Fazit 118

Page 80

Märkte sind wie Fallschirme: sie funktionieren nur, wenn sie offen sind. Helmut Schmidt, 1918–2015

Rezension I

Pathologisches Mitleid

Von Michael Bärnthaler

E

s ist sicher nicht leicht, einen guten politischen Roman zu schreiben. Einige politische Romane jedoch werden zu Klassikern, die bald schon jeder kennt, auch diejenigen, die sie gar nicht gelesen haben. Diese Romane liefern Szenarien und Begriffe, mit denen wir unsere Realität interpretieren, unsere Ängste ausdrücken, unsere Regierungen kritisieren ... Man denke nur, zum Beispiel, an George Orwells 1984. Ein herausragender politischer Roman entfaltet eine analytische und prognostische Kraft, die erhellend und mitreißend, mitunter jedoch – das liegt in der Natur der Sache – auch irreführend wirken kann. Nun ist, inmitten der europäischen Flüchtlingskrise, ein politischer Roman, dem man analytische und prognostische Kraft sicher nicht abstreiten kann, von Martin Lichtmesz für den Antaios-Verlag neu ins Deutsche übertragen worden: Es handelt 80 /// FAZIT DEZEMBER 2015

Der politische Roman ist für einen Leser mit Interesse an Politik und Literatur immer ein doppeltes Vergnügen. Anmerkungen zu Jean Raspails »Das Heerlager der Heiligen«. sich um Jean Rapails »Camp des Saints«, ein Klassiker rechter dystopischer Literatur. In dem Roman »Heerlager der Heiligen«, so der deutsche Titel, geht es um die – das ist wohl der zentrale, leicht paradoxe Begriff – friedliche Invasion des dekadenten Europas durch Flüchtlinge aus der Dritten Welt, für die unser Kontinent eine Art gelobtes Land darstellt. Nun, Sie verfolgen doch die Nachrichten, nicht ...? Die friedliche Invasion gelingt und stürzt den Kontinent ins Chaos, weil Europa dem Pathos der Schwäche und des Elends, welches – neben ihrer Zahl – die einzige Waffe der Refugees ist, nichts entgegenzusetzen hat, sondern nur mit, nun ja, pathologischem Mitleid auf diese existenzielle Herausforderung reagieren kann. Der europäische Selbstbehauptungswille – das ist der Wille der Europäer zur Erhaltung Europas als Europa – wurde durch linke Selbsthasspropaganda, übertriebene Schuldgefühle gegenüber den sprichwörtlichen Kindern in Afrika usw. usf. untergraben.

Das Ergebnis ist Chaos. Denn die Fremden kommen zwar als Flüchtlinge, die ein besseres Leben suchen, aber auch als Invasoren, die sich nehmen, was sie wollen, sofern niemand sie daran hindert ... Und sie kommen tatsächlich als Fremde, die mit den Europäern und ihrer Kultur nichts anzufangen wissen. Kurz: Sie kommen als Barbaren. Es ist das Ende der europäischen Zivilisation. Es kommt zu einer, wenn man so will, Befreiung, von der manche Linke wohl träumen mögen, die jedoch – wie Konservative wissen – notwendig zusammenfällt mit Terror, sadomasochistischer Orgie und Chaos. Die Befreiung ist die Auflösung. Nun ist ein Roman freilich – muss ich es wirklich sagen? – ein Roman. Nur ein Roman? Jedenfalls spitzt Raspail stark zu, polemisiert und beschreibt die Einwanderer aus der Dritten Welt auf teilweise bösartige Weise als abstoßend-primitive Aliens. Der Roman ist allerdings äußerst unterhaltsam und beleuchtet Aspekte


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Fazit 118 by Fazitmagazin - Issuu