Wenn wir die Trendwende nicht schaffen, dann werden diese Großparteien von der Bildfläche verschwinden.. Christian Kern, Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender
Fotos: Johannes Zinner, ÖVP Online
Christian Kern löst Werner Faymann als Kanzler ab und startet einen Versuch, die Koalition zu retten.
Die SPÖ muss sich zwischen Machterhalt und Reformen entscheiden Der erste Auftritt von Christian Kern als SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler war bemerkenswert. Dass Christian Kern das Statement seiner Antritts-Pressekonferenz nämlich vorab mit seinem ÖVP-Gegenüber Reinhold Mitterlehner akkordiert hatte, zeigt, dass erstmals seit Wolfgang Schüssel wieder ein Manager und Kommunikationsprofi an der Spitze einer österreichischen Bundesregierung steht. Mit seinem Bekenntnis zu einem radikalen Kurswechsel hat Kern auch den Scharfmachern in der Volkspartei den Wind aus den Segeln genommen und gleichzeitig Mitterlehner in dessen Funktion als VP-Chef und Vizekanzler gestärkt. VP-Klubobmann Reinhold Lopatka, der Kern – zwar zu Recht, aber alles andere als im Sinn eines Neubeginns – dessen Versäumnisse als ÖBB-Chef vorgehalten hatte, stand auf einmal in der ÖVP ziem16 /// FAZIT JUNI 2016
lich isoliert da. Gleichzeitig wird ÖVP-Superstar Sebastian Kurz auf eine Warteposition gezwungen, die er erst überwinden kann, wenn die SPÖ in einigen Monaten in den Umfragen zur FPÖ aufgeschlossen haben wird, während die ÖVP weiterhin bei ihren etwa 20 Prozent dahindümpeln wird. Aus strategischer Sicht wäre das für die SPÖ dann der richtige Zeitpunkt, um Neuwahlen vom Zaun zu brechen. Die Chance, dass sich genügend bisherige VP- und Neos-Wähler finden, die einen Bundeskanzler Heinz-Christian Strache verhindern wollen, indem sie eine smart gewordene SPÖ wählen, wäre riesig. Es ist aber auch möglich, dass es Kern tatsächlich ernst mit seinem Reformbekenntnis meint. Irgendwie ruft er als Quereinsteiger ja Erinnerungen an den steirischen Landeshauptmann Franz Voves wach; nicht an den polternden und beleidigten Franz Voves, der zwischen 2000 und 2005 mit seiner teuren Klientelpolitik die Steiermark auf einen katastrophalen budgetären Irrweg geführt hat, sondern an Franz Voves, den Reformpartner, dem es 2010 tatsächlich gelungen ist, das finanzielle Ruder, gemeinsam mit seinem VP-Gegenüber Hermann Schützenhöfer, herumzureißen. Wenn es Kern also tatsächlich um Investitionen und Arbeitsplätze, Bildungschancen, Integration und die Modernisierung Österreichs und nicht um den bloßen Machterhalt seiner großen alten Partei geht, hat Österreich vielleicht noch eine Chance, seine europäische Schlussposition bei Wachstum und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit loszuwerden. Zu befürchten ist dennoch, dass der SPÖ – nicht zuletzt durch das politische Schicksal, das Franz Voves nach der letzten Wahl ereilt hat – in-
zwischen klar geworden ist, dass Medien und Wähler zwar Reformen fordern, aber in aller Regel jene abstrafen, die Reformen durchsetzen. Vor diesem Hintergrund ist es daher nur schwer vorstellbar, dass die Regierung tatsächlich bis 2018 durchhält.
Nicht Faymann war, sondern die große Koalition ist das Problem Auslöser für den Wechsel an der SPÖ-Spitze war der erste Durchgang der Bundespräsidentenwahl, bei der die Kandidaten der Regierungsparteien, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol mit jeweils elf Prozent katastrophal abschnitten. Der Grund dafür liegt, anders als oft interpretiert, nicht in der bescheidenen Performance dieser beiden Kandidaten oder gar im Versagen der Demoskopie, sondern darin, dass weder SPÖ noch ÖVP begreifen, wie sehr die Wähler die Nase voll von ihrer großen Koalition haben, zu der sie auch von den Landeshauptleuten und Sozialpartnern gezwungen werden. Österreich wird seit Jahrzehnten von zwei Parteien beherrscht, die sich auf Dauer aneinandergekettet haben, um das Land unter sich aufzuteilen, obwohl sie eigentlich längst nicht mehr miteinander können. Kürzlich brachte der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy seine Besorgnis über die Situation in Österreich zum Ausdruck und warf SPÖ und ÖVP vor, grundlegendste demokratische Regeln nicht begriffen zu haben. »Wenn es weder eine Rechte noch eine Linke gibt, wenn es keine Debatte mehr gibt, lässt man Extremisten einen riesigen Raum. Das ist ein totales Nicht-Begreifen der demokratischen Regeln…«, so Sarkozy. Was Sarkozy nicht weiß: SPÖ und ÖVP regieren das Land über die Sozialpartner sogar dann, wenn sie ausnahmsweise einmal in der Opposition sind. Denn während der SPÖ-Alleinregierung saß die ÖVP über die Kammern und Interessensvertretungen genauso mit am Tisch, wie die SPÖ zur Zeit der schwarzblauen Koalition. Die Sozialpartnerschaft, die jahrzehntelang als Modell für Wohlstandszuwachs und sozialen Frieden galt,