Überwachung
Hört zu!
Für eine entspanntere Sicht auf den Überwachungsstaat im Allgemeinen und den »NSA-Abhörskandal« im Speziellen. Plädoyer eines bekennenden Paranoikers.
W
ir dürfen gespannt sein, was der amerikanische Geheimnisverräter, Spion oder Aufdecker Edward Snowden – wie immer man ihn bewerten will – noch zu veröffentlichen hat. Nahezu wöchentlich wartet der ehemalige Mitarbeiter von Booz Allen Hamilton, einer amerikanischen Sicherheitsfirma, die für CIA und NSA arbeitet, mit neuen Enthüllungen auf. Dass es sich dabei keineswegs nur um technische Details handelt, zeigt die öffentliche Resonanz auf diesen kleinen, schmächtigen Mann mit den Augenringen. Die wenigen Bilder, die es von ihm gibt, das wochenlange Versteckspiel. Schon jetzt hat er den bis dato bekanntesten Geheimnisverräter Julian Assange in den Schatten gestellt. Snowden hat, dieses Oxymoron sei erlaubt, einen öffentlichen Geheimdienst geschaffen. Er zeigt uns allen, die wir das eigentlich nicht sehen sollten, was in den großen Geheimdiensten der Welt inzwischen möglich ist und gemacht wird. Die Überwacher werden plötzlich von einer alarmierten Öffentlichkeit überwacht, sie müssen sich rechtfertigen und in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aussagen. Weitere Enthüllungen sind angekündigt und werden wohl zu einem Umdenken über Aufgaben und Rechte der Geheimdienste führen. Doch es wird auch der Punkt kommen, wo sich die Verehrung und Verklärung von Edward Snowden wieder relativieren wird. Im Moment genießt er die Sympathien, die ihm als kleinem amerikanischen David zufliegen. Ihm, der es mit dem mächtigen Goliath USA aufnimmt. Ihm, der den amerikanischen Präsidenten in die Bredouille bringt und nun mit Hilfe des deutschen Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele die deutsche und damit auch europäische Politik aufmischt. Kaum mehr ein Land, in dem es nicht zahlreiche Forderungen gibt, Snowden Asyl zu gewähren. Sogar Österreichs Vizekanzler Michael Spindelegger könnte sich das vorstellen.
Spionage trifft Fahrlässigkeit Einiges von dem, was passiert, ist ein Medienhype, die logische Folge davon, dass Politiker offensichtliche Fehler gemacht haben. Diese sollen hier ebenso wenig kleingeredet werden wie das unglaubliche Ausmaß der Überwachung. Ein paar Aspekte werden allerdings bei all der Empörung übersehen: Dazu gehört zuallererst die Unfassbarkeit, dass Angela Merkel und viele andere Spitzenpolitiker zwar ein abhörsicheres Handy besitzen, aber wohl doch lieber mit dem normalen Zweithandy telefonieren. Der deutsche Noch-Wirtschaftsminister Philipp Rösler gab sogar zu: »Jeder weiß, dass wir unsere privaten Telefone benutzen, obwohl es verboten ist.« Die abhörsicheren Geräte seien zu langsam und zu umständlich. Eine Fahrlässigkeit sondergleichen. Die österreichischen Politiker haben den dankbaren Vorteil, dass ihre politische Dimension zu unbedeutend ist, als dass irgendwer eindrücklich nachgefragt hätte, wie es eigentlich die nationale Staatsspitze
6 /// Fazit Dezember 2013
hält. Das Büro des Bundeskanzlers hat knapp dementiert, dass Faymann abgehört wurde. Vor wenigen Tagen hat das Innenministerium zumindest Ermittlungen gegen die NSA aufgenommen. Als sicher gilt, dass die Amerikaner in der Wiener Pötzleinsdorfer Straße einen Nachrichtendienst betreiben. Ob dort tatsächlich Abhöraktionen stattfinden, gar Glasfaserkabel angezapft werden, ist Spekulation. Diese vom Format erhobenen Vorwürfe hat die amerikanische Botschaft in Wien verneint. Laut Profil könnte die Abhörstation aber auch am wichtigen Webknoten »Vienna Internet Exchange« zu lokalisieren sein.
All diese eventuellen Überwachungstätigkeiten müssen untersucht und aufgeklärt werden, weil sie ohne politisches Mandat unethisch und freiheitsfeindlich sind. Aber Geheimdienste sind grundsätzlich dazu da, Geheimnisse auszuspähen und die Ergebnisse zu nutzen, wenn es notwendig ist. Die Digitalisierung aller Kommunikation hat die sympathischen Beschattungen im Trenchcoat, wie sie in alten James-Bond-Filmen noch vorkommen, leider überflüssig gemacht. Nicht aber die Notwendigkeit gezielter Überwachung. Da sich viele Verbrechen – bis hin zum Terrorismus – inzwischen ausschließlich auf digitalen Kanälen abspielen, braucht es irgendeine Form der Rasterfahndung, weil ein Anfangsverdacht sonst überhaupt nicht zustande kommt.
Was bei der Staatssicherheit der DDR (Stasi) noch völliger Irrsinn war – die detaillierte und flächendeckende Überwachung von Bürgern ohne Grund – ist mit dem Internet notwendig geworden. Die aufgeregte Empörung mancher Politiker ist scheinheilig. Zum einen sind die technischen Möglichkeiten der Überwachung längst bekannt. Selbst uninteressierte Zeitgenossen dürften dank des ein oder anderen Actionfilms geahnt haben, was inzwischen möglich ist. Zum anderen darf man nicht vergessen, wie sehr die Amerikaner noch immer von 9/11, dem Attentat auf das World Trade Center, geprägt sind, dem wohl tragischsten Versagen westlicher Geheimdienste in der jüngeren Geschichte. Hinzu kommt, dass schon seit 2002 bekannt ist, dass die NSA technisch in der Lage zur vollständigen Überwachung ist, aber bei weitem nicht fähig, diese Daten substanziell auszuwerten. Schließlich kommt es täglich zu schätzungsweise über zwei Milliarden E-Mail- und Telefongesprächen. Spionage ist mindestens so alt wie die Prostitution, das sprichwörtlich älteste Gewerbe der Welt, weil sie das zwangsläufige Pendant zu Intrigen und Terrorismus ist. Es ist schon richtig, dass die aktuell bekannt gewordenen Techniken einen Generalverdacht gegenüber jedem Bürger entsprechen, aber nur durch die Auswertung aller verfügbaren digitalen Daten lassen sich die sicherheitsrelevanten finden. Man muss der These von »Sicherheit als Supergrundrecht« nicht zustimmen, um diese Notwendigkeit