Fazit 145

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Essay von Christian Ankowitsch

Liebe Deine Probleme S

chon lange hatte ich nichts mehr gehört von meinem österreichischen Freund. Zeit, ihn wieder einmal anzurufen. Wir sprachen über das Übliche. Job, Kinder, Urlaub. Nur um ein Thema machten wir einen Bogen: um seine Beziehung. Denn die lief nicht besonders gut, wie ich aus zahlreichen Gesprächen wusste. Er ist beruflich viel unterwegs, arbeitet bis spät nachts und konzentriert sich gern auf seine Dinge. Auch seine Frau hat ihre Eigenheiten, wie er immer wieder erzählt hatte. Wie dem auch sei – langsam kamen wir ans Ende unseres Telefonats, und weil ich mich um das heikle Thema nicht gänzlich drücken wollte, meinte ich abschließend flapsig: »Und, seid ihr jetzt endlich geschieden?« Worauf der Freund entgegnete: »Wo denkst du hin! Wir führen eine stabile Problembeziehung!« Sagte es und lachte. Wie mir schien nicht grimmig, sondern durchaus herzlich. Ende des Gesprächs. Ich muss seitdem immer wieder an diesen Satz denken. Denn er widerspricht der weit verbreiteten Überzeugung, dass wir nur dann zufrieden sein können, wenn wir unsere Probleme zu lösen verstehen. Aber sie einfach so zur Kenntnis nehmen? Sich mit ihnen arrangieren? Ja, sie zum Bestandteil einer Beziehung machen, wie der Freund das angedeutet hatte? Eine widersinnige Vorstellung. Das wäre ja so, als würden wir das Funktionieren unseres Fahrrads davon abhängig machen, dass es einen Platten hat. Ein plausibler Einwand, ganz ohne Zweifel. Aber der Vergleich hinkt nicht nur, er ist schlicht falsch. Beziehungen folgen ja keinen mechanischen Gesetzen. Vielmehr funktionieren sie nach ganz eigenen Regeln, und die haben es in sich. Um das zu erkennen, müssen wir uns nur kurz im Freundes- und Bekanntenkreis umsehen. Und? Was werden wir feststellen? Richtig – die meisten klagen zwar über irgendwelche Probleme, machen aber ganz offensichtlich keine Anstalten, sie zu lösen. Vielmehr leben sie mit ihnen, und das auf eine Weise, die zwar ein wenig mühsam, aber keinesfalls schlimm erscheint. Das muss doch Gründe haben. Und hat es natürlich auch. Manche davon kennen wir, andere nicht. Darin gleichen unsere Probleme ein bisschen dem Mond: Sie umkreisen uns zwar ständig und gut sichtbar, aber wir sehen immer nur ihre Vorderseite. Die Rückseite hingegen bleibt uns verborgen. Das sollten wir umgehend ändern, denn wir werden dort Hilfreiches entdecken.

Wir sollten uns hüten, in unseren Schwierigkeiten ausschließlich Negatives zu erkennen. Sie verschaffen uns Gewinne, und manchmal sind sie sogar die Lösung. Eine kleine Expedition auf die Rückseite eines vertrauten Phänomens.

Und tatsächlich – kaum haben wir die unbekannte Seite unserer Probleme erreicht, bekommen wir auch schon eine Antwort auf die sehr grundsätzliche Frage, wie denn hartnäckige Probleme entstehen. Sie lautet: »Nichts wird zur Routine, was sich nicht bewährt.« [1] Das heißt, wir Menschen können nur solche Verhaltensweisen pflegen, mit denen wir auch durchkommen. Wer zum Beispiel eine vielbefahrene Straße überqueren will, wird das nur schaffen, wenn er bei Grün losgeht und den Straßenverkehr im Auge behält; ignoriert er den Kontext (rote Ampel, herandonnernder LKW), wird seine erste Straßenüberquerung auch die letzte sein. Wer mit seinem Partner zusammenleben will, muss dafür nicht nur eine Reihe von Verabredungen treffen, sondern sie auch einhalten; andernfalls wird er eines Tages vor der verschlossenen Wohnungstür oder in einem leeren Wohnzimmer stehen. Das heißt: Nur wenn unser konkretes Verhalten zu jenem unserer Mitmenschen und den spezifischen Situationen passt, werden wir damit Erfolg haben und daran festhalten können. Etwas abstrakter formuliert kann man sagen: »Jedes System, das nicht in Krisen gerät, chronifiziert. Es kann seine Strukturen ungestört bewahren, es kann so bleiben, wie es ist. Und das kann es nur, weil die Umwelt nicht stört.« [2] Dass wir mit einem bestimmten Verhalten durchkommen, sagt freilich nichts darüber aus, ob es gut oder schlecht für uns oder andere ist. Wir können uns zu Gewohnheitssportlern und Gewohnheitsganoven genauso entwickeln wie zu Gewohnheitstrinkern.

Foto: Josef Fischnaller

Wiederkehrende Probleme sind Routinen, die sich bewährt haben

Dr. Christian Ankowitsch, geboren 1959 in Klosterneuburg, ist österreichischer Journalist und Autor. Er studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Graz und Hamburg. Seit 1978 ist er als Journalist tätig. Er ist Moderator einer Literatursendung auf ORF2 sowie seit 2013 der Jurydiskussionen im Rahmen des jährlichen Ingeborg-Bachmann-Preises im ORF und auf 3Sat. ankowitsch.de FAZIT AUGUST 2018 /// 39


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