Alles Kultur Erwin Wurm im Museum für angewandte Kunst (Mak)
Verfall oder Entgrenzung Von Andreas Pankarter
U Museum als Zentrum in diesem wunderschönen Ensemble einen belebten und gesellschaftsrelevanten Ort zu schaffen. Die Themenbereiche des Volkskundemuseums haben sich verändert, wir sind nun inhaltlich deutlich in die Gegenwart gerückt. Diese Chance hat sich durch die Steiermark Schau ergeben, an der wir mit dem Beitrag »wie es ist« beteiligt sind. Natürlich kann man die Gegenwart nur mit Bezügen zur Vergangenheit umfassend betrachten, die bisherigen Themen und Schwerpunkte in unserer wertvollen Sammlung bleiben deshalb unser wichtiger Schatz, der auch weiterhin präsentiert werden soll. Außerdem bildet das Volkskundemuseum gemeinsam mit dem Österreichischen Freilichtmuseum Stübing eine Abteilung, wodurch wir an zwei Standorten eine große Bandbreite abdecken. Beiden Häusern ist derselbe Auftrag wichtig, nämlich das Leben der Menschen zu dokumentieren, die schönen und die herausfordernden Facetten der jeweiligen Lebenswelten zu zeigen und auf die Fragen der Zeit zu reagieren.
Öffnung, was bedeutet das nun konkret? Die Öffnung des Volkskundemuseums beschäftigt uns in mehrfacher Hinsicht. Der wichtigste Aspekt ist, das Museum als Ort für Wissensvermittlung und Diskurs noch mehr aufzumachen. Einerseits meine ich damit neue Zielgruppen, wir »
nter dem Titel »Dissolution« präsentiert Erwin Wurm in einer dramaturgischen Anordnung erstmals Skulpturen der gleichnamigen Serie aus den Jahren 2018–2020 im musealen Kontext. Die plastische Masse aus Ton formte Wurm zu deutenden Händen, Mündern, Ohren oder anderen Fragmenten von Körperteilen, die mit den Sinnen Tasten, Hören, Riechen und Schmecken assoziiert werden. Die englische Bezeichnung »Dissolution« bedeutet Auflösung, Verfall, Zersetzung oder Entgrenzung. Mit seiner Serie öffnet Wurm einen Dialog zwischen soziopolitisch konnotierten Material, zeitgenössischer Skulpturensprache und der Neuinterpretation des Malerischen durch oszillierende keramische Lasuren. Die Skulpturen, aus denen sich Finger, Hände und ander Körperteilchen schieben, schrauben sich aus einer Masse von Ton. Die experimentellen, surrealen Gebilde aus isolierten Körperteilen und Sinnesorganen gewinnen ein Eigenleben, ihre Volumina entwickeln expressive Präsenz. Erwin Wurms skulpturale Körperseg-
mente nehmen die einzelnen Räume und Salons des Geymüllerschlössels von der Eingangshalle, der Bibliothek, dem Musikzimmer, dem Kuppelsaal, dem Schlafzimmer bis zum Orientzimmer ein und schaffen »Tableaux vivants«. Die Arbeiten, die an abstrakte Charaktere denken lassen, spiegeln Dekonstruktionen, Deformationen, Verzerrungen, Verdrehungen sowie Auflösung und Verfall wider. In den Formen verbindet der Künstler Realismus und Abstraktion. Die Besucher erwartet eine Inszenierung aus facettenreichen Gesten eines imaginären Rollenspiels, bei denen die abstrakten skulpturalen Formen figurative, menschliche Züge annehmen. Im Garten des Schlössels laden Erwin Wurms Skulpturen aus Carrara-Marmor als Diwane quasi zum Sitzen ein. Die eingedrückten oder gequetschten Skulpturen »Sitting on Freud’s House« (2020) und »Sitting on Friedrich Nietzsche« (2020) spannen einen weiten Bogen zur Rolle des Künstlers, unsere Welt kritisch zu beleuchten und zu verzerren. Zu sehen bis 21. Dezember dieses Jahres in der MAK-Expositur Geymüllerschlössel. n Erwin Wurm. Dissolution Bis 21.12.2021 Museum für angewandte Kunst (Mak) Geymüllerschlössel 1180 Wien Pötzleinsdorferstraße 102 mak.at
FAZIT JUNI 2021 /// 79