität der Hinweisgeber ist intern geheim zu halten. Alle eingehenden Hinweise sind zu dokumentieren und personenbezogene Daten sind zumindest 30 Jahre aufzubewahren usw. Adametz: Auf die Unternehmen kommt dadurch jedenfalls neben erhöhten finanziellen Belastungen (beispielsweise für die Einrichtung und Abwicklung der entsprechenden Systeme) auch ein gröberer Verwaltungsaufwand zu. Allerdings können interne Meldestellen auch von Dritten – zum Beispiel Rechtsanwälten – für das Unternehmen betrieben werden.

Stichwort Produkt-Compliance: Was ist damit genau gemeint?

Adametz: Der Begriff Compliance gewinnt auch bei Herstellern in der produzierenden Industrie beziehungsweise im Handelsbereich zunehmend an Bedeutung. Jedes Unternehmen, das Produkte herstellt, importiert, oder handelt und letztlich am Markt bereitstellt, also in Verkehr bringt, ist dafür verantwortlich, dass sein Produkt sämtlichen behördlichen und gesetzlichen Anforderungen entspricht. Und gerade Produkte stehen im Mittelpunkt zahlreicher regulatorischer Anforderungen wie dem Produkthaftungsgesetz, Zulassungsbestimmungen oder Kennzeichnungsvorschriften. Die Ermittlung, Umsetzung, nachhaltige Einhaltung der Anforderungen an die Produktkonformität, sowie ein entsprechendes regulatorisches und normatives Wissen sind daher erforderlich. Dieser Bereich ist das, was mit Produkt-Compliance gemeint ist. Gerade in Europa, beziehungsweise auch in Österreich werden sehr hohe Anforderungen an die Produktkennzeichnung gestellt, egal ob es Lebensmittel oder sonstige Produkte betrifft. Darüber hinaus spielen allerdings auch markenrechtliche Fragen, sowie Fragen zur Altgeräteentsorgung oder welche Vorschriften beim Inverkehrbringen zwingend einzuhalten sind, eine große Rolle und haben weitreichende Folgen im Scha-

densfall. All dies gilt es im Rahmen der Produkt-Compliance zu vermeiden. Produkt-Compliance hat allerdings als eigenständige Fachdisziplin innerhalb der Compliance-Community noch nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erfahren. Da auch die Vorschriften rund um die Produktzulassung beziehungsweise den Vertrieb künftig vermutlich strenger und umfassender werden, sollten Produzenten und Handelsunternehmen meines Erachtens dem Produkt-Compliance-Management mehr Platz und Aufmerksamkeit einräumen. Dazu kommt: Der Fokus der gesellschaftlichen Werte und Normen verändert sich und damit die Erwartungen der Kunden an die Produkte und Leistungen von Unternehmen. Hersteller sollten ihre Produktversprechen deshalb kritischer denn je betrachten. Wer sie nicht erfüllt oder gegen Anforderungen und Gesetze verstößt, gefährdet seinen unternehmerischen Erfolg. Hohe Strafzahlungen und Reputationsschäden können die Folge sein. Zusammengefasst erwarten wir, dass künftig auch dieser Bereich viel mehr Aufmerksamkeit erfahren wird.

Sie haben die Lieferkettenrichtlinie der Europäischen Union angesprochen. Wie ist hier der aktuelle Stand beziehungsweise was wird auf die Unternehmen zukommen?

Adametz: Im Februar 2022 hat die Europäische Kommission einen Entwurf für die sogenannte EU-Lieferkettenrichtlinie veröffentlicht. Nach dem Entwurf sollen Unternehmen verpflichtet werden, in ihrer gesamten Wertschöpfungskette eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen, sowie Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsaspekte in ihre Geschäftsstrategie mit einzubeziehen. Durch bestimmte Sorgfaltspflichten (verpackt beispielsweise in Leitlinien, die Vertragsgestaltung oder Kontrollen) soll die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards über die volle Lieferkette gewährleistet werden. Verstöße des Unternehmens oder ihrer Lieferanten sollen zu zivilrechtlicher Haf-

tung und verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen führen können, sofern keine Maßnahmen gegen Missstände ergriffen werden. Blaschke: Nach derzeitigem Stand wären von den Bestimmungen vor allem große europäische Kapitalgesellschaften betroffen. Zwar sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aktuell ausgenommen, in der Praxis wären sie jedoch beispielsweise als Zulieferer betroffen, weshalb die Richtlinie auch indirekt Auswirkungen auf KMU hätte. Die Richtlinie wird voraussichtlich frühestens Ende 2023 beziehungsweise 2024 in Kraft treten. Allerdings gibt es bereits in einigen Ländern wie Deutschland (dort tritt es 2023 in Kraft), aber auch in Frankreich, in den Niederlanden, in Großbritannien, Australien, oder den USA nationale Lieferkettengesetze mit ähnlichen Vorgaben/Zielen wie jenen der geplanten Richtlinie. Vor allem vom deutschen Lieferkettengesetz können österreichische Unternehmen als Lieferanten deutscher Importeure mittelbar mit den Vorgaben des Lieferkettengesetzes betroffen sein. Die Verpflichtungen werden dabei nicht nur große Unternehmen treffen, sondern auch kleine und mittlere Zulieferer, welche von ihren deutschen Kunden zur Einhaltung sozialer und umweltschutzrechtlicher Bestimmungen verpflichtet werden. Dies kann als vertragliche Auflage, oder als verpflichtende Einhaltung eines Code of Conducts umgesetzt werden. Adametz: Unserer Einschätzung nach wird die Bedeutung und die Anforderung an die LieferkettenCompliance in Zukunft deutlich zunehmen. Unternehmen sollten daher künftig neben der bereits angesprochenen Produkt-Compliance auch Themen der Lieferkette nicht mehr außer Acht lassen, weil künftig empfindliche Strafen, oder der Verlust von Geschäftspartnern bei Nichteinhaltung drohen. INFORMATION Die Seite entstand mit finanzieller Unterstützung von Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH.


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