Fazit 145

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Am liebsten würde ich ewig leben. Ich finde, der Tod ist die größte Frechheit, die man einem Menschen zumuten kann. Christine Nöstlinger, Schriftstellerin, 1936–2018

Wettbewerbsnachschau

Bachmannpreis für Eilige Eine literarische Zusammenfassung – ja geradezu ein Bestoff – der 42. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Von Michael Bärnthaler

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ch setze meinen fuß und dann den anderen ich setze meine füße

WOHIN ABER GEHEN WIR

schritte und immer schritte und wie viele schritte kann ein mensch in einem leben gehen als ich jung war dachte ich unendlich viele dann merke ich irgendwann das ist vielleicht so die mitte meines lebens und die erste hälfte ist jetzt vorbei von diesem moment an fühlen sich die schritte nicht mehr unendlich an

Fotos: Archiv, Marti E. Berenguer, Christian Benesch

WENN ES DUNKEL UND WENN ES KALT WIRD

Niemand sagt: Ich möchte Müllmann werden. Petro ist sowohl Weihnachtsbaumverkäufer als auch Müllmann gewesen. Beide Jobs fand er nicht gut. Bäume verkaufen ist das Letzte, besonders, wenn sie aus den Karpaten geschmuggelt werden. Müllmann zu sein, wäre in Ordnung gewesen, es riecht weniger, als man denkt, jedoch verlangten sie bereits nach dem ersten Arbeitstag Petros Pass. Als er das Wort hörte, lief er so schnell wie möglich davon. WAS SOLLEN WIR TUN

Überall waren Hotdogstände und Foodtrucks und Fanshops zwischen den Palmen; und ein roter Zeppelin kreiste am Himmel; und man konnte sich in den

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Mannschaftsfarben schminken lassen; und Erinnerungsbilder mit Doubles von Heat-Legenden machen; und Tradingcards verkaufen; und Freiwürfe werfen; und Internetverträge abschließen. UND WOHIN TRAGEN WIR AM BESTEN UNSRE FRAGEN

Rhizomartig ziehen sich Verästelungen unter den Bergkuppen und Siedlungen durch, brechen in Röhrchen und Netzen an die Oberfläche und schieben das nervöse Erdreich zu atmenden Halden zusammen. Es ist, genau betrachtet, nicht nur ein Loch, sondern ein nach allen Seiten sich erstreckender Hohlraum, der die gesamte Gemeinde unterhöhlt – UND DEN SCHAUER ALLER JAHRE

»Ist dir eigentlich klar, dass inzwischen Hochsommer ist?« »Ach«, sagte Mattes. »Echt? Egal.« »Es flimmert vor Hitze.« AM BESTEN WENN TOTENSTILLE EINTRITT

Kombiniert wurden Textstücke von Özlem Özgül Dündar, Tanja Maljartschuk (Bachmannpreisträgerin 2018), Joshua Groß, Raphaela Edelbauer, Stephan Lohse und – natürlich – Ingeborg Bachmann. bachmannpreis.at

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Kreativer Strassensport Ein bisschen sportlich wird’s immer, wenn La Strada (heuer vom 27. Juli bis 5. August) seine Akrobaten in durchaus atemraubenden Inszenierungen präsentiert. Im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Russland hat das Festival aber gar einen kleinen Schwerpunkt im Programm, der sich der künstlerischen Annäherung an die beliebteste Sportart der Welt widmet. So bringt etwa die spanische »Compania Vero Cendoya« (Bild) die vielfach ausgezeichnete Produktion »La Partida« nach Graz. Fünf Tänzer, ebenso viele Kicker, ein Schiedsrichter – und derartig eigene Regeln, dass vielleicht sogar richtige Fußballmuffel auf den Geschmack kommen könnten. Tickets und das gesamte Programm gibt es auf lastrada.at [pkw]


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