Fazit 185

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Alles Kultur

Documenta 15

Globaler Süden

Kassel, hier der Friedrichsplatz mit dem Fridericianum, lässt sich auch ohne Documenta gut besuchen!

Das noch etwas nachkommen könnte, lag in der Luft, und prompt kam es auch. Kalkül? Berechnung? Unwissenheit? Naivität? Alles würde man akzeptieren, nur nicht das, was dann geschah.

Fragwürdiger Umgang mit Antisemitismus Frank Walter Steinmeier wollte gar nicht kommen und hat dann schweren Herzens doch eröffnet, um mitzuteilen, dass Antisemitismus in Deutschland keine Chance hat. Was war passiert? Auf einem der angebrachten Banner, der auf die Säulen des heiligen Zentrums der Ausstellungsstadt Kassel, dem Fridericianum, angebracht wurde, war eine Karikatur, die vornämlich antisemitische Lesart ermöglicht auszumachen. Proteste wurden laut, schnell wurde wieder abgehängt. Man hat sich sofort entschuldigt, es gab einen Rücktritt und im vorauseilenden

Gehorsam wurde eingeleitet, was in diesem Falle immer eingeleitet wird. Es gibt schon Routine im Umgang mit »Cancel Culture«. Die dafür verantwortliche indonesische Künstlergruppe »Taring Padi« verlautbarte natürlich, sie setze sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt ein, teilte das Künstlerkollektiv in der Mitteilung der Documenta mit: »Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen.« Jedoch war da der Zug schon abgefahren. Ohne Möglichkeit einer wirklichen intellektuellen Auseinandersetzung gab es die üblichen Statements zum Thema. Schade eigentlich. Eine Debatte über Debattenkultur wäre dienlich gewesen. Eine Auseinandersetzung über Sichtweisen, eine offene Befragung des verantwortlichen Kollektivs oder eine Begleitung der Arbeit im Sinne

klassischer Kulturvermittlung wäre eine praktikable Lösung gewesen und hätte der Sache gutgetan. Stattdessen waren alle perplex und reagierten, als wäre alles orchestriert. Cancel Culture überdeckt in altbekannter Manier die Diskussion, und das ausgerechnet in einer Documenta, die sich neu erfunden hat und in der – so zumindest theoretisch – Diskurs und nicht Werk im Vordergrund stehen sollten. Besucher der heurigen Documenta sei anzuraten, sich intensiv vorab mit dem Zeitraum zu beschäftigen, in dem sie in Kassel anwesend sein werden, und sich im Vorfeld einzulesen. Es gibt häufig wenig zum Schauen, aber viel zu interpretieren. n Die Documenta Fifteen (Fünfzehn) findet noch bis 25. September 2022 statt. documenta.de dodumenta-fifteen.de FAZIT AUGUST 2022 /// 81

Fotos: C. Rappel, Documenta, Nicolas Wefers

Die alle fünf Jahre stattfindende Documenta in Kassel gilt eine der bedeutendsten Kunstausstellungen der Welt. Als Zeichensetzer und Zeichengeber. Als Demograf und Demoskop. Dass es diesmal (wieder einmal) unrund läuft, tut der Sache nur gut.


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